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-- Rechtschreibung – wissenschaftlich gesehen (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=1192)
eingetragen von Matthias Dräger am 18.12.2004 um 05.07
Die St. Goarer Nachrichten meldeten am 1. 4. 1997:
(...) In einer eilig zusammenberufenen Telefonkonferenz setzte er (Zehetmair) durch, daß jetzt im Gegenzug die einst fallengelassenen Vorschläge Ältern (bisher: Eltern), Frefel und Filosofie wieder fester Bestandteil der Neuregelung werden. „Mit ihrem sinnlosen Widerstand gegen die Rechtschreibreform, mit der wir uns über Jahre hin soviel Mühe gegeben haben und die durch den Beschluß der Kultusminsterkonferenz Grundgesetzcharakter erhlaten hat, macht die Bevölkerung alles nur noch schlimmer“ sagte Zehetmair. „Wenn dieses andauernde Herumnörgeln der Leute an unserer Jahrhundertreform nicht aufhört, werden wir gezwungen sein, noch ganz andere Saiten aufzuziehen.“ Zehetmair nannte als weitere mögliche Konsequenzen aus dem Widerstand gegen die Reform die Fortführung der Stammschreibung bei sprächen (wegen Sprache), Fäler (wegen falsch) und dänken (wegen Denk).
Der Vorsitzende der Kultusminister-Telefonkonferenz, Rolf Wernstedt, sprach sich allerdings gegen noch weiterführende Sanktionen gegen die Bevölkerung aus.
Meine Schwester hat seinerzeit Tage gebraucht für die Erkenntnis, daß sie mir mit dieser Meldung (wieder einmal) auf den Leim gegangen ist.
eingetragen von Theodor Ickler am 18.12.2004 um 04.49
Hoffentlich ist meine Zusammenstellung nicht in dem Sinne mißverstanden worden, als schlüge ich selbst solche Änderungen vor!
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Th. Ickler
eingetragen von Klaus Eicheler am 17.12.2004 um 22.34
Zitat:Auch die Änderung von „Eltern“ in „Ältern“ wäre, wie so vieles der Reform, keine Weiter-, sondern eine Rückentwicklung.
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
... Kleine Auswahl von Wörtern, die man ebenfalls ändern könnte: [...] Eltern (alt) ...
In einer Reihe von „Belehrungsbüchern“ für Jugendliche (München, 1786) ist z. B. durchgehend von „Aeltern“ die Rede.
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Klaus Eicheler
eingetragen von Theodor Ickler am 17.12.2004 um 03.13
In seinem Aufsatz über die Stammschreibung (Sprachwissenschaft 1998) argumentiert Rolf Bergmann seltsamerweise so: Die Belege für Stängel sind zwar verschwindend selten, rechtfertigen aber die Änderung. Weil schnäuzen bei Wieland und Jean Paul belegt ist, folgert Bergmann: „Die Änderung der Schreibung zu schnäuzen erscheint vor dem Hintergrund der Schreibtradition vertretbar.“ (S. 255). Bergmann erwähnt nicht einmal, daß die neue Schreibweise nicht nur zugelassen, sondern allein gültig werden soll, die vielleicht hunderttausendmal häufigere also ein Fehler werden soll.
Am weitesten war Augst 1985 gegangen, als er folgende Wörter zur Änderung vorsah: ätzen, dämmern, Färse, Geländer, hätscheln, Käfferchen, kätschen, Lärm, päng, plänkeln, plärren, Schächer, schächten, Schärpe, Zärte (Fisch); dräuen, Räude, räuspern, Säule, sträuben, täuschen
aufwendig (Variante), behende, belemmert, Bendel, Gemse, Hetze, hetzen, Kerner, kentern, kleckern, Krempel, Quentchen, Reps (süddt.f. Raps), Spengler, Spergel, Stengel, stremmen (stramm sitzen), überschwenglich; Beuche, bleuen, Greuel, greulich, Keulchen, schneuzen
Davon ist eine Zufallsauswahl durchgesetzt worden, wie Bergmann mit Recht und verdienstvollerweise herausarbeitet. Zu Ständelwurz schreibt Bergmann:
„Die Wiederzulassung der <ä>-Variante erscheint wenig sinnvoll, zumal die der Pflanze zugeschriebne aphrodisiakische Wirkung, durch die die Bezeichnung einmal motiviert war, heute nicht mehr bekannt sein dürfte. Den Reformkritikern ist die Änderung offenbar entgangen; Stellungnahmen sind mir nicht begegnet.“ (255)
In meinem Kritischen Kommentar (1997) ist die Änderung kommentiert.
Kleine Auswahl von Wörtern, die man ebenfalls ändern könnte:
besser, best, Elster, Eltern, emsig, eng, Engel, Enkel, Ente, Erbe, Ernte, Esche, Espe, Estrich, Ferge, Ferse, fertig, fest, fremd, Gelenk, gerben, Gerte, Geselle, Gesetz, Gespenst, Grenze, Hechel, Hecke, Heft, Hemd, hemmen, Henne, kentern, klemmen, Krempe, Lerche, Menge, Mensch, Mergel, merken, Metzger, prellen, rechnen, renken, schellen, schenken, Scherflein, Scherge, senden, senken, Spengler, sperren, sprengen, stemmen, strecken, Vetter, wecken, welsch, wenden, widerspenstig
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Th. Ickler
eingetragen von Theodor Ickler am 17.10.2004 um 03.23
Wolfgang Menzel, ein Befürworter der Rechtschreibreform, hat in den 80er Jahren 2000 Aufsätze (2. bis 10. Klasse) auf ihre orthographischen Fehler hin ausgewertet. Die 50 häufigsten Fehler sind in einer Liste zusammengestellt (Praxis Deutsch 69, 1985, S. 10). Keiner wird von der Rechtschreibreform berührt. (Auf den hinteren Rangplätzen scheint es eine Handvoll Fehlschreibungen wie mussten und gewusst gegeben zu haben; nach der Reform würden sie wahrscheinlich mit umgekehrtem Vorzeichen unterlaufen.)
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Th. Ickler
eingetragen von Reinhard Markner am 09.09.2004 um 07.39
In Heidelberg hat man 2002 die Lese- und Rechtschreibleistungen von 782 Kindern der ersten Klasse geprüft. Im Arbeitsbericht der Projektgruppe fällt nicht ein einziges Mal das Wort "Rechtschreibreform".
http://www.ph-heidelberg.de/wp/schoeler/Berichte_EVES.html
eingetragen von Reinhard Markner am 05.09.2004 um 08.05
Daß die Zusammenschreibung von schiefgehen bloß "angebahnt" sei, halte ich für leicht untertrieben. Unter den ersten 60 Belegen für schief gehen im Archiv der "Welt" finde ich nur zwei aus der Zeit vor der Umstellung 1999. Hingegen finden sich etliche Belege für schiefgehen auch nach 1999.
eingetragen von Theodor Ickler am 05.09.2004 um 03.44
schiefgehen dürfte wie ernstnehmen zu den Grenzfällen gehören, wo Zusammenschreibung angebahnt, aber noch nicht zwingend ist. (Daß der Duden solche Fälle unterschiedlich, aber immer eindeutig festgelegt hatte, war sein größter Fehler.)
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Th. Ickler
eingetragen von David am 05.09.2004 um 03.35
Oder so.
Ich hab' den Kontext nicht mehr ganz zusammenbekommen.
Danke für die Ergänzung!
eingetragen von Christoph Kukulies am 04.09.2004 um 20.12
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von David
Zumindest im Rheinischen:
"Darf dat dat?"
-"Un dat dat dat darf!"
Also das stiftet doch hinsichtlich dieses Punktes zumindest Verwirrung.![]()
Ich muß als Rheinländer hier immer intervenieren.
Das Gespräch lief so ab:
Kind mit Mutter im Eisenbahnabteil begeht irgendeine Unflätigkeit.
Eine andere Dame echauffiert sich darob und fragt nun:
"Daf dat dat?"
Mutter erwidert: "Dat daf dat".
Dame: "Dat dat dat daf"
Mutter: "Und dat dat dat daf!"
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Christoph Kukulies
eingetragen von J.-M. Wagner am 04.09.2004 um 19.58
Zitat:Im Icklerſchen Rechtſchreibwörterbuch ſteht folgender Eintrag (wobei der Unterſtrich den kleinen Bogen erſetzt):
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner
Zitat:Wer so schreibt, fällt als Kommentator der deutschen Orthographie eigentlich ganz von selbst aus. Statt Eduard Haueis sollte man lieber den von ihm zitierten Utz Maas lesen.
Das kann schief gehen.schief_gehen (mißlingen) § 10Hmm... Fällt damit konſequenterweiſe auch Herr Ickler als Kommentator der deutſchen Orthographie aus?
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von David am 03.09.2004 um 12.03
Zumindest im Rheinischen:
"Darf dat dat?"
-"Un dat dat dat darf!"
Also das stiftet doch hinsichtlich dieses Punktes zumindest Verwirrung.
eingetragen von Fritz Koch am 03.09.2004 um 09.45
Allerdings verteidigt der Verfasser mehr oder weniger die reformierte Rechtschreibung. Trotzdem kann man aus dem Beitrag einiges lernen:
1.) Die silben-basierte Orthographiebetrachtung,
2.) das h als Silbenanfangsrand,
3.) die Notwendigkeit des Schreibens des stummen "e" als Silbenkern,
4.) die daß-das-Probe, je nachdem ob durch Ersetzen durch "ob" ein grammatisch richtiger Satz entsteht: "daß" oder stattdessen mundartlich "des" oder "det" gesprochen werden kann: "das",
5.) das Substantiv-Kriterium, ob davor nicht nur ein Begleiter, sondern auch ein deklinierbares Adjektiv eingeschoben werden kann,
6.) das Zusatz-Komma bei direkter Rede, weil klein weitergeschrieben wird.
und anderes mehr.
eingetragen von Reinhard Markner am 03.09.2004 um 01.14
Zitat:Wer so schreibt, fällt als Kommentator der deutschen Orthographie eigentlich ganz von selbst aus. Statt Eduard Haueis sollte man lieber den von ihm zitierten Utz Maas lesen.
Das kann schief gehen.
eingetragen von J.-M. Wagner am 02.09.2004 um 19.25
Dieſes Seminarſkript (Word-Dokument) Der Kernbereich der deutschen Orthographie (Hauptſeminar im Sommerſemeſter 2000) von Eduard Haueis finde ich wegen ſeiner einleitenden Bemerkungen recht intereſſant. Darin heißt es:
1. Schriftsystem - Orthographie - Rechtschreibunterricht
Im Zusammenhang mit der Reformdiskussion hat die sprachwissenschaftliche Erforschung der deutschen Orthographie in den letzten Jahren Ergebnisse zutage gefördert, die aller Voraussicht nach zu einer stärkeren Veränderung des Rechtschreibunterrichts führen werden als die Neufassung einiger Regelungen durch die Reform selbst. In der Hauptsache laufen die linguistischen Befunde auf die Einsicht hinaus, dass sich die Schreibung des Deutschen allein durch intelligente Problemlösungen, die Schreiber und Drucker im Lauf der Zeit gefunden und im praktischen Gebrauch durchgesetzt haben, zu einem System von verhältnismäßig großer Regelhaftigkeit herausgebildet hat. Wir können also davon sprechen, dass sich - allein durch den intelligenten Gebrauch - in der Sprachkultur ein Schriftsystem der deutschen Sprache herausgebildet hat. Ähnliches gilt für die ungesteuerte individuelle Aneignung. Auch hier entwickeln die Kinder problemlösend Schreibungen, die durchaus systematischen Charakter haben.
Das bedeutet nicht, dass solche Schreibungen einheitlich sein müssten. Durch das intelligente problemlösende Handeln von Schreibern entstehen nur Schriftsysteme mit erheblichen regionalen, sozialen oder individuellen Varietäten (vgl. Maas 1991). Die Frage nach der Richtigkeit einer Schreibung stellt sich in diesem Rahmen nicht. Die Schreiber haben lediglich für sich selbst und allenfalls im Hinblick auf ihre Leser zu entscheiden, ob die Art, wie sie schreiben, zweckmäßig ist. Derartige Entscheidungen stehen an, wenn der Schreiber eine Auswahl aus mehreren Alternativen treffen kann. Dies ist die grundlegende kulturelle (oder individuelle) Situation, in der ein explizites Wissen über das Schriftsystem, also eine Orthographie, entsteht. Die Bedingungen hierfür sind:Die Punkte sind im Folgenden zu erläutern.
- die Grammatikalisierung der Schrift;
- das Bedürfnis, Varietäten auszugleichen;
- Institutionen der Schriftkultur
Grammatikalisierung
Die Entzifferung von Schrift war bis weit ins Mittelalter hinein kaum anders möglich als durch das laute Lesen. Die uns heute vertraute Gliederung von Texten in Abschnitte, Sätze und Teilsätze (durch Interpunktion) und einzelne Wörter (durch Zwischenräume) hat sich nämlich erst im Laufe vieler Jahrhunderte herausgebildet. Jeder Leser war also zunächst einmal darauf angewiesen, eine ununterbrochene Folge von Buchstaben (scriptio continua) in ein Klangbild umzusetzen, um einen Zugang zum Inhalt des Geschriebenen zu finden. Die heute übliche Durchgliederung von Texten in Sätze, Teilsätze und Wörter hat sich erst im Laufe der Jahrhunderte durchgesetzt. Diese Entwicklung stellt eine Grammatikalisierung dar (vgl. H. Günther 1995). Die Schrift vergegenständlicht nun das Wissen darüber, was als ein Wort gelten soll, was als Satz oder Teilsatz aufzufassen ist und wie bestimmte Typen von Sätzen unterschieden werden können. Das erschwert zwar die Arbeit des Schreibers, entlastet jedoch den Leser.
Eine weitere Grammatikalisierung der Schrift ergibt sich aus der Möglichkeit, die Verwendung von Klein- und Großbuchstaben systematisch zu unterscheiden. In den frühen Alphabetschriften wurden ausschließlich Großbuchstaben (Kapitäle) verwendet. Schriften mit Kleinbuchstaben (Minuskelschriften) entwickelten sich erst mit dem Aufkommen von Kurrentschriften. Zur Hauptform des europäischen Schriftwesens wurde die im 8. Jahrhundert entstandene karolingische Minuskel; unsere Buch- und Schulschriften gehen auf sie zurück. Seitdem ist die Verwendung der Kleinbuchstaben unmarkiert, die Verwendung der Großbuchstaben markiert.
Aber auch innerhalb des Wortes stützt sich unser Schriftsystem auf grammatisches Wissen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass die weltweit am meisten verbreitete Alphabetschrift, die lateinische Schrift, für keine der heute gesprochenen Sprachen entwickelt worden ist. Das heißt, man hat versuchen müssen, mit dem Zeicheninventar der lateinischen Schrift bei der Wiedergabe der Lautstruktur der betreffenden Sprache auszukommen. Eine möglichst genaue Entsprechung zwischen Buchstabe und Laut ist zudem nicht für alle Sprachen zweckmäßig, wenn man an die Bedürfnisse von Lesern denkt; für die ist es nämlich leichter, ein Wort auch dann auf einen Blick identifizieren zu können, wenn sich seine Lautung je nach phonologischer Umgebung oder unter grammatischen Bedingungen verändert. Beide Faktoren haben das Schriftsystem der deutschen Sprache beeinflusst. Es hat im Laufe der Zeit zunehmend wort-, morphem- und silbenschriftliche Elemente aufgenommen. Wer schreibend oder lesend erfolgreich mit Schrift umgeht, ist darauf angewiesen, auf entsprechendes Wissen über Sprache zurückgreifen zu können, auch wenn diese Kenntnisse nicht immer zum Bestand des deklarativen Wissens gehören. Insofern ist unsere Schrift ein wissensbasiertes System (vgl. Maas 1991; Birck 1995).
Ausgleich von Varietäten
Solange der Schriftverkehr nicht weit verbreitet ist, können die daran Beteiligten unterschiedliche Schreibgewohnheiten problemlos tolerieren. Man kennt die Praxis in den Kanzleien, mit denen man zu tun hat und nimmt in Kauf, dass dort in vielen Fällen anders geschrieben wird, als dies in der eigenen Kanzlei üblich ist. Schreibweisen, die intelligente Problemlösungen darstellen oder als prestigeträchtig gelten können, werden imitiert, sodass sich in einigen "Netzen" des Schriftverkehrs bestimmte Konventionen herausbilden können.
Wird die schriftliche Kommunikation weiträumiger, komplexer und nehmen daran auch Kreise teil, deren Schreib- und Lesegewohnheit nicht von vornherein abzuschätzen sind, entsteht und wächst das Interesse an Konventionen, welche die bestehenden Unterschiede verringern. In allen Ländern Europas beruht die Entwicklung von überregionalen Standardsprachen auf dem Ausgleich zwischen einem Teil der sprachlichen Varietäten. In Deutschland ist dieser Prozess an das Entstehen einer nationalen Literatursprache gebunden, die zunächst nirgendwo gesprochen wurde.
Das Herausbilden einer überregional verbreiteten Schriftsprache macht die Normierung von Schreibkonventionen erforderlich. Das muss übrigens nicht heißen, dass dies durch eine Instanz zu geschehen habe, die in irgendeiner Weise "anordnet", welche Schreibungen beizubehalten, welche abzulegen sind. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden in Deutschland die einzelnen "Schreibdialekte" durch eine einheitliche Literatursprache abgelöst, die auch heute noch die Basis für unser Schriftsystem bildet. Angeordnet hat dies niemand. Aber es gab unter Sachverständigen eine öffentlich geführte Diskussion darüber, welche Schreibkonventionen als "sprachverständig" gelten können und welche nicht.
Einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung einer überregional zu verstehenden Schriftsprache und an einer Vereinheitlichung der Schreibkonventionen hatte das Aufkommen des Buchdrucks. In seinen Anfängen überstieg die Zahl der Drucktypen, die innerhalb eines Zeichensatzes benötigt wurden, die Zahl der heute benötigten um ein Vielfaches, da eine Reihe von heute nicht mehr gebräuchlichen Buchstabenverbindungen (Ligaturen) und Kürzeln zu berücksichtigen waren. Trotzdem kam man im Druckwesen von Anfang an mit einer geringeren Zahl an Schriftzeichen, aus als sie im handschritlich im Gebrauch waren (vgl. Giesecke 1990). Zu den ersten orthographischen Empfehlungen Anfang des 16. Jahrhunderts zählten daher Vorschläge zur "Orthotypographie", d.h. zu einer angemessenen Verwendung der Drucktypen.
Deutsche Orthographie(n) für die Schule
Zugleich ist das Entstehen von Orthographien daran gebunden, dass es Schulen gibt, in denen der schriftliche Gebrauch der eigenen Sprache gelehrt wird. Das war nicht wichtig, solange die Schriftkultur lateinisch geprägt war. Wenn es aber darauf ankam, deutsche Texte lesen zu können (z.B. die Übersetzung der Bibel), die allesamt in einer Sprache verfasst waren, die zu einem erheblichen Teil von regionalen Besonderheiten abstrahieren musste, um überall in Deutschland verstanden zu werden, und wenn es auch für Laien zunehmend wichtig wurde, Texte in dieser Sprache selber schreiben zu können, dann musste man sich im Unterricht auf ein verfügbares Wissen darüber stützen können, welche Schreibungen als akzeptabel, welche als inakzeptabel gelten können. Mit anderen Worten: Deutsch schreiben zu können, bedeutete auch zu wissen, was richtig und was falsch ist. Die Ausarbeitung dieses Wissens erfolgt in der Orthographie, seine Vermittlung im Rechtschreibunterricht.
Nun muss man sich freilich darüber im klaren sein, dass das orthographische Wissen, auf das sich die Rechtschreibunterricht stützen kann, keine feste, unveränderliche Größe ist. Das ist nicht allein eine Frage der Veränderungen, denen im Laufe der Zeit das Schriftsystem unterliegt bzw. unterworfen wird, wie es jetzt durch die Rechtschreibreform geschieht. Von größerer Bedeutung für die Sprachdidaktik (aber in den Pfuschereien "aus der Praxis für die Praxis" unbeachtet) ist ein anderer Gesichtspunkt: In den linguistischen Darstellungen der Orthographie können die Regularitäten eines Schriftsystems niemals unmittelbar wiedergegeben werden, sondern immer im Rahmen von bestimmten theoretischen und methodischen Zugriffen. Deshalb müssen wir strikt unterscheiden zwischen Regeln (des Schriftsystems) und Regelformulierungen (in der Orthographie oder im Rechtschreibunterricht). Mit Hilfe von Regelformulierungen versuchen wir, die im praktischen, impliziten Wissen verankerten Regeln in explizites, deklaratives Wissen zu überführen. Das kann schief gehen. Man denke nur daran, wie unterschiedlich ein und dieselbe Spielregel von verschiedenen Personen formuliert werden kann und dass diese Formulierungen dem Verständnis der Regel nicht in gleicher Weise dienlich sind. So haben wir es auch in der Orthographie mit mehr oder weniger glücklichen Regelformulierungen zu tun. Lehrkräfte für den Deutschunterricht sollten in der Lage sein, hier Unterscheidungen zu treffen, damit sie im Rechtschreibunterricht nicht den am meisten verunglückten Regelformulierungen aufsitzen.
– geändert durch J.-M. Wagner am 04.09.2004, 21.53 –
eingetragen von J.-M. Wagner am 02.09.2004 um 19.15
Eigentlich müßte dies nicht nur ein Leitthema innerhalb des Rechtſchreibforums ſein, ſondern ein eigenes Forum. Ich ſuchte nämlich nach einem ſinnvollen Ort für einen Verweis auf ein Seminarſkript (ſiehe den folgenden Beitrag), wurde aber nicht fündig. Also fange ich erstmal ein neues Leitthema an...
– geändert durch J.-M. Wagner am 04.09.2004, 21.51 –
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Jan-Martin Wagner
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