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eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.09.2022 um 06.21
Identitätspolitik : Das Verlangen nach totaler Aufmerksamkeit
• Von Jürgen Kaube
• -Aktualisiert am 10.09.2022-11:14
Überall Diskussionen über richtiges Reden, Zitieren, Lesen. Die Öffentlichkeit befindet sich in einem Umbruch. Die Übertreibung wird zum Standard.
Erregter Streit über Karl May. Darf man ihn noch lesen, wird er noch gesendet, ist er eine schöne Kindheitserinnerung oder ein furchtbarer Kolonialist, der schon den Kleinsten verwerfliche Bilder und Konzepte von fremden Völkern einflößt? Der Mitteldeutsche Rundfunk, wird gemeldet, führt das betreute Sehen ein und will alte Winnetou-Filme mit Hinweisen darauf versehen, dass es sich um alte Filme handelt.
Weiter zu den endlosen Debatten über das Gendern. Sieht so die gerechte, die höfliche oder die „sichtbarmachende“ Sprache aus, oder ist es ein lächerliches Moralisieren? Dürfen die öffentlich-rechtlichen Sender ihr ganzes Programm in diese Sprachform bringen? Zwischendurch hat eine Juristin sogar behauptet, der Staat müsse gendern, weil er andernfalls gegen die Gleichberechtigung verstoße. Merkwürdig nur, dass das Grundgesetz, auf das sie sich beruft, selbst nicht gendert...
faz.net 10.9.2022
Karl May hat die Verehrung des „Führers“ überlebt und auch die Rechtschreib„reform“. Den Gender- und Correctness-Fimmel wird er vielleicht nicht überstehen – die höhere europäische Literatur wird es wohl auch nicht schaffen.
PS: Ergänzend dazu Hubertus Knabe:
Winnetou oder die stille Wiederkehr der DDR
11. September 2022
https://hubertus-knabe.de/winnetou-oder-die-stille-wiederkehr-der-ddr/
Sioux-Indianer ehren Karl May an seiner letzten Ruhestätte in Radebeul im Januar 1928
eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.03.2022 um 09.44
„Wladimir, Du erzählst Lügen“
Titel der FAZ.net gestern nachmittag (rot zugefügt). Man sieht, wie die Schreibverwirrung im Jahr 24 n. Schr. (Schreibreform) um sich gegriffen hat: Wenn man sich duzt, bedürfe es der „Ehrerbietung“ nicht, tönte es ab 1996 von den Schreibdiktatoren. Für die Hervorhebung des „du“ in der Wiedergabe von Gesprächen bestand aber nie der geringste Anlaß. Die FAZ, bis 2007 zur traditionellen Rechtschreibung zurückgekehrt, ist jetzt, wie die meisten, völlig verunsichert:Im Elysée-Palast wurde darüber gerätselt, aus welchem Grund Putin das Gespräch mit Macron suchte. Wie es hieß, duzen sich Putin und Macron weiterhin, was die Übersetzer so wiedergaben.Wie das in den verwendeten Sprachen gehandhabt wird, weiß ich nicht. Ein französischer Bekannter versicherte mir, daß er auch seine Eltern immer noch gesiezt habe. Die FAZ-Großschreibung ist aber völlig sinnlos:Es gebe keinerlei Anlass zur Hoffnung mehr, dass der Kremlherrscher etwas anderes als die vollständige Eroberung des ukrainischen Staatsgebietes zum Ziel habe, hieß es im Elysée.Jetzt hat sich aber eine regelfreie Unart der Betonungsgroßschreibung herausgebildet, der die FAZ anscheinend ziellos folgt. Im übrigen lag der Schreibreform wohl ein ähnlich närrisches „Narrativ“ der „Entnazifizierung“ zugrunde, ohne daß dies allen bewußt war. Widerstand leisten fast nur solche, die „wegen der Meinungsfreiheit“ als „Nazis“ bezeichnet werden dürfen. –
Putin sei in einem paranoiden Narrativ der „Entnazifizierung“ der Ukraine gefangen. Er habe geleugnet, dass die russische Armee zivile Ziele angreife. „Du erzählst Lügen, Du suchst Dir Ausflüchte“, habe Macron erwidert.
faz.net 3.3.2022
Gregor Gysi, der inzwischen von Putin abrückte, hatte 2014 noch ausdrücklich dessen „Narrativ“ für die Ukraine bestätigt.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.03.2021 um 06.34
Prof. Peter J. Brenner schrieb am 21. Oktober 2020 einen neun Seiten langen Kündigungsbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Dieser erschien im Magazin „Tumult“ und wurde jetzt bei „Tichys Einblick“ noch einmal veröffentlicht. Der letzte Abschnitt spiegelt das Elend der heutigen Journalisterei der „Qualitätspresse“ wieder, wie auch ich es schon des öfteren angemerkt habe (fett durch mich):
Da ich über 40 Jahre lang im Hochschuldienst tätig wäre, verkenne ich die zunehmende Schwierigkeit nicht, qualifizierten Journalistennachwuchs zu finden, der die deutsche Sprache sicher beherrscht, über den Bildungshintergrund und den Wissenshorizont und nicht zuletzt auch über das Ethos der Unbestechlichkeit durch den Zeitgeist verfügt, das man bei Qualitätsjournalisten voraussetzen muss, bevor sie ihre erste Zeile veröffentlichen. Wie man hört, bezieht die F.A.Z. inzwischen ihren Nachwuchs auch, was lange Zeit aus gutem Grund verpönt war, aus Journalistenschulen oder bei der taz. Das würde einiges erklären und die verbliebenen Leser werden wohl nicht mehr lange auf die ersten Gendersternchen in der F.A.Z. warten müssen, [...]Im Jahre 2000 war die FAZ die große Hoffnung im Widerstand gegen die ekelhafte Rechtschreib„reform“. Diese wurde verstärkt, als sich der Springerkonzern 2004 anschloß. Dessen Kotau 2006 vor der „Reform“ war zweifellos der Achse Merkel, Friede Springer, Liz Mohn, Annette Schavan geschuldet, während die linke Spiegelmannschaft ihrem Chefredakteur Stefan Aust von Anfang an die Gefolgschaft verweigerte. In einem Anflug von Fatalismus knickte die FAZ dann 2007 wieder ein. Besonders unangenehm fiel die Zeitung bald in dem Bestreben auf, den Linksdrall der Merkel-Regierung zu unterstützen.
Da will ich als Leser und Abonnent nicht weiter stören
Mit freundlichem Gruß und allen guten Wünschen für die Zukunft Ihres Blattes
Ihr
Peter J. Brenner
tichyseinblick.de 7.3.2021
eingetragen von Sigmar Salzburg am 31.08.2020 um 07.05
Das jahrzehntelang vorherrschende und jetzt wieder aufgewärmte linke Dogma von den gleichen Grundfähigkeiten aller Menschen stützte sich auch auf die Lehren Noam Chomskys. Die FAZ berichtet von einer allmählichen Abkehr von dieser Vorurteilswissenschaft:
Unterschätzte Muttersprache :Chomskys materialistischer Dogmatismus wurde vielfach kritisiert und auch karikiert, etwa durch Ernennung des Schimpansen Nim Chimpsky zum Gegenspieler Chomskys. Der Missionar Daniel L. Everett wandelte sich zum Erforscher der brasilianischen Pirahã und schwor seinem bisherigen sprachlichen und religiösen Glauben ab.
Der Grammatikunterricht endet nie
Von Wolfgang Krischke
... Niemand kommt auf die Idee, in der Schule grundlegende Satzmuster der eigenen Muttersprache einzuüben. Doch das wäre sinnvoll. Die Fähigkeit, komplexere Aussagen zu verstehen, ist sehr unterschiedlich verteilt.
Wenn grammatische Defizite zum Thema werden, geht es meistens um mangelhafte Fremdsprachenkenntnisse. Niemand kommt auf die Idee, mit seinen Sprösslingen die Deklinationen oder Wortstellungsregeln der Muttersprache einzuüben. Dieser Glaube an die Grammatik als Selbstläufer passt zu der linguistischen Lehrmeinung, dass allen Sprachen der Welt eine gemeinsame Universalgrammatik zugrunde liegt, die man sich als ein im Gehirn verankertes Betriebssystem vorzustellen hat. Nach dieser Theorie, deren prominentester Vertreter Noam Chomsky ist, lernt ein Kleinkind seine Muttersprache nahezu automatisch, indem die Wörter und Sätze, die es tagtäglich hört, einige der Funktionen aktivieren, die dieses System bereithält. Andere Funktionen, die nicht zu dieser Sprache passen, werden stillgelegt, so dass im Kopf eine deutsche, russische oder arabische Grammatik heranreift. Dank dieser neurobiologisch basierten Sprachfähigkeit sollen alle Menschen ohne kognitive Defizite in ihrer Muttersprache über dieselbe grammatische Kompetenz verfügen.Lehrer hatten angesichts ihrer Erfahrungen in den Klassenzimmern allerdings schon immer Zweifel an dieser Theorie. Die werden bestätigt durch Forschungen der Sprachwissenschaftlerin Ewa Dąbrowska von der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie stellte fest, dass es zwischen Muttersprachlern beträchtliche Unterschiede in der grammatischen Kompetenz gibt. [...]Orthographische Analyse des Artikels: 923 Wörter – „Reform”: 10 nichts erleichternde „dass“; 3 weitere Reform-ss; Kosten des Reform-Stusses: 50 Mrd. DM, Folgen: Kulturbruch.
Auf der Suche nach Gründen für diese Kompetenzunterschiede nahmen die Linguisten vier Faktoren unter die Lupe: den Grad der formalen Bildung, die Lesefreudigkeit, den nichtsprachlichen Intelligenzquotienten und die sprachanalytischen Fähigkeiten. Um letztere zu prüfen, wurden den Versuchspersonen kurze Sätze in einer unbekannten oder künstlichen Sprache zusammen mit ihren Übersetzungen vorgelegt. Die Aufgabe bestand darin, die zugrundeliegenden Strukturen zu erkennen, um daraus analoge Sätze in der Kunstsprache abzuleiten.
Es zeigte sich, dass alle vier Faktoren eine statistisch signifikante Rolle für die Unterschiede in den grammatischen Fertigkeiten spielten. [...]
Im Vergleich der vier Faktoren untereinander hatte der Bildungsstand für sich genommen das geringste Gewicht. Eine solch isolierte Betrachtung dürfte allerdings seiner Bedeutung nicht gerecht werden, da er mit den anderen Faktoren – einschließlich des IQ – verknüpft ist. [...]
Wichtiger als diese Einwände war allerdings, dass sprachliche Defizite nicht zum Zeitgeist passten. Dem entsprach viel besser die biolinguistische Égalité der Universalgrammatik, die mit der politischen Égalité linker Überzeugungen harmonierte. Das bekam auch Ewa Dąbrowska zu spüren: „Zu Beginn wurde ich für meine Forschungen harsch kritisiert, teilweise sogar angefeindet. Dabei war es nicht so, dass ich individuelle Differenzen finden wollte. Ich fand sie einfach.“ [...]
faz.net 27.8.2020
eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.08.2019 um 03.59
F.A.Z. exklusiv
Familienministerin Giffey stellt Rücktritt in Aussicht
• Von Peter Carstens, Berlin
... Familienministerin Franziska Giffey hat gegenüber der SPD-Spitze erklärt, dass sie auf ihren Kabinettsposten aufgeben werde, sollte die Freie Universität Berlin ihr den Doktortitel aberkennen. Zugleich schrieb die populäre Politikerin der kommissarischen Vorsitzenden Malu Dreyer in einem Brief, welcher der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorliegt, dass sie nicht für das Amt einer SPD-Vorsitzenden antreten werde...
faz.net 15.8.2019
[Leserbriefe:]
Ganzes Universum liegt zwischen dem
• Max Schmid (CH-Gast)
• 15.08.2019 - 16:35
in den dt. Medien beschimpften Hr. Johnson ("Populist, Chaot..."), einem Qxford-Absolventen in Altphilologie (sehr schwer) und den dt. Politikern, wie hier geschildert, "Dr." der trivialen Soz. - Wissenschaften an einer Uni, die im int. Ranking auf den Plätzen 100-150 liegt (Oxford Platz 5-10).
Mir wäre es lieber, "Dr. Merkel" würde zurücktreten.
• Christian Bauer (CTB13)
• 15.08.2019 - 16:22
Ihre Dr-Arbeit dürfte mehr als "erkenntnisfrei sein.
[Seltener geworden in der FAZ: Kluge Köpfe mit klassischer ß-Bildung:]
"... die populäre Politikerin ..."
• Joachim Reuter (Polyphem)
• 15.08.2019 - 15:42
Läßt sich diese Bewertung durch irgendetwas belegen, z.B. durch Umfragen oder öffentliche Sympathiebekundungen?
Durch subjektive Wertungen dieser Art werden immer wieder Politiker hochgelobt, die solcher Darstellung politisch nicht gerecht werden,.
Über Giffey's politisches Wirken, z.B. die Förderung der Gender-Ideologie in Kitas und Schulen (ihr skandalöses Vorwort in einem dementsprechenden Pamphlet der linksextremen Amadeus-Antonio-Stiftung) , schweigt hingegen "des Sängers Höflichkeit".
Frau "Dr." Giffey will auch den SPD-Vorsitz nicht??
• Heinrich Stamm (Seneca55)
• 15.08.2019 - 15:26
Schade, dann muß der Heiko Maas wohl doch mit der Berliner Staatssekretärin/Tweeterin Frau Sawsan Chebli statt mit der Berlinerin "Dr." Giffey den SPD-Vorsitz im Duo erobern.
- Hoffentlich hat sich aber durch diese Verzichtserklärung von Frau "Dr." Giffey auch die Chancen des SPD-Duo-Infernale:"Baucis Schwan&Philemon Stegner" auf den SPD-Vorsitz nennenswert verbessert, um vielleicht dann die Pflegevoraussetzungen der schnell-alternden Genossenschar im Bund/Länder noch in den Griff zu bekommen -
Glück auf, SPD! - Und Glück auf Frau "Dr." Giffey!
eingetragen von Sigmar Salzburg am 20.11.2018 um 09.39
20 Jahre Rechtschreibanarchie
Heike Schmoll
Die Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung ist gründlich misslungen. Es taugt nichts, dass die Orthographie hierzulande von drei Institutionen geregelt wird.
Von Anfang an war klar, dass der Versuch, die deutsche Rechtschreibung zu vereinfachen, schiefgehen würde. Denn sie ist viel besser als ihr Ruf. Selbst die Neuregelung des ß hat mehr Fehler hervorgerufen, als es vorher gab. Von einer Rücknahme der sinnentstellenden Regeln etwa bei der Groß- und Kleinschreibung ist man weit entfernt. Das liegt auch daran, dass die Orthographie in Deutschland von drei Institutionen geregelt wird.
Die Kultusminister, die vom Makel des Reformbeschlusses nicht mehr loskommen, möchten mit dem Thema Rechtschreibung nichts mehr zu tun haben. Dem Rechtschreibrat haben sie deshalb eine so weitgehende Vollmacht gegeben, dass er inhaltliche Änderungen nicht einmal mehr genehmigen lassen muss. Der Rechtschreibrat sollte die gefeuerte Rechtschreibkommission ersetzen. Am Ende der ersten Amtszeit hatte er noch beschlossen, das gesamte amtliche Regelwerk in allen Teilen zu überarbeiten, doch dazu kam es nicht. Seither befasst sich der Rat mit Details, die an den Grundproblemen der Reform nichts ändern. Zwanzig Jahre nach der Neuregelung ist gar nicht zu übersehen, dass die Rechtschreibmisere oder auch Rechtschreibanarchie, die sich inzwischen unter Schülern, Studenten und unter vielen Schreibenden ausgebreitet hat, auf das amtliche Regelwerk zurückzuführen ist. Die für den Herbst geplante Entscheidung über das wortzerteilende Gendersternchen misst dem Rechtschreibrat eine Bedeutung zu, die ihm nicht zukommt. Nähme er seinen Auftrag ernst, hätte er die Befassung mit dem Genderstern ablehnen müssen.
Der Duden als dritte orthographische Instanz hat schon während der Reform alles unternommen, um seine Autorität zu verspielen. Das sogenannte Duden-Privileg, das er seit 1955 genoss, war seit der Unterzeichnung der „Gemeinsamen Absichtserklärung der Neuregelung der Deutschen Rechtschreibung“ durch zehn europäische Länder 1996 dahin. Seither hat der Duden keinen einheitlichen Normbegriff mehr. In Maßen folgt der Rechtschreibduden noch einer Sprachnorm. Doch seit der Duden krampfhaft nach Alleinstellungsmerkmalen sucht und Broschüren wie „Richtig gendern“ herausgibt, biedert er sich nur noch den Sprachmoden an. An dieser Misere wird sich nichts ändern, solange es keinen vernünftigen Referenztext für die Regeln gibt. Das gegenwärtig geltende Regelwerk ist ein Unglück der Sprachgeschichte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung 1.8.2018
http://www.faz.net/aktuell/politik/die-neue-deutsche-rechtschreibung-ist-gescheitert-15717061.html
Dieser Artikel wurde hier von P. Schmachthagen zitiert, aber noch nicht bei uns eingetragen.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.10.2018 um 05.54
Der Hirnforscher Wolf Singer sagt in einem Interview mit der FAZ (13.10.2018):
Lesenlernen ist eine zusätzliche Herausforderung, weil die Umsetzung der Buchstabenfolgen in Silben, Worte und Sätze und die dann folgende Zuweisung von Bedeutungen zusätzlichen Aufwand erfordert. Wenn man liest, spricht man eigentlich stumm. Man formt die Worte, die man geschrieben sieht, in ein Lautbild und verarbeitet dieses dann, als wenn man etwas gehört beziehungsweise gesprochen hätte.Das dürfte nur für Schreibanfänger zutreffen. An mir selbst beobachte ich, daß ich Wörter und Satzteile ganzheitlich wahrnehme in einer Geschwindigkeit, die das Sprechen bei weitem übersteigt. Das kann Herr Singer mit seinen MRT-Blutdurchflußmessungen überhaupt nicht erfassen. Interessant ist auch eine politisch relevante Bemerkung:Wenn zwanzig Prozent einer Gruppe sich zusammentun und hinreichend kohärent agieren, kann das am Ende dazu führen, dass sie die ursprüngliche Mehrheit zum Kippen bringen. Zum Guten, wenn es etwa darum geht, den extremen Klimawandel zu verhindern, oder zum Schlechten, wenn sie rechten Populismus fördern.Diese natürlich „politisch korrekt“ auf die AfD zielende Bemerkung geht in die falsche Richtung. Die AfD wäre sicher zufrieden, wenn die demokratischen und demographischen Verhältnisse von 1965 wiederhergestellt wären. Wie man sieht, reichen heute schon sechs Prozent Moslems aus, um zusammen mit den Parteien der unseligen Multikultur-Ideologie Deutschland in ein islamisch-afrikanisches Überschwemmungsgebiet zu verwandeln.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.06.2018 um 09.44
Interview zur Rechtschreibung: [Auszug]
Beim Gendern geht es auch um Selbstdarstellung
Von Uwe Ebbinghaus
Mehr als 20 Jahre nach der Rechtschreibreform – Sie waren einer der Reformer – wird plötzlich an vielen Stellen der Eindruck vermittelt, die Rechtschreibung lasse immer mehr nach. Ist das auch ihr Eindruck?
Peter Gallmann: Ich glaube, das Problem besteht darin, dass wir im Alltag heute mit immer mehr geschriebener Sprache konfrontiert werden, zugleich werden die Leute durch vielerlei Tätigkeiten immer mehr abgelenkt, sodass die Gefahr, einen Text nicht bis zum Ende optimieren zu können, groß ist. Was das mit der Rechtschreibreform zu tun hat, ist mir aber nicht ganz klar. Ich glaube, da besteht kein Zusammenhang.
[Kommentar: Glaube macht selig. Bis 1996 war die sinnvoll differenzierte Groß- und Kleinschreibung allgemein anerkannt und konnte von Lernenden und Lesenden fast mit der Muttermilch aufgenommen werden. Heute hat z.B. die von Gallmann gegen die Radikalkleinschreiber durchgesetzte hypertrophe Großschreibung eine chaotische Hervorhebung des Unwichtigen bewirkt, so daß sinnvolle Regeln kaum noch erkennbar werden.]
Es gibt in der öffentlichen Debatte auch eine große Emotionalität, wenn es um das Pochen auf die Einhaltung von Rechtschreibregeln geht – sicher auch von vielen, die früher selbst Schwierigkeiten hatten.
Das ist ja in gewisser Weise auch richtig so. Aber das ist kein Spezifikum des deutschen Sprachraums. Schauen Sie mal in den angelsächsischen Sprachraum, wie sich dort über Rechtschreibfragen – wie its vs. it’s, to vs. too – ereifert wird, und dort hat sich die Rechtschreibung seit hundert Jahren nicht verändert. Dasselbe in Frankreich, wo man außer an einigen völlig tertiären Accents ebenfalls an der Rechtschreibung nichts geändert hat. Wie man sich dort echauffieren kann! Diese Fragen kommen also auf, unabhängig davon, ob man an der Rechtschreibung herumschraubt oder nicht.
[Nur die doofen Deutschen mit ihrer viel logischeren Orthographie mußten sich daran von Reformbesessenen „herumschrauben“ lassen!]
Was steckt dahinter?
Das ist eine psycholinguistische Frage, da kann ich nur Vermutungen anstellen. Der Zusammenhang von „Zu früh vermittelt, mental nicht richtig verarbeitet, nur eingedrillt“ erinnert mich manchmal an gewisse Varianten des Religionsunterrichts, in dem ewige Wahrheiten eingehämmert, aber nicht mental verarbeitet werden. Manche Menschen lösen sich auch als Erwachsene nicht davon. Sie haben immer noch das Gefühl, dass jemand von oben böse zuguckt, wenn man an einem Freitag Fleisch isst.
Bei der Diskussion um die Rechtschreibreform ging es viel auch um die Ablehnung einer befürchteten traditionsvergessenen Bevormundung. Thron ohne „H“ etwa wäre für viele ein Graus.
Ja, dieses Phänomen kannten wir aber vorher. Uns war klar, dass in Deutschland „Kaiser“, „Thron“ oder auch „Hoheit“, das auch keiner logischen Schreibung entspricht, nicht reformiert werden dürfen. Es gibt Hochwertwörter in unseren Sprachen, etwa im Bildungswortschatz wie „Philosophie“. Es gibt Tabubereiche.
Welche Tabubereiche gibt es noch im Deutschen?
Italienische Fremdwörter mit anlautendem „Gh“ sind interessant, wie „Ghetto“ oder „Ghirlande“, die im Deutschen heute nur mit einfachem „G“ geschrieben werden. Es gibt aber auch Wörter, bei denen diese Vereinfachung nicht klappen will. Diese Wörter gehören bestimmten Nischen an, unter anderem dem Bereich der Lebensmittel. Spaghetti nur mit „g“ hat zum Beispiel keine Chance. Dazu gibt es eine interessante Korpusuntersuchung, die ein kurioses Phänomen zeigt. Denn es gibt nicht nur Spaghetti zum Essen, sondern auch die „Spaghetti-Träger“. Jetzt raten Sie mal: Wie ist die Rechtschreibung hier?
Ohne „H“?
Ja genau, und zwar gar nicht so selten. Plötzlich geht die Schreibung in Ordnung, offenbar, weil man diese Spaghetti nicht isst. Aus irgendeinem Grund will jeder beweisen, dass er sich mit fremden Lebensmitteln auskennt, und wenn er sich auskennt, weiß er selbstverständlich auch, wie man sie schreibt. Das kann man den Leuten nicht nehmen, eine Änderung hätte keine Chance.
Was heißt „keine Chance“? Wie kommt man zu dieser Einschätzung?
Zuerst muss man entsprechende Korpora, Textsammlungen, untersuchen, ob man in ihnen schon spontane Andersschreibungen findet. Dann muss man auch ein bisschen rumfragen. Die Rechtschreibkommission arbeitet eng mit dem Institut für Deutsche Sprache in Mannheim zusammen, das über eine der größten Sammlungen von Textkorpora weltweit verfügt. Da kann man in strittigen grammatischen, orthographischen, syntaktischen Fragen umfangreiche Korpusuntersuchungen anstellen. So findet man heraus, was gerade der Fall ist. Man darf aber nicht nur auf zum Beispiel Pressetexte schauen, denn hinter denen stehen berufene Redakteure und ein Korrektorat, die Texte so optimieren, wie sie schon immer waren. Man muss also auch Texte untersuchen, bei denen die Leute etwas mehr als üblich frisch von der Leber weg geschrieben haben. Das heißt aber noch lange nicht, dass man deren Schreibung gleich übernimmt. Man weiß erst einmal nur, was der Fall ist.
[Jetzt kommt’s raus: Die „Reformer“ haben da gesucht und geändert, wo sie eine „Chance“ gesehen haben, den Fuß in die Tür zu kriegen oder das Einbruchswerkzeug am Fenster anzusetzen – von der singulären Bequemlichkeitsschreibung „Fotograf“ anstelle von „Photograph“ gewaltsam zu „Geograf“, „Pornograf“ und (nicht ganz durchgesetzt) „Foton“. Letzteres hinkt, weil Englisch inzwischen die Wissenschaftssprache ist und man dort das „ph“ liebt; „fat“ wird sogar zum gleichklingenden „phat“ im Jugendjargon. Die Dass-Schreibung dagegen ist ohne „Korpusuntersuchungen“ diktatorisch festgelegt worden, wie Stefan Stirnemann mit seinem Einbrecherbild treffend beschrieben hat.]
Wie geht es mit dem Gender-Stern weiter, über dessen Verwendung der Rat für Rechtschreibung kürzlich zum ersten Mal gesprochen hat?
Zunächst ist zu klären, wofür der Rat überhaupt zuständig ist: nur für die Rechtschreibung. Ob überhaupt „gegendert“ werden soll und gegebenenfalls nach welchen Kriterien, ist eine grammatische und zugleich eine gesellschaftspolitische Frage, aber noch keine der Rechtschreibung. Entsprechend sollte sich der Rat bei diesen grundsätzlichen Fragen auch nicht einmischen. Wenn hingegen eine Entscheidung zugunsten einer bestimmten Formulierungsweise gefallen ist, dann kann der Rat bei der orthographischen Umsetzung mithelfen. Zu solchen Entscheidungen ist es aber bisher noch nicht gekommen.
Welche Kriterien werden hier angelegt? So ist es ja ein großer Unterschied, ob man auf einen Gender-Stern in einem behördlichen Schreiben oder in einem Zeitungsartikel stößt, für den der Lesefluss von besonderer Bedeutung ist.
Ich vermute, dass sich strikte Versionen des „Genderns“ nur in ganz bestimmten Bereichen verbreiten werden. [...] Dabei geht es nicht nur um sachliche Eindeutigkeit, sondern auch um die Selbstdarstellung der Schreibenden und ihren Bezug zu den Lesenden.
[...]
Peter Gallmann
war Mitglied der inzwischen aufgelösten Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung. Heute ist er für die Schweiz Mitglied im Nachfolgegremium Rat für deutsche Rechtschreibung . Er war zuletzt Inhaber des Lehrstuhls für Deutsche Sprache der Gegenwart (Grammatik) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, seit einigen Monaten ist er dort Seniorprofessor.
faz.net 15.6.2018
eingetragen von Sigmar Salzburg am 24.01.2018 um 23.31
Wider die Verächter des Schönschreibens
Von Tilman Allert
Aktualisiert am 23.01.2018-12:47
Die anstrengende Übung, mit fünf Fingern „Ich“ zu sagen: Heute werden Schüler angehalten, nur noch auf der Tastatur zu schreiben. Was für ein Fehler! Ein Plädoyer zum Internationalen Tag der Handschrift.
In jüngster Zeit melden sich wissenschaftliche Stimmen, die den Schulen empfehlen, auf das Einüben der Handschrift als unzeitgemäß zu verzichten. Die Finger sollten vielmehr frühzeitig auf das Handhaben von Tastaturen trainiert werden. In den Lehrplänen der Grundschulen ist seit Längerem schon das Üben des Schreibens zwar vorgesehen, benotet wird es hingegen nicht mehr. Die Frage nach einer verbindlichen Grundschrift oder einem Standard, der früher Schulausgangsschrift genannt wurde, ist strittig und Ländersache.
Der heutige Internationale Tag der Handschrift bietet also Anlass zum Nachdenken. So wie Kinder Märchen brauchen, so wie sie im Mythischen ein frühes Zuhause finden, so reifen sie im Ausprobieren ihres sensomotorischen Vermögens, gewinnt ihr Selbstwertgefühl im Umgang mit dem Stift, mit dem sie die ersten Linien ziehen. Beim Schreiben lernen sie, Verbindungen zu erzeugen und im Überwinden fragmentierter Wahrnehmung der Sensation eines eigenen Signums nachzuspüren. Die Bildung der Handschrift ist ein Juwel aus den frühen Zeiten einer entstehenden personalen Identität, Zeichen einer großen Ernsthaftigkeit, einer wachsenden Zuversicht in ein elementares Vermögen auf dem Weg zu dem, was die Erwachsenen schon können.
Weiterlesen: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/plaedoyer-zum-tag-der-handschrift-15411749.html
Eine Leserzuschrift dazu:
Mein jüngster Sohn hat gestern eine seiner Abitur-Klausuren geschrieben. Ich hatte ihm schon vor Jahren eingeimpft, wenn es geht, mit einem guten Füllhalter in Laufschrift und nicht in Blockschrift zu schreiben und das Schreiben auch immer wieder zu üben, so daß es einem irgendwann wie von selbst von der Hand geht. Gestern abend war er mir dankbar und erzählte, daß einige seiner Mitschüler schier verzweifelten, weil ihnen bei der fünfstündigen Klausur mehrfach die Hände vom Schreiben in Blockschrift verkrampften. Er hatte damit keine Probleme. Nun schreibt man nicht jeden Monat eine fünfstündige Klausur, aber in einer gepflegten Handschrift verfaßte persönliche Notizen, Briefe, Kondolenzschreiben oder Glückwunschkarten kommen immer viel besser an als auf dem Computer ausgedruckte. Deswegen finde ich es entsetzlich, wenn ich heute Notizen von Akademikern zu lesen bekommen, deren Handschrift mich an mein zweites Schuljahr erinnert und keinerlei persönliche Entwicklung erkennen läßt.
[Diesen Text erhielt ich von Herrn P. Petersen zugesandt.]
eingetragen von Sigmar Salzburg am 17.11.2017 um 22.28
Merkel – ein Rückblick
Wolfgang Streeck
Die Ära Merkel geht zu Ende. Zum Glück, denn sie steht für den sinnentleerten Machterhalt einer Monarchin. Ein Gastbeitrag.
Die Ära Merkel geht zu Ende, und das ist auch gut so. Allmählich erwachen die deutsche Politik und ihre Öffentlichkeit aus ihrer postdemokratischen Narkose. Merkels basale Herrschaftstechnik bestand bekanntlich darin, statt Wähler für eigene Ziele zu mobilisieren, den Wählern anderer Parteien die Gründe zu nehmen, zur Wahl zu gehen – durch so unauffällig wie möglich gehaltene Bekenntnisse zum eigenen Programm bei angedeutetem Verständnis für die Programme der Konkurrenz...
[...]
„Mitte statt rechts“ opferte das Strauß’sche Erbe, indem es die Repräsentation des rechten Randes der Wählerschaft einer neuen, mit der Union konkurrierenden Partei überließ – in Gestalt der AfD, ursprünglich eine elitär-bürgerliche neoliberale Kleinpartei, deren Marsch in den „Rechtspopulismus“ dadurch beschleunigt wurde. Für Ausgleich sollte eine umfassende Mobilisierung von Politik und Gesellschaft zur Ausschließung der populistisch gewendeten AfD aus dem demokratischen Verfassungsspektrum sorgen, unter Anrufung der antinationalsozialistischen Staatsraison des Landes.
So konnte die AfD als Vogelscheuche zum Zweck der politischen Disziplinierung einer neuen, 90-prozentigen gesellschaftlichen Großmitte dienen – indem kritische Themen wie die Zukunft der Nationalstaaten in der Europäischen Union, der Aus- und Umbau der Währungsunion und die ungeregelte Einwanderung als Lehrstück über die Grenzenlosigkeit der Marktgesellschaft zu AfD-Themen erklärt wurden, über die man nicht sprechen durfte, wollte man dem „rechten Populismus“ nicht „Vorschub leisten“.
[...]
Im weiteren Umkreis des offiziellen Antifaschismus begannen Presse, Rundfunk und Fernsehen, Schulen, Volkshochschulen und Universitäten, Jugendverbände, Kulturschaffende und Kleriker aller Art eine landesweite Immunisierungskampagne gegen die AfD. In Köln forderten Oberbürgermeisterin und Kardinal zusammen mit Karnevalsvereinen und Rockgruppen dazu auf, sich durch eine Demonstration gegen die Abhaltung eines Parteitags der AfD in einem Kölner Hotel „für Toleranz“ einzusetzen – beide Kirchen unter dem für ihre historischen Verhältnisse durchaus riskanten Slogan „Unser Kreuz hat keine Haken“.
Auch an den deutschen Grenzen machte der Antifaschismus der breiten Mitte, „proeuropäisch“ wie er sich verstand, nicht halt. Bei Wahlen und Abstimmungen im Ausland wusste die deutsche Öffentlichkeitsmaschine genau, wie diese auszugehen hatten, und tat dies unmissverständlich kund. Ab November 2016 konnte dann Donald Trump als Erzfeind aller Menschen guten Willens als Begründung herhalten, warum in Österreich der Kandidat der Grünen unbedingt Bundespräsident werden musste. Für Frankreich feierte der SPD-Vorsitzende, zusammen mit dem Philosophen Jürgen Habermas, unter dem Eindruck der antieuropäischen Gefahr den Banker Macron als legitimen Sohn der deutschen Sozialdemokratie und langersehnten Überwinder der unseligen französischen Spaltung zwischen links und rechts.
[...]
Wolfgang Streeck, Jahrgang 1946, ist Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln...
plus.faz.net 16.11.2017
Streeck scheut auch keine Kritik an der Kritiklosigkeit der FAZ gegenüber der Kanzlerin selbst und zitiert: „Die ganze Meckerei wirkt hilflos, lächerlich und misogyn – denn auf die Kanzlerin kommt es an“ (F.A.Z. vom 16. September 2016)
Daß nun überhaupt Verhandlungen über ein Jamaika-Format möglich sind, verdanken wir dem unverantwortlichen Nazi-Geschrei der Altparteien. Das hat viele Wähler dazu verleitet, die nichtsnutzige FDP zu exhumieren, deren Chef nun schon seine Wahlversprechen zurücknimmt. Sonst hätte die AfD doppelt so viele Stimmen bekommen.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 08.07.2017 um 04.07
... Salonbolschewist und spätpubertierendes Millionärssöhnchen mit Walserschen Genen, „twittert“ auf einen „Tweet“ der Bundesregierung („Friedliches Demonstrieren, ja! Für Gewalt gibt es keine Rechtfertigung!“):
Jakob Augstein @Augstein · 7. Juli 2017 · [< lesenswerte Kommentare!]Dabei dachte man doch, die meisten Teilnehmer seien demokratisch gewählte Staatslenker. Trifft das z.B. auf Merkel nun nicht mehr zu? Selbst der seit längerem dem Genossen Linker Trend nachkriechenden FAZ wird das zuviel:
Widerspruch! Der Gipfel selbst tut der Stadt Gewalt an! Mündige Bürger werden zur Kulisse von Despoten gemacht.Da brennt es in Hamburg längst lichterloh und werden Unbeteiligte von vermummten Chaoten niedergeprügelt. Mit dem Firnis der Zivilisation macht der „Schwarze Block“ nicht lange Federlesen. Der Biedermann namens Jakob Augstein, von dem hier die Rede ist, gibt derweil auf Twitter weiter Feuer. Soll man das anders als Aufruf zu Gewalt und geistige Brandstiftung nennen?
faz.net 7.7.2017
eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.06.2017 um 19.17
Lieber Peter, vielen Dank für Deinen freundlichen Zuspruch. So etwas erfahre ich selten – zuletzt im letzten Jahr von unerwarteter Seite. Am Abend des 27. September 1998, nachdem wir den Volksentscheid in Schleswig-Holstein gewonnen hatten, glaubte ich noch an die Demokratie in Deutschland und daß ich mich nie wieder mit der Rechtschreib„reform“ befassen müßte. Tausend bessere und interessantere Dinge hatte ich mir für meine letzte Lebenszeit vorgenommen. Wer hätte damals gedacht, daß Politik und Medienmafia zwanzig Jahre später das Volk soweit verblödet haben könnten, daß es sogar seiner eigenen Abschaffung teilnahmslos bis freudig entgegensieht.
eingetragen von Peter Lüber am 21.06.2017 um 01.19
Seit vielen Jahren lese ich Sigmar Salzburgs Zeilen in diesem Forum mit großem Gewinn. Daß ich ihn für mindestens zehnmal klüger halte als mich selbst, dürfte zu einem Teil an meiner geringen Schulbildung liegen, dessen auffallendste Auswirkung war, daß ich die deutsche Sprache eher schlecht als recht erlernte; zum andern Teil daran, daß ich ein sprachlich Unbegabter bin.
Mir ist heute vollkommen klar, daß die Reform der deutschen Schrift eine politische Volksverblödungsmaßnahme war. Und beim Politischen sollten wir in diesem Forum bleiben!
Wenn Sigmar Salzburg die Führer der AfD politisch verteidigt, dann entgegne ich ihm als Schweizer und Befürworter sowohl der direkten Demokratie als auch der Neutralität, daß auch ich das Programm der AfD befürworte: Denn in ihm steht geschrieben: „Als freie Bürger treten wir ein für direkte Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, soziale Marktwirtschaft, Subsidiarität, Föderalismus, Familie und die gelebte Tradition der deutschen Kultur.“
Ich erlaube mir nun selbst zwei Anmerkungen kundzutun, die mit den oben zitierten Zeilen sinngemäß eng zusammenhängen.
- Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt sagte einst: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ – Weiter im Text … Und
- Einer der Besten, die in diesem Forum wider die Rechtschreibreform schrieb, teilte ich per E-Mail scherzweise mit, ich sei ein Sozialist. Hierauf verstummte sie für immer.
Nun gut: Mein Humor ist nicht jedermanns Sache! – Deshalb schlage ich zur Ablenkung und Auflockerung der politischen Gesinnung das Hören der folgenden Tonfolge an: Klick!
Gruß von Peter Lüber
eingetragen von Sigmar Salzburg am 20.06.2017 um 06.44
Die FAZ war einmal eine konservative Zeitung, hinter der „immer ein kluger Kopf“ steckte. Seit dem Ausstieg aus der bewährten Rechtschreibung 2007 mehren sich die Zeichen, daß das Blatt auch den zerstörerischen Kurs des Merkel-Regimes unterstützt und an der perfiden Kampagne gegen die einzige Opposition mitwirkt. Schon im erstmalig nach zehn Jahren gekauften Exemplar vom 10. Juni fiel mir auf, daß die FAZ das Thema „Höcke und die NPD“ künstlich am Laufen hält. Jetzt übertrifft die FAZ noch die Denunziation des linksextremen „Soziologen“ Kemper „Wieviel NPD höckt in der AfD?“ mit dem fünfseitigen Artikel eines prominenten Geschwätzwissenschaftlers aus der Sparte Politik:
Wie_viel NSDAP steckt in der AfD?Der eifrige Prof. aus Mainz hätte auch die Piraten-Partei hernehmen können: „Unser Aufstieg verläuft so rasant wie bei der NSDAP“ (Pirat Delius), aber die AfD ist mit ihren echten Alternativen eben die größere Gefahr für den alternativlosen Hosenanzug. Deswegen rückt der seltsame Falter fünf Seiten lang – mit scheinheiliger Distanzierung – die AfD an die Seite der NSDAP:
19.06.2017, von Jürgen W. FalterObwohl die AfD sicherlich nicht mit den Nationalsozialisten gleichgesetzt werden kann und sie zumindest anfänglich eine demokratisch orientierte, fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Partei war, können Vergleiche der Wählerschaft beider Parteien doch unter verschiedenen Gesichtspunkten erkenntnisfördernd sein.Statt die scheinbar blauäugigen Zusammenrückungen aufwendig zu diskutieren, erlaube ich mir, nur einige kritische Lesermeinungen gekürzt anzuführen:Richtig Herr Falter. Auch ich stelle fest, dass bei uns in der AfDNein, ich werde mir die FAZ auch künftig nicht mehr kaufen.
Lotte Herzog - 19.06.2017 18:43
...die Überläufer aus der CDU, aber auch aus anderen Parteien, alle vorbelastet sind u.U. gar NAZIs sind. Da die Partei nur "zumindest anfänglich eine demokratisch orientierte, fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Partei war" (Zitatende) wie Sie schreiben, muß dringend der Verfassungsschutz eingreifen. Offenbar habe Sie gute Beweise für das Gegenteil.
Unsägliche NS-Vergleiche!
Albrecht Hager - 19.06.2017 18:14
NS-Vergleiche sind in aller Regel problematisch. Es ist zwar richtig, dass vergleichen nicht gleichsetzen bedeutet. Dennoch ist es höchst problematisch eine völlig demokratische und verfassungskonforme Partei wie die AfD (Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz) mit einer Partei zu vergleichen, die für schlimmste Verbrechen verantwortlich ist... Warum kommt dieser unsägliche Vergleich direkt vor der Bundestagswahl? ...
Sie haben völlig Recht
Heinrich Ludger Keizer - 19.06.2017 18:35
... Wenn man die Nazi-Keule schwingt, muß man sich nicht mit Fakten auseinander_ setzen.
Geschmäckle
Hans-Martin Fischer 1 - 19.06.2017 18:02
Egal wie man zur AfD steht. Dieser Artikel zu diesem Zeitpunkt hat ein Geschmäckle. Wie angesprochen könnte man auch fragen, wie_viel Stalin in der Linken steckt... Diese Art der Auseinandersetzung ist niveaulos, egal wen sie trifft...
Gewalt gegen die AfD: Nur ein Kavaliersdelikt der "Zivilgesellschaft"
Tom Weber - 19.06.2017 17:25
Sieben Seiten um am Ende zu sagen: "Na ja, ähnlich sind sich die Wähler aber schon". Das glaubt kein Mensch mehr, einfach nur lächerlich, Man zähle nur einmal die massiven gewalttätigen Angriffe auf die AfD und halte dann jene entgegen, die von der Partei ausgehen. Das reicht, um klarzumachen, woher der extremistische und antidemokratischen Wind weht...
Wie_viel .......
Gerhard Zachmann - 19.06.2017 17:04
Wie_viel "Der Stürmer" steckt in der FAZ? Auch das könnte man mal titeln. Was dann das Ergebnis des Artikels ist, wäre egal; Hauptsache, man hat die Namen der beiden Zeitungen schon mal in einen Zusammenhang gebracht. Genau so verhält sich die FAZ hinsichtlich der AfD. Übelster Kampagnenjournalismus.
faz.net 19.6.2017
Nachtrag: Siehe auch Nicolaus Fest.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 08.04.2017 um 08.43
Sieg der Eltern
Bayern korrigiert seinen politischen Fehler der jüngsten Bildungsgeschichte. Ob das Gymnasium wieder zur Schulform wird, die auf das Studium vorbereitet, ist aber ungewiss.
06.04.2017, von Heike Schmoll
Mit der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium hat auch Bayern nach Jahren des Streits und der Proteste einen der folgenreichsten politischen Irrtümer der jüngsten Bildungsgeschichte korrigiert. Und die CSU-Regierung hat sogar doppelt gelernt, was in der Politik Seltenheitswert haben dürfte: So überstürzt wie bei der Einführung des achtjährigen Gymnasiums vor 13 Jahren soll es bei der Rückkehr nicht zugehen. Anderthalb Jahre Vorbereitungszeit sind vorgesehen, um eine Gesamtreform des Gymnasiums auf den Weg zu bringen, die von Dauer sein soll.
Ob das Gymnasium dabei wieder zu einer Schulform wird, die ihren Anspruch einlösen kann, nicht nur erweiterte Allgemeinbildung, sondern auch Studierfähigkeit von Anfang an so anzustreben, dass Hochschulreife nicht nur attestiert, sondern auch tatsächlich erreicht wird, bleibt abzuwarten. Wenn es gelänge, das weithin kaum noch von anderen weiterführenden Schularten unterscheidbare Gymnasium kognitiv anspruchsvoller zu gestalten und damit ein Leistungsniveau zu erfüllen, das die meisten Gymnasiasten ausweislich der jüngsten Bildungsstudien verfehlen, wäre die Reform sinnvoll genutzt. Denn keinem Abiturienten ist damit gedient, dass er an der Universität seine Studierunfähigkeit erleben und im schlimmsten Fall das begonnene Studium abbrechen muss, weil es an Grundlagen fehlt und das Abitur nicht hält, was es verspricht.
Bayern wird seine Lehrpläne aus dem Jahr 2014, die sich auf „Grundwissen“ und Kompetenzrhetorik beschränken, erheblich überarbeiten müssen. Dafür bleibt nicht allzu viel Zeit. Immerhin hat das Land begriffen, dass eine Änderung der Gymnasialdauer nicht nur schulorganisatorische, sondern inhaltliche Folgen hat. Das gesamte Reformpaket, an dem auch andere Schularten teilhaben, lässt sich das Land bis zum Jahr 2025 insgesamt 870 Millionen Euro kosten. Nach Niedersachsen ist der Freistaat das zweite Bundesland, das die neunjährige Schulzeit wieder zur Regel macht.
Alle anderen Länder haben Wahlmodelle oder bleiben beim G8 in der Fläche mit wenigen G9-Modellschulen. Die Rückkehr zur neunjährigen Gymnasialzeit hat die Macht der Eltern über eine zu selbstsichere Politik gezeigt. Bayerns Beispiel wird den G9-Initiativen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein sowie im Saarland und in anderen Ländern erheblichen Schwung verleihen.
faz.net 6.4.2017 - Übernommen vom SHEV
Leider waren die bayerischen Kultusminister seit Hans Zehetmair nicht willens oder fähig, den mindestens ebenso folgenreichen Irrtum „Rechtschreibreform“ zu verhindern oder ausreichend zu korrigieren – selbst nach dem Volksentscheid in Schleswig-Holstein nicht. Der Geßlerhut der „neuen“ ss und der Augstschen Albernheiten wird immer einen Keil zwischen die kiezdeutsch-angloaffine Zukunftssprache und das vertraute Deutsch der Klassik schieben.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.04.2016 um 15.45
Vom Regen in die Traufe
Das Scheitern einer neuen Rechtschreibreform in Frankreich spart Kosten ein, während sich Amazon ins Unterrichtsministerium einkauft. Aber wer bezahlt am Ende?
21.04.2016, von Jürg Altwegg
[Bild] Mit der Rechtschreibereform hatte sie ihr angeschlagenes Image verbessern wollen: Frankreichs Unterrichtsministerin Najat Vallaud-Belkacem.
Es wird in Frankreich keine linke Rechtschreibung geben. Wochenlang war über deren brüske Einführung durch Najat Vallaud-Belkacem gestritten worden. Die Unterrichtsministerin berief sich dabei auf die Vorschläge der Académie Française aus dem Jahre 1994. Zuvor hatte sie mit ihrer Auslösung der als „elitär“ bekämpften zweisprachigen Klassen eine Welle des Protests ausgelöst. Auch aus Deutschland gab es Druck für ihre Beibehaltung.
Er blieb nicht wirkungslos: An den meisten Orten werden die „classes bilangues“ weitergeführt, sogar in den Vorstädten hatten sie sich bewährt. Mit ihrer Rechtschreibereform wollte die Ministerin ihr angeschlagenes Image verbessern und geriet vom Regen in die Traufe. Dass auch diese Reform offensichtlich klang- und sanglos beerdigt wird, erwähnte Hélène Carrère d’Encausse, Sekretärin der Académie Française, in einem Interview mit dem Westschweizer Fernsehen. „Der Sturm hat seine Wirkung nicht verfehlt“, erklärte Carrère d’Encausse, die ihn zusammen mit Mitgliedern der Akademie und prominenten Intellektuellen – von Alain Finkielkraut bis Régis Debray – ausgelöst hatte.
300 Millionen Euro in den nächsten zwei Jahren
Ihrer Kenntnis nach würden die Schulbuchverleger auf den Kleber „Neue Rechtschreibung“ verzichten, und in der Folge werde auch dieser Versuch einer Reform dem Vergessen anheimfallen: „Wie jene von 1905 und 1994.“ Aber natürlich werde das alles „einen künftigen Minister in zwanzig Jahren nicht davon abhalten, mit einer neuen neuen Rechtschreibung zu kommen“. Aus dem Ministerium gibt es noch keine Stellungnahme. Es hat gerade mit Amazon, dem Schreckgespenst der französischen Verlage und Buchhändler, einen Vertrag geschlossen, den der „Canard enchaîné“ enthüllte: Amazon wird in die Ausbildung der Lehrer einbezogen.
Diese sollen lernen, wie sie ihre Manuskripte und Programme für das Internet aufbereiten können. [...] Die Reformen der Schulprogramme, an denen festgehalten wird, bescheren den Verlegern in den nächsten zwei Jahren ein Geschäft in der Höhe von 300 Millionen. Durch den Verzicht auf eine neue Rechtschreibung wird diese Rechnung zusätzlich beschönigt: Er erspart ihnen hohe Unkosten.
faz.net 21.4.2016
Leserkommentar:
Gerhard Blüge 2 (Trsitan) - 21.04.2016 14:24
Es zu begrüssen das die Franzosen diesem Blödsinn
... ein Ende setzen. Sie sollten sich jetzt auch noch von dieser linken feme fatal trennen, dem Land, der Kultur und der französischen Sprache könnte es nur gut tun !
[Der Ministerin fehlte eben etwas wie die hiesigen Heyse-ss, die jedem Text das Unterwerfungssignal aufdrücken – von den Verfassungsrichtern bewußt unterschätzt. Der Imageschaden kratzt keinen Kultusminister mehr, da nun die Abschaffung des Deutschen selbst ansteht. Man schielt schon aufs künftige Volk.]
eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.12.2015 um 15.16
Die FAZ war einmal die Zeitung, hinter der „immer ein kluger Kopf“ steckte. Ihr Kampf für die deutsche Kulturrechtschreibung war bewundernswert und ihr Kotau vor dem Geiselnehmerkartell der Kultusminister und Medien betrüblich, aber irgendwie noch verständlich. Jetzt scheint jedoch die Existenzangst der FAZ so groß geworden zu sein, daß sie ihre Objektivität vollends preisgibt, um nicht außerhalb der Merkelschen Willkommens-Kulturrevolution als „schädliches Element“ dazustehen oder gar selbst noch den Kopf zu verlieren. Volker Zastrow hat geschrieben:
AfD Die neue völkische BewegungAnscheinend hat Herr Zastrow in demonstrativem Unterwerfungseifer die AfD mit den Bürgerkriegern der Hamburger Hafenstraße/ Roten Flora vom 21.12.2013 oder gegen die EZB in Frankfurt vom 18. März 2015 verwechselt. Deren gewalthungrige Basis hat vorgestern sogar in edlem Revoluzzer-Wettstreit die anschlagsfreudigste Gruppe preisgekrönt:
Rund um Pegida und AfD hat sich der Nukleus einer Bürgerkriegspartei gebildet. Ihre Gier nach Gewalt ist mit Händen zu greifen.
Die selbsterklärte „Herbstoffensive“ der AfD: Das waren im wesentlichen Demonstrationen, auf denen die Anhängerschaft dieser Partei Wut, Hass und einen nicht mehr zu übersehenden Hunger nach Gewalt zeigte...
Autor: Volker Zastrow, Verantwortlicher Redakteur für Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
faz.net 29.11.2015
(Text n. linksunten.indymedia.org, redaktionell komprimiert):Randalemeister 2015Aus der Arbeit der siegreichen Leipziger „Aktivisten“-Gruppe:
Verfasst von: Komitee der 1.Liga für Autonome. Verfasst am: 02.12.2015
And the winner is… Leipzig! Das Komitee der 1.Liga für Autonome gratuliert den GenossInnen zum diesjährigen Titel: „Randalemeister 2015“. ... In der weiteren Auswahl dabei waren: Frankfurt, Bremen, Hamburg und Berlin...1.1. „Spontandemo lässt Partystimmung am Connewitzer Kreuz kippen“Siehe auch: achgut.com 3.12.2015
7.1. Angriff auf Polizeiposten in Connewitz in Erinnerung an Oury Jalloh
15.1. Scherbendemo mit 800 Menschen durch die Leipziger Innenstadt. Alleine beim Leipziger Amtsgericht gingen 40 Scheiben zu Bruch.
20.1. Angriff auf die GRK Holding GmbH. 4 Autos gehen in Flammen auf
21.+ 30.1. Brände an Bahnanlagen gegen Legida-Aufmärsche
28.1. Angriff auf Polizeistation in Plagwitz
2.3. Neonazi Alexander Kurth kassiert an einem Tag zwei Mal und verliert sein Handy.
9.3. Angriff auf Kik-Filiale
13.3. Angriff auf Deutsche Bank
26.3. Besuch der Leipziger Staatsanwaltschaft in Solidarität für den inhaftierten Genossen Fede
11.4. Burschenschafter in Connewitz verprügelt
20.4. Militanter Angriff auf Legida-Aufmarsch
24.4. Ausländerbehörde entglast
5.6., dgl. Militante Demonstration in der Innenstadt. Cops und das Bundesverwaltungsgericht werden angegriffen.
15.6. Legida sabotiert –
6.7. Lutz Bachmann nass gemacht
16.7. Der Leipziger Oberbürgermeister meint: die „linksextremistischen Randalierer“ stehen nahe am „terroristischen Untergrund“
29.7. Zerstörung von Fahrkartenautomaten im Stadtgebiet
3.8. Weitere Fahrkartenautomaten zerstört
6.8. Angriff auf Frauke Petry`s Firma
6.8. Angriff auf Polizeiposten in der Eisenbahnstraße. Ein Polizeiauto geht in Flammen auf
9.8. Nazis in Connewitz angegriffen
14.8. Angriff auf das Amtsgericht mit Farbe –
16.8. Fahrkartenautomaten zerstört
24.8. 500 Menschen verhindern die Verlegung der Refugees in Connewitz nach Heidenau
31.8. Angriff auf Nazis
21.9. Auseinandersetzung mit Nazis bei Legida
26.9., dgl. Angriffe auf Cops und Nazis beim ersten „Offensive für Deutschland“(OfD)-Aufmarsch
26.9. Nazikarre flambiert
7.10. Angriff auf AfD-Büro
8.10. Angriff auf Verkaufsstelle für Nazi-Veranstaltung
12.10. Angriff auf Legida-Bühne
17.10. OfD-Demo in Grünau – Feuer an Bahnanlagen & Angriffe auf Cops
24.10. Steinwürfe und Blockaden gegen „Offensive für Deutschland“ (OfD) –
7.11. AfD-Stand zerstört
10.11. Angriff auf Landesdirektion
14.11. Nazis angegriffen –
Quelle (bearbeitet) linksunten.indymedia.org 2.12.2015
Übrigens: „Wer Nazi ist, bestimmen wir!“ – frei nach Göring.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 13.08.2015 um 22.11
Milliardenschaden durch Rechtschreibreform
Für den hervorragenden Leitartikel zum „Chaos im Schreiben und Denken“ in der F.A.Z. vom 1. August sei Heike Schmoll herzlich gedankt. Nur eines möchte ich als Initiator der (in dieser Zeitung am 19. Oktober 1996 veröffentlichten) „Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform“ noch hinzufügen: Was die damaligen Befürworter gern als „Streit um die Rechtschreibreform“ oder (so Hans Zehetmair in einem Interview mit einer Wochenzeitung) als „wirklich gespenstisch“ bezeichnen, war weder ein „Streit“ noch gespenstisch. Es war vielmehr ein ganz und gar demokratischer Widerstand der bedeutendsten Autorinnen und Autoren, namhafter Journalisten mehrerer Zeitungen, darunter der F.A.Z., zahlreicher Professoren (nicht weniger als 550 wandten sich im Mai 1998 an die Bundesverfassungsrichter) und von Hunderttausenden Bürgerinnen und Bürgern (bis hin zum erfolgreichen Volksentscheid in Schleswig-Holstein) gegen die von oben befohlenen nicht nur überflüssigen, sondern fehlerhaften und schädlichen Rechtschreibveränderungen.
Wirklich gespenstisch ist freilich Hans Zehetmairs Seitenhieb auf die Schriftsteller und Professoren: „Bemerkenswert, dass sich ausgerechnet namhafte Literaten gegen jedwede Änderung wandten.“ Ilse Aichinger, Dieter Borchmeyer, Hans Magnus Enzensberger, Wolfgang Frühwald, Günter Grass, Thomas Hürlimann, Theodor Ickler, Elfriede Jelinek, Joachim Kaiser, Michael Krüger, Reiner Kunze, Siegfried Lenz, Christian Meier, Adolf Muschg, Otfried Preußler, Rafik Schami, Botho Strauß, Martin Walser, Harald Weinrich und viele andere erkannten freilich, im Gegensatz zu Hans Zehetmair, nicht erst 2015, sondern schon 1996, warum die Rechtschreibreform, wie es in der „Frankfurter Erklärung“ hieß, „Millionen von Arbeitsstunden vergeuden, jahrzehntelange Verwirrung stiften, dem Ansehen der deutschen Sprache und Literatur im In- und Ausland Schaden und mehrere Milliarden D-Mark kosten würde“.
Wenn die Kultusminister zwar den Milliardenschaden nicht ausgleichen können, so könnten sie sich doch bei allen Schreibenden, unter anderen den Sekretärinnen, den Journalisten und allen Autorinnen und Autoren, vor allem den Kinder- und Jugendbuchautoren, deren Bücher verhunzt wurden, dafür entschuldigen, dass beziehungsweise daß wir seit fast 20 Jahren für das büßen müssen, was die Minister sich von den „Reformern“ haben aufschwatzen lassen und mit Unterstützung der Bundesverfassungsrichter der deutschen Schriftsprache aufgezwungen haben.
FRIEDRICH DENK, ZÜRICH
Zehetmair ist unschuldig!
Zum Artikel über die Rechtschreibreform (F.A.Z. vom 1. August): Zehetmair entschuldigt sich heute, Jahre nach der Einführung einer Rechtschreibreform in Schulen, für etwas, für das er gar nicht verantwortlich ist. Nicht er, sondern sein einflussreicher Pressesprecher Toni Schmid, der damals im bayerischen Kultusministerium von Mitarbeitern gern auch Bertelsmann-Schmid genannt wurde, hat jedoch per Pressemitteilung vorzeitig verlauten lassen und damit de facto entschieden, „dass Bayern sich der Rechtschreibreform anschließt“. Der düpierte Minister selbst erfuhr von dieser natürlich auch für die anderen Bundesländer weichenstellenden Entscheidung erst am nächsten Tag aus der Zeitung.
Der Minister selbst ließ es in einem „Spiegel“-Interview am 11. September 1995 verlautbaren: „Haben Sie Ihre Meinung gewechselt? Uns hat voriges Jahr überrascht, dass Sie als erster Minister den Reformvorschlag ohne jeden kritischen Unterton begrüßt haben, als er im November 1994 auf einer internationalen Konferenz in Wien verabschiedet wurde.“ Zehetmair: „Nun, da ist uns ein Malheur passiert. Mein Pressesprecher Toni Schmid hat mein volles Vertrauen und braucht mir nicht jede Presseerklärung vorzulegen. Das geht seit sieben Jahren gut, dieses eine Mal ging es schief. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als ich in der Zeitung las, ich sei mit der Reform rundum zufrieden.“ Dieses eine Mal betraf ja auch nur die erklärte Absicht von Bertelsmann, dass rechtlich umstrittene Duden-Monopol endlich zu knacken, es betraf ja auch nur die Rechtschreibreform, damit „nur“ die Aufhebung der Einheitlichkeit der deutschen Orthographie, den sukzessiven Neudruck aller Schulbücher (der Verband der Schulbuchverleger lässt grüßen), die Aufhebung des Duden-Monopol und so weiter. Wie gesagt, der Minister ist doch völlig unschuldig, er „wusste gar nicht, wie ihm geschah“.
MATTHIAS DRÄGER
INITIATOR DES VOLKSENTSCHEIDES ZUM STOPP DER RECHTSCHREIBREFORM IN SCHLESWIG-HOLSTEIN, LÜBECK
eingetragen von Sigmar Salzburg am 01.08.2015 um 12.32
Chaos im Schreiben und Denken
Zehn Jahre nach der offiziellen Einführung der Rechtschreibreform ist die Bilanz dieses obrigkeitlichen Gewaltaktes so ernüchternd wie eh und je. Sie hat ruinöse Folgen für Sprache und Denken.
01.08.2015, von Heike Schmoll
Zehn Jahre nach der offiziellen Einführung der Rechtschreibreform ist die Bilanz dieses obrigkeitlichen Gewaltaktes der Kultusbürokratie an der Sprache so ernüchternd wie eh und je. Die Rechtschreibreform hat nichts vereinfacht, die Fehler bei „dass“ und dem Relativpronomen „das“ haben sich vervielfacht und niemand wird behaupten können, das liege nur an den Rechtschreibprogrammen der Computer. Ganz im Gegenteil: Ausgerechnet die Kultusminister haben Schülern gegenüber mit langfristigem Erfolg den Eindruck vermittelt, Orthographie sei weniger wichtig, Zeichensetzung weitgehend dem eigenen Stilempfinden überlassen. Inzwischen werden sie die Geister, die sie riefen, nicht mehr los und müssen feststellen, dass Kinder am Ende der Grundschulzeit nicht einmal die kulturellen Standardtechniken beherrschen.
Der Schaden an der Sprache wiegt weit schwerer... Viele der feinen Unterschiede sind geradezu sprachlich und gedanklich planiert worden.
Die Verantwortung dafür tragen die Kultusminister, die vor zwanzig Jahren die Rechtschreibreform beschlossen haben, ohne deren Tragweite zu erkennen, was der frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair zugibt. Auch von der schweigenden Mehrheit seiner Kollegen, die allesamt nicht mehr im Amt sind, wird man annehmen können, dass ihnen die Rechtschreibreform bestenfalls gleichgültig war ...
Zehetmairs Eingeständnis, das ihn schon vor einigen Jahren zur tätigen Buße als Vorsitzender des Rechtschreibrats motiviert hatte, ändert leider nichts an der Gesamtbilanz einer überaus teuren und überflüssigen Reform. Zwar hat der Rechtschreibrat manchen sprachlichen Unsinn begradigt, aber zu einer Rücknahme der absurden Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung ist es nicht gekommen, von einer Reform der Reform kann jedenfalls nicht die Rede sein. Dazu waren die Beharrungskräfte der Reformer viel zu stark. Vor allem aber hatte der einzig kritische Sprachwissenschaftler Peter Eisenmann [Oh, oh, gemeint ist Eisenberg – aber es war doch Theodor Ickler!] im Rechtschreibrat sein Amt aus Protest niedergelegt.
Den heutigen Zustand wird man ohne Übertreibung als sichtbares Schreibchaos charakterisieren können. Das offenbart spätestens der Blick in Internetforen...
[Weiter bei faz.net 1.8.2015]
Während Zehetmair im Büßergewand auftritt, dabei aber seine eigene Schuld kleinredet, verzehren seine ehemaligen Kollegen still ihre unverdiente Pension. Nur Frau Schavan ist noch im Dienst, als Botschafterin in einem Staat von 700m Seitenlänge.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 22.07.2015 um 05.31
... der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers, ist hier schon bekannt geworden als Schilderer exotischer mitteleuropäischer „Manieren“ (Bestseller 2003). Erstaunt hat ihn dabei der lieblose Umgang der Deutschen mit ihrer Sprache, wie er in der Rechtschreib„reform“ erkennbar wurde. Als in München lebender Unternehmensberater für Afrika verdienen nun seine Einschätzungen der afrikanischen Invasion alle Aufmerksamkeit (FAZ):
Was die afrikanischen Flüchtlinge betrifft, fürchte ich, werden wir bald nicht mehr von Migration sprechen, sondern von Völkerwanderung...
Das größte Rätsel für mich ist dabei, warum die Europäer bisher fast ausschließlich versuchen, die Symptome des Problems zu behandeln. Sie fragen: Wie hoch kann man die Zäune noch machen? Wie abschreckend wollen wir sein? Oder: Wie können wir die Menschen, die zu uns kommen, am besten integrieren und wie viele? Es gilt aber, die Ursachen der unermesslichen Menschenflucht zu begreifen, um ihr angemessen zu begegnen...
Die größten Exporteure von Migranten auf dieser Welt sind afrikanische Gewaltherrscher und Diktatoren, die ihrem eigenen Volk keine Hoffnung lassen auf ein menschenwürdiges Leben. Das Verheerende ist dabei, dass ein Großteil dieser Regime auch noch von europäischen Steuergeldern alimentiert wird...
Die meisten der afrikanischen Flüchtlinge kommen nicht aus Bürgerkriegsländern. Die wenigsten sind direkt vom Hungertod bedroht... Einige afrikanische Staaten können heute ein beeindruckendes wirtschaftliches Wachstum vorweisen, aber die Lebensbedingungen der meisten Menschen haben sich nicht verbessert. Das ist der eigentliche Motor hinter den Flüchtlingsdramen.
Steht den Europäern die eigene koloniale Vergangenheit im Weg? Und hat Afrika andererseits ein postkoloniales Trauma, das Entwicklung verhindert?
Das Argument eines postkolonialen Traumas in Afrika kann ich nur sehr bedingt akzeptieren. ... Die Europäer könnten zu den heutigen Herrschern mit Recht sagen: „Ihr seid viel schlimmere Unterdrücker eures eigenen Volkes geworden, als wir das jemals gewesen sind.“ Und in der Tat: Afrikanische Diktatoren wie Mengistu Haile Mariam in Äthiopien, Mobuto Sese Seko in Zaire, Idi Amin in Uganda, Samuel Doe in Liberia oder auch der Völkermord an den Tutsi in Ruanda sind ein grauenerregender Beleg für diese These. Millionen von Menschenleben haben diese Regime auf dem Gewissen...
Welche Rolle spielen der Islam und der Islamismus?
Fortschreitender religiöser Fundamentalismus ist in der Tat die zweitgrößte Herausforderung, der wir in Afrika begegnen...
... Widerstreitende Ansichten werden in Afrika oft nur schwer ertragen. Afrikaner kennen nur die Begriffe „Freund“ und „Feind“. In den mehr als zweitausend afrikanischen Sprachen gibt es kaum ein Wort, das dem Begriff für einen „Gegner“ entspricht, dessen gegensätzliche Meinung man zwar nicht teilt, aber respektiert. Es ist meine große Hoffnung, dass wir endlich ein Äquivalent dafür finden...
faz.net 18.7.2015
NB: Kurz nach dem 1974er Putsch des Mengistu Haile Mariam hatte eine Besucherin unserer damaligen Kunstgalerie eigene Filmaufnahmen der gerade untergegangenen alten christlichen Kultur Äthiopiens vorgeführt. Beeindruckend war z.B. ein kirchliches Fest mit einer langen Reihe tanzender Mönche...
eingetragen von Sigmar Salzburg am 02.03.2015 um 07.44
Testen Sie Ihr [deformiertes] Sprachwissen im Diktat
Die diesjährige Ausgabe des Wettbewerbs „Frankfurt schreibt!“ ist mit einer Bestleistung zu Ende gegangen. Doch wie steht es um Ihre Rechtschreibung? Testen Sie Ihr Wissen mit unserem Diktat-Mitschnitt.
faz.net 27.02.2015
So ist es [reform]richtig: Das Diktat des Frankfurt-Finales
Herzlich willkommen auf der Flaniermeile! Wie so häufig samstagmorgens, zuweilen bereits eine Dreiviertelstunde vor neun, wenn die Buden mit allerart Tinnef beim Flohmarkt unter den kühlen Schatten spendenden Platanen am Schaumainkai öffnen, sieht man schon von ferne Heerscharen Neugieriger herbeiströmen.
Hier gibt es das Sowohl-als-auch - für diejenigen, die etwas Außergewöhnliches zum Betrachten favorisieren, wie auch für ebenjene, die Authentisch-Historisches wertzuschätzen wissen. Weder Nigelnagelneues noch längst Lädiertes wird einfach weggegeben, sondern alles größten Gewinn bringend feilgeboten. Nichtsdestoweniger gibt es ein paar sehr zeitraubende, aber hohe Kosten sparende Tipps, um den Preis herunterzuhandeln, ohne sich kaputtzumachen. Als Koryphäe kann man so wertvolle Amethysten für einen Pappenstiel einheimsen.
Mit Wortgewandtheit und einem Quäntchen Glück kann jeder Pfiffikus des Weiteren todschickes Mobiliar zu einem unwiderstehlichen Preis-Leistungs-Verhältnis ergattern. Aber selbst wer naseweis herumkrakeelt, erhält im Übrigen nichts unentgeltlich. Wer wider Erwarten leer ausgeht, besucht eine der renommierten Galerien nahe dem Sachsenhäuser Ufer. Der in den Achtzehnhundertsechzigern erbaute Eiserne Steg führt zum gegenüberliegenden Mainufer. Von den flussauf und -ab manövrierenden Touristenschiffen, des Abends mit Hilfe (oder: mithilfe) von Elektrolytkondensatoren mit der Kapazität von einem Farad erleuchtet, hat man einen Blick ohnegleichen. In Frankfurt ist die Atmosphäre alles außer gewöhnlich!
faz.net 1.3.2015
Der Wettbewerb, der ähnliche in den USA zu kopieren sucht, ist eine Werbe-Veranstaltung für den Duden und zugleich eine Unterwerfungsübung für die Bürger. Abgefragt werden vor allem auch die mit viel ss-Gift durchgesetzten Albernheiten der Rechtschreib„reform“, die die 32 obersten kulturpolitischen Dummbeutelinnen und Dummbeutel 1996 und 2006 in die deutsche Rechtschreibung gepreßt haben. Die Frechheit, das historisch richtige „Quentchen“ nicht einmal als Variante zuzulassen, sucht ihresgleichen. Bei „mithilfe“ ging es doch auch. Ansonsten erkennt man das Bemühen, Fallen zu stellen – sogar indem man die Erinnerung an die wieder zurückgenommene Urreform „Zeit raubend“ auszunutzen sucht. Die bombastischen Großschreibungen „des Weiteren“ wirken „im Übrigen“ immer noch störend. Daß der „Eiserne Steg“ ein Eigenname sein soll, kann nur der eingeweihte Einheimische wissen. „Amethysten“ als Plural sind unbeholfen und gänzlich unüblich!
eingetragen von Sigmar Salzburg am 25.02.2015 um 23.23
Offna Briev ann Minista
Die Bättle um die Rechtschreibung in Mecklenburg-Vorpommern muss aufhören.
Hilferuf eines Drittklässlers.
25.02.2015, von Nick, 3b
Halo Herr Brotkorb fon der Konfärenz der Kulturminista - Frau Prochnow hat gesagt das unsre Glasse gans schlescht in Räschdschreibung is. Das is totaal umpfair weil wir uhns wirklich fiel Müe gebn die Wörta richtig zum schreiben. Neulich hat der Tim zum Ben gesagt du bist ein Luser weil du im Diktat siebzich Fehla hast. War alles voll rot angestrichn. Normal schreibn wir nie ein Dicktat. Da hat der Ben dem Tim eine geschäuert und alle Medchen haben blos blöd gelacht. Da hat der Ben erst recht ne Wut gekrigt und is auf Lily und Neele los die wie blöd geschrien ham. Jetz ham alle eine Strahfaufgabe auf blos wegn dem Zickngriech. Die Prochnow hat gesagt das kommt von dem weil wir so schreim wie wir redn und das das jetz alles anderst werden muss sonst wird das nie was. Sie sagt das wir peschtimmd nich aufs Gümnasium kommn wenn wir so schreibn. Mir is das egal aber Tim will unbedingt hin weil er mal Mänedscha werden will. Wär echt gut wenn ihr eine Idee habt das das ewige Gebättel auvhörd. Tschüss aus Mäklenburch.
faz.net 25.2.2015
Siehe auch hier und da und da und dort.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 25.10.2014 um 11.40
Historisches E-Paper: 25.10.1914
Haß
Deutschland – im Fadenkreuz internationalen Hasses? Die Frankfurter Zeitung bewertet am 25. Oktober 1914 die internationale Stimmungslage gegenüber dem Kaiserreich.
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In dieser Zeit da die apokalyptischen Reiter auf roten und schwarzen Rossen über unsere Erde hinbrausen, erleben wir mancherlei Offenbarungen. Wir haben in elf Wochen des Krieges mehr über uns selbst und die Welt erfahren als eine ganze Lebenszeit uns gelehrt hatte. Wir wußten vorher nicht, wir Deutsche, daß wir als Volk eine so fest geschlossene Einheit seien, wie es keine andere gibt...
faz.net 25.10.2014
Nein, es ist nur die Wiedergabe eines Textes der Vorläufer-Zeitung „Frankfurter Zeitung“ aus einer Zeit, als die deutsche Schreibeinheit erst zwölf Jahre alt war. Hundert Jahre hat diese Vollendung der deutschen Kulturrechtschreibung in deutschen Tageszeitungen überdauert, bevor auch die letzte der feige eingefädelten Reform-Erpressung der Kultusministermafia erlegen ist.
eingetragen von Norbert Lindenthal am 24.09.2014 um 20.00
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.09.2014
Schlechte Rechtschreibung: Analphabetismus als Ziel
Schlechte Rechtschreibung
Analphabetismus als geheimes Bildungsziel
Wenn etwas schwerfällt, bieten die Didaktiker Erleichterungen an. Doch wo alle Schwierigkeiten umgangen werden, herrscht die Praxis der Unbildung. Verlernen wir die Rechtschreibung?
24.09.2014, von KONRAD PAUL LIESSMANN
[Bild Dientstag, Ruhmsteak …]
© COVERPICTURE/RALF GOSCH
Schwere Küche, leichte Sprache - gratiniert ohne Bildungsballaststoffe
Es ist gespenstisch: Eine Mutter nutzt das Angebot der Grundschule ihrer Tochter zu einem Tag der offenen Tür und nimmt interessiert am Unterricht teil. Die junge, engagiert wirkende Lehrerin spricht über Tiere, fragt, welche Tiere die Kinder kennen, schreibt die Tierarten, die ihr zugerufen werden, an die Tafel. Und dann, die Mutter traut ihren Augen kaum, steht da, groß und deutlich: Tieger.
Und das Erstaunliche daran: Das war kein Fauxpas, keine einmalige Fehlleistung, wie sie vorkommen kann, sondern hatte System, war Konsequenz der Methode, mit der die junge Lehrerin selbst schreiben gelernt hatte: nach dem Gehör! Schreiben, wie man spricht, ohne dabei korrigiert zu werden - das könnte die Kinder traumatisieren -, wird schon seit geraumer Zeit praktiziert und zeitigt nun seine sichtbaren Erfolge: das Ende der Orthographie.
Volkskrankheit Analphabetismus
Die durch die unglückselige und misslungene Rechtschreibreform provozierte Unsicherheit und Gleichgültigkeit allen Fragen eines korrekten Sprachgebrauchs gegenüber wird durch eine Didaktik verstärkt, die den regelhaften Charakter unserer substantiellen Kulturtechniken systematisch verkennt und bekämpft. Jeder, wie er will, und wer gar nicht will, kann am Ende weder lesen noch schreiben.
Die Klage von Universitätslehrern, dass Studenten auch in Fächern, in denen der sprachlichen Formulierung besonderes Augenmerk zukommen sollte, weder die Rechtschreibung noch die Grammatik beherrschen und nicht mehr imstande sind, das einigermaßen präzise auszudrücken, was sie - vielleicht - sagen wollten, zeigt, dass solche Lockerheit im Erlernen der Kulturtechniken nicht folgenlos bleibt. Wenn als Konsequenz schulischen Unterrichts am Ende ein „Sprachnotstand an der Uni“ konstatiert werden muss, dann ist zu vermuten, dass es sich nicht nur um methodisch-didaktische Schwächen, sondern um eine grundlegende Entwicklung handelt, in der sich ein prekärer Einstellungswandel manifestiert.
Gegen Ende der Bildungslaufbahn eines jungen Menschen, so scheint es, fehlt es offensichtlich noch immer an fast allem. Analphabetismus ist längst keine Metapher mehr für eine Unbildung, die nur wenige am Rande der Gesellschaft betrifft, sondern der Skandal einer modernen Zivilisation schlechthin: dass junge Menschen nach Abschluss der Schulpflicht die grundlegenden Kulturtechniken nur unzureichend, manchmal gar nicht beherrschen.
Weg mit den verzichtbaren Privilegien
Natürlich ist nach jedem Schreib- oder Lesetest das Entsetzen groß, und der Ruf nach noch mehr Kompetenzorientierung, noch mehr individualisierter Didaktik, noch mehr modernen Unterrichtsmethoden, noch mehr Fehlertoleranz, noch mehr Einbezug von Laptops und Smartphones in den Unterricht wird lauter. Dass es gerade diese Forderungen und ihre Durchsetzung sind, die die Misere erst erzeugt haben, kommt auch den radikalsten Bildungsreformern nicht in den Sinn. Der Verdacht, dass man gezielt versucht, diesen Problemen zu entgehen, indem man die Niveaus neu definiert, für Schwächen euphemistische Umschreibungen findet und alles allen so einfach wie möglich macht, schleicht sich ein.
Neben der umstrittenen Methode, Schreiben nach dem Gehör zu lernen, zählt der Versuch, die Lesefähigkeit zu steigern, indem man die Texte drastisch vereinfacht, zu den problematischen Strategien einer umfassenden Praxis der Unbildung. Texte in „Leichter Sprache“, die schon von zahlreichen Ämtern aus nachvollziehbaren Motiven eingesetzt werden, um Menschen ohne ausreichende Sprachkenntnisse und geistig Behinderten den Zugang zu behördlichen Informationen zu erleichtern, wandeln sich unter der Hand zu einer neuen Norm, deren Regeln alsbald den durchschnittlichen Sprachstandard definieren könnten: „Kurze Wörter benutzen, sie gegebenenfalls teilen und mit Bindestrichen verbinden. Verboten sind lange Sätze, Passivkonstruktionen, Negationen, der Konjunktiv. Die Satzstruktur soll einfach sein, Nebensätze dürfen nur ausnahmsweise vorkommen, aber nie eingeschoben sein.“
Sprache, so suggerieren es diese Konzepte, dient nur der Übermittlung simpler Informationen. Dass in und mit Sprache gedacht und argumentiert, abgewogen und nuanciert, differenziert und artikuliert wird, dass es in einer Sprache so etwas wie Rhythmus, Stil, Schönheit und Komplexität als Sinn- und Bedeutungsträger gibt, wird schlicht unterschlagen oder als verzichtbares Privileg von Bildungseliten denunziert.
Die Reduktion auf das Funktionale
Dass durch solches Entgegenkommen, vor allem wenn es auch als Unterrichtsprinzip reüssieren sollte, Menschen systematisch daran gehindert werden, sich einer einigermaßen elaborierten Sprache bedienen zu können, dass sie dadurch von der literarischen Kultur ferngehalten werden, wird bei diesen wohlmeinenden Versuchen nicht weiter bedacht. Und selbst wenn man die Sprache unter pragmatischen Gesichtspunkten sehen und als „praktisches Bewusstsein“ deuten wollte - bedeutete eine stark vereinfachte Sprache nicht auch ein stark vereinfachtes Bewusstsein?
Die mit dem Standardargument der Zugangserleichterung zu abschreckenden Kulturtechniken allmählich durchgesetzte Tendenz, die zusammenhängende Schreibschrift abzuschaffen und durch eine unzusammenhängende Buchstabenschrift, eine leicht zu erwerbende „Grundschrift“, zu ersetzen, scheint genau dies im Sinne zu haben. Schon jetzt können Jugendliche, die in viel gelobten Laptop-, Notebook- oder Smartphone-Klassen unterrichtet werden, nicht mehr mit der Hand schreiben.
Dass dabei mehr verlorengeht als nur eine überholte Kulturtechnik, wissen alle, die sich näher mit dem Zusammenhang von Lesenlernen und Schreibenlernen, von Feinmotorik und Hirnentwicklung, von Kreativität und Freiheit beschäftigt haben. Auch hier wird die Reduktion auf das vordergründig Funktionale erkauft mit dem Verzicht auf Bedeutungsvielfalt und auf die Möglichkeit, souverän über unterschiedliche Techniken des Erzeugens und Lesens von Texten zu verfügen.
Systematische Sabotage
Ist der Prozess des Schreibens selbst kreativ, dann weiß man in dem Moment, in dem man den ersten Satz formuliert, nicht, wie der letzte Satz lauten könnte. Schreiben in diesem avancierten Sinn heißt nicht, Gedanken, Argumente, Überlegungen oder Theorien in eine angemessene sprachliche Form zu bringen, sondern im Vertrauen auf die mögliche Eigendynamik des Schreibens darauf zu bauen, dass aus dem Fortschreiben der Wörter die Gedanken und Ideen überhaupt erst entstehen. Die Voraussetzung dieses Vertrauens aber ist eine Freiheit, die den Schreibenden an keine Vorgaben bindet.
Was bedeutete dies für die Realität des Schreibunterrichts? Schreiben wird in der Regel unter pragmatischen Gesichtspunkten gesehen, bei denen es genau darum geht, bekannte Informationen oder andere Vorgaben textsorten- und adressatengerecht aufzubereiten. Eine der am weitesten verbreiteten Formen des Schreibens im Unterricht hat mit Schreiben im eigentlichen Sinn gar nichts mehr zu tun: das Ausfüllen und Ankreuzen.
Dass nicht nur im Sachunterricht, sondern auch im Sprachunterricht immer mehr mit Aufgaben gearbeitet wird, bei denen es nur noch darum geht, ein Wort einzusetzen, zu unterstreichen, zu ergänzen oder aus einer vorgegebenen Liste eine Auswahl zu treffen, mag zwar die eine oder andere Kompetenz schulen, der Prozess des Schreibens wird dadurch aber systematisch sabotiert.
Der Schreibprozess wird abgeschafft
Das gilt nicht nur für die Erarbeitung der Grundlagen, sondern setzt sich auch in der Sekundarstufe, ja an den Universitäten fort. Was dabei verlorengeht, ist letztlich die Fähigkeit, überhaupt ein Gefühl dafür zu entwickeln, was es heißt, zusammenhängende Sätze zu bilden, die zumindest einer basalen Logik folgen. Dass an Universitäten bei Klausuren immer mehr Studenten erschrecken, wenn sie erfahren, dass sie Fragen oder Themen in vollständigen Sätzen beantworten oder behandeln sollen, zeigt dies nur allzu deutlich.
Die in Deutschland gültigen „Bildungsstandards im Fach Deutsch“ fordern zum Beispiel, dass die Schüler „Schreibstrategien anwenden“, ihr Wissen und ihre Argumente „darstellen“, komplexe Texte „zusammenfassen“ und Texte für unterschiedliche Medien „gestaltend schreiben“ können. Die an diesen Standards orientierten „Schreibaufträge“ zergliedern den Prozess des Schreibens in die Beantwortung von Fragen, die einzeln abgearbeitet werden müssen, und dort, wo eine eigene Position entwickelt werden soll, muss natürlich vorher ein „Schreibplan“ oder eine „Mindmap“ angelegt werden.
Die Aufgabenstellungen bei der schriftlichen Reifeprüfung im Fach Deutsch spiegeln diese Position wider. Da es ja darum geht, bestimmte Kompetenzen zu überprüfen, muss jede Aufgabe in einzeln abzuarbeitende Fragestellungen zerteilt werden, die einen natürlichen Schreibfluss, eine Entfaltung von Gedanken oder die Etablierung einer begrifflichen Ordnung als Resultat - nicht als Voraussetzung - des Schreibprozesses prinzipiell nicht mehr zulassen.
Ständige Kontrolle verwehrt das Eintauchen in den Text
Die Angst, dass bei einem frei gestellten Thema irgendetwas hingeschrieben wird, das sich jeder Überprüfbarkeit entzieht, war und ist sicher nicht unberechtigt. Der freie Aufsatz hatte seine Tücken. Aber deshalb jungen Menschen überhaupt die Möglichkeit zu verwehren, sich wenigstens hin und wieder dem Prozess des Schreibens überlassen zu können, um sich selbst mit einer Ordnung oder Unordnung ihrer Gedanken zu konfrontieren, die sich erst im Schreiben gebildet hat, kommt dem mutwilligen und fahrlässigen Verzicht auf eine zentrale Bildungserfahrung gleich.
Auch die Texte und Kontrollfragen, die etwa der Pisa-Test benutzt, um die Lesekompetenz zu überprüfen, verraten einen einseitigen und eingeschränkten Lesebegriff. Im Zuge der Bestimmung des Lesens als einer ständig zu überprüfenden Kompetenz geht die aktuelle Lesedidaktik dazu über, jeden Leseakt durch vermeintlich hilfreiche Kontroll- und Verständnisfragen zu stören und damit zu zerstören.
Wer ein aktuelles Lesebuch zur Hand nimmt, wird erstaunt sein über die ohnehin schon knappen Texte, die nach wenigen Absätzen schon durch Arbeitsaufträge, Kontrollfragen und Übungen unterbrochen sind. Wie soll ein Kind, ein junger Mensch unter diesen Bedingungen Lust am Lesen entwickeln, wie soll er lernen, sich der Dynamik des Lesens zu überlassen, in einen Text zu versinken, in den Sog des Geschriebenen zu geraten, wenn er alle paar Minuten über das Gelesene Rechenschaft ablegen, sich nach jedem Absatz überprüfen lassen muss?
Schreiben muss hart erlernt werden
Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der die Literatur und mit ihr das Buch das Leitmedium war, und die berechtigte Klage über den Verlust der Fähigkeit, auch anspruchsvolle Texte zu lesen, darf nicht vergessen, dass diese Form des Lesens als Kulturtechnik drastisch an Bedeutung verloren hat. Da gibt es nichts zu beschönigen, und die beschwichtigenden Versicherungen kinderfreundlicher Lesedidaktiker, dass heute mehr denn je gelesen werde, weil ständig über Smartphones auch Texte oder Textfetzen ausgetauscht und weitergeleitet würden, klingen ungefähr so wie die Behauptung, dass heute mehr denn je geritten würde, weil fast jeder Mensch einige Dutzend Pferdestärken wenn nicht zwischen seinen Schenkeln, so doch unter seinem Hintern habe. Nein, wir halten die meist dämlichen Sätzchen auf Twitter, die Statusmeldungen und die dazugehörigen Kommentare auf Facebook und die in der Regel niveau- und stillosen postings der User digitaler Medien nicht für Literatur.
Der Eingang in das Reich der Literatur aber hatte seinen Preis: Erfordert war eine Disziplinierung der Sinne und des Körpers, wie sie kein anderes Medium dem Menschen abverlangte. Im Gegensatz zur Sprache, zum Hören und zum Sehen ist uns das Entziffern und Arrangieren von Buchstaben nicht von Natur gegeben. Lesen und Schreiben sind mehr als eine menschheitsgeschichtlich betrachtet sehr spät erfundene Kulturtechnik - sie sind eine Form der Weltaneignung und Welterzeugung, die in bestimmter Weise die Negation der unmittelbaren Selbst- und Welterfahrung zur Voraussetzung hat. Wer liest oder schreibt, dem muss im Wortsinn Hören und Sehen erst einmal vergehen. Der Sinn von Schule lag einmal darin, diese Negation erfahrbar zu machen und einzuüben.
Die vollkommene Geistfeindlichkeit
Lesen und Schreiben sind keine Tätigkeiten, die man einmal lernt, jahrzehntelang brachliegen lassen und trotzdem bei jeder Gelegenheit reaktivieren kann. Wer nicht ständig liest, verlernt das Lesen wieder; wer Sprache und Texte nur unter pragmatischen Gesichtspunkten sieht, wird nur dann lesen, wenn es gar nicht anders geht; wer für die Schicksale, Geschichten, Tragödien und Komödien der Literatur keinen Enthusiasmus entwickeln kann, wird Lesen letztlich als Zumutung empfinden; wer nicht das Buch als physisches Objekt lieben und hassen gelernt hat, wird nie richtig lesen lernen; wer in eine Schule geht, in der aufgrund vorgegebener Bildungsstandards und anwendungsorientierter Kompetenzen diese Liebe zur Literatur nicht mehr vermittelt werden darf, wird zum Analphabetismus verurteilt.
So wohltönend können die Reden der Bildungsreformer und ihrer politischen Adepten gar nicht sein, dass sich dahinter nicht jene Geistfeindlichkeit bemerkbar machte, die den Analphabetismus als geheimes Bildungsziel offenbart. Wäre es anders, gäbe es, zumindest als Schulversuch, nicht nur Notebook-Klassen, sondern vor allem und in erster Linie wirkliche Buch-Klassen. In der generellen didaktischen Missachtung des Buches - „Ganzschrift“ heißt das dafür zuständige Unwort - zeigt sich die Praxis der Unbildung in ihrer erbärmlichsten Gestalt.
Dabei wäre alles ganz einfach: Lesen und Schreiben sind Kulturtechniken, deren grundlegende Beherrschung unerlässlich ist. Dass der Erwerb dieser Techniken nicht jedem leichtfällt, ist kein Grund, das Betrachten von Bildern zu einem Akt des Lesens und das Ankreuzen von Wahlmöglichkeiten zu einem Akt des Schreibens hochzustilisieren. Besser wäre es, all jene, die Schwierigkeiten beim Erwerb dieser Fähigkeiten haben, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen, damit sie wirklich lesen und schreiben lernen.
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Konrad Paul Liessmann lehrt Philosophie an der Universität Wien. Der Text ist die leicht gekürzte Fassung eines Kapitels aus seiner Streitschrift „Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung“, die am 29. September in den Buchhandel kommt (Paul Zsolnay Verlag, Wien, 176 Seiten, 17,90 Euro).
Quelle: F.A.Z.
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 12.07.2014 um 18.04
Vor den letzten Wahlen machte auch die kirchenfromme FAZ Stimmung gegen die AfD. Die mmnews.de (Michael Mross) schrieben am 13.3.2014:
AfD: So manipuliert die FAZ
In einem demagogischen Hetz-Artikel gegen die AfD versucht die FAZ, die Partei als rechtsextrem darzustellen, in der bibeltreue Christen die Macht übernommen hätten. Dabei wurde bewußt gelogen, Zitate verdreht oder tendenziös verkürzt und manipuliert. Das Schmierenstück könnte zum Fall für den Deutschen Presserat werden.
Der Einlauftext und die Überschrift der FAZ sagt schon alles. Weiterlesen lohnt sich nicht mehr:
Christliche Alternative für Deutschland
In der „Alternative für Deutschland“ übernehmen bibeltreue Protestanten die Macht. Längst kritisieren sie nicht mehr nur den Euro, sondern auch Schwule und Muslime. Sogar die Schulpflicht stellen sie in Frage...
Weiter auf mmnews.de 13.3.14
Diese denunziatorische Aufbereitung der Meldungen brachte mich dazu, meine langjährige Wahlenthaltung aufzugeben und die AfD zu unterstützen, weniger natürlich wegen solcher aus der Zeit gefallenen Zeitgenossen, wie sie in AfD-nahen Publikationen mitunter auch zu finden sind:
Das Klärwerk und die Allmacht Gottes
Als ich mit meiner Frau durch die Anlagen ging, begann ich Gott, den Schöpfer, zu preisen. Ohne seine Souveränität und seine Allwissenheit hätte keine dieser vielen Ideen ... umgesetzt werden können. freiewelt.net 28.6.2014
eingetragen von Sigmar Salzburg am 12.06.2014 um 16.16
Frank Schirrmacher gestorben
Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist gestorben. Schirrmacher wurde 1994 als Nachfolger von Joachim Fest in das Herausgebergremium berufen... Er verstarb am Donnerstag an den Folgen eines Herzinfarkts.
faz.net 12.6.2014
Wissenswertes zu Schirrmacher hier und da
und Spiegel 1996 (noch in richtiger Rechtschreibung).
eingetragen von Norbert Lindenthal am 19.03.2014 um 18.22
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.03.2014, 15:37 Uhr
Abitur
Niedersachsen kehrt zu G9 zurück
19.03.2014 · Niedersachsen will als erstes Bundesland das Turbo-Abitur abschaffen. Unterstützt wird die Initiative von Philologen und Elternräten. Sie nennen das G8-Modell einen „folgenschweren Irrweg“.
Von ROBERT VON LUCIUS, HANNOVER
Kultusministerin öffnet die Tür zur Abi-Reform
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Der erste Jahrgang von G9-Gymnasiasten wird in Niedersachsen im Jahr 2023 das Abitur ablegen
Niedersachsen will als erstes Bundesland das „Turbo-Abitur“ wieder abschaffen und zu neun Schuljahren in Gymnasien zurückkehren. Schon vor einem Jahr, kurz nach ihrem Regierungsantritt in Hannover, hatte die rot-grüne Koalition die geplante Einführung des Abiturs nach acht Schuljahren an Integrierten Gesamtschulen verhindert. Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) erläuterte am Mittwoch erste Eckpunkte der Rückkehr und damit der Rücknahme einer erst 2004 verabschiedeten Schulreform.
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Robert von Lucius
Autor: Robert von Lucius, Jahrgang 1949, politischer Korrespondent für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen mit Sitz in Hannover.
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Sie stützte sich auf den Bericht einer Expertengruppe. Besonders begabten Schülern sollen die elfte Klasse überspringen können. Bis Herbst soll eine Schulnovelle eingebracht werden, die zum 1. August 2015 in Kraft tritt. Der erste Jahrgang mit neun Jahren kann die Reifeprüfung im Jahr 2023 ablegen. Heiligenstadt warnte vor einem überhasteten Wechsel.
Zu den Anhängern der Änderung in Niedersachsen zählen der Philologenverband und der Verband der Elternräte der Gymnasien in Niedersachsen. Damit gebe es wieder gründliches Lernen, bessere Förderung und mehr Zeit für außerschulische Aktivitäten - die Verkürzung sei ein „folgenschwerer Irrweg“ gewesen. Dagegen sagt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, das Rad werde zurückgedreht - eine Schulzeit von acht Jahren könne bei richtiger Organisation stressfrei ablaufen.
Westliche Bundesländer bieten Rückkehr zu „G9“
Der Vorsitzende des Niedersächsischen Landesschülerrats Helge Feußahrens sagte, viele Schüler hätten sich mit dem Turbo-Abitur arrangiert. Schulen bräuchten Ruhe und nicht mit jeder neuen Landesregierung ein neues Schulgesetz. Schon kurz nach der Einführung der verkürzten Schulzeit - 2011 wurde der erste Schülerjahrgang nach nur acht Jahren entlassen - mehrte sich Kritik wegen zu hohen Lernstresses. Es gebe weniger Auslandsaufenthalte und mehr Wissenslücken bei Berufsanfängern und Studenten.
Mehrere westliche Bundesländer bieten bereits eine Rückkehrmöglichkeit zu „G9“ an, aber bisher nicht wie nun Niedersachsen eine völlige Umkehr. Die neuen Bundesländer planen keine Reform, zumal dort das Abitur nach acht Jahren eine Tradition hat. In Bayern steht die Landesregierung unter Druck, nachdem ein von den Freien Wählern vorgelegtes Volksbegehren Ende Februar die erste Hürde überwand. Auch in Hamburg gibt es eine anfangs erfolgreiche Volksinitiative. Hessen gibt Wahlfreiheit - viele Gymnasien kehrten dort zur neunjährigen Schulzeit zurück. Nur jedes fünfte hessische Gymnasium bleibe, so wird geschätzt, beim Turbo-Abitur. Baden-Württemberg hat 44 Gymnasien eine Rückkehr zur dreizehnten Klasse erlaubt, Nordrhein-Westfalen als Modellversuch dreizehn Gymnasien.
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 23.01.2014 um 19.34
Kommentar
Die Amtssprache ist Deutsch
Von Reinhard Müller
Sprache lässt sich nur begrenzt regeln. Das hat zuletzt der Riesenwirbel um die Rechtschreibreform gezeigt. Aber natürlich kann der Staat den Gebrauch bestimmter Sprachen in Ämtern und Gerichten vorschreiben. In Deutschland ist die Gerichtssprache deutsch. Und nicht nur sie: Auch in der Abgabenordnung, im Sozialgesetzbuch und im Verwaltungsverfahrensgesetz heißt es: Die Amtssprache ist Deutsch. Daran kann auch das Saarland nichts ändern, und das ist gut so.
Richtig ist aber auch, dass die Länder eigene Verwaltungsverfahrensgesetze haben, die sich freilich bisher im wesentlichen ähneln. Das Saarland mag also sprachliche Sonderregelungen schaffen. Die Umgangssprache kann es ohnehin nicht regeln – wohl aber Sprachunterricht einführen und die Möglichkeit, Anträge auf Französisch einzureichen. Dann aber muss auch die Verwaltung französisch beherrschen. Die hat aber meist ganz andere Sorgen. Und vor den Gerichten, auf jeden Fall aber in letzter Instanz, würde immer auf Deutsch entscheiden.
Ob die saarländische Regierung ihr Ziel erreicht, einziges zweisprachiges Bundesland (mit „Frankreich-Kompetenz“) zu werden, hängt vor allem von den Bürgern ab. Wenn die glauben, dass sie mit Englisch weiter_kommen und sich darauf konzentrieren wollen, dann hat das Saarland ein neues Kompetenz-Problem.
faz.net 22.1.2014
Nicht umsonst kämpfen die einschlägigen Lobbyisten und Heilsverkünder gegen eine Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz. Wenn dies auch zunächst keine großen Wirkungen hätte, es würde doch später beim großen Unterrühren im Gleichstellungs-Nudeltopf hinderlich sein.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.08.2012 um 16.36
Fraktur - Die Sprachglosse
Blumen zu Biogas!
Euro-Krise? Deutschland steht kurz vor der Vermaisung! Oder doch vor der Vermeisung?
Wohl ’ne Meise
Es müsse dringend etwas gegen die „Vermaisung“ unserer Landschaften getan werden, fordert der Grünen-Vorsitzende Özdemir. Gemeint hat er damit wohl nicht die Vermeisung unserer Politiker, obschon man da nach der Reform (Revorm?) der Reform (Rephorm?) unserer ehemaligen Rechtschreibung nicht mehr ganz sicher sein kann. Doch würde eine solche Behauptung schlicht den Tatsachen widersprechen. Zwar hat der eine oder andere Politiker ganz bestimmt einen Vogel, aber von einem flächendeckenden Phänomen zu reden wäre übertrieben.
Der Mais dagegen ist tatsächlich auf breiter Front auf dem Vormarsch
[…]
Weil man nach den jüngsten Horrornachrichten zur Ökobilanz aber nicht einmal mehr Biosprit reinen ökologischen Gewissens tanken kann – der deutsche Autofahrer wusste schon, warum er der Ökoplörre namens E 10 misstraute –, könnte höchstens noch die ohnehin schon aufholende Solarverzellung die vollständige Vermaisung Deutschlands aufhalten.
Die will jetzt natürlich wieder keiner gewollt haben, schon gar nicht die Partei der erneuerbaren Energien. Geht es nach Bärbel Höhn, dann wird Biogas künftig nur aus glücklichen Wildkräutern von freiwachsenden Waldwiesen gewonnen. Wenn das keine Besinnung auf die Urwerte der Blumenkinder-Bewegung ist! Atomkraft, nein danke – Flower-Power, ja bitte! Blumen zu Biogas! Allerdings müsste man dann von Anfang an darauf achten, dass es nicht zur Verwiesung oder gar Verblumung Deutschlands käme. Sonst könnte man das noch für ein Zeichen von Verblödung halten.
FAZ.net 3.8.2012
eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.04.2012 um 11.59
Die einstmals größte „Kirchenzeitung“ Deutschlands verfällt anscheinend, um diese Stellung zu halten, auf infantile Quiz- und Testspielchen:
Der Glaubenstest
Nun sagen Sie, wie haben Sie es mit der Religion?
Die innere Einstellung und die religiöse Lehrmeinung können weit auseinander driften. Daraus brauchen sich erst mal keine Konsequenzen abzuleiten: Es kann sich noch entwickeln. …
Die „tief schürfendste“ der 17 Fragen ist:
4. Kann man Gott auch schmecken?
faz.net 8.4.2012
Wenn man die Punkte, die für jede Antwort vergeben werden, zusammenzählt, erhält man das Testergebnis und eine Buchempfehlung. Für die für mich vermutlich zutreffende geringste Punktzahl lautet der Text:
Bis 59 Punkte:
Sagen wir es einmal höflich: Sie gehören zur wachsenden Zahl der „religiös Unmusikalischen“ im Lande. Oder Sie sind einer der neuen Atheisten, die derzeit so viel von sich reden machen. Was die Religion angeht, halten Sie es mit Karl Marx: Sie sei das „Opium des Volkes“. Die Theorie des Urknalls verstehen Sie zwar nicht, halten sie aber für plausibler als die Schöpfungsgeschichte. Der Tod - eine friedliche Rückkehr in den großen Kreislauf der Natur. Kleine Anekdote für Sie von der Frankfurter Universität: Ein betont ungläubiger, modern sein wollender Literaturwissenschaftler war verstorben. Als man in der Fakultät von der traurigen Nachricht erfuhr, sagte ein katholischer Professor: „Na der wird sich jetzt wundern!“
Lektüretipp: Richard Schröder, „Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher Fundamentalismus und die Folgen“, 16,95 Euro.
Ich bin nicht unmusikalisch, hänge eher Einsteins „kosmischer Religiosität“ an, stehe nicht auf Karl Marx, verstehe die Theorie des Urknalls recht gut und finde die Anekdote in diesem Zusammenhang kindisch. Die Empfehlung eines Theologen-Buches ist fast beleidigend.
Nicht besser sieht es für die höher Bepunkteten aus:
60 bis 70 Punkte:
Glückwunsch: Sie sind Ihr eigener Papst, möglicherweise auch die Reinkarnation Buddhas oder der Päpstin Johanna …
Lektüretipp: Anselm Grün, „Herzensruhe. Im Einklang mit sich selber sein“, 8,50 Euro, gebraucht von 2,90 Euro an.
71 bis 100 Punkte:
Ertappt, Sie sind Hans Küng! … Oder haben wir uns geirrt … und Sie sind in Wahrheit Eugen Drewermann?
Lektüretipp: Joseph Ratzinger, „Jesus von Nazareth“, zwei Bände, 24 und 22 Euro.
101 bis 125 Punkte:
Ein Protestant, so hat es Joseph de Maistre einmal ausgedrückt, das ist ganz einfach ein Mensch, der protestiert. Hat er dabei an Sie gedacht? …
Lektüretipp: Max Weber, „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, 17,95 Euro. Und: alles von Margot Käßmann!
Mehr als 125 Punkte:
Sind Sie mit Ihren Händen wirklich so ungeschickt, dass Sie sich keine eigene Religion basteln können? … Lassen Sie sich von einem Sektenbeauftragten Ihres Vertrauens beraten, sonst droht Fundamentalismusverdacht.
Lektüretipp: Roberto de Mattei, „Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte“, 35,90 Euro.
faz.net 8.4.2012
Der „Test“ ist wohl eher als Schleichwerbung für den frommen Buchhandel gedacht.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 02.12.2010 um 18.20
Sag mir dein Deutschsein
… Thilo Sarrazin fandet derweil nach Urahnen. [inzw. korrigiert]
Von Edo Reents
… Trotzig blieb Sarrazin die Antwort schuldig und verwies, als wiederholt Zweifel an seiner, pardon: Reinrassigkeit geäußert wurden, auf einen seiner „Urahnen“: einen Kunstmaler, der im Jahre 1530 von Lyon nach Genf gegangen sei. Im übrigen, sagte er, gebe es ein gewisses „Kontinuum im Deutschsein“ und murmelte die Jahreszahl 1100. Da rief Al-Wazir: „Aber Herr Sarrazin, da waren Ihre Vorfahren ja noch gar nicht in Deutschland!“
faz.net 1.12.2010
Eine wirkungsvolle Verbalattacke – aber ebenso dumm wie falsch: Integrieren sich die Vorfahren 200 Jahre lang genetisch im Lande, dann ist von den ursprünglichen Franzosen-Genen nur noch 1/64 übrig, d.h. 98,4 Prozent der Vorfahren können Deutsche sein. Im übrigen haben sich die Europäer genetisch seit jeher einander stark angeglichen.
Th. Ickler erwähnt bei FDS einen Großonkel Otto Sarrazin, zeitweise Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins (mit Seitenhieb auf den VDS). Nachfolger war übrigens die GfdS, die unanständig mit dem deutschen Regierungsapparat verquickt ist, und deren Vorsitzender Hoberg die Durchsetzung der Rechtschreibreform penetrant befördert hat.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 26.08.2010 um 06.33
(Ich hatte nicht die Zeit, ihn zu kürzen)
Schriften sind ästhetische Fenster zu den großen Kulturen. Deutsche Fraktur- und Kurrentschriften, Devanagari, arabische Ruq’a und chinesische Zeichen habe ich gerne geübt und geschrieben. Als ich krank war, habe ich sogar ein ganzes chinesisches Wörterbuch abgeschrieben. Mit der deutschen Norm-Schulschrift stand ich aber immer auf Kriegsfuß. Heute weiß ich, was sie so mühsam macht: die vielen künstlichen Rundungen, die mühsam nachgezirkelt werden müssen. Das alte Sütterlin hatte diese Zwangsrundungen noch nicht.
Aus meinen Begegnungen mit englischen Freunden alter Musik lernte ich jedoch, daß auch in einer abgewandelten Lateinhandschrift ästhetisches Schreiben möglich ist. Manche schufen in gewöhnlichen Briefen geradezu kalligraphische Kunstwerke, die von ihren Empfängern sorgsam aufbewahrt wurden. Auch bei Designern und Architekten sah ich, daß es jenseits der DIN-Normschrift in gezeichneten und beschrifteten Plänen künstlerische Individualität gab. Vieles davon ist mit der elektronischen Datenverarbeitung nicht mehr gefragt.
Dennoch halte ich es für einen Irrwitz, das handschriftliche Schreiben in den Schulen abschaffen zu wollen. Ohne „Notebook“ wären die Schüler bessere Behinderte. Außerdem ist das Schönschreiben eine unvergleichliche feinmotorische und ästhetische Schulung, die vergleichbar dem Erlernen eines Musikinstrumentes ist.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 24.08.2010 um 19.34
Aktuell > Wissen > Mensch & Gene
Buchstaben mit Zukunft
Schreibschrift, ade?
Tastaturen haben das Schreiben von Hand in Nischen verdrängt. Welche Schrift sollen Grundschüler in Zukunft lernen? Während darüber noch gestritten wird, fordern Wissenschaftler und Pädagogen das Ende des Schönschreibens.
Von Georg Rüschemeyer
24. August 2010
„Tres digiti scribunt et totum corpus laborat“ - „Drei Finger schreiben, aber der ganze Körper arbeitet“, klagten schon die zum Kopieren von Büchern abgestellten Mönche des Mittelalters über ihren kräftezehrenden Beruf, der die Augen trübe, die Lenden breche, den Nacken krumm werden und überhaupt alle Glieder leiden lasse.
Der Spruch passt auch auf so manchen modernen Abc-Schützen, der sein Heft unter höchster Konzentration mit schnörkeligen Buchstaben füllt. Auch wenn dabei nicht gleich der Nacken krumm wird: Vor allem das Einüben der sogenannten Lateinischen Ausgangsschrift (LA) ist für viele Kinder eine feinmotorische Herausforderung. Seit dem Jahr 1953 wurde diese Schrift in den meisten deutschen Volksschulen unterrichtet und löste die seit den zwanziger Jahren gebräuchliche Sütterlinschrift schnell ab.
Anfang der siebziger Jahre entwickelte dann der Göttinger Grundschullehrer Heinrich Grünewald eine Variante dieser Schrift, die Vereinfachte Ausgangsschrift (VA). Vor allem eine starke Annäherung der Großbuchstaben an die Druckschrift, der einheitliche Beginn der Kleinbuchstaben an der Mittellinie, sowie eine geringere Zahl abrupter Wechsel der Schreibrichtung sollen den Kindern das Schreibenlernen erleichtern. Zudem soll die stärkere Gliederung der Buchstaben dem Kind helfen, Wörter analytisch in ihre Einzelteile zu zerlegen und so ihre Schreibweise besser zu verstehen.
Eine flüssige und leserliche Erwachsenenschrift
Grünewald ging für seine Schrift von der Analyse von Erwachsenenhandschriften aus, die zumeist ebenfalls mit Druck-Großbuchstaben schreiben. Das Entwickeln einer individuellen Handschrift ist im Konzept jeder „Ausgangsschrift“ durchaus gewollt und unterscheidet sie von Normschriften wie dem Sütterlin, das im Idealfall ein Leben lang in immer gleichen Formen geschrieben werden sollte.
Grünewalds VA breitete sich in den Achtzigern an westdeutschen Schulen aus und hat heute die barocke LA an vielen Schulen verdrängt. Mit der Wiedervereinigung ging schließlich noch die 1968 in der DDR eingeführte Schulausgangsschrift (SAS) ins Rennen. 1994 forderte die Kultusministerkonferenz lediglich eine verbundene Schrift (im Gegensatz zur aus einzelnen Lettern bestehenden Druckschrift), überließ die Wahl einer der drei Ausgangsschriften aber den Ländern, von denen viele ihren Schulen wiederum mehr oder minder viel Wahlfreiheit gewähren. Damit war die heutige Schriftenverwirrung perfekt, die Schülern vor allem nach einem Schulwechsel erheblich zu schaffen machen kann.
Welche der drei Schriften am leichtesten zu erlernen ist und später zur flüssigsten und leserlichsten Erwachsenenschrift wird, ist dabei vor allem eine Glaubensfrage. „Es gibt dazu in Deutschland einen erstaunlichen Mangel an Empirie“, sagt Sigrun Richter, Professorin für Grundschulpädagogik an der Universität Regensburg. Einer der wenigen Versuche, die Vorteile einer Schrift in Sachen Leserlichkeit, Schreibgeschwindigkeit und Rechtschreibung mit wissenschaftlicher Genauigkeit zu vergleichen, stammt von Heinrich Grünewald selbst. Im Rahmen eines Schulversuchs verglich er Anfang der siebziger Jahre sechs Klassen, die in der LA unterrichtet wurden, mit ebenso vielen Klassen, die seine VA erlernten. Grünewald schloss, dass seine VA sowohl Leserlichkeit, Schreibtempo und Rechtschreibung begünstige. Damit war die VA auch wissenschaftlich abgesegnet, wenn es auch schon damals nicht unbedingt guter Stil war, dass der Entwickler sein Produkt selbst evaluiert.
1996 nahm der Oldenburger Erziehungswissenschaftler Wilhelm Topsch die Studie denn auch gehörig auseinander: Sie sei voller Fehler, widersprüchlicher Daten und unbewiesener Behauptungen. Ein Beispiel: 56 Prozent der Schüler in der VA-Gruppe waren Mädchen, in der LA-Gruppe waren es jedoch nur 44 Prozent. Da Mädchen generell bessere Schreibleistungen zeigen, verfälsche allein dies die Ergebnisse erheblich zugunsten der VA, so Topsch, der die Nachlässigkeiten seines Kollegen für „skandalös“ hält.
„Schluss mit dem Schriften-Wirrwarr!“
In einer weiteren Studie, welche die Leistungen von in VA und LA unterrichteten Kindern verglich, konnte seine Regensburger Kollegin Sigrun Richter 1997 denn auch keinen Vorteil der vereinfachten Version ausmachen. „Im Gegenteil, die Leistungen der Kinder in der LA-Gruppe waren sogar etwas besser“, sagt Richter. Das hänge sie aber nur ungern an die große Glocke, weil sie sich nicht vor den Karren jener Eltern und Lehrer spannen lassen wolle, welche die Schnörkel der LA wieder zum Standard erheben wollten. „Die Frage ist doch vielmehr: Brauchen wir heute überhaupt noch eine verbundene Ausgangsschrift?“
Damit gehört sie zur wachsenden Zahl von Pädagogen, die den Streit um die richtige Schönschrift beenden wollen, indem sie sie komplett abschaffen. Unter dem Motto „Schluss mit dem Schriften-Wirrwarr!“ hat im Mai der deutsche Grundschulverband eine Initiative zur Abschaffung der drei gebräuchlichen Ausgangsschriften gestartet. Die Alternative ist simpel: Man solle es einfach bei der handgeschriebenen Druckschrift belassen, in der heute Erstklässler im ganzen Land ohnehin Lesen und Schreiben lernen, bevor sie dann in der zweiten Jahrgangsstufe zu den geschwungeneren Ausgangsschriften angehalten werden. Als didaktischen Kunstfehler bezeichnet der Verband diesen Sprung „zurück auf null“ des Schrifterwerbs. „Neben dem Frust für Kinder kostet das auch sehr viel Unterrichtszeit, die dann all den anderen Bildungsaufgaben der Grundschule abgeht“, sagt Maresi Lassek, Vorsitzende des Verbandes.
Der Grundschulverband propagiert nun die sogenannte Grundschrift, handgeschriebene Druckbuchstaben, die zum Teil für den besseren Anschluss mit einem kleinen Wendebogen enden. Diese Grundschrift soll aber nicht wie gestochen kopiert werden, sondern lediglich als Vorlage zum Entwickeln einer eigenen Handschrift dienen, die, wie es die Lehrpläne fordern, auch durchaus verbunden sein soll. Nur dürfen die Kinder unter Anleitung ihrer Lehrerinnen verstärkt selbst ausprobieren, wo beispielsweise eine Buchstabenverbindung sinnvoll ist und wo man stattdessen eher einen „Luftsprung“ einlegt.
Neuere Daten kommen aus der Schweiz
Vom drohenden Verlust deutschen Kulturguts könne angesichts der kurzen Geschichte der heutigen Ausgangsschriften keine Rede sein, meint Lasseks Stellvertreter Ulrich Hecker, Leiter der Regenbogen-Grundschule in Moers. „Die sind einfach nur anachronistischer Ballast für den Unterricht.“ Die Befürworter der drei gängigen Schriften führen neben ästhetischen Argumenten die kindliche Feinmotorik an, die zu verkümmern drohe und fürchten einen unterbrochenen Schreibfluss.
Die wenigen empirischen Vergleichsdaten, die es gibt, widersprechen dem aber. So machte die Münchener Erziehungswissenschaftlerin Christina Mahrhofer-Bernt in einer 2002 beendeten Vergleichsstudie gute Erfahrungen mit einer eigens entwickelten, der Grundschrift recht nahe kommenden Schrift und dem dazugehörigen Unterrichtskonzept, das diese Schrift nur als unverbindliche Empfehlung ansah.
Neuere Daten kommen aus der Schweiz, wo im Kanton Luzern seit 2006 neben der althergebrachten, der LA stark ähnelnden Schweizer Schulschrift, auch eine weitgehend den Druckbuchstaben angeglichene „Basisschrift“ zugelassen ist. Forscher der Pädagogischen Hochschule der Zentralschweiz in Luzern verglichen in einer im Juni veröffentlichten Studie die schreibmotorischen Leistungen von 93 Viertklässlern, die etwa je zur Hälfte in einer der beiden Schriften unterrichtet worden waren. „Dabei bestätigte sich, dass in der Basisschrift unterrichtete Kinder schneller und trotzdem leserlicher zu schreiben vermögen als mit der alten Schnürlischrift“, sagt Studienleiterin Sibylle Hurschler. Zudem war der sonst deutliche Unterschied zwischen Mädchen und Jungen in den Schreibleistungen bei der Basisschrift verschwunden.
Die letzten Domänen der Handschrift
„Die Schweizer Ergebnisse sind ein guter Beleg dafür, dass es einer ,Zwei-Schriften-Didaktik' nicht bedarf“, meint die Regensburger Professorin Richter. Ähnliche Studien seien auch zur Evaluierung der Grundschrift vonnöten, um der traditionell sehr von Behauptungen lebenden Pädagogik ein empirisches Fundament zu geben. Der Grundschulverband allerdings bewertet die bisherigen Erfahrungen an inzwischen rund 50 Grundschulen auch ohne streng wissenschaftliche Auswertung so positiv, dass man in der kürzlich gestarteten Kampagne nun bundesweit Lehrer zum Erproben der Grundschrift ermutigen will. Anfang kommenden Jahres sollen in einer Tagung auch die Grundschulreferenten der Länder für die Grundschrift begeistert werden. Denn noch empfehlen viele Lehrpläne explizit eine der drei Ausgangsschriften. Ulrich Hecker sieht das aber schon jetzt nicht als Hindernis: Nach dem in der Grundschrift wirkenden Prinzip „Ausprobieren statt vorschreiben“ gebe es ja kein Argument dafür, in der zweiten Klasse nicht auch mal eine der herkömmlichen Ausgangsschriften auf praktische Schreibweisen abzuklopfen und so zumindest den Buchstaben des Lehrplans zu befolgen.
Die große Frage, die sich im Zeitalter von E-Mails, SMS und Kleinkindern mit voller Kontrolle über die Menüstruktur des elterlichen Laptops stellt, ist allerdings: Wozu sollen die erwachsenen User von morgen überhaupt noch die Kulturtechnik der Schreibschrift beherrschen? Tastaturen haben das Schreiben von Hand im Alltag vieler Menschen auf Nischen wie Einkaufszettel oder Postkarten verdrängt, für Bewerbungen werden kaum noch handschriftliche Lebensläufe verlangt und selbst offizielle Anschreiben kann man neuerdings per E-Postbrief komplett papier- und stiftfrei versenden. Neben dem ohne Notar nur handschriftlich rechtsgültigen Testament bleiben eigentlich nur noch Prüfungen an Schule und Universität als eine der letzten Domänen der Handschrift - vorerst.
Eine unverzichtbare Grundlage
Trotzdem glaubt die Lernforscherin Sibylle Hurschler nicht, dass die Schreibschrift bald überflüssig werde. „Dafür sind Bleistift und Zettel in zu vielen Situationen einfach zu praktisch.“ Und Ulrich Hecker führt Studien an, nach denen erst die Verknüpfung des motorischen Programms mit den dazugehörigen Buchstaben im Gehirn ein tieferes Verständnis für den Aufbau von Buchstaben und Wörtern erzeugt.
Auch Sigrun Richter sieht in der Handschrift eine unverzichtbare Grundlage des Schreibenlernens. Doch das Schreiben am Computer müsse für einen zeitgemäßen Schreibunterricht viel mehr in die Lehrpläne integriert werden. „Wir haben das mal in einer Studie ausprobiert: Ab der dritten Klasse kommen die Kinder mit ganz normalen Tastaturen bestens klar.“
Text: F.A.S.
faz.net 24.8.2010
eingetragen von Sigmar Salzburg am 19.07.2010 um 19.06
Die neue Hambürgerlichkeit
Der Kampf gegen die Schulreform hat in Hamburg Eltern, ganz gleich welcher sozialen Schicht und welcher Parteizugehörigkeit, zu einer bürgerlichen Volksbewegung zusammengeschweißt. Das könnte reformbegeisterten Regierungen in anderen Bundesländern ein warnendes Beispiel sein.
…
Als das Resultat des Volksentscheids bekanntgegeben wurde, war von Beust aber schon zurückgetreten, Frau Goetsch blieb mit ihrer Enttäuschung allein. „Das Ergebnis ist bitter für alle, die ihre Hoffnungen in das längere gemeinsame Lernen gesetzt haben. Wir sind sehr enttäuscht, dass wir nicht genügend Menschen von der Primarschule überzeugen konnten“, sagte sie noch am Sonntagabend.
Das gilt umso mehr, als der Senat immerhin 200 000 Euro aus Steuermitteln für die Werbung ausgegeben hatte, um die gesamte Stadt mit Plakaten zu pflastern. Ein Radiospot der gegnerischen Volksinitiative „Wir wollen lernen“ wurde rechtzeitig verboten.
Zu Werbeveranstaltungen zwangsverpflichtet
Einer Lehrerin, die sich während der Streitphase bewarb, wurde einen Tag vor dem Vorstellungsgespräch beim Lehrerkollegium bedeutet, dass man mit Vorbehalten gegenüber der Reform „das neue Denken nicht hinkriegt“. Wer A15 bekomme, müsse schließlich wissen, dass er das Geld dafür erhalte, die vorgegebenen Beschlüsse auszuführen. Die Schulen waren zu Werbeveranstaltungen zwangsverpflichtet worden.
…
Der Kampf gegen die Schulreform hat die Eltern schulpflichtiger Kinder, ganz gleich welcher sozialen Schicht und welcher Parteizugehörigkeit, zusammengeschweißt. Es ist eine bürgerliche Volksbewegung entstanden wie es sie schon lange nicht mehr gegeben hat. …
faz.net 19.7.2010
Volksbewegung – das erinnert an den Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform in Schleswig-Holstein. Verbot von Werbespots der Bürgerinitiative – das hatten wir ein halbes Jahr später in Berlin. Daß die Bürger ihre Verdummung selber bezahlen müssen, ist weithin üblich in dieser Demokratie.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 01.06.2010 um 15.01
Gut drauf
Unschlagbar in seiner guten Laune ...
Von Lorenz Jäger
Unheimlicher als ein Mensch, der ständig verbiestert dreinschaut, ist doch einer, der seine gute Laune so zwanghaft, unausgesetzt und unerschütterlich, ja unerbittlich verbreitet, dass man daran zweifelt, ob er die Wirklichkeit überhaupt noch erfasst …
Tauss’ gute Laune blieb dennoch unschlagbar, auch wenn es um ernstere Dinge ging. Er war zeitweise der Abgeordnete mit den meisten Zwischenrufen. In der Bundestagsdebatte zur Rechtschreibreform erklärte der frühere DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke von der CDU: „Die Kultusminister haben sich in politischer Regelungswut am Heiligsten einer Kulturnation vergriffen: der Sprache.“ Zwischenruf Tauss: „Ach, du lieber Gott!“. Auch jetzt lacht unser Mann wieder herzlich. …
Sein Blog heißt „tauss-gezwitscher“. Unter den Schlagwörtern, die dort aufgelistet werden, findet man beim Buchstaben „K“ Korruption, Kryptographie und Kryptoregulierung, aber nicht: Kinderpornographie. Nun, da das Urteil gesprochen, aber noch nicht rechtskräftig ist – Freiheitsstrafe auf Bewährung –, zwitschert er munter weiter: „Wegen vieler Nachfragen, vor allem zum ,sexuellen Interesse‘, habe ich zum Urteil gezwitschert.“ Spaß muss sein. Man vermisst nur das „lol“ am Ende seiner Einlassungen.
FAZ.net 30.5.2010
eingetragen von Sigmar Salzburg am 30.05.2010 um 09.09
Bewertung
Strengere Regeln lassen weniger Spielraum
Der Gesetzgeber hat das Bewertungsrecht nach mehr als 20 Jahren neu sortiert. Im Alltagsgeschäft von Immobilienbewertern sollte sich jedoch nicht viel ändern.
… Praktiker wie der Berliner Sachverständige Eberhard Stoer sehen in dem nun vorliegenden Regelwerk vor allem eine notwendige Präzisierung und Anpassung an den zeitgemäßen Sprachgebrauch. Er fühlte sich während des Gesetzgebungsverfahrens etwas an die Rechtschreibreform erinnert: „Viel Gedröhne, und das Ergebnis ist dünn.“
faz.net 28.05.2010
eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.05.2010 um 10.34
Bildungsarmut
Wie lang ist der Hals einer Giraffe?
Bildungsarme Kinder können im dritten Schuljahr oft kaum lesen und rechnen, später finden sie darum keine Lehrstelle und rutschen übergangslos in die „Maßnahmen“ des Arbeitsamtes. Noch mehr Geld oder sogenannte Bildungslotsen werden an diesem Zustand nichts ändern.
Von Regina Mönch
03. Mai 2010
In einer Grundschule im Norden von Berlin-Neukölln kämpft ein engagiertes Lehrerkollegium gegen die Sprachlosigkeit seiner jüngsten Schüler. Der ganze Unterricht hat ein Ziel: Die Kinder sollen auch jenseits ihrer heimeligen Parallelgesellschaft eine Chance haben, eine andere als die nächste Hartz-IV-Generation zu werden. Mehr als achtzig Prozent der Schüler kommen aus Migrantenfamilien, oft ist ein Elternteil aus der Türkei oder dem Libanon zur Verheiratung und Familiengründung nach Deutschland geholt worden. Aus den Belegen für kostenlose Lernmittel weiß Schulleiterin Astrid-Sabine Busse, dass allein für die Familien ihrer Schulkinder Monat um Monat vierhunderttausend Euro an Sozialhilfe gezahlt werden. …
Am Geld liegt es nicht
Die Durchschnittsleistungen waren bisher zufriedenstellend, aber es lohnt ein genauer Blick auf die Ergebnisse, und die sind zum Teil erschreckend. Denn zu den Befunden der drei Schwierigkeitsstufen ist noch ein vierter hinzugekommen: „Kein hinreichender Nachweis für grundlegende Fähigkeiten im Lesen“. Das traf beim vorigen Test auf neunzehn Prozent der Berliner Schüler in dritten Klassen zu, deren Muttersprache nicht die deutsche ist (neun Prozent waren es bei den anderen). 49 Prozent der Schüler verstanden gerade einmal die einfachsten Lesetexte. Die Rechenleistungen waren ähnlich desaströs. Wenn aber am Ende der Alphabetisierungsphase fast sechzig Prozent der Kinder aus Migrantenfamilien kaum oder so gut wie nicht lesen und rechnen können, muss man sich fragen, wohin das führt. Die Gründe dafür sind nur bedingt in der Schule zu suchen, die trotz enormer Geldaufwendungen offenbar nicht über die geeigneten Instrumente verfügt, diesen Notstand zu beheben. … Mit forschen Bekenntnissen zur unbestreitbaren Weltoffenheit dieser Stadt und mit Verweisen auf „bereits vielfach erfolgreich gelebte“ Integration, wie sie Berlins Sozialdemokraten – voran der Bürgermeister – lieben, ist dagegen nicht anzukommen...
FAZ 3.5.2010
Der umfangreiche Artikel überschreitet den Rahmen des hier zu Diskutierenden, zeigt aber eins deutlich: Das Argument, das für die „Rechtschreibreform“ oft angeführt wurde, nämlich das leichtere Lernen und Lesen auch für Migranten und Ausländer, war und ist fern von jeder Realität.
N.B: Die Probleme treten nicht nur bei Unterschichtmigranten auf. Ein früherer libanesischer Studienkollege, der kaum zwei Punkte mit dem Lineal verbinden konnte, rechtfertigte sein Studium des öfteren damit, daß sein Vater Millionär sei.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 15.10.2008 um 10.52
Jeder Reform folgt Verdruss
Frankfurter Allgemeine Zeitung - 13. Okt. 2008
Souverän navigiert Bollmann durch die Jahrhunderte: vom Basler Konzil zu den Stein-Hardenberg-Reformen, von Luther zur Rechtschreibreform, von Bismarck zu ... [n.Google News]
Ralph Bollmann: Reform. Ein deutscher Mythos. wsj Verlag Berlin, 19,90 Euro.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.10.2008 um 09.01
07. Oktober 2008 In der Welt dieser Politikerin führt die Lüge direkt zur Wahrheit; zu den ominösen politischen „Inhalten“ nämlich, deretwegen sie das Recht, ja die Verpflichtung zu haben glaubt, nach der Macht zu streben. Sie muss die Menschen … einfach mit ihrem Regime beglücken … Und auch, dass siebzig Prozent … gegen das anstehende [Projekt] sind, hat keine Bedeutung. Das ist nur eine Momentaufnahme und kein Grund, sich zu wundern, schließlich ist das Projekt … „neu und ungewöhnlich“, aber sie traut es sich zu. Nur darauf kommt es an.
… Und sie vermag zwei Sätze später ungerührt von „Glaubwürdigkeit“ zu sprechen,…
Was immer man von … halten mag, eines vernichtet er in jedem Fall - das Vertrauen der Wähler in die Politik, in die Politiker, in die Parteien. Denn was und wem soll man noch glauben, wenn einem noch die größte Lüge als allein selig machende¹ Wahrheit verkauft wird? Niemandem, und also wächst die Partei der Nichtwähler. Auch das ist ein politischer „Erfolg“.
… dann eine Ausgabe der „Tagesthemen“, die man nur noch meschugge nennen kann, spielte sie doch in unverantwortlicher Weise mit der Panik der so genannten² kleinen Leute, die noch nicht eingetreten ist ….
Man muss eine Lüge nur lange genug wiederholen, dann wird sie zur Wahrheit.
Text: FAZ.NET
7.10.2008
FAZ
¹) Das Adjektiv “alleinseligmachend” ist abgeschafft. Zur Auswahl stehen nur noch „allein seligmachend“ und, mit unbegründeter Duden-Empfehlung, „allein selig machend“.
²) Dieser Satz wurde nur wegen der FAZ-unwürdigen Reformspießerschreibung von „sogenannt“ zitiert.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.05.2008 um 09.36
Auf FAZ.net wurde der „Reading Room“, so genannt angeblich auf Betreiben des Herausgebers und Reformanpassers Frank Schirrmacher, in „Lesesaal“ umgetauft.
http://lesesaal.faz.net/limbach/article.php?txtid=umbenennung
Lesermeinungen:
09.05.2008 | 13:43 Uhr
Hagen Bobzin schreibt: Auf der Zunge
Man muss sich den einleitenden Satz zur Rettung der Reinheit der deutschen Sprache auf der Zunge zergehen lassen:
Sprachpuristen atmen auf, Freunde der deutschen Sprache zufrieden durch: Unser virtueller Leser-Tummelplatz mit dem Taufnamen "Reading Room" heißt jetzt "Lesesaal".
08.05.2008 | 14:27 Uhr
Jens Heyn schreibt: Demokratie
Also funktioniert die Demokratie bei der F.A.Z. wenigstens noch, aber als Strafe folgt der "Grimme Online Award".
Wer’s glaubt, wird selig: Als die FAZ den Kotau vor der ss-Schreibung machte, hat keiner zuvor die Leser befragt.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.04.2008 um 12.45
Kehlmann entscheidet
Kleist-Preis für Max Goldt
[Bild]
Auf dem Weg zum Klassiker: Max Goldt
07. April 2008 Der Schriftsteller und Musiker Max Goldt erhält den Kleist-Preis 2008. Der Autor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) habe als Vertrauensperson der Jury Goldt für die Auszeichnung ernannt, teilte die Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft am Montag in Berlin mit.
Der 1958 in Göttingen geborene Goldt habe als Kolumnist der Zeitschrift „Titanic“, Essayist und Prosakünstler den deutschen Alltag bis „zur Kenntlichkeit entstellt“, hieß es zur Begründung. Mit seinem Witz, Scharfsinn und ästhetischen Urteilsvermögen sei er dem Sprachkritiker Karl Kraus (1874-1936) vergleichbar.
faz.net 7.4.2008 faz.net
Kehlmann und die Titanic pflegen trotz aller Widrigkeiten immer noch die traditionelle Kulturrechtschreibung. In der neuesten Ausgabe erschien von Max Goldt der Text „Ein ganz normales Ehepaar aus Peking“.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 26.10.2006 um 20.14
Für wen sonst?
Zu „Debatte über die ‚Unterschicht’“ (F.A.Z. vom 17. Oktober): Selbstverständlich gibt es eine Unterschicht in Deutschland. Für wen sonst wäre denn die deutsche Rechtschreibung „reformiert“ worden? Und hat nicht erst kürzlich der Klassenkämpfer Müntefering, der jetzt urplötzlich keine Schichten, sondern nur noch eine Gesellschaft kennen will, all jene, die aus Gründen ihrer kulturellen Identität an der bewährten Rechtschreibung festhalten, als „Hochwohlgeborene“ geschmäht, die sich aus „Standesdünkel“ verweigerten?
Dr. med. Johannes F. Michael,
Mannheim
[F.A.Z. v. 26.10.2006]
eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.10.2006 um 06.55
Die Korrekten
Zum Artikel „Lehrerverband lehnt Datenbank über Schüler strikt ab" und zum Kommentar „Schöne neue Elternwelt", (F.A.Z. vom 30. September): Zählt man eins und eins zusammen, wird ein Schuh daraus: Lediglich eine Frage der Zeit ist es noch, bis das Elternglück deutscher Bundesbürger an die Verpflichtung gebunden sein wird, regelmäßige staatliche Erziehungshilfe in Anspruch zu nehmen und - wir fügen hinzu - die Kinder auf die inzwischen zur regulären Schulform avancierten Ganztagsgemeinschaftsschulen zu schicken. Daß auch nur dann Elterngeld fließt, versteht sich. Und was wir Eltern sonst so auf dem Kerbholz haben (akademische Bildung etwa, Kirchenmitgliedschaft oder Ablehnung der neuen Schlechtschreibung nebst F.A.Z.-Abonnement), findet sich in der zentralen KMK-Schülerdatenbank, die es erlaubt, Schüler aus solchen Risikogruppen rechtzeitig zu identifizieren und im Sinne der „Chancengleichheit"' staatlicherseits gezielt zu „integrieren". Schönes neues Deutschland der politisch Korrekten!
Anne Sophie Meincke, München
Hendrik Hase, München
[FAZ v. 16.10.2006]
eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.10.2006 um 11.06
Stetiger Lehrermangel
Zu „Philologenverband: Lehrermangel dramatisch" (F.A.Z. vom 25. September): Es stellt sich immer mehr heraus, daß der Lehrermangel eine Art Naturkonstante ist. Jedes Jahr wird er vom Philologenverband und den Elternbeiräten aufs neue präsentiert. Dann wundern sich die Kulturpolitiker, verbreiten bekannte Worthülsen, ändern tut sich nichts. Stehen Wahlen an, wird die Bildungspolitik als „oberstes Ziel" proklamiert, und dann legen sich die Kulturpolitiker wieder schlafen. Die größte „Leistung" der deutschen Kultusministerien der letzten Jahre war die sogenannte Rechtschreibreform, von niemandem gewollt und auch nicht benötigt. Eine andere großartige Innovation war die Erfindung der Exzellenz-Universität, begleitet von Bachelor und Master. Alles unsinniger Aktionismus und der Bildung eher hinderlich. Man sollte die Kultusministerien ersatzlos auflösen und ihren Beamten eine sinnvolle Tätigkeit geben, zum Beispiel Wald entrümpeln oder aufforsten.
Ludwig Schichtl, Baldham
[FAZ v. 11.10.06]
eingetragen von Norbert Lindenthal am 22.07.2006 um 17.17
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.7.2006
Rechtschreibreform
Zahlreiche Widersprüche
Von Heike Schmoll
Nie war der Variantenreichtum in der Rechtschreibung größer als jetzt
22. Juli 2006
„Die Grundregel, nach der zwei Verben getrennt geschrieben werden, ist so eindeutig und einfach, dass wir ihre Anwendung auch bei übertragenem Gebrauch empfehlen.“ Diese von der Dudenredaktion offenbar in der Annahme formulierte Regel, daß einfache Regeln das Erlernen der Orthographie erleichterten, hat erhebliche Auswirkungen auf die Wörterliste. Beispiele dafür sind „hängen bleiben“, „sitzen bleiben“, „kleben bleiben“, „laufen lassen“, „spazieren gehen“, „springen lassen“, „verloren geben“, „wissen lassen“.
Dasselbe gilt aber auch für die Verbindung von Adjektiv und Verb, bei der die Getrenntschreibung fast durchgehend empfohlen wird. Allerdings wird diese selbst im Duden nicht immer konsequent durchgehalten: „frei machen“ steht neben „freikratzen“, „nichtssagend“ neben „nichts ahnend“, „Leben spendend“ neben „todbringend“, „wohlriechend“ neben „übel riechend“. Während „alleinerziehend“ zusammengeschrieben werden soll, will die Dudenredaktion „allein selig machend“ getrennt schreiben, während „allgemeinbildend“ ebenfalls in einem Wort empfohlen wird, soll „allgemein verständlich“ in zwei Worten geschrieben werden. Im neuen Duden finden sich viele Widersprüche.
Absichten des Rechtschreibrats nicht im Duden
Offenbar haben weder der Vorsitzende des Rechtschreibrates, Zehetmair, noch andere Ratsmitglieder von den Entscheidungen der Dudenredaktion gewußt. Kritik am neuen Duden äußerte etwa ein österreichisches Ratsmitglied, das den Rechtschreibrat aufforderte, öffentlich zu erklären, daß er seine Absichten im Duden nicht wiedergegeben sehe. Jedenfalls trifft Zehetmairs Zusage an Zeitungen und Verlage, es werde eine Art „Hausorthographie von der Stange“ geben, nicht zu, wenn es darum geht, die Beschlüsse des Rates zu verwirklichen. Ob sich die Duden-Empfehlungen gegen die unvollständigen Reparaturversuche des Rates durchsetzen, hängt entscheidend davon ab, welche Orthographie Eingang in die automatischen Schreibhilfen, in Korrekturprogramme findet. Der Springer-Verlag, der schon zum 1. August umstellt, und die „Süddeutsche Zeitung“ werden nicht den Beschlüssen des Rates, sondern den Vorschlägen der Dudenredaktion folgen und damit reformhöriger schreiben denn je.
Die Beschlüsse des Rates jedoch sind laut Beschluß der Kultusminister vom 2. März dieses Jahres vom 1. August an verbindliche Grundlage des Unterrichts an den Schulen. Das gültige Wörterverzeichnis sei im Internet zugänglich, hieß es damals bei der Kultusministerkonferenz (KMK). Bis zum 31. Juli 2007 werden Schreibweisen, die durch die Neuregelung (Arbeit des Rechtschreibrates) überholt sind, nicht als Fehler markiert und bewertet. „In Zweifelsfällen werden Wörterbücher zugrunde gelegt“, heißt es dazu im Beschluß der KMK. Doch die Auswahl des in den Schulen benutzten Wörterbuchs wird zu einem Politikum. Denn mit der Wahl des Wörterbuchs ist die Entscheidung für eine eher am Rechtschreibrat angelehnte Schreibweise (Wahrig) oder eine dem Willen der Rechtschreibreformer folgende Orthographie (Duden) verbunden.
Nie zuvor so viele Varianten
Vor allem die Deutschlehrer sind nicht zu beneiden. Weder im neuen Duden noch im Wahrig werden sie die 1996 eingeführten und dann - teilweise klammheimlich in neuen Auflagen - korrigierten und bis 2004 geltenden Schreibweisen finden. Sie wurden in den Schulen zehn Jahre lang gelehrt. Diese Episode der Rechtschreibgeschichte wird ebenso totgeschwiegen wie die Entlassung der Zwischenstaatlichen Kommission. Die Lehrer sind deshalb darauf angewiesen, vorhergehende Wörterbücher (Duden in 23. Auflage oder Vorgänger des Wahrig) zu konsultieren, um in der Übergangsfrist zutreffend zu korrigieren.
Noch nie war der Variantenreichtum in der deutschen Rechtschreibung so groß wie nach der Reform der Reform, die daran krankt, daß der Rechtschreibrat seine Arbeit nicht abschließen konnte und etwa das wichtige Kapitel der „Laut-Buchstaben-Zuordnung“ nicht abhandelte. Für Rechtschreibanfänger und Ausländer, die sich tatsächlich dazu entschlossen haben, Deutsch zu lernen, bergen die Varianten kaum lösbare Schwierigkeiten. Denn die Beherrschung der Rechtschreibung gründete schon immer auf Analogiebildung. Dieses Prinzip versagt völlig, zumal niemand mehr weiß, welche Rechtschreibung nun gilt. Die des Rates, die des Duden, die des Wahrig?
Auch „Wahrig“ teilweise halbherzig
Das Rechtschreibwörterbuch „Wahrig“ bildet die von den Kultusministern verordnete Schulorthographie und damit auch die Beschlüsse des Rechtschreibrates zuverlässiger ab als der Duden. Bei der Frage, wie zusammengesetzte Verben geschrieben werden, entscheidet sich die Redaktion des Wahrig eher für die Zusammenschreibung als für zwei Worte, das gilt übrigens für zweihundert Fälle, die selbst vor der Reform nicht in einem Wort geschrieben wurden (spielenlassen, platzenlassen, setzenlassen, steigenlassen, vermissenlassen).
Aber auch der Wahrig kann die halbherzigen Schritte des Rates nicht besser machen, als sie sind. Jetzt rächt sich, daß der Rat sich nicht auf Empfehlungen einigen konnte und von der KMK unter Zeitdruck gesetzt wurde. Die Auslegung der Beispiele war den Wörterbuchredaktionen überlassen. Abweichungen waren deshalb unausweichlich. Die Arbeit des Rates ist auf Wunsch der Kultusminister nur unterbrochen worden, von einem Abschluß kann keine Rede sein, vielmehr hat der Vorsitzende wiederholt angekündigt, der Rat werde sich weiter mit strittigen Bereichen befassen. Im September findet die nächste Ratssitzung in München statt.
Text: F.A.Z., 22.07.2006, Nr. 168 / Seite 2
Bildmaterial: dpa
eingetragen von Norbert Lindenthal am 20.07.2006 um 15.21
Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.07.2006
Rechtschreibreform
Die Vernunft kehrt nur in Trippelschritten zurück
Von Theodor Ickler
Bild: Wahrig-Wörterbuch
Endlich Sicherheit? Immer noch viel Unsinn: der neue Wahrig
20. Juli 2006
Am 1. August 2006 soll die zum zweitenmal revidierte Rechtschreibreform für die Schulen verbindlich werden. Die amtlichen Texte (dreihundert Seiten Regeln und Wörterverzeichnis) liegen auch weiterhin nicht gedruckt vor, sondern können nur aus dem Internet heruntergeladen werden - für die tägliche Schreib- und Korrekturpraxis ein unhaltbarer Zustand. Auch sind die Regeln viel zu kompliziert und auslegungsbedürftig, als daß sie von Lehrern oder gar Schülern unmittelbar angewandt werden könnten.
In Gestalt des Wahrig liegt das erste Wörterbuch vor, das die Revision auf den deutschen Wortschatz anwendet (Wahrig: „Die deutsche Rechtschreibung“. Herausgegeben von der Wahrig-Redaktion. Wissen Media Verlag, Gütersloh/München 2006. 1216 S., geb., 14,95[Euro]). Die Wahrig-Redaktion ist im Rat für deutsche Rechtschreibung vertreten, hat die amtlichen Regeln mitverfaßt und wurde bei ihrer Arbeit durch die Geschäftsführerin des Rates unterstützt.
Man nimmt daher von vornherein an, daß die neuesten Regeln zuverlässig umgesetzt sind. Das amtliche Wörterverzeichnis wurde von einer selbsternannten Redaktionsgruppe aus Ratsmitgliedern angefertigt, der Rat als ganzer hat es nicht mehr gesehen, bevor die Kultusminister es ohne weitere Diskussion billigten. Die Wörterbuchverfasser lassen sich außerdem von einer inoffiziellen „Handreichung“ leiten, die von derselben Gruppe am Rechtschreibrat vorbei angefertigt wurde und äußerst folgenreiche Ausführungsbestimmungen enthält. Auch für die meisten Ratsmitglieder dürfte teilweise neu sein, was aus jenen Vorlagen folgt, die sie seinerzeit pauschal beschlossen hatten.
Aktuell statt endgültig
Im Gegensatz zum Dudenverlag, der die „Endgültigkeit“ der jetzigen Regelung betont, will der Wahrig nur den „aktuellen“ Stand festhalten. Zwar wirbt er auf dem Umschlag: „Neu - Neu - Neu - Neu - Endlich Sicherheit!“ Aber die Redaktion ist sich des Übergangscharakters der jetzigen Regelung bewußt. Auch die Wahrig-Sprachberatung spricht stets von der „derzeit verbindlichen Fassung des amtlichen Regelwerks“ und von den „derzeit gültigen Regeln“. Tatsächlich sind weitere Änderungen unausweichlich und vom Rat auch bereits in Aussicht gestellt. Notenrelevant ist die jetzige Regelung ohnehin noch nicht und wird es vielleicht nie werden.
Es ist dem Verlag gelungen, den Vorsitzenden des Rechtschreibrates und einstigen Hauptverantwortlichen für die ganze Reform, Kultusminister a. D. Hans Zehetmair, als Vorwortschreiber zu gewinnen. Allerdings scheint ihn die gewohnte Formulierungsgabe verlassen zu haben, sein Text wirkt unkonzentriert: „Sprache ist ein hohes Gut. Sie ist die wichtigste Kommunikation des Menschen, um Kultur zu schaffen und zu leben.“ Die Revision der mißlungenen Reform - Zehetmair spricht beschönigend vom „Glätten evidenter Unebenheiten“ - bezeichnet er als „behutsame Aufgabe“.
Für die Schule nicht geeignet
Im ersten Teil sind neben den üblichen Benutzungshinweisen die amtlichen Regeln abgedruckt, ferner eine allgemeinverständliche Übersicht über diese Regeln und dankenswerterweise auch eine Synopse der Neuerungen gegenüber der Revision von 2004. Die offenen Beispiellisten geben eine Ahnung von der explosionsartigen Zunahme der Varianten und vom Umfang der Änderungen, die der Rat für deutsche Rechtschreibung trotz seiner (Selbst-)Fesselung durch eine unsachgemäß begrenzte Agenda vorgenommen hat.
Im Wörterverzeichnis selbst ist nicht zu erkennen, was sich gegenüber 1996 und 2004 geändert hat. Durch Blaudruck gekennzeichnet sind nämlich nur die Neuerungen gegenüber dem Duden von 1991. Folglich stehen „zu eigen machen“, „guttun“ und viele andere Wörter wieder so da wie vor der Reform, als hätte man ihnen seither kein Haar gekrümmt, und doch mußte das eine zehn Jahre lang groß, das andere getrennt geschrieben werden. Daß seit 1996 in Hunderten von Fällen ganz andere Schreibungen „gültig“ waren und seither in Millionen von Wörterbüchern, Schulbüchern und Kinderbüchern stehen, wird kaschiert, die peinlichste Episode der deutschen Sprachgeschichte damit stillschweigend entsorgt. Im Sinne der Reformdurchsetzung ist das ein schlauer Schachzug, mit dem sich der Verlag allerdings selbst ein Bein stellt. Lehrer müssen ja wissen, welche Schreibweisen in der Übergangszeit bis August 2007 (in der Schweiz bis 2009) noch toleriert werden, also etwa „zu Eigen“, „Pleite gehen“ und „Leid tun“. Für die Schule ist der Wahrig damit von vornherein nicht geeignet.
Schlichte Vergangenheitsbewältigung
„Der neue Wahrig gibt Empfehlungen in Fällen, in denen zwei Schreibweisen parallel zulässig sind.“ So hatte es in der Werbung geheißen, als Antwort auf die Ankündigung des Duden, durch nicht weniger als dreitausend gelb unterlegte Empfehlungen Einheitlichkeit schaffen zu wollen - was übrigens ein Licht auf Zehetmairs Lobpreis der angeblich erreichten Vereinheitlichung wirft. Mit den Empfehlungen der Wahrig-Redaktion ist es nicht weit her. Es sind nur ein paar Dutzend, sie wirken zufällig eingestreut und haben gewöhnlich diese bescheidene Form: „! In der Fügung der Runde Tisch (= der Verhandlungstisch) empfiehlt es sich, das Adjektiv rund großzuschreiben, um die idiomatisierte Bedeutung der Verbindung hervorzuheben.“ Oft verweisen sie auf den Schreibgebrauch. Bei konsequenter Befolgung dieses Maßstabes wäre allerdings die ganze Reform überflüssig gewesen.
Die Auswahl der Stichwörter ist annehmbar. Man wird immer einiges vermissen. Sollten im Belegkorpus der häufig falsch geschriebene „Cinchstecker“ oder die im Fußballjournalismus beliebte „Blutgrätsche“ nicht vorkommen? Auch „ewiggestrig“ und die im amtlichen Wörterverzeichnis ausdrücklich erwähnte „Fritfliege“ fehlen genau wie in früheren Auflagen. Bei der Auswahl der Eigennamen bleibt das Wörterbuch einer alten Bertelsmann-Tradition treu: Die Namen sozialistischer Größen wie Stalin, Lenin, Trotzki, Liebknecht, Luxemburg und sogar Zetkin sind aufgeführt, nicht aber die rechtschreiblich durchaus schwierigen Hitler, Goebbels oder Göring - eine recht schlichte Art der Vergangenheitsbewältigung.
Dabei gibt es noch Anal-phabeten
Obwohl der Rechtschreibrat bisher nur einen Teil der amtlichen Regeln bearbeiten durfte, gehen die Änderungen in die Tausende, schon wegen der Silbentrennung. Hier ist bekanntlich die Abtrennbarkeit einzelner Buchstaben (a-brupt, Musse-he, Bi-omüll) wieder beseitigt. Dagegen hat sich der Rat noch nicht zur herkömmlichen Trennung von ck durchringen können, es bleibt bei Zu-cker, in klarem Widerspruch zu §3 des Regelwerks (“Statt kk schreibt man ck“). Einige Trennungen wie transk-ribieren sind in der Neubearbeitung gestrichen. Diag-nose, Subs-tanz, Pithe-kanthropus, Thermos-tat, Rest-riktion, Katas-trophe und Katast-rophe und viele andere bleiben aber zulässig und sind auch weiterhin verzeichnet. Sie ruinieren jeden anspruchsvolleren Text.
Es war dem Ratsvorsitzenden ein ernsthaftes, auf Pressekonferenzen vorgetragenes Anliegen, vor Anal-phabet und Urin-stinkt zu warnen. Tatsächlich ist für diese Beispielwörter die angeblich irreführende Trennung im Wörterverzeichnis gar nicht angegeben, als handele es sich um ein Verbot. Der Rat hatte im November 2005 ausdrücklich das Gegenteil beschlossen. Auch Frust-ration und Lust-ration sind, obwohl regelkonfom, nicht mehr angeführt, wohl aber der Kast-rat.
Man darf wieder großschreiben
Die Kommasetzung hat noch einmal einen Komplizierungsschub erfahren. Der erweiterte Infinitiv soll wieder durch Komma abgetrennt werden, aber nur nach bestimmten Bezugselementen wie Substantiven und Pronomina, nicht nach Verben. So stehen nebeneinander: „Er hat die Absicht, morgen abzureisen“ und „Er beabsichtigt morgen abzureisen“. Das ist weder für Schüler einfach noch dem Leser dienlich.
Die Höflichkeitsgroßschreibung der Briefanrede (Du, Ihr, Dein) ist zumindest wieder zugelassen. Wie am „Runden Tisch“ bereits zu erkennen, werden auch feste Begriffe grundsätzlich wieder groß geschrieben. Hinter der wiederaufgestoßenen Tür der „Fachsprachlichkeit“ trifft man nicht nur alte Bekannte, sondern auch viele neue Gesichter: den „Schwarzen Peter“ und die „Erste Hilfe“, aber auch die „Aktuelle Stunde“, den „Grünen Tisch“, die „Graue Eminenz“ und manches andere.
Was ist von einer Reform mit derartigen Mißgriffen zu halten?
Die absurde Großschreibung „Bankrott gehen/Pleite gehen“ wird zurückgenommen, die bisher übliche Kleinschreibung aber nicht wiederhergestellt, sondern statt dessen Zusammenschreibung angeordnet - mit der Begründung, die Gesamtbedeutung lasse sich nicht aus den Bestandteilen erschließen. Aber nichts könnte einfacher sein: manches geht kaputt, entzwei, verloren, verschütt und eben auch bankrott oder pleite. Interessant ist immerhin das Eingeständnis, daß es sich bei pleite und bankrott um Adjektive handelt - warum mußten sie dann seit 1996 groß geschrieben werden?
Den Ratsmitgliedern ist aber noch immer nicht klarzumachen, daß in leid tun (1996: Leid tun, 2006 leidtun) keineswegs ein „verblasstes Substantiv“ steckt. Wahrig gibt folglich den falschen Kommentar, leid habe hier „die Eigenschaften eines selbstständigen Substantivs verloren“. Statt „erste Hilfe ist Not“ heißt es wieder „Erste Hilfe ist not“. Groß geschriebenes „Diät leben“ bleibt erhalten, ebenso „Vabanque spielen“, als handele es sich um ein Spiel wie Roulette. Bei „recht haben“ ist zwar die grammatisch richtige Kleinschreibung wieder zugelassen, aber von der Großschreibung wollten die Reformer dennoch nicht lassen: „wie Recht du hast“ und „wie Unrecht tut ihr mir“ soll weiterhin korrektes Deutsch sein.
Was ist von einer Reform zu halten, die sich derartige Mißgriffe erlaubt? Das fragt man sich nachträglich auch noch, wenn man sieht, daß die abwegige Großschreibung jemandem Feind sein/Freund sein endlich zurückgenommen ist, nachdem sich die Reformer zehn Jahre lang geweigert haben, diese grobe Verkennung einer Wortart zuzugeben. Die unsinnige Großschreibung „morgen Früh“, eine Erfindung der dahingeschiedenen Zwischenstaatlichen Kommission, ist immer noch nicht beseitigt.
Eine alte Dudenmarotte, weitergedreht
Die Redaktion empfiehlt, Drähte „bloß zu legen“, sein Innerstes hingegen „bloßzulegen“. In solchen Fällen greift das Wörterbuch eine alte Dudenmarotte wieder auf und treibt sie noch ein Stück weiter. Der Grundsatz, metaphorischen Gebrauch auch orthographisch zu kennzeichnen, läßt sich nicht konsequent durchführen und ist außerdem widersinnig, weil er die Metapher zerstört; er bringt sie gewissermaßen um ihre Pointe.
Überraschenderweise werden auch ganz neue Zusammenschreibungen mit Verben eingeführt. Das Wörterbuch führt exemplarisch über zweihundert Fälle an, die vor der Reform gar nicht zulässig waren: spielenlassen (die Muskeln, nicht die Kinder), kommenlassen (die Kupplung, nicht die Feuerwehr), platzenlassen (eine Veranstaltung, aber nicht einen Luftballon), setzenlassen (ohne Erläuterung), sprechenlassen (Blumen), steigenlassen (Partys, aber nicht Drachen), sterbenlassen (Projekte, nicht Patienten), vermissenlassen (Feingefühl). Das sind Extrapolationen, an die gewiß kein Mitglied gedacht hat, als der Rat die traditionelle Zusammenschreibung von „bleiben“ und „lassen“ mit Positions- und Fortbewegungsverben wiederherstellte. Daß jemand Feingefühl „vermissenlässt“ und daher die Muskeln „spielenlässt“; daß „du es mich wissenließest, indem du Blumen sprechenließest“ - das ist zweifellos gewöhnungsbedürftig, denn es finden sich dafür auch in sehr großen Textcorpora keine Belege.
Eine Frage soll offenbleiben, eine Tür offen bleiben. Für hängenlassen wird Getrenntschreibung bei konkreter Bedeutung empfohlen; als Beispiel wird angeführt die Ohren hängen lassen (,den Mut verlieren'), aber gerade das ist übertragener Gebrauch. Gäbe es nicht eine Beliebigkeitsklausel, die letzten Endes alles offenläßt oder offen läßt, könnte der ratsuchende oder Rat suchende Benutzer schier verzweifeln. Der exzessiven Zusammenschreibung steht übrigens entgegen, daß der Rechtschreibrat sich erfolgreich dagegen wehrte, spazierengehen, -fahren oder -reiten wieder zuzulassen; nur kennenlernen ließ er sich abringen, aber schon nicht mehr liebenlernen und schätzenlernen.
Da bleibt kein Stein auf dem anderen
Die mit wieder zusammengesetzten Verben waren von Anfang an so undurchsichtig geregelt, daß die Wörterbuchredaktionen seit zehn Jahren mit den unterschiedlichsten Auslegungen aufwarten. Im neuen Wahrig versucht ein großer Informationskasten Klarheit zu schaffen, treibt aber die Willkür auf die Spitze. Die einzelnen Einträge sind schlechterdings nicht nachvollziehbar: Warum darf „wieder aufarbeiten“ nur getrennt, „wiederaufbereiten“ aber nur zusammengeschrieben werden, während bei „wiedereingliedern“ beides möglich ist? Die Liste willkürlicher Festlegungen wäre noch länger, wenn nicht geläufige Verben wie wiederbesetzen und wiedererwerben einfach weggelassen wären; ihre aktuelle Schreibweise ist aus den Regeln nicht herleitbar. In der vorigen Auflage gab es die unsinnige Vorschrift, „wiedertun“ (mit einem Akzent) durch „wieder tun“ (mit zwei Akzenten) zu ersetzen; in der Neufassung bleibt es bei einem Akzent auf wieder - und dennoch bei Getrenntschreibung, obwohl der Kasten genau das Gegenteil erwarten läßt.
Auch ist der Unterschied zwischen Adverb und Verbzusatz keineswegs immer an der Betonung zu erkennen: Man will das Denkmal wiederherstellen kann durchaus gleich betont werden wie „Die Fabrik will dieses Produkt wieder (aufs neue) herstellen“. Gerade bei den Verben mit wieder- bleibt kein Stein auf dem anderen, aber dies kann der arglose Benutzer wegen der eigentümlichen Markierungspraxis nicht erkennen. Die Fälle brustschwimmen, delphinschwimmen und marathonlaufen (dies ist neu und hätte blau gedruckt werden müssen) werden in Anlehnung an den alten Duden interpretiert, die amtliche Regelung ist an dieser Stelle unverständlich.
Die deutsche Rechtschreibung: endgültig unbeherrschbar
Zusammensetzungen mit sein (beisammensein) bleiben kategorisch ausgeschlossen, die im Jahre 2004 wiederzugelassenen „beisammengewesen“ und „zurückgewesen“ sind auch im amtlichen Verzeichnis wieder getilgt, aber der Eintrag „dagewesen“ ist neu hinzugekommen, als einzige, nirgendwo begründete Ausnahme. Der Rechtschreibrat hat darüber nicht gesprochen, es muß sich also um eine Eigenmächtigkeit der Wörterbuchgruppe handeln.
Bei Verbindungen mit wohl sind rund dreißig neue Getrenntschreibungen durch Blaudruck hervorgehoben, da sie aber allesamt fakultativ und die früheren Zusammenschreibungen wieder zugelassen sind, könnte man sie einfach weglassen und wäre dann wieder genau bei der Regelung von 1991. Das Wörterbuch benötigt mehrere Spalten, um darzustellen, wie man Verbindungen mit schwarz schreibt. Die obligatorische Zusammenschreibung „bis du schwarzwirst“ kommt dennoch überraschend. Für fest-, voll- und tot- wird eine Sonderregel aufgestellt: Unter den Einzeleinträgen sind sie allesamt mit Verben zusammengeschrieben, weil sie, wie der Infokasten behauptet, reihenbildend und fast ausschließlich in Zusammenschreibung belegt seien.
Allerdings ist die Regel so formuliert, daß auch Getrenntschreibung erlaubt zu sein scheint, und eine einsame Ausnahme gibt es ohnehin auch hier wieder: „tot stellen“ darf nur getrennt geschrieben werden, Blaudruck weist nachdrücklich auf diese ausgeklügelte Neuerung hin. Auch „verrückt stellen“ soll wie bisher getrennt geschrieben werden, „verrücktspielen“ aber nur zusammen. Da es viele hundert Verfeinerungen dieser Art gibt, wird die deutsche Rechtschreibung nun endgültig unbeherrschbar.
Als könnte eine Hand breit Stoff sein
Das reformierte „Leid tragend“ ist getilgt, es gibt nur noch „leidtragend“, aber mit der sonderbaren Begründung: „In der Zusammensetzung leidtragend ist der Erstbestandteil durch eine Wortgruppe (viel Leid, großes Leid) ersetzbar. Daher gilt Zusammenschreibung.“ Dann müßten allerdings auch Besorgnis erregend, Ehrfurcht gebietend und viele weitere Verbindungen wieder zusammengeschrieben werden, und zwar immer. Das geschieht aber keineswegs, vielmehr sollen sogar Sätze wie „die Entwicklung ist Besorgnis erregend“, „diese Pflanzen sind Sporen tragend“ weiterhin korrekt sein; nicht einmal ein Warnschild wird vor solchen grammatischen Schnitzern aufgestellt.
Die „Handvoll“ ist wiederhergestellt, die „Hand voll“ aber noch nicht aufgegeben: zwei Hand voll Körner. Überraschenderweise werden durch die Revision sogar die „Hand breit“ (eine Hand breit Stoff) und der „Fuß breit“ (ein Fuß breit Boden) als neue Varianten eingeführt, ohne daß der Rechtschreibrat je darüber gesprochen hätte. Vielleicht wäre er darauf gestoßen, daß eine Hand zwar voll Körner sein kann, aber nicht breit Stoff.
Nach und nach wird ein Englischwörterbuch eingearbeitet
Das Wörterbuch schreibt - anders als das amtliche Regelwerk - durchweg selbstständig und erklärt, wie die meisten Reformer, die ältere Form selbständig für eine Verkürzung der jüngeren! Erfreulicherweise wird die herkömmliche Zusammenschreibung von „sogenannt“ ausdrücklich empfohlen, die Getrenntschreibung aber nicht wieder abgeschafft. Unter „Schlusssatz“ und „Schussstärke“ wird „der besseren Lesbarkeit wegen“ ein Bindestrich vorgeschlagen: Schluss-Satz, Schuss-Stärke. Darf man daran erinnern, daß „Schlußsatz“ ohne Probleme lesbar war und erst die Reform den Schaden angerichtet hat, der nun auf so unbeholfene Weise repariert werden muß? Daß nur „Eis-Schnelllauf“ und nicht „Eisschnell-Lauf“ (wie noch im Duden von 2004) „zulässig“ sei, trifft übrigens nicht zu; das neue Regelwerk enthält keine solche Vorschrift, schon weil der Bindestrich vom Rat gar nicht behandelt wurde.
Bei den Fremdwörtern ergeben sich sehr viele Änderungen durch die neue Regel, daß der Hauptakzent über die Zusammenschreibung entscheidet: Freestyle, Hightech, Shootingstar; Golden Goal, Private Banking, Round Table. Die neue Hauptregel lautet: „Aus dem Englischen stammende Bildungen aus Adjektiv + Substantiv können (!) zusammengeschrieben werden, wenn der Hauptakzent auf dem ersten Bestandteil liegt, also Hotdog oder Hot Dog, Softdrink oder Soft Drink, aber nur High Society, Electronic Banking oder New Economy.“ Durch die unterschiedlich akzentuierten Beispiele wird die Regel gleich wieder verdunkelt.
Auch bei Anfangsbetonung ist die Zusammenschreibung lediglich erlaubt, aber nicht zwingend. Das irreführende Verfahren zieht sich durch das ganze Wörterbuch. Neben Hotdog, Harddisk usw. ist also entgegen dem Augenschein auch bei Anfangsbetonung Hot Dog, Hard Disk möglich. Die Ergänzung lautet: „Sind beide Akzentmuster möglich, dann kann getrennt- wie zusammengeschrieben werden, zum Beispiel: Big Band/Bigband, Hot Pants/Hotpants, Small Talk/Smalltalk.“ Für „Charming Boy“ soll trotz Anfangsbetonung nur Getrenntschreibung gelten. (Der Eintrag ist zugleich ein Beispiel für die Tendenz, nach und nach ein englisches Wörterbuch in das deutsche einzuarbeiten.)
Frühere Auflagen wußten es noch besser
Die neue Regel ist nur für englische Entlehnungen formuliert, aber die Redaktion überträgt sie auf Wörter anderer Herkunft. So wird zur Unterscheidung von der neueingeführten Schreibweise „Haute Finance“ (mit gleichmäßiger Betonung) für das herkömmliche Hautefinance ein ganz unrealistischer Anfangsakzent postuliert; frühere Auflagen wußten es noch besser. Es rächt sich jetzt, daß die „Laut-Buchstaben-Beziehung“ und damit die Fremdwortschreibung vom Rechtschreibrat nicht behandelt werden durfte.
Wie schon 2005 wird im Wörterverzeichnis nur noch die Hybridschreibung Orthografie, orthografisch benutzt, im gesamten ersten Teil des Werkes aber weiterhin Orthographie und orthographisch. Bei Photosynthese wird die traditionelle fachsprachliche Schreibung empfohlen, bei Phonetik (neu Fonetik) nicht.
Neue Skurrilitäten trüben das Bild gleich wieder ein
Die Kennzeichnung reformierter und nichtreformierter Schreibweisen ist nicht immer gelungen. Die Wendung „um ein Vielfaches“ müßte blau gedruckt sein, denn der alte Duden wollte kurioserweise nur Kleinschreibung zulassen. Auch „Aupair“ ist neu und „zurzeit“ wenigstens für Deutschland. Dagegen ist der Blaudruck bei einigen Wörtern wie ernst nehmen oder der Drittletzte (,der Leistung nach') unbegründet, die Schreibweisen sind die alten. Die „spät Gebährende“ ist leider kein Druckfehler, denn es folgt sogleich die alternative Schreibweise „Spätgebährende“.
Insgesamt dokumentiert der Wahrig trotz mancher Versehen recht zuverlässig die von den Kultusministern jüngst verordnete Schulorthographie. Sie stellt der deutschen Sprachwissenschaft kein gutes Zeugnis aus. Die weiteren Verhandlungen des Rechtschreibrates müssen zeigen, ob die Reparaturarbeiten zu einem erträglichen Abschluß gebracht werden können. Man sieht zwar, daß die Richtung einigermaßen stimmt, aber Sinn und Verstand kehren nur in Trippelschritten zurück, und neue Skurrilitäten trüben das Bild gleich wieder ein. Eine durchgreifende Verabschiedung von den Fehlern der Reform wird dadurch erschwert, daß noch zu viele Altreformer mitzuentscheiden haben, darunter der Ratsvorsitzende selbst, der bei jeder Gelegenheit verkündet, eine Rücknahme der Reform komme nicht in Frage. Er will, wie er auch hier wieder verkündet, die Gesellschaft mit der Rechtschreibreform „versöhnen“. Daraus kann unter den gegebenen Umständen nichts werden.
Text: F.A.Z., 20.07.2006, Nr. 166 / Seite 33
Bildmaterial: Bertelsmann Lexikon Verlag
eingetragen von Norbert Lindenthal am 06.04.2006 um 15.50
F.A.Z., 06.04.2006, Nr. 82 / Seite 1
Leitartikel
Die Erblast von Achtundsechzig
Von Berthold Kohler
06. April 2006 Wieder ist die Republik über sich erschrocken. An ihren Schulen geht es schlimmer zu, als sie es wahrhaben wollte. Dem Schock über die Bildungsmisere, attestiert in den Pisa-Berichten, folgt nun das Entsetzen darüber, daß die deutschen Schulen auch als Integrationsmaschinen viel weniger leisten, als nötig wäre.
Schon ganze Ausländergenerationen leben in abgeschlossenen Parallelwelten, die von außen kaum noch zu erreichen sind. Frühzeitig müßte diesen Segregationsprozessen entgegengewirkt werden. Doch den Schulen gelingt es nur mangelhaft, den Nachschub für die Gettos abzuschneiden und junge Menschen aus Ausländerfamilien in die bürgerliche Gesellschaft einzugliedern. Aber auch Schüler ohne "Migrationshintergrund" scheitern am Übertritt in ein ordentliches Berufsleben, weil Eltern und Schulen ihre Erziehungsaufgaben nicht ausreichend erfüllen.
Gründe für das Erschrecken gibt es genug. Doch woher kommt die Überraschung? Kreuzberg und Neukölln liegen nicht irgendwo, sondern mitten in der deutschen Hauptstadt. Es soll sogar fortschrittliche Bundestagsabgeordnete geben, die in diesen angeblich multi-, in Wirklichkeit aber recht monokulturellen Stadtteilen wohnen. Doch nicht nur ihnen ist seit Jahrzehnten bekannt, wohin die Gettoisierungsprozesse in den deutschen Groß- und auch schon Kleinstädten führen. Unter dem Banner der Toleranz fand in den Kommunen das Gegenteil von Integration statt. Dort entstanden gleichsam exterritoriale Zonen, in denen sich etwa ein Türke kaum stärker an die Gepflogenheiten des öffentlichen Lebens in Deutschland anpassen muß als in Istanbul.
Kritik daran ist aber kaum laut geworden, weil sie von den Meinungsführern der Ausländerdebatte sogleich niederkartätscht wurde; kaum jemand konnte so intolerant sein wie die Hohenpriester des Toleranzgedankens. Besonders für die aus der Studentenbewegung hervorgegangene Linke gehörte der Import fremder Kulturen zum Entnationalisierungsprogramm, mit dem das Deutschsein der Deutschen möglichst stark verdünnt werden sollte. Die bürgerlichen Parteien, die 1968 die Diskurshoheit verloren, wehrten sich nur schwach dagegen, weil sie nicht als "ausländerfeindlich" an den Pranger gestellt werden wollten. Lieber steckten sie fortan den Kopf in den Sand.
Das Dogma, daß schon alles gut werde, wenn man bis zur Aufgabe der eigenen Werte und Ordnungssysteme tolerant und antiautoritär sei, bezog sich freilich nicht nur auf die Ausländerpolitik. Nach 1968 versuchten die progressiven Geister in Deutschland möglichst alles zu schleifen, was ihnen irgendwie als Herrschaftssystem vorkommen wollte. Auch die unselige Rechtschreibreform geht auf dieses Motiv zurück. Autorität an sich ist damals als ein (deutsches) Erzproblem identifiziert worden, wie überhaupt alles problematisiert wurde, als die "Achtundsechziger" als Lehrer an die Schulen kamen.
Sie säten auch im Bildungssystem jenen antiautoritären Geist aus, der erheblich zu der Schwächung und Verwahrlosung der Schulen beitrug, die jetzt (für wie lange?) die Öffentlichkeit schockieren. Die Anforderungen an die Schüler wurden zurückgenommen, die sogenannten Sekundärtugenden verunglimpft, Grenzen wurden, wenn überhaupt, nur noch weit gesteckt. Der Autoritätsverlust, den manche Lehrer heutzutage beklagen, gehörte für ihre Vorgänger zum Programm ihres gesellschaftlichen Befreiungskampfes. Zu den Kindern dieser Revolution zählen die Kohorten von kaum noch "beschulbaren" Jugendlichen, die die Regeln des bürgerlichen Zusammenlebens schon deswegen nicht schätzen können, weil niemand sie ihnen beibrachte.
Die Jugend aus den Ausländervierteln hält den Deutschen jetzt am drastischsten vor Augen, wohin die als Liberalität ausgegebene Permissivität geführt hat. Nach allem, was man über die Lebenswelt von jungen Türken, Arabern und Afrikanern in Deutschland weiß, spielt in ihr der Respekt vor Autoritäten - ob in der Person des Bandenanführers oder (noch) des eigenen Vaters - eine große Rolle. Die Schule aber flößt ihnen sowenig Respekt ein wie die anderen staatlichen Institutionen, die ihnen gleichermaßen defensiv entgegentreten. Wer soll auch einen Staat und dessen Repräsentanten achten, wenn diese vorrangig Selbstzweifel und Selbstaufgabe verkörpern? Gerade jungen Muslimen, deren agile Religion sich ausbreitet, kann nicht entgehen, wie sehr die christlich-abendländische Kultur in Deutschland in die Ecke gedrängt worden ist.
Integration wird nur dann gelingen, wenn sie den zu Integrierenden erstrebenswert erscheint. Darum muß, wenn die Eltern dazu nicht willens oder nicht in der Lage sind, der Staat durch umfassende schulische Bildung dafür sorgen, daß den Ausländerkindern der Weg in ein erfülltes bürgerliches Leben offensteht. Die Gleichgültigkeit, mit der Deutschland bislang dem Wachstum eines schlecht ausgebildeten und vor allem deswegen arbeitslosen Jugendproletariats zusah, ist ein Skandal. Der Staat muß die jungen Leute, ob ausländischer oder deutscher Abstammung, aber auch spüren lassen, daß er die Verletzung der Regeln des zivilisierten Zusammenlebens nicht hinnimmt.
Das ist eine der Botschaften, die von der Schule zu vermitteln sind. Dazu braucht man nicht die Zeit bis vor 1968 zurückzudrehen. Es reichte schon, wenn man von einigen Irrtümern abrückte, die jahrzehntelang als Dogmen in der Ausländer- und Schulpolitik verkündet worden sind. Der Verlauf der aktuellen Debatte läßt immerhin darauf hoffen, obwohl sich die Protagonisten von damals immer noch schwertun mit dem Eingeständnis, Irrwege verfolgt zu haben. Dabei könnten sie doch als leuchtende Vorbilder auftreten. Die meisten von ihnen führen heute das, was sie früher mit aller Gewalt bekämpften: ein bürgerliches Leben.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.04.2006 um 08.17
F.A.Z. 4.4.2006:
Weit entfernt von der Einheitlichkeit der Sprache
Zur Rechtschreibreform: Zweifellos ist durch die jüngsten Beschlüsse der Kultusministerkonferenz unter ungeheurem Aufwand eine nicht unwesentliche Milderung der Neuschriebgroteske bewirkt worden. Doch ist es ebensowenig zu bezweifeln, daß eine einigermaßen tolerable Lösung damit noch nicht erreicht ist; eine Lösung, die Aussicht hat, einer neuen Einheitlichkeit der deutschen Schreibung den Weg zu bahnen. Vielerlei Unfug „gilt" nach wie vor; bei Groß- und Kleinschreibung (Du hast ganz Recht), bei der Dreikonsonantenschreibung, den idiotischen Volksetymologien (um von den auch im neuen Beschluß nicht behobenen Mängeln bei Zeichensetzung und Silbentrennung zu schweigen): Wollen wir künftig Gussstahl oder Flussschifffahrt schreiben? Schneuzen Sie sich durch die Schnauze? Kurz nach Ihrer Rückumstellung schrieb die F.A.Z. das Wort Missstand groß auf eine ganze Seite - als Beleg dafür, daß es so nicht gehe. Soll es auf Ihren Seiten nun fröhliche Wiederkehr feiern?
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat seinerzeit einen Kompromißvorschlag erarbeitet, angesichts der Machtverhältnisse, in dem ausgelotet worden ist, was zu ändern wäre, wenn es gälte, die Einheitlichkeit der deutschen Schreibung wiederherzustellen. Davon sind wir
beim gegenwärtigen Stand noch weit entfernt. Es ist doch entweder Ignoranz oder Feigheit (oder beides), was den „Spiegel" zu der Ausflucht brachte, von der „neuen, weitgehend alten" Schreibung zu sprechen. Nach allem, was ich höre, werden sich die meisten (und vor allem die herausragenden) Schriftsteller und Wissenschaftler auch weiterhin an die bewährte Rechtschreibung halten. Vom Gros der Schreiber ganz abzusehen (falls sie sich nicht einem Schreibprogramm anheimgeben).
Ich halte es für sehr gefährlich, jetzt in den Chor derer einzustimmen, die meinen (oder zu meinen vorgeben), jetzt sei alles gut. Und ich finde die F.A.Z. hat eine besondere Verantwortung in dieser Frage, als die führende deutsche Tageszeitung und nach Ihrer frühzeitigen Rückumstellung. Wenn Sie jetzt den Pressionen, denen Sie sich vermutlich ausgesetzt sehen, nachgeben und einknicken, schrumpfen die Aussichten auf Wiederherstellung einer einigermaßen passablen und einheitlichen Schreibung, was die absehbare Zeit angeht - und der Prozeß der allmählichen Rückbildung, der ja ständig im Gange ist, verlängert sich weiter ins Unendliche.
Professor Dr. Christian Meier, ehemaliger Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Hohenschäftlarn
F.A.Z. 3.4.2006:
Unselige Reform
Zur Rechtschreibreform und ihren Folgen: Am 26. Februar abends wurde ein Gespräch zwischen dem ehemaligen bayerischen Kultusminister und einem Journalisten vom Deutschlandfunk gesendet, in dem auch eine Zusammenfassung der Umstände besprochen wurde, die zu dieser unseligen Reform geführt haben. Der Wille, eine Reform zur vermeintlichen Vereinfachung der Rechtschreibung zu initiieren, hatte politische Gründe. Die Zusammensetzung der Kommissionen war politisch und nicht wissenschaftlich bestimmt. Die Ergebnisse der Beratungen blieben zunächst längere Zeit geheim.
Wir sollten noch einmal nachdenken: Eine halbherzige Reform kann nicht stabil sein und bewirkt Verunsicherung
und Beliebigkeit. Irrwege einzugestehen und zurückzugehen müßte uns möglich sein! Ökonomisch ist der Erhalt unserer Bibliotheken beziehungsweise unseres Buchbestandes gar nicht aufzuwiegen gegenüber einer Neueinrichtung dieser Institute beziehungsweise einem Neuaufbau dieses Bestandes. Unsere erkämpfte Lebenszeitverlängerung wird noch lange diejenigen unserer Mitbürger am Leben erhalten, die in der Lage sind, die alte Rechtschreibung zu beherrschen und damit ihre Bücher zu nutzen, Computer zu korrigieren und Freude an ihrer Sprache zu haben, um diese auch der jeweilig nächsten Generation ans Herz zu legen.
Dr. med. Wendula Krackhardt,
Überlingen
eingetragen von Sigmar Salzburg am 28.03.2006 um 18.17
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Kehlmann hält an alten Regeln fest
Rechtschreibung
„Sprache kennt keine Kompromisse”
Von Heike Schmoll
28. März 2006 Kurz vor der Entscheidung der Ministerpräsidentenkonferenz über die Vorschläge des Rates für deutsche Rechtschreibung an diesem Donnerstag haben Schriftsteller und Rechtswissenschaftler, sowie die Bayerische Akademie der Schönen Künste an die Ministerpräsidenten appelliert, an der bisherigen Rechtschreibung festzuhalten. In einer gemeinsamen Erklärung der Schriftsteller, die von Daniel Kehlmann, Christian Kracht, Feridun Zaimoglu, Judith Hermann, Iris Hanika und anderen unterzeichnet ist, bekräftigen die Dichter, ihre Bücher weiter in der bisherigen Schreibweise drucken zu lassen.
Der Staat habe selbst ohne Not eine Situation hergestellt, in der er sich von der überlegenen Orthographie der gewachsenen und vitalen Schriftkultur provoziert fühlen müsse. Die Literatur werde ihm aus dieser Lage nicht heraushelfen. Sie werde sich um staatliche Vorgaben um so weniger scheren, als diese die Intelligenz des Lesers beleidigten und die Tradition obsolet machten. Von einem Rechtschreibfrieden könne also überhaupt nicht die Rede sein, noch weniger von einem Kompromiß. „Die Sprache kennt keine Kompromisse, jedenfalls nicht solche, wie sie in nichtöffentlichen Sitzungen seit über zwanzig Jahren zwischen ein paar Dutzend Didaktikern, Linguisten und Ministerialbeamten sowie Verbands- und Wirtschaftsvertretern ausgehandelt werden”, heißt es in der Erklärung.
„Blamabler Umgang”
Die bayerische Akademie der Schönen Künste appellierte an die Ministerpräsidenten, einem neu zu berufenden Rechtschreibrat die politische Unabhängigkeit und die nötige Zeit zu gewähren, die dazu erforderlich sind, das durch die „Anmaßung und Inkompetenz der Verantwortlichen angerichtete Chaos der deutschen Rechtschreibung” zu beheben. Nach sorgsamer Prüfung der zu ratifizierenden Vorschläge des Rates stimme die Akademie mit den Kennern der deutschen Sprachgeschichte und Orthographie überein, daß die zur Befriedung empfohlenen Resultate des Rechtschreibrates in hohem Grade unbefriedigend seien. In Anbetracht des tendenziös besetzten Gremiums sei nichts anderes zu erwarten gewesen. Denn nach dem öffentlich erklärten Willen der Kultusminister gehe es bei der zur Genehmigung vorgelegten Reform der Reform der deutschen Rechtschreibung durchaus nicht um die Aufhebung der durch die Kultusministerkonferenz verursachten Verwilderung der deutschen Orthographie, sondern um ein „Exempel bundesrepublikanischer Staatsräson”.
Rechtswissenschaftler haben unterdessen darauf hingewiesen, daß der „blamable Umgang” mit der Rechtschreibung belege, daß die Kultusverwaltungen und die Organisation der Kultusministerkonferenz zu einer Belastung für das deutsche Bildungssystem geworden seien, die den Forderungen der Länder im Rahmen der Föderalismusreform nach einer Ausweitung der Bildungskompetenzen vollkommen zuwiderlaufe. Beim Verfassungsgericht in Karlsruhe ist unterdessen eine Verfassungsbeschwerde gegen die Rechtschreibreform eingegangen.
„Behände” das „Quäntchen” ändern?
Der Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung, der frühere bayerische Wissenschaftsminister Zehetmair (CSU) hat im Gespräch mit dieser Zeitung abermals den von den Kultusministern ausgeübten Zeitdruck beklagt und auch eine partielle Unzufriedenheit mit dem Arbeitsergebnis des Rates zum Ausdruck gebracht. Es sei durchaus erlaubt, noch einmal die Schreibung von „Quäntchen” und „behände” zu ändern. Zwar sei schon viel dadurch erreicht worden, „den alten Betonköpfen das absolute Geltendmachen des Regelwerks umzustoßen”, doch müßten noch weitaus mehr Schreibweisen dem Sprachgebrauch des „unverbildeten Lesers folgen”. Wenn die „Printmedien” im Falle mehrerer Möglichkeiten durchgängig den bewährten Schreibweisen folgten, würden sich diese durchsetzen. Auch die Schulbuchverlage hätten angekündigt, so zu verfahren.
Er rechne fest damit, daß der Beschluß bei der Ministerpräsidentenkonferenz „durchlaufe”. Bestätigt hat Zehetmair auch, daß der Vertreter der Deutschen Presseagentur (dpa) Hein auf eigenen Wunsch aus dem Rat ausgeschieden ist. Da er die Reformkritiker unter den Zeitungen im Rat als „Krawallmacher” bezeichnet hatte, war der Druck auf ihn gewachsen. Hein hat gesagt, er habe sich in der Wortwahl vergriffen und die Verantwortung für diese Äußerung übernommen. In den Rechtschreibrat wird ein Nachfolger von der dpa entsandt. Der Rat wird jedoch erst nach der Veröffentlichung der vollständigen Wörterlisten in den Wörterbüchern wieder tagen.
Text: FAZ, 29.3.2006, S. 2
eingetragen von Sigmar Salzburg am 27.03.2006 um 09.15
Orientierungshilfe und Mahnung
Mit ihrer Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung im August 2000 hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung ganz erheblich dazu beigetragen, daß eine Revision der mißratenen Rechtschreibreform möglich wurde. Der Gewinn dieses beispielhaften Engagements darf jetzt nicht durch einen voreiligen Kompromiß verspielt werden. Die vom Rat für deutsche Rechtschreibung empfohlene und von den Kultusministern beschlossene Reform bringt zwar wesentliche Verbesserungen, löst die entscheidenden Probleme aber nur teilweise und läßt vieles ungeklärt. Als durch Zeitdruck erzwungenes Halbfertigprodukt ist sie lückenhaft und widersprüchlich und bietet keine solide Grundlage für verläßliche Wörterbücher. Neue Unsicherheit und Verwirrung ist damit vorprogrammiert. Sollte dieser unausgereifte Kompromiß jetzt verbindlich werden, dessen Mängel im Leitartikel von Hubert Spiegel „Richtig und falsch" ( F.A.Z. vom 4. März) klar analysiert wurden, so wird die Sprachgemeinschaft der Chance einer dauerhaft befriedigenden Lösung beraubt. Eine echte Wiederherstellung und Sicherung der Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung wird für lange Zeit unmöglich.
Um so wichtiger wird es nun, daß die F.A.Z. an der bewährten Rechtschreibung festhält - unabhängig von der Entscheidung der Ministerpräsidentenkonferenz. Die Sprachgemeinschaft braucht dieses Beispiel einer vernünftigen Schreibung dringend als Orientierungshilfe und als Mahnung, den vorerst erzielten Kompromiß nicht als endgültig zu betrachten, sondern nachhaltig zu verbessern. Selbst die Schüler, denen angeblich der Anblick der bewährten Schreibweisen nicht mehr zugemutet werden darf, brauchen genau dies, um Bücher in klassischer Rechtschreibung auch künftig problemlos lesen zu können; verwirrt werden sie nicht nur durch die Fortexistenz der bewährten Schreibung, sondern durch die Undurchschaubarkeit der neuen Schreibregeln, die leider mit der Reform der Reform durch zahllose neue Spitzfindigkeiten und Widersprüche noch vermehrt wird.
Das Eintreten der F.A.Z. für die bewährte Schreibung zeugte von Sprachbewußtsein und bildungspolitischer Verantwortung. Wir bitten die Herausgeber der F.A.Z mit aller Dringlichkeit, sich in diesem vorbildlichen Engagement für die Sprachkultur nicht irremachen zu lassen.
Professor Dr. Hans Maier, München
Reiner Kunze, Obernzell-Erlau
Ralph Giordano, Köln
Hans Krieger, München
Aus Staatsraison
Zum Artikel von Theodor Ickler „Ja, da kann man nur noch gehen" (F.A.Z. vom 25. Februar): Das Protokoll von Ickler aus den Sitzungen des Rates für Rechtschreibung gehört in jedes Schulbuch über das Funktionieren von Demokratien. Das Protokoll ist eine hervorragende Quelle dafür, wie politische Entscheidungen in einem demokratischen System herbeigeführt werden. Das Ganze läuft so: Ohne erkennbare Kompetenzkriterien beruft man zwei Dutzend Menschen in eine Kommission, die dann im vernunftfreien Raum auf dem Hintergrund ihrer weltanschaulichen und ideologischen Vorprägungen Entscheidungen fällen. Sind die Auswirkungen einer Entscheidung auf Randbereiche beschränkt, hat die demokratische Gesellschaft Glück gehabt. Ist das, wie im Falle der Reform der Rechtschreibreform, nicht der Fall, bestimmen zwei Dutzend Menschen (sic!) über das Wohl von 80 Millionen Menschen. Aber das ist nicht alles. Der Vorgang lehrt weiter, daß in demokratischen Systemen solche Fehlentscheidungen (immerhin lehnen wohl mehr als achtzig Prozent der Bevölkerung die Rechtschreibreform ab) nicht mehr korrigiert werden können. Die Kultusminister geben zwar mittlerweile zu, daß die Reform falsch gewesen sei, aber unwirksam ist sie in der Demokratie nicht mehr zu machen. Aus Staatsräson, wie es heißt. Die Quelle des Herrn Ickler lehrt also, daß die Demokratie wohl nur eine scheinbare ist.
Marco Kamradt, Paderborn
Es ginge auch ohne die dümmlichen Anglizismen
Ihre Karikatur von Greser & Lenz (F.A.Z. vom 10. März), in der ein CEO von „New Business", „abcashen" und „An-nual Turnover" faselt, ist nicht Satire, sondern alltägliche Realität. In einem Ihrer Artikel über die russische Sprache (F.A.Z. vom 6. März) schreibt Kerstin Holm, man würde „Satzgerippe mit englischen Modevokabeln vollhängen wie eine Tanne mit Christbaumschmuck". So ist es längst auch hierzulande: „High Speed für Low Cost" (Telekom), „Eine neue Office in your Pok-ket-Lösung" (T-Mobile) und immer so weiter (oder soll ich sagen: and so on?). Und dann der nicht enden wollende Unfug, Firmennamen mit englischen Anhängseln zu versehen „Science for a better life" (Bayer), „Creating essentials" (Degussa), „The-re's no better way to fly" (Lufthansa), „To be one of a kind" (Brioni). Nichts gegen Fremdworte dort, wo sie zu Fachsprachen gehören oder die Verständigung erleichtern. Aber möchte ich in Berlin in ein Einkaufszentrum gehen, das nicht „Frankfurter Tor", sondern „East Gate" heißt? Gewiß nicht. Denn das schafft nicht Vertrautheit, sondern fröstelnde Fremdheit. Möchte ich einen „Kunstguide - Highlights der Weltkultur" kaufen - es handelt sich um Berliner Museen -, von dem Museumschef Peter-Klaus Schuster meint, er sei ein „pragmatisches Coaching"? Verbunden werden übrigens die Museen durch einen Shuttle mit Kunstscout an Bord, sofern man zuvor ein Ticket kauft. Hört diese Barbarei nie auf? Immerhin gibt es vereinzelte Gegenbeispiele: „FAZ.NET - Erfrischt den Kopf". Geht doch, fast. Unmittelbare Folge dieses Gequatsches ist es, daß bald kaum noch jemand die deutsche Sprache beherrscht: „Bestehen Sie auf das Original" wirbt eine Möbelfirma im Fernsehen. Und in den Fernsehnachrichten wird ständig „den Opfern gedacht", ohne Ansehen der Person. In Jauchs Millionärsquiz trat dieser Tage der Nachrichtenchef eines Rundfunksenders auf, dem die Herkunft des Wortes „polis" unbekannt war. Das ZDF warb tagelang mit einem Text für einen Sibirien-Film, der eine grammatische Katastrophe war. Da staunt Leser Professor Wolfgang Enzensberger (F.A.Z. vom 17. März), daß das Fernsehen keine Sondersendung zum Wahnwitz der Rechtschreibreform bringt. Na, weil dem Fernsehen die deutsche Sprache egal ist, wie man jeden Tag dutzendfach hören kann.
Als ich 1960/1961 beim „Tagesspiegel" volontierte, da gab es einen Herrn Schober, dessen einzige Aufgabe es war, täglich in der Redaktionskonferenz an Hand der jüngsten Ausgabe Sprachkritik zu betreiben und wöchentlich eine Sprachglosse zu schreiben. Ehre seinem Andenken. Über dümmliche Anglizismen mußte er sich übrigens nie beklagen, und es ging dem Land trotzdem nicht schlecht. Die Verständigung war auch ohne sie ausreichend möglich.
Joachim Nawrocki, Berlin
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.3.2006 (Papierausgabe), S. 9
eingetragen von Sigmar Salzburg am 17.03.2006 um 07.27
Ein „Unrat gegen Rechtschreibung“
Professor Dr. Theodor Icklers Abgang aus dem „Rat für deutsche Rechtschreibung" („Ja, da kann man doch nur gehen", F.A.Z.-Feuilleton vom 25. Februar) ist ja eigentlich bloß eine weitere randläufige quixotische Kapitulation vor den ideologiegetriebenen Windmühlen des Staates. Wozu dann aufregen? In der Tat hat mich der Bericht Professor Icklers eher erheitert, als mich weiter in die Verzweiflung zu treiben. Ich erkenne in mir die typisch deutsche Freude am ästhetischen Spektakel des totalen Untergangs, die auch nicht mehr durch Zynismus getrübt wird.
Die ganze Rechtschreib-Posse läßt hier ein Grundproblem dieser Republik offen zutage treten: die Ent-Demokratisierung und Ent-Professionalisierung in allen Bereichen des politischen Lebens und das Ersetzen des Diskurses mit dem Volk durch simulakrumartige Spektakel. Die Bezeichnung „Rat für deutsche Rechtschreibung" ist ein wunderbarer Euphemismus, an dem Orwell sicherlich seine Freude gehabt hätte. „Rat" hat Untertöne von Räterepublik und von Bündelung von Sachkompetenz. Das Volk wird, sozialistischer Utopie folgend, von weisen Fachleuten in eine bessere Sprachzukunft geführt. Der Austritt
Icklers demaskiert den Rat aber als reine Mesalliance von Politikern und Lobbyisten. Natürlich arbeitet der Rat auch nicht „für" die deutsche Rechtschreibung, sondern für die Rettung eines ideologisch-idiotischen Jahrhundertprojektes. Man ist versucht, vom „Unrat gegen die deutsche Rechtschreibung" zu sprechen. Der obig erwähnte Doppel-Trend der Ent-Demokratisierung und Ent-Professionalisierung ist für mich das Endzeit-Faszinosum schlechthin. Die politische Klasse beansprucht die Handlungsvollmacht zu Lasten der Experten und des Volkes aufgrund ihrer Wahl durch das Volk und sieht das Volk gleichzeitig als hoffnungslos inkompetent und die Experten als nicht demokratisch legitimiert an. Diese von Selbstzweifeln unbelastete Selbst-Ikonisie-rung der Parlamentarier und ihrer Erfüllungsgehilfen erinnert mich ein wenig an den vollreifen real existierenden Sozialismus der DDR: Spießigstes Mittelmaß wird notdürftig dekoriert und als Exzellenz deklariert. Kritische Stimmen sind verfassungsfeindliche Krawallmacher und werden stumm gemacht oder dürfen auswandern wie Ickler.
Professor Dr. Matthias Huhn, Hannover
Voller Fragen
Zum Beitrag .„Weniger Unsinn -Elend beendet' - Reform der Rechtschreibung reformiert" (F.A.Z vom 3. März): Wäre Eugene Ionesco ein zeitgenössischer deutscher Autor, hätte er ein absurdes Theaterstück schreiben können, mit dem Titel: Deutsche Rechtschreibung. Nach der Reform der Reform schlösse sich der Vorhang, und das Publikum bliebe entsetzt und sprachlos sitzen, den Kopf voller Fragen: Wie kann sich ein Volk seine Sprache von Politikern diktieren lassen? Wie können sich sprachohnmächtige Diktatoren jahrelang von Fehlentscheidung zu Fehlentscheidung hangeln, ohne daß sie aufgehalten werden, notfalls durch den Präsidenten der Republik, als oberster Hüter des Volkes und seiner Kultur? Und wie kann man es zulassen, daß diese Gewalt an der Sprache gerade an den Schwächsten des Volkes ausgelebt wird, an seinen Erstkläßlern, die sich gerade um den schriftlichen Eintritt in diese Sprachgemeinschaft bemühen? Doch es ist kein absurdes Theaterstück von Ionesco, dem wir beiwohnen, es ist Deutschland im Jahr 2006. Die Mehrheit des deutschen Volkes staunt stumm darüber, was da geschieht und offenbar von niemandem verhindert werden kann. Und das Fernsehen bringt nicht einmal eine Sondersendung, wie es sonst bei nationalen Katastrophen üblich ist. Vielleicht erscheinen bald große Todesanzeigen in den Tageszeitungen: Deutsche Rechtschreibung, geboren in der staatlichen Rechtschreibkonferenz 1901, in Berlin - gestorben 2006, nach einer langen Kultusminister-Konferenz-Agonie. Die Rechtschreibung wird zu Grabe getragen. Doch Vorsicht. Ihre Sprache atmet und lebt noch. Vorhang.
Professor Dr. Wolfgang Enzensberger,
Frankfurt am Main
Schwachsinn
Zum Artikel „Chronik eines fortlaufenden Schwachsinns" von Theodor Ickler (F.A.Z. vom 25. Februar): Ich frage mich immer häufiger, wie Ickler, „in welchem Land ich eigentlich lebe" - und nicht allein in bezug auf die Rechtschreibreform. Man kann die Verantwortlichen, die diesen „Schwachsinn" verbrochen haben, nur noch mit Verachtung strafen. Die öffentlichen Gelder, die dadurch der Allgemeinheit verlorengehen, sollten diese Herren und Damen zurückerstatten.
Volkmar Marschall, Frankfurt am Main
eingetragen von Dominik Schumacher am 04.10.2004 um 13.39
Tag der Deutschen Einheit
Köhler: Wir haben zuviel Staat
03. Oktober 2004 Bundespräsident Köhler hat die Deutschen in Ost und West zu einer gemeinsamen Anstrengung für Reformen im ganzen Land aufgerufen. "Nicht allein Ostdeutschland, sondern ganz Deutschland muß erneuert werden, um uns eine gute Zukunft zu sichern", sagte Köhler in seiner Ansprache an die "lieben Landsleute" während des zentralen Festaktes zum Tag der Deutschen Einheit in Erfurt.
Staatliche Aufgaben müßten beschränkt und der Eigenverantwortung der Bürger mehr Raum gegeben werden. Jeder könne ein "bißchen mehr" für das Gemeinwohl tun oder auf etwas verzichten, "was ihm eigentlich ,zustehen' mag". Der Staat solle nicht "alles Mögliche tun, sondern alles Nötige". Er müsse sich auf seine wichtigen Aufgaben konzentrieren, das Volk gegen Bedrohungen von außen schützen, für Recht und Ordnung sorgen und seinen Bürgern gleiche Bildungs- und Aufstiegschancen bieten.
…
eingetragen von Norbert Lindenthal am 27.09.2004 um 10.26
27.9.2004
Stoiber sucht einen Kompromiß im Streit um die Rechtschreibreform
Rechtschreibreform
Stoiber will einen „Rat für deutsche Rechtschreibung”
27. September 2004 Im Streit um die Rechtschreibreform strebt der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) einen Kompromiß an. Er werde bei der Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten im Oktober als amtierender Vorsitzender einen „Rat für deutsche Rechtschreibung” vorschlagen, sagte Stoiber der Zeitung „Passauer Neue Presse”.
Der Rat soll sich bis Mai 2005 auf Veränderungen einigen, die allgemeine Akzeptanz finden. Stoiber glaubt, daß mit leichten Korrekturen der Konsens über die Rechtschreibung wieder hergestellt werde. „Es gibt ja auch Verbesserungen und Vereinfachungen. Also sollten wir das Gute behalten und das Schlechte ändern”, sagte Stoiber.
„Gewisse Disziplinlosigkeit”
Die Wirkung der Rechtschreibreform sei „außerordentlich problematisch”. Jeder schreibe heute so, wie er denke, ohne das Gefühl zu haben, Fehler zu machen. „Und damit haben wir eine gewisse Disziplinlosigkeit bei einem wichtigen deutschen Identitätsmerkmal”, sagte Stoiber.
Bayern will den früheren Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU) für den Rat nominieren. Zehetmair sei „einer der Hauptgestalter der Reform”, sagte Stoiber. Auch Zehetmair habe ihm erklärt, er würde die Rechtschreibreform nicht mehr so einleiten und vertreten. Stoiber: „Die ganze Welt schreibt Ketchup, wir aber sollen Ketschup schreiben.”
Text: FAZ.NET mit Material von ddp
Bildmaterial: dpa
eingetragen von Dominik Schumacher am 30.08.2004 um 13.14
30.8.2004
Rechtschreibreform
Sprachakademie für Kompromiß - Dichter für Rücknahme
30. August 2004 Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und andere Experten haben vor einer Spaltung der deutschen Sprache gewarnt und gleichzeitig einen Kompromiß im Streit um die Rechtschreibreform gefordert.
Bewährte Schreiber: Walser, Grass
Dafür müsse ein Expertenrat eingesetzt werden, der seine Vorschläge bis zum Ende der bisher festgelegten Übergangszeit im Sommer 2005 ausarbeiten sollte. Sie plädierten am Montag in der Berliner Akademie der Künste auch dafür, die Übergangszeit um ein Jahr zu verlängern, damit die „Ausgeburten bürokratischer Denkweisen“ bei der Reform beseitigt und der „Angriff auf die deutsche Sprache“ abgewehrt werden könnten.
Schriftsteller für völlige Rücknahme
Unterdessen bekräftigten namhafte deutschsprachige Schriftsteller wie Günter Grass, Martin Walser, Tankred Dorst, Siegfried Lenz und Elfriede Jelinek eine „völlige Rücknahme der überflüssigen, inhaltlich verfehlten und sehr viel Geld und Arbeitskraft kostenden Rechtschreibreform“. Dies entspräche dem erkennbaren Willen der großen Mehrheit der Bürger in Deutschland, Österreich und der Schweiz und wäre ein wichtiger Beitrag zur demokratischen Kultur. Literaturverlage und Schulbuchkonzerne gerieten durch die Umsetzung der Neuregelung in eine komplizierte Lage, wie es in der in Berlin veröffentlichten Erklärung der 37 Mitglieder der Akademie der Künste und der Akademie für Sprache und Dichtung heißt.
Auch der Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg hält die alte Orthographie für besser als die neue und sogar besser als den jetzt vorgelegten Kompromiß, doch sei eine totale Umkehr „politisch unrealistisch und sachlich auch äußerst schwer zu verwirklichen“. Mit der jüngsten Entscheidung mehrerer großer Zeitungen und Zeitschriften, die neue Rechtschreibung nicht anzuwenden, sei eine Diskussion wieder in Gang gekommen, „die schon abgeschlossen schien - die Karre fuhr mit Hochgeschwindigkeit gegen die Wand“. Der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Klaus Reichert, sprach in diesem Zusammenhang von einer „starren und vernagelten Haltung der Kultusminister“.
Unschlüssige Lehrer
Auch der Reformpädagoge Hartmut von Hentig warf der Kultusministerkonferenz vor, ihre Arbeit nicht getan zu haben. „Wir stehen vor einem großen Unglück. Die Lehrer sind unschlüssig und verstehen die neuen, komplizierten Regeln nicht.“ Die Vorschläge sehen vor, „Elemente der neuen Rechtschreibung, die nicht allzu störend sind“, beizubehalten „und die schlimmen, unsere Sprache entstellenden Fehler zu beseitigen“. So sei die Ersetzung des ß nach Kurzvokalbuchstaben durch ss sprachlich verantwortbar.
Andererseits müßten Neuregelungen, die gegen die Sprachstruktur verstießen, die Ausdrucksvielfalt des Deutschen beschädigten und zu falschen Schreibweisen verleiteten oder sogar zur Beseitigung von Wörtern führten, rückgängig gemacht werden. Selbstverständlich müsse man „anheimstellen“ zusammenschreiben dürfen, ebenso wie „haltmachen“. „Eislaufen“ und „Eis essen“ ebenso wie „Kennenlernen und Laufen lernen“ oder „wohlfühlen“ und „wohl fühlen“ seien grammatikalisch nicht das gleiche.
Gegen die „Schlammmasse“
Die Verdreifachung von Konsonantbuchstaben anstelle der bisherigen Beschränkung auf zwei Buchstaben (Bettuch) führe teilweise zu grotesken, die Lesbarkeit störenden Wortbildern wie „Schlammmasse“ oder „Schwimmmeister“. Auch gebe es keinerlei Grund für die Kleinschreibung von Höflichkeitsformen.
Die SPD-Spitze hatte am vergangenen Wochenende in Berlin deutlich gemacht, daß sie „im Interesse der Kinder und der Schulen“ an der Rechtschreibreform festhält. Dagegen begrüßte die FDP- Bundestagsabgeordnete Ulrike Flach, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, am Montag den Kompromißvorschlag. Die kompletten Kompromißvorschläge der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung liegen in Buchform vor (Wallstein Verlag Göttingen).
Text: FAZ.NET mit Material von dpa, Bildmaterial: dpa
eingetragen von Norbert Lindenthal am 23.08.2004 um 13.17
23.8.2004
Wellenreiter
Gut gebrüllt, geschrien vor Schmerz und schwach gequiekt
23. August 2004 Adolf Muschg hat eine Frage: „Wenn der Zahnarzt erklärt, seine Operation tue gar nicht weh, und der Patient schreit vor Schmerz - wer hat Recht?“ Das steht in der „Neuen Zürcher Zeitung“, es geht um die Rechtschreibreform, und der schweizer Schriftsteller ist dagegen.
„Es ist der empfindlichste Teil der Sprachgemeinschaft, vorweg die literarischen Autorinnen und Autoren, der mit der Reform nicht leben kann und will“, sagt Muschg in besagtem Interview.
Tut ja gar nicht weh
Andere Angehörige des empfindlichsten Teils der Sprachgemeinschaft kommen in der „Literarischen Welt“ zu Wort. Sie werden nicht gefragt, in einem Interview oder Streitgespräch, sondern wurden gebeten, doch mal was zum Thema Rechtschreibreform zu schreiben. Damit es am Samstag in der Zeitung steht, bevor am Montag auf einem Wiener Kongreß Rechtschreibbeamte aus Österreich, der Schweiz und Deutschland über ihr weiteres Vorgehen beraten. Nur soviel dazu vorab: Es ist keine Krisensitzung. Haben die Beamten verlauten lassen.
Beamte sind bekanntlich der unempfindlichste Teil der Sprachgemeinschaft. Aber auch unter den Sensiblen geben sich einige in der „Welt“ so unerschrocken, abgeklärt und unterkühlt, daß einem der kalte Hauch durch Mark und Bein fahren will. Helmut Krausser zum Beispiel greift zum zynischen Zitat. Er überliefert den letzten schwach gequiekten Satz „der eben an Floridas Küste aus Protest gegen die Reform Selbstmord durch Zwangseinschläferung verübt habenden Delfine“. „Wir brauchen unser ph!“, sollen sie gequiekt haben. Schwach gequiekt.
Ein Sommerloch zum Schutz
„Ich fühlte mich nicht gar so zuständig“, erinnert sich Burkhard Spinnen an seine frühe Kontaktphase mit der Rechtschreibreform. Und die Indifferenz hält an: „Auch jetzt beziehe ich ungern Stellung. Lieber grabe ich zu meinem Schutz ein Sommerloch. Und winke daraus mit einer weißen Fahne ...“
Immerhin für Michael Lentz hat die Rechtschreibreform etwas Existenzielles: „Wäre die Sprache eineindeutig (sic!), wären wir alle längst schon tot“, warnt der Sprachinstallateur. Zwar findet er gerade Schriftsteller in der Reformdebatte „am wenigsten brauchbar“. Als Schreckgespenst allerdings taugen sie wohl prächtig: Man möge das Ganze so schnell wie möglich vergessen, rät Lentz. „Sonst kommt Kurti!“ Schwitters nämlich, der einst die phonetische Schreibung erfand.
Frank Goosen beschwichtigt: „Manchmal muß man die Sprache einfach machen lassen.“ Und will nur eins: „Nie wieder eine Kommission zur Rechtschreibreform.“ Monika Maron immerhin, deren Beitrag den Reigen in der Zeitung auch eröffnet, legt sich ins Zeug: Sie erzählt, welche Grausamkeiten, die ihr widerfuhren, „ausreichten, mich zu einer bekennenden Gegnerin der Rechschreibreform zu machen und denen, die sie angerichtet hatten - ganz offensichtlich Menschen, die weder Gefühl für die Sprache hatten, noch Respekt vor ihr - das Recht, sich an ihr zu vergreifen, rundum abzusprechen.“
Harte Worte. Und ein schöner Gruß nach Wien.
Text: @kue
Bildmaterial: FAZ.NET
eingetragen von Norbert Lindenthal am 23.08.2004 um 12.34
23.8.2004
Rechtschreibung
Wiener Kongreß ohne konkretes Ergebnis
23. August 2004 Spitzenbeamte aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein haben sich am Montag in Wien zu Beratungen über die Zukunft der Rechtschreibreform getroffen. Das Gespräch ging wie erwartet ohne konkretes Ergebnis zu Ende.
Diskutiert wurde unter anderem der deutsche Vorschlag, einen Rat für Rechtschreibung einzurichten, der die so genannte Zwischenstaatliche Kommission ablösen soll, deren Mandat im kommenden Jahr endet. Die Ergebnisse des Treffens sollen in einen Entwurf einfließen, der von deutscher Seite vorgelegt wird, wie eine Vertreterin des österreichischen Bildungsministeriums nach der Sitzung mitteilte.
Rat gegen Rat
Besprochen worden seien die Zusammensetzung und die Aufgaben des künftigen Rats sowie der Geltungsbereich der Rechtschreibregeln in Schule und Verwaltung, sagte Heidrun Strohmeyer laut einer Meldung der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Über die Zukunft der Rechtschreibreform nach den jüngsten Entwicklungen habe man hingegen nicht gesprochen. Österreich stehe aber weiter zu den neuen Schreibregeln. An der Sitzung nahmen neben Strohmeyer unter anderen der Generalsekretär der deutschen Kultusministerkonferenz, Erich Thies, der Generalsekretär der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, Hans Ambühl, und der Vorsitzende der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, Karl Blüml teil.
Am Sonntag hatten Reformgegner aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in München einen unabhängigen „Rat für deutsche Rechtschreibung“ ausgerufen. Das Gremium, das sich für die Wiederherstellung der Schreibweisen vor der Reform einsetzen will, sprach den Kultusministern das Recht ab, „eine weitere Rechtschreibkommission zu berufen, deren einzige Aufgabe es sein kann, das offenkundige Scheitern der Rechtschreibreform hinauszuzögern“.
Text: FAZ.NET mit Material von AP
eingetragen von Dominik Schumacher am 23.08.2004 um 10.10
23.08.2004, Nr. 195 / Seite 33
Rechtschreibreform
Geheimsache Deutsch
Von Hannes Hintermeier
Wer hat sich das mit der Majonäse ausgedacht?
22. August 2004 Er sei jetzt ein Jahr in Österreich gewesen und habe dort gelernt, was ein "scharfes s" sei - nämlich das fälschlicherweise so bezeichnete Pendant des gemeinhin als "sz" bekannten Buchstaben ß. Dies erklärte Dieter Nerius unlängst im Bayerischen Rundfunk.
Nerius war von 1975 bis 2001 Professor für germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Rostock, leitete von 1974 an die Forschungsgruppe Orthographie der Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Universität Rostock; er war von 1980 bis 1986 Mitglied des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie, von 1993 bis 1997 zuerst Mitglied, später stellvertretender Vorsitzender der Kommission für Rechtschreibfragen des Instituts für Deutsche Sprache, Mannheim. Und er ist, man ahnt es, seit jenem Schicksalsjahr 1997 Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, mithin einer der Väter der Reform.
Nerius glaubt fest an seine Berufung
Zeitlebens hat der knapp Siebzigjährige sich mit Fragen der Orthographie und Lexikologie beschäftigt, schon in seinen frühesten Publikationen unternahm er "Untersuchungen zur Herausbildung einer nationalen Norm der deutschen Literatursprache" (1967); acht Jahre später legte er weitere "Untersuchungen zu einer Reform der deutschen Orthographie" vor.
Dieter Nerius ist ein glühender Anhänger der Reform, ja ihr theoretischer Kopf: der Typ des Wissenschaftlers, der sein ganzes Berufsleben mit einem Thema zubringt. Der zu DDR-Zeiten dem Reisekader angehörende Orthographiefachmann ist fest davon überzeugt, daß nur der Staat die Kompetenz hat, die Sprache zu reformieren. Nerius glaubt fest an seine Berufung - auch wenn er in sieben Jahren Kommissionsarbeit vom "scharfen s" noch nie etwas gehört hat.
Aufenthalt im akademischen Milieu
Die Kommissionsmitglieder verkörpern ein Spezialistentum, das sich als ungewöhnlich beratungsresistent erwiesen hat. Je stärker der Einspruch gegen die Details der Reform wurde, als desto unversöhnlicher, weil im Besitz der Reformhoheit, erwies sich das Gremium. Am Ende wollte es gar die totale Kontrolle (F.A.Z. vom 30. Januar) und nur noch alle fünf Jahre berichten.
Nun sind es germanistische Sprachwissenschaftler gewohnt, sich hinter den Reihen ihrer bibliographischen Befestigungsanlagen zu verschanzen. Öffentlichkeit meiden sie eher; sie bevorzugen den Aufenthalt im akademischen Milieu, wo sie Netzwerke und Zitierkartelle bilden. Dort, in den Schattenfugen germanistischer Zeitschriften, probten sie die Reform, lange bevor sie Wirklichkeit wurde.
Wer ist wer?
Wer Aufklärung im Internet sucht, wird auch auf der Homepage der Kommission kein vollständiges Bild erhalten. Ein Gruppenfoto zeigt die symbolträchtigen zwölf bei einer Art Klassentreffen, ohne Nachweis von Datum, Ort und Fotografen. Dem Vernehmen nach ist das Bild mehrere Jahre alt. Auf einer Treppe stehen, freundlich lächelnd, die Erfinder der neuen Rechtschreibung, 1986 eingesetzt von den Kultusministern der deutschsprachigen Länder. Wer ist wer?
Die Homepage bleibt die Aufklärung schuldig, offeriert aber kurze Lebensläufe, die immer erst dann einsetzen, wenn die jeweilige Biographie schon mitten in der Germanistik angelangt war. Zehn Männer und zwei Frauen, der Großteil, soweit auf der unvollständigen Homepage zu ermitteln, zwischen 1935 und 1948 geboren. Ein gut Teil davon Jahrgängen zurechenbar, die man als Achtundsechziger kennt, ein gut Teil heute in Amt und Würden ergraut. Sieben Deutsche aus Ost und West, drei Österreicher, zwei Schweizer.
Gerhard Augst und Karl Blüml
Gerhard Augst ist seit 1973 Professor für Germanistische Linguistik an der Universität-Gesamthochschule Siegen; sein Steckenpferd sind synchrone Etymologien beziehungsweise Volksetymologien; die Wissenschaft wollte seinen Herleitungen nicht folgen, weswegen sein "Wortfamilienwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache" (1998) umstritten ist. Augst hat viel publiziert, rangiert aber nach Einschätzung von Fachkollegen im Mittelfeld. Er ist Mitarbeiter der Duden-Grammatik und einer der engagiertesten Vertreter der Reform. Schöpfungen wie "verbläuen" oder "Zierrat" gehen auf sein Konto.
Hofrat Karl Blüml ist ein Wiener Ministerialbeamter, der als derzeitiger Vorsitzender der Kommission die Klaviatur in Bürokratien zu spielen weiß. Fachlich weniger involviert, hat er sich in einem Zeitungsinterview auch schon mal aus dem Fenster gehängt und als Ziel der Reform die Entmachtung des Duden-Monopols genannt.
Dehn, Gallmann, Hauck und das ostdeutsche Dreiergespann
Über die Kompetenz in Rechtschreibfragen ist bei Mechthild Dehn wenig bekannt, da sie andere Felder beackert: Sie ist seit 1987 Professorin für Erziehungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Hamburg; in die Kommission rückte sie spät nach, sie gilt als Unterstützerin der Linie von Gerhard Augst.
Peter Gallmann war Korrektor der "Neuen Zürcher Zeitung" und hat als Schüler von Horst Sitta schon an Sitzungen der Kommission teilgenommen, als er noch kein Mitglied war. Kollegen beschreiben ihn als dogmatisch und halsstarrig, aber auch als kreativ und wissenschaftlich potent: Der Duden-Autor ist für die größtmögliche Vermehrung der Großschreibung, "im Übrigen" und "des Öfteren" sind Neuerungen, für die Gallmann kämpft. Seit 2002 hat er einen Lehrstuhl für germanistische Sprachwissenschaft in Jena.
Werner Hauck leitet seit 1974 die Sektion Deutsch der Zentralen Sprachdienste der schweizerischen Bundeskanzlei, kommt also aus der Verwaltung und ist als Wissenschaftler nicht ausgewiesen. Klaus Heller bildet zusammen mit Dieter Nerius (dessen Mitarbeiter er war) und Dieter Herberg das ostdeutsche Dreiergespann. Seit seiner Dissertation beschäftigt er sich mit Fremdwortschreibung, zu DDR-Zeiten an der Ostberliner Akademie, später wurde er, wie viele andere auch, vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (IDS) übernommen.
Experte in Fragen der Getrennt- und Zusammenschreibung
Der Sekretär der Kommission ist Autor des Hauses Bertelsmann. Dem Vernehmen nach fiel er weniger durch wissenschaftliche Brillanz als dadurch auf, daß er der freien Wirtschaft Seminare anbot, die Firmen auf die neue Rechtschreibung vorbereiten sollten. Auch Dieter Herberg kommt aus dem Stall von Nerius, auch er wirkt heute am IDS. Der hochspezialisierte DDR-Wissenschaftler gilt als ordentlich, aber unauffällig. Er ist Experte in Fragen der Getrennt- und Zusammenschreibung, deren neue Regelung besonders großen Unmut hervorruft.
Rudolf Hoberg lehrt seit 1974 in Mannheim germanistische Sprachwissenschaft, bekannter wurde er jedoch als Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden, welche er gegen interne Widerstände auf eine Pro-Reform-Linie getrimmt hat; auch er ist Duden-Autor. Der Österreicher Richard Schrodt ist außerordentlicher Professor am Germanistischen Institut der Universität Wien, man hat ihn der Kommission empfohlen, weil er als glühender Reformverehrer galt; er ist nicht spezialisiert auf Fragen der Orthographie und zeigt in seinen Publikationen ein breiteres, auch historisch ausgerichtetes Themenspektrum.
Gegenspieler von Nerius
Der gebürtige Böhme Horst Sitta ist emeritierter Professor für Deutsche Sprache der Universität Zürich. Als Germanist ist er anerkannt, zu Fragen der Rechtschreibreform hat er nur wenig publiziert; er ist in der Kommission der Gegenspieler von Nerius, verfolgt aber im wirklichen Leben für den Duden-Verlag eine erfolgreiche Strategie der Besitzstandswahrung in der Schweiz.
Zusammen mit Peter Gallmann hat er mehrere Bücher zur neuen Schreibweise herausgebracht. Ulrike Steiner ist Redakteurin des Österreichischen Wörterbuchs, an dem auch Karl Blüml mitarbeitet. Dieses Wörterbuch zielt auf eine größere Abgrenzung des Österreichischen vom Hochdeutschen, in dem es Austriazismen kanonisiert. Frau Steiner ist das jüngste und am wenigsten beschriebene Blatt im Zwölferrat.
Zweckbündnis aufrechterhalten
Der langjährige Leiter der Duden-Redaktion Günther Drosdowski hat die Zustände in der deutschen Rechtschreibkommission in einem Brief an den Germanisten Theodor Ickler bereits im November 1996 festgehalten. Die Reformer, schreibt Drosdowski, "mißbrauchten die Reform schamlos, um sich Ansehen im Fach und in der Öffentlichkeit zu verschaffen, Eitelkeiten zu befriedigen und mit orthographischen Publikationen Geld zu verdienen. Selten habe ich erlebt, daß Menschen sich so ungeniert ausziehen und ihre fachlichen und charakterlichen Defizite zur Schau stellen."
Die Kultusbürokratie, die diese Kommission einsetzte, sieht aus naheliegenden Gründen nicht ein, daß man einem Fluidum wie Sprache nicht mit dem germanistischen Schraubenschlüssel allein beikommt. Dazu hätte es feinerer Instrumente bedurft, als sie Politik und generative Grammatik zur Verfügung stellen. Aber beide schützten einander über die Jahre und hielten ihr Zweckbündnis noch aufrecht, als sich längst abzeichnete, daß der Auftrag "Vereinheitlichung und Vereinfachung" gescheitert war.
„Einige wenige Personen"
Im Chor der Politikerstimmen, der sich seit kurzem erhebt, waren vereinzelt auch Kommissionsmitglieder zu vernehmen. Im "Tagesspiegel" etwa brachte Gerhard Augst gleich schwere Geschütze in Stellung: Er glaube nicht, daß die Rechtschreibung das eigentliche Thema sei, man wolle "vielmehr den ganzen Unwillen gegen die anstehenden Sozialreformen auf der Rechtschreibung symbolisch abladen".
Und Klaus Heller sattelte in der "taz" noch drauf: Nur "einige wenige Personen" versuchten aufgrund ihrer publizistischen Macht, "einen demokratischen Prozeß auszuhebeln, der über Jahrzehnte in vielen Ländern durch viele wissenschaftliche, politische und andere gesellschaftliche Gremien gestaltet worden ist".
Es war nicht gut, daß die Kommission so lange die Deckung gesucht hat, aber es wird nun immer deutlicher, daß sie dies mit guten Gründen tat. Nun, auf dem Scherbenhaufen und kurz bevor im Herbst ein Rat für die deutsche Rechtschreibung die Aufräumarbeiten übernehmen soll, zeigt sich vollends, auf welch fragwürdigen Prämissen sie ihr Regelwerk gründete.
Bislang war stets zu hören, daß der künftige Rat für Rechtschreibung im Kern aus den Mitgliedern ebenjener Kommission bestehen soll, die er ablöst, weil ihr Scheitern sogar von den energischsten Verteidigern nicht länger abgestritten werden kann. Unglaublich? Ja, aber nicht unglaublicher als die Vorgeschichte der Kommission.
Heute trifft sich in Wien die Zwischenstaatliche Kommission für die deutsche Rechtschreibung zur Krisensitzung. Obwohl das Gremium die Verantwortung für das Scheitern der Reform trägt, ist es seinen Mitgliedern bisher gelungen, fast vollständig im Hintergrund zu bleiben. Kaum jemand kennt die Namen der Experten, die das mißlungene Regelwerk ausgeheckt haben. Auch in Wien wird wieder hinter verschlossenen Türen getagt. Wir haben sie einen Spalt geöffnet.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.08.2004, Nr. 195 / Seite 33
Bildmaterial: dpa
eingetragen von Dominik Schumacher am 22.08.2004 um 21.25
Rechtschreibreform
„Sprache gehört dem Volk
22. August 2004 Einen unabhängigen „Rat für deutsche Rechtschreibung" haben Bürger aus Deutschland, Österreich und der Schweiz am Wochenende in München gegründet. Das als Verein konstituierte Gremium will dem erklärten Willen der Bevölkerungsmehrheit entsprechen und sich für die Wiederherstellung der einheitlichen Rechtschreibung einsetzen, wie sie vor der Rechtschreibreform üblich war.
Die Gründungsversammlung sprach den Kultusministern das Recht ab, „eine weitere Rechtschreibkommission zu berufen, deren einzige Aufgabe es sein kann, das offenkundige Scheitern der Rechtschreibreform hinauszuzögern".
Vernünftigster Weg
Die Rückkehr zur bewährten Schreibung, die allen, auch den Schülern nach wie vor bekannt sei, sei der einfachste, sicherste und wirtschaftlich vernünftigste Weg zu einer zweckmäßigen und modernen Orthographie. "Nur so werden die Kultusminister auch ihrer Verantwortung gegenüber den heutigen und künftigen Schülern gerecht", schreiben die Gründungsmitglieder.
Zum Vorsitzenden des unabhängigen "Rates für deutsche Rechtschreibung" wurde der Journalist Hans Krieger gewählt; seine Stellvertreter sind Gerhard Ruiss, der Geschäftsführer der IG Autoren in Wien, und der Schweizer Gymnasiallehrer Stefan Stirnemann. Zu den Gründungsmitgliedern gehören außerdem der Weilheimer Deutschlehrer Friedrich Denk, der Verleger Walter Lachenmann, der Konstanzer Rechtswissenschaftler Bernd Rüthers und der Münchner Rechtsanwalt und Lektoratsleiter Johannes Wasmuth.
Erste Ehrenmitglieder sind der Erlanger Sprachwissenschaftler Theodor Ickler, der Schweizer Verleger Egon Ammann, der frühere Generaldirektor der Bayerischen Staatlichen Bibliotheken Eberhard Dünninger und der Mainzer Sprachwissenschaftler Wilhelm Veith. Unter den Schrifstellern zählen Günter Kunert und Reiner Kunze sowie Wulf Kirsten und Elfriede Jelinek zu den Ehrenmitgliedern, außerdem der Münchner Didaktiker Karl Stocker und der Münchner Buchwissenschaftler Reinhard Wittmann.
Das Gremium wolle dem Grundsatz Geltung verschaffen, daß die Sprache dem Volk gehöre und die orthographische Selbstregulierung zurückgewinnen, heißt es in der Gründungserklärung.
Kein Krisentreffen
Am Montag treffen sich in Wien der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, Erich Thies, und die Vertreter Österreichs und der Schweiz, um über die Zusammensetzung des vereinbarten "Rates für deutsche Rechtschreibung" zu beraten, der die sogenannte Zwischenstaatliche Kommission ablösen soll. Angeblich soll jedoch der Kern der Zwischenstaatlichen Kommission, welche die Rechtschreibreform zu verantworten hat, auch in dem neu zu gründenden staatlichen "Rat für deutsche Rechtschreibung" mitarbeiten.
Über die genaue Zusammensetzung wollen die Kultusminister eigentlich im Oktober entscheiden. Das Treffen in Wien war bereits vor der derzeitigen Diskussion um die Rechtschreibreform vereinbart worden. Von einem Krisentreffen, wie verschiedentlich berichtet, kann nicht die Rede sein. Auch sind öffentliche Stellungnahmen der leitenden Beamten aus den drei Ländern nicht zu erwarten.
Text: oll. Frankfurter Allgemeine Zeitung
eingetragen von Norbert Lindenthal am 20.08.2004 um 19.36
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.08.2004, Nr. 194 / Seite 35 Bildmaterial: dpa
Rechtschreibung
Auch ohne Reform: Österreich hat ganz eigene Sprachprobleme
Von Erna Lackner
20. August 2004 Wenn Rechtschreibung etwas zu essen wäre, wenn ein Wort bei orthographischer Veränderung anders schmeckte, dann hätte es in Österreich keine Rechtschreibreform geben können. Denn wenn es ums Kulinarische geht, sind Österreicher äußerst heikel, auf ihre Eigenarten bedacht - und sprachbewußt.
Rechtschreibreform?
Halb so schlimm. Beim Essen sind die Österreicher heikel
Sogar eine von der Europäischen Union anerkannte Liste mit dreiundzwanzig spezifisch österreichischen Wörtern gibt es, die den Eßgenuß schon mal verbal absichern sollen: Beiried (Roastbeef), Fisolen (grüne Bohnen), Kren (Meerrettich), Lungenbraten (Filet), Paradeiser (Tomaten), Ribisel (Johannisbeeren), Topfen (Quark), Vogerlsalat (Feldsalat). Und als im Vorjahr eine EU-Regelung den gebräuchlichen Ausdruck Marmelade auf Supermarktwaren durch Konfitüre ersetzen wollte, rief die "Kronen Zeitung" zum Aufstand auf, und Österreichs Politiker hatten sich in Brüssel stark zu machen. Mit Erfolg: Österreich behielt seine Marmelade.
Rechtschreibregeln munden nicht richtig
Gemäß dem Satz, man ist, was man ißt, verteidigt Österreich sein kulinarisches Kapital bis aufs Messer. Hingegen wird die jetzt in Deutschland geführte Diskussion um die Rechtschreibreform in den österreichischen Medien grosso modo eher als eine typisch deutsche und wenig bedeutende Beckmesserei abgehandelt. Daß die Schwerpunkte der deutschen und der österreichischen Kultur unterschiedlich sind, sprach schon vor fünfzig Jahren Heimito von Doderer in den "Dämonen" an, als er den Bankdirektor Altschul sagen ließ: "In Deutschland, besonders in Westdeutschland, woher ich stamme, wie Sie wissen, ist man sich weit mehr im klaren darüber, wie hier, daß Bücher, wenn ich so sagen darf, Lebensmittel sind."
Weil Rechtschreibregeln so oder so, also ohnehin nicht richtig munden, ging die Reform in Österreich von Anfang an geschmeidig und ohne größeres Aufbegehren über die Bühne. Und auch zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Schon im Herbst 1996, zwei Monate nach der "Wiener Erklärung" am 1. Juli 1996, bei der sich die Kulturpolitiker der deutschsprachigen Länder auf einen Zeitplan einigten und sich verpflichteten, die neue Orthographie von 1998 an einzuführen, wurde an Österreichs Schulen mit der neuen Rechtschreibung begonnen: wenn schon, denn schon.
Was liegt, das pickt
Österreichs Lehrer gingen also wie Musterschüler voran - so daß "unsere Schüler" heute, wie ministerielle Obrigkeiten in diesen Tagen gern betonen, schon acht Jahre problemlos nach den neuen Regeln schreiben. Soll heißen: Umkehr ausgeschlossen. In dem konservativen Land, das gleichwohl oder gerade deswegen punktuelle Modernitätsschübe braucht, um jung und zeitgemäß dazustehen, waren die anfangs gegen die Reform protestierenden Schriftsteller und altmodischen Bildungsbürger rasch auf verlorenem Posten. Auch die Zeitungen stellten, mit Ausnahme der bis vor einem Jahr widerständigen, aber dann doch umschwenkenden "Presse", ihre Korrektorate und Rechtschreibprogramme rasch um, um nicht alt auszusehen.
Inzwischen ist zwar auch vielen Meinungsmachern ein Licht aufgegangen, daß es doch um mehr geht als um die Wahl zwischen "ss" und "ß", daß man sich von ehrgeizigen Ministerialbürokraten und im Grunde desinteressierten Politikern hat über den Tisch ziehen lassen. Aber nun müssen "die armen Schüler" als Hauptargument herhalten, damit man auf dem einmal eingeschlagenen, nun also bequemeren Weg bleiben kann und die Reform, ob recht oder schlecht, nicht zurücknehmen muß - ganz nach der Kartenspielregel: "Was liegt, das pickt!"
Auf dem diffamierenden, unsachlichen Niveau angekommen
Mit ihrem blitzschnellen Hinweis auf die drohenden Kosten bei einer Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung zeigten sich die Schulbuchverleger als Pragmatiker, womit sie den theoretisch argumentierenden Reformgegnern den letzten praktischen Mut abgraben, für ihre Sache einzustehen. "In Deutschland nimmt man die Reform wichtiger, als es sein müßte, und macht eine Frage der Nation daraus. Zum Glück herrscht in Österreich in dieser Angelegenheit die Vernunft", sagte einer der Schulbuchverleger, die mit Gratisschulbüchern (seit drei Jahrzehnten trägt der Staat die Kosten) ihr Geschäft machen.
Und fast alle Zeitungen, bis auf die "Kronen Zeitung", die letzte Woche entsprechend der Mehrheit der Österreicher "Schluß mit neuer Rechtschreibung" forderte, aber selbst vorläufig nicht zur Tat zu schreiten scheint, lassen in ihren Meinungsbeiträgen hoch die neuen Fahnen wehen, bespötteln die deutsche Debatte als Sommerlochgeschichte oder als das Anliegen älterer Herren, die nicht mehr umlernen möchten - womit man auf jenem persönlich diffamierenden, unsachlichen und emotionalen Niveau angekommen ist, das österreichischen Politikern stets als Unkultur vorgeworfen wird.
Er hat offenbar nicht vor, wichtige Autoren ernstzunehmen
Zwar gibt es einige Meinungsumfragen, deren Zahlen alle auf eine mehr oder weniger große Mehrheit von Befürwortern der alten Rechtschreibung hinweisen, doch die Medien des Landes wissen nur zu gut, daß Rechtschreibung kein angstbesetztes Thema ist, mit dem sich eine Anti-Atom- oder eine Anti-Gentechnik-Bewegung starten ließe. Sie wissen auch, daß ihr Einfluß auf die Politiker nicht groß genug ist, um eine Umkehr durchzusetzen, zumal der wirklich entscheidende Medienfaktor Österreichs, die öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt ORF, naturgemäß kein Interesse an dem Thema hat.
Das Wochenmagazin "profil" machte den "Krieg um die Rechtschraibung" zum Titel und tat darunter mit der Frage "Zurück zu den schlechten alten Regeln?" deutlich seine Meinung kund. Im Heftinnern erklärt Karl Blüml, der österreichische Vorsitzende der sogenannten Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission, daß die sachlich veranlagten Wissenschaftler nicht mit den Emotionen zum Thema konkurrieren könnten und wollten, um die emotionalen Reaktionen dann doch psychologisch auszuführen: "Niemand läßt sich gern etwas wegnehmen, was er mühsam erworben hat. Irgendwie ist das so, als hätte man bis jetzt in seinem Leben alles falsch gemacht." Daß dies auch für die Kommissionsmitglieder gelten könnte, bleibt ungesagt. Der Wiener Schulinspektor, der seit 1973 Mitglied der österreichischen Neuregelungskommission ist, spricht von einem "Hornberger Schießen", in dem die Medien ihre Macht ausspielten und pädagogisch nicht verantwortungsvoll vorgingen. Über den Schriftsteller Robert Menasse, der die neue Rechtschreibung als "rassistisch, neoliberal und reaktionär" geißelte, kann sich der Reformer Blüml, der die Bildungsministerin und auch den Bundeskanzler hinter sich weiß, belustigt hinwegsetzen mit dem Ratschlag: "Vielleicht sollte Menasse mit Franzobel darüber sprechen?" Er hat offenbar nicht vor, wichtige Autoren ernstzunehmen.
„Eine fast nahezu eigenständige Sprache“
Liest man das Rechtschreibmanifest einer Schriftstellergruppe um Christian Ide Hintze, Leiter einer Schule für Dichtung in Wien, in dem dringlich die Erweiterung der dreiundzwanzig österreichischen Wörter auf der schon erwähnten EU-Liste und "Österreichisches Deutsch" als Staatssprache in der Verfassung gefordert wird, "in einem europäischen Kontext", mit einer eigens zu kreierenden österreichischen Rechtschreibung, dann ist man auch als Literaturfreund irritiert ob der bunt chaotischen Aufmüpfigkeit. "Österreich muß nicht immer dem deutschen Weg folgen", fordert Marlene Streeruwitz, die auch etwas dagegen hat, daß österreichische Asylwerber "deutsches Deutsch" lernen müssen und dann doch österreichisch sprechen.
Auch Robert Schindel, der dazu auffordert, bei künftigen Rechtschreibreformen nicht mehr mitzumachen, bläst vollmundig in das kleinteilig differenzierte Horn: "Österreich ist ein souveräner Staat. Die Deutschen haben trotz Schnitzler und Kafka nicht begriffen, daß es ein österreichisches Deutsch gibt." In seinen Büchern (auf Schindels ausdrücklichen Wunsch bei Suhrkamp verlegt in der neuen Rechtschreibung) achte er darauf, daß österreichische Ausdrücke nicht korrigiert würden. "Was uns am meisten von unseren deutschen Nachbarn trennt, ist die gemeinsame Sprache", sagte Karl Kraus, an den auch der "Extremschrammler" Roland Neuwirth erinnert. "Wir sind einfach die ältere Nation", sagt der Autor und Musiker und behauptet, Österreichisch sei eine "fast nahezu eigenständige Sprache". Fast nahezu.
Aber doppelt hält doch besser. Bisher schätzten sich viele österreichische Schriftsteller glücklich, in einer Sprache, die hundert Millionen Menschen verstehen, zu veröffentlichen, und zwar in den großen deutschen Verlagen. (Den Österreichischen Bundesverlag und zahlreiche andere Verlage, auch einträgliche für Schulbücher, hat ja der österreichische Finanzminister erst vor einem Jahr an den deutschen Klett Verlag verkauft.) Und nun spricht ein Dramatikerkerl wie Peter Turrini davon, daß die österreichische Literatur mehr mit der marokkanischen zu tun habe als mit der deutschen Literatur! Die österreichische Debatte um die Rechtschreibreform ist ein fahrender Bummelzug, auf den begeistert und profilisierungstüchtig die patriotischen Sezessionisten aufspringen.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.08.2004, Nr. 194 / Seite 35
Bildmaterial: dpa
eingetragen von Norbert Lindenthal am 19.08.2004 um 23.21
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.07.2004, Nr. 171 / Seite 29
Bildmaterial: dpa
Hüter der Sprache: Enzensberger
Rechtschreibreform
Hans Magnus Enzensberger: An unsere Vormünder
26. Juli 2004 In memoriam Johann Balhorn. Daß das schöne Wort Reform in Deutschland einen fauligen Mundgeruch angenommen hat, liegt nicht zuletzt an der Skrupellosigkeit einer Mafia, die sich vor Jahren in irgendwelchen Hinterzimmern zusammengerottet hat, um mit der deutschen Sprache gründlich aufzuräumen.
Funktionäre, Didaktiker und Agenten des Duden-Monopols waren es, die sich anmaßten, über die Rechtschreibung als geheime Kommandosache zu verfügen. Ein Kreis von Legasthenikern, der es zu Ministerämtern gebracht hat, deckt, vermutlich aus Größenwahn und Eitelkeit, diese Leute und möchte uns vorschreiben, wie wir uns auszudrücken haben. Dieser Klüngel, die Ku-Mi-Ko, ist kein Verfassungsorgan. Sie hat uns nichts zu sagen.
Das demokratische Medium
Wer sich als Herrscher über die Sprache aufspielt, hat nicht begriffen, daß es sich um das einzige Medium handelt, in dem die Demokratie schon immer geherrscht hat. Selbsternannte Autoritäten kann es da nicht geben. Was eine Sprachgemeinschaft akzeptiert und was sie ablehnt, darüber entscheiden Millionen.
Ein einfacher Test dürfte als Beweis genügen: Welche Idiome haben es zu Weltsprachen gebracht? Das Lateinische mit seinen zahllosen Flexionen; das Arabische, das nur die Konsonanten schreibt und es dem Leser überläßt, die Vokale zu ergänzen; das Französische mit seiner abwegigen Orthographie und das Englische mit seinem blühenden Chaos; nicht aber Sprachen, die über eine vernünftige Rechtschreibung verfügen, wie das Italienische und das Finnische.
Eine dreiste Lüge
Es ist eine dreiste Lüge, wenn die Sprachplaner behaupten, es ginge ihnen ja nur um die armen Schüler, die von den alten, ach so schwierigen Schreibweisen überfordert wären. Woher kommt es dann, daß diese bedauernswerten Geschöpfe überall auf der Welt, und zwar besonders in Deutschland, fast alle fließend Englisch sprechen und mühelos jeden Hit buchstabieren, der in den Charts auftaucht?
Autoren, Linguisten, Gelehrte aller Fakultäten haben seit Jahren die Idiotie dieser verordneten Reform decouvriert. Inhaltlich ist dazu nichts Neues mehr zu sagen. Politisch bemerkenswert ist jedoch die Unbelehrbarkeit der ministerialen Ignoranten und die Feigheit derer, die ihnen auf die servilste Art und Weise gehorchen.
Die Feigheit der Lehrer
Damit meine ich zum einen die Schullehrer. Sie sind allesamt praktisch unkündbar; selbst einen Narren oder einen Alkoholiker loszuwerden, verbietet das heilige Beamtenrecht. Gleichwohl halten sich sogar Pädagogen, die aus Erfahrung wissen, daß die Reform ihre Schüler schädigt, sklavisch an die unsinnigen Vorschriften von Amtsinhabern, die selber nicht imstande sind, einen vernünftigen deutschen Satz hervorzubringen.
Zweitens sind es Verleger und Redakteure, denen keine Bürokratie etwas vorschreiben kann, die sich, wider besseres Wissen, in vorauseilendem Gehorsam dieser deutschen Hanswurstiade gebeugt haben, statt sich an eine schlichte Maxime des Großen Kriminellen Vorsitzenden Mao Tse-tung zu halten: "Es kommt darauf an, wer den längeren Atem hat."
Es ist überflüssig, sich weiter über die Ignoranz und die Präpotenz der Ku-Mi-Ko zu ereifern; es genügt, ihre Anweisungen zu ignorieren. Dazu ist keine besondere Zivilcourage erforderlich. Ein kleiner Vermerk auf jedem Manuskript, auf jeder Schulaufgabe genügt: "Nicht nach Duden!" Es gibt Schriftsteller und Redaktionen, die, mit wachsendem Erfolg, nach dieser Regel verfahren.
Wer sich als Herrscher über die Sprache aufspielt, hat nicht begriffen, daß es sich um das einzige Medium handelt, in dem die Demokratie schon immer geherrscht hat.
Der Verfasser ist Schriftsteller. Widmungsträger Johann Balhorn d. J. (1528 bis 1603) war ein Lübecker Buchdrucker, in dessen Verlag 1586 das mittelalterliche "Lübische Recht" in einer angeblich korrigierten Neuauflage erschien, die jedoch viele Fehler enthielt. Angeblich leitet sich von seinem Namen der Begriff "verballhornen" her.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.07.2004, Nr. 171 / Seite 29
Bildmaterial: dpa
eingetragen von Norbert Lindenthal am 16.08.2004 um 20.34
17.8.2004, Nr. 190, Seite 37
Rechtschreibung
Entscheidet sich das Schicksal der Reform in der Schweiz?
Von Jürg Altwegg
Peter von Matt: "Plädoyer für die Lockerung der Fronten"
FAZ.net Spezial
Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung
16. August 2004 "Bitte mehr Hochdeutsch" überschrieb der "Tages-Anzeiger" einen Kommentar auf der ersten Seite. In mehreren Beiträgen befaßte sich die Zeitung mit dem Vormarsch der Mundart: "Die Dialektwelle drängt das Hochdeutsche in eine Nebenrolle." Der Arbeitgeberpräsident, der regelmäßig die Defizite der Schulabgänger beklagt, wurde befragt. Von der Züricher Handelskammer berichtete das Blatt, daß ihr Deutschdiplom für karriereorientierte Männer kein Thema mehr sei. "Bedauerlich" sei das, wurde der Schulpräsident zitiert: "In vielen Firmen ist man nicht mehr in der Lage, auf Hochdeutsch umzustellen, wenn jemand aus der Westschweiz anruft. Am Schluß reden sie Englisch miteinander."
Der "Tages-Anzeiger" veröffentlichte seinen Report Ende Juli aus aktuellem Anlaß: Ein Abgeordneter von Christoph Blochers Schweizerischer Volkspartei hatte für die Bildungskatastrophe wieder einmal die überbezahlten Schulmeister verantwortlich gemacht. Er schlug vor, massenhaft Lehrer aus Deutschland zu holen. Die seien sehr viel billiger und würden wohl zumindest im Fach Deutsch die Kinder zu besseren Leistungen führen. In den Diskussionen, die der Vorstoß auslöste, wurden viele Gründe aufgeführt: psychologische, politische, pädagogische. Keiner nannte als Ursache die neue deutsche Rechtschreibung.
Kulturkampf um Europa
In der frankophonen Westschweiz, die von keiner Reform der Orthographie heimgesucht wurde und wo es keine Mundart gibt, fällt der Befund des Sprachzerfalls genauso dramatisch aus. Der Analphabetismus ist zur Realität geworden.
Als die deutschsprachigen Länder in den neunziger Jahren ihre Rechtschreibung zu reformieren begannen, tobte in der Schweiz ein Kulturkampf um Europa. Der Graben zwischen der lateinischen Schweiz - Tessin und Romandie - und der alemannischen Mehrheit war so tief wie zuletzt im Ersten Weltkrieg. Selbst gemäßigte Politiker bedienten sich einer Rhetorik, die einen Bürgerkrieg befürchten ließ. "The End of Switzerland" titelte die Westschweizer Zeitung "Le Temps", als Zürich in den Schulen Englisch als erste Fremdsprache zuließ. Zehn Jahre danach ist dieser Kampf entschieden: Englisch hat sich als fünfte Landessprache und Idiom der nationalen Verständigung etabliert. Es ist längst die führende Zweitsprache der Schweizer. Fußball wird nicht mehr in der Nationalliga A und B gespielt, sondern in der Super- und der Challenge League. In Zürich beginnt gerade das neue Schuljahr mit "Frühenglisch" in der Primarschule.
Hang zum Frühenglisch und zur Mundart
In der Westschweiz, wo das Deutsche bei den Schülern so unbeliebt ist wie in Frankreich, ist die Tendenz zum Englischen nicht weniger stark. Inzwischen geht es den Bildungspolitikern darum, im Dienste des nationalen Zusammenhalts bis zum zwölften Lebensjahr das Erlernen einer zweiten Fremdsprache zu beginnen. Der Widerstand dagegen kommt aus der Deutschschweiz - mit Zürich an der Spitze. Diesmal wird er mit der Überforderung der Kinder begründet.
Der Hang zum Frühenglisch und zur Mundart ist Merkmal der jüngsten Sprachentwicklung in der deutschen Schweiz. Das ist für die italienisch- und französischsprachigen Landsleute ebenso ein Problem wie für die Ausländer. Letztere machen zwanzig Prozent der Bevölkerung aus. Soeben hat Basel ein Gesetz erlassen, das Aufenthaltsbewilligungen vom Besuch von Deutschkursen abhängig macht - so weit ging zuvor kein Kanton.
Begünstigt Affinität zur Mundart neue Rechtschreibung
Seit Zürich im Alleingang und gegen landesweiten Protest das Tabu der ersten Fremdsprache brach, sind viele Dämme geborsten. Zwar fördert der Staat die Sprachminderheiten und den Kulturaustausch nach wie vor mit bedeutenden Mitteln. Doch aus finanziellen Gründen will die Regierung auf ein geplantes Sprachgesetz verzichten. Es hätte die Grundlage für eine verpflichtende Unterstützung der mehrsprachigen Kantone geschaffen. Diesen Rückzieher kritisiert die Politikerin Lili Nabholz, die im Auftrag des Europarats eine vielbeachtete Studie über die Lösung des Sprachproblems in Belgien vorgelegt hat. Belgische Zustände sind in der Schweiz nach dem beigelegten Streit über Europa nicht zu befürchten - beängstigender ist inzwischen vielmehr die gegenseitige Gleichgültigkeit. Vom nächsten Jahr an werden in Graubünden die Schulbücher nur noch in der Einheitssprache Rumantsch Grischun gedruckt und nicht mehr wie bisher in allen fünf Dialekten, die durchaus auch Schriftsprachen sind.
Als solche wird immer mehr auch das Schweizerdeutsche verwendet. Vor diesem Hintergrund erfolgte der Schrei nach deutschen Lehrern. Möglicherweise hat eine gewisse Affinität zur Mundart bewirkt, daß die neue Rechtschreibung in der Schweiz recht gut angekommen ist. Die "Gämse" mag im Schriftbild schockieren - dem Dialekt ist sie mindestens so nahe wie die Gemse.
Die Elite pflegt die alte Schreibweise
Der Widerstand gegen die Reform hielt sich in Grenzen. Als die "Schweizer Monatshefte" zur bewährten Rechtschreibung zurückkehrten, fand dieser Schritt zwar viel Beachtung, aber in Deutschland war das Echo größer als in der Schweiz. "Es rächt sich jetzt", kommentierte das Nachrichtenmagazin "Facts" die Entscheidung der Springer-Verlage und des "Spiegels", "daß die Schweiz die Reform zügiger an die Hand genommen hat als Deutschland. In den Schulen ist die neue Rechtschreibung umgesetzt, die Debatte über Vor- und Nachteile abgeschlossen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo sich ein Drittel der Lehrerschaft der Reform noch immer widersetzt und die Grundsatzdebatte nie eingeschlafen war."
Jetzt läuft die Debatte auch in der Schweiz auf Hochtouren. Der Verleger Egon Ammann schlägt die Gründung einer Institution nach dem Vorbild der "Académie française" vor. Der Schriftsteller Urs Widmer plädiert "für etwas Durcheinander". Peter Stamm kritisiert die Konservativen. Adolf Muschg, als Gegner bekannt, nuanciert seinen Standpunkt: "Ich bin für eine Überprüfung der neuen Regeln und nicht für eine Rückkehr zur alten Orthographie", wird er von "Facts" zitiert.
Die Lage ist relativ übersichtlich: Die Elite - nicht nur der Schriftsteller - pflegt die alte Schreibweise. So hält es auch der zu Hanser gehörende Züricher Verlag Nagel & Kimche - der seine Jugendbücher in der neuen Orthographie druckt. Die Zeitungen und Magazine haben längst umgestellt und bleiben im Moment dabei. Die NZZ hat eine eigene Schreibweise entwickelt und hält bislang daran fest. Die Bildungspolitiker bleiben bei der Reform - als "Ajatollahs" werden von ihnen auch schon mal die Kritiker bezeichnet.
Rechtschreibreform kein totalitäres Schreckgespenst
Viele stufen das Verhalten der "deutschen Großverlage" als "arrogant" ein, auch geht die Rede vom "deutschen Sommertheater". Schweizer Demokraten sind es gewohnt, auch Entscheide, die sie anders gefällt hätten, zu akzeptieren und Niederlagen umzusetzen. Aus helvetischer Sicht ist in Deutschland ein Machtkampf zwischen Medien und Politik im Gange, der von einem Generationenkonflikt überlagert wird. Die Sieger werden aus dieser Sicht Schulen und Jugendliche sein. "In drei Jahrzehnten werden die heutigen Grundschüler auf den Sesseln der jetzt amtierenden Chefredaktoren sitzen", prophezeit das Feuilleton der "Neuen Zürcher Zeitung": "Niemand wird mehr von der Reform reden; vielleicht wird man wieder aufwendig schreiben dürfen, vielleicht aber auch nicht, und man wird aufwändig für eine der vielen Irregularitäten der deutschen Sprache halten."
Gegen die Normen des Dudens haben die Schweizer - für die das ß ein rotes Tuch ist - viele Abweichungen durchgesetzt. Ihre Erfahrung mit mehreren Sprachebenen mag dazu geführt haben, daß die Rechtschreibreform nur von wenigen als totalitäres Schreckgespenst empfunden wurde. Diese Gelassenheit ist so sehr verankert, daß in den neuen Debatten überhaupt nie die antideutschen Klischees mobilisiert wurden, die ansonsten beim geringsten Zerwürfnis mit dem "großen Kanton" schnell zur Hand sind. Das könnte sich ändern, falls die Reform gekippt werden sollte. Dann wird man sich anpassen und umstellen müssen. Das wissen alle.
Funktioniert die politische Kultur der Viersprachigkeit noch?
Das Unbehagen der Schweizer gegenüber Deutschland hat viel mit Sprache zu tun. Die Erkenntnis, daß das Land eine einflußreiche Rolle spielen kann und seine Stimme in Deutschland durchaus gehört wird, hat die Haltung der Schweiz keineswegs flexibler gemacht. Sie möchte das Zünglein an der Waage sein. Angesichts der zunehmenden Verhärtung hat der in beiden Ländern gleichermaßen angesehene Literaturwissenschaftler Peter von Matt in der "Neuen Zürcher Zeitung" ein "Plädoyer für die Lockerung der Fronten" publiziert. Seinem Heimatland wirft von Matt vor, an der kritisierten Willkür mitschuldig zu sein: "Die Schweiz hat bei den internationalen Gesprächen versagt, als sie eine breite Vernehmlassung verhindern half." Den Reformern unterstellt er Unerbittlichkeit: Auf konstruktive Vorschläge - zum Beispiel die Rechtschreibung der "NZZ" - gingen sie nicht ein. Statt mit Durchhalteparolen im "Kasernenton" an die Nachbarn zu appellieren, solle sich die Schweiz auf ihre Rolle der Vermittlung besinnen: Es gibt Lösungen und Kompromißmöglichkeiten.
"Es ist die Aufgabe der Schweiz, die Fronten im letzten Moment zu lockern, den drohenden Termin in Frage zu stellen und ein neues Gesprächsklima zu schaffen", fordert von Matt. "In der Schweiz kann man das, sonst gäbe es das Land schon lange nicht mehr!" Das stimmt. Aber funktioniert die politische Kultur der Viersprachigkeit mit ihrem von Peter von Matt beschworenen Gesprächsklima der Vermittlung und des Dialogs noch? Zweifel sind leider angebracht. Im Umgang mit den sprachlichen Minderheiten des eigenen Lands hat die Deutschschweiz unter Zürichs Regie genau jene Willkür salonfähig gemacht, die sie jetzt den Deutschen unterstellt: eine rücksichtslose Politik der vollendeten Tatsachen.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.08.2004, Nr. 190 / Seite 37
Bildmaterial: dpa
eingetragen von Norbert Lindenthal am 16.08.2004 um 20.09
13.8.2004, Seite 7
Rechtschreibung
Kompromiß gesucht
Von Stephan Löwenstein
13. August 2004 Kultur ist Ländersache, daher fällt auch die Rechtschreibung in die Kompetenz der Länder. Genauer: Die Entscheidung, welche Schreibung in den Behörden gebraucht und an den Schulen gelehrt wird, obliegt den Landesregierungen. Vor allem wegen des Schulunterrichts liegt es auf der Hand, daß eine sinnvolle Regelung nur gemeinsam unter den Ländern gefunden werden kann. Daher sind die entscheidenden Gremien die Konferenz der Ministerpräsidenten und die Kultusministerkonferenz. Beide treffen Entscheidungen nur im Konsens.
Anfang Juli hat der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) auf Antrag von Christian Wulff (CDU) aus Niedersachsen das Thema auf die Tagesordnung für das nächste Treffen der Regierungschefs vom 6. bis zum 8. Oktober gesetzt. Stoiber sitzt derzeit der Ministerpräsidentenkonferenz vor, im Oktober geht der Vorsitz turnusgemäß an den Berliner Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) über, der dann auch Gastgeber und Leiter des Treffens sein wird. Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) wird sich dann, eine Woche später, mit der Sache noch einmal befassen. Auf Antrag des saarländischen Kultusministers Jürgen Schreier hat die derzeitige Vorsitzende der KMK, die rheinland-pfälzische Ministerin Doris Ahnen, die Tagesordnung entsprechend ergänzt. Doch wurde in ihrem Haus zugleich deutlich gemacht, daß man das für überflüssig halte: Habe man sich nicht erst Anfang Juni einstimmig darauf geeinigt, die Reform vom 1. August 2005 an verbindlich zu machen? Und ein Vierteljahr später sollten die Kultusminister ebenso einstimmig das Gegenteil beschließen? Auch in der KMK geht der Vorsitz turnusgemäß weiter, das Treffen am 14. und 15. Oktober im saarländischen Orschloz wird Schreier leiten.
Ein Kompromißvorschlag
Wegen der gebotenen Einstimmigkeit hat der Vorsitz keine allzu große Bedeutung. Doch hat Schreier mit der Ankündigung eines Kompromißantrags zu erkennen gegeben, daß er das Treffen nicht nur organisatorisch, sondern auch inhaltlich leiten will. Sein Vorschlag, den er am Dienstag in der Saarbrücker Zeitung skizzierte, zielt darauf, die Übergangszeit für den Gebrauch bewährter wie reformierter Rechtschreibung auf unbestimmte Frist zu verlängern. "Ich will nur den Termin, an dem das Alte falsch und nur das Neue richtig wird, nicht wie ein Fallbeil greifen lassen."
Gleichzeitig solle der neue "Rat für Rechtschreibung" unverzüglich eingesetzt werden, um Veränderungen an der Reform vorzunehmen. Die KMK hatte am 4. Juni die Einsetzung dieses Rats beschlossen, der die Aufgaben der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung sowie der jeweiligen Beiräte übernehmen soll; sie will den Rat ohnehin "zügig einsetzen". Schreier sagte: "Ich möchte haben, daß es weiter so bleibt, wie es ist: Die neuen Regeln werden gelehrt, alte Schreibweisen werden aber nicht falsch. Sie werden in der Schule als alt gekennzeichnet, aber nicht als Fehler gewertet. Was dann kommt, ist ein Prozeß. Das ist organisch, das ist menschlich."
Schreier stellt klar, er wolle nicht zurück zur alten Rechtschreibung. Er setze auf den Wettbewerb einer konkurrierenden Rechtschreibung, bei der letztlich das Akzeptierte übrigbleibe. "Ebenso wie es falsch war, daß die neue Rechtschreibung administrativ verordnet wurde, wäre es jetzt auch falsch, die alte per Verordnung wieder einzuführen." Schreier gibt an, es gehe ihm darum zu vermeiden, daß viele Medien anders schrieben, als die Schüler es in der Schule lernten; das sei den Schülern nicht zuzumuten. Da allerdings zumindest der Spiegel-Verlag und die Axel Springer AG, jetzt auch der "Rheinische Merkur", angekündigt haben, in allen ihren Druck- und Internetprodukten wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur bewährten Rechtschreibung zurückzukehren, wäre dieses Ziel auch nach Schreiers Vorschlag nicht erreicht.
Nahezu allein auf weiter Flur
Der saarländische Kultusminister steht mit seinem Vorschlag in einem Gegensatz zu früheren Äußerungen seines Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU), der sich für eine Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung ausgesprochen hatte. Müller steht aber mit dieser Klarheit im Kreise der Ministerpräsidenten nahezu allein auf weiter Flur, offen zur Seite steht ihm nur Wulff. Sympathie für eine Rückkehr haben mehr oder weniger diskret auch Stoiber sowie der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) und der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) erkennen lassen. Doch wollen sie offenbar Rücksicht auf ihre Kultusminister nehmen. Die aber wollen von einer vollständigen Rücknahme der Reform nichts wissen. Es ist daher auch nicht zu erwarten, daß es eine Initiative aus den Reihen der Ministerpräsidenten gibt, die Sache den Kultusministern "aus der Hand zu nehmen". Eine Mehrheit für ein solches Vorgehen wäre nicht in Sicht, schon gar nicht die erforderliche Einstimmigkeit.
Es deutet daher vieles darauf hin, daß die Gegner der Rechtschreibreform im Kreise der Ministerpräsidenten auf dem Treffen im Oktober einen Kompromiß anstreben, wie ihn Schreier vorgeschlagen hat. Von seiten Böhmers verlautete am Donnerstag: "Trotz aller Fragwürdigkeit schafft bei der derzeitigen Beschlußlage eine Rücknahme so viele Probleme, daß die Verwirrung noch größer würde. Deshalb wäre es besser, über eine verlängerte Einführungsdauer und Veränderungen nachzudenken."
Der Kompromißbereitschaft förderlich könnte der Umstand sein, daß die Streitlinien nicht entlang den Parteilinien verlaufen. So sprechen sich gegen eine Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung seitens der CDU die Regierungschefs Milbradt, Althaus, von Beust und Koch aus. Koch gehörte zwar früher zu Kritikern der Reform, bekundet aber inzwischen die Auffassung, der Zug sei "abgefahren".
Von seiten der SPD findet sich allerdings kein Ministerpräsident, der sich klar gegen die Reform ausspricht. Nur einige Bundestagsabgeordnete haben hier Position bezogen, was aber nur atmosphärische Bedeutung hat. Parteipolitische Anti-Reflexe könnten allerdings die forschen Töne von Oppositionsführern von der CDU, denen Wahlen bevorstehen, hervorrufen. So hatte der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Jürgen Rüttgers angekündigt, die CDU werde nach einem Wahlsieg "dafür sorgen, daß man zu den bewährten Regeln zurückkehrt." Am Dienstag forderte, moderater, der rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Christoph Böhr in der "Bild"-Zeitung, der Rechtschreibkommission, "die schon die letzte Rechtschreibreform verbockt hat, das Heft des Handelns aus der Hand" zu nehmen. Als einzige Partei hat sich die FDP mit den Stellungnahmen ihres Vorsitzenden Guido Westerwelle, ihres Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Gerhardt und ihrer Generalsekretärin Cornelia Pieper eindeutig gegen die Rechtschreibreform positioniert.
Das bedeutet allerdings nicht, daß sich in den Reihen der übrigen, auch der sozialdemokratischen Ministerpräsidenten ausschließlich begeisterte Anhänger der Reform, wie sie ist, befinden. Die Befürworter einer Revision sehen hier durchaus heimliche Verbündete. Es kommt ihnen daher darauf an, eine "Brücke" zu finden. Auch ist das Bestreben erkennbar, es den Kultusministern zu ermöglichen, ihr "Gesicht zu wahren". Daher spielt in den Überlegungen der "Rat für Rechtschreibung", dessen Einsetzung die Kultusminister selbst beschlossen hatten, eine zentrale Rolle.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.08.2004, Nr. 187 / Seite 7
Bildmaterial: F.A.Z.-Greser&Lenz
Nur 3,4 Prozent
Wäre eine Rückkehr zur bewährten Schreibung für Grundschüler eine Katastrophe? Die folgende Aufstellung der betroffenen Wörter bezieht sich auf den Grundschullehrplan Bayern, 2000, 2. Auflage.
Der Grundwortschatz, der am Ende des vierten Schuljahrs von den Schülern verlangt wird, umfaßt 700 Wörter. Insgesamt finden sich darunter 24 Wörter (3,4 Prozent), die gemäß Rechtschreibreform anders als früher zu schreiben sind:
- 1 Wort unter der Rubrik "Häufig gebrauchte Wörter", - 4 Wörter im Grundwortschatz der Jahrgangsstufen 1 und 2, - 19 Wörter im Grundwortschatz der Jahrgangsstufen 3 und 4.
Es sind dies folgende Wörter (hier in neuer Schreibung):
in der Rubrik "Häufig gebrauchte Wörter": dass;
im Grundwortschatz der Jahrgangsstufen 1 und 2: isst muss Spagetti Stängel;
im Grundwortschatz der Jahrgangsstufen 3 und 4: biss bisschen floss Fluss frisst goss Kompass Kuss lässt misst nass nummerieren Nuss Pass riss schloss tausende vergisst wusste.
Von den 24 "Neuschreibungen" entfallen somit 20 auf die neue ss-Schreibung. (F.A.Z.)
eingetragen von Norbert Lindenthal am 11.08.2004 um 22.47
Haus des Seins
11. August 2004 Was ist heute noch konservativ? Eine CDU-Alleinregierung offenbar nicht. Sonst hätte das Land Hessen im Streit um die Rechtschreibreform längst klare Stellung gegen die überflüssigen Neuerungen bezogen. Statt dessen argumentiert Kultusministerin Karin Wolff formalistisch, die Dinge müßten ihren Lauf nehmen, nachdem sie nun einmal angestoßen worden seien. Und nennt es Verläßlichkeit, wenn die hessische Landesregierung auf dem schlechten Neuen beharrt. Eine Sache um ihrer selbst willen durchzusetzen, unbeeindruckt von fundierter Kritik und dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments: Dies kann ja wohl nicht der Ausweis des Konservatismus am Anfang des 21. Jahrhunderts sein.
Auch aus Wiesbadener Politikermund hört man in diesen Tagen, die Ankündigung von Spiegel, Springer und Süddeutscher Zeitung, zur alten Orthographie zurückzukehren, sei "Sommertheater". Und Deutschland habe derzeit ganz andere Sorgen. Derlei Aussagen lassen sich nur damit erklären, daß einige Regierende selber schon Opfer jener Entwicklungen geworden sind, die letztlich zum Armutszeugnis für die deutschen Bildungseinrichtungen geführt haben. Was nämlich soll wichtiger sein als die Sprache, in der sich die Bevölkerung ausdrückt? Mit der sie sich Bildung aneignet? In der sie denkt? "Die Sprache ist das Haus des Seins": Heideggers Wort in Politikers Ohr.
Die sprachliche Entwicklung vieler Kinder läßt zu wünschen übrig. Die Verhunzung des Deutschen hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Mit der Sprachkompetenz gehen Differenzierungsvermögen, Gedankenschärfe und damit am Ende Konkurrenzfähigkeit verloren. Die Orthographie ist ein nicht zu unterschätzendes Moment in diesem Zusammenhang. Verbindliche Regeln geben eine Sicherheit, von der aus auch schöpferische Regelverletzungen möglich sind.
Die Germanistik, die seit langer Zeit an Legitimationsschwund leidet, ist mit dem Versuch, mittels der Rechtschreibreform endlich einmal wieder ihre gesamtgesellschaftliche Bedeutung unter Beweis zu stellen, kläglich gescheitert. Der Schaden muß jetzt begrenzt, die Farce beendet werden. Kulturkonservative Verantwortung ist gefragt. Auch in Wiesbaden. In der gegenwärtigen Situation kann es nur eines geben: schleunigst zurück zum Duden, 20. Auflage. MICHAEL HIERHOLZER
eingetragen von Norbert Lindenthal am 10.08.2004 um 23.36
11.8.2004 FAZ, Seite 36
Rechtschreibung
Anarchisch? Weg damit!
Von Esther Kilchmann und Michael Hanfeld
10. August 2004 Angeblich rund sechzig Prozent aller Leser in diesem Lande werden demnächst wieder die alte Rechtschreibung zu sehen bekommen. So groß soll die Gruppe sein, die der Springer-Verlag mit seinen Zeitungen und Zeitschriften und der "Spiegel"-Verlag erreichen.
Dabei sind die Reichweiten von 1,15 Millionen Lesern dieser Zeitung, die bereits am 1. August 2000 zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt ist, und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit 1,3 Millionen Lesern noch gar nicht mitgerechnet. Doch was machen die anderen - nicht weniger bedeutsamen - vierzig Prozent? Namentlich die 331 Regionalzeitungen, die auf eine täglich verkaufte Gesamtauflage von 15,8 Millionen Exemplaren kommen?
Sie warten - wie eine Stichprobenbefragung unter Chefredakteuren ergibt - ab, mißmutig oder hoffnungsvoll. Sie wollen sich von überregionalen Großverlagen nicht bevormunden lassen. Sie sind abhängig von der Schreibweise, welcher die Nachrichtenagenturen folgen, namentlich die Deutsche Presse-Agentur. Und sie sind bewegt vor allem von einer Frage, der neben der normativen Kraft des Faktischen und der sich abzeichnenden Machtprobe in der Politik in der Sache wohl entscheidende Bedeutung zukommt: Was bedeutet das für unsere jungen Leser? Für jene Leser also, um welche sich alle Zeitungen als vermeintliche "alte" Medien mit Verve bemühen müssen und die mehr oder weniger in toto mit der neuen Rechtschreibung aufwächst.
„Extrem unwohl“
Es wäre ihm, sagt etwa Matthias Friedrich, der Chefredakteur des "Wiesbadener Kuriers", "extrem unwohl, wenn wir in der Zeitung eine andere Schreibung praktizierten als jene, welche die Schüler in der Schule lernen". Dann täte sich "ein ernster Graben auf". Das Verhalten von Spiegel und Springer, sagt Friedrich, "dient nicht dem Ziel, das Chaos zu verkleinern", es führe vielmehr "zu mehr Unsicherheit".
Ähnlich sieht dies Uwe Knüpfer, der Chefredakteur der "Westfälischen Allgemeinen Zeitung", die mit ihren dreiundzwanzig verschiedenen Lokalausgaben und einer Auflage von einer Million Exemplaren das Herzstück das WAZ-Konzerns darstellt. "Wir kehren nicht zur alten Rechtschreibung zurück", sagt er, "und sind der Auffassung, daß Verlage nicht Politik machen sollten, wir sollten Beobachter bleiben." In der Sache sei es wohl am sinnvollsten, "sich zügig zu bemühen, allzu grobe Unsinnigkeiten der neuen Rechtschreibung aufzuheben und es dann bei dieser zu belassen".
„Wir bleiben dabei!“
Eindeutig fällt die Reaktion bei der zum Madsack-Konzern gehörenden "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" aus. "Wir bleiben dabei!" schrieb dort am Wochenende der Chefredakteur in einem Kommentar. "Fast anarchisch" findet der Chefredakteur der "Kölnischen Rundschau", Jost Springensguth, das Vorgehen von Spiegel und Springer, es gebe "überhaupt keinen Grund" von der neuen Rechtschreibung abzuweichen.
Für Peter Bauer von den "Bremer Nachrichten" sind diese zur Genüge gegeben, vor allem kritisiert er, daß die Reform von der Politik einfach "übergestülpt" worden sei: "In der Redaktion sind wir eigentlich alle dagegen." Jetzt wird auch hier auf die Agenturen geblickt; "Meldungen zurückzuredigieren können wir uns nicht leisten", meint Bauer.
„Wir haben nachzudenken“
Abwägend gibt sich der Chefredakteur des "General-Anzeigers" in Bonn, Joachim Westhoff. Man werde sorgfältig nachdenken, was dies für die Zeitung bedeute, und sei noch nicht zu einem Ergebnis gekommen. Auf den Widerstand gegen die Rücknahme der Reform, wie sie Politiker wie der sächsische Ministerpräsident Milbradt oder die rheinland-pfälzische Kultusministerin Ahnen, müsse man noch nicht soviel geben, meint Westhoff. Es werde spannend sein, zu sehen, wie es politisch weitergeht. "Wir haben nachzudenken."
"Kein Alleingang" heißt es bei den "Nürnberger Nachrichten", wo nach den Worten von Heinz-Joachim Hauck ebenfalls die Entscheidung der Agenturen maßgeblich ist. Ein aktueller Anlaß, die Rechtschreibung umzustellen, sei nicht gegeben, erklärt Dieter Soika von der "Freien Presse". Bis auf weiteres werde sich die Zeitung deshalb beobachtend verhalten.
Verhaltene Reaktionen
Für Ernst Hebeker vom "Münchner Merkur" steht trotz seiner persönlichen Präferenz der herkömmlichen Schreibweise die Einheitlichkeit im Vordergrund. Vielleicht werde sich nun ja eine modifizierte Reform durchsetzen, hofft er. Bis dann bleibe allerdings auch die Rückkehr immer ein Thema. "Die Reaktionen bleiben in unseren Breitengraden eher verhalten", sagt hingegen der Chefredakteur der "Thüringer Allgemeinen", Sergej Lochthofen. Es gebe gewichtigere Probleme. Neunzig Prozent der Leser, so seine Erfahrung, wüßten nicht einmal, mit welcher Rechtschreibung ihre Zeitung erscheine.
Interessant ist, wie es Zeitungen halten, die zur Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) zählen, die im letzten Jahr als neuer Gesellschafter und finanzieller Retter bei der "Süddeutschen Zeitung" eingestiegen ist, die sich vorsichtig zur alten Rechtschreibung bekannt hat. Jörg Bischoff, Chefredakteur der "Südwest Presse", verweist in dieser Frage auf die Kultusministerkonferenz, und gibt der Rücksichtnahme gegenüber den Kindern Priorität. "Wir bleiben dabei, es sei denn, die Kultusminister kippen um", sagt Peter Christ, der Chefredakteur der "Stuttgarter Zeitung".
„Abgehobene Debatte“
"Die Debatte ist etwas befremdlich, wenn man auf die Probleme schaut, die dieses Land wirklich hat." Es sei eine "abgehobene Intellektuellendebatte", die von solchen geführt werde, die sich viel früher hätten äußern sollen, meint Christ, der die Entscheidung für die neue Rechtschreibung wie die Mehrzahl seiner von uns befragten Kollegen vor allem mit der Rücksicht auf nenmehr acht Jahrgänge von Schülern begründet. "Es herrscht bereits genügend Chaos", stimmt dem Thomas Hauser von der "Badischen Zeitung" (die nicht zur SWMH gehört) zu, wichtig sei, " die "Sprache in die Zeitung zu nehmen, die die Kinder lernen".
Und was denken die Leser? "Sommertheater, was soll der Quatsch, keine Rückkehr zur alten Rechtschreibung", sagt Uwe Knüpfer von der WAZ, es handle sich um "ein künstlich hochgespieltes Thema", sagt Thomas Hauser von der "Badischen Zeitung". Dieter Soika von der Freien Presse aus Chemnitz verweist abermals auf die "größeren Probleme", die zumal im Osten die Leser bewegten. Bei der Umstellung seien die Leser zwar mehrheitlich gegen die Reform gewesen, unterdessen hätten sie sich aber an die neue Schreibung gewöhnt.
„Halb so schlimm“
Das Ganze sei "halb so schlimm", schildert Peter Bauer die Einstellung der Leser der "Bremer Nachrichten". Anders ist dies beim "Münchner Merkur", schätzungsweise neunundneunzig Prozent der Leserschaft seien für die Rückkehr, meint Ernst Hebeker, und man sehe sich mit massiven Reaktionen und zuweilen ultimativen Forderungen konfrontiert.
Derweil sind einer Umfrage zufolge vierundvierzig Prozent der Leser der "Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen" für die alte und sechsundfünfzig Prozent für die neue Rechtschreibung. Geteilt ist auch das Leser-Echo in Hannover, dort hat man festgestellt, daß sich dieselbe Debatte wie bei der Einführung der neuen Rechtschreibung abzeichnet, ältere Leser befürworten eher die alte, jungen die neue Schreibung, in Stuttgart sollen die Leser mit Mehrheit für die neuen Schreibweisen sein.
„So schnell wie möglich zurück“
Das deutlichste Votum dieser selbstverständlich nicht repräsentativen Befragung kommt zum Schluß: Martin Lohmann, Chefredakteur der im Mittelrhein-Verlag erscheinenden Koblenzer "Rhein-Zeitung", "möchte so schnell wie möglich zur ,richtigen' Rechtschreibung zurückkehren". So schnell wie möglich heiße, wenn es logistisch zu leisten sei, hat er seinen Redakteuren in einer Mitteilung erklärt. Solange die Agenturen in neuer Rechtschreibung lieferten, sei dies noch nicht der Fall. "Aus diesem Grund habe ich die Chefredakteure aller Agenturen, die uns beliefern, aufgefordert, zur früheren Rechtschreibung zurückzukehren."
Zahlreiche Mails und Briefe von Lesern bestärkten ihn in diesem Schritt, sagt Lohmann. Die Rechtschreibreform befinde sich schließlich noch in der Probephase und es sei klar, daß sie "ihren Test nicht bestanden" habe: "Also: Hakt sie ab! Weg damit! Wir brauchen eine klare Rechtschreibung!" Das Argument mit den gebeutelten Schülern will Lohmann nicht gelten lassen. Due Kultusminister hätten allein Grund, sich bei diesen zu entschuldigen.
Der Chefredakteur der Deutschen-Presseagentur, auf die für die Zeitungen soviel ankommt, war übrigens nicht zu sprechen. das Büro von Wilm Herlyn verwies an den Pressesprecher, der nicht zurückrief. Vor dem Wochenende hatte die dpa die Meldung verbreitet, daß sie sich zunächst ein Bild von der Meinung ihrer Kunden machen wolle. Damit viel Spaß.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.08.2004, Nr. 185 / Seite 36
Bildmaterial: dpa
"Sommertheater, was für ein Quatsch", das meinen die Leser der WAZ angeblich zur Debatte über die Rechtschreibreform. Der Chefredakteur der "Rhein-Zeitung" in Koblenz aber will ganz schnell "zur ,richtigen' Rechtschreibung zurück".
eingetragen von Norbert Lindenthal am 09.08.2004 um 17.08
9.8.2004
„Überglücklich“ über den Beschluß: Michael Klett
Interview
„Wir nehmen ja ohnehin dauernd Änderungen vor“
06. August 2004 Der Staat muß den Verlagen nur die Freiheit geben, den Übergang zur bewährten Rechtschreibung selbst zu organisieren: ein Gespräch mit Michael Klett, dem Chef von Deutschlands größtem Schulbuchverlag.
Herr Klett, Millionen Schüler kennen Ihren Namen, weil er auf ihren Büchern steht. Begrüßen Sie die Nachricht von der Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung beim "Spiegel"-Verlag und bei den Organen des Springer-Konzerns?
Ausdrücklich! Ich bin überglücklich über diesen Beschluß.
Sie selbst gehören ja zu den eher gemäßigten Kritikern der Rechtschreibreform.
Vielleicht eher zu den zerrissenen. Als Schulbuchverleger passen mir die Kosten, die die von den Reformern verordneten willkürlichen Änderungen an der Sprache zur Folge hatten und haben, natürlich überhaupt nicht. Als Bürger, der sich durch das unlegitimierte Reformtreiben entmündigt sieht, und als literarischer Verleger bin ich sehr glücklich über jeden Schritt, der eine Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung unterstützt. Als Schulbuchverleger bin ich gewissermaßen Lieferant des Staates und muß dem folgen, was der Staat verlangt. Auf der anderen Seite habe ich ein kulturelles Gewissen, das mir sagt, wie unnötig und unsinnig diese sogenannte Reform ist.
Würde es denn wirklich so teuer, wenn die Ministerpräsidenten sich zur Rücknahme entschlössen?
Das kommt ganz darauf an. Es wird bestimmt sehr teuer, wenn die alte Rechtschreibung mit einem Schlag wiedereingeführt würde.
Sie würden sich also eine lange Übergangsfrist wünschen?
Ich hätte zwei Ideen. Zum einen brauchten wir eine Übergangszeit, wo die Rücknahme in kleineren Schritten vorgenommen wird, etwa erst die Getrenntschreibung, dann die s- und ß-Regelung. Das würden kleine Häppchen sein, daß es nicht so schädlich wäre. Zum anderen sollte der Staat den großen Schulbuchverlagen eine Kartellerlaubnis geben, die schrittweise Anpassung selbst festzulegen.
Das große Problem der Verlage ist der Wettbewerb. Insofern haben die langen Übergangsfristen, die wir in der Vergangenheit hatten, überhaupt nichts genutzt. Denn die meisten Schulbuchverleger, vor allem die kleineren, die weniger Titel im Programm haben, haben sich gesagt: Ich drucke gleich in der neuen Rechtschreibung, um so einen Marktvorteil zu erwerben. Und deshalb mußten wir alle nachziehen.
Wenn wir nun die Erlaubnis zu einem Sonderkartell bekämen, uns also mit dem Einverständnis der Kultusminister selbst über die schrittweise Rücknahme einigen dürften, wäre dies die für die Schulbuchverlage beste und billigste Lösung, denn wir müssen ja ohnehin dauernd Änderungen vornehmen, um die Bücher an die ständig überarbeiteten Lehrpläne anzupassen. Es wäre also sinnvoll, wenn man die Änderungen, die ohnehin vorgenommen werden müssen, mit der schrittweisen Rücknahme der Rechtschreibreform in Einklang bringen könnte.
Wie hoch wären die Umstellungskosten für das literarische Programm?
Diese würden gering ausfallen. Der Verlag Klett-Cotta hat mit einigen Ausnahmen von Autoren, die ausdrücklich darauf bestanden haben, nie in der neuen Rechtschreibung gedruckt.
Wie schätzen Sie die Reaktion der Lehrer auf eine Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung ein?
Natürlich gibt es Falken, die unbedingt die neue Rechtschreibung haben wollen, doch diese scheinen mir eher in der Minderheit. Dann gibt es jene, die an der alten Rechtschreibung festhalten und keine Fehler in der neuen Rechtschreibung benoten. Diese Gruppe sagt sich: Solange die Übergangsfrist nicht abgelaufen ist, kann mich niemand der Unregelmäßigkeit zeihen, da mache ich einfach, was ich will - eine Art subversives, anarchisches Verhalten im kleinen. Ganz ähnlich verhält sich meines Erachtens die schweigende Mehrheit, die einfach abwartet, was passiert. Die öffentliche Debatte hat ja zu einer großen Verunsicherung insbesondere innerhalb der Lehrerschaft, geführt. Viele sagen sich natürlich, warum sollen wir uns jetzt hier abmühen, wenn es nachher sowieso wieder alles anders aussieht.
Durch den Beschluß von "Spiegel" und Springer werden gut sechzig Prozent der Deutschen erreicht. Was erhoffen Sie sich von diesem Schritt?
Ich wünsche mir, daß der lange Atem, von dem Hans Magnus Enzensberger erst letzte Woche in dieser Zeitung gesprochen hat, der Mao-Tse-tung-Atem gewissermaßen, kürzer wird. Mit anderen Worten: daß es immer unmöglicher wird für die Ministerpräsidenten, nicht zu handeln.
Der Kultusministerkonferenz sollte also die Autorität in dieser Frage entzogen werden?
Genau. Das ist meines Erachtens der einzige Weg. Die Kultusministerkonferenz hat sich so festgelegt, daß sie ihr Gesicht verlieren würde. Jetzt müssen die Ministerpräsidenten die Kastanien aus dem Feuer holen.
Ist es nicht vor allem ein Gesichtsverlust für die Rechtschreibkommission, die die vielen sinnentstellenden, sprachverhunzenden und unnötigen Änderungen ausgetüfelt hat?
Nicht nur in der Kommission muß endlich begriffen werden, daß man mit einer Rechtschreibreform nicht einfach die Sprache ändern kann. Einzig die Anpassung der Rechtschreibung an das Geschehen der Sprachentwicklung könnte der Zweck einer Reform im wohlverstandenen Sinne sein, nicht die Umlenkung der Entwicklung durch obrigkeitliche Vorgaben. Es wäre viel sinnvoller, wenn wir eine staatliche oder halbstaatliche Sprachkommission nach dem Vorbild etwa der Académie Française bekämen, die ganz behutsame Anpassungen vornimmt, über die vorher endlos und sorgfältig debattiert wird. Mit Recht! So müßte es auch bei uns sein.
Halten Sie es für möglich, daß bei der öffentlichen Debatte auch grundsätzlich über die Berechtigung von Gremien wie der Kultusministerkonferenz in solchen Fragen diskutiert wird?
Das könnte gut sein, und dabei könnte der, ich möchte einmal sagen, Föderalismus in Schulsachen erörtert werden.
Wie das?
Nun ja, es ist ja bereits gefragt worden, ob ein einzelner Bundeskultusminister die Verantwortung für eine solche Rechtschreibreform auf sich genommen hätte, wo in einem Ministerkollektiv von sechzehn es nachher keiner so richtig gewesen ist.
Würden Sie eine radikale Reform unseres Bildungsföderalismus begrüßen?
Das System, das wir haben, hat sich aus meiner Sicht bewährt. Es wäre traurig, wenn es jetzt auch noch Schaden nähme. Den Politikern muß jetzt allerdings klar sein, daß es in dieser Sache keine Ruhe mehr geben wird, bis wir nicht endlich wieder gehört werden.
Die Stuttgarter Ernst Klett AG ist der größte Schulbuchverlag Deutschlands. Die Verlage der Klett-Gruppe halten zur Zeit mehr als zehntausend Titel lieferbar. Etwa die Hälfte des Konzernumsatzes von 321 Millionen Euro (2003) erwirtschaftet Klett mit dem Schulbuchgeschäft. Das Gespräch mit dem Vorstandschef Michael Klett führte Felicitas von Lovenberg.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.08.2004, Nr. 182 / Seite 29
Bildmaterial: dpa
eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.08.2004 um 18.42
Rechtschreibung
„Damit ist die unsinnige Reform gekippt“
07. August 2004 Der Druck auf die Ministerpräsidenten, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, wächst. Immer mehr Länderchefs sind bereit, sich von dem Reformversuch zu verabschieden. So sagte ein Sprecher des Ersten Bürgermeisters von Hamburg, Ole von Beust (CDU), der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: “Eine Rücknahme der Reform durch die Kultusminister würde an Hamburg nicht scheitern.“ Bislang verhalte sich der Senat der Hansestadt jedoch neutral.
Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) sagte dem Blatt, man solle jetzt “das Scheitern der Rechtschreibreform“ eingestehen. “Wir sind kurz vor dem Ziel. Jetzt können wir es wirklich schaffen, mit einem mutigen Sprung zur alten Rechtschreibung zurückzukehren.“
Nach Ansicht von Wulff müßten die Ministerpräsidenten auf ihrer Konferenz Anfang Oktober Konsequenzen ziehen. “Viele Länderchefs sagen mir hinter vorgehaltener Hand, sie hätten von Anfang an Unbehagen gehabt, wollten ihren Kultusministern nicht in den Rücken fallen.“ Jetzt sollten sich die Ministerpräsidenten “einen Ruck geben, die klassische Rechtschreibung als Ausgangsbasis zu nehmen, um von dieser Grundlage aus für eine behutsame Weiterentwicklung zu sorgen.“ Allerdings wies Wulff auf die nötige Einstimmigkeit der Länderchefs hin. Die größte Gefahr sei, “daß sich ein Ministerpräsident querstellt und sich die anderen dann hinter ihm verstecken können. Es ist bedrückend, daß der Langsamste das Tempo bestimmen kann“.
Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) nannte die Entscheidung der Großverlage “den entscheidenden Markstein“, der für ganz Deutschland die Rückkehr zur alten Schreibweise markiere. “Damit ist die unsinnige Reform gekippt. Wir werden nun prüfen, inwiefern wir in allen Bereichen der Landesverwaltung nur noch die alte Rechtschreibung anwenden werden.“
Der Chef der nordrhein-westfälischen CDU, Jürgen Rüttgers, sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: “Als erstes sollten die Ministerpräsidenten nach der Sommerpause die endgültige Einführung der Reform stoppen und diese wichtige Frage nicht ausschließlich den Kultusministern überlassen.“ Die CDU werde nach einem Wahlsieg bei der Landtagswahl im Mai 2005 dafür sorgen, daß man zu den bewährten Regeln zurückkehrt.
Bei CDU und FDP wird der Schritt von Springer und “Spiegel“ gelobt. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: “Ich begrüße es ausdrücklich, daß große deutsche Verlage zur alten Rechtschreibung zurückkehren.“
Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang Gerhardt, hält die Rechtschreibreform für gekippt. “Damit ist der Versuch gescheitert, unsere Sprache gegen den Willen des Volkes in ein künstliches Korsett schnüren zu wollen“, sagte Gerhardt der Zeitung. Er freue sich darüber und werde “meiner Fraktion im Bundestag und allen Mitarbeitern empfehlen, fortan nur noch die alte Schreibweise zu benutzen.“
Text: @rwi
Bildmaterial: dpa
Bayern: Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Stoiber glaubt, daß die neuen Regeln der Rechtschreibung zum Teil wieder geändert werden müssen. Er werde in die Diskussion bei der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang Oktober „ergebnisoffen“ hineingehen.
Baden-Württemberg: Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) will nach Angaben eines Sprechers des Staatsministeriums den Beratungen in der Ministerpräsidentenkonferenz nicht vorgreifen. „Daß in der Rechtschreibreform übers Ziel hinaus geschossen wurde, ist aber offensichtlich.“
Berlin: Berlins Schulsenator Klaus Böger (SPD) hat sich deutlich für die Beibehaltung der neuen Rechtschreibregeln ausgesprochen. In den Berliner Schulen werde sich am Prinzip der neuen Rechtschreibung nichts ändern.
Brandenburg: Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) hat sich gegen eine Rücknahme der Rechtschreibreform gewandt. Reiche warnte in der „Berliner Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) vor den finanziellen Problemen nach einer Rücknahme der Reform.
Bremen: Der Sprecher des Bremer Bildungssenators sieht keine Veranlassung zur Rücknahme der Reform. „Wir halten an der Reform, wie wir sie beschlossen haben, erst mal fest.“
Hamburg: Der Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) sagte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: “Eine Rücknahme der Reform durch die Kultusminister würde an Hamburg nicht scheitern.“
Hessen: Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hält eine Rücknahme der Rechtschreibreform für nicht mehr zu machen. Der Termin sei verpaßt worden, inzwischen sei schon eine ganze Schülergeneration durch die neuen Regeln gejagt worden, sagte Koch Ende Juli.
Mecklenburg-Vorpommern: Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) hält an der Rechtschreibreform fest. Die Reform sei einstimmig von Bund und Ländern beschlossen worden.
Niedersachsen: Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff (CDU) hat seine Ministerpräsidenten-Kollegen dazu aufgerufen, die Rechtschreibreform im Herbst zurückzunehmen. Wulff sagte der „Bild am Sonntag“, in den vergangenen Wochen hätten sich immer mehr Ministerpräsidenten hinter seine Forderung gestellt.
Nordrhein-Westfalen: Das Düsseldorfer Schulministerium will an der Reform festhalten. Die neuen Regeln hätten sich in den Schulen bewährt, ließ Schulministerin Ute Schäfer (SPD) erklären.
Rheinland-Pfalz: Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD), will an der Rechtschreibreform festhalten. Beck kritisierte im „Tagesspiegel“, der Vorstoß der Axel Springer AG und des Spiegel- Verlags habe „viel mit Kampagne und Public Relations, wenig mit Inhalt zu tun“.
Saarland: Peter Müller, saarländischer Ministerpräsident und erklärter Gegner der neuen Rechtschreibung hat die Rückkehr von Axel Springer AG und Spiegel-Verlag zur alten Rechtschreibung gelobt. „Damit ist natürlich ein neues Faktum gesetzt“, sagte der CDU- Politiker.
Sachsen: Sachsen ist für eine Beibehaltung der Regelung: „In den Schulen, Verwaltungen und auch Firmen mühen sich alle seit sechs Jahren, die neue Rechtschreibung zu lernen und zu schreiben. Sie mag noch nicht von allen perfekt beherrscht werden. Aber wenn wir jetzt zur alten Rechtschreibung zurückkehren, wäre die Verwirrung komplett“, sagte Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU).
Sachsen-Anhalts: Sachsen-Anhalts Bildungsstaatssekretär Winfried Willems hat die angekündigte Rückkehr der Verlage Axel Springer und Spiegel zur alten Rechtschreibung kritisiert. Die neue Rechtschreibung sei durch alle Bundesländer beschlossen und von der Kultusministerkonferenz im Juni 2004 nochmals einstimmig bestätigt worden.
Schleswig-Holstein: Eine Rückkehr zur alten Rechtschreibreform lehnt Schleswig-Holstein ab. „Eine Rückkehr zur alten Schreibweise sorgt nur für überflüssige Verunsicherung an den Schulen“, sagte Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD).
Thüringen: Thüringen wird nach Aussagen von Kultusminister Jens Goebel (CDU) bei der Rechtschreibreform nicht zurückrudern. Es könne nicht angehen, daß durch die Willensbekundung von Verlagen über das Schicksal der Reform entschieden werden könne.
eingetragen von Norbert Lindenthal am 06.08.2004 um 22.08
6.8.2004
RechtschreibreformChronik einer Überwältigung
06. August 2004 Die Geschichte der Rechtschreibreform läßt sich mit einem Staffellauf vergleichen, bei dem der Stab unabhängig davon weitergereicht wurde, ob in Deutschland eine Monarchie, eine Diktatur oder eine Demokratie den Herrschaftsrahmen abgab. Unablässig variierten die "Neuerer" alte Vorschläge; nur die ideologische Verbrämung änderten sie von Fall zu Fall. Sie waren sich bewußt, daß die Öffentlichkeit ihre Pläne nicht billigen werde.
1876 Die erste orthographische Konferenz in Berlin verläuft ergebnislos. Sie hatte die Rechtschreibung vereinheitlichen und systematisieren sollen.
1880 Der Lehrer Konrad Duden gibt sein "Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache" heraus. Es fußt auf der preußischen Schulorthographie.
1901 Die zweite orthographische Konferenz in Berlin beschließt für den deutschen Sprachraum "Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis". Es ist die erste einheitliche Schreibnorm. Dudens Wörterbuch verschafft ihr zunächst in den Schulen und bei Druckern, dann allgemein Anerkennung. Richtschnur des "Duden" war seither die behutsame Anpassung an den sich wandelnden Sprachgebrauch.
1924 Gründung des "bunds für vereinfachte rechtschreibung". Sein "minimalprogramm" lautet, alle Wörter klein zu schreiben.
1931 Erfurter Rechtschreibungsprogramm. Der Vertretertag des Bildungsverbands der deutschen Buchdrucker entwirft eine Mindestreform, deren Kernforderungen in den Rechtschreibentwürfen der nächsten 65 Jahre ständig wiederkehren werden: 1. Kleinschreibung mit Ausnahme der Satzanfänge und Namen ("gemäßigte Kleinschreibung"). 2. Vermehrte Getrenntschreibung; keine Unterscheidung von sinnlicher und übertragener Bedeutung. 3. Eindeutschung von Fremdwörtern. 4. Trennung nach Sprechsilben. 5. Schrittweise Beseitigung aller Dehnungszeichen und der Bezeichnungen der Vokalkürze. 6. Ersetzung "schwieriger" Buchstaben durch andere, zum Beispiel f statt v (frefel), s statt ß und dergleichen mehr. Danach würde "Vieh" zu "fi".
1933 Die "Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums" in München, kurz "Deutsche Akademie" genannt, setzt sich für die Einrichtung eines "Deutschen Sprachamts" ein, das 1935 geschaffen wird, aber keine Kompetenzen erhält. Der Generalsekretär der Akademie, Franz Thierfelder, wirbt dafür, daß auf den "völkischen Aufbruch" der "Aufbruch der Sprache" folgen müsse.
1941 Bernhard Rust, preußischer Kultusminister und seit 1934 auch Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, setzt eine Orthographiekommission ein. Ihre "Vorschläge zur Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung" stimmen weitgehend mit dem Erfurter Programm überein. Sie favorisieren die "gemäßigte"Kleinschreibung. Diskutiert wird darüber, ob das stimmlose "s" nach kurzem Vokal "ss" und nach langem Vokal "ß" geschrieben werden sollte. Kein Komma vor "und" und "oder". Nicht zuletzt wegen der Glorifizierung der "Führerreden" erhält das gesprochene Wort Vorrang vor dem geschriebenen Wort. Entsprechend werden die Laut-Buchstaben-Angleichungen und die Trennung nach Sprechsilben aufgegriffen. Die Reform soll der deutschen Sprache Weltgeltung verschaffen. Rust muß dem Reichsinnenministerium zusichern, daß über die Vorarbeit nichts an die Öffentlichkeit gelange.
1944 Rust und seine sprachwissenschaftlichen Berater legen einen überarbeiteten, vorsichtigeren Gesetzentwurf ("Kleine Rustsche Reform") vor: 1. Eindeutschung von Fremdwörtern (Filosof, Frisör, rytmisch), 2. Die Neuregelung der Groß- und Kleinschreibung wird verschoben. Empfohlen wird statt der "gemäßigten" Kleinschreibung "vermehrte Groß- und Auseinanderschreibung". (Diese Anregung wird die Reform von 1995/96 aufgreifen.) 3. In Zusammensetzungen werden Konsonanten nur zweimal geschrieben: Schiffahrt, aber auch Schiffracht. 4. Trennung nach Sprechsilben: Pä-da-go-ge. 5. In Satzverbindungen vor "und" und "oder" kein Komma.
27. Juni 1944: "Tagesparole des Reichspressechefs": Über die neuen Regeln für die Rechtschreibung sei in der Presse bis auf weiteres nicht zu berichten.
24. August 1944: "Führerbefehl" Adolf Hitlers: Die Arbeiten an der Rechtschreibreform seien bis Kriegsende zurückzustellen. Die noch nicht ausgelieferte Auflage von einer Million Exemplaren der Kleinen Reform wird eingestampft.
1952 Franz Thierfelder, inzwischen Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, regt die Gründung der "Arbeitsgemeinschaft für Sprachpflege" an.
1954 Stuttgarter Empfehlungen. Die Arbeitsgemeinschaft für Sprachpflege faßt ihre Vorschläge in acht Punkten zusammen, die dem Erfurter Programm der Drucker von 1931 und den Rustschen Plänen von 1941 ähneln, gibt sich aber weniger radikal. Die Reform soll der Erleichterung des Schreibens im Unterricht, der Stärkung des Deutschen als internationaler Verkehrssprache sowie der Vermeidung eines Minderwertigkeitsgefühls von weniger Gebildeten dienen. Thomas Mann, Hermann Hesse und Friedrich Dürrenmatt lehnen die Empfehlungen ab.
1955 Die Kultusministerkonferenz beschließt, daß an Schulen der "Duden" verbindlich sei. Die DDR schließt sich der Regelung stillschweigend an.
1956 Die Zweiteilung Deutschlands spaltet auch den "Duden". Der "West-Duden" erscheint beim Bibliographischen Institut (AG) in Mannheim, seit der Verlag in Leipzig enteignet worden ist. Der "Ost-Duden" wird vom "Volkseigenen Betrieb Bibliographisches Institut" in Leipzig herausgegeben, der sich die Verlagsrechte widerrechtlich aneignet.
1958 Wiesbadener Empfehlungen des Arbeitskreises für Rechtschreibregelung. In den wesentlichen Punkten - Kleinschreibung von Substantiven, Zusammen- und Getrenntschreibung, vereinfachte Kommaregeln, Silbentrennung - folgen sie den Anregungen von 1931, 1941 und 1954. Der Vorstoß scheitert am Protest der Öffentlichkeit.
1972 Die Hessischen Rahmenrichtlinien für den Schulunterricht verdächtigen die Schriftsprache, sie diene den besser Gebildeten und kapitalistischen Ausbeutern als Herrschaftsinstrument. Die Richtlinien geben der Förderung der sprachlichen (vor allem mündlichen) Kommunikationsfähigkeit Vorrang. Demgegenüber sei das Erlernen der Rechtschreibung zweitrangig.
1973 Kongreß "vernünftiger schreiben" in Frankfurt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Verband deutscher Schriftsteller und das PEN-Zentrum Deutschland setzen sich mit antikapitalistischer Begründung vor allem für die Kleinschreibung der Substantive ein. Internationaler Wiener Kongreß, veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Sprachpflege und Rechtschreiberneuerung. In Wien können sich west- und ostdeutsche Linguisten quasi auf neutralem Boden treffen. Variation der alten Reformpläne.
1977 Gründung der "Kommission für Rechtschreibfragen" am Institut für deutsche Sprache (IdS) in Mannheim.
1978 Zweiter Wiener Kongreß.
1987 Die deutsche Kultusministerkonferenz läßt ein neues Regelwerk ausarbeiten. Den Auftrag erhalten nicht etwa die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt und andere Akademien, sondern zwei in der Tradition der Reformer stehende Einrichtungen, nämlich das Institut für deutsche Sprache in Mannheim (nicht zu verwechseln mit der Duden-Redaktion) und die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden. Es handelt sich um Theoretiker. Kein Schriftsteller, kein Lehrer, kein Journalist, also kein Sprachpraktiker, dem es vor allem auf die Verständlichkeit des Geschriebenen für den Leser ankäme. Mit einer Ausnahme treten sämtliche Mitglieder der Kommission für die Kleinschreibung von Substantiven ein.
1988/89 Die Kommission hält sich an die überlieferten Reformvorschläge: Der apt ißt mit dem keiser al im bot. Der erste Entwurf gelangt aus Versehen in die Öffentlichkeit und scheitert am allgemeinen Protest.
1992 In Rorschach in der Schweiz verabschieden Sprachwissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz einen Entwurf zur Rechtschreibreform. Er enthält kein Wörterverzeichnis, läßt daher keinen Schluß über das Ausmaß der geplanten Neuerungen zu. Zur Groß- und Kleinschreibung werden drei konkurrierende Vorschläge gemacht.
1993 Die Arbeitsgruppe der Kultusministerkonferenz fürchtet nach der Erfahrung von 1988 öffentliche Kritik. Der Entwurf wird daher zunächst nur interessierten Verbänden vorgestellt. Es handelt sich um die vorsichtigste Empfehlung in der Geschichte der Reformvorschläge. Bezeichnenderweise greift sie die Anregung auf, der Kleinschreibung von Substantiven eine vermehrte Großschreibung bei gleichzeitig reduzierter Zusammenschreibung vorzuziehen (vergleiche 1944). Unterscheidungsschreibungen werden weitgehend, aber nicht so radikal wie im Erfurter Programm von 1931 aufgehoben. Trennung nach Sprechsilben. "Gemäßigte" Eindeutschung von Fremdwörtern. "ss" nach kurzem, "ß" nach langem Vokal (vergleiche 1941). In Zusammensetzungen werden Konsonanten nach kurzem Vokal dreifach geschrieben: Schifffahrt wie Schifffracht. "Liberalisierung" der Zeichensetzung. Im Gegensatz zu einigen Wortführern von 1954 und 1958 stehen die Reformer unserer Tage nicht im Verdacht, je Sympathien für die Nationalsozialisten gehegt zu haben.
November 1994 3. Wiener Gespräche. Sprachwissenschaftler und Kultusbeamte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie aus Ländern mit deutschsprachigen Minderheiten billigen den Entwurf. Kein Minister nimmt daran teil. Es gibt kein Protokoll. Auf einer Pressekonferenz der deutschen Kultusminister werden den Journalisten die Leitlinien vorgestellt; dazu wird eine exemplarische, aber keine vollständige Wörterliste präsentiert. Die erste Reaktion ist Erleichterung darüber, daß die Reformer von der Kleinschreibung der Substantive und der Ersetzung von "v" durch "f" (kein "frefel") sowie von "ai" durch "ei" Abstand nehmen.
1995 In einem am 29. November 1995 in der "Rheinischen Post" veröffentlichten Interview sagt der bayerische Kultusminister Zehetmair: 1. "Ich habe Hunderte von Briefen erhalten, vornehmlich aus Österreich und der Schweiz - mit der Tendenz, daß die meisten Menschen die Reform überhaupt nicht wollen." 2. "Wenn man alle Ministerpräsidenten zur Reform befragt, gewinnt man den Eindruck, sie würden davon am liebsten gar nichts wissen." 3. "Es gibt aber auch die Diskussion darüber, ob die Landtage in die Entscheidung mit einbezogen werden müssen. Wenn das der Fall ist, wird die Reform - da bin ich mir sicher - nicht stattfinden." Zehetmair kündigt "ein paar kleine Korrekturen" an. Deshalb muß der bereits gedruckte neue "Duden" wieder geändert werden.
Dezember 1995: Die Kultusminister der deutschen Länder stimmen der überarbeiteten Fassung zu und versichern sich der Rückendeckung durch die Ministerpräsidenten. Das redigierte Regelwerk wird an alle Teilnehmerstaaten verschickt.
1996
Juli 1996: "Gemeinsame Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung" in Wien. Von deutscher Seite unterzeichnen der Präsident der Kultusministerkonferenz, Reck, und im Auftrag des Bundesinnenministers dessen Staatssekretär Lintner. Ferner unterzeichnen Minister oder Beauftragte aus Belgien, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Österreich, Rumänien, der Schweiz und Ungarn. In einer Presseerklärung der deutschen Kultusminister heißt es, der gemeinsame Zeitplan sehe vor, "daß die Neuregelung der Rechtschreibung am 1. 8. 1998 wirksam wird".
August 1996: Zehn Bundesländer führen die neuen Regeln an den Schulen ein und schaffen damit - zwei Jahre vor dem vereinbarten Inkrafttreten - vollendete Tatsachen, auf die sie sich fortan berufen, um die Unzumutbarkeit einer Revision zu begründen. Einen Tag nach der Wiener Absichtserklärung erscheint das Bertelsmann-Rechtschreibwörterbuch, das der Verlag auch an alle 40 000 deutschen Schulen verschickt. Der neue Duden, dessen Privileg durch die Neuregelung aufgehoben ist, kommt Ende August heraus. Im Laufe der nächsten vier Jahre übernimmt er wieder die Marktführerschaft.
Oktober 1996: Die Bevölkerung lehnt die Neuregelung ab. Das Institut für Demoskopie Allensbach ermittelt: 75 Prozent sagen: "Wir brauchen keine Reform." 12 Prozent sprechen sich dafür aus; 13 Prozent sind unentschieden.
Oktober 1996: "Frankfurter Erklärung". Die Veröffentlichung der vollständigen Wörterliste und die unterschiedlichen, teilweise einander widersprechenden Regelauslegungen der Wörterbuch-Verlage lassen das ganze Ausmaß und die Fehler der Neuregelung erkennen. Daher fordern Schriftsteller, Germanisten, Verleger und Journalisten auf der Frankfurter Buchmesse, bei der bisherigen Rechtschreibung zu bleiben. Falls die Reform verwirklicht werde, stehe eine "jahrzehntelange Verwirrung" bevor.
25. Oktober 1996: Auf die "Frankfurter Erklärung" antworten die Kultusminister mit einer vom Institut für deutsche Sprache vorformulierten "Dresdner Erklärung": Der demokratische Entscheidungsprozeß sei abgeschlossen; der verspätete Protest der Schriftsteller und Publizisten könne daran nichts ändern. Die Neuregelung habe den "Normalbürger" im Blick. Literaten brauchten sich um Orthographieregeln nicht zu kümmern; sie könnten auch künftig "frei mit der Sprache umgehen". Schriftsteller und Publizisten müßten "zur Kenntnis nehmen, daß ihre Interessen deshalb bei der Neuregelung der Rechtschreibung nicht im Vordergrund stehen". Das Institut für deutsche Sprache übernimmt zwischenzeitlich ohne Auftrag die Koordination und Agitation für die Reform.
1997
März 1997: In Mannheim konstituiert sich eine zwischenstaatliche Kommission, die statt des "Duden" in Zweifelsfällen entscheiden soll. Sie besteht überwiegend aus den Verfassern der Neuregelung selbst. Nach der öffentlichen Kritik beauftragen die Kultusminister die Kommission, den Korrekturbedarf festzustellen.
Oktober 1997: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg erklärt die vorzeitige Umsetzung der Reform für rechtswidrig. Gegen seinen Kultusminister Wernstedt setzt Ministerpräsident Schröder durch, daß die neuen Regeln für den Unterricht ausgesetzt werden. Niedersachsen bleibt das einzige Land, das ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwartet. Das OVG Lüneburg hat noch nicht entschieden.
1998
Januar/Februar 1998: Die Kultusminister und das Bundesinnenministerium lehnen alle Vorschläge der Kommission zur Änderung der teilweise als fehlerhaft erkannten Neuregelung ab.
März 1998: Der Deutsche Bundestag spricht sich gegen die Reform aus: "Die Sprache gehört dem Volk." Der vom Bundestag beschlossene interfraktionelle Gruppenantrag hat keine rechtlichen Konsequenzen für die Kultusministerkonferenz. Allerdings fordert der Bundestag, daß die Neuregelung nicht ohne Überarbeitung und Wiedervorlage in die Amtssprache zumal der Bundesbehörden eingeführt werde. Alte und neue Bundesregierung setzen sich über diesen Plenarbeschluß hinweg.
Mai 1998: 567 Professoren der Sprach- und Literaturwissenschaften warnen: "Eine derart fehlerhafte Regelung, die von den bedeutendsten Autoren und der großen Mehrheit der Bevölkerung mit guten Gründen abgelehnt wird und die Einheit der Schriftsprache auf Jahrzehnte zerstören würde, darf keinesfalls für Schulen und Behörden verbindlich gemacht werden."
14. Juli 1998: Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Karlsruhe attestiert den Kultusministern, daß sie eine Reform verordnen dürfen, ohne dazu parlamentarisch ermächtigt zu sein.
August 1998: Offizielle Einführung der neuen Schreibweisen an allen Schulen.
September 1998: Bei einem Volksentscheid lehnen die Schleswig-Holsteiner die Einführung der neuen Regeln mit klarer Mehrheit ab.
1999
Vom 1. August 1999 an versenden die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und die anderen deutschsprachigen Nachrichtenagenturen alle Texte in der neuen Schreibung. Allerdings beachten sie weiter die alten Kommaregeln; ferner machen sie die Eindeutschung von Fremdwörtern nicht mit. Sie bleiben dabei, bei feststehenden Begriffen nicht nur das Substantiv, sondern auch das Adjektiv groß zu schreiben. Mit den Nachrichtenagenturen stellen sich die Zeitungen um.
September 1999: Der Landtag in Kiel beschließt einstimmig die Einführung der neuen Rechtschreibung an den 1200 Schulen des Landes. Damit verwirft er den Volksentscheid.
August 2000: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kehrt zur alten Rechtschreibung zurück.
4. Juni 2004: Die KMK beschließt kleinere Änderungen an der Reform, die vor allem die Getrennt- und Zusammenschreibung betreffen. Die Reform soll aber wie geplant im August 2005 an deutschen Schulen verbindlich werden.
13. Juni 2004: Politiker von CDU und FDP schließen sich der Forderung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff an, die Rechtschreibreform abzuschaffen.
17. Juni 2004: Auch Kulturstaatsministerin Christina Weiss spricht sich für eine Änderung aus.
26. Juli 2004: Die Bundesregierung wendet sich gegen Bestrebungen mehrerer unionsregierter Länder, die Rechtschreibreform zu kippen.
August 2004: Spiegel-Verlag und Axel Springer AG folgen dem Beispiel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und kehren zur bewährten Rechtschreibung zurück.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Bildmaterial: ZB
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