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-- Herr Augst schreibt einen Aufsatz (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=119)


eingetragen von Theodor Ickler am 17.06.2002 um 09.23

Herbert E. Wiegand (Hg.): Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen II: Untersuchungen anhand des de Gruyter Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache. Tübingen 2002. (Lexicographica Series Maior 110)

(Der Band ist offenbar nach dem Autorenprinzip teils in reformierter, teils in herkömmlicher Orthographie gesetzt. In den umgestellten Aufsätzen geht es wild durcheinander, vier Fehler in neun Zeilen sind nichts Besonderes!)

Auf S. 137-143 steht ein kurzer Beitrag von Gerhard Augst: "Die Orthografie im DE GRUYTER WÖRTERBUCH DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE"

"Da ich 1998 ebenfalls ein ebenso umfangreiches Wörterbuch veröffentlicht habe, weiß ich, welchen lexikographischen Verdruss es macht, wenn in der Endphase der Wörterbuchredaktion eine solche einschneidende orthografische Veränderung eintritt." (138)

Niemand hat Augst gezwungen, das Buch in Neuschreibung zu konvertieren. Allerdings kann er als führender Reformer kaum noch anders. Sein Eingeständnis ist trotzdem bemerkenswert, auch daß er die RSR als "einschneidend" betrachtet.

"Zu knapp ist es, wenn zu der Wortgruppe Besorgnis erregend angegeben wird, dass die Steigerung regelmäßig ist: hier müsste die Zusammenschreibung von Komparativ und Superlativ angegeben werden: besorgniserregender, am besorgniserregendsten." (140)

Aber im amtlichen Regeltext findet man keinerlei Hinweis auf eine solche unterschiedliche Behandlung von Positiv und Komparativ/Superlativ. Vielmehr sind die Reformer erst durch die Kritik auf die Folgen des § 36 aufmerksam gemacht worden und flicken seither daran herum. Im dritten Bericht wird erstmals erwogen, zum zusammengesetzten Komparativ und Superlativ auch den ebenso zusammengesetzten Positiv wiederherzustellen. Damit wäre dann freilich die gesamte vorreformatorische Schreibweise wiedergewonnen, und das möchte man wohl ungern eingestehen, obwohl es in den neuesten Wörterbüchern de facto schon weitgehend der Fall ist. Einstweilen bleibt es dabei, daß ohne Rückhalt im amtlichen Text gelten soll: Besorgnis erregend (sehr besorgniserregend), noch besorgniserregender, am besorgniserregendsten; die einzige wirklich ausgeschlossene Form ist also: der Zustand ist besorgniserregend, ein besorgniserregender Zustand - aber das Ganze eben nur nach Augst, der hier vielleicht noch nicht wußte, was er wenig später den Redaktionen von Bertelsmann und Duden in die Feder diktieren würde, nämlich die freie Wahl zwischen Getrennt- und Zusammenschreibung.

Augst hat übrigens in dem zitierten Satz (ebenso auf S. 142) fälschlich Kleinschreibung nach dem Doppelpunkt. Er schreibt auch raumsparende Anführung - wo die amtliche Regelung Getrenntschreibung verlangt (wegen spart Raum). Duden und Bertelsman-Wahrig haben neuerdings auch wieder raumsparend, aber ohne Grund, man vergleiche gerade den genau entsprechenden Fall besorgnisserregend!


Übrigens gibt Augsgt korrekt an, daß das besprochene Wörterbuch die amtlichen Haupt- und Nebenvarianten unterscheidet; er selbst benutzt, wie man sieht, die Nebenvariante Orthografie, und wieder einmal fragt man sich, was die ganze "gezielte Variantenführung" überhaupt bedeutet.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 24.05.2001 um 19.03

Das war in der Tat die eigenwillige Auslegung, die sich die Dudenredaktion in einer offenkundigen Notlage zurechtgelegt hat. In meinem Kritischen Kommentar gebe ich einen Auszug aus einem diesbezüglichen Brief der Dudenredaktion. Hier ist der ganze Text:

Haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie ein Problem ansprechen, das uns schon des Öfteren beschäftigt hat.
Für die Klasse der "hinweisenden Wörter bzw. Wortgruppen" gibt es im amtlichen Regelwerk leider keine eindeutige Definition. Besonders Satzkonstruktionen mit dem bewussten "es" bereiten an dieser Stelle Schwierigkeiten, da es Fälle gibt, die unterschiedliche Interpretationen zulassen.
Da jedoch durch die neuen Regeln speziell für Schüler das Schreibenlernen erleichtert werden soll, ist kaum anzunehmen, dass die Reformer komplexe grammatische Analysen eines Satzes voraussetzen, um die Funktion des 'es' zu bestimmen. Daher gehen wir davon aus, dass das Komma in den meisten Fällen freigestellt ist. Nur wenn das 'es' direkt vor der Infinitivgruppe steht (Sein größter Wunsch ist es, eine Familie zu gründen), hat es eindeutig hinweisenden Charakter, genauso wie die Pronominaladverbien in den Sätzen "Sie dachte nicht daran, den Job länger zu behalten" und "Christa rechnet nicht damit, von ihrer Mutter gesehen zu werden." Auch in dem letztgenannten muss unserer Meinung nach eindeutig das Komma gesetzt werden. In dieser Frage wenden Sie sich aber am besten direkt an die Autoren des betreffenden Handbuchs.
(Brief der Dudenredaktion an Th. Ickler vom 23.6.1997)

Natürlich hat diese Auslegung nicht den leisesten Rückhalt im amtlichen Regelwerk. Möglicherweise hat die Kommission sie aber dennoch übernommen - als willkommene Entschärfung der monströsen amtlichen Regel, wenn auch um den Preis einer abermaligen Komplizierung.
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Th. Ickler


eingetragen von Christian Dörner am 24.05.2001 um 17.01

Augst scheint sich inzwischen nicht mehr nach der amtlichen Regelung zu richten, die er ja selbst gestaltet hat, sondern nach der Auslegung ebendieser, die sich im Duden 2000 findet. Der Duden geht nunmehr davon aus, daß das Komma nach hinweisenden Wörtern nur dann verpflichtend ist, wenn das hinweisende Wort unmittelbar vor der Infinitivgruppe steht. Obwohl dies im höchsten Maße unplausibel und sinnlos ist, kann sich Augst wenigstens darauf berufen, daß das Vorgreifer-es im Beispiel des amtlichen Regelwerks (m. E. zufällig) direkt vor der Infinitivgruppe zu finden ist.

Nachtrag: Daß das Vorgreifer-es nur dann zu einem verpflichtenden Komma führt, wenn die Infinitivgruppe unmittelbar angeschlossen wird, wird auch im Duden 2000 nicht offen ausgesprochen. Es wird nur dadurch deutlich, daß es auch im Beispiel des Duden-Regelwerks direkt vor der jeweiligen kommapflichtigen Gruppe steht.
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Christian Dörner


eingetragen von Theodor Ickler am 22.05.2001 um 15.07

"Alle diese Befunde machen es schwer von einem unmittelbaren Zusammenhang (...) zu sprechen."
"scheint es mir vorteilhaft zu sein in der zweiten Faustregel nur von Nebensätzen zu sprechen."
"Da es die Identifikation des Nebensatzes ohnehin erfordert auf das flektierte Verb einzugehen, kann es möglicherweise förderlich sein das Augenmerk der Lernenden darauf zu lenken, dass (...)"
"Es kommt darauf an möglichst viele Konstellationen einer verdichteten sprachlichen Erfahrung zu schaffen (...)"

(Gerhard Augst: "Kommasetzung und Grammatik(unterricht)". Mitt. d. dt. Germanistenverbandes 1/2001)

Kommentar: Da der kurze Aufsatz ausdrücklich von Kommasetzung handelt, ist die Nichtsetzung der obligatorischen Kommas (nach § 77(5) der Neuregelung) kaum als Versehen zu betrachten. Entweder hat Augst diesen Paragraphen immer noch nicht richtig verstanden, oder er rechnet fest mit seiner Aufhebung, die dann allerdings nicht zur "alten" Rechtschreibung zurückführen würde, sondern in einen Zustand, der seine Forderung nach mehr Beschäftigung mit dem Komma auch "in den höheren Klassen" gegenstandslos erscheinen ließe.
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Th. Ickler


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