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-- Substantive: semantischer Aspekt (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=11)
eingetragen von J.-M. Wagner am 30.09.2002 um 14.18
Was sind eigentlich Dur und Moll für Wörter? Sind es quasi Eigennamen?
– geändert durch J.-M. Wagner am 03.10.2002, 14.19 –
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von Norbert Schäbler am 08.07.2001 um 21.56
Ich glaube nicht, daß der Goran das Wort "Tennisspielen" mit großem T gesprochen hat, zumal die dort, wo der herkommt, gar keine Großschreibung haben.
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nos
eingetragen von Reinhard Markner am 08.07.2001 um 21.32
»Er habe immer gewusst, dass er Tennisspielen könne, sagte Ivanisevic.« (N.Z.Z. vom 10. 7. 2001)
Ein Fall wie »Kopfstehen«. Für meine Begriff müßte es »Tennis spielen«, »tennisspielen« oder »das Tennisspiel (beherrsche)« heißen.
eingetragen von Theodor Ickler am 02.05.2001 um 15.53
Lieber Herr Fleischhauer,
weil es nicht zum Thema gehört, schlage ich vor, diese Diskussion in die private E-Mail auszulagern. Ich erwähne es hier nur deshalb, damit nicht jemand glaubt, ich drückte mich um eine Antwort.
Bis dann also!
Ihr Theodor Ickler
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Th. Ickler
eingetragen von Stephan Fleischhauer am 02.05.2001 um 09.42
Lieber Herr Ickler,
vielen Dank fuer die schnelle Post. Ich hoffe, ich werde da durchsteigen, denn ich bin offenbar noch voellig falsch gewickelt. (Hier noch einmal mein Problem: Dem "rot"-Sagen geht doch das Sehen voraus. Und dieses Sehen ist keine generalisierbare Reaktion? Okay, Sehen ist kein Verhalten, aber Verhalten ist doch ohnehin viel zu kompliziert fuer eine eindeutige Zuordnung zu einer Sache. Ich nehme einmal an, ein Haus ist nicht eine sprachliche Abstraktion wie Roete. Was ist das Verhaltensmuster anlaesslich eines Haus? Und zur Roete: Koennte es nicht sogar angeborene Verhaltensmuster auf Farben geben?)
– geändert durch Stephan Fleischhauer am 03.05.2001, 13:04 –
eingetragen von Theodor Ickler am 02.05.2001 um 03.02
Organismus ist für Skinner einfach dasselbe wie Person oder Mensch (soweit es nicht um Tiere geht). Allerdings ist die Einheit des reagierenden Subjekts ein theoretisches Problem, das ich hier aber nicht erörtern kann. Wir haben also kein Verhaltensmuster, das sich anläßlich jeder Röte in der Umwelt einstellt - außer der sprachlichen Verhaltensweise, "rot" zu sagen.
Herr Dräger hat auf die Werke Anna Wierzbickas hingewiesen. Wir hier in Erlangen schätzen sie so hoch, daß mehrere Studenten nach ihrer Methode arbeiten. Einer meiner Doktoranden hat mit einem Stipendium ein Jahr lang bei ihr in Australien gearbeitet und bereitet neben seiner Dissertation eine deutsche Auswahlausgabe vor. Ihr Schüler und Mitarbeiter Cliff Goddard hat vor kurzem eine leicht lesbare Einführung geschrieben, die ich empfehle: "Semantic Analysis". Oxford Textbooks in Linguistics, 1998 (49,80 DM).
Wer sich für Sprachwissenschaft interessiert, sei nachdrücklich auf Wierzbickas Schriften hingewiesen. Besondere Vorkenntnisse braucht man dazu nicht.
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Th. Ickler
eingetragen von Stephan Fleischhauer am 01.05.2001 um 18.57
Lieber Herr Ickler,
ich bin immer noch nicht schlauer. (Trotzdem danke für Ihre Mühe.) Was ist eine "gemeinsame" Reaktion eines Einzelnen? Und ab wann ist sie eine des "Organismus"? (Wenn Muskeln im Spiel sind, wie beim Sprechen?)
Ihre Übersetzung würde mich brennend interessieren. Als ich vor zwei Jahren Ihre beiden Aufsätze über Skinner gelesen hatte (vor allem "Geborgter Reichtum ...") war ich zwar erstmal erledigt, aber inzwischen kann ich wohl einen Nachschlag vertragen. (Reichen 8 MB? Soviel jedenfalls soll auf meine neue Adresse passen: ste.fle@web.de)
Danke auch Herrn Dräger für den Literaturhinweis.
eingetragen von Matthias Dräger am 01.05.2001 um 17.05
Hinweis: Die Linguistin Anna Wierzbicka hat im anglo-amerikanischen Sprachraum zahlreiche Schriften veröffentlicht, von denen bisher noch keine in Deutsch zu haben ist. Im Narr Verlag ist aber 1999 ein Sammelband mehrerer Autoren erschienen, in dem Anna Wierzbicka das 6. Kapitel (gemeinsam mit einem Landsmann, dem Australier Goddard) verfaßt hat:
Sprache, Kultur und Bedeutung: Kulturvergleichende Semantik
Überblick
Einleitung: Sprachliche Relativität vs. Universalismus
Sprachliche und kulturelle Relativität
Semantische Primitiva als Schlüssel zum Kulturvergleich
Kulturspezifische Wörter
Kulturspezifische Aspekte der Grammatik
Kulturelle Skripte
Schlußfolgerung: Sprache, Kultur und Denken
Zusammenfassung
Leseempfehlungen
Aufgaben
Titel des Buches:
Ralf Pörings/Ulrich Schmitz (Hg.):
Sprache und Sprachwissenschaft : eine kognitiv orientierte Einführung
Tübingen: Narr Verlag 1999 ISBN 3-8233-4975-9
DM 44,-
Das Inhaltsverzeichnis und die anderen Bearbeiter dieses in 6 Sprachen gleichzeitig erschienenen Buches findet man unter:
http://www.linse.uni-essen.de/publikationen/poe_schmitz/poe_schmitz.htm
eingetragen von Theodor Ickler am 01.05.2001 um 15.06
Lieber Herr Fleischhauer,
nicht auf Abstrakta, sondern (zum Beispiel) auf alles Rote bzw. auf die Röte gibt es keine gemeinsame Reaktion unseres Organismus - außer eben dem Aussprechen des Wortes "rot". Haben Sie übrigens Interesse an meiner kompletten Übersetzung von Skinners "Verbal Behavior", worin dies abgehandelt wird? Sie soll bald als Buch erscheinen, aber ich kann Ihnen das 500-Seiten-Werk auch schon mal mailen.
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Th. Ickler
eingetragen von Stephan Fleischhauer am 01.05.2001 um 14.46
Lieber Herr Ickler,
die Skinnersche These, es gebe nur sprachliche Reaktionen auf Abstrakta, habe ich nicht verstanden. Haben Sie einen Titel, wo ich das nachlesen kann?
eingetragen von Theodor Ickler am 13.03.2001 um 16.22
Die verschiedenen Ansichten über Substantive und Redegegenstände lassen sich eines schönen Tages wahrscheinlich in einer allgemeinen Theorie vereinigen (wie dei vier Grundkräfte der Physik). Ich will damit sagen, daß ich abweichende Standpunkte fast immer auch zustimmend zur Kenntnis nehme, in dem Gefühl, daß es sich im Grunde um Ergänzungen, nicht um Widersprüche handelt.
Die große Linguistin Anna Wierzbicka hat einmal ungefähr folgendes gesagt: Wenn ich von jemandem sage, er sei alt oder schwarz, dann habe ich eben gewisse Eigenschaften genannt, aber wenn ich ihn Greis oder Neger nenne, dann habe ich durch die Wortart gewissermaßen beansprucht, den Betreffenden in seinem Wesen zu kennzeichnen. Daher u. U. das Diskriminierende. ("The Semantics of Grammar" 1988 - geniales Buch, wie alles von dieser Frau!).
Substantivierungen sind denn auch nicht nur ein Wechsel der Bezeichnungstechnik, sondern haben einen semantischen und pragmatischen Wert, der über grammatische Verfahren hinausgeht. Aber das widerspricht nicht dem textlinguistischen Ansatz, sondern ergänzt ihn. Muß mich leider hier etwas kurz fassen.
Skinner, ebenfalls ein Genie, führt des öfteren aus, was es mit der Abstraktion auf sich hat. "Rot" ist eine Abstraktion, und zwar eine rein sprachliche, denn es gibt keine generalisierbare Reaktion auf Rotes (alles Rote) - außer eben der sprachlichen Reaktion "rot". Abstrakta werden ausgesagt. Die substantivierte "Röte" bleibt abstrakt, aber "der Rote" ist ein Individuum, konkret, von ihm wird etwas anderes ausgesagt. Für den "Roten" gilt dasselbe wie für den "Neger".
Das alles hängt auf eine noch nicht ganz klare Weise mit "Redegegenstand" usw. zusammen. Irgendwann werde wir es schon noch auf die Reihe bringen.
eingetragen von Wolfgang Wrase am 13.03.2001 um 15.57
Mir ist gerade noch eine Möglichkeit eingefallen, meine Kritik zusammenzufassen, soweit sie vor allem die Verständlichkeit (des Kriteriums "wovon die Rede ist") betrifft. Ich habe den Eindruck, daß die meisten Menschen in den typischen Fällen "Substantiv" ein sicheres Gespür dafür haben, daß es sich um ein Substantiv handelt, und zwar auch ohne daß das Substantiv in einem Satz verwendet wird. Eiche? Substantiv. Schneefall? Substantiv. Plausibilität? Substantiv. Und so weiter. Das liegt eben daran, daß es noch mehr Kriterien für die Wortart gibt, noch mehr Aspekte des Substantivs, als die Funktion als Redegegenstand innerhalb eines Textes - die somit a) einen komplizierteren Zugang zur Frage der Großschreibung bedeutet, b) vergleichsweise abstrakt ist und c) nicht von Zweifelsfällen befreit ist, also insgesamt nicht leichter zu verstehen und zu handhaben ist; im Gegenteil.
Wenn nun der Schreiber sich bei einem (typischen) Substantiv für die Großschreibung entscheidet, hat er meiner Meinung nach die Wortartfrage intuitiv sofort geklärt und zum Kriterium seiner Entscheidung gemacht; er hat nicht geprüft, ob das Wort als Redegegenstand fungiert (oder ob nicht oder ob vielleicht bzw. in welchem Maße). Das meinte ich, als ich früher schrieb: Wenn jemand ein Substantiv groß schreibt, dann deshalb, weil es ein Substantiv ist, und nicht deshalb, weil er über das reden will, was das Substantiv ausdrückt. (Damit meine ich aber nicht, um dem bekannten Streitpunkt zuvorzukommen, das grundsätzliche Motiv der Substantivgroßschreibung, so als ob es jedesmal, bei jeder Großschreibung, neu abgerufen werden müßte, sondern ich meine die Einzelfallentscheidung: Anfangsbuchstabe hier groß oder klein?) Insofern sind auch die weiteren Aspekte des Substantivs nicht unbedingt so heterogen, wie Professor Ickler sagt; viemehr überschneiden sie sich zumindest. Zum Beispiel überschneidet sich die Artikelfähigkeit mit der Nähe zu Eigennamen, weil Substantive mit Eigennamen die Artikelfähigkeit gemein haben.
Übrigens wird den Lesern wohl aufgefallen sein, daß ich in meinen Beiträgen aus ökonomischen Gründen oft nicht unterscheide zwischen einem Wort (oder Text) und dem, was davon ausgedrückt oder "bedeutet" wird; zum Beispiel spreche ich von der "Geschöpflichkeit" der Substantive, obwohl dieses Verständnis nicht für die Wörter gemeint ist (auch Wörter anderer Art wurden in diesem Sinne "erschaffen"), sondern für das, was die Substantive bezeichnen.
eingetragen von Wolfgang Wrase am 07.03.2001 um 17.01
Jetzt steht meine halb ironische, halb emotional ehrliche Botschaft immer noch wie bierernst da, als ob sie ein Schlußwort sein könnte. Anstatt auf das Thema einzugehen, möchte ich kurz schildern, warum ich mir selbst nicht so ohne weiteres zustimmen kann, wie ich formuliert habe.
In ganz ähnlicher Weise wie jetzt beim Thema Substantivgroßschreibung hatte ich versucht, als noch die erste Entwurfsfassung des Rechtschreibwörterbuchs vorlag, mit Hilfe eines bunten Straußes von Argumenten Professor Ickler von seinen "neuen" Trennungen des Typs Ide-a-le (statt nur, Duden: Idea-le) abzubringen. Ich rief sogar noch einmal an, um mich von der Wirkung meiner vermeintlich erdrückendne Hinweise zu überzeugen; ich meinte wirklich, mir wäre eine gute Tat anzurechnen, falls es mir gelingen sollte, diese neuen Trennungen zu verhindern. Als Professor Ickler sich nicht beeindruckt zeigte, war ich zunächst sogar ziemlich ärgerlich.
Nun begab es sich vor wenigen Tagen, daß ich beim Korrigieren (neue Regeln) die Trennung breii-ge vorfand. Augenblicklich begriff ich, daß es viel schöner ist, wenn man brei-ige trennen kann, und korrigierte entsprechend, was ja nun auch erlaubt ist. Ebenso: partei-ische statt parteii-sche und weitere. Das leuchtet um so mehr ein, wenn man wie Professor Ickler fragt: Warum brei-ig, aber (nur) breii-ge, warum partei-isch, aber (nur) parteii-sche?
Wieso nur hatte ich daran nicht gedacht? (Solche Beispiele mit -ii-, sehr geehrter Herr Professor Ickler, würden sich vielleicht noch besser eignen als zum Beispiel Isra-el/Isra-e-li, um die Trennmöglichkeit plausibel zu machen.) Jedenfalls ist diese Entdeckungen mit ein Grund, warum ich mir selbst "ein Stückweit" mißtrauen und damit rechnen will, nach einem noch nicht absehbaren Erkenntnisprozeß meine Kritik widerrufen zu müssen, obwohl mir das im Moment leider noch nicht einsichtig ist.
eingetragen von Wolfgang Wrase am 04.03.2001 um 20.15
Sehr geehrter Herr Professor Ickler,
herzlichen Dank für Ihre Antwort. Ich bin gerade in Zeitnot, deshalb möchte ich nur kurz zurückmelden, daß es mir bei diesem Thema meist so geht, daß ich abwechselnd Ihnen und dann wieder mir zustimme. Ich hatte gehofft, einmal ein Thema zu finden, bei dem ich Ihnen nicht immer nur zustimmen muß - denn das Sich-abgrenzen-Können täte dem nach einem eigenen Standpunkt suchenden unreifen (unfeinen, eigene Texte erfindenden) Geist gut. Ich ahne aber, daß ich auch bei diesem Sujet keine Gelegenheit haben werde, argumentativ Ihren Kenntnisstand zu überflügeln, und womöglich werde ich Ihnen doch wieder recht geben müssen. (Nur eine inhaltliche Anmerkung zum Thema "semantisches Fehlverständnis": Ich wollte nicht davon reden, was theoretisch richtig ist, sondern von der Gefahr des Mißverständnisses beim Verwender Ihres Wörterbuchs.)
eingetragen von Theodor Ickler am 03.03.2001 um 08.13
Lieber Herr Wrase,
wir werden es hier nicht vollends ergründen, dazuist es zu kompliziert und voraussetzungsreich. Ich will vorab beteuern, daß ich Ihre Einwände stets ernst nehme, aber das wissen Sie ja.
Der feine Mann arbeitet nie mit selbstgemachten Textbeispielen, jedenfalls nicht zu Beweiszwecken, das machen nur die generativistischen Grammatiker.
Ihr Text mit den beiden Brüdern handelt von ebendiesen, sonst von nichts. Das andere wird ausgesagt, ist nicht Gegenstand der Rede. Allenfalls noch die Armut, und zwar wird sie metaphorisch (i.w.S.) durch die "Kirchenmaus" vertreten. Allerdings könnte man sagen, daß die Attribute mit zum Redegegenstand gehören, obwohl aus Sparsamkeit die Markierung innerhalb jeder Nominalgruppe nur einmal gesetzt wird (so ähnlich hat es ein Orthographietheoretiker, der nicht zu den Reformern gehört, einmal ausgedrückt). Hierüber besteht noch keine Einigkeit. Man müßte den Unterschied zwischen "armer Bruder" und "Schwarzes Brett" noch genauer fassen.
Ich werde Ihnen bald mal eine fachgerechte Textanalyse von Originalbelegen zusenden, dann werden Sie sehen, wie gut es geht. Die gesträubten Haare legen sich dann wieder, soweit noch vorhanden. Übrigens haben Sie mit "semantisch" ganz recht, die Textlinguistik läßt sich vollständig in Semantik überführen, allerdings nicht in Wortsemantik, trivialerweise. (Einen Kopf wie Sie müßten die Bücher von Anna Wierzbicka aufs höchste faszinieren!)
Daß Ihr erotisches Bekenntnis nicht von nichts handelt, habe ich schon früher erklärt. Personalpronomina indizieren in der Situation Gegebenes, nennen es aber nicht und brauchen daher nicht groß geschrieben zu werden. Dasselbe gilt für den anaphorischen Verweisapparat, wie ebenfalls bereits gesagt.
Mit "Kern von Subjekt bzw. Objekt" liegen Sie auch richtig. Das alles ist sehr gut vereinbar. Das finite Verb nennt zwar auch, aber meist nur dürftig. Hauptsächlich strukturiert es syntaktisch. Im Indogermanischen war es unbetont! Den semantischen Gehalt tragen die "Aktanten", also Subjekt und Objekte. Daher unsere Neigung, den Verbkomplex aufzumotzen: "zur Verantwortung ziehen" usw. - was ist schon "ziehen". Das muß aber noch einmal unterschieden werden von meinem "Redegegenstand". Es ist unwahrscheinlich, daß der Redegegenstand in einem wirklichen Text ohne jede großgeschriebene Markierung bleibt. Also, wenn Sie wollen, ohne substantivische Erwähnung. (Aber das ist ungenau, weil es die Großschreibung in beiden Richtungen nicht hinreichend erfaßt.
Kern von Subjekt und Objekt, (daher) Artikelfähigkeit, Geschöpflichkeit, Nähe zu Eigennamen - das sind sehr heterogene Begriffe, zum Teil für sich genommen auch ohne Erklärungswert. (Warum soll Artikelfähigkeit mit Großschreibung einhergehen? Dazu muß man die deutsche GKS schon verinnerlicht haben.) Der gemeinsame Nenner ist "Redegegenstand". Nur dies befreit aus der ontologisierenden und zirkelhaften Argumentation.
[Geändert durch Theodor Ickler am 06.03.2001, 05:59]
eingetragen von Stephan Fleischhauer am 28.02.2001 um 20.05
Zum Regel-Sinn-Problem
Um beim Beispiel Rechtsfahren zu bleiben: Vielleicht ist es gerade der Sinn dieser Regel, nicht auf Gegenverkehr achten zu müssen. Ginge es nur um das Verhindern eines Zusammenstoßes, könnte man ja auch auf andere Weise umeinander herumfahren. Regel und Sinn lassen sich letztendlich nicht trennen. Wenn man überhaupt von Sinn redet, meint man wahrscheinlich immer einen bestimmten Aspekt eines Sachverhalts, dessen Regelhaftigkeit man auf diese Weise - ausschnittsweise - bestimmt. Aber fragen wir doch erstmal Herrn Ickler, ob er eine Unterscheidung zwischen Regel und Sinn bei der GKS vorgesehen hat. Wenn ja, muß ich mich vorerst ausklinken und und nachsinnen.
Zur Textliguistik
Das Ganze scheint zunächst tatsächlich etwas "inhaltsleer" - was ist schon ein Redegegenstand, wenn er nur in der Schriftsprache seine Daseinsberechtigung hat? Ich glaube, es geht in den Randbereichen der GKS letztendlich doch um (feine) semantische Unterschiede, die allerdings nur schriftlich darstellbar sind. Und der "Redegegenstand" ist nur eine Zusammenfassung von Verschiedenem. Aufdröseln wäre zu kompliziert.
eingetragen von Wolfgang Wrase am 28.02.2001 um 17.04
Lieber Herr Fleischhauer,
wenn Sie ein wenig suchen, werden Sie unzählige Regeln finden, die Sie und wir alle ständig (mehr oder weniger gewissenhaft) befolgen, obwohl sie ihren eigentlichen Sinn nur in manchen Fällen der Befolgung unmittelbar erfüllen; manchmal ist diese Sinnerfüllung sogar die absolute Ausnahme. Mein bisheriges Beispiel war das Auf-einer-Hälfte-der-Straße-Fahren ("Wie absurd!", könnte man sich wie vor einiger Zeit Professor Ickler naiv stellen). Es kommt nicht immer Gegenverkehr (und nur diesem auszuweichen ist der Sinn dieser Regel; dafür wird sogar in Kauf genommen, daß man genauer hinsehen muß, wo man fährt, und daß man leichter aufs Bankett gerät usw.). Oft kommt kaum oder überhaupt kein Gegenverkehr, und oft kann man das auch hinreichend überblicken. Dennoch ist es viel leichter, die Regel "Rechts fahren" von ihrem Sinn zu emanzipieren und es sich zur Gewohnheit zu machen, immer rechts zu fahren. Das ist einfacher und sicherer.
Ebenso zählen Sie bei größeren Beträgen wahrscheinlich aus Gewohnheit das Wechselgeld nach, obwohl Sie nur in wenigen Fällen wirklich damit rechnen, daß Sie entweder betrogen werden sollen oder daß sich Ihr Gegenüber irrt. Sie sichern Dateien (das sollten Sie jedenfalls tun), auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich ist, daß die Festplatte als nächstes abstürzt. Ebenso dort, wo es nicht darum geht, Schäden zu vermeiden, sondern darum, Vorteile zu erarbeiten. So wenden wir alle möglichen Rechtschreibregeln an, auch wenn der Leser im Einzelfall mit nur winzig mehr Mühe einen fehlenden Buchstaben, eine unangemessene Klein- oder Zusammenschreibung o. ä. verdauen würde. Und obwohl der Leser in vielen Fällen auch überhaupt keine Probleme mit einer Regelverletzung hätte. Es ist aber sicherer, besser und vor allem auch einfacher, sich nicht in jedem Fall überlegen zu müssen, ob die jeweilige Regel auch ihren Zweck erfüllt, sondern sie einfach aus Gewohnheit anzuwenden (das funktioniert allerdings natürlich nur bei sinnvollen Regeln; deshalb unser Engagement gegen die neuen Regeln; genauer: gegen viele von den neuen Regeln). - Wenn man eine Weile nachdenkt, wird man noch viele auch solcher auf Positives, auf Gewinn gerichteten Regeln finden, auch in anderen Lebensbereichen, die zu befolgen vom Einzelfall her gesehen nicht immer nötig wäre.
Vergleichen Sie einmal folgende Regelformulierungen:
A. Man zählt das Wechselgeld (zur Sicherheit) nach.
B. Im allgemeinen verhindert man durch das Nachzählen des Wechselgeldes, daß man betrogen wird.
A. Man fährt rechts (damit man nicht in die Gefahr gerät, mit Gegenverkehr zusammenzustoßen).
B. Im allgemeinen weicht man beim Rechtsfahren dem Gegenverkehr aus, deshalb fährt man rechts.
A. Man wäscht Salat, bevor man ihn zubereitet (weil man so unter Umständen weniger Schadstoffe und Fremdkörper im Essen hat).
B. Im allgemeinen wäscht man Salat vor der Zubereitung, weil man sich sonst vergiften würde.
Und nun etwas "Positives":
A. Man grüßt seine Kollegen, wenn man ihnen bei der Arbeit begegnet (weil sie sich dann nicht mißachtet fühlen).
B. Im allgemeinen grüßt man seine Kollegen, wenn man ihnen Wertschätzung signalisieren will.
Und so weiter. Ich denke doch, man sieht: Die Regel wird geradezu falsch, wenn man so tut, als wenn ihr Zweck ständig erfüllt wird. Man darf deshalb die Regel nicht mit ihrem Sinn verwechseln.
Wie sieht es nun mit der Großschreibung von Substantiven aus? Professor Ickler stellt es bisher so dar, als ob man das groß schreibt, wovon die Rede ist. Dazu ein Beispieltext:
Mein älterer Bruder ist steinreich, aber er hat mir selten etwas geschenkt. Ich habe ihn seit langem nicht mehr gesehen. Mein jüngerer Bruder ist arm wie eine Kirchenmaus, aber er hat mir immer alles gegeben, was ich von ihm brauchte. Ich habe ihn erst gestern wieder getroffen.
Das ist doch ein ganz normaler Text, oder? Professor Ickler tut nun so, als ob in diesem Text von zweierlei die Rede sei: von "Bruder" und von "Kirchenmaus". Hier müssen sich doch jedem Betrachter die Haare sträuben. Wie ich schon sagte, ist es fast unmöglich, die Formulierung "wovon die Rede ist" nicht wie üblich semantisch zu verstehen, sondern "textlinguistisch".
An dieser Stelle sei auch die kritische Frage gestellt, warum der angeblich besonders fruchtbare Ansatz so eine inhaltsleere Bezeichnung bekommt. Natürlich haben wir es mit Sprache zu tun (also Linguistik), und wir hinterfragen die Großschreibung, also ist speziell das Schriftliche (der Text) gemeint. Sonstige Erklärungen der Rechtschreibung haben doch einen ganz eindeutigen Charakter: Betonung, Bedeutung, auch Grammatik sagt etwas Eigenes aus, aber "Textlinguistik"?
Erschwerend kommt eben hinzu, daß das ganz normale Verständnis, das der Benutzer hat, sobald er "wovon die Rede ist" liest oder hört, hier gerade ausgeschaltet werden soll. Der normale, verständige Mensch würde doch sagen: Hier ist von zwei Brüdern die Rede (nicht: von "Bruder"). Davon, daß der eine reich und der andere arm ist (nicht: von "Kirchenmaus"). Davon, daß der eine der Ältere und der andere der Jüngere ist; davon, daß der eine geizig und der andere spendabel ist; es ist die Rede davon, wann ich die beiden zuletzt gesehen habe. Selbst wenn die Darstellung von Professor Ickler wirklich triftig sein sollte in ihrem Rahmen, ist sie jedenfalls dazu geeignet, den Leser vor großes Rätselraten zu stellen, sobald er die Lehre von der "Redegegenstandgroßschreibung" mit seinem natürlichen (semantischen) Verständnis ernst nimmt und sie auf konkrete Texte anzuwenden versucht. Ich habe das anhand mehrerer Beispiele zu karikieren versucht; nach der Definition von Professor Ickler ist beispielsweise in dem Satz "Ich liebe dich" schlicht von nichts die Rede.
Deshalb und aus anderen Gründen habe ich dafür plädiert, zum Beispiel auf Seite 19 nicht auf der regelartigen Formulierung zu beharren: "Im allgemeinen nennen die groß geschriebenen Wörter eines Textes das, wovon in diesem Text die Rede ist." Das ist ungefähr so falsch (oder richtig) wie die Feststellung: Im allgemeinen grüßt man diejenigen Menschen höflich, denen man Hochachtung entgegenbringt.
Professor Ickler erläuterte und vor kurzem seinen Ansatz mit den Sätzen "Die Römer eroberten Karthago", "Die Eroberung Karthagos ..." (Fortsetzung weiß ich nicht mehr). Wer sagt eigentlich, daß es die Substantivierung von "erobern" bzw. die Wahl eines zugehörigen Nomens ist, die das eigentliche Mittel ist, das "erobern" zum Gegenstand seiner Rede zu machen? Ist es nicht vielmehr so, daß zuallererst das "erobern" stärker in den Mittelpunkt der Rede gerät, wenn es als Subjekt (genauer: im Kern des Subjekts) auftaucht - wobei sich natürlich ein Substantiv als die übliche Konstruktion anbietet?
Denn ich kann doch wohl genauso sagen (häufige Konstruktion, nur nicht so häufig wie mit Substantiv): Den Umsatz innerhalb eines Jahres zu verdoppeln war eine grandiose Leistung. Oder: Allein arbeiten macht mir überhaupt keinen Spaß. Ist hier nicht "verdoppeln" bzw. "arbeiten" in ganz plausibler Weise Gegenstand der Rede, nämlich als Kern des Subjekts (um den herum sich nähere Angaben gruppieren können)?
Mir scheint deshalb, daß die Qualität des Substantivs, "im allgemeinen" den Redegegenstand zu verdeutlichen (sage ich lieber statt: sichtbar zu machen), eher daher rührt, daß es sehr häufig als Kern des Subjekts fungiert sowie als Kern der Objekte. Wenn man dem folgt, müßte man weiterfragen, ob es nicht eher die "Nähe zu Eigennamen" ist, die hier als Futter für die Gleichsetzung des Substantivs mit dem Redegegenstand in Frage kommt. Wohlgemerkt: Nähe, nicht Gleichrangigkeit!
Denn während Eigennamen normalerweise keine sonstigen Wörter brauchen, um die Rolle des Subjekts oder eines Objekts zu spielen, ist das bei Substantiven anders. So hätte ich in dem vorigen Beispieltext statt "älterer Bruder" vielleicht Jürgen sagen können und statt "jüngerer Bruder" vielleicht Markus. Damit sich grammatisch ein Subjekt ergibt, war noch der Artikel notwendig, und damit die Kategorie "wovon die Rede ist" ihren vertrauten semantischen Bereich nicht zu verlassen braucht, ist auch jeweils das Adjektiv ein notwendiger Bestandteil des Subjekts.
Vergleiche: Lionel Jospin traf Tony Blair. Oder: Der französische Premierminister traf den britischen Premierminister. Nach Professor Icklers Darstellung ist hier im zweiten Fall mehrfach die Rede von "Premierminister". Nach normalem Verständnis ist hier jedoch die Rede vom französischen und vom britischen Premierminister (sowie in zweiter Linie von ihrer Begegnung).
All solche Verwicklungen und Einwände könnte man meines Erachtens vermeiden, wenn man den Aspekt "Redegegenstand" nicht als Motiv der Großschreibung auf Regelebene darstellt (oder dieses Mißverständnis nahelegt), sondern diesen Aspekt als den Sinn der Substantivgroßschreibung darstellt - nicht mehr und nicht weniger.
Schließlich möchte ich Herrn Fleischhauer zustimmen: Auch ich meine, daß die verschiedenen Aspekte des Substantivs normalerweise zusammenwirken, so daß sich insgesamt ein sehr starkes Motiv ergibt, sie groß zu schreiben: Nähe zu Eigennamen, "Geschöpflichkeit", Artikelfähigkeit, geeigneter Kern von Subjekt und Objekt - und oft auch Redegegenstand (oder vielleicht noch besser: Kern des Redegegenstandes; man beachte die einleitende Formulierung von Professor Ickler auf Seite 44: "Durch die Großschreibung in Substantivgruppen ..."!). Ich finde es allerdings unzutreffend, das Großgeschriebene und den Redegegenstand annähernd gleichzusetzen, wie es nach meinem Verständnis Professor Ickler in seiner Darstellung unternommen hat.
eingetragen von Stephan Fleischhauer am 28.02.2001 um 11.36
Lieber Herr Wrase,
ich habe den Unterschied, den Sie zwischen "Sinn" und "Regel" machen, noch nicht verstanden. Es kommt doch am Ende alles aufs gGleiche heraus: Je mhr Gesetzmäßigkeiten, desto mehr Sinn.
Der ganze Übergangsbereich der GKS (dazu gehört ja auch "heute abend" und "in bezug auf") ist schwer zu fassen. Es gibt eben keine Regel - zumindest keine trennscharfe. "Wovon die Rede ist" - was hier gemeint ist, kann man kaum klar definieren (es gibt ja auch keine genaue Entsprechung in der mündlichen Rede), und doch trifft es genauer (und vor allem richtiger) als das bereits grammatisch definierte Substantiv.
Noch etwas: Die Unterregeln von § 15 kann man als prototypisch verstehen. Etwas ähnliches soll wohl auch die Formulierung "... machen das Substantiv zur bevorzugt groß geschriebenen Wortart" ausdrücken.[Geändert durch Stephan Fleischhauer am 01.03.2001, 14:33]
eingetragen von Wolfgang Wrase am 27.02.2001 um 17.01
In der Formulierung "im einzelnen" ist ja gerade nicht ein pronominales "einige", "wenige" verborgen, sondern dasselbe, was bei der Substantivierung "der Einzelne" (das Individuum, der Vereinzelte o. ä.) vorliegt: "im einzelnen" bedeutet nichts anderes als "im Detail", das Einzelne ist hier das Detail, die Einzelheit. Auch in der Formulierung "im Detail" liegt eine phraseologische Verbindung vor - wiederum ist es genau dasselbe wie "im einzelnen". Der einzige Unterschied ist, daß das "einzelne" ursprünglich kein Substantiv ist, sondern zunächst ein Adjektiv, das auch pronominal verwendet werden kann. Nur in diesem Übergangsbereich gibt es die Differenzierung, daß trotz formaler Substantivierung (Artikel, in diesem Fall auch Präposition) keine Großschreibung eintritt. Hingegen ist Detail, wie Sie es ausdrücken, sehr geehrter Herr Professor Ickler, ein Detail (das heißt ein Substantiv): Da könne man nichts machen. Was heißt das eigentlich?
Eben das will ich ja sagen: Originale Substantive werden praktisch immer groß geschrieben, auch dann, wenn sie phraseologisch in einem adverbialen Ausdruck gebunden sind - obwohl hier eben keine Spur mehr Redegegenstand vorliegt als bei substantivierten Adjektiven. Eben das will ich sagen: daß der "Aspekt" Redegegenstand nur ein Aspekt des typischen (und typisch verwendeten) Substantivs ist, neben den anderen, bekannteren, anschaulicheren Aspekten, die hier bereits mit den Annäherungen "Dinglichkeit" (sinnliche Wahrnehmbarkeit, schlägt zuletzt Norbert Schäbler vor, ein wenig zu eng gefaßt, weil Abstrakta kaum sinnlich wahrnehmbar sind), "Personenhaftigkeit", "Geschöpflichkeit", "typischer Kern von Subjekt und Objekt", "artikelfähig" angeklungen sind.
Ich präzisiere nochmals: Der Aspekt des Redegegenstandes ist wesentlich dafür, den Sinn der Substantivgroßschreibung zu erklären, dafür ist er gut und sinnvoll; aber man sollte den Sinn einer Regel nicht mit der Regel selbst verwechseln, bzw. man sollte nicht unbedingt eine Darstellung wählen, die ein solches Verständnis nahelegt.
Konkret: Auf Seite 44 heißt es einleitend: "Durch die Großschreibung in Substantivgruppen wird sichtbar gemacht, wovon in einem Text die Rede ist." Das ist nach meinem Eindruck ein wenig zu absolut formuliert - der Leser kann unmöglich ahnen, daß es sich hier nur um einen Aspekt der Großschreibung handeln soll, um einen Befund bei grober Abrundung der Ausnahmen und Zweifelsfälle. Eine unverfängliche Formulierung wäre m. E. zum Beispiel: Durch die Großschreibung von Substantiven verschafft man dem Leser einen schnellen Überblick darüber, wovon in dem Text die Rede ist.
Weiter heißt es darunter: Dies und die Nähe zu Eigennamen machen das Substantiv zur bevorzugt groß geschriebenen Wortart. Indem man vom Redegegenstand ausgeht, scheint man sich hier eine unnötig vage Umschreibung der Substantivgroßschreibung einzuhandeln: So elegant die Formulierung ist - was bedeutet sie? Daß Substantive bevorzugt (= meist) groß geschrieben werden? Daß es bevorzugt (= vor allem) Substantive sind, die groß geschrieben werden? Bedeutet das, daß Substantive nur dann groß geschrieben werden, wenn sie die Bedingung "Redegegenstand" erfüllen? Oder wann dennoch klein? Oder wann wird sonstiges groß geschrieben?
Natürlich ist der Sinn einer Regel dieser Regel in gewissem Sinn vorgeschaltet, ist ihr übergeordnet. Andererseits bleibe ich dabei: Eine Regel hat oft einen größeren Geltungsbereich als den, wo der Sinn unmittelbar erfüllt wird. Ich habe das mit Hilfe des Vergleiches mit dem Rechtsfahren (auch wenn gerade kein Gegenverkehr da ist!) zu erklären versucht. Wenn man dies ernst nimmt, ist die Regel "Substantivgroßschreibung" eben doch stärker, genauer, überdies auch praktischer und anschaulicher als ihr Motiv "Redegegenstand kennzeichnen".
Für heute muß ich hier abbrechen.
eingetragen von Walter Lachenmann am 27.02.2001 um 08.53
Lieber Herr Oberarzt!
schön, daß Sie wieder da sind! Wir haben uns schon Sorgen gemacht um Ihre Laufbahn und um Ihre Straßenlage. Eine kleine Bitte:
Wenn Sie es mal einrichten könnten, hätten wir ein knifflige semantisch-grammatologisch-linguistisch-hermeneutische Frage in der Kinderabteilung, im Gästetrakt, gleich neben der Mädchendusche finden Sie uns.
Bitte, bitte, bitte, kommen Sie. Wir kriegen den Test nicht hin ohne Sie!
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Walter Lachenmann
eingetragen von Theodor Ickler am 27.02.2001 um 08.01
Liebe Freunde, ein paar Tage verreist gewesen seiend, möchte ich mich ergebenst zurückmelden. Eine Bitte: Meine These über Redegegenstände usw. sollte nicht mit algebraischer Exaktheit daherkommen und will folglich auch nicht so gedeutet werden. Ich bin weiterhin überzeugt, daß ich einen wesentlichen Punkt getroffen habe, der freilich noch genauer gefaßt werden müßte (wer's vermöchte!). Es ist ein nützlicher Hinweis, und es ist einer, der dem Wortart-Problem vorgeordnet ist.
Und nun noch dies, lieber Herr Wrase: Ein Detail ist ein Detail, da kann man nichts machen. Aber zwischen dem "Einzelnen", von dem die Rede ist, und dem "einzelnen", das (genau wie das "allgemeine") phraseologisch gebunden und folglich nicht redegegenständlich ist, gibt es einen Unterschied, den man intuitiv durch die unterschiedliche Schreibweise zum Ausdruck gebracht hat. Esgibt auch ein pronominales "elnzeln" (einzelne protestierten") im Gegensatz zu einem substantivischen ("darum fühlen sich Einzelne (Isolierte) nicht wohl") usw.
So der Usus, gar nicht schlecht. Natürlich mit Übergangszonen, wie stets.
eingetragen von Norbert Schäbler am 26.02.2001 um 14.13
Lesen kann ich, schreiben kann ich.
Beides lehre ich auch - so gut es geht - und ich freue mich immer an und über Neuerungen, die das Lehren erleichtern.
Der textlinguistische Ansatz von Professor Ickler ist irgendwo richtig, denn mit der Aufspürmethode "Wovon die Rede ist" kann man ja auch durchaus die Substantive in einem Text allesamt entdecken. Man kann auch nachträglich substantivieren oder desubstantivieren, falls dem Schreiber Fehler unterlaufen sein sollten.
Jedoch der textlinguistische Ansatz ist per se leselastig, und ich muß, in Abwandlung der Frage bzgl. Ei und Küken, um Aufschluß bitten: "Wer kommt zuerst? Der Schreiber - oder der Text?"
Die ganze philosophische, professorale und höchstwissenschaftliche Abhandlung bringt mir für die Praxis nicht die Bohne, denn ich habe in der Schule parallel - und das ist tatsächlich ein einträchtiges Nebeneinander - sowohl den Schreib- als auch den Leselernprozeß in Gang zu bringen und zu halten - und dies möglichst in einer Form, daß sich weder auf der einen, noch auf der anderen Seite schwerwiegende Fehler einprägen.
Was soll ich beispielsweise einem Erstkläßler sagen, der noch nicht einmal das ganze Alphabet beherrscht und mich des Morgens nicht nur mit Bilderchen sondern mit seine Prosa beschenken will? Soll ich ihm sagen: Lerne erst lesen, dann lernst du auch schreiben?
Das wäre doch weltfremd! Das wäre doch ein Unterbinden jeglicher Kreativität!
Es muß doch - genauso wie es eine textlinguistische Heilslehre gibt - ebenso eine schreibtechnische Arbeitshypothese geben.
Jedoch, ich habe das Gefühl, daß sich die je unterschiedlichen Forschungsebenen allmählich zu Geheimwissenschaften entwickeln, daß eine jede sich selbst glorifiziert, daß die eine der anderen das Wasser abgräbt, weil sie selbst obsiegen will.
Da gibt es Anhänger des gesprochenen, des gelesenen, des geschriebenen und des zu schreibenden Wortes!
Was soll das? Sind das nicht völlig verschiedene Vorgänge? Gibt es nicht auf jeder Ebene fachspezifische Erkenntnisse - wahre Trümpfe für die zu lehrende Meinung? Kann man andererseits diesen Arbeitsergebnissen das Recht zusprechen, das Wissen der je anderen Fakultät zu schmälern?
Offensichtlich ja! Das unleidige Kapitel Rechtschreibreform hat dies offenbart. Die RSR hat mich endgültig daran zweifeln lassen, daß wissenschaftliche Erkenntnisse ausgetauscht und abgestimmt werden.
Meine Erklärungen: Futterneid und Größenwahnsinn!
Eine Frage will ich noch wiederholen, die seither unbeantwortet blieb:
Ist es eine Arbeitsgrundlage für den Schreibenden - bitte hier den Focus richtig einstellen - wenn ich ihm empfehle, daß er alles sinnlich Wahrnehmbare groß schreiben möge?
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nos
eingetragen von Wolfgang Wrase am 26.02.2001 um 12.20
Die letzten Beiträge beseitigen nicht die Einwände, die es gegen die Erhebung der Redegegenständlichkeit zum entscheidenden Kriterium der Großschreibung gibt. Man beachte ein einziges Beispiel wie das zuletzt aufgeführte "im Detail", aber "im einzelnen". Da hilft es auch nicht weiter, wenn man von der Sprach-Kamera spricht.
Wenn Herr Fleischhauer sein Verständnis so zusammenfaßt: "Redegegenstand ist, was man groß schreibt", so dreht er damit gerade die angeblich so wertvolle Definition von Professor Ickler um. Dieser hatte definiert: "Redegegenstand ist das, wovon die Rede ist", und dann die Großschreibung daran aufgehängt. Das Verständnis von Herrn Fleischhauer entspricht der Gefahr des Zirkelschlusses, die ich ebenfalls schon angesprochen habe. Wenn man die Behauptung ernst nähme, daß man das groß schreibt, wovon man reden will oder worauf sich die Kamera des Leserauges richten soll, und wenn man immerhin schon von einer Vorahnung "Es ist mit Redegegenstand sowieso etwas Substantivartiges gemeint" ausgeht, dann würde daraus zum Beispiel folgen: Wer bisher schrieb "im Detail", der wollte vom Detail reden und dies dem Leser verdeutlichen; wer bisher schrieb "im einzelnen", der wollte nicht vom Einzelnen reden. Das ist m. E. absurd. Ich wäre interessiert daran, ob man meiner Vorstellung von Regeln, die sich von ihrem unmittelbaren Zweck "emanzipieren" können, etwas abgewinnen kann.
eingetragen von s.stirnemann am 24.02.2001 um 16.03
Für "das,wovon die Rede ist" bzw. "was es gibt" schlage ich als Bild vor: "das, worauf die Sprach-Kamera gerichtet ist."
Das Bild finde ich beim Aargauer Schriftsteller Hermann Burger; es stammt aber nicht von ihm. - Andere Angaben im Satz helfen beim Richten der Kamera, regeln die Lautstärke und Bildschärfe usf.
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stefan stirnemann
Tigerbergstr.10
9000 St. Gallen
eingetragen von Stephan Fleischhauer am 14.02.2001 um 11.21
Vielleicht gibt es bei allen Definationsversuchen irgendwann einen Punkt, von dem an man sich im Kreis dreht. Ich verstehe das mit den Redegegenstaenden so: Redegegenstaende sind das, was man gross schreibt. (Nein, ich wurde nicht bekehrt - unser Uni-Rechenzentrun hat nur Ami-Tastaturen.)
eingetragen von Wolfgang Wrase am 13.02.2001 um 17.11
Sehr geehrter Herr Professor;
Sie tun immer noch so, als ob ich den Gesichtspunkt der Redegegenständlichkeit zugunsten einer sturen Regel "Substantiv" tilgen wolle. Das habe ich nicht gesagt, kruzitürken! Ich habe mehrmals deutlich von "etwas herabstufen" gesprochen oder formuliert "... dann den Sinn der Großschreibung erläutern ...". So kommen wir nicht weiter, wenn ich falsch zitiert oder verstanden werde.
Ich werfe hier noch ein weiteres Beispiel in die Diskussion: Warum schreibt man immer "im Detail", aber "im einzelnen"? Es ist überhaupt nicht einzusehen, daß im ersteren Fall vom Detail "die Rede" sein soll, im zweiten Fall aber nicht vom "Einzelnen", denn das ist schlicht dasselbe. Hier scheint es mir zur Evidenz erwiesen, daß als konkretes Motiv für die GKS das Kriterium "Substantiv" stärker ist als das Kriterium "Redegegenstand"; einer von verschiedenen Gründen, warum ich für eine zurückhaltendere Präsentation des Aspekts "Redegegenstand" plädiert habe.
Ich sehe es so, daß sich die Substantiv-GKS von ihrem Sinn "emanzipiert" hat, was wiederum sehr sinnvoll ist. Man schreibt originale Substantive (in aller Regel) groß, auch wenn sie nicht immer als (typischer) Redegegenstand fungieren. Es wäre ja auch unglaublich mühsam, wenn man sich immer überlegen müßte oder herausspüren wollte, ob ein Wort nun Gegenstand der sprudelnden Rede sein soll oder nicht; viel einfacher ist das Gespür für das Substantiv, weil dort noch andere Merkmale eine Rolle spielen, also eine viel bessere Orientierung erlauben: die "Dinglichkeit", "Geschöpflichkeit", ja Personenhaftigkeit der Substantive, die man intuitiv sehr gut erfühlt. Die Funktion der Substantiv-GKS wird auch dann erfüllt - wie schon bemerkt, aber von Professor Ickler bisher nicht rezipiert -, wenn Substantive überwiegend (aber kaum "annähernd immer") etwas mit dem Redegegenstand zu tun haben. (Man kann sich nämlich noch zusätzlich fragen, ob nicht eher vom Subjekt und vom Objekt die Rede ist als von deren üblichem substantivischem Kern). Dazu in einem späteren Beitrag mehr; diese Frage bahnt sich ja in der Diskussion bereits an.
Ein Vergleich: Man fährt nicht in der Mitte der Straße, sondern auf einer Seite (hierzulande konventionell auf der rechten), was den einleuchtenden Sinn hat, daß man mit dem Gegenverkehr nicht zusammenstößt und sein Leben verliert, nebst Blechschaden etc. Diese Regel "rechts fahren" ist insoweit von ihrem Sinn emanzipiert, als man praktisch immer rechts fährt, obwohl man in der Mitte der Straße fahren könnte, wenn kein Gegenverkehr da ist. Das wäre aber viel zu mühsam und würde auch das richtige, sinnvolle Verhalten im entscheidenden Moment mangels Einübung und Gewohnheit gefährden. Daher fährt man eben (fast immer, grundsätzlich) rechts. Und: Das ist eben auch viel leichter als die dahinterliegende, sinnbezogene Regel "Auf der Seite fahren, wenn Gegenverkehr das erfordert"!
So ist das auch mit dem Substantiv - meiner Meinung nach. Man schreibt es groß, grundsätzlich, obwohl in den Formulierungen "in Kürze", "im Prinzip", "im Detail" nun wirklich nicht mehr Redegegenständlichkeit vorliegt wie bei klein geschriebenem "im allgemeinen" etc. Also eine ganze Reihe von Gründen, warum man meiner Meinung nach bei der GKS das Substantiv jedenfalls auf Regelebene in den Vordergrund stellen sollte. Und bitte, Herr Professor Ickler, sagen Sie jetzt bitte nicht, es sei leider nicht sinnvoll, von einer "sinnlosen" Regel auszugehen ...
eingetragen von Stephan Fleischhauer am 12.02.2001 um 18.45
Lieber Herr Melsa,
Sie geben Wasser auf Icklers Mühle. Die "Zweckrolle" (Ihre Entsprechung zu Icklers Redegegenständen) ist das Entscheidende. Ich verstehe auch nicht, warum jemand, "der in einem bestimmten Fall zweifelt", nicht im Wörterverzeichnis, sondern in den Regeln nachschlagen sollte. Wer sich mit diesen beschäftigt, sucht wohl eher allgemeine Auskünfte, und genau darum ist Icklers Darstellung goldrichtig. Daß sie trotzdem nicht gleich einleuchtet, liegt wohl tatsächlich an ihrer Knappheit.
Ach ja: Was ist eigentlich mit der Überschrift von § 15?
Da war doch noch etwas: Warum irren Grammatiker, die das Substantiv als Kern einer Nominalgruppe betrachten?
Hallo, Mädchenfüralles!
Muß das da sein, wenn noch keiner geantwortet hat?: [Geändert durch Stephan Fleischhauer am 13.02.2001, 22.22]
eingetragen von Theodor Ickler am 12.02.2001 um 07.32
Das Problem bei der semantischen Bestimmung der Substantive sind die Abstraktbildungen. Ich darf hier vielleicht an die klassische Abhandlung von Walter Porzig erinnern. Er faßt die Abstrakta als "Namen für Satzinhalte" auf. Gemeint ist folgendes (sein eigenes Beispiel): "Die Römer eroberten Karthago." Die Aussage wird in einem weiteren Satz zum Gegenstand einer neuen Aussage: "Die Eroberung Karthagos ...usw." Man sieht ohne weitere Erklärung, wie es funktioniert. Natürlich wird der Vorgang nicht zu einem Ding im ontologischen Sinne, das Verfahren bleibt vielmehr ein rein sprachliches. Daher meine Bevorzugung der Textlinguistik (Bezug auf eine reine Technik des Sprechens) gegenüber der anspruchsvollen, aber problematischen Ontologie.
Man könnte sagen, daß der erste Satz von den Römern und von Karthago handelt, und zwar sagt er eine bestimmte Beziehung zwischen ihnen aus. Der zweite Satz handelt dann von dieser Beziehung. Man müßte vielleicht, um das Befremdliche dieser These zu mildern, eine Doppelfrage stellen: Wovon handelt der Text und was sagt er darüber aus? Allerdings habe ich jetzt den Text und den Satz austauschbar behandelt, was sicher nicht richtig ist. Man muß beachten, daß der erste Satz immer in einem Kontext steht und daß die Betrachtungsweise, die ich hier vorgeschlagen habe, nicht auf das Konstrukt "isolierter Satz" anwendbar ist.
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Th. Ickler
eingetragen von Christian Melsa am 11.02.2001 um 20.10
Ich denke schon, daß es bei der Großschreibung in erster Linie um eine Wortartenkennzeichnung geht, insoweit, als daß sich das in den allermeisten Fällen mit der textlinguistischen Markierung deckt. Deswegen könnte man von dieser Grundregel (Substantive schreibt man groß) zunächst einmal ausgehen. Das ist natürlich noch nicht alles, es kommen noch die Ausnahmen und Ergänzungen hinzu. Aber hauptsächlich werden eben die Hauptwörter groß geschrieben. Warum ausgerechnet die, aus welchem Sinn? Warum nicht die Präpositionen? Nun, die verschiedenen Wortarten übernehmen ja auch verschiedene Zweckrollen in der Sprache, die sind halt nicht einfach so beliebig austauschbar. Da die Substantive, wie ich bereits ausführte, die Elemente eines Satzes sind, zwischen denen Aktionen und Relationen stattfinden, die direkt genannten Objekte und Subjekte eines Satzes (im Unterschied zu den indirekt genannten als Pronomen), bieten sie sich zu einer gesonderten Markierung an. Die Dinglichkeit spielt dabei die begründende Rolle, und die ist nicht ganz mit der Tatsache gleichzusetzen, daß es sich um Substantive handelt. Denn wohl kann man bei einer Blume, einer Person, einer Idee usw. von dinglichen Begriffen sprechen, aber in Wendungen wie "im allgemeinen", "im stillen" usw. ist ja gerade nicht von Dingen die Rede, sondern von Eigenschaften, obwohl formal Substantive vorliegen; bei "in bezug auf" von einem Verhältnis. Diese Formeln sind Wortgruppen mit einer Funktion wie "sozusagen" oder "sogenannt", wo die ehemals getrennten Wörter bereits verschmolzen sind, da es sich ohnehin um immergleiche [sic] Ausdrücke handelt, so daß man sie auch als ein geschlossenes Ganzes, als praktikables Makro handhaben kann. Bei z.B. "gleichenteils" ist auch ein Substantiv enthalten. Motivation zur Kleinschreibung in adverbialen oder präpositionalen Wortgruppen ist immer dann vorhanden, wenn sich ein einwortiges Synonym denken läßt; ein weiterer Faktor wäre eine als wünschenswert naheliegende Unterscheidungsschreibung zu als solchen gemeinten Dingen, die mit demselben Substantiv bezeichnet sind. Das mag als Hilfestellung einigermaßen dienlich sein, wenn der Schreibende in einem bestimmten Fall zweifelt und nicht extra im Wörterverzeichnis nachschlagen will. Bei "in Kürze" kann man etwa ein "kürzlich" als Synonym heranziehen, aber mir fällt keine Situation ein, in der in dieser Wendung von einer dinglichen "Kürze" die Rede sein sollte, ohne daß man dann auch einen Artikel benutzen würde.
eingetragen von Theodor Ickler am 11.02.2001 um 05.18
Lieber Herr Wrase,
ich mache Ihnen ja keinen Vorwurf. In der Hauptsache geht es um eine Abwägung. Ausnahmen müssen auf jeden Fall erklärt oder konstatiert werden, und das nicht zu knapp. Bei mir sind es Übergangserscheinungen, wegen der Überlappung zweier Tendenzen in der geschichtlichen Entwicklung. Meine Hierarchie macht deutlich, daß die GKS grundsätzlich sinnvoll ist, während sie bei einer wortartbezogenen Darstellung zunächst einmal nicht sinnvoll, sondern rein konventionell ist. Bei einer im strengen Sinnen sinn-losen Regel sind auch die Ausnahmen sinnlos. Kein Wunder, daß die Reformer hier leichtes Spiel zu haben glaubten. Eine Wortart um ihrer selbst willen auszuzeichnen hat keinen Sinn. Warum schreibt man nicht die Präpositionen groß und alles andere klein? Nach den Voraussetzungen der reinen Konventionalität wäre das denkbar. Es kommt aber nicht vor. Ich sehe nicht, wie man das ohne meinen Ansatz erklären kann.
Bei Pronomina steht das Benannte entweder om Vortext oder ist in der Situation anwesend, so daß es in jedem Falle nur durch Verweis (Anaphora oder Deixis) in das Gespräch eingebracht wird und nicht durch das besondere semiotische Verfahren der Benennung. Dies könnte man sicher noch etwas deutlicher machen, und vielleicht verbreitet sich ja die Kenntnis semiotischer Grundlagen auch noch durch einen weniger stümperhaften Schulunterricht. Sprache könnte dann wieder interessant werden, auch für unsere Popkids.
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Th. Ickler
eingetragen von Wolfgang Wrase am 10.02.2001 um 20.39
Moment mal! Ob die Mißverständnisse an mir liegen? Ich wäre mir da nicht so sicher. Ich habe ziemlich deutlich gesagt, daß ich selbst in meinem letzten Beitrag eine semantische Perspektive einnehme. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Ebene "Textlinguistik" schwer verständlich ist, während Semantik und Grammatik dem Benutzer näher liegen. Wenn ich mich so schwer mit der Formulierung "wovon die Rede ist" tue, möchte ich bezweifeln, daß die anderen Benutzer damit so gut klarkommen werden, wie sich das der Verfasser wünschen sollte. Die letzten Beiträge von Herrn Melsa bestätigen das: Er sagt wiederum, es handle sich bei "Redegegenständen" nur um das Dingliche. Das entspricht dem Vorwurf des Zirkelschlusses: Es soll sowieso nur von Substantiven die Rede sein. Damit wäre die Textlinguistik übrigens auch wieder nur Grammatik. So ist es aber nicht gemeint.
Ich finde es eben nicht günstig, eine Perspektive regelartig zu formulieren (im ersten Teil, das stimmt; im zweiten Teil ist das Problem weniger da), die zu solchen Schlußfolgerungen führt, die für den Benutzer absurd sein müssen: In dem Satz "Ich liebe dich" ist von nichts die Rede, aber in dem Satz "Er kommt in Kürze" ist von etwas die Rede - nämlich von der Kürze! Der normale Mensch kann die Formulierung "wovon die Rede ist" nur sematisch mißverstehen; deshalb möchte ja Herr Melsa ja auch nochmals schnell die nichtsubstantivischen Wortarten ausgeschlossen wissen. Dabei ist die Definition auf Seite 21 umgekehrt: Redegegenstand sei, "wovon in dem Text die Rede ist". Es wird also gerade das Dingliche aus dem Begriff wegdefiniert.
Zu meinem Beispielsatz, den ich natürlich nur ironisch als "Geschichte" bezeichnet habe, ist zu sagen, daß derjenige, der jedes auftauchende Substantiv zum Redegegenstand erklärt, banale Bestandteile als Schwerpunkt des Textes darstellt. Für mich hat das "liebt" in meinem Beispielsatz jedenfalls mehr Gewicht als die "Kürze" in der Floskel "die Kürze". Die Bemerkung, daß eine Tendenz zur Kleinschreibung "in kürze" vorhanden sei, ist nicht völlig falsch, erscheint mir aber doch als schwache Ausrede. Es geht doch vielmehr darum, warum so gut wie immer "in Kürze" geschrieben wird, aber - laut Wörterbuch, das ist nämlich viel eher unsicher - "im allgemeinen", obwohl nach der Definition des Wörterbuchs beidesmal ein Substantiv vorliegt. Sie fragen nun blauäugig: Warum sollte man eine Wortart klein oder groß schreiben? Ich frage zurück: Wenn "in Kürze" nicht einmal einen Artikel hat, dann müßte es ja noch eher hier dem angeblich regierenden Prinzip der Kleinschreibung wegen thematischer Herabstufung anheimfallen als "im allgemeinen". Das ist aber nicht so. Deshalb ist die Darstellung "... daher wird auch dies klein geschrieben" falsch, solange sie sich auf alle Substantive bezieht (wenn man davon ausgeht, daß Kürze und Allgemeines hier einen vergleichbaren Grad von Redegegenstand-Qualität haben; das tue ich).
eingetragen von Christian Melsa am 10.02.2001 um 18.43
Übrigens, natürlich würde die deutsche Sprache selbst bei durchgängiger Kleinschreibung nicht sofort völlig unverständlich werden; ich stelle das ja selber fest, wenn ich im Internet chatte, da benutze ich die Shift-Taste nämlich so gut wie nie - aber das ist ja auch ein interaktives Echtzeitmedium, und man spricht in sehr kurzen Sätzen. Zwar sind diese oft gerade sehr umgangssprachlich formuliert, wodurch bestimmte schriftsprachlich unübliche syntaktische Stellungen sogar häufig vorkommen, aber gerade dann fällt immer wieder auf, wie doppeldeutig diese Äußerungen sind. Aber Chats nehmen ja eine sehr spezielle Position ein, die sind sowieso total chaotisch; nicht gerade ein Vorbild für gute Prosa. Mit normalen Texten läßt sich das kaum vergleichen, erst recht nicht mit massenhaft publizierten, die vom Leser möglichst bequem und zügig aufnehmbar sein sollen.
eingetragen von Christian Melsa am 10.02.2001 um 18.23
Für Herrn Wrase und andere müßte wohl deutlicher hervorgehoben werden, daß es bei dem Merksatz "wovon die Rede ist" um die Dinge geht, im Unterschied zu Tätigkeiten, Verhältnissen oder Eigenschaften, von denen in einem Satz auch die Rede sein kann. Aber wie soll man das kurz und bündig formulieren, ohne dann andererseits wieder ein falsche Interpretation zu fördern, Substantivierungen von Verben usw. würden demnach klein geschrieben?
eingetragen von Theodor Ickler am 10.02.2001 um 14.48
Lieber Herr Wrase,
natürlich reden wir aneinander vorbei, und Ihr letzter Beitrag läßt auch erkennen, woran das liegt: Sie unterstellen mir beständig, mit dem, "wovon die Rede ist", die "wesentliche Information" oder "semantisch Wertvolles" zu meinen. Das ist aber nicht so, und ich erkläre es ja auch. Es ist nur etwas ungewohnt, das gebe ich zu.
Die Hierarchie ist so, wie ich sie angelegt habe. Der textlinguistische Gesichtspunkt ist der übergeordnete, erst dann kommt die Wortart. Es geht eben im Deutschen primär NICHT darum, eine bestimmte Wortart auszuzeichnen - warum sollte man?
Wenn an meinem Gedanken etwas Richtiges ist (ich glaube, Harald Weinrich hat ihn auch schon vor langer Zeit einmal ausgedrückt), dann kann die Anordnung nur so sein. Die Substantive kommen ja auch nicht zu kurz, in den Hauptregeln geht es gleich unter Nr. 1 los: "Substantive werden groß geschrieben." Was wollen Sie mehr? Der rklärende übergeordnete Gesichtspunkt steht im Vorspann zu den einzelnen Nummern. Dort gehört er hin. Natürlich kann der Benutzer aus diesem Vorspann noch keine konkreten Schreibweisen ableiten, das wird er auch bei der großen Allgemeinheit der Formulierung weder erwarten noch versuchen.
Bei "in Kürze" gibt es sicher eine Neigung zur Kleinschreibung (wie bei "zurzeit" usw.). Wenn Sie oben auf der Nachrichtenseite mal nachschauen, wie unser Freund Michel Jansen am heutigen Tage schreibt, dann werden Sie da auch etwas Interessantes bemerken ... Das sind halt so Übergangserscheinungen, alle unter dem Druck des von mir artikulierten obersten Grundsatzes.
Abgesehen davon, daß "Das Mädchen liebt Blumen" weder eine Geschichte noch ein interpretierbarer Satz ist, so daß man eigentlich noch gar nicht sagen kann, wovon der Satz bzw. die Geschichte handelt, würde ich kühn behaupten: am ehesten von einem Mädchen und Blumen. Das ist viel sicherer, als daß er von der Liebe handelt! Auf welche Fragen könnte er denn antworten? Zum Beispiel diese: Warum stehen denn im Zimmer dieses Mädchens so viele Blumen? Antwort: Das Mädchen liebt Blumen. - Das ist doch keine Geschichte über die Liebe, sondern über das Mädchen und die Blumen. Man könnte auch die Blumen zur Aussage ziehen: Können Sie mir etwas Näheres über das Mädchen sagen? Nun, das Mädchen liebt Blumen. - Ebenfalls keine Geschichte über Liebe, sondern über das Mädchen und Blumen, nicht wahr?
Schade, daß das Wirtschaften mit isolierten selbstgemachten Sätzen immer noch üblicher ist als die Einbeziehung der Textlinguistik, die uns eigentlich viel näher liegen müßte.
eingetragen von Wolfgang Wrase am 10.02.2001 um 13.34
Sehr geehrter Herr Professor Ickler,
wir reden unnötig aneinander vorbei. Ich habe nichts dagegen, daß der Sinn der sog. Substantivgroßschreibung im Regelteil erklärt wird - das ist sehr gut und nützlich. Er dient zur Erklärung der formalen Ausnahmen von der Substantivgroßschreibung. Aber Sie nennen doch das Ganze "Hauptregeln der Rechtschreibung", und da sollte man zunächst nicht den Sinn einer Regel so formulieren, als ob dies die Regel selbst sei. Es ist hier nämlich so, daß die groß geschriebenen Substantive zwar einen sehr guten Überblick darüber verschaffen, wovon in dem Text die Rede ist; aber einerseits werden Substantive bei der Großschreibung mit hervorgehoben, die auch nicht mehr ausdrücken als z. B. ein schlichtes Adverb (in Kürze = bald), und andererseits verbirgt sich noch ein guter Teil ebenso wesentlicher Information in anderen, klein geschriebenen Wörtern.
Das heißt, die regelförmige Formulierung "Groß schreibt man, wovon die Rede ist" ist (auf semantisch "unwesentliche" Substantive bezogen) überzogen, zu stark verallgemeinert; und andererseits greift sie zu kurz, weil semantisch Wertvolles der Formulierung geopfert wird, nur weil es nicht als Substantiv auftritt. Ich bleibe hier bei einer semantisch orientierten Perspektive: Wer sagt "Peter kommt bald", sagt dasselbe wie derjenige, der formuliert: "Peter wird in Kürze eintreffen". Der eine wie der andere reden, semantisch gesehen, über die Kürze der Zeit bis zum Eintreffen, oder aber sie reden nicht darüber, wenn man sich auf das Wichtigste konzentriert. "Das Mädchen liebt Blumen" - ist das eine Geschichte über ein Mädchen, über ein Mädchen und Blumen - oder über ein Mädchen, Blumen und die Liebe? Oder ist es vielleicht einfach eine Geschichte über die Liebe?
Der Sinn der Großschreibung von Substantiven bleibt auch dann bestehen, wenn "unwesentliche" Substantive ebenfalls groß geschrieben werden, und auch, obwohl das Verb und andere Wörter ebenfalls viel darüber zu sagen haben, wovon der Text handelt. Daß die Substantive als Wortart am geeignetsten sind, liegt vielleicht an einer Eigenschaft, die hier mit "Dinglichkeit", "was es gibt" versucht wurde zu beschreiben: die "Akteure", die miteinander in Interaktion treten oder über die etwas gesagt wird, das sagt schon eine ganze Menge aus.
Ich sehe jedenfalls nicht, wenn wir von Ihrer Definition ausgehen, was der Unterschied zwischen "im allgemeinen" und "in Kürze" sein soll. Die Rechtschreibung möglichst verständlich zu beschreiben würde hier doch ganz gut gelingen, wenn wir zunächst einmal davon ausgehen, daß Substantive groß geschrieben werden; dann den Sinn dieser Großschreibung anfügen (ich redete im letzten Beitrag darüber, wie man diesen Regelteil beginnt, nicht darüber, was er enthalten soll), um die Erscheinungen "im allgemeinen" und ähnliche plausibel zu machen. Aber auch hier meine ich, daß eine grammatische Kategorie nützlich wäre, eben wegen der Gleichartigkeit des Ausdrucks "in Kürze" aus semantischer Sicht. (Es ist ja sogar so, daß "in Kürze" keinen Artikel enthält, wohl aber "im allgemeinen".)
Sie sagten selbst, Sie wollten der üblichen Darstellung einen Aspekt, eine Tendenz, eine Begründung hinzufügen. Gerne! Ich finde nur die Gewichtung (die Reihenfolge, die Hierarchie) problematisch und, wie ausgeführt, mißverständlich. Das letztere - die Verständlichkeit - war der zweite Grund, warum ich dafür bin, die Rede vom Gegenstand der Rede etwas herabzustufen; und andererseits die gut verständlichen grammatischen Kategorien "Substantiv" vs. "substantivierte" andere Wortarten nicht außen vor zu lassen.
eingetragen von Theodor Ickler am 10.02.2001 um 07.21
Lieber Herr Melsa,
Ihre Ausführungen laufen auf die bekannte These des Germanisten Hotzenköcherle hinaus, daß Substantivgroßschreibung und deutsche Syntax sich gegenseitig bedingen. Diese These ist nach wie vor sehr umstritten und läßt sich kaum beweisen. Aber unzweifelhaft gibt die Großschreibung eine zusätzliche Hilfe beim Erfassen des deutschen Satzes. Warum soll man darauf verzichten? Übrigens stehen andere Erklärungen mit meiner eigenen ("wovon die Rede ist") nicht im Widerspruch. Sie sind über meine Auffassung von der Rolle der Substantive vermittelt.
Was die Pronomina betrifft, so möchte ich noch auf die eigenartige Erscheinung hinweisen, daß das Dehnungs-h nach i praktisch nur in den Pronomina (ihn, ihm, ihr usw.) vorkommt, so daß diese Wörtchen sehr deutlich gekennzeichnet sind. Das hat sich wohl auch niemand so überlegt, es hat sich einfach herausgebildet. Demonstrativa haben durch das meist vorangehende d- ebenfalls eine leicht erkennbare Gestalt.
Roemhelds Ausführungen über das "Blickfang-h" lassen sich auf manche anderen Bereiche ausdehnen. (R. hat beobachtet, daß sinntragende Wörter fast immer einen Ober- oder Unterlänge haben und daß sogar ein unetymologisches h eingefügt wird, um dies zu gewährleisten; darum wirkt das neuschreibliche "rau" so falsch. Funktionswörter können darauf verzichten: an, er, in, zum usw.) Man hat ja neuerdings beobachtet, daß Verschlußlaute überwiegend auch durch Buchstaben mit Ober- bzw. Unterlängen dargestellt werden, also Barrieren, Obstruenten im Band des Geschriebenen: vgl. b, d, g, k, p, t mit m, n, r, s. Ausnahmen gibt es natürlich, aber die Tendenz ist unverkennbar. Zufall?
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Th. Ickler
eingetragen von Christian Melsa am 10.02.2001 um 06.26
...Wo doch in aller Welt sonst anders verfahren wird? Die GKS gleicht die flexible Syntax der deutschen Sprache und die zudem in der Schrift fehlende Betonung bzw. Satzmelodie aus. Im Englischen z.B. hat man ewig das starre Subjekt-Prädikat-Objekt-Schema. Da dort die Flexionen auch nicht gerade besonders abwechslungsreich ausfallen, wäre es ohne so eine festgefügte Syntax ziemlich problematisch für den Leser, in einem Satz auf Anhieb die Wortarten zu erkennen, was zu seinem korrekten Verständnis nun mal unabdingbar ist. Und ähnlich unübersichtlich wäre das ebenso im Deutschen, wo man eben tatsächlich die Satzglieder in allerlei Variationen anordnen kann. Die GKS im Deutschen macht dem Leser da sehr komfortabel deutlich, an welchen Punkten ein Satz aufgespannt ist (und die Familie der Personalpronomen ist kaum mit anderen Wortarten verwechselbar). Die Verweise der Reformer, die am liebsten die sog. "gemäßigte Kleinschreibung" eingeführt hätten, auf andere Sprachen, in denen das doch auch ohne Probleme so gehandhabt werde, stützen demnach nicht gerade die Annahme, sie wären so außerordentlich kompetent als Sprachforscher, daß sie für 100 Millionen Menschen ungefragt die Schriftsprache umschmieden dürften - wenn ihnen so fundamentale Unterschiede zwischen den Sprachen zu entgehen scheinen. Oder vielleicht kümmerte sie in Wirklichkeit die stark verringerte Lesefunktionalität auch gar nicht so sehr. Oder sie hatten insgeheim als nächstes ohnehin vor, die Syntax zu reformieren.
eingetragen von Theodor Ickler am 10.02.2001 um 05.49
Der Unterschied unserer Meinungen, lieber Herr Wrase, ist wohl der, daß ich glaube, ein wenig Einsicht in das System vermitteln zu müssen und zu können, während Ihnen eine klare Darstellung des nun einmal Hinzunehmenden genügt. Ob aufs Ganze gesehen sich die eine oder die andere Vorgehensweise bewährt, muß man abwägen. Wenn Sie die konventionelle These von der Substantivgroßschreibung über den Befund stülpen, müssen Sie nicht nur die sehr gewichtigen Ausnahmen in beiden Richtungen - wie dargelegt - bewältigen, sondern beschwören auch die Frage herauf: "Warum in aller Welt?" - und damit die ewig-gestrige Meute der Kleinschreiber und Angleicher an die Nachbarvölker usw. Substantivgroßschreibung an sich erscheint willkürlich. Bei mir hingegen steht sie mit einer Begründung da, und das verschiebt die argumentative Lage ein ganzes Stück zu unseren Gunsten. Was man eher einwenden könnte, wäre eine übertriebene Kürze meiner Darstellung. Die Lakonie macht den Leser beim ersten Mal stutzig, wie es ja sogar Ihnen ergangen ist. Aber das ließe sich beheben. In den schwierigen Testfällen "des öfteren" usw. bewährt sich meine erklärende Darstellung.
(Exkurs zur Kürze: Die kürzeste Darstellungsweise aller Zeiten hat der altindische Grammatiker Panini entwickelt, mit dem ich mich jahrelang beschäftigt habe. In dessen Schule gibt es ein Sprichwort: Der Grammatiker freut sich über jede eingesparte Silbe wie über die Geburt eines Sohnes (was in Indien viel heißt!). Das hat meine Idealvorstellung natürlich beeinflußt.)
Das Beispiel mit der Buchstabenverdoppelung sollte auf einem anderen Gebiet den Vorzug einer erklärenden Darstellung beweisen. Mit einem wiederholten "Das macht man eben so" werden wir auf die Dauer keinen Blumentopf gewinnen, auch wenn der augenblickliche Gewinn beim spontanen Nachschlagen in die Augen fällt.
Ich strebe, lieber Herr Wrase, langfristig auf einen veränderten Umgang mit der Orthographie, eine andere Einstellung und natürlich vor allem andere Lehre (in der Schule). Das hängt auch mit meinem Entstaatlichungsprojekt zusammen. "Rechtschreibung für freie Menschen" hieß mein Vortrag in der Bayerischen Akademie der schönen Künste vor einigen Jahren. Das Recht auf Einsicht - so könnte ich auch titeln.
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Th. Ickler
eingetragen von Wolfgang Wrase am 10.02.2001 um 00.21
Weil man das so macht. Das machen die anderen so, also mache ich es auch so. Die anderen schreiben die Substantive groß, also mache ich es auch so. Im Englischen macht man es anders, und da lasse ich das bleiben mit der Großschreibung von Substantiven ... Mir ging es nur um die Verständlichkeit für den Benutzer des Wörterbuchs. Der würde sich eher den obigen Begründungen wiederfinden können als in der Aussage, er schreibe Substantive deshalb groß, weil sie etwas ausdrücken, worüber er reden will. Da ist seine Reaktion erst mal: "Wie bitte???"
Die Frage ist also, warum man das Kapitel zur wortartbezogenen GKS nicht schlicht und ergreifend so beginnt: "Substantive schreibt man groß." Oder, wenn man gleich auf die eingeschränkte Gültigkeit hinweisen will: "Substantive schreibt man in der Regel groß." Sie fangen aber so an: "Groß schreibt man das, worüber man redet" (sinngemäß). Mit Verlaub - das kapiert kaum jemand. Wie Sie sehen, habe auch ich damit Mühe. Meine Meinung ist, daß die Leute mit grammatischen und semantischen Kategorien gut bedient wären. Wenn nun noch eine "textlinguistische" Ebene dazukommt, von der alles abgeleitet wird und auf der höchst vertraute Begriffe wie "von etwas reden" eine ganz neue, andersartige Bedeutung bekommen, ist das zu hoch für den armen Zeitgenossen. Daher die Frage, ob das wirklich sein muß.
eingetragen von Theodor Ickler am 09.02.2001 um 18.55
Nachtrag:
Lieber Herr Wrase, haben Sie sich schon mal gefragt, warum in aller Welt man Substantive groß schreibt? Weil es Substantive sind? So lese ich Ihren letzten Beitrag. Aber so können Sie es nicht gemeint haben.
Warum verdoppelt man Konsonantenbuchstaben, um die Kürze des vorangehenden Vokals anzudeuten? Ein ziemlich absurdes Mittel. Bis man darauf kommt, daß die betreffenden Konsonanten tatsächlich zwei Silben zugleich angehören, also "Silbengelenke" bilden, weshalb die Buchstaben bei der Trennung ja auch tatsächlich auseinandertreten. Also höchst sinnvoll! Der zweite Blick macht vieles verständlich.
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Th. Ickler
eingetragen von Theodor Ickler am 09.02.2001 um 18.50
Lieber Herr Wrase,
wenn ich es von der spaßigen Seite nehmen wollte, die ja auch Herr Lachenmann schon andeutet, müßte ich Sie daran erinnern, daß Sie die süße Botschaft schon schreiben müßten, damit sie orthographisch interessant wird, und dann sollten Sie das "Du" groß schreiben.
Aber nun im Ernst: Wie Sie wissen, erwähne ich an verschiedenen Stellen, daß der gesamte pronominale Apparat, der dem Verweisen und nicht dem Benennen dient (Karl Bühlers Zeigfeld und nicht dem Symbolfeld angehört), zur Kleinschreibung neigt. Das gilt sogar - wie ebenfalls im Rechtschreibwörterbuch ausgeführt - für ursprünglich nichtpronominale Wörter, wenn sie in diesen Funktionskreis hinüberwandern (letzterer usw.). Wir unterscheiden wie schon Apollonios Dyskolos die anphorischen (und kataphorischen) Wörter, die im Text zurück- und vorausverweisen, und die nicht anaphorischen Personalpronomina, die auf etwas in der Situation Gegebenes verweisen, also "ich", "du", "er" usw. Es ist ja bekannt, daß diese Wörter niemanden nennen.
Dieser fundamentale zeichentheoretische Unterschied wird in der GKS genau widergespiegelt; das groß geschriebene Brief-"Du" und das aus anderen Gründen große "Sie" sind leicht erklärbare Ausnahmen (wegen Höflichkeit bzw. Verwechselbarkeit). Ich denke, daß sich hier die wunderbare Intuition der Sprachgemeinschaft sogar besonders überzeugend zeigen läßt.
Besten Dank aber auch, daß Sie mir die Gelegenheit zu diesem kleinen Exkurs gegeben haben!
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Th. Ickler
eingetragen von Walter Lachenmann am 09.02.2001 um 17.40
Lieber Herr Wrase,
Ihr Herzensproblem könnten Sie lösen, indem Sie Ihrer Geliebten entweder das Sie antragen oder sie mit einem großen DU ansprechen, was sich bei einer ordentlich tief gefühlten Liebe ohnehin gehört.
Schlimmer ist es, daß man sich nicht mehr waschen kann: Ich wasche mich! Wovon ist die Rede? Aber auch wenn Sie das Gegenteil sagen, sagen Sie nichts: Ich wasche mich nicht!
Andrerseits: Wenn Sie behaupten »Ich liebe dich« dürfen Sie immerhin das Ich groß schreiben, und wenn man sowas behauptet, redet man ja auch meistens mehr von sich selber als vom dich/Dich.
Vielleicht konnte ich Herrn Ickler, dem man wieder mal hart und lieblos zusetzt, ein bißchen helfen – ich bin ihm das schuldig. So! Und in diesem Teilsatz ( – ich bin ihm das schuldig) kommt kein einziges groß geschriebenes Wort vor. Was machen wir denn da?
Peinlich.
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Walter Lachenmann
eingetragen von Wolfgang Wrase am 09.02.2001 um 16.51
Vieltausendmal wird hierzulande jeden Tag der wichtigste Satz der Welt gesagt: "Ich liebe dich." Mußte man bisher schon den Glanz dieser Botschaft gelegentlich anzweifeln, weil man den Verdacht nicht ausschließen konnte, daß die Aussage nicht ganz ehrlich gemeint sein könnte, daß mit ihr etwa persönliche Vorteile oder ein unehrlicher Frieden angestrebt werden oder beispielsweise der Verdacht der Untreue weggewischt werden sollte - so kommt nun der Textlinguist Professor Ickler und gibt uns den Rest. Denn er klärt uns darüber auf, daß wir uns an folgende erschütternde Tatsache erst gewöhnen müssen: In dem Satz "Ich liebe dich" ist von nichts die Rede! (Man findet nämlich bei der Niederschrift keine wortartbezogene Großschreibung.)
Lieber Herr Professor, sind Sie ein Liebesfeind? Was glauben Sie wohl, wie die Frauen auf diese Botschaft reagieren werden: Wenn sie "Ich liebe dich" hören, ist dabei von Liebe nicht die Rede, auch nicht von beteiligten Menschen, sondern von gar nichts!
Also im Ernst: Ich meine, wenn jemand Substantive groß schreibt, dann deshalb, weil er sie für Substantive hält, und nicht deshalb, weil er über sie reden will, während er über die sonstigen Bestandteile seines Textes angeblich nicht reden will. Man sollte, da gebe ich Herrn Lindenthal recht, die Verhältnisse nicht unnötig verkomplizieren. Immerhin ahne ich jetzt, was Sie mit "textlinguistisch" meinen. Nur: Müssen wir uns wirklich daran gewöhnen? Könnten Sie nicht liebevoll mit uns umgehen und uns diese wissenschaftliche Perspektive der Substantivgroßschreibung ersparen?
Übrigens hat Herr Melsa recht, vielen Dank für den Hinweis: Ich habe in meinen letzten Beiträgen wiederholt die Gesichtspunkte Substantiv - Großschreibung - Redegegenstand verwechselt. Komplimente dem, der das alles sauber auseianderhalten kann!
eingetragen von Theodor Ickler am 09.02.2001 um 14.05
Was es gibt
Diesen Titel soll eine seit vielen Jahren geplante Schrift von mir tragen, daher meine Empfindlichkeit in diesen Dingen. Mathematische Existenz bedeutet etwas ganz anderes als unser alltägliches "was es gibt". Jedenfalls ist "wovon die Rede ist" für die Sprecher, die ja ohnehin ein Bewußtsein davon haben müssenm, worüber sie eigentlich reden, viel unproblematischer als die Frage, "was es gibt" - eine Frage, die keinen Bezug zum Text bzw. Gespräch hat. Wovon man spricht, kann und muß man ohne Philosophie wissen, aber "was es gibt" erfordert unabhängiges, ontologisches Nachdenken. Genug davon! Sonst müßten wir ein philosophisches Forum oder wenigstens einen Philo-Faden aufmachen. Ich will bloß daran erinnern, daß die vorkommenden Schreibweisen die vorrangige Gegebenheit (das primäre Datum) sind und die Regeln nur ein mehr oder weniger interessanter, bestenfalls auch hilfreicher Versuch, das Verallgemeinerbare zusammenzufassen. Die allermeisten "Richtlinien" = Regeln des Duden waren den Benutzern nicht bekannt. Und wenn sie mal darin lasen, konnten sie sie nicht anwenden. Eigentlich käme man auch ohne alle Regeln aus.
Wie geschrieben wird, kann man durch Nachschauen feststellen, aber wie man das verallgemeinert, wird sich nie abschließend und unumstritten sagen lassen.
Weiter unten ist "in bezug" erwähnt worden. Das ist eine bürokratische Sonderschreibung, der man heute keine allgemeine Geltung mehr zuschreiben kann. In der Verwaltungssprache kam das so oft vor, daß es so ähnlich wie "betreffs" verstanden und daher oft klein geschrieben wurde. Solche Quisqilien eignen sich fürs "Handbuch des unnützen Wissens". Ich wollte die Kleinschreibung natürlich nicht für geradezu falsch erklären (wie es die Reformer in ihrer bekannten Rücksichtslosigkeit tun), aber gegen die Großschreibung ist - auch aus Gründen der Beleglage - wirklich nichts einzuwenden.
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Th. Ickler
eingetragen von Detlef Lindenthal am 09.02.2001 um 12.02
Eine Crux des Rechtschreib-Niederganges liegt darin:
Sprach„wissenschaftler“ verdienen ihr Geld damit, daß sie einen Gegenstand so kompliziert darstellen, daß dieser die Entscheidungsträger derart auf den Magen drückt, daß diese vom Bauch her entscheiden: Wir brauchen eine „wissenschaftliche“ Lösung und müssen dafür viele Professoren bezahlen – Augst und Zabel u. s. weiter.
Handwerker hingegen verdienen ihr Geld damit, daß die Arbeit gut und fertig wird.
Zu meiner „Regel hinter den Regeln“ gebe ich zu, daß sie im Ausdruck „es gibt“ zunächst noch eine sprachliche Mehrdeutigkeit hat.
Dazu ist allerdings der „weihnachtsmann“ ein morscher „Stock in die Speichen“, denn bei Karstadt in Husum laufen sowelche jedes Jahr herum, also „gibt es“ sie, die „Weihnachtsmänner“.
Doch auch die „[q]uadratur des Kreises“ bekommt ein großes Q; denn zu „es gibt“ gehört natürlich auch die Welt der Erwägungen, Überlegungen, Spekulationen und Logik: Und dort hat die genannte Quadratur ebenso Platz wie Mickimaus und das Perpetuum mobile.
Der sogenannte Philosoph Heidegger soll mal gemurmelt haben: „Warum gibt es soviel Seiendes und nicht viel mehr Nichtseiendes?“
Dem halte ich die Kunst der Mathematiker entgegen, wie sie aus der leeren Menge {} (der elementaren (und übrigens eindeutigen!) Begrifflichlichkeit des Nichtseienden) und ein wenig Menschenverstand die gesamte niedere und höhere Mathematik erzeugen: „Etwas“ tritt dadurch in Existenz, daß es g e d a c h t wird, und ab dann gibt es es.
@Herr Melsa:
Sobald es eine Tätigkeit oder Eigenschaft „gibt“, dann wird sie auch groß geschrieben: Das Rauschen des Meeres; die Weite des Landes. In der Wendung „Der frische Seewind“ gibt es nur den Seewind; sobald es die „Frische“ gibt, wird diese auch groß geschrieben.
@Professor Ickler:
Habe ich jetzt in irgendwelchen ontologischen Fettnäpfchen meine Tapfen hinterlassen? Können wir nicht durch zwei, drei kleine Regelchen oder Beispiele zeigen, was „es gibt“ bedeutet? Es geht ja nicht darum, Spitzfindern und Winkeladvokaten keinen Wind für deren Segel übrigzulassen, sondern darum, Schreibern, Lektoren, Schriftsetzern und Schulkindern den überaus klaren Stoff klarzulegen. Dies ist möglich (Beweis: 1901 bis 1996), und daher sollte es auch unseren Lehrern und Hochschullehrern zugemutet werden dürfen, das handwerklich Entstandene nachzuvollziehen.
Gruß vom Handwerker.[Geändert durch Detlef Lindenthal am 10.02.2001, 14.34]
eingetragen von Stephan Fleischhauer am 09.02.2001 um 11.59
Das mit den "Lebewesen" (usw.) hatte ich nur als Beispiel zur Veranschaulichung gemeint. Natürlich kommt man in Schwierigkeiten, wenn man versucht, präzise (Gruß an D.L.)zu definieren. Allerdings ist die "Kurze Anleitung ..." ohnehin nicht ganz widerspruchsfrei.
eingetragen von Theodor Ickler am 09.02.2001 um 06.15
Es sind sehr viele Anregungen in den letzten Beiträgen enthalten, ich werde später mal darauf eingehen. Jetzt nur folgendes: Der Ausdruck "wovon die Rede ist" (gleichbedeutend mit Herrn Lindenthals "was es gibt", aber eine Spur besser) ist weder grammatisch noch semantisch, er ist "textlinguistisch" zu verstehen. Daran muß man sich erst gewöhnen. Der unmittelbare Gewinn ist, daß man keine "Ontologie" zu bemühen braucht, lieber Herr Fleischhauer, denn damit sind Nerius und alle anderen bisher gescheitert. Man kommt dann neben den "Lebenwesen", "Dingen" usw. auf die Frage nach den Abstrakta, d.h. alte und neue philosophische Probleme, die man hier wirklich nicht auch noch nebenbei lösen kann.
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Th. Ickler
eingetragen von Christian Melsa am 09.02.2001 um 04.43
Zu der Frage, warum nicht "mit absicht", fällt mir folgendes ein: Offensichtlich ist die jeweilige vor dem Substantiv verwendete Konjunktion ein gewisses Kriterium für die Art, in der die ganze Fügung und demnach die Rolle ihres Substantivs zu betrachten ist. Bekannt-berüchtigtes Beispiel: "in bezug auf" versus "mit Bezug auf". Ersteres wird wohl eher als synonym zu "bezüglich" wahrgenommen, bzw. es ist so gemeint, als die Schreibweise mit "mit". Es kommt dadurch zwar auch wiederum eine einigermaßen nützliche Differenzierung einher, nämlich eben das "bezüglich" gegenüber einem konkret gemeinten "Bezug" (was für Abstufungen der Konkretheit bei "Bezug" auch immer vorstellbar sein mögen). Eine Handhabung, die tatsächlich eher in Richtung eines freieren, produktiven Verfahrens geht, wäre wohl vernünftiger (jedoch mit Deskription nur begrenzt zu vereinbaren); also in dem Sinne, daß der Schreiber diese Technik eher derart einsetzt, um möglichst elegant zu übermitteln, was er eben genau mitteilen möchte, im Gegensatz zu einer Handhabung, die in ziemlich formaler Manier (ähnlich der geschlossenen Partikellisten im §34 der Neuregelung beispielsweise) starr die Identität der Konjunktion beäugt. Das würde bedeuten, daß man also auch je nach Ausdruckswunsch auch "mit bezug auf" schreiben könnte, denn letzteres ließe sich schließlich genauso als gleichbedeutende Alternative zu "bezüglich" sehen. Allerdings ist umgekehrt "in Bezug auf" schwerlicher als konkreter Bezug einsortierbar, denn in diesem Fall müßte ja eigentlich ganz korrekt "im" statt dem "in" stehen.
Gut, es gibt natürlich Sätze ohne Substantiv, aber dann übernehmen Pronomen deren Rolle. Daß diese Wortart nun wiederum klein geschrieben wird (außer zum Ausdruck der Ehrerbietung in der direkten persönlichen Anrede), stellt natürlich auch wieder eine gewisse Unstimmigkeit im Zusammhang zur Faustregel "Dinge, von denen die Rede ist" dar. Aber da dieser Sachverhalt mit meinem letzten Satz bereits umfassend beschrieben wird, zeigt sich diese Unterklausel als recht einfach zu begreifen und in dem ganzen Kontext nicht weiter problematisch. Pronomen stehen ja immer als Platzhalter für Dinge, die bei unmittelbarer Nennung (falls diese Dinge überhaupt im Umfang eines einzelnen Wortes faßbar sind) dann doch wieder groß geschrieben würden. In diese Kategorie kann man daher ebenso solche Kleinschreibungen wie "folgendes", "der einzelne", "die anderen", "mir gefiel verschiedenes/einiges nicht" einordnen, die z.T. im Regelteil auf S.47 in einer Beispielreihe mit "im geringsten" und "aufs neue" stehen, obwohl ich letztere doch eher als adverbiale Wortgruppe sehen würde, erkennbar daran, daß eine Präposition dazugehört.
Interessanterweise ist der Grundsatz der Unterscheidungsschreibung zwischen unmittelbar konkreter und adverbialer Bedeutung auch bei der Kleinschreibung von Superlativen wiederzuerkennen, bloß daß sie dort allgemeingültig und nicht auf Einzelfälle beschränkt ist: "In der Tuntenbar sitze ich in der Ecke am wärmsten" meint offenbar etwas anderes als: "In der Tuntenbar sitze ich in der Ecke am Wärmsten".
Zu Herrn Lindenthal: Natürlich stellt kein Mensch all diese Überlegungen jedesmal voll bewußt beim Schreiben eines Wortes an, vielmehr schreibt man einfach so, wie man sich mehr oder weniger unterschwellig an die richtigen Schreibweisen aus Lektüre erinnern kann. Den Umstand zu kennen, was der Unterschied zwischen z.B. "Liebe deinen nächsten" und "Liebe deinen Nächsten" ist, kommt an sich dem Umstand gleich, überhaupt Bedeutung von Wörtern bzw. Sprachmechanismen zu kennen. Sprachbeherrschung ist, mit Kodierungskonventionen vertraut zu sein.
Die Unterscheidung "was es gibt / was es nicht gibt" ist eigentlich nicht gerade präziser als "Dinge, von denen die Rede ist". Man könnte nämlich daraus leicht schließen: Auch Eigenschaften und Tätigkeiten gibt es selbstverständlich, also müßte man Adjektive und Verben dann doch ebenfalls groß schreiben. Und, ein wenig kindlich gedacht: Schreibt man aufgrund dieser Klassifizierung dann "weihnachtsmann"?
Anmerkungen zu den Beispielen: Ein "Allgemeines" als groß zu schreibendes Substantiv wäre etwa ein zwar völlig unübliches, jedoch denkbares Synonym zu so viel wie "Allgemeinheit"; oder angenommen, es gibt in einer Zeitschrit o.ä. eine Rubrik namens "Allgemeines", dann kann diese mit "im Allgemeinen" (=unter Allgemeines) gemeint sein. Wenn ich der letzte Überlebende einer Sippe bin, dann wäre ich "der Übrige" ("Im Übrigen, was mag in ihm wohl vorgehen?"). Das ist zwar sehr konstruiert, aber dennoch korrekt die erörterten Mechanismen abbildend.
Zur Frage, ob bei ehrerbietender Großschreibung von Personalpronomen auch "seine" in "Gehe Er von dannen und halte Er seine/Seine Zunge im Zaum!" groß geschrieben wird: Da habe ich zumindest in christlicher Literatur die Beobachtung gemacht, wo ja oft Großschreibung von Pronomen üblich ist, die für Gott stehen, daß dort dann auch "Seine" geschrieben wird. Außerdem, wenn man in dem Beispielsatz das "Er" durch eine direkte Anrede austauscht, wird die Entsprechung zu "Seine" auch groß geschrieben: "Gehen Sie von dannen und halten Sie Ihre Zunge im Zaum!" ("Ihre"). Bei genauerer Betrachtung erkennt man auch, daß es sich eigentlich nur um verschiedene Beugungen desselben Wortes handelt. "Weil Er Seine Pappenheimer kennt" kann man z.B. auch schreiben als "Weil Eduard Eduards Pappenheimer kennt", wenn von Eduard die Rede ist; dann sieht man deutlich die Genitivflexion bei "Eduards".
An die Herren Fleischhauer und Wrase noch: Nicht zu verwechseln ist die Frage, wie der Begriff "Substantiv" am besten definierbar ist, mit derjenigen, was groß geschrieben werden soll! Daß die beiden nicht deckungsgleich sind, darum geht es ja gerade in dieser Diskussion.
[Geändert durch Christian Melsa am 11.02.2001, 06.39]
eingetragen von Detlef Lindenthal am 09.02.2001 um 00.28
Als Arbeiter und Handwerker (Schriftsetzer) kann ich unmöglich bei jeder Klein- oder Großschreibung eines Wortes so lange Überlegungen anstellen wie die Herren Lehrer und Hochschullehrer. Nichts für ungut.
Nachdem ich in meiner Anfangszeit einige hundert Male bei Zweifelsfällen im Wörterbuch nachgeschlagen hatte, habe ich mir nicht nur auf die Regeln einen Reim gemacht, sondern auch auf die Regeln hinter den Regeln – denn meine Berufskollegen vor 100 und 200 Jahren haben sich ja etwas dabei gedacht, als sie unsere moderne Rechtschreibung entwarfen.
Als wichtigste Regel bei der Klein-/Großschreibung fiel mir auf:
[grotesk]W a s e s g i b t , w i r d g r o ß g e s c h r i e b e n .
W a s e s n i c h t g i b t , w i r d k l e i n g e s c h r i e b e n . [/grotesk]
Im einzelnen:
Groß: alle Dinge;
die können handfest sein: Haus, Baum, Mensch;
oder handfern: Wärme, Schwerkraft, Freude, Sprache.
(oder so dazwischen: Wärme, Wetter, Wind und Wolken ...)
Klärt das nicht die etlichsten Zweifelsfälle? Hier einige Anwendungen der Regel:
Im allgemeinen bedeutet: allgemein. Ein Allgemeines gibt es hierbei nicht. Ebenso: im übrigen (= übrigens)
Mit Bezug auf Ihr Schreiben vom 13.3. teile ich mit... Den genannten Bezug gibt es, denn er wurde soeben ausdrücklich genannt.
Er hat in bezug auf deinen Vorschlag nichts mehr gesagt ... Hier „gibt“ es den Bezug nicht, denn gemeint ist nur ein deutlich schwächeres bezüglich:
Bezüglich deines Vorschlages ...
Gut läßt sich mit genannter Regel veranschaulichen, warum es heißt:
Er hat recht behalten. Er hat recht. An ein dinglich vorhandenes Recht denkt man hierbei nicht.
Er hat Rechte, und die soll er nutzen. Der Unterschied ist klar: Jedes der Rechte ist nennbar.
Zu Recht verweist er auf das Sittengesetz. Hier dürfen wir uns nicht narren lassen von der seltenen Fügung mit zu (zu Hause, zu Fuß; zuunterst).
Genanntes Sittengesetz (vgl. Art. 2 GG) ist nämlich genau das genannte Recht, dessen Dinglichkeit seine Großschreibung bedingt.
Von Rechts wegen: Die Entscheidung ist Rechtens. – vom nennbaren, also vorhandenen Recht gedeckt.
Tue recht und scheue niemand ... recht = richtig (seltene Fügung)
zu Hause: ohne Haus kein Zuhause – Ding vorhanden, also groß.
zu Fuß; in Frage stellen: ebenso.
Es ergab sich folgendes (= dieses) Verweis, siehe unten
Ein Vogel namens Zilpzalp ... – hier ist „genannt“ gemeint.
Namen groß ist klar, denn etwas mit Namen gibt es auch. Gesamtsatzanfänge groß.
Nun allerdings drei überaus wichtige Ausnahmen und einen Rattenschwanz von selbigen:
Verweise und Zahlen klein; Fürwörter ebenso (außer: ... und da wird es kompliziert; wie heißt es denn: Gehe Er von dannen und halte Er (S,s)eine Zunge im Zaum! seine oder Seine? Der 6bändige Duden schweigt dazu.
Alles andere erzähle ich später.
Etwas anderes ist mir gestern passiert.
Auf die Folgerungen aus meiner Regel würde ich in einem gesonderten Aufsatz eingehen wollen; einige Stichworte:
Alles weitere erzähle ich später.
Er hat noch drei Tage Urlaub bzw. Dienstfrei zu bekommen.
Er hat seine Schäfchen aufs Trockene gebracht.
Er tappt im Dunkeln.
Er hat den Kürzeren gezogen.
Etwas ähnliches ist auch mir passiert.
Gruß vom Handwerker!
An Stephan: Wovon die Rede ist würde ich behandeln wie in Frage stellen (s.oben). Wird präziehse nicht mit h geschrieben ?
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Stephan Fleischhauer am 08.02.2001 um 17.40
Ich habe auch schon über die Formulierung "das, wovon die rede ist" nachgedacht - und keine präziesere gefunden. Aber was spricht dagegen, ein paar Kategorien aufzuzählen? Personen, Lebewesen, Dinge ...
eingetragen von Norbert Schäbler am 08.02.2001 um 16.29
Moment mal die Herren Professoren! Ich versteh da was nicht!
Darf ich dumme Fragen stellen? Kann mir jemand gescheit antworten?
Da wären zunächst einmal die Begriffe "Semantik" und "Grammatik".
Welche Art von Frage ist das eigentlich, wenn ich nach dem sinnlich Wahrnehmbaren oder nach dem Begrifflichen frage?
Ist das eine grammatische Frage - oder ist das eine semantische Frage?
Mag sein, daß ich mich mit der Frage blamiere. Aber ich möchte ja nicht dumm sterben, und das würde zwangsläufig passieren, wenn nur die anderen etwas regeln, was auch mir wesentlich ist.
[Geändert durch Norbert Schäbler am 09.02.2001, 17.33]
eingetragen von Wolfgang Wrase am 08.02.2001 um 14.39
(Zusatz) Vielleicht hilft es hier weiter, den definitionstreuen Rigorismus ein wenig zu beleuchten, der sich in der Aussage ausdrückt: In dem Satz "Das Mädchen bindet die Blumen" enthält nur zwei Redegegenstände, nämlich Mädchen und Blumen. Ich frage mich da, ob die Kategorie des Redegegenstandes überhaupt eine semantische ist. Ist es nicht vielmehr so, daß aus dem Befund, wie viele Substantive da sind, direkt auf die Anzahl der Redegegenstände geschlossen wird? Dann hätten wir es nicht mit einer semantischen, sondern eben doch wieder mit einer grammatischen Definition zu tun, und die Zuhilfenahme des Redegegenstandes entspräche einem Zirkelschluß.
Wieso heißt es denn überhaupt auf Seite 21, daß "zunächst" die "meisten" Hauptwörter groß geschrieben werden, und auf Seite 44, daß Substantive die "bevorzugt" groß geschriebene Wortart seien? Es wird jedenfalls nicht klar gesagt, daß (nichtsubstantivierte) Verben (und Wörter anderer Arten) grundsätzlich (?) kein Redegegenstand sind, obwohl es zuvor pauschal heißt: (Seite 19) Großschreibung für das, wovon im Text die Rede ist (nicht: von den "Dingen" o. ä.) bzw. (Seite 44) "Durch die Großschreibung in Substantivgruppen wird sichtbar gemacht, wovon in einem Text die Rede ist" - immerhin ist hier die fragliche GKS schon auf "Substantivgruppen" eingeschränkt, was allerdings wieder nach Zirkelschluß riecht und außerdem wieder anderes unnötig ausschließt, wovon ebenfalls die Rede ist - nur eben nicht in "Substantivgruppen" oder in Form von Substantiven.
Also könnte ich meine Kritik so zusammenfassen: Es wird ein semantischer Aspekt der Großschreibung (nämlich die Kennzeichnung von "dinglichen" Redegegenständen) zu stark verallgemeinert, zum übergeordneten Prinzip der wortartbezogenen Großschreibung erklärt und zusätzlich von grammatischen Vorgaben abhängig gemacht, obwohl er eher zur Klärung bestimmter Übergangserscheinungen taugt, nämlich in erster Linie bei adverbialen ("im stillen") oder pronominalen ("die anderen") oder präpositionalen Gesamtbegriffen ("auf seiten"). (Im Anschluß daran kommen allerdings noch viele Übergänge vom Typ zu Grunde gehen/zugrunde_gehen/vgl. "zu Bett gehen" in Betracht.)
Ich verstehe jedenfalls nicht, was der Redegegenstand in dieser allgemeinen Form mit Semantik zu tun haben soll - so als ob ein Verb nicht auch einen vollen semantischen Wert haben könnte. Es kommt hier offenbar mehr darauf an, was der Redende grammatisch aus seinen Informationen macht, ob er sie mit Hilfe von Substantiven präsentiert oder eben dem Verb oder anderen Wortarten überläßt. Das ist fast gleichbedeutend mit der Verteilung des Informationen auf Satzteile, wo man das Substantiv als den üblichen "Kern" von Subjekt und Objekten ansehen kann und als möglichen Bestandteil von weiteren Ergänzungen ("vor langer Zeit"), jedoch nicht als üblichen Bestandteil des Prädikats (außer bei "Kopula plus Prädikatsnomen"). Ich dachte jedoch, daß es der Semantik ziemlich schnuppe ist, auf welche Satzteile die Informationen verteilt werden oder in welche Wortarten sie gekleidet werden - Hauptsache, sie kommen beim Empfänger an. Oder was habe ich hier nicht verstanden?
eingetragen von Wolfgang Wrase am 08.02.2001 um 13.34
Warum wird wohl im ersteren Fall gern klein geschrieben, aber nie "mit absicht"? Ich bitte doch, lieber Herr Melsa, sich vor Augen zu führen, daß gerade bei der Frage der GKS ein recht eindeutiger Unterschied zwischen "Substantiven" und "Substantivierungen" besteht; jedenfalls gerade in dem klärungsbedürftigen Bereich "im allgemeinen" etc. Es ist daher kontraproduktiv, in einem Text, der sich mit der Frage der GKS befaßt, alle möglichen halbseidenen "Substantivierungen" mit den anständigen "Substantiven" zuerst zusammenzulegen, um sie hernach wieder anhand des nicht nur wenig verständlichen, sondern auch überhaupt nicht trennscharfen Aspekts "Gegenstand der Rede" wieder trennen zu wollen.
Wieso sollte eine Absicht im Fall "mit Absicht" Gegenstand der Rede sein, im Fall "absichtlich" jedoch nicht? Das ist gerade aus einer semantisch orientieren Sicht äußerst unplausibel. "im stillen" heißt ja ungefähr soviel wie "im stillen Kämmerchen": Wieso sollte im einen Fall kein Redegegenstand da sein, im anderen Fall hingegen ein Kämmerchen, in keinem Fall jedenfalls das Stille Gegenstand der Rede sein, obwohl es gerade hierauf semantisch ankommt? Ist in dem Satz "Ich bin seit gestern schwer krank und kann deshalb nicht mehr arbeiten" von nichts die Rede, wohl aber in dem Satz "Das ist etwas Schönes"? (Denken Sie bei dem ersten Satz an Ihre Aussage, daß es kaum Sätze ohne Substantiv gebe, mit vorrangiger Ausnahme von Ein-Wort-Sätzen.) Der Satz "Er hat nichts zum Essen dabei" soll einen Redegegenstand enthalten, der Satz "Er hat nichts zu essen dabei" jedoch keinen? Das erscheint mir doch recht satirisch, was man aus dieser Kategorie des Redegegenstandes alles machen kann.
Übrigens gibt es in Übergangsbereichen grundsätzlich keine eindeutige Regel im Sinn einer Handlungsanweisung, wie man alle betreffenden Begriffe zu schreiben habe; das ist ja das Merkmal des Übergangsbereichs. Um so fragwürdiger ist es, wenn man den riesigen eindeutigen Kernbereich des Feldes "Substantiv" nur aufgrund der Auflösungserscheinungen an den Rändern insgesamt als ganz vage darstellt (mit oder ohne antike Unterstützung); das ist er nicht. Vage sind die Ränder, und wenn es sogar für eine dieser Grenzen eine recht brauchbare Möglichkeit der Benennung gibt (Substantive vs. Substantivierungen innerhalb von insgesamt adverbialen Ausdrücken), wieso sollte man dann eine ihrerseits vage Definition heranziehen (Gegenstand der Rede) und damit auch noch den zuvor unproblematischen Zentralbereich Substantiv verunklaren? Das leuchtet mir nicht ein.
"Das Mädchen bindet die Blumen": zwei Redegegenstände. Beim Binden der Blumen ist das Mädchen immer sehr sorgfältig": drei Redegegenstände, obwohl die Betonung des Satzes doch wohl auf einem vierten, auf "sorgfältig" liegt und "beim Binden der Blumen" nur eine Umstandsbestimmung ist!
Noch problematischer erschiene mir übrigens das Konzept des Redegegenstandes bei der Erklärung der Großschreibung von Adjektiven in festen Begriffen. Nehmen wir einen Zweifelsfall: (A) Samuel hat einen deutschen Schäferhund. (B) Samuel hat einen Deutschen Schäferhund. Soll im einen Fall das "deutsch" kein Gegenstand der Rede sein oder dazu gehören, im anderen Fall schon? Es genügt doch, hier das plausible Prinzip der Unterscheidungsschreibung heranzuziehen, wie es auch auf Seite 22 geschieht. Oder man könnte (zusätzlich oder alternativ) eine weitere semantische Qualität des Substantivs heranziehen: Wie das Adjektiv alle möglichen Erscheinungen nach Eigenschaften untergliedert (rote Rosen, gelbe Rosen usw.), so benennt das Substantiv nicht nur "Dinge", sondern macht sie damit zugleich voneinander unterscheidbar. Manchmal (Roter Milan) reicht jedoch das Substantiv (Milan) allein nicht aus, um die erwünschte Kategorie hinreichend zu definieren, sondern ein Adjektiv muß schon zur Benennung der Kategorie auf der "dinglichen" Ebene helfen: Roter Milan. Wozu braucht man hier einleitend die Theorie vom Redegegenstand? Für mich jedenfalls ist sie nicht die "Weltformel" zur Erklärung der wortartbezogenen Großschreibung. Ich empfehle nach wie vor, vom Substantiv auszugehen (das wird auf Seite 21 ja auch nicht definiert!) und für die Übergangs- oder Ausnahmebereiche geeignete Kriterien zu benennen, die doch nicht gleich alles abdecken müssen. Außerdem darf man wie gesagt in vagen Grenzbereichen sowieso nicht erwarten, daß gewisse klärende Aspekte sie einer einheitlichen Gesamtlösung zuführen; das entspricht nicht dem Wesen von Übergangsbereichen.
eingetragen von Norbert Schäbler am 08.02.2001 um 11.32
In der Schule (Grund- und Hauptschule) habe ich mich bei der Behandlung der Substantive immer für die folgende Hauptregel entschieden: "Namenwörter bzw. Dingwörter bezeichnen Lebewesen, Dinge und Vorgänge, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können."
Dem folgte meist - je nach Schuljahrgang - eine differenzierte Liste folgenden Inhalts:
Sehen können wir: Bänke, Tische, Farben,...
Hören können wir: Schall, Töne, Stimmen...
Riechen können wir: Duft, Essen, Aroma...
Spüren können wir: Strom, Angst, Schmerz...
...
Zugeben muß ich, daß es größere Schwierigkeiten bereitete, Vorgänge (z.B. das Überschreiten, das Rätseln, das Gehen...) plausibel zu machen, da die Schüler offensichtlich zu starr an Wortarten kleben und die fließenden Übergänge bzw. Wortbildungsmethoden durch Präfixe, Suffixe oder letztlich durch die Groß- oder Kleinschreibung des Anfangsbuchstabens nicht beherrschen. Dies ist letztlich ein didaktisches Problem, gleichwohl kann man auch Vorgänge der Erkennungsmethode der Sinneswahrnehmung unterstellen.
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nos
eingetragen von Theodor Ickler am 08.02.2001 um 05.09
Die Erklärungen von Herrn Melsa finde ich ausgezeichnet. Zu Herrn Wrases Ausführungen erlaube ich mir den wiederholten Hinweis, daß "wovon die Rede ist" nicht bedeutet: "worauf es ankommt" oder "das Wichtige" oder dgl. Natüürlich ist gerade interessant, was das Mädchen mit den Blumen macht, aber die Rede ist vom Mädchen und von Blumen.
Aber ich weiß und gebe zu, daß der Begriff ziemlich unbestimmt ist. Nur - kann man es genauer sagen? Und ist nicht die Sache selbst, die Intuition der Sprecher/Schreiber, an sich vage, so daß eine Präzisierung vielleicht gar nicht möglich ist. (Aristoteles: "Jeder Gegenstand erlaubt nur eine gewisse Präzision, und es ist ein Zeichen von Unbildung, wenn man mehr verlangt, als möglich ist." - Freie Übersetzung von Th. I.)
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Th. Ickler
eingetragen von Christian Melsa am 07.02.2001 um 18.54
Interessant finde ich zunächst, was unmittelbar Herrn Wrases jüngste Erörterungen betrifft, daß die Wörter "Zusage" und "Erschütterung" an sich ja auch wie "Versprechen", "Beben" Verbsubstantivierungen sind, wie das -ung an "Erschütterung" ja besonders deutlich macht ("Ich werde zusagen", "Die Reform läßt die Demokratie erschüttern"). Aber das tut nun eigentlich in der aktuellen Diskussion nicht wirklich etwas zur Sache. Nur mal so als Zwischenanmerkung.
Die Empfehlung, den semantischen Zugang nur für die Übergangsfälle ("im allgemeinen", "im stillen", "im klaren" usw.) einzuführen, ist allerdings aus der Perspektive des unsicheren Schreibenden nicht besonders nützlich. Man müßte dann ja schon im voraus wissen, ob das Wort, von dem man sich gerade fragt, ob es groß oder klein geschrieben wird, zu dieser Gruppe von Fällen gehört - im Zweifelsfall hilft dann ohnehin nur das Nachschauen im Wörterverzeichnis. Das ist wie mit den "regelhaften" ä-Stammschreibungen der Reform, die eben auch aus demselben Grunde als vereinzelte Schreibweisenänderungen nicht die geringste Hilfe darstellen, denn man muß ja letztendlich so oder so die Einzelfälle kennen. In Wirklichkeit ist es aber natürlich auch nicht zu umgehen, im Wörterverzeichnis nachzuschlagen, ob die fraglichen Substantive verblaßt sind, denn die Methode, sie klein zu schreiben, ist ja keine stringente ("in Kürze", "in Anbetracht" usw.), d.h. nicht nur ist man immer gezwungen, bei Unsicherheit das Wort nachzuschlagen, es hilft auch die Kenntnis der Regel nichts, wenn man die Einzelfälle nicht weiß. Wohl aber hilft, es, sie sich besser einzuprägen, wenn man den Mechanismus kennt, der für sie verantwortlich ist.
Es ist auch tadellos im Sinne der Deskription, im Regelteil einfach zu äußern, daß es da eine gewisse Idee in der Orthographie gibt, die Sie, Herr Wrase, so nett anschaulich beschrieben haben (die Ambitionen des "oft"), die an einigen Einzelfällen üblich geworden und ja auch zur differenzierten Artikulation sehr gewinnbringend ist (Unterschied zwischen "im allgemeinen" als Formel und "im Allgemeinen" als konkret Gemeintes).
Mit dem recht diffusen Begriff "wovon die Rede ist" (wobei für den Unkundigen das mit "Entitäten" Gemeinte natürlich noch viel rätselhafter wäre) verhält es sich übrigens wiederum ganz ähnlich wie oben erwähnt: Dieser Merksatz leuchtet nur dann ein, wenn man eigentlich schon ziemlich genau weiß, was Substantive sind, bzw. wie die semantisch orientierte GKS beschaffen ist. Dann allerdings ist es eine wunderbare Klärung der Frage, aus welch merkwürdigen Gründen manche Substantive eben doch wieder klein geschrieben werden, was sich vor allem Schüler immer wieder fragen, aber auch andere, die dieses Phänomen schlicht für eines dieser verworrenen, kaum nachvollziehbaren Duden-Haarspaltereien halten. "Wovon die Rede ist", das ist so schön einfach zu verinnerlichen; als Merksatz hervorragend geeignet.
Die Erläuterung folgenden Gedankens könnte diesen Merksatz aber noch veredeln: Normalerweise gibt es keine Sätze ohne Substantiv (sogar wenn ein Schriftsteller sich einwörtiger Ellipsensätze bedient, wie: "Laufen! Hecheln! Schwitzen!", ist für den Leser wegen der Großschreibung am Satzbeginn gar nicht sicher, ob es sich überhaupt noch um Verben oder schon deren Substantivierungen handelt). Gewöhnliche Aussage- und Fragesätze sprechen, indem sie eine Aktion oder Relation zwischen Gegenständen (konkreten oder abstrakten) beschreiben. Aufgrunddessen kann man sagen: Verben drücken Aktionen aus (genauer bestimmt durch Adverbien), Präpositionen und Konjunktionen die Relationen, und die Substantive sind normalerweise die Gegenstände (genauer bestimmt durch Adjektive), eben "die Dinge, von denen die Rede ist". Normalerweise! Manchmal übernehmen sie eben auch andere Rollen, und genau dann verdeutlicht das die Rechtschreibung in einigen üblich gewordenen Fällen, indem man sie klein schreibt: "im allgemeinen", "im stillen" usw. als adverbiale Wortgruppe mit einem klein geschriebenen Substantiv.
Das könnte man vielleicht noch als genauere Erörterung, was mit den "Dingen, von denen die Rede ist" gemeint ist, im Regelteil erwähnen. Aber an sich ist das auch jetzt schon klarer als Herr Wrase befürchtet: Weil nämlich im Regeltext nicht nur von dem die Rede ist, "wovon die Rede ist", sondern eben auch von "den Dingen" - halt nicht von "den Tätigkeiten" oder "den Verhältnissen". Unter den "Dingen" wird man sich wahrscheinlich eher weniger Verben vorzustellen geneigt sein, außer man denkt an Tätigkeiten im Sinne von "Machenschaften" als Dinge; diese Fehlinterpretation beim Leser meidend müßte wohl vorgesorgt werden. Und ist bei "im allgemeinen" von einem Ding die Rede? Wohl eher bei "im Allgemeinen". Das wird also schon recht klar und paßt auch.
eingetragen von Wolfgang Wrase am 07.02.2001 um 16.21
Habe ich auch schon dran gedacht: das Essen, das Versprechen, das Beben, das Leben, das Verbrechen, das Rennen usw. Diese Substantivierungen eignen sich vorzüglich dazu, die Gleichrangigkeit von substantivierten Verben mit Substantiven (die Mahlzeit, die Zusage, die Erschütterung usw.) zu demonstrieren. Andererseits bleibt das Gefühl für den Vorgang der Substantivierung und die Herkunft vom Verb auch in diesen Fällen gelegentlich erhalten. Vergleiche: Das Essen schmeckte gut. Das Essen einer Möhre dauert länger als das Essen einer Erdnuß. Oder: Das Rennen fand im Gottlieb-Daimler-Stadion statt. Das Rennen auf Asphalt kann die Muskulatur schädigen. Kurz: Die Unterscheidung von Substantiven und "Substantivierungen" wird durch die Existenz solcher Fälle, wo sich die Grenzen auflösen, nicht grundsätzlich unmöglich.
Ihren Anmerkungen entnehme ich, daß es mehrere Zugänge zum Phänomen Substantiv gibt: Semantik (Gegenständliches oder aber Redegegenstand), grammatisch (Artikelprobe, Kasusbestimmtheit, Kern einer kasusbestimmten Gruppe/soll falsch sein). Der kindlichste Zugang dürfte zunächst die Artikelprobe sein und an zweiter Stelle die semantische Probe, ob etwas Gegenständliches ausgedrückt wird. Deshalb wundert es mich ein wenig, daß ausgerechnet der zweite semantische Gesichtspunkt (Redegegenstand), der auf eine linguistische Prüfung des umgebenden bzw. ganzes Textes hinausläuft, kindgerecht sein soll. Dies ist m. E. eher im Hinblick auf Übergangsfälle wie "im allgemeinen" zutreffend, wie Sie es ja auch erwähnen, jedoch nicht grundsätzlich. Daher kann ich nur bei meinem Vorschlag bleiben, diesen Zugang erst für ebendiese Übergangsfälle einzuführen, nicht aber grundsätzlich für die Frage der wortartbezogenen Großschreibung.
Ich möchte dazu noch eine weitere Sorte von Beispielsätzen anführen, in denen das Verb nicht durch ein Substantiv ersetzt wird, sondern in denen das Verb fehlt. (1) Das Mädchen ... Blumen. (2) Der Politiker ... das Volk. Nach der pauschalen Erklärung auf Seite 21 ("Im allgemeinen nennen die groß geschriebenen Wörter eines Textes das, wovon in diesem Text die Rede ist" ... -> Substantive) wäre in jedem dieser Sätze die Rede nur von zwei Dingen, zum Beispiel bei (1) von einem Mädchen und Blumen. Es stellt sich jedoch die Frage nach dem Verb. Je nachdem, ob das Mädchen Blumen liebt/sucht/malt/trocknet/bindet usw., ist doch auch davon die Rede! Je nachdem, ob der Politiker das Volk haßt/fürchtet/belügt/belehrt/kennt/verkennt/beschreibt usw., wird man doch dieser Information einen gleichrangigen Wert neben dem Wer und dem Wen sehen wollen.
Dem wird die Präzisierung auf Seite 44 ("Durch die Großschreibung in Substantivgruppen wird sichtbar gemacht, wovon in einem Text die Rede ist") ebensowenig gerecht, denn die Einschränkung "in Substantivgruppen" bezieht sich ja nur auf die Großschreibung, nicht auf den Gegenstand der Rede, der jedenfalls bei einem naiven Verständnis auch die Information des Verbs sowie anderer Wortarten einschließen könnte oder vielleicht müßte. Wieso soll bei der Formulierung "ohne Absicht" von einer (fehlenden) Absicht die Rede sein, jedoch nicht bei der Formulirung "unabsichtlich".
Ich sage hier eigentlich nichts Neues im Vergleich zum letzten Beitrag. Problematisch ist nicht die von Ihnen vertretene Auffassung, sondern die Gewichtung, wenn man die Formulierungen in den beiden Regelteilen des Wörterbuchs mit kindlicher Unschuld liest.
Ich finde es übrigens äußerst rätselhaft, daß es so schwer (unmöglich?) sein soll, zu definieren, was ein Substantiv ist. Man fliegt seit dreißig Jahren zum Mond, aber das Substantiv kann man sich nicht erklären?
eingetragen von Theodor Ickler am 07.02.2001 um 05.19
Lieber Herr Wrase,
zu Ihren scharfsinnigen Ausführungen kann ich eigentlich nur sagen, daß ich sie richtig finde. Daher nur ein paar ergänzende Bemerkungen. Es ist Tradition, Substantive semantisch zu definieren, wobei allerdings nicht dasselbe herauskommt wie bei formaler (syntaktischer) Definition. Noch bei Nerius finden Sie, daß Substantive etwas Gegenständliches bedeuten oder etwas als Gegenstand darstellen, wenn es denn nicht von sich aus schon Gegenstand ist. Bekanntlich dreht man sich damit im Kreis. (Gegenstand ist, was substantivisch ausgedrückt wird.) In der Schule wird gewöhnlich die Artikelprobe angewandt und außerdem vielleicht noch auf die Genusrektion, die nur Substantiven zukommt, hingewiesen. Die Grammatiker sehen meist im Substantiv den (möglichen) Kern einer Nominalgruppe, was allerdings aus hier nicht darzulegenden Gründen falsch ist.
Meine zugegebenermaßen vage Umschreibung ("wovon die Rede ist") klingt zwar ein bißchen kindlich, aber in vielen Fällen leistet sie gute Dienste (im allgemeinen/im Allgemeinen u. ä.). Jedenfalls bessere als die hochgestochene, aber gleichbedeutende Rede von "Entitäten" oder so etwas. Ich bin also ziemlich nahe dran an der "Orthographie für Sechsjährige", wie Götze sie wünscht.
Die Unterscheidung von echten und durch Substantivierung entstandenen Substantiven ist auch nicht so einfach. Denken Sie doch mal an "das Essen".
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Th. Ickler
eingetragen von Wolfgang Wrase am 06.02.2001 um 17.12
Professor Ickler fragte, was wir von seiner semantischen Deutung der sogenannten Substantivgroßschreibung halten. Ich zitiere drei Abschnitte aus seiner letzten Stellungnahme hierzu und antworte kurz.
Meister: Substantivierungen ergeben Substantive, lieber Herr Wrase, die oft erwähnten „Pseudosubstantive“ gibt es nicht. Sie bestehen meist sogar die primitive Artikelprobe und haben ein festes Genus.
Schüler: Daß Substantivierung Substantive hervorbringt, bezweifle ich nicht. Ich bin aber dafür, in einer solchen Diskussion "das Alte" als Substantivierung zu bezeichnen und "das Alter" als Substantiv, um die unterschiedliche Herkunft (und ggf. auch unterschiedliche Qualität, meine ich! - wieso sonst unterschiedliche GKS?) benennen zu können. Übrigens gefällt mir der Ausdruck "Pseudosubstantive" ganz gut, jedenfalls bei "des öfteren", "des langen und breiten", "auf schönste" usw. Ich habe gelegentlich die Kleinschreibung von "des öfteren" so erklärt: Das Adverb "oft" hatte Langeweile und fühlte sich minderwertig, weil es nur drei Buchstaben groß war. Da dachte es: "Ich will mehr wert sein! Ich lege mir jetzt einfach einen Artikel zu, und zwar gleich im Genitiv, damit das auch jedem auffällt! Kleider machen Leute." So geschah es. Wir durchschauen jedoch, daß "des öfteren" nur eine hochstaplerische Variante des schlichten Adverbs "oft" ist, und weisen dieses Wort in seine Schranken. Wir fallen nicht auf den Artikel herein und schreiben es klein. - Ich finde Ihre Bemerkung "bestehen die Artikelprobe" daher ein wenig formalistisch und die Kategorie "Pseudosubstantiv" für solche Fälle anschaulich und brauchbar.
Meister: Die Verben (in der Personalform) sind semantisch verhältnismäßig unwichtig, sie strukturieren den Satz syntaktisch und sind damit voll ausgelastet. Daher neigt man ja auch zur Auflösung in Substantive und unbedeutende, eher grammatische Verben: „zum Verkauf bringen“ (statt „verkaufen“) usw.
Schüler: Man vergleiche zwei Sätze, zum Beispiel: A. Wir analysieren die Verkaufszahlen. B. Wir führen eine Analyse der Verkaufszahlen durch. Oder: A. Peter spielt mit seinen Freunden Fußball. B. Peter nimmt an einem Fußballspiel mit seinen Freunden teil. Es wäre doch übertrieben bis absurd, im Fall A zu sagen: Hier ist nicht von einer Analyse/vom Fußballspiel "die Rede"; sehr wohl sei aber im Fall B von einer Analyse/dem Fußballspiel "die Rede". Daß man den inhaltlichen Gehalt des Verbs auch in Form eines Substantiv ausdrücken kann, wie auch von Ihnen gezeigt (verkaufen/zum Verkauf bringen), zeigt ja gerade, daß das Verb dasselbe semantischen Gewicht wie ein Substantiv haben kann! Ich stimme auch nicht dem zu, daß man dazu neige, die Ersetzung durch eine Phrase mit Substantiv zu wählen; das ist eher die Ausnahme. Voll ausgelastet ist das Verb nur in grammatischer (meinetwegen "strukturierender") Hinsicht, aber gerade die Berücksichtigung der Semantik müßte dem Verb bei der Formulierung "wovon die Rede ist" oft genug dasselbe Gewicht zusprechen wie den Substantiv; oft genug noch mehr: vergleiche adverbiale Gruppen wie "im Grunde", "ohne Ende".
Meister: Ich glaube also tatsächlich, daß die Einbeziehung textsemantischer Gesichtspunkte eine Bereicherung der Diskussion um die GKS ist. Man beschreibt damit eine Tendenz, mehr nicht, aber eine reale und daher nicht zu vernachlässigende.
Schüler: Genau! Darauf will ich hinaus. Worum es geht, ist die Einbeziehung der Semantik, um die Übergangserscheinungen zu erklären. Das ist etwas anderes, als wenn man diesen Gesichtspunkt als zentrales Motiv der GKS darstellt! ("Mit der Großschreibung drückt man aus, wovon die Rede ist.") Also fände ich es besser, nach wie vor, und sei es mit statistischer Begründung, die GKS zunächst am Substantiv aufzuziehen und sodann den Gesichtspunkt der Semantik anzufügen, um zu den formalen Ausnahmen überzuleiten. Es ist ein Widerspruch, finde ich, wenn man zuerst die Semantik ganz in den Vordergrund stellt und anschließend rein grammatisch definiert (Artikel -> Substantiv, Substantivierung -> Substantiv, Ergebnis nicht unterscheidbar). Darauf hatte auch eine der Antworten im alten Gästebuch hingewiesen (habe vergessen, von wem): Da ging es, wenn ich mich richtig erinnere, darum, daß es ein wenig merkwürdig klingt, wenn man die "Kleinschreibung von Substantivierungen" rechtfertigt. Das klingt gerade dann unnötig gewaltsam, wenn man davon ausgeht, daß Substantivierung nichts anderes als vollwertige Substantive hervorbringt.
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