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eingetragen von Dominik Schumacher am 03.09.2004 um 13.51

Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur

Enttäuschende Hoffnungsträgerin

DT vom 04.09.2004
Von Fritz Schenk

Ihr Start an die Spitze der CDU hatte durchaus vielversprechend begonnen. Mit ihrem selbstbewussten und mit niemandem abgesprochenen Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom Dezember 1999 setzte sie damals ein Zeichen. Das war auf dem Höhepunkt des Finanzskandals ihrer Partei, der den Verzicht Helmut Kohls auf alle Parteiämter zur Folge hatte. Ummiss-verständlich sprach sie aus, was dann ja auch folgerichtig geschah: Die Union müsse sich insgesamt von der Ära Kohl lösen, einen neuen Anfang ohne ihn suchen und finden. Diesen Kurs hielt sie auch unter Wolfgang Schäuble durch, der bald darauf wie Helmut Kohl auch ins zweite Glied der CDU zurücktreten musste. Ebenso beherzt trat sie ihr Amt als neue CDU-Vorsitzende an und gab der Partei mit ihrem Konzept der „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ den Kurs zur Überwindung unserer allgemeinen Krise vor.

Zu diesem Kurs der Zielstrebigkeit gehörten nicht zuletzt der überraschende Frühstücksbesuch bei Edmund Stoiber im Januar 2002 und die beherzte Übernahme des Vorsitzes der Unionsfraktion nach der verlorenen Wahl 2002. Auch wenn es viele in der Unionsfraktion nicht einsehen wollten und es Friedrich Merz nicht verstehen konnte: Eine CDU-Vorsitzende, die sonst kein weiteres herausgehobenes Amt bekleidete, musste Oppositionsführerin werden, wenn sie staatspolitisch ernstgenommen werden wollte.

Doch was hat sie seither aus diesem Amt gemacht? Logischerweise müssten sie die Bevölkerung wie die politische Öffentlichkeit als die Herausforderin Nummer Eins des Bundeskanzlers sehen. Das geschieht zum einen nicht, weil sich die Union wegen des schwierigen Verhältnisses zwischen Merkel und Stoiber um die Entscheidung der Kanzlerkandidatur herumdrückt. Bedenklicher aber ist, dass Frau Merkel jedoch auch nicht den unmissverständlichen oder gar ausschlaggebenden Ton der Union vorgibt. Vermittelt schon die Regierung ein äußerst diffuses Bild ihrer Tätigkeit, so steht die Union in der Öffentlichkeit nicht besser da.

Man nehme nur die jüngsten „Rösslsprünge“ der Bundesregierung in Sachen Hartz IV, Sozial- und Gesundheitsreform: Kaum hatte die Regierung den Widerstand gegen die Auszahlung des neuen Arbeitslosengeldes II ab Ende Januar 2005 zu spüren bekommen und den Auszahlungstermin auf Anfang Januar vorverlegt, ließ das die Opposition ohne Widerspruch passieren. Ähnlich wird es wohl bei der Herausnahme des Zahnersatzes aus der Krankenversicherung sein. Wobei die Union bei der „großen“ Gesundheitsreform immer noch nicht weiß, was sie eigentlich will. Bürger und publizistische Öffentlichkeit vernehmen eine vernebelnde Vielstimmigkeit der Opposition, wie sie aus der Regierung gang und gäbe ist.

Auch in der Familienpolitik ist kein Unterschied zwischen Regierung und Opposition mehr festzustellen. Vom Vorrang der klassischen Ehe wird nicht mehr gesprochen. Kein Wort ist davon zu hören, dass die Union nach einem Wahlsieg und der Regierungsübernahme bestimmte Entscheidungen von Rot-Grün zurücknehmen würde. Und in der Bildungspolitik – wozu man ja auch den leidigen und der Sache nach völlig überflüssigen Nebenkriegsschauplatz um die Rechtschreibreform zählen muss – erkennen nur „Mikro“-Experten noch Unterschiede zwischen der Union und Rot-Grün.

Besonders bedenklich ist, dass es vor allem dem sprunghaften Bundeskanzler immer wieder gelingt, in kritischen Situationen durch die Eröffnung neuer innenpolitischer Themenfelder von seinen Schwierigkeiten abzulenken. Jüngstes Beispiel ist der Vorschlag einer Verfassungsreform zur Ermöglichung von Volksbefragungen, dies insbesondere für ein Referendum zum europäischen Verfassungsvertrag. Ausgerechnet in der gegenwärtigen Krisensituation – in der es mehr als ausreichend Beratungsstoff des Bundestages über die vielen ungelösten Probleme unserer Ordnungspolitik gibt und in der obendrein wegen einer Fülle anstehender Wahlen kaum an sachliche Debatten zu denken ist – soll sich das Parlament an einem Thema festbeißen, das von so grundsätzlicher Bedeutung ist, dass es weit über den Beschluss über die europäische Verfassung hinausreicht!

Auch da hätte sofort ein resolutes Nein der Oppositionsführerin für klare Verhältnisse sorgen müssen – was leider ausgeblieben ist. Besserung der deutschen Verhältnisse wird es erst geben, wenn es wieder zu einer Ordnungspolitik kommt, die Langzeitwirkung, Nachhaltigkeit, verspricht. Wirtschaft wie Verbraucher benötigen Planungssicherheit. Wenn sie diese wegen ständigen Geredes – über welche Veränderungen auch immer – nicht erkennen, herrscht Zurückhaltung bei Investitionen wie privatem Verbrauch. Die Euros zusammenhalten, nichts wagen, keine Risiken eingehen heißt die derzeitige Devise. Und niemand kann erkennen, dass sich durch und unter einer Unionsregierung wesentliches ändern würde. Da vermochte leider bisher auch Frau Merkel keine neuen Hoffnungen zu wecken.


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