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eingetragen von Theodor Ickler am 08.11.2002 um 15.40

In der kurzgefaßten Besprechung der Bertelsmann hatte ich einige Perlen noch gar nicht erwähnt. Zum Beispiel S. 224: der weit gehendste Antrag, die weit verbreitetste Rasse. Das müßte in Erz gegossen werden, damit man nicht vergißt, wozu Germanisten fähig sind, um der Obrigkeit zu gefallen.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 21.05.2001 um 15.48

Bertelsmann: Grammatik der deutschen Sprache. Sprachsystem und Sprachgebrauch. Von Lutz Götze und Ernest W. B. Hess-Lüttich. Gütersloh, München 1999

besprochen von Theodor Ickler

Lutz Götze, der sich zugleich als Bearbeiter der Bertelsmann-Rechtschreibung einen Namen gemacht hat, wird auch hier gelegentlich zum Opfer der Rechtschreibreform.
"Es empfiehlt sich (...), beim jeweiligen Substantiv den bestimmten Artikel als Genus verdeutlichende Größe anzugeben." (S. 192) - Hier muß wie bisher zusammengeschrieben werden.
"Das Kriterium der Steigerbarkeit bzw. Erweiterbarkeit dient dazu zu differenzieren." (S. 54) - Hier muß nach der Neuregelung ein Komma stehen.
"Genitivus qualitatis" (passim), "Genus verbi (passim)", "Consecutio temporum" und einige andere Ausdrücke dieser Art sind neuerdings falsche Schreibungen, da die Substantive groß geschrieben werden müssen. Dasselbe gilt für einige Fremdwörter, die als Beispiele angeführt werden: "Human resource", "Lean production" (S. 518). Mit dem Latein hapert es auch ein wenig: "ad verbium" (mehrmals) geht nicht, weil es im Lateinischen kein "verbium" gibt. Der Artikel heißt auf lateinisch nicht "articolus" (S. 245) und der Fuchs nicht "vulpus" (S. 537).
Das Wort "letzterer" muß jetzt ungeachtet seiner pronominalen Funktion groß geschrieben werden (S. 219).
Auf S. 51 ist unter den trennbaren Verben auch "dabei sein" angeführt. Wie jedoch schon die neue Getrenntschreibung zu verstehen gibt, existiert dieses Verb infolge der Rechtschreibreform nicht mehr, kann folglich auch nicht unter den trennbaren Verben (mit "betonten Vorsilben") angeführt werden. Zwei Seiten weiter wird sogar der Begriff der "trennbaren Wortgruppe" eingeführt! Wortgruppen sind definitionsgemäß immer "trennbar" bzw. getrennt; was soll dieser Begriff denn besagen? Im Kapitel "Wortbildung" setzt sich diese Unstimmigkeit fort: "lahm legen", "kennen lernen" usw. werden als verbale Wortbildungen angeführt, obwohl sie nach der Rechtschreibreform nicht mehr dazugehören. "nahe liegend", "wild wachsend" sollen Adjektivkomposita sein (S. 370). ("höchst besoldet", "weitest verbreitet" sind übrigens auch nach der Neuregelung falsch.) Die Getrenntschreibung von "wieder sehen" (S. 232) ist ein früher Irrtum der Dudenredaktion über den wahren Gehalt von § 34 der Neuregelung.
"Ein viertel Appenzeller" usw. (S. 240) sind auch nach der Neuregelung falsche Schreibweisen.
"Das ist spitze (Spitze), klasse (Klasse)" (S. 356); hier sieht die Neuregelung nur noch Großschreibung vor.
Daß der Genitiv von Eigennamen ohne Apostroph stehe (S. 167), ist so nicht richtig, da die Neuregelung hier durchaus den Apostroph zuläßt ("Jürgen's Arbeit"); als menschenfreundliche Begründung haben die Reformer jahrelang angeführt, die häufige Inschrift "Uschi's Blumenshop" oder "Carlo's Taverne" solle nicht länger als falsch gelten.
Im Gegensatz zum neubearbeiteten Duden-Wörterbuch folgt diese Grammatik aber einem lobenswerten Grundsatz:
"Die seit dem 1. 8. 1998 geltende Rechtschreibreform wurde bei den im Text verwendeten Zitaten aus Büchern, Zeitschriften, Zeitungen usw., die vor diesem Zeitpunkt erschienen sind, nicht berücksichtigt, um deren Authentizität nicht zu verändern." (S. 7)

Nun zu einigen anderen Punkten:
Die Darstellung des Pronomens es ist völlig mißlungen, da Götze das Korrelat-es mit dem Vorfeld-es vermischt (vgl. S. 278, 424, 510). Es kommt daher zu solchen Aussagen: "Wenn das Subjekt an die erste Stelle des Satzes tritt, entfällt es." S. 279) Das Wegfallen des Vorfeld-es hat jedoch mit dem Subjekt überhaupt nichts zu tun. Jedes andere Satzglied im Vorfeld hat dieselbe Wirkung, zum Beispiel das Akkusativobjekt: "Es haben schon viele ihr Geld auf diese Weise verloren > Ihr Geld haben schon viele auf diese Weise verloren."
Die Kongruenzregeln sind sehr strikt normativ formuliert. Nach Götze sind folgende Sätze schlicht falsch: "Ich hoffe, daß du und deine Freundin mitkommen (richtig: mitkommt)". - "Mein Freund und ich haben sich (richtig: uns) über die Einladung gefreut." (S. 503)
Sehr rigide auch die Verurteilung der freilich überwiegende norddeutschen "Aufsplitterung des Pronominaladverbs": "Wo hast du das her?" ist nach Götze einfach falsch (S. 301)
Seltsam klingt folgender Satz: "Folgt (auf die Mengenangabe im Singular) ein Substantiv im Plural, so steht das Verb gleichfalls im Singular; neuerdings ist in der gesprochenen Sprache auch Plural zulässig: "Eine Anzahl Schüler hat die Prüfung bestanden (gesprochene Sprache: haben)." - An welche Instanz denkt Götze, die hier etwas für "zulässig" erklärt haben könnte? Die Grammatik ist ja weiterhin nicht staatlich normiert.
Zu Adjektiven wie "still", "vollkommen" usw. sagt Götze, sie könnten wegen ihrer Bedeutung keinen Superlativ bilden. Er fügt hinzu: "In der Literatursprache gibt es von diesen Adjektiven gleichwohl Stegerungsformen." (S. 222) Aber auch die Alltagssprache bildet munter Steigerungsformen und sagt, ohne sich um logizistische Bedenken zu kümmern, "es wurde stiller" oder "sein Spiel wird immer vollkommener". Warum auch nicht?
Ganz streng ist Götze bei "Was geschieht in diesem unseren Lande?" "Solche Gebilde sind Sprachverhunzungen. Sie sind kein Beitrag zur Sprachkultur." (246) Der Grund dieses Verdammungsurteils bleibt ungenannt.
Bei "Schickse, Tippse" (S. 363) kann man nicht von Movierung sprechen, da es sich nicht um die weiblichen Formen von "Schick" und "Tipp" handelt.
Wie in deutschen Grammatiken üblich, wird "hin" als Gegenteil von "her" bestimmt S. 291); es soll die Richtung vom Sprecher weg bedeuten. Das ist allerdings gerade die Funktion von "weg".
Eine Präposition "umwillen" ("umwillen seiner Familie" S. 305) kennt weder das Bertelsmann-Rechtschreibwörterbuch (ebenfalls von Götze) noch das "Große Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache" von Duden.
Über den Purismus schreibt Götze, "schon im 19. Jahrhundert" (!) habe es Widerstand gegen die Fremdwörter gegeben. Nun, da war die hohe Zeit der erfolgreichen Eindeutschungen schon fast wieder vorbei. Und wenn Götze meint, die Wirkung des Purismus sei, "wie wir heute wissen, gering" gewesen, so kann man das durchaus anders sehen. Daß eine Handvoll Sprachschöpfer es erreichte, Hunderte von Wörtern, denen man es heute gar nicht mehr ansieht, als Entsprechungen fremder Ausdrücke im Deutschen heimisch werden zu lassen, ist ein geradezu beispielloser Erfolg.

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Th. Ickler


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