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eingetragen von Norbert Lindenthal am 09.06.2008 um 08.41
Telepolis 09.06.2008
von Nico Nissan
Die geschlossene Demokratie
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Rechtschreibreform
27. September 1998: Die Bürger Schleswig-Holsteins lehnen mit 885.511 zu 685.209 Stimmen per Volksentscheid die neue Rechtschreibung ab. Dies sind über 40 Prozent der Wahlberechtigten. Es ist der bis dahin erfolgreichste Volksentscheid in der Geschichte der Bundesrepublik, was damit zusammenhängt, dass er mit der Bundestagswahl zusammenfiel. Ein Jahr später hebt der Landtag das Gesetz jedoch wieder auf, woraufhin auch eine ähnliche Initiative in Bayern aufgibt. Inzwischen haben wir die Reform der Rechtschreibreform und immer noch keine einheitliche Schreibweise.
Zwar mag die Rechtschreibung insbesondere für ABC-Schützen etliche Erleichterungen gebracht haben. Diese wurden aber selbst von den Reformgegnern begrüßt. Trotzdem zeigt dieser Fall, dass in einer Demokratie kleine, unausgewogen besetzte Experten-Kommissionen kein Ersatz für öffentliche Diskussionen und demokratische Entscheidungsfindung sein können. Das Parlament beschließt, was vorher bereits ein kleiner Zirkel von Wissenschaftlern beschlossen hat, ohne überhaupt zu versuchen, die Bürger von den Vorteilen zu überzeugen.
Was der Bremer Staatsgerichtshof als große Gefahr ausmalt und für die Ablehnung erleichterter bürgerlicher Mitbestimmung herhalten muss, die Politik durch eine kleine Minderheit, erhält hier durch den Segen der Repräsentanten im Parlament gleichsam höhere demokratische Weihen und wird unantastbar. Und dann zeigen die Volksvertreter sich überraschenderweise überrascht, dass sich das Volk in dieser Angelegenheit nicht von ihnen vertreten fühlt. Anstatt nun eine Kompromisslösung zu suchen und dieser durch einen Volksentscheid wirklich demokratischen Segen zu verleihen, wurde weitergewurstelt und die Reform der Reform verabschiedet.
Eine einheitliche Rechtschreibung haben wir nach wie vor nicht. Buch- und Zeitungsverlage haben sich das Recht genommen, eigene Rechtschreibregeln zu verwenden, und behalten diese bei – nach nunmehr 12 Jahren seit der ersten Reform. Noch Anfang dieses Jahres musste sich das Landesgericht Schleswig mit der Klage einer Schülerin beschäftigen, die für die Verwendung der alten Rechtschreibung keine Fehler angerechnet bekommen wollte. Weil versäumt wurde, die Bürger an der Entscheidung zu beteiligen und mit ihnen einen Kompromiss zu finden, ist Deutschland innerhalb weniger Jahre in die Zeit zurückgefallen, in der es keine als verbindlich anerkannte Rechtschreibung gab.
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Wie in Hamburg und Düsseldorf scheitert auch in Berlin ein Volksentscheid an hohen Hürden und massivem Gegenfeuer des Oberbürgermeisters. Klaus Wowereit kündigte vor dem Volksentscheid an, sich nicht ans Ergebnis halten zu wollen, sollte es nicht in seinem Sinne ausfallen. Das war aber nicht notwendig. "Nur" 529.880 Berliner stimmten für den weiteren Betrieb des Flughafens Tempelhof. Die Berliner SPD hatte bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2006 zwar nur 424.054 Zweitstimmen erhalten, erklärte sich aber dennoch zum Sieger. Sie wirft der Opposition vor, mit Unterstützung der Medien eine Kampagne betrieben zu haben und gescheitert zu sein. Dabei nahmen die beteiligten Parteien im Grunde nur ihre im Artikel 21 des Grundgesetzes festgelegte Aufgabe wahr, an der politischen Willensbildung mitzuwirken. In diesem Sinne unterstützte die SPD bereits Initiativen in Hamburg. Die Parteien besinnen sich dank direkter Demokratie also auf ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben, zumal ihre Selbstlegitimation als "Volksparteien" durch Mitgliederschwund und schlechte Wahlergebnisse zunehmend fragwürdig geworden ist.
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Der sehr lange Artikel ist lesenswert, insbesondere weil dargestellt wird, mit wie wenigen Stimmen diejenigen Politiker legitimiert sind, die Volksentscheide aushebeln, die mit überwältigend vielen Stimmen gültig wurden.
Ein weiterführender Link zu aktueller Auseinandersetzung vor dem Landgericht Schleswig.
eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.08.2004 um 23.23
8.8.2004 heise-Verlag
Wenn sie schreiben Seit' an Seit'
Falk Lüke 06.08.2004
Spiegel und Springer proklamieren die Gegenreformation der Rechtschreibung
Seit ihrer Reform 1998 ist sie Garant für Schlagzeilen im Sommerloch: Die Orthografie - in diesem Fall mit f. Das wäre reichlich uninteressant, würde nun nicht eine ganz neue Allianz der Bewahrer das Thema anheizen. Denn neben den alten outen sich nun auch neue Konservative: Spiegel Verlag und Axel Springer Verlag gehen Hand in Hand und verbannen im Handstreich die Rechtschreibreform aus ihren Blättern.
"Wir befürworten sehr dringend notwendige und sinnvolle Reformen in unserer Gesellschaft." Wer da so spricht, der könnte Politiker sein. Doch in diesem Fall handelt es sich um Stefan Aust, Chefredakteur des Spiegel und Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlages. Lange vorbei die Zeiten, in denen der Spiegel als das Gute und Axel Springer als das personifizierte Böse galt. Jetzt kämpfen die Hamburger gemeinsam für die vermeintlich gute Sache: Das Ende der Rechtschreibreform.
"Eltern benutzen eine andere Orthographie als ihre Kinder", mokieren Döpfner und Aust unisono. Kaum verwunderlich, ist außer Schülern, der schreibenden Zunft und Staatsbediensteten doch kaum jemand zur Nutzung der neuen Rechtschreibung verpflichtet. Finanzminister und Eltern werden ächzen, sollten sich die Kultusminister der Länder nun von der Hamburg-Connection beeindrucken lassen. Etwa 80 Millionen Euro würde eine erneute Umstellung allein den Klett-Verlag kosten.
Online und in den Printmedien wird wieder die alte Rechtschreibung nach den Regeln von 1901 eingeführt. Ab sofort wird in Hamburg wieder wie ein Schloßhund geheult und die Seelefanten nur noch mit zwei "e" geschrieben. Verwunderlich wichtig, mag man meinen. Tadelte doch der Spiegel noch 2000 scharf die FAZ für ihren Verbleib bei den althergebrachten Regeln. Und bei der Bild schien man es auch nicht sehr zu missen, das nur noch selten notwendige "ß". Passte es doch stilistisch eh nicht zu den Riesenlettern der Meinungsbildner.
Etwas schal mutet nicht nur die Verbindung der beiden Verlagshäuser an. Beide bemängeln einerseits regelmäßig den gebremsten Reformwillen der Politik. Geißeln dafür jeden Reformfehler lautstark. Andererseits scheinen sie ebenfalls der Grundeinstellung der Reformwilligen zu teilen: Reformen ja, aber bitte nicht bei uns. Aber vielleicht verschwindet dieses Gespenst auch wieder da, wo es hergekommen ist: In den Tiefen des Sommerloches an Elbe und Alster.
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