Der "Änderungsumfang" steht weitgehend fest, doch auch die Vorschläge zur Reform der Rechtschreibreform weisen viele Unstimmigkeiten auf
Welchen "Änderungsumfang" die kommende Revision der Rechtschreibreform haben wird, steht "weitgehend fest". Der Rat für deutsche Rechtschreibung, der dies mitteilt, hofft auf die Zustimmung der Kultusminister, die seine Vorschläge auf ihrer Frühjahrskonferenz begutachten werden.
Das von Hans Zehetmair geführte Gremium sollte nur drei von sechs Teilen der Amtlichen Regelung überprüfen. Die anderen drei hatte die Kultusministerkonferenz im vergangenen April überraschend für "unstrittig" erklärt. Zu diesen vorgeblich über jede Kritik erhabenen Bereichen zählt das Kapitel über die Laut-Buchstaben-Zuordnung. Der Rat hat sich an die politische Vorgabe gehalten, hier keinerlei Änderungen ins Auge zu fassen. Ein Vorstoß von österreichischer Seite, das
ß nach Schweizer Vorbild ganz abzuschaffen, fand keine Mehrheit.
Die durch die Reform veränderte Verteilung von
ss und
ß ist bekanntlich ihr Erkennungsmerkmal. Wer, wie nahezu alle Ratsmitglieder, am Überleben der Reform interessiert ist, wird über die Nachteile der Neuregelung (
bisschen, Missstand) und die Erosion der Rechtschreibsicherheit, wie sie in irrtümlichen
ss-Schreibungen (
fleissig, Kenntniss, Strasse) zum Vorschein kommt, gerne hinwegsehen.
Von hohem Symbolwert sind auch die Drei-Buchstaben-Regel (
Flussschifffahrt) und einige auffällige Eindeutschungen wie z. B.
Tipp und
Potenzial. Erstaunlicherweise hält der Rat darüber hinaus an so erfolglosen Neuschöpfungen wie
Krepp (für
Crêpe) oder
Tunfisch fest. Ihre Existenzberechtigung ist natürlich ebensowenig "unstrittig" wie die der Schreibweisen
schnäuzen oder
Stängel, die auf eigenwillige Vorstellungen des führenden Reformers Gerhard Augst zurückgehen.
Der Rat signalisierte frühzeitig, in vielen Fällen der Zusammenschreibung wieder den Vorzug zu geben, was ihm das Wohlwollen der Öffentlichkeit eintrug. Übersehen wurden darüber die Defizite der vorgeschlagenen Revision der Getrennt- und Zusammenschreibung.
Den umformulierten Regeln gemäß wäre
eislaufen und
er läuft eis zu schreiben,
staubsaugen und
er saugt Staub, Rad fahren und
er fährt Rad. Eislaufen zählt der Neufassung zufolge zu jenen Fällen, "bei denen die ersten Bestandteile die Eigenschaften selbstständiger Substantive weitgehend verloren haben". Diese Begründung soll auch für die Schreibung
leidtun herhalten, obwohl das Adjektiv
leid keineswegs mit dem Substantiv
Leid identisch ist oder jemals war. Der Rat schreibt hier ein längst erkanntes grammatisches Fehlurteil der Reformer fort und weigert sich wie diese, die herkömmliche Schreibung
leid tun anzuerkennen. Aus
gut tun, leid tun, not tun, leid sein, not sein machte die Reform
gut tun, Leid tun, Not tun, leid sein, Not sein. Der Rat korrigiert nun
zu gut tun, leidtun, nottun, leid sein, Not sein.
An den Details zeigen sich die fundamentalen Probleme
Während der Rat einerseits nicht wenige Zusammenschreibungen obligatorisch neu einführen möchte, ist er andererseits nicht bereit, alle durch die Reform für obsolet erklärten Wörter -
radfahren, spazierengehen, zuviel usw. - zu rehabilitieren. Zum Teil möchte er es beim Nebeneinander beider Formen belassen -
hier zu Lande neben
hierzulande, mithilfe neben
mit Hilfe -, zum Teil sieht er in der Einführung weiterer Alternativen -
kennenlernen neben
kennen lernen, maßhalten neben
Maß halten - bereits die Lösung des Problems. Die heute allgegenwärtigen Übergeneralisierungen - Schreibweisen wie
hervor getreten oder
heut zu Tage - können so nicht zurückgedrängt werden.
Mit diesen und anderen Unstimmigkeiten konfrontiert, erklärte der Urheber der Vorlage, der Potsdamer Linguist Peter Eisenberg, in der
Süddeutschen Zeitung, sich mit "so etwas wie fundamentalen Detailproblemen" nicht abgeben zu wollen. Tatsächlich aber zeigen sich an den Details die fundamentalen Probleme der Revision. Einerseits nimmt der Rat, wie schon die von ihm abgelöste Zwischenstaatliche Kommission, wenig Rücksicht auf Sprachgeschichte, Schreibgebrauch und grammatische Richtigkeit. Andererseits schont er die mit der Reform verbundenen politischen und ökonomischen Interessen, indem er es bei minimalinvasiven Eingriffen belassen will.
Nicht einmal diskutiert hat der Rat das Kapitel "Schreibung mit Bindestrich". Folglich werden selbst die Behelfsschreibungen Schluss-Strich oder Schiff-Fahrt nicht wieder aus dem Verkehr gezogen, obwohl sie, da noch unbeholfener als Schlussstrich und Schifffahrt, ungebräuchlich sind. Bleiben soll auch der 45-jährige Mann bzw. der 45-Jährige, das 8-Fache usw. Diese fehlerträchtige Vorschrift hält zur Großschreibung von Wortbestandteilen an, denen eine solche Auszeichnung nicht zukommt.
Mit Ausnahme einiger Randbereiche gilt die reformierte Groß- und Kleinschreibung ebenfalls offiziell als "unstrittig". Der Rat hat auf seiner jüngsten Sitzung dennoch eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die dieses Kapitel überprüfen soll. Darin liegt zwar eine gewisse Unbotmäßigkeit gegenüber der KMK; der Auftrag an die Arbeitsgruppe ist jedoch ausdrücklich auf wenige Punkte beschränkt. Zudem gehören ihr mit Peter Gallmann und Karl Blüml zwei führende Reformer an, die einschneidende Maßnahmen zu verhindern wissen werden.
Der Rat bleibt zurück hinter den Erkenntnissen des 19. Jahrhunderts
Voraussichtlich wird man sich auf einige weitere Variantenschreibungen verständigen. Ein Nebeneinander von gelber und Gelber Karte, von die meisten und die Meisten ist bereits seit der ersten Reform der Reform von 2004 vorgesehen. Die Tolerierung der Großschreibung des Du in Briefen wird wohl neu hinzukommen. Die grammatisch falschen Großschreibungen Bankrott bzw. Pleite gehen könnten - wie im Falle von Leid tun - durch die Zusammenschreibungen bankrottgehen und pleitegehen ersetzt werden. An das ähnlich gelagerte Recht haben wird man hingegen kaum rühren wollen.
Unverändert bleiben sollen auf jeden Fall die ebenso häufigen wie bedenklichen Großschreibungen gestern Morgen, morgen Abend usw. sowie im Allgemeinen, des Weiteren, auf dem Laufenden usw., die allesamt als obligatorisch gelten. Diese Schreibungen wurden bereits von der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts als grammatisch fragwürdig erkannt. Der Rat bleibt hinter diesem Erkenntnisstand zurück.
Im Bereich der Zeichensetzung hat sich der Rat dazu durchgerungen, das Komma vor erweiterten Infinitivgruppen, die mit um, ohne, statt usw. eingeleitet werden, wieder obligatorisch zu machen. Hingegen soll das Komma vor gleichrangigen Hauptsätzen, die mit und oder oder beginnen, weiterhin ins Belieben der Schreibenden gestellt sein. Die möglichen Folgen illustriert das Regelwerk mit dem Beispielsatz Ich fotografierte die Berge und meine Frau lag in der Sonne. Dort findest sich auch weiterhin der hübsche Satz Er sah den Spazierstock in der Hand tatenlos zu, der von Amts wegen ebenfalls kein Komma benötigt. Eine Beseitigung aller Mängel der reformierten Zeichensetzung findet also nicht statt.
In das Kapitel Worttrennung am Zeilenende hat man zwar redaktionell stärker eingegriffen, was jedoch nur eine einzige greifbare Konsequenz hat: Die Abtrennung einzelner Vokalbuchstaben (a-ber, Musse-he usw.) soll nicht mehr möglich sein. Weil der Rat andererseits an der Untrennbarkeit von ck festhält, können dann Acker, Ecke usw. überhaupt nicht mehr zerteilt werden.
Obwohl die Öffentlichkeit ad nauseam mit den Beispielwörtern Analphabet und Urinstinkt traktiert wurde, deren Trennung nach der je zweiten Silbe zu vermeiden sei, bleibt die Trennung Urin-stinkt im Zweifel weiterhin erlaubt, ebenso wie Urins-tinkt. Auch an Trennmöglichkeiten wie hi-nauf, he-rab, Subsk-ription, Ins-tanz findet der Rat nichts auszusetzen. Das ist weder sachlich angemessen noch zeitgemäß bei einer technischen Entwicklung, welche die Schreibenden von den Schwierigkeiten der Silbentrennung fast vollständig entlastet hat.
Falls die Vorschläge des Rechtschreibrats von den Kultusministern akzeptiert werden, womit zu rechnen ist, wird sich die amtliche Rechtschreibung in gewissem Maße der herkömmlichen annähern. Diese bleibt jedoch auch der ein weiteres Mal reformierten Reformschreibung überlegen. Wer bisher an der gewöhnlichen Orthographie festgehalten hat, darf sich bestätigt sehen.