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eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.07.2018 um 18.34
... jetzt in der „Welt“, nachdem er bei der FAZ rausgeschmissen wurde – in Heyse-Reformschreibung anstelle von Schweizer ß-los, hier ein kurzer Abschnitt:
Das ist nicht mehr Merkels Land ...Solche Worte hätte man gerne auch gegen die Rechtschreib„reform“ gehört, wo die doch eigentlich nicht Stoibers „Herzensangelegenheit“ war. Denn hier spielten er, Zehetmair und dessen Pressesprecher Toni Schmid-Bertelsmann das Spiel des Bertelsmann-Konzerns.
... Wer von hier kommt, hat die epochale Niederlage der CSU nach Stoibers Rücktritt kommen sehen. Viele Außenstehende dachten, das sei ein Zeitenwechsel. Aber wer hier gelebt hat, der wusste halt auch, dass sehr viele Eltern extrem wütend über die G8-Reform waren, die ihnen zugunsten globalisierter Konzerne das ganze Elend des Leistungsdrucks aufbürdeten.
Das G8 war eine Sünde, ein Verbrechen am Volk, die Kinder wurden mehr oder weniger schulisch kaserniert, traditionelles Familienleben wurde vor allem Lernen, und niemand schaut gern zu, wie eine schlecht gemachte und arrogant eingeführte Reform den eigenen Kindern die Zukunft zerstört.
Da war Stoiber, da waren seine Nachfolger aus der gleichen Blase eben nicht mehr our sons bitches, sondern die der großen Konzerne und ihrer Nachwuchsanforderungen. Bayern hat mit einer enormen Zähigkeit und Leistungsbereitschaft den Wandel von der agrarischen Gesellschaft an die globale Spitze geschafft: Das nahm man gerne mit, und da war man auch dabei.
Aber Stoiber hat es mehrfach überzogen, bei der überflüssigen Infrastruktur, bei der New Economy und der dazu gehörenden Geldverschwendung, beim G8 und ganz allgemein beim Gefühl, dass man in Stoibers nach vorne gepeitschten Bayern nicht mehr hinten auf der Bierkutsche sitzt und Freibier bekommt, sondern vorne als Ochs zu ziehen hat. Da hat sich dann die Zahl derer, die glaubten, Stoiber täte das für das Volk, deutlich verkleinert.
welt.de/kultur/stuetzen-der-gesellschaft 3.7.2018
eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.10.2017 um 05.00
Von Marcel Leubecher
Im Übrigen sehe sie „keinen Sinn darin, meine Kraft und meine Gesundheit in permanenten internen Grabenkämpfen mit zwei Parteivorsitzenden zu verschleißen, die offenkundig nicht zu einer fairen Zusammenarbeit bereit sind, wohl aber gute Kontakte zu bestimmten SPD-Kreisen haben, die in mir schon seit Längerem ein großes Hindernis für eine angepasste, pflegeleichte Linke sehen“. Und Wagenknecht wütete weiter: „Wenn jeder, der die Position ,offene Grenzen für alle Menschen‘ jetzt sofort nicht teilt, sofort unter Generalverdacht gestellt wird, ein Rassist und ein halber Nazi zu sein, ist eine sachliche Diskussion über eine vernünftige strategische Ausrichtung nicht mehr denkbar.“ ...
Im Hintergrund des nun wieder ausgebrochenen Machtkampfes steht der seit 2015 schwelende Konflikt um die Fokussierung der Partei entweder auf die Interessen der Stammwähler: neben den DDR-Romantikern sind das Transferbezieher, Geringverdiener, die sogenannten kleinen Leute. Oder eben auf ein Milieu, dass man die neue Linke nennen könnte: junge, akademische Kosmopoliten, die das Aufgehen Deutschlands in einer Republik Europa, eine konstruktivistische Sprachpolitik und der Kampf gegen Migrationssteuerung stärker elektrisiert als die soziale Frage. Besonders deutlich zeichnet sich diese Konfliktlinie zwischen Kipping und Wagenknecht ab.
welt.de 17.10.2017
Meint „konstruktivistische Sprachpolitik“ Gender- und Dass-Deutsch?
eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.08.2017 um 08.48
In jeder Diktatur und Demokratur finden sich Schönfärber, Lobhudler und Volksverdummer, die das Versagen der Regierungen in ein unabwendbares oder gar erwünschtes Schicksal umfälschen. Leider beteiligen sich auch Wissenschaftler daran.
welt.de 1.8.2017:Das DDR-sozialisierte Merkel-Regime hat 1,5 Millionen „Flüchtlingen“ die Invasion Deutschlands ermöglicht – Familiennachzugsrecht inclusive. Bei einem Nachzug von nur drei Personen ergibt das sechs Millionen, in gut zehn Jahren 60 Millionen. Zusammen mit den schon anwesenden Migrationshintergründlern wären das 80 Millionen, während die Zahl der „Bio-Deutschen“ bis 2050 auf weniger als 40 Millionen absinken wird. Das ist eine Umvolkung, wie es sie heftiger nur noch während der Invasion des amerikanischen Kontinents gegeben hat.
Forscher zur Flüchtlingskrise
„Deutschland ist morgen ein anderes als heute“
Im Spätsommer 2015 öffnete Deutschland die Grenze für Flüchtlinge. Mehr als eine Million kamen – viele aus Syrien oder Afghanistan. Dramatische Bilder überfüllter Flüchtlingsboote aus Afrika prägen heute die Nachrichten. Angesichts der aufgeheizten Flüchtlingsdebatte und Diskussionen um „Obergrenzen“ weisen nun die Archäologen darauf hin, dass auch die Europäer im Prinzip Ausländer sind. Alle Europäer haben einen Jahrtausende bis Millionen Jahre alten „Migrationshintergrund“.
Nun schwätzen die Wissenschaftler, es habe seit zwei Millionen Jahren schon „Migration“ gegeben.Alle Europäer haben einen Jahrtausende bis Millionen Jahre alten „Migrationshintergrund“. So ist eigentlich jeder Deutsche auch ein bisschen Türke, Iraker, Iraner oder Russe – und Afrikaner sowieso. Jeder trägt eine Mischung aus drei genetischen Bestandteilen in sich: die Gene einstiger einheimischer Jäger und Sammler, früherer Bauern aus dem Gebiet des heutigen Anatoliens und Nahen Ostens sowie der Menschen aus östlichen Steppengebieten. Das macht die bis November laufende Ausstellung „Zwei Millionen Jahre Migration“ im Neanderthal-Museum in Mettmann bei Düsseldorf deutlich.Die „deutsche Kartoffel“ ist schon abfälliges „Kiez-Deutsch“ der Migranten-Vorstädte. Im übrigen stammen wir alle von affenartigen Afrikanern ab, die ihre Chance wahrgenommen haben. Das besagt gar nichts. Sicher ist, daß heute alle Lebensräume besetzt sind: Seit mindestens dreitausend Jahren leben die Vorfahren der Deutschen in Mitteleuropa. Größere Unterschiede in sprachlicher und genetischer Hinsicht waren um 9 nach Jesus längst eingeebnet. Trotz räumlicher Trennung konnten sich die Stämme immer noch verständigen. Spätestens seit 843 hat sich das Bewußtsein durchgesetzt, einem Volk anzugehören. „Deutsch“ ist geradezu die Ableitung des indogermanischen Wortes für „Volk“.
„Die Deutschen, die hier gewachsen sind, gibt es genauso wenig wie die deutsche Kartoffel“, sagt die stellvertretende Leiterin Bärbel Auffermann. Und: „Gerade in der Offenheit für neue Lebensräume lag in der Menschheitsgeschichte auch die große Chance.“
Die ideologische Überformung durch das (inzwischen bedeutungsloser werdende) Christentum konnte das entwickelte gemeinsame Miteinander zwar abwandeln, aber nicht grundsätzlich verändern. Auf diese Weise stieg der deutsche Sprachraum zu einem einzigartigen Wissenschafts- und Kulturraum auf – bis die Unterwanderung durch Fremdvölker und wüstenmäßige Religionsideologien dem ein Ende zu machen droht.
Siehe auch dies.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.07.2017 um 18.42
Deutsche Sprache
"Duden war weise, die Reformer frech"
Matthias Heine
Niemand weiß mehr über das Deutsche als der Linguist Peter Eisenberg. Ein Gespräch über geprügelte Anglizismen, das V in Vater, die Schönheit der Muttersprache und die Daseinsberechtigung des Eszetts.
Peter Eisenberg ist der Mann, den Sprachwissenschaftler zitieren, wenn sie anderen Sprachwissenschaftlern beweisen wollen, dass etwas richtig ist. Seit er 1986 seinen "Grundriss der deutschen Grammatik" veröffentlichte, gilt Eisenberg als die größte Koryphäe für Bau und Funktionsweise des Deutschen. Nun hat er ein schmales Buch mit dem Titel "Deutsche Orthografie: Regelwerk und Kommentar" (De Gruyter, 14, 95 Euro) geschrieben, mit dem er versucht, die immer noch offenen Wunden der Rechtschreibreform zu heilen.
LITERARISCHE WELT: Warum muss Orthografie überhaupt sein?
Die geschriebene Form des Deutschen war schon in großen Gebieten des deutschen Sprachgebiets beinahe dieselbe, als die gesprochene Form noch sehr unterschiedlich war. Das Bemerkenswerte daran ist, dass sich diese Gleichheit der geschriebenen Form ohne Normierung eingestellt hat. Sie war nicht überall genau gleich, aber die verschiedenen Ausprägungen waren sich so ähnlich, dass eine Kommunikation ohne Problem möglich war. Das ist die erste und trivialste Aufgabe des geschriebenen Standarddeutschen: dass jeder jeden versteht und jeder sich jedem Gegenüber verständlich machen kann.
LITERARISCHE WELT: Wer legt in Deutschland heute die Regeln fest?
Peter Eisenberg: Die Norm ist aus dem Gebrauch erwachsen, ohne dass der Staat sich darum gekümmert hat. Ganz anders etwa im Französischen. Seit Jahrhunderten wird das geschriebene Französisch von staatlicher Seite her stark beeinflusst und kann sich nicht frei entwickeln wie im Deutschen. Heute liegen das Geschriebene und Gesprochene so weit auseinander, dass Franzosen ohne einen jahrelangen Orthografiedrill in der Grundschule nicht mehr auskommen. Im Deutschen hat es bis 1996 niemanden gegeben, der die Möglichkeit hatte, die Orthografie durchgängig zu regeln.
LITERARISCHE WELT: Nicht mal Konrad Duden?
Eisenberg: Konrad Duden wollte sich im Jahr 1880 mit seinem Wörterbuch gar nicht von Staats wegen einmischen. Duden war ein wirklicher Kenner der deutschen Orthografie und hat das in sein Wörterbuch aufgenommen, was der verbreitetste Gebrauch im deutschen Sprachgebiet war. Er selbst hat das als Orthografietheoretiker gar nicht gut gefunden. Aber er hat gesagt: Die Einheitlichkeit ist das Entscheidende. Das war auch theoretisch weise, wie wir heute wissen.
LITERARISCHE WELT: Warum war man in den Jahrzehnten, die der Rechtschreibreform 1996 vorausgingen, nicht so weise?
Eisenberg: Die Gründe waren nicht sprachlicher Art, sondern politischer Natur. Es sollte eine Vereinbarung zwischen der DDR und der Bundesrepublik auf diesem Gebiet geben. Sie galt als Bestandteil der Politik nach dem Motto ,Wandel durch Annäherung'. Man wollte ein kulturpolitisches Faktum schaffen, das von der DDR und der Bundesrepublik gemeinsam vertreten werden konnte.
LITERARISCHE WELT: Was ist dann schiefgelaufen?
Eisenberg: Das Regelwerk von 1996 hatte linguistisch große Schwächen. Sie können zum Beispiel keine Kommaregelung formulieren, wenn Sie nicht einen Syntaktiker damit beauftragen. Und Sie können keine Laut-Buchstaben-Beziehungen regeln, wenn Sie nicht ausgewiesene Phonologen dabei haben. In den Gremien saßen fast nur sogenannte ,Orthografieexperten'. Die haben das Sprachgefühl ignoriert, das die Sprecher im primären Spracherwerb und dann im sekundären in der Schule entwickeln. Eine normative Regelung darf dieses Sprachgefühl nicht konterkarieren und die Leute zwingen, etwas zu schreiben, was sie nicht empfinden.
LITERARISCHE WELT: Ein Beispiel?
Eisenberg: Im Laufe der letzten hundertfünfzig Jahre ist im allgemeinen immer häufiger kleingeschrieben worden. Für einen Grammatiker ist das Ausdruck der Tatsache, dass die Sprecherinnen und Sprecher das Empfinden hatten, hier stehe kein Substantiv: Und in der Tat können Sie zu im allgemeinem beispielsweise keine Attribute hinzufügen. Deswegen hat sich die Kleinschreibung immer weiter durchgesetzt. Die Verfasser des Regelwerks von 1996 wollten aber die Großschreibung erzwingen. Auch bei der Fremdwortschreibung und bei der Getrennt- und Zusammenschreibung haben sie so weit gegen das Sprachempfinden verstoßen, dass sie Hunderte von Wörtern verboten haben, die den Leuten geläufig waren – so etwas wie fertigmachen oder eisenverarbeitend. Die mussten getrennt geschrieben werden. Und das wollten die Leute nicht.
LITERARISCHE WELT: Es kam ja dann zu einem teilweisen Rückbau.
Eisenberg: Ja. Aufgrund von Initiativen insbesondere von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt wurden schlimme Fehler beseitigt. Aber eben nicht in ausreichendem Umfang. Deshalb hat der Rat für Rechtschreibung im Jahr 2010 beschlossen, eine Reformulierung des amtlichen Regelwerks zu erarbeiten.
LITERARISCHE WELT: Sie waren bis 2013 im als Vertreter der Akademie im Rat für deutsche Rechtschreibung, der die Rechtschreibung weiterentwickeln soll. Warum sind Sie ausgetreten?
Eisenberg: Nachdem ich im Auftrag des Rates den Regelteil zur Substantivgroßschreibung neu formuliert hatte, der verständlicher und halb so lang wie der amtliche war, stand als Nächstes die Neuformulierung der Kommaregeln auf der Tagesordnung. Damit ist der beauftragte Kollege aus dem Rat gescheitert, und man beauftrage erneut die Vertreter der Akademie. Wichtig ist: Man kann die Regeln einfacher formulieren, ohne gleich wieder eine Reform der Reform der Reform anzustoßen. Einige Mitglieder des Rats sind dann in Panik geraten und haben beschlossen, das Konzept der Reformulierung des amtlichen Regelwerks aufzugeben und in einem jahrelangen Prozess erst einmal zu erforschen, wo denn dessen Schwächen liegen. 17 Jahre nach 1996 wollten sie sich zum ersten Mal anschauen, wo die Schwächen des amtlichen Regelwerks liegen! Da hat mich so ein Zorn befallen, dass ich aus dem Rat ausgetreten bin.
LITERARISCHE WELT: Jetzt haben Sie die Regeln der deutschen Orthografie auf eigene Faust neu formuliert.
Eisenberg: Ja. Ich dachte: Du kannst nicht auf sich beruhen lassen, dass die Damen und Herren des Rechtschreibrats sich zweimal im Jahr treffen, über nichts und wieder nichts reden und das Elend mit der Neuregelung immer weitergeht. Man muss sich vor Augen führen, dass führende Vertreter der Neuregelung behauptet haben, es würde 30 Prozent weniger Rechtschreibfehler geben. Aber es gibt die Hälfte mehr. Die Verantwortlichen sollten sich eigentlich bekreuzigen und schämen. Das tun sie aber nicht. Sie sind frech genug, so zu tun, als hätten sie immer nur Gutes bewirkt. Ich weiß gar nicht, wie solche Leute ruhig schlafen. Wenn man einer Sprachgemeinschaft etwas Derartiges angetan hat, sollte man in Sack und Asche gehen und fragen: Wie können wir das gutmachen? Und nicht darauf beharren, nun ewig recht zu behalten.
LITERARISCHE WELT: Sie haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass wenigstens die schlimmsten Auswüchse geheilt werden können.
Eisenberg: Nach meinem Austritt aus dem Rat für Rechtschreibung hat die Akademie gesagt: Dann schreib doch die Orthografieregeln mal hin, wie du es siehst! Das habe ich getan. Wir können nicht als Leistung unserer Generation von Sprachwissenschaftlern den Deutschen das amtliche Regelwerk vererben. Dafür müssten wir uns vor der Geschichte unserer Sprache schämen. Wir wollen wenigstens zeigen, dass wir den Versuch gemacht haben, es besser zu machen.
LITERARISCHE WELT: Wie ist die Resonanz auf Ihr Buch?
Eisenberg: Der Zuspruch ist groß und es gibt schon eine Reihe von Unis, die es in der Lehrerbildung verwenden.
LITERARISCHE WELT: Ein konkretes Beispiel aus Ihrem Regelwerk: Warum schreibt man es hallt mit zwei L und andererseits kalt mit einem L, obwohl es sich um genau die gleiche Lautung handelt?
Eisenberg: Alphabetisch geschriebene Sprachen entwickeln sich im Lauf ihrer Geschichte zu größerer Lautferne. Das drückt sich darin aus, dass die Bausteine der Sprache, die Morpheme, möglichst in allen Formen gleich geschrieben werden, unabhängig von ihrer Lautung. Es kommt im Deutschen darauf an, dass man die sogenannte Langform findet, um zu sehen, wie ein Wortstamm nun wirklich geschrieben wird. Die zweisilbige Langform zu hallt ist der Infinitiv hallen. Bei kalt gibt es so etwas nicht wie kallen. Da heißt die Langform kaltes, deshalb behält das Wort immer das T nach L. Die Schreibung K A L T entspricht genau dem Verhältnis zwischen Laut und Buchstabe. Während Sie bei hallen einen Laut drin haben, der nicht so eindeutig zu einer Silbe gehört. Wir haben zwei Silben, die eine heißt hal- die andere -len. Dass beide Silben dieses L haben, drückt sich in der Verdoppelung aus. Wenn das doppelte L einmal im Stamm drin ist, dann bleibt es überall drin.
LITERARISCHE WELT: Die meisten Leser werden den Begriff "Wortstamm" in der Schule kennengelernt haben. Viele haben dann aber wieder alles vergessen. Was ist der Wortstamm?
Eisenberg: Ein Wortstamm ist eine Einheit, die Wörter bilden kann. Sie muss nicht identisch mit einem Wort sein. Beim Verb hallen ist der Wortstamm hall-. Mit einer angehängten Flexionsendung wird daraus ein Wort: hall- plus die Endung -en ist der Infinitiv. Jedes Wort enthält mindestens einen solchen Stamm, der die volle Wortbedeutung hat. Beim Substantiv ist es noch einfacher: Da ist der Stamm normalerweise die Grundform. Der Stamm Kind ist die Grundform, im Genitiv Kindes oder im Plural Kinder steckt immer der Stamm mit seiner ganzen Bedeutung.
LITERARISCHE WELT: Große Teile der Probleme mit der Groß- und Kleinschreibung rühren daher, dass Deutsch als einzige Sprache die Substantivgroßschreibung hat. Warum ist das so?
Eisenberg: Um den Kern einer Nominalgruppe besonders zu kennzeichnen. Wenn Sie so etwas haben wie "Der große grüne Stuhl dort drüben", dann haben Sie vor dem Substantiv Adjektive, danach haben Sie auch irgendetwas, aber der substantivische Kern wird sofort sichtbar. Es gibt schon lange die These, dass die Komplexität der deutschen Nominalgruppe nur deshalb so groß werden konnte, weil der Kern durch Großschreibung hervorgehoben wird. Das ist ein bisschen Spekulation. Aber man hat zum Beispiel festgestellt, dass Muttersprachler des Niederländischen schneller lesen, wenn man in niederländischen Texten auch die Substantive großschreibt.
LITERARISCHE WELT: Der Schreiber muss also die Großschreibregeln lernen, weil Substantivgroßschreibung dem Leser hilft?
Eisenberg: Ja. Unsere Orthografie ist insgesamt eine Leseorthografie. Das Stammprinzip erleichtert auch das Lesen – nicht das Schreiben. Die Lautferne, über die wir gesprochen haben, dient dem Lesen.
LITERARISCHE WELT: Anglizismen wie strike oder cakes sind um 1900 eingedeutscht worden als Streik und Keks. Warum findet diese Art Integration von englischen Wörtern in das Deutsche heute nicht mehr statt?
Eisenberg: Sie findet sehr wohl statt. Und es stimmt auch nicht, dass Streik vollkommen eingedeutscht ist. Das Wort Streik hat genauso wie Park seinen besonderen Plural behalten. Es heißt nicht die Streike, sondern die Streiks. Das Wort ist nicht völlig eingedeutscht. Wir haben gerade im Computerbereich sehr viele Verdeutschungen: Maus oder Bildschirm – wir sagen nicht screen. Oder Toner – das sprechen wir nicht englisch aus. Der Plural von Computer ist im Englischen computers, im Deutschen heißt er die Computer. Das Wort hat ein grammatisches Geschlecht bekommen, das es im Englischen gar nicht gibt. Der Genitiv heißt des Computers. Sie sehen daran: Das Deutsche ist eine Sprache, die Anglizismen sehr schnell und sehr stark anpasst. Auch bei den Verben: Recyceln kam hier an mit dem englischen Infinitiv to recycle und das englische Partizip heißt recycled mit ed am Ende. Als das Wort dann im Deutschen benutzt wurde, ging es ganz schnell, dass der Infinitiv zu recyceln wurde und das Partizip recycelt mit T. Das können Sie dann als Adjektiv flektieren: das recycelte Papier. Die Deutschen nehmen die Anglizismen, hauen ihnen sozusagen die deutsche Grammatik um die Ohren, dann sind sie drin bei uns.
LITERARISCHE WELT: Warum gibt es das ß?
Eisenberg: Viele Sprachen schreiben das stimmhafte S mit Z, beispielsweise das Englische: zone, zombie. Das Deutsche hat das Z anders belegt, nämlich mit dem Laut ts wie in Zahn, schwarz. Und da war nur noch ein S übrig. Das hat nicht ausgereicht. Deswegen hat das Deutsche das ß erfunden, damit sie den Unterschied zwischen Muse und Muße schön sichtbar machen können.
LITERARISCHE WELT:Warum schreiben wir Vater mit V, obwohl im Englischen und in anderen germanischen Sprachen ein F am Anfang der verwandten Wörter steht?
Eisenberg: Das Problem, dass wir mal F und mal V schreiben, beruht auf dem lateinischen Alphabet. Im klassischen Latein fallen U und V zu einem Buchstaben zusammen. Im Deutschen ist der Latinismus pater durch die Lautverschiebung zu vater geworden. Dann hat man sozusagen die lateinische Schreibung des Lautes übertragen. Es gibt im Kernwortschatz neun Wörter, bei denen der F-Laut mit V geschrieben wird, etwa noch Vogel, voll, von, vor und insbesondere das Präfix ver-, mit der dann wieder Hunderte von Verben gebildet werden. Warum das so ist, darüber ist viel spekuliert worden. Eine eindeutige theoretische Erklärung gibt es nicht.
LITERARISCHE WELT: Sie schreiben in Ihrem Buch, die Rechtschreibreform sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Warum?
Eisenberg: Die "Studiengruppe Geschriebene Sprache", der ich jahrelang angehörte, hat der Reformkommission Anfang der Neunzigerjahre vorausgesagt, dass ihre Reform scheitern wird. ,Einfachheit' war ein Schlüsselbegriff in dieser Diskussion. Wir haben gesagt: 'Einfach' bedeutet, dass die Sprecher ihrem Sprachgefühl folgen können. Auf der Gegenseite wurde besonders von den Schweizern und von DDR-Seite ein Einfachheitsbegriff vertreten, der besagte: ,Einfach' ist, wenn man die Regel einfach hinschreiben kann. Dann haben wir gesagt: Wenn ihr eure Regeln so versteht, dass der Lehrer sie einfach aufsagen kann, ihr aber damit an der Sprache vorbeiregelt, dann wird es für die Schreiber kompliziert.
LITERARISCHE WELT: Warum war es so schwierig, zu bestimmen, was ,einfach' ist?
Eisenberg: Sie hatten einen falschen Begriff von dem, was in der Struktur der geschriebenen Sprache an Sprachwissen aufgehoben ist. Für uns war das richtig viel. Für die andere Seite war das wenig. Deswegen haben sie sich überhaupt getraut, in die Sprache einzugreifen und so viel zu verändern und Wörter wie eisenverarbeitend zu verbieten! Dazu muss man schon ganz schön selbstbewusst sein. Wir haben immer gesagt: Die Sprache ist, wie sie ist, und wir wollen sie verstehen. Schon der große Grammatiker Johann Christoph Adelung hat am Ende des 18. Jahrhunderts einmal sinngemäß geschrieben: Ich weiß nicht, warum wir das th mit h schreiben. Und solange ich es nicht verstanden habe, vergreife ich mich auch nicht daran. Das ist weise.
LITERARISCHE WELT: Konrad Duden war auch noch so weise.
Eisenberg: Ja. Erst wenn du dir ganz sicher bist, dass du wirklich verstanden hast, warum etwas so ist, kannst du anfangen darüber nachzudenken, es zu verändern. Aber in der Regel bist du dann so beeindruckt, dass du es schon gar nicht mehr willst.
welt.de 07.07.2017
Siehe auch Eisenbergs Vortrag v. 22.1.2007
Leider hat Eisenberg fatalistisch beschlossen:
„Das ß kriegen wir nicht mehr, das ist klar. Das ist weg. Obwohl das auch nicht nötig war und auch möglicherweise ein Schade für die deutsche Sprache ist.“
Die als „neu“ exhumierte ß-Regel nach Heyse ist das fehlerträchtige Gift, das alle Texte durchsetzt, uns von unserer Tradition trennt und die Ausgrenzungsorgie von älteren Schriften in Schulen und Bibliotheken ermöglicht hat. Schande über die Politiker, die das betrieben haben!
Nachtrag: Treffende Kommentare auch bei sprachforschung.org.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 26.04.2017 um 06.19
... die Rechtschreib„reform“, ist so gut wie durchgesetzt, wenn man den einzigen öffentlich zugänglichen Indikator fürs private Schreiben beobachtet – die Leserbriefe in den Online-Medien. Aber auch hier sind Erhebungen, anders als der Linguist Peter Eisenberg hoffte, inzwischen sinnlos, denn zwischen den Schreiber und den Text schalten sich die effektiven Autokorrekturprogramme der Smartphones (Smartfons?), die dafür sorgen, daß zumindest in der ß-Anwendung kein „falsches“ „ß“ in die Texte kommt. Nach Durchsicht von 440 Leserbriefen zum „Welt“-Artikel „Kriminalitätsstatistik „In Deutschland ist etwas ins Rutschen geraten“ (24.4.2017) wagten höchstens 3 Prozent der Schreiber den traditionellen ß-Gebrauch, nicht immer erfolgreich:
Gabor K.Die freihändige Anwendung der reformierten Regeln (ß nach Diphthong) geht oft schief:
Ich hoffe, daß Deutschland bald was tut. So wird nicht lange gehen...Ich als Ungarn, bin bereits 49 Jahre alt, habe immer in Ungarn bei deutschen Firmen gearbeitet. Meistens in Führungsposition. Ich habe immer Deutschland gewundert! Die Landschaft, die Stätde, die Leute, Tracht, Industrie, alles. Das wird langsam alles verlorengehen. In den letzten 2 Jahren habe ich immer weniger wohl gefühlt. Abends in München wird Zigarette verlangt, im Metro schaut lange nicht mehr sicher aus. München, die Stadt, die immer so sauber war, ist Schmutzig geworden. Ihr Seid nicht richtig unterwegs..., schade.Marc R.Einst waren bis 90 Prozent der Deutschen gegen die „Reform“, heute leisten 97 Prozent keinen Widerstand mehr. Dagegen sind, nach den Leserbriefen zu urteilen, 97 Prozent der Deutschen zumindest gegen die Informationspolitik der Bundesregierung oder gar gegen ihre „Flüchtlings“-politik überhaupt.
Die Bevölkerung benötigt, in großen Teilen, diesen "Weckruf an uns alle" nicht, Herr de Maizière. Hier werden die Probleme meißt klar erkannt und benannt.Jörg S.In den Printmedien finden sich noch selbst nach „Reform“ überflüssige Großschreibungen:
Herr de Maizière, Sie müßten doch eigentlich soviele Schuldgefühle für diese schlimme Situation in Deutschland haben, dass Sie keine Nacht schlafen können, oder ?
Stefan S.
Das die PKS (S. 80) einen Anstieg der Gruppenvergewaltigungen um 106,3% auf 524 Taten und bei überfallartigen Gruppenvergewaltigungen um 54,1 % auf 225 Fälle verzeichnet, scheint keiner besonderen Erwähnung wert.
Norman L.
Vor allem muß aber der Kampf gegen Räschts gewonnen werden.Zum Schluss seines mehr als eineinhalbstündigen Auftritts stellte de Maizière noch die Trends bei der politisch motivierten Kriminalität (PMK) vor. Die Gewalt von Rechtsextremen und bei Ausländerkriminalität erreichte 2016 die höchste Fallzahl seit Einrichtung des Meldedienstes 2001. So wurden 23.555 Straftaten (plus 2,6 Prozent) von Rechtsextremen registriert, 9389 Delikte (minus 2,2 Prozent) von Linksextremen sowie 3.372 Taten (plus 66,5 Prozent) bei der Ausländerkriminalität. Bei Letzterer nahmen die Gewalttaten um 73 Prozent auf 597 Fälle zu.Fazit: Nach der Abschaffung des traditionellen Deutschs durch die „Reform“ werden die Deutschen selbst und ihre traditionellen Werte durch die Bevölkerungs„reform“ abgeschafft. Aller Widerstand war also sinnlos.
welt.de 24.4.2017
eingetragen von Norbert Lindenthal am 11.04.2017 um 08.12
MEINUNG RECHTSCHREIBUNG
Wir sind auf dem Weg in eine Republik der Analphabeten
Von Hildegard Stausberg | Stand: 10.04.2017 | Lesedauer: 2 Minuten
7,5 Millionen Deutsche können nicht lesen und schreiben
Quelle: Die Welt/Sebastian Plantholt
[Film 1]
Wer nicht richtig lesen und schreiben kann, hat es im Alltag schwer und auch beruflich schlechte Chancen. Der Bund startet nun eine Initiative, um Kompetenzen zu verbessern.
Quelle: Die Welt/Sebastian Plantholt
Wenn schon Hochschulabsolventen ohne Punkt und Komma und voller Rechtschreibfehler schreiben, dann muss man die Notbremse ziehen. Orthografie geht nicht nach Gehör. Sie muss geübt werden. Üben ist sexy.
Wenn man Geld für einen guten Zweck braucht, ist es völlig legitim, Bittbriefe an Leute zu schicken, von denen man sich Hilfe erhoffen darf. Insofern wunderte ich mich auch gar nicht, als mich vor Kurzem ein junger Mann anschrieb, der in Rio de Janeiro ein Sozialprojekt betreut, das mithelfen soll, Kindern aus Favelas eine bessere Schulausbildung zu ermöglichen. Toll!
Früher hätte man einen Brief bekommen, der zwingend begonnen hätte mit einem „Sehr geehrte Frau Stausberg“. Geraume Zeit später wäre man wohl übergegangen zu einem „Liebe Frau Stausberg“. Heute heißt es im lockeren E-Mail-Verkehr nur noch: „Hallo Frau Stausberg“. Na ja, geht auch.
Rechtschreibreform war ein Flop
[Film 2, auch mit Josef Kraus]
Die Rechtschreibreform hat ihr Ziel verfehlt. Zu dem Ergebnis kamen jetzt Forscher, denn die Fehlerquote an den Schulen hat sich deutlich erhöht. Vor allem drei Bereiche bereiten den Schülern Probleme.
Quelle: Die Welt
Was aber gar nicht geht, sind Schriftstücke – egal ob Brief oder E-Mail –, in denen kein einziges Komma mehr gesetzt wird (sic!) und wo in mindestens jedem dritten Satz irgendein dicker Orthografiefehler steht.
Wohlgemerkt: Ich rede nicht von einem Volksschüler, dem man das in den unteren Klassen noch nachsehen könnte, sondern einem jungen Menschen, der auf die 30 zugeht und ein sozialwissenschaftliches Studium an einer deutschen Fachhochschule mit Abschlussnote „gut“ absolviert hat, wie ein beigefügter Lebenslauf bewies, mit dem er seine Seriosität ausweisen wollte.
Üben ist sexy
Wie kann das sein? Was züchten wir uns da eigentlich heran an unseren Unis? Eine Zwei für einen Analphabeten – grausam! Ich habe den Schreiber umgehend gebeten, mir sein Anliegen, das ich unterstützen möchte, doch bitte in einer fehlerfrei verfassten Form zukommen zu lassen, schließlich möchte ich damit auch in meinem Bekanntenkreis werben. Auf die Antwort warte ich noch.
Kann es eigentlich noch mal besser werden? Und was rollt da auf uns zu, wenn erst die nach der phonetischen Methode des „Schreibens nach Gehör“ ausgebildeten Schülergenerationen an die Unis drängen? Ihre Verteidiger, angeblich „schülerzugewandte“ Pädagogen, sprechen verharmlosend von „Erleichterungsdidaktik“.
In Wirklichkeit zeigen die katastrophalen Ergebnisse: Rechtschreibung kann nur durch beharrliches Üben der orthografisch richtigen Schreibweise erlernt werden. Der hohe Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund verbietet sowieso eine weitere Anwendung der phonetischen Schreiben-nach-Gehör-Methode: Wer soll denn da zu Hause, wo häufig gar kein Deutsch gesprochen wird, korrigierend eingreifen?
Letztlich fördert das nur Isolation. Im ganzen Land findet in den nächsten Wochen der sogenannte Vera-3-Test statt. Er bildet den Lernstand der dritten Klassen ab, also auch Schreibleistungen. Aus den Ergebnissen müssen endlich Konsequenzen gezogen werden: Üben ist sexy!
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 06.04.2017 um 07.30
Manuela Schwesig gehört zur extremen Linken in der SPD. Das ist sicher der DDR-Sozialisation geschuldet, aber auch einem Jugendtrauma. Wegen ihrer nazihaft „arischen“ Erscheinung, die ihr auch den Spitznamen „Küsten-Barbie“ eintrug, mußte sie eine extrem gegenteilige Gesinnung ständig schlagend beweisen.
Wie alle Extremisten nimmt sie es mit der Wahrheit nicht so genau. Das wurde kürzlich sichtbar, als Jörg Meuthen (AfD) ankündigte, vernünftige Vorschläge anderer Parteien zu unterstützen, und sie daraufhin verbreitete, „AfD verbrüdert sich jetzt auch offiziell mit den Neonazis der NPD zu einer Art braunen Koalition“.
Das erste, was Manuela Schwesig nach ihrem Aufstieg ins Familienministerium veranlaßte, war die Streichung der Verpflichtung „zivilgesellschaftlicher“ linker Gruppierungen und ihres Netzwerkes auf das Grundgesetz bei ihrer finanziellen Förderung.
Religiöse und ideologische Extremisten wissen naturgemäß um die Wirksamkeit kindlicher- und frühkindlicher Prägung und nutzen diese auch in ihrem Sinne aus. Deswegen setzten die Parteistrategen auch mit der – von den Parteiideologen und Bildungs-Gewerkschaftlern herbeigesehnten – Rechtschreib„reform“ bei den wehrlosen Schülern an, um der gut funktionierenden Rechtschreibung ihre Brandmarke aufzudrücken. Hier behauptete das Verfassungsgericht eine Gleichrangigkeit von Staats- und Elternrechten.
Sobald dieser Staatsstreich gelungen schien, verkündete der SPD-Mann Olaf Scholz, „die Lufthoheit über die Kinderbetten“ erobern zu wollen. Damit sollten die Frauen möglichst schnell wieder an ihren Arbeitsplatz, damit die staatlichen Horte und Kindergärten die – nun „frühkindliche Bildung“ genannte – indoktrinierende Aufbewahrung in ihrem Sinne möglichst lückenlos durchführen können. Birgit Kelle schreibt in der WELT:
Familie: Manuela Schwesig will uns Eltern an den KragenDaß Frau Kelle ins Wespennest gestochen hat, bestätigt ein inhaltsloser „Tweet“ von der SPD-Seite:
Von Birgit Kelle | Stand: 04.04.2017 |
Vor der Bundestagswahl im September nimmt der Wahlkampf langsam Fahrt auf. Auf ein Thema scheinen die Parteien diesmal besonders zu setzen: die Familienpolitik...
Kinder genießen Grundrechte wie jeder andere Bundesbürger welchen Alters auch. Wer nun wie die Familienministerin gesonderte Kinderrechte im Grundgesetz fordert, hat anderes im Sinn.
Man kann fast die Uhr danach stellen, dass uns alljährlich von der Familienministerin im Namen des Kinderschutzes die Forderung nach der Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung ereilt, ...
Wer also „Kinderrechte ins Grundgesetz“ fordert, hat anderes im Sinn, als die Rechtslage oder den Schutz von Kindern zu verbessern, denn Kinder sind auch Menschen. Es existiert keine Altersgrenze für Grundrechte, ergo kein Handlungsbedarf. ...
Es geht also vielmehr um die Frage: Wer vertritt dann diese neu zu schaffenden Rechte der Kinder, und vor allem gegen wen? Nach aktueller Rechtslage haben laut Artikel 6 Grundgesetz die Eltern eine natürliche Vertretungsvollmacht für ihre Kinder, weil man ja nicht zu Unrecht annimmt, dass Eltern ein natürliches Interesse am Wohlergehen ihrer Kinder haben. Eltern haften deswegen übrigens auch für ihre Kinder, die Schilder an Bauzäunen kennen wir alle.
Eltern bestimmen über ihre Kinder
Im Umkehrschluss heißt es aber auch: Wir Eltern bestimmen über unsere Kinder. Entscheiden, was wir für richtig halten, wie wir sie erziehen, welche Werte wir weiterreichen, was wir ihnen erlauben oder verbieten. Dieses Recht müssen wir als Eltern nicht erst vom Staat erwerben, es wird nicht zugeteilt, wir haben es. Die Rechte unserer Kinder können wir übrigens auch gegen die Einmischung des Staates vertreten, wenn wir es für nötig halten.
Kinderrechte in der Verfassung würden genau diese Selbstverständlichkeit brechen. Nicht mehr die Eltern allein, sondern der Staat selbst schwänge sich damit als Vertreter der Rechte unserer Kinder auf. Im Zweifel auch gegen die Eltern der Kinder, sollte der Staat eines Tages der Meinung sein, dass Eltern die Interessen ihrer Kinder nicht so vertreten, wie er es gerne hätte oder für richtig hält. Kinderrechte in der Verfassung taugen also im Ernstfall als handfester Keil zwischen Eltern und Kind...
Generalverdacht gegen Eltern
... Hören wir rein ins Jahr 2012. Die Nation stand damals unter Schock, weil in Hamburg die kleine Chantal an einer Überdosis Methadon gestorben war. Bei den vom Jugendamt eingesetzten, aber leider drogensüchtigen Pflegeeltern, wohlgemerkt, nicht bei den leiblichen.
So was dürfe nicht sein, da war auch Schwesig im Interview mit dem Deutschlandradio mit dabei, erfreute uns gleichzeitig aber auch mit Sätzen wie diesen: „Wir brauchen Kinderrechte im Grundgesetz. Oftmals sind Elternrechte oder andere Rechte höher als die Kinderrechte. Das halte ich für falsch.“ Um dann nachzuschieben: „Und das Betreuungsgeld, das gezahlt werden soll, ist auch eine Gefahr für den Kinderschutz.“
Mehr Zeit für die Kinder - mit staatlicher Förderung
Vor allem Frauen müssen sich häufig zwischen Familie und Beruf entscheiden. Manuela Schwesig will einen Kompromiss für Eltern erleichtern. Mit ihrem Konzept für eine Familienarbeitszeit.
Das war ein kurzer Bogen von der toten Chantal zum Betreuungsgeld als pauschale Gefahr für Kinder, weil sie dann zu Hause bei ihren Eltern und nicht in einer Kita sind. So was muss man sich erst mal einfallen lassen. Aber erfrischend, diese Offenheit.
Versagen Eltern, kommt der Staat
Nun gibt es tatsächlich Eltern, die sich nicht kümmern, die gar vernachlässigen und misshandeln. Schlimm genug. Die gute Nachricht ist: Der Staat kann, darf und muss dann sogar heute schon eingreifen. Diese Situationen sind rechtlich gelöst...
Ob das Kindeswohl wirklich gefährdet ist, muss im konkreten Fall gar nicht erst bewiesen werden, ein Verdacht reicht aus. Den wenigsten Eltern ist wohl bekannt, dass seit 2008 für dies Verfahren die Beweislast umgedreht wurde...
2014 hat Schwesig ihre Forderung nach Kinderrechten übrigens damit begründet, dass Jugendämter und Gerichte sich dann bei ihren Entscheidungen, wo ein Kind leben soll, stärker nach dem Kindeswohl richten könnten und nicht nach dem Vorrecht der Eltern, das im Grundgesetz verankert ist. Ganz offen ist hier längst zugegeben worden, dass das Instrument Kinderrechte ein Zugriffsrecht des Staates schaffen soll.
Auch Schwesigs Staatssekretär Ralf Kleindiek arbeitet in diesem Thema als Adjutant. Ebenfalls 2014 begründete er die Forderung nach Kinderrechten mit Verfassungsrang mit den Worten, Kinder und Jugendliche hätten „das Recht auf Förderung ihrer Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung ihrer Persönlichkeit sowie auf Schutz und Beteiligung“.
Der Staat wird wichtiger als die Eltern
... Die Rhetorik der pauschalen Kindeswohlgefährdung durch die eigenen Eltern kennt man von der SPD nur allzu gut, gerade aus der einstigen Betreuungsgelddebatte. Nicht umsonst nennen die Genossen das Betreuungsgeld konsequent bis heute eine „Fernhalteprämie“, weil Eltern ihre Kinder ja von wertvoller Bildung in der Kita „fernhalten“...
Das schreit nach Fahrlässigkeit und Kindeswohlgefährdung. Wie schön könnte man diese durch genormte Bildungszufuhr in Kindergärten beheben, könnte der Staat doch die Interessen der Kinder vertreten. Da war sie wieder, die berühmte „Lufthoheit über den Kinderbetten“, die Parteikollege Olaf Scholz schon lange für den Staat anstatt für die Eltern reklamierte.
Dass die SPD gerne eine Kitapflicht einführen würde, ist längst kein Geheimnis mehr, zu viele Genossen haben es bereits offen gefordert. Das Thema schleicht seit 2006 durch die Partei.
Unter dem schönen Titel „Prüfung der Verbindlichkeit frühkindlicher staatlicher Förderung“ war die ehemalige Berliner SPD-Justizsenatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit schon damals in einem Gutachten für die Friedrich-Ebert-Stiftung der Frage nachgegangen, ob man auch gegen den Willen der Eltern eine Kindergartenpflicht einführen kann...
Vergessen wir also besser die herzerwärmende Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung, sie ist der Hebel gegen das Erziehungsrecht der Eltern...
welt.de 4.4.2017Ralf Stegner@Ralf_Stegner 4. April 2017
Ralf Stegner hat WELT retweetet
Was für eine bescheuerte Überschrift - seriös geht wirklich anders!
eingetragen von Sigmar Salzburg am 15.01.2017 um 07.34
Erika Steinbach verlässt die CDU und wirft Merkel Rechtsbruch vor
Erika Steinbach war über 40 Jahre Mitglied der CDU. Die umstrittene menschenrechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion kehrt ihrer Partei aus Empörung den Rücken.
Die Abgeordnete wirft Bundeskanzlerin Merkel vor, das Recht zu ignorieren und tritt aus der Union aus.
• Die AfD müsse unbedingt in den Bundestag, sagt die frühere Präsidentin des Bundes der Vertriebenen.
• Steinbach beklagt, Merkel habe mit der Grenzöffnung im Herbst 2015 gegen geltendes Recht verstoßen.
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Das Bundestagswahljahr beginnt für Angela Merkel mit einem Paukenschlag – aus Protest gegen ihre Flüchtlingspolitik verlässt die erste CDU-Abgeordnete ihre Fraktion. Erika Steinbach, seit 1974 Mitglied der CDU, tritt auch aus der Partei aus und begründet diesen Schritt im Interview mit der „Welt am Sonntag“: „Würde ich aktuell CDU wählen? Nein. Würde ich heutzutage gar in die CDU eintreten? Nein. Daraus kann ich nur die ehrliche Schlussfolgerung ziehen, die CDU zu verlassen.“...
Steinbach, die Sprecherin für Menschenrechte ihrer Fraktion ist und deren Vorstand angehört, beklagt, Merkel habe mit der Grenzöffnung im Herbst 2015 gegen geltendes Recht verstoßen: „Dass monatelang Menschen unidentifiziert mit Bussen und Zügen über die Grenze geschafft wurden, war keine Ausnahme, sondern eine gewollte Maßnahme entgegen unserer gesetzlichen Regelungen und entgegen EU-Verträgen.“
Keine Flüchtlinge im Sinne der Flüchtlingskonvention
Steinbach unterstellt der Bundesregierung, absichtlich illegale Einwanderung herbei_zu_führen: „Beim Bundesamt für Migration sind tausende von Pässen als gefälscht identifiziert worden, ohne dass die rechtlich vorgesehenen Konsequenzen für die jeweiligen Migranten gezogen worden wären. Ein solches Ignorieren unseres Rechts wagt keine Bundesbehörde auf eigene Verantwortung. Da steht ein politischer Wille dahinter. Am Recht vorbei.“
Steinbach kritisiert Merkel in der Flüchtlingspolitik
Ärger zwischen Erika Steinbach und Bundeskanzlerin Merkel. CDU-Politikerin Steinbach kritisiert, dass die Abgeordneten nie befragt wurden. Stattdessen werde "über die Köpfe hinweg" entschieden.
Das Asylrecht sei missbraucht worden, so Steinbach: „Ein erheblicher Teil der Menschen, die kamen, sind keine Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.“
Die Folgen für Deutschland seien dramatisch, warnt Steinbach: „Mit den Migranten kamen nicht nur Schutzsuchende [„Reform“: Schutz Suchende] ins Land, sondern, wie viele von Anbeginn an gewarnt haben, auch Terroristen. Unsere Sicherheitslage hat sich seit der Grenzöffnung signifikant verschlechtert.“
Kauder – ein „Vollzugsbeamter der Kanzlerin“
Auch bei der Energiewende und der Euro-Rettung habe sich die Kanzlerin über geltendes Recht hinweg_gesetzt, ohne dass ihr das Parlament in den Arm gefallen sei, meint Steinbach: „Beunruhigenderweise gibt es zu den angesprochenen Politikfeldern praktisch keine Opposition mehr im Deutschen Bundestag. Die Bundesregierung kann und konnte diese Art der Politik nur betreiben, weil sie den linken Teil des Parlaments weitgehend auf ihrer Seite hat.“
Bedenken seien lediglich von Abgeordneten der CDU und der CSU geäußert worden: „Bei uns gab es in den Fraktionssitzungen sehr kontroverse Debatten. Letztlich hat die Unionsfraktion aber mit Volker Kauder einen Vorsitzenden, der sich als Vollzugsbeamter der Kanzlerin versteht.“ ...
AfD sei „Fleisch vom Fleische der CDU“
... In der Gesellschaftspolitik habe sich die CDU einem linken Zeitgeist angepasst und Alleinstellungsmerkmal aufgegeben. Deshalb sei eine neue Partei entstanden: „Die AfD greift heute Themen auf, die in den vergangenen Jahren defizitär geworden sind. Und: sie ist auch Fleisch vom Fleisch der CDU!“
Einen Übertritt zur AfD will Steinbach aktuell nicht vollziehen. „Aber ich hoffe, dass die AfD in den Bundestag einzieht, damit es dort endlich wieder eine Opposition gibt. Nur so bleibt die Demokratie lebendig.“
welt.de 15.1.2017
Frau Steinbach hatte sich dem (durch Merkel schon verwässerten) Protest der Abgeordneten vom 12.11.2004 gegen die nichtsnutzige Rechtschreib„reform“ angeschlossen, hat sich dann aber ohne Not „angepasst“ – wie die meisten. Deswegen habe ich im obigen Text zur Erinnerung die betroffenen Wörter durchgehend markiert. Erst die „Umvolkung“ Deutschlands hat bei Steinbach ein Umdenken hervorgerufen. Das alberne Attribut „umstritten“ hätte sich die „Welt“ verkneifen können.
eingetragen von Norbert Lindenthal am 10.12.2016 um 06.48
Die Welt
Von Dankwart Guratzsch | Stand: 09.12.2016 | Lesedauer: 3 Minuten
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Die Hähnchen sind frisch, die Rechtschreibung nicht. Ein Imbiss in Hannover
Quelle: picture alliance / dpa
Die ratlosen Berater: Der Rat für deutsche Rechtschreibung soll den Effekt der Reform kontrollieren. Aber man ignoriert dort Forschungen, die beweisen, dass die Rechtschreibreform ein Desaster war.
Es gehört schon eine beachtliche Portion Ignoranz und Abgehobenheit dazu, wenn der Rat für deutsche Rechtschreibung unter seinem ewigen Vorsitzenden Hans Zehetmair der Kultusministerkonferenz in seinem „3. Bericht“ seit der Rechtschreibreform mitteilt: Im Wesentlichen alles in Ordnung, die neue Rechtschreibung bedürfe nur „an zwei Stellen“ einer gelinden Nachbesserung. Die Stellen sind: Für den zur Hälfte beseitigten Buchstaben „ß“ solle eine Großschreibung zugelassen werden, desgleichen für das „Schwarze Brett“. Die Einlassung ist an Komik kaum zu überbieten.
Ein Tiefstand wie seit 100 Jahren nicht
Lesen die Leute keine Zeitung, keine Pisa-Studien, keine Klagen der Wirtschaft, Universitäten und Kommunen? Wissen sie wirklich nicht, wie es um die Rechtschreibung seit der überflüssigen, teuren und chaotischen Reform steht? Haben die Mitglieder des eigens von der Bundesregierung eingesetzten, für deutsche Orthografie zuständigen Gremiums allen Ernstes nichts davon mitbekommen, dass die Rechtschreibleistungen inzwischen einen Tiefstand erreicht haben wie seit 100 Jahren nicht?
In sozialen Medien kann man derzeit immer häufiger lesen: Bitte keine Zuschriften in falscher Rechtschreibung! Das Volk, von dem Martin Luther gesagt hat, man solle ihm aufs Maul schauen, hat längst durchschaut, dass es sich bei dieser „Reform“ um den schlimmsten sprachpolitischen Rohrkrepierer seit des seligen Konrad Dudens Zeiten handelt – und spricht es aus.
Karrieren werden versaut, Menschen lächerlich gemacht
Doch es geht ja nicht um Petitessen. Das Versagen in der Rechtschreibung verbaut Karrieren, vermasselt Schulleistungen, liefert Bewerber an Universitäten und in Betrieben der Lächerlichkeit aus. Selbst Internetuser, denen man nachsagt, dass sie es mit dem genauen Lesen und erst recht Schreiben angeblich nicht so genau nehmen, greifen inzwischen zur Selbsthilfe. „Bitte nur in korrekter Rechtschreibung antworten!“ ist ein Hilferuf, der vor allem eins dokumentiert: das Reformversagen selbstherrlicher Eliten, die gar nicht daran denken, begangene Fehler einzugestehen und zu korrigieren.
Vor wenigen Monaten hat der Philologe und Pädagoge Uwe Grund unter dem Titel „Orthographische Regelwerke im Praxistest“ die bisher umfassendste, 240 Seiten dicke Studie über „schulische Rechtschreibleistungen vor und nach der Rechtschreibreform“ vorgelegt – eine Arbeit, die zu veranlassen und sorgsamst auszuwerten dem sogenannten Rat gut angestanden hätte. Allein aus der Zeit vor der Reform hat Grund dafür 15.000 Schülerarbeiten mit einem Fundus von 90.000 Fehlern aus einem Gesamtaufkommen von drei Millionen Wörtern untersucht, und zwar sowohl aus der Bundesrepublik als auch der DDR. Dieses Datenmaterial konfrontierte der Autor mit Vergleichsdiktaten von Schülern aller Schulformen der Jahre nach der Reform.
Schlechter geht es nicht
Obwohl diese unglaubliche Fleißarbeit eines Wissenschaftlers in den Berichtszeitraum des „Rates“ fällt, würdigt sie dieser mit keinem Sterbenswort. Das hat einen leicht durchschaubaren Grund. Die Studie zeigt nämlich nichts anderes als die Unfähigkeit des Rates, den ihm erteilten Auftrag zur „Beobachtung des Schreibgebrauchs und der Analyse von Veränderungen und Schwankungen in der Schreibung“ wahrzunehmen. Wie der Philologe nachweist, ist die Fehlerquote in Diktaten nach der Reform um 30 bis 50 Prozent gestiegen. Einer weitverbreiteten Meinung entgegen hat dabei auch und gerade die neue ss-/ß-Schreibung zu einer „erhöhten Fehlergefährdung“ selbst bei oberen Klassenstufen geführt. Von alldem hat der „Rat“ als Wächter der deutschen Rechtschreibung nichts bemerkt. Die Reform als das zu bezeichnen, was sie ist: ein Scherbenhaufen, kommt ihm nicht in den Sinn.
Man sollte ihm raten, weiterer Ratschläge zu entraten und es seinem Oberrat Zehetmeir nachzutun, der am Ende einer ratlosen Beratungstätigkeit zum Jahresende seinen Hut nimmt. Schlechter kann eine Amtszeit sich kaum entwickeln.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 12.12.2015 um 07.24
Schneller abschieben? Wir schaffen das!
... Selfies der Kanzlerin mit syrischen Flüchtlingen gingen um die Welt; Fotos von abgeschobenen illegalen Zuwanderern – es werden eben keine "Flüchtlinge" abgeschoben – werden auch ihre Wirkung tun. Sie könnten auch Demagogen das Wasser abgraben, die mit absurden Verschwörungstheorien von einer geplanten "Umvolkung" des Landes den Mob gegen die Demokratie mobilisieren wollen.
welt.de 11.12.2015
Auch Alan Posener ist ein Demagoge. Gewiß gibt es in der Bundesregierung keinen „Plan“ einer „Umvolkung“. Absurd ist die Feststellung dennoch nicht, daß kapitalistische wie linkssozialistische Kreise eine solche herbeiwünschen und nach Kräften fördern – die einen aus Profiterwägungen, die anderen aus Ideologie. Indem Posener von „Verschwörungstheorien“ spricht, stellt er diese Tatsache als Hirngespinst rechter Spinner dar.
Dabei geht es aber doch um das öffentlich sichtbare Wirken verschworener, indoktrinierter Teile des Volkes. Demonstrativ vorgeführte Antifa-Parolen wie „We love Volkstod“ und „Deutschland, du mieses Stück Scheisse!“ sind der beste Beweis dafür. Die Vorsitzende der staatlich geförderten Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, sehnt in rassistischem Eifer eine „Umvolkung“ geradezu herbei:
„Im Osten gibt es gemessen an der Bevölkerung noch immer zu wenig Menschen, die sichtbar Minderheiten angehören, die zum Beispiel schwarz sind“... Es sei „die größte Bankrotterklärung der deutschen Politik nach der Wende“ gewesen, dass sie zugelassen habe, „dass ein Drittel des Staatsgebiets weiß blieb“ (Tagesspiegel).
Die von Posener beschworene „Demokratie“ ist nichts anderes als die jeweils vierjährige Merkel-Diktatur, während der die Kanzlerin die linke Opposition entmachtet, indem sie deren Wünsche übererfüllt. Echte Volksvertreter sucht man im Parlament vergebens, wie das Volk schon längst hätte bemerken müssen.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 02.07.2015 um 06.10
Rabe fordert bessere Rechtschreibung
Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) fordert einen klaren Rechtschreibunterricht in der Grundschule mit "Mut zur Korrektur". Ein Schreiben nach Gehör ohne Korrektur trage dazu bei, dass sich Fehler verfestigten, warnte Rabe in einem Gastbeitrag für die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" am Sonnabend. "Heute haben wir an Schulen ein viel freundlicheres Lernklima und hervorragend ausgebildete, pädagogisch geschulte Grundschullehrer, die mit der Korrektur falsch geschriebener Wörter sicher keine Kinderseele verletzen." Umgekehrt würden Kinder schlicht beschummelt, wenn man sie in dem Glauben lasse, alles sei gut, schreibt Rabe. Der Bildungssenator kritisiert insbesondere die Reichen-Methode. Der Reformpädagoge Jürgen Reichen (1939-2009) habe in den 1970er Jahren das "Lesen durch Schreiben" erfunden, nach der die Kinder nach Gehör "drauf los" schreiben sollten. "Korrigiert wird erst mal nicht. Denn – so die Theorie – das frustriert und hemmt die Kreativität." Doch die vielerorts beliebte Methode sei zumindest anfällig für Fehler und Missverständnisse. Eltern beschwerten sich zu Recht, wenn Schule die Rechtschreibung auf die leichte Schulter nehme, so Rabe. Studien belegten eine deutliche Verschlechterung.
welt.de 29.6.2015
Vor 20 Jahren haben die regierenden Versagerparteien mit der Rechtschreib„reform“ Deutschlands größte Büchervernichtung herbeigeführt, vor allem in der Schul- und Jugendliteratur. Der Verlust von Tradition und Kontinuität bewirkte das Gegenteil der angestrebten „Erleichterungen“. Nun dulden die Kultusminister die antipädagogische Reichen-Methode, um ihr das Rechtschreibchaos anzulasten und zugleich das eigene Volkserpressungswerk „Rechtschreibreform“ beschweigen zu können. Von „Korrektur“ ist keine Rede mehr.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.03.2015 um 09.56
Aus einem Text von Hannes Stein in der Welt v. 15.2.2015:
AutoCorrect, du fieser Geselle!
Die Menschheit verzweifelt an der Terrorherrschaft des Rechtschreibprogramms. Es muss ein Aufstand der Anständigen her, eine Rebellion gegen dieses Programm. Es ist von Zynikern für Idioten erfunden.
[...]
Erinnert sich noch jemand an die Empörung gegen die "neue Rechtschreibung" (die mittlerweile schon eine ziemlich alte Rechtschreibung ist)?
Der "Spiegel" sprach seinerzeit von einem "Aufstand gegen den Unverstand" und barmte, die Rechtschreibreform habe zu einer so chaotischen Lage geführt, "als hätte ein antikes Trio infernale, bestehend aus den anstrengenden Herren Sisyphos, Drakon und Prokrustes die Vormundschaft über die deutsche Sprache ... übernommen".
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" wiederum fand ganz furchtbar, dass sich mit der Reform "ein neuer Pluralismus ausbreitet", weil jeder sich aus den Regeln eben seine eigene Rechtschreibung zusammenzimmert (als ob das etwas Schlimmes wäre!). Der Dichter Reiner Kunze widmete dem Thema sogar ein ganzes Büchlein, "Die Aura der Wörter".
Dort hieß es: "Wer das Niveau der geschriebenen Sprache senkt, senkt das Niveau der Schreibenden, Lesenden und Sprechenden." Kunze insinuierte, es handle sich bei der Rechtschreibreform um ein totalitäres Experiment – er werde damit zum zweiten Mal aus Deutschland ausgebürgert. Kurz und furchtbar, im Jahr der Rechtschreibreform – 1996 – ging das Abendland wieder einmal unter, endgültig und für immer, ohne dass jemand groß etwas davon bemerkt hätte.
Bitte: Wo bleibt der Aufstand der Dichter und Denker jetzt? Wann vernimmt man einen Aufschrei? Wann sieht man eine neue, eine andere Pegida-Bewegung gegen AutoCorrect auf die Straße gehen? Bei der Rechtschreibreform konnte man sich am Ende immerhin aussuchen, wie_viel davon man mitmachen wollte.
welt.de 14.2.2015
Nein, AutoCorrect hat entscheidend zur Durchsetzung der Rechtschreib„reform“ beigetragen. Die kennzeichnenden neuen „ss“ werden immer sicher in alle Texte hineingeprokelt. Bei manchen Programmen kann man das gar nicht abstellen.
Übrigens: Den „Untergang des Abendlandes“ haben die Reformpropagandisten erfunden, um Widerständler damit zu denunzieren.
eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.10.2014 um 10.21
Die Welt, 7. Okt. 2014, 12:16
Der große Schriftsteller Siegfried Lenz ist tot
Er war einer der großen Chronisten der Nachkriegszeit: Siegfried Lenz, Schöpfer von Bestsellern wie "Deutschstunde" und "Heimatmuseum", ist tot. Das bestätigte der Verlag Hoffmann & Campe der "Welt".
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Foto: pa/dpa
Siegried Lenz (1926 bis 2014)
"Als Schriftsteller habe ich erfahren, wie wenig Literatur vermag, wie dürftig und unkalkulierbar ihre Wirkung war und immer noch ist", erklärte Siegfried Lenz 1988, als man ihm den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verlieh. Wie immer war Siegfried Lenz – und das war er privat wie öffentlich, in seinem Schreiben und in seinem Dasein – leise gewesen und allzu bescheiden. Denn Siegfried Lenz, der mehr als 60 Jahre lang schriftstellerisch tätig war, dessen Werk mehr als 10.000 Seiten umfasst, der Romane, Erzählungen, Hörspiele und Theaterstücke geschrieben hat, der weltweit knapp 30 Millionen Bücher verkaufte, hat durchaus gewirkt.
Der 1926 in Ostpreußen geborene Lenz war ein anerkannter, gefeierter und berühmter Schriftsteller. Darüber hinaus war er, so sein Freund, der Kritiker Marcel Reich-Ranicki, "höchst beliebt und vielleicht auch geliebt". Als Gründe dafür führte Reich-Ranicki die elementare Lebensbejahung von Lenz an, dessen Herzlichkeit und warme Menschenfreundlichkeit. Lenz hat seinerseits dem Kritiker eine Erzählung gewidmet, in der er Reich-Ranicki als den "Großen Zackenbarsch" bezeichnet, jenen Fisch, der im Aquarium das Leben (oder besser dessen Abbild, die Literatur) reguliert, sich durch keinen Köder verführen lässt, viel Appetit hat, aber seine Beute nicht wahllos verschlingt. Auch dies, eine eher liebevolle als vergiftete Huldigung, die Autoren und Kritiker gewöhnlich meist verbindet.
Der Volksschriftsteller
"Ich wurde am 17. März 1926 in Lyck geboren, einer Kleinstadt zwischen zwei Seen, von der die Lycker behaupteten, sie sei die "Perle Masurens". Die Gesellschaft, die sich an dieser Perle erfreute, bestand aus Arbeitern, Handwerkern, kleinen Geschäftsleuten Fischern, geschickten Besenbindern und geduldigen Beamten" schrieb Lenz in seiner "Autobiografischen Skizze". Aus genau solchen Menschen setzt sich das Lenz'sche Werk zusammen. Genau das macht Lenz zum Volksschriftsteller.
Fischer wollte Lenz ursprünglich werden. Oder Spion. Jedenfalls wollte er einen Beruf ergreifen, in dem nicht viel gesprochen wird. "Ich wüsste nicht, was ich lieber täte als Schreiben", erklärt Lenz an anderer Stelle seiner "Autobiografischen Skizze". "Doch was ich ebenso gern tue, das ist Fischen – eine Tätigkeit, bei der es nicht auf die Beute ankommt, sondern auf das Gefühl der Erwartung".
Volontär bei der "Welt"
Siegfried Lenz wurde 1943, nach dem Notabitur in den Weltkrieg geschickt, zur Kriegsmarine. Kurz vor Kriegsende desertierte er in Dänemark, kam 1945 in britische Gefangenschaft und landete später in Hamburg. Hier und in Dänemark hatte er zeitlebens seine Wohnsitze. Er begann Philosophie, Anglistik und Literatur zu studieren, wurde Volontär bei der "Welt" und schrieb 1949 seine erste Kurzgeschichte "Die Nacht im Hotel", eine Vater/Sohn-Geschichte, die wie so viele Werke von Lenz, in einer Männerwelt spielt.
1951 veröffentlichte er seinen ersten Roman "Es waren Habichte in der Luft". Bereits hier schlug Lenz mit der Erfahrung totalitärer Herrschaft eines seiner wichtigsten Themen an und bekannte seine Solidarität mit den Macht- und Sprachlosen. Seine Kriegserfahrungen, die Erinnerungen an eine Jugend in einer Diktatur, ließen ihn in seinen Romanen, die sich um politische Themen der deutschen Vergangenheit drehten, sozialkritische Perspektiven entwickeln, die immer wieder von existenziellen, auch pessimistischen Motiven gebrochen wurden.
Seit 1951 lebte Lenz als freier Schriftsteller. Das bedeutete für ihn, mehrere Stunden am Vormittag und mehrere Stunden am Nachmittag diszipliniert zu schreiben.
Klug, leise, humorvoll
"Man schreibt eigentlich nur von sich selbst" hat Siegfried Lenz einmal gesagt. Und so konnten wir durch Lenz' Werke einen Blick auf den klugen, leisen und humorvollen Schriftsteller erhaschen und erkennen, dass Siegfried Lenz ein nachdenklicher, bescheidener, gerechtigkeitsliebender Mensch war. Ein Mann, dem Geschichten oft dazu dienten, Geschichte lebendig werden zu lassen.
In seinen berühmten Romanen "So zärtlich war Suleyken" (1955) und "Heimatmuseum" (1978) ließ Lenz seine Jugend in Masuren wieder aufleben, zeigte sich aber auch als Meister der humoresken Kleinform. Hier werden Menschen in Masuren, Traditionen und Lebensweisen in Schelmenstücken, Märchen und Anekdoten unterhaltsam beschrieben, heraus kommt eine Mischung aus Münchhausiaden und Eulenspiegeleien.
Ostpreußen erscheint hier als Landschaft voller Käuze und Originale, die Lenz als "zwinkernde Liebeserklärung an mein Land" ausgab. Und dennoch hat Lenz einmal bekannt: "Heimat bedeutet mir nicht so viel, als dass ich um jeden Preis zurück gehen möchte." Lenz fühlte sich durch und durch wohl in seiner Wahlheimat Hamburg.
"Suleyken" wurde für das Fernsehen verfilmt, ebenso wie "Der Geist der Mirabelle" (1975). Zu den anekdotischen Erzählungen von seiner Heimat zählt auch "So war das mit dem Zirkus", ein Stück, das 1971 entstand. 1961 hatte Siegfried Lenz sein erstes Drama geschrieben, "Zeit der Schuldlosen", das sich mit der deutschen Vergangenheit auseinandersetzte und das am Deutschen Schauspielhaus von Gustaf Gründgens uraufgeführt wurde.
Kein Beschöniger, kein Fantast
Wer anfing Lenz zu lesen, konnte sich schnell von dessen Geschichten fesseln lassen, von seinen zweifelnden, aufrechten Helden, den glasklaren Beobachtungen, der ökonomischen Erzählstruktur und der konzentrierten Handlung, die Gefühle weitgehend ausspart. Lenz war kein Schmeichler, kein Beschöniger, kein Fantast. Ihn beschäftigten einfache Menschen. Über sie erzählte er einfache Geschichten. Wer ihm eine Neigung zum Betulichen unterstellte, einen Rückzug in vergangene Welten, der hatte die Kraft nicht erfasst, die in ungezuckerten, direkten Sätzen liegt. Lenz' Erzählungen und Romane sind wie japanische Möbel. Sie sind schlicht und schön und beinahe perfekt.
Siegfried Lenz, dessen Prosa sich bewusst an die Tradition der deutschen Novelle anlehnte, an die englische Kurzgeschichte und die russische Erzählung, fesselte in den meisten seiner Werke durch seine Anteilnahme am menschlichen Schicksal. Von Verfolgung, Freundschaft und Verrat erzählt Lenz. Seine Helden sind oft norddeutsche Kleinbürger, "normale Leute", Menschen mit Moral, die gegen Niederlagen ankämpfen, meist wortkarg, zurückhaltend, bodenständig, spröde.
Fast immer sind es Männer, die auch ein "männliches Leben führen, also Fischer, Taucher, Sportler, Bauern, Kapitäne. Sie leben in der Natur. Seine Lieblingsfigut ist wohl der auf sich selbst angewiesene Außenseiter. Die Konflikte, die die Männer ausfechten, scheinen ewig gültig. Da geht es um Auseinandersetzungen von Vater und Sohn, Lehrer und Schüler, Mensch und Natur. Kitsch, Gefühligkeit, opernhafte Dramatik kommen in Lenz' Werk nicht vor. Fast könnte man meinen, Lenz sei wie Hemingway, nur auf deutsch und mit deutschen Charakteren.
"Ich habe über meine Nachbarn geschrieben, habe versucht, ihre Eigenarten zu zeigen", erklärte Lenz gern. Eine seiner ersten großen literarischen Figuren war ein Taucher im Hamburger Hafen. Er ist der "Mann im Strom". Diesen Roman schrieb Siegfried Lenz 1957 und er wurde zwei Mal verfilmt. Er lebt von dem Kontrast zwischen Alt und Jung, Ehrlichkeit und krimineller Energie und der Symbolik, bei der ein Schiffswrack ebenso ausgeweidet und unbrauchbar übrig bleibt wie der alte Mann, der Titelheld. Lenz berührt damit ewig gültige, archaische Themen. Er trifft realistische Details ebenso scharf wie Atmosphäre und Stimmungen. Seine Figuren leben. Für einen Schriftsteller gibt es nichts, was größere Bedeutung hätte.
"Deutschstunde" 2,5 Millionen Mal verkauft
Lenz thematisiert die Vereinsamung des modernen Menschen und die Machtlosigkeit des Einzelnen. Sein berühmtester Roman "Deutschstunde", der sich 2,5 Millionen Mal verkaufte, spielt in einer "Besserungsanstalt" für kriminelle Jugendliche. Dort soll der Bilderdieb Siggi Jepsen einen Aufsatz über die "Freuden der Pflicht" schreiben. Siggi denkt über seine Rolle als Täter und Opfer nach. Und Lenz liefert in diesem Roman, der viele Jahre zur Grundausstattung des Unterrichts gehörte, ein Plädoyer für das Gewissen, die Eigenverantwortung und die kritische Hinterfragung von Autoritäten.
Er verdeutlicht, dass ein Verständnis der Gegenwart erst durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit möglich ist. Ob Lenz seine Personen erzählen oder handeln lässt, nie klagt er sie an. Aber er verteidigt oder verurteilt sie auch nicht. Dem Schriftsteller Siegfried Lenz geht es immer nur darum, die Menschen zu verstehen. Vielleicht, weil er ein Menschenfreund ist. Anders als die beiden anderen deutschen Großschriftsteller, Günter Grass und Martin Walser, die zeitweilig auch den Krawall des Literaturbetriebes brauchten, die gern deutlich und deftig schildern, was Menschen miteinander verhandeln, bleibt Lenz ein Schriftsteller der Andeutung, der Stille, der leisen Töne.
Zwischen 1948 und 2010 hat Siegfried Lenz knapp 180 Erzählungen veröffentlicht, 15 Romane und sieben Theaterstücke.
Einer seiner frühen Erfolge, die Erzählung "So zärtlich war Suleyken", zaubert eine verlorene Welt Ostpreußens herbei. Lenz entfaltete sich hier als großer Fabulierer, als Landschaftsschilderer und Erfinder skurriler Gestalten. Zu seinen bedeutenden Werken zählen auch "Das Feuerschiff" (1960) "Das Vorbild" (1981) "Arnes Nachlass" (1999). Mit 82 Jahren schrieb Siegfried Lenz seine erste Liebesgeschichte. Die Novelle "Schweigeminute" war mit rund 360.000 verkauften Exemplaren der Überraschungserfolg des Jahres 2008.
Niemand, der Lenz kennenlernte, zeigte sich unbeeindruckt von der zugewandten Freundlichkeit des Schriftstellers, der bei jedem Gespräch seine Pfeife am Glühen hielt. Seine langjährigen Freunde, das Ehepaar Loki und Helmut Schmidt oder der israelische Autor Amos Oz, schätzten an Lenz dessen Gradlinigkeit. Oz befand: "Siegfried Lenz beurteilt seine Charaktere nicht. Er beschreibt zwar ihre Schwächen, aber ohne auf sie herabzublicken. Er behandelt sie mit einem Feingefühl, das man in der Weltliteratur nur selten findet."
Siegfried Lenz wurde 88 Jahre alt. Zuletzt hatte er in diesem Verlag gemeinsam mit Altkanzler Helmut Schmidt (95) das Gesprächsbuch "Schmidt – Lenz. Geschichte einer Freundschaft" herausgebracht.
Lenz hatte im Juni dieses Jahres in Hamburg die gemeinnützige Siegfried-Lenz-Stiftung ins Leben gerufen, die sein Werk wissenschaftlich aufarbeiten soll. Das persönliche Archiv des Schriftstellers soll an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach gehen.
DW
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Tja, die Rechtschreibreform wird in Siegfried Lenz’ Zusammenhang schon totgeschwiegen …
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.10.2014 um 15.51
Geflügelte Jahresendfigur
Von Matthias Heine
Feuilletonredakteur
Die DDR hatte einen eigenen Wortschatz. Manche Begriffe verraten immer noch die Herkunft des Sprechers. Anderes ist schon wieder untergegangen ...
Das Deutsch, das in der DDR gesprochen wurde, überlebt nicht nur in den Anspielungen einer Werbesprache, die die vage Ostalgie einer älteren Zielgruppe anspricht. Gerade in Berlin, wo mittlerweile Ossis und Wessis äußerlich kaum noch zu unterscheiden sind, können einzelne Wörter die Herkunft verraten. Davon gibt es jenseits der immer wieder zitierten Gegensätze von Broiler und Hähnchen, Plaste und Plastik noch viele, die den Sprechern häufig selbst nicht bewusst sind. Der Ossi nennt den Supermarkt eher Kaufhalle und die Region eher Territorium, für ihn ist das Metallgefäß voller Bier eine Büchse und keine Dose, und seine kleinen Kinder spielen in der Buddelkiste oder Sandkiste – nicht im Sandkasten.
Ist dies nun alles ein Indiz dafür, dass es ein eigenes DDR-Deutsch gegeben hat, so wie es in Wortschatz und Orthografie abweichende Varianten der deutschen Sprache in Österreich und der Schweiz gibt? Dann hätte Walter Ulbricht recht gehabt, als er 1970 vor dem 13. ZK-Plenum der SED verkündete: "Sogar die einstige Gemeinsamkeit der Sprache ist in Auflösung begriffen." ...
In der Bundesrepublik hat Ulbrichts linguistisches Credo mächtigen Alarm ausgelöst. Nicht umsonst erschien 1973 die erste wissenschaftliche Arbeit zu den sprachlichen Ost-West-Unterschieden – von Manfred W. Hellmann, der bis heute als der größte Experte auf dem Gebiet gilt. Er verglich die offiziöse Zeitungssprache des "Neuen Deutschlands" mit der der "Welt". Bis zum Ende der DDR 1991 wurden dann in der Bundesrepublik sechs(!) Wörterbücher publiziert, die den Wortschatz des Ostens bis in die Alltagssprache hinein beleuchteten...
Es hat aber immer Widerstand gegen Ulbrichts sprach-isolationistisches Dogma gegeben. In der DDR wurden die wissenschaftlichen Zweifel an der "Sprachspaltung" am frühesten und schärfsten von dem Etymologen und Sprachhistoriker Wolfgang Fleischer artikuliert. Seine treuesten Anhänger hatte Ulbricht als Linguist paradoxerweise im Westen, wo sich Feuilletonisten, Satiriker und Leitartikler über vermeintlich Ostzonen-typische Sprachmonster wie die geflügelte Jahresendfigur (angeblich für "Weihnachtsengel") ereiferten, die aber im Alltag tatsächlich niemand gebraucht hat und die in diesem konkreten Falle möglicherweise schon in der DDR eine kabarettistische Erfindung war...
Heute geht die Germanistik davon aus, dass es ein "Altbundesdeutsch" gegeben hat, dessen Sprecher einen Alleinvertretungsanspruch als Erben der Sprachtradition erhoben und deshalb die Abweichungen im DDR-Deutsch als Verfallserscheinungen betrachteten, auch wenn sie ideologisch harmlos waren.
Einiges ist in die deutsche Standardsprache eingegangen, etwa die Wörter Exponat und Fakt...
welt.de 2.10.2014
„Dirigat” habe ich auch zuerst in Ostsendern gehört. Mich erinnerte das immer an „Ejaculat“. –
Die Angst vor der Sprachspaltung hat dann wohl die Gründung der gemeinsamen Reformkommission begünstigt, die nach der Wiedervereinigung glücklich die Spaltung in der Rechtschreibung durchgesetzt hat.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 28.09.2014 um 11.18
Willkommen in der Republik der Legastheniker
Ein Lehrer erzählt vom Schreibverhalten und Rechtschreibmurks seiner Schüler. Aber geht die Welt wirklich unter, nur weil viele Jugendliche das und dass nicht mehr unterscheiden können?
Von Ralph Gehrke
So ziemlich alles, was uns Deutschen wichtig erscheint, ist hierzulande klar geregelt. Logisch, dass wir deshalb in Bezug aufs korrekte Schreiben geradezu akribisch festlegen, was geht und was nicht. Dafür gibt es natürlich Regeln, zusammengefasst und offiziell gemacht von der Duden-Redaktion. ... Allerdings werden sie immer weniger ernst genommen, vor allem von den Jüngeren. Die setzen davon unberührt, eines ums andere, ihre Zeichen in die virtuelle und reale Welt, sei es in sozialen Netzwerken, im privaten Nachrichtenaustausch oder eben in Schulen und Berufsbildungsstätten.
Und so findet sich hier in zunehmender Frequenz, mehr oder weniger lesbar, alles das wieder, was in der Umgangssprache toleriert wird, im Schriftlichen aber als nicht korrekt gilt. Da werden nicht nur Nebensatzstrukturen konsequent übersehen, Kommas, wenn überhaupt, per Zufallsgenerator eingestrichen und treffsicher Präpositionen vertauscht...
Nähmlich schreiben, ohne sich dämlich zu fühlen
Buchstäbliche Fehlerlawinen kann das vermaledeite dass auslösen. Das Monströse daran scheint zu sein, dass das Wörtchen das zu Beginn einer Schullaufbahn zunächst als harmloser Artikel daherkommt und deshalb leicht beherrschbar scheint. Irgendwann jedoch nimmt die Vielfalt seiner Erscheinungsformen aus Schülersicht einschüchternden Charakter an. Demonstrativpronomen könne es jetzt sein oder Relativpronomen, je nach dem, ob es auf etwas hinweist oder einen Attributsatz einleitet.
Zusätzlich müsse es dann noch unterschieden werden von jenem dass, das als Konjunktion fungiere und vor dem immer ein Komma stehe, also fast immer. Ebenso könne aber auch vor das ein Komma stehen, wenn es einen Relativsatz einleite. Zu viel offenbar für die Auffassungstoleranz unseres Nachwuchses.
Solcherart Rechtschreibzickzack, der sich sukzessive im Anspruch steigert, muss Schülern vorkommen wie ein Malefiz-Spiel...
Rechtschreibresistenz bis zum Abitur
... Nicht das möglichst fehlerfreie Schreiben ist hier Lernziel, sondern dass überhaupt geschrieben wird. Wir freuen uns, wenn wir das, was Jannis oder Milena aufs Papier gekritzelt haben, dechiffrieren können. Immer begleitet vom positiven Feedback: Toll, wie die sich schon ausdrücken können, und wir übersehen jetzt mal, dass es mitunter ein bisschen dada ausschaut.
Unfair wäre, mit solchen Eingeständnissen den Eindruck zu erhärten, Schule schlechthin trage die Hauptverantwortung für den permanenten Ärger mit dem Richtigschreiben. Immer noch registrierbar sind die Nachwirkungen der Rechtschreibreformen, und zwar weniger die beabsichtigten als ungleich häufiger solche, die nicht bedacht wurden und schlicht unerwünscht sind...
Den jedoch folgenreichsten orthografischen Schwund erzeugt unsere neue Cyber-Kommunikation mit ihren Kindern, den Digital Natives...
Wie es mit dem Deutschen zu halten ist, wird daher nicht mehr in Mannheim (Dudenredaktion) oder Wiesbaden (Gesellschaft für deutsche Sprache) verwaltet, sondern von Redmond (Microsoft), Cupertino (Apple) und Seoul (Samsung) aus ferngesteuert und mit freundlicher Hilfe von Google, Facebook, Twitter, WhatsApp und Co. nachhaltig erledigt. Im digitalen Universum wird Lesen zum Scannen und das Eintippen latent durch eine leichte Tupf- oder Wischbewegung überflüssig gemacht. Den Rest besorgt der urnaive Glaube an die Autokorrektur. Was da durchgeht, muss richtig sein!
Fehler gelten mehr denn je als unbedingt verzeihliche Flüchtigkeiten, die nicht wirklich wichtig scheinen. Dieser Einstellung ist kein Regelwerk auf Dauer gewachsen. Deshalb erscheint es nur konsequent, die Normen unserer Schriftsprache der Realität des allgemeinen Gebrauchs anzupassen oder, um es schöner klingen zu lassen, zu "liberalisieren".
In einem Sofortprogramm könnten wir uns von der Großschreibung verabschieden, die Kommasetzung freistellen, das anstößige dass aufgeben sowie den Apostroph beim Genitiv als zulässiges Stylingtool deklarieren. Danach sollten wir uns ein bisschen Zeit geben (aber nicht zu lange), um herauszufinden, welchen orthografischen Ballast wir außerdem entsorgen könnten, um ein für die Android-Logik kompatibel verschlanktes Schreiben zu kodifizieren.
Und sonst? Was könnte man noch tun?
Nun, wenn man tatsächlich etwas retten möchte an unserem Schriftvermögen, bleiben eigentlich nur Appelle. Etwa so wie eine Lehrerkollegin, die nicht müde wird, ihren Eleven anzuraten: "Geht ins Museum. Umgebt euch mit Kunst! Lernt! Hört Musik, seht euch Gemälde an, lest Bücher!"
Der Autor ist Lehrer an einer Gesamtschule bei Osnabrück
welt.de 28.9.2014
eingetragen von Sigmar Salzburg am 25.08.2014 um 08.13
Mitten in der afrikanischen Ebola-Katastrophe läßt „Die Welt“ den Ministerialdirektor a.D. Hans Rühle einen Artikel schreiben, so als ob Putin und Rußland dafür verantwortlich wären:
Biologische Kriegsführung
Russland hat Ebola zur Waffe gemacht
Schon [!] zu Sowjetzeiten legte Moskau ein geheimes Biowaffen-Programm auf – entgegen aller weltweiten Absprachen und Verträge. Es gelang, das Ebola-Virus waffenfähig zu machen – und noch gefährlicher...
welt.de 21.8.2014
eingetragen von Sigmar Salzburg am 01.07.2014 um 04.25
In Wahrheit ist Kiezdeutsch rassistisch
Zwei Germanistinnen [Heike Wiese und Diana Marossek] versuchen uns einzureden, Kiezdeutsch sei der Standardsprache gleichrangig und jeder, der auf korrektem Deutsch beharre, sei ein Rassist. Türkische Aufsteiger wissen es besser.
Von Matthias Heine
Die Potsdamer Germanistin Heike Wiese hat Menschen, die Kiezdeutsch für eine defizitäre Sprache halten, als Rassisten bezeichnet. "Kiezdeutsch" ist ein Begriff, den Frau Wiese erfunden hat, um den die deutsche Standardgrammatik ignorierenden Jargon von Migrantenkindern aufzuwerten. Für die Wissenschaftlerin ist diese Sprechweise ein akzeptables Deutsch unter vielen möglichen Varianten. Seitdem die Professorin vor zwei Jahren in einem Buch für die Anerkennung von Kiezdeutsch plädiert hat, wird sie teilweise heftig kritisiert. Jetzt hat sie ihre Fassungslosigkeit darüber zu Protokoll gegeben: "Sprache ist wohl einer der wenigen Bereiche, in dem man noch offen rassistisch sein kann."
Offenbar dämmert es Heike Wiese keine Sekunde, dass der wahre Rassismus darin bestehen könnte, Jugendlichen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund die Fähigkeit abzusprechen, korrektes Standarddeutsch zu lernen
...
welt.de 30.6.2014
Wenn also die Dame, vermutlich Quotenprofessorin, nicht genügend Beifall für ihre politisch korrekte Beihilfe zur Akzeptanz der Abschaffung des Deutschen findet, muß die Rassismuskeule her. Allerdings ist Heines Hoffnung, daß wir Wieses Vision entgehen könnten, wenig realistisch.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 02.01.2014 um 19.29
ß
Ein glückloser Buchstabe sorgt für weiter für Verwirrung
Das "Eszett" ist der unglücklichste Buchstabe im Alphabet: ohne eigenen Platz im Abc, im Ausland beharrlich als "b" gelesen, nicht einmal im Deutschen stimmt sein Name. Denn das ß steht ja gar nicht für den Laut "sz". Es ist ein stimmloses "s" – für diesen Laut sorgen auch die Buchstaben s und ss. Weshalb es 1996, bei der großen Rechtschreibreform, konsequent gewesen wäre, das ß ganz rauszuschmeißen.
Doch mit Konsequenz hatte es diese Reform nicht so – deshalb behielt man das eigentlich überflüssige, nur aus alten Verschriftungstraditionen zu erklärende ß, begrenzte aber seinen Aufgabenbereich: Es kommt nur noch nach langem Vokal sowie nach Diphthong. So einfach, so verwirrend – und so typisch für die gesamte Rechtschreibreform, die bis heute kein Mensch versteht.
Fast 20 Jahre nach der Reform schwanken wir noch wie benommen durch die Orthografie, schreiben mal groß, mal Klein, trennen, was vielleicht zusammen gehört, schicken weiter Gruss und Kuß, wagen uns auf mißliebige Paßstrassen, und ß-Opfer Philipp Missfelder wird stets falsch zitiert. Klare Prognose: Auch 2014 werden wir das ß nicht begreifen. Und niemand wird sich finden, der im Rechtschreibchaos endlich aufräumt. Was bleibt, ist Murkß.
Annette Prosinger
welt.de 31.12.2013
Einspruch! Das ß ist kein unglücklicher Buchstabe, sondern eine Buchstabenverbindung von lang und rund s, (ſs), wie es in der Fraktur ebenso Ligaturen für tz, ſt, ch, ck u.ä. gab. Im Deutschen wurde sie daneben auch in der Antiqua wegen des ähnlichen Schriftbildes, wegen der Ästhetik und der Lesefreundlichkeit beibehalten.
Dies hat sich auch in den zweihundert Jahren bewährt, in denen die Antiqua allmählich gebräuchlicher wurde. Es bestand nicht der geringste Grund, einen Bruch mit der Tradition herbeizuführen. Die Politiker haben hier aus Verblendung und Neuerungssucht versagt. Es ist bezeichnend für das Sechzehnerpack der Kultusminister, daß bisher keiner das Versagen in diesem Punkt zugegeben hat, auch Zehetmair nicht.
eingetragen von Norbert Lindenthal am 25.11.2013 um 13.32
Die Welt 25. Nov. 2013, 14:16 Plebiszit
"Volksabstimmungen begünstigen die Nein-Sager"
Die Schweiz soll kein Vorbild sein – Verteidigungsminister De Maizière (CDU) warnt vor Volksentscheiden: "Rente mit 67 hätte es mit einer Volksabstimmung nie gegeben." Von Jochen Gaugele und Thorsten Jungholt
[Bild vom heiteren de Maizière]
Foto: dpa
Der amtierende Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere (CDU) lehnt bundesweite Volksentscheide ab
Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat davor gewarnt, Volksentscheide auf Bundesebene zu ermöglichen. "Es ist Aufgabe politischer Führung, auch unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen, die man für richtig hält. Die Rente mit 67 hätte es mit einer Volksabstimmung nie gegeben", sagte de Maizière der "Welt".
"Wir müssen sicherstellen, dass wir in unseren Strukturen der Willensbildung diejenigen begünstigen, die Ja sagen und etwas verändern wollen. Volksabstimmungen begünstigen strukturell diejenigen, die Nein sagen."
Mit repräsentativer Demokratie gut gefahren
Deutschland sei mit seiner repräsentativen Demokratie auf Bundesebene gut gefahren, betonte de Maizière. "Das zeigen die grundlegenden Weichenstellungen von der Wiederbewaffnung über die Ostpolitik bis zur Reform der sozialen Sicherungssysteme."
Am Wochenende hatte in der Schweiz ein viel beachteter Volksentscheid über die Begrenzung von Managergehältern stattgefunden. Die Schweizer lehnten es ab, Topgehälter auf das Zwölffache eines einfachen Arbeiterlohns zu begrenzen.
De Maizière teilte mit, dass sich die große Koalition nicht auf mehr direkte Demokratie verständigen werde. "CDU, CSU und SPD haben verabredet, dass wir in dieser Koalitionsvereinbarung keinen Vorstoß zu Volksentscheiden machen".
Vorstoß von Oppermann und Friedrich
Jüngst hatten CSU und SPD die Debatte um Volksentscheide im Rahmen der Koalitionsverhandlungen forciert, waren aber prompt auf Widerstand der CDU gestoßen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und der SPD-Politiker Thomas Oppermann hatten sich als Leiter der Arbeitsgruppe Innen auf einen Formulierungsvorschlag für die große Koalitionsrunde verständigt, der auch Volksentscheide zu wichtigen Entscheidungen in der Europapolitik vorgesehen hätte. Das Volk solle "bei europapolitischen Entscheidungen von besonderer Tragweite" direkt befragt werden, hieß es in dem Papier.
Die CDU wies dies umgehend zurück: "Wir sind gegen solche bundesweite Volksabstimmungen. Wir werden dem Vorschlag nicht zustimmen. Demzufolge wird die nächste Koalition dies auch nicht einführen", hatte daraufhin Unionsfraktionsvize Günter Krings umgehend zu Protokoll gegeben.
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 22.11.2013 um 07.20
Ein Kulturgut
Zu: "Nichts als Pfusch" vom 15. November
Die Rechtschreibreform hat die Rechtschreibprobleme sicherlich verschärft. Das Schreibenlernen nach der Anlauttabelle – also nach Gehör – dürfte aber in viel größerem Maße verantwortlich sein für die Verwirrung, die in den Köpfen vieler Kinder bis in die Sekundarstufe I hinein herrscht. Grundschüler werden daran gehindert, sich von Anfang an eine festgelegte und schnell wiedererkennbare Schreibweise eines Wortes einzuprägen. Die Erleichterungspädagogik kommt überall wie ein Bumerang zurück. Sie verkennt, dass die Schriftsprache ein Kulturgut ist, das man eben nicht von selbst erlernt wie das Laufen, sondern das der Anleitung und Übung bedarf. Die Regeln zum Erwerb dieses Kulturguts massiv zu missachten bedeutet, es letztendlich abzuschaffen – wie jetzt beim Schriftspracherwerb offenkundig wird.
Maria-Anna Schulze Brüning, Hamm
welt.de 22.11.2013
eingetragen von Sigmar Salzburg am 19.11.2013 um 16.33
Stümperhaft
Zu: "Nichts als Pfusch" vom 15. November
Gratulation an Herrn Guratzsch zu dieser ausgezeichneten Analyse! Bisher konnte ich noch keine ähnlich präzise und schonungslose Abrechnung mit der sogenannten Rechtschreibreform lesen. Als (inzwischen pensionierte) Lehrerin habe ich mich von Anfang an gegen das stümperhafte Machwerk gesträubt. Die negativen Auswirkungen waren voraussehbar. Mein Bemühen, vor der offiziellen Einführung mit Kollegen einen örtlichen Protest zu organisieren, scheiterte am vorauseilenden Gehorsam der überwiegend verbeamteten Lehrerschaft. Die "überflüssige und schädliche Kulturrevolution", wie der Autor den Vorgang zutreffend charakterisiert, hätte niemals stattfinden können, wenn sich neben einer Reihe von Schriftstellern und einigen wackeren Kämpfern in Initiativen alle Sprachverantwortlichen intensiver mit der "Reform" beschäftigt und Mut zum Widerstand gezeigt hätten. Das jämmerliche Versagen der damaligen Kultusminister müsste nachträglich geahndet werden.
Christa Wallau, Asbach
welt.de 19.11.2013
Siehe den Essay von Dankwart Guratzsch in der Welt oder hier.
Nachtrag: Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestünde durchaus die Möglichkeit, den verantwortlichen Kultusministern ihre Pensionen zu kürzen, wenn das Verfassungsgericht nur wollte und nicht selber in den Fall verwickelt wäre.
eingetragen von Norbert Lindenthal am 15.11.2013 um 11.18
Meinung 14.11.2013 Orthografie
Deutsche Rechtschreibung? Ein Trümmerhaufen
Die Reform ist krachend gescheitert: Nur jeder fünfte Schüler beherrscht die Regeln der Rechtschreibung. 17 Jahre nach Einführung des Pfuschwerkes ist es höchste Zeit, dem Wirrwarr ein Ende zu setzen.
Von Dankwart Guratzsch
[Bild Shciffahrt]
Foto: picture alliance / AP Photo
Völlig verkorkst: Die Rechtschreibreform hat nichts erleichtert, sondern nur dazu geführt, dass sich Schüler noch schwerer tun, die Schreibregeln zu erlernen
Rechtschreibung
Siebzehn Jahre nach der Rechtschreibreform bietet sich an den Schulen ein niederschmetterndes Bild. Nur noch jeder fünfte Schüler der neunten Schulstufe in Deutschland beherrscht die deutsche Rechtschreibung. Das hat der "Rat für deutsche Rechtschreibung" herausgefunden und seinem Auftraggeber, der Kultusministerkonferenz, im Oktober bescheinigt.
Dabei war es das erklärte politische Ziel der Reform gewesen, der Sprachgemeinschaft (und den Schülern im Besonderen) das Erlernen, Lesen und Schreiben der deutschen Schriftsprache zu erleichtern. Immer neue staatliche Eingriffe bis hin zur jüngsten Anweisung: "Schreib, wie du es hörst" haben aus der Rechtschreibung Konrad Dudens einen Trümmerhaufen gemacht.
Vor sieben Jahren hat der für die "Weiterentwicklung" der Rechtschreibung eingesetzte "Rat" noch einmal 17 (!) von niemandem verwendete neue Unsinnsschreibungen von Fremdwörtern zurückgenommen. Das war das Letzte, was man von ihm gehört hat.
Jetzt haben die Kultusminister die Quittung: Der einzige über den engeren Kreis hinaus bekannte kritische "Kopf" dieses Gremiums, der Linguist Peter Eisenmann, schmeißt hin. Für den Versuch, die Rechtschreibreform doch noch irgendwie zu retten, ist das ein Desaster. Denn wer soll an seine Stelle treten?
Generalinventur, aber bitte schnell!
Die Zeit ist reif für eine Generalinventur. Allerdings braucht man dafür den Mut zu einer Revision von Grund auf. Die Schönredner aus dem "Rat", die nichts offenlegen, nichts kritikwürdig finden, nichts Konstruktives zu einer Lösung beizusteuern vermögen, sind dafür kein Ansprechpartner mehr. Es gehört zu den dümmsten Argumenten in der Rechtschreibdebatte, die Orthografie einfachheitshalber gleich pauschal für unwichtig zu erklären. Das mag sie für die wirklich Intellektuellen tatsächlich sein. Für die breite Masse der Schreibenden ist sie es offensichtlich nicht. Da braucht man nur einmal die Internetforen, Blogs und Partnerbörsen durchzuscrollen, um immer wieder auf die Forderung von Briefschreibern zu stoßen: "Aber bitte nur Antworten in korrekter Rechtschreibung."
Orthografie für marginal zu erklären, nur weil die Rechtschreibreform nicht funktioniert, ist nichts als eine Verlegenheitsfloskel. Kommunikative Kompetenz wird in der Gesellschaft unverändert an der Beherrschung von Grundregeln gemessen. Aber die Regeln für das Schreiben, wie sie der geniale Konrad Duden aus dem Schreibgebrauch der deutschen Stämme und Regionen kompiliert hat und wie sie die Buchdrucker des Kaiserreichs rektifiziert haben, sie haben für weite Teile der Bevölkerung ihre Verlässlichkeit verloren.
Verlage, Medien, Wörterbücher, selbst einzelne Schriftsteller schreiben nach eigenem Gusto. In der Lehrerschaft hat das Pfuschwerk Resignation, Unlust und Gleichgültigkeit ausgelöst. Das ist die Mitgift, mit der die Schule heute die Schüler ausstattet.
Ein Sonderfall konspirativer Erpressung
Dabei ist allein der Eindruck irrig, dass die Reform aus einem echten gesellschaftlichen Bedürfnis erwachsen sei und die Fachwissenschaft geschlossen hinter ihr stehe. In Wahrheit war sie das Anliegen einer kleinen Gruppe von Linguisten um den Siegener Germanisten Gerhard Augst, die im "elaborierten Code" der geltenden Rechtschreibung ein Instrument zur "Unterdrückung" breiter Volksschichten sahen und die Sprachgemeinschaft aus solcher Regelknechtschaft "befreien" wollten.
Das Gegenteil wurde erreicht: Der Prozentsatz derjenigen, die sich in der Orthografie gewandt zu bewegen vermögen, ist infolge der Reform dramatisch gesunken, die Stigmatisierung derer, die ob ihrer Herkunft aus bildungsfernen Schichten über diese Fertigkeit nicht verfügen, hat zugenommen. Diese Beschädigung der Zugangswege zur Bildung ging einher mit der Beschädigung demokratischer Spielregeln, war doch die vermeintliche "Reform" nur unter Missachtung rechtsgültiger Bürgerentscheide durchzusetzen.
Wie aber konnte es einer Handvoll linguistischer Wissenschaftler gelingen, einer sich nach Kräften sträubenden Schreibgemeinschaft von hundert Millionen Mitteleuropäern widersprüchliche, am Schreibtisch ausgedachte Schreibweisen aufzuzwingen? Das ist nur möglich gewesen, weil es hinter den Kulissen zu einem bis heute nicht aufgearbeiteten Komplott zwischen westdeutschen und DDR-Linguisten kam. So war es allen anderen Argumenten voran die penetrant vorgetragene Drohung der Gruppe um Augst, die DDR werde ihre eigene Reform machen, wenn der Westen nicht vorangehe, die die bundesdeutschen Kultusminister kirre machte. Es war ein Sonderfall konspirativer Erpressung.
Die Bereitschaft der "West"-Politiker, die alte Rechtschreibung umzustoßen, wurde von der durch die Wissenschaftler geschürten Sorge diktiert, der zweite deutsche Staat könnte nach der politischen auch die kulturelle Einheit der Deutschen aufkündigen. Dass der Geleitzug wegen der österreichischen, schweizerischen, liechtensteinischen, belgischen, luxemburgischen und Südtiroler Mitfahrer dann nicht mehr zu stoppen war, als über Nacht die Wiedervereinigung kam, gehört zu den historischen Ironien dieser überflüssigen und schädlichen Kulturrevolution.
Die Zahl der Rechtschreibfehler hat sich verdoppelt
Was aber vor zwanzig Jahren gegolten hat, kann heute keine Entschuldigung mehr sein. Seit 1996 haben zuerst die Mitglieder der Kommission, dann des Rats ihren Auftrag missachtet, den deutschen "Schrift-Usus" (also den mehrheitlichen Rechtschreibgebrauch) der Deutschen zu ermitteln und die "amtliche" Rechtschreibung daran anzupassen.
Diese Arbeit hat das Gremium vom ersten Tag seines Bestehens an großzügig den Wörterbuchverlagen und dem Institut für deutsche Sprache in Mannheim überlassen, die aber jeder zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen und Auslegungen kommen.
Die ebenfalls nicht vom "Rat" selbst, sondern durch unabhängige Untersuchungen auf der Basis von Millionen Daten gewonnene Erkenntnis, dass sich die Zahl der Rechtschreibfehler in Schüleraufsätzen und -diktaten nach der Reform verdoppelt hat, ist dem Rechtschreibkonsortium keine Beachtung wert.
Es war die Politik, die die Suppe eingebrockt hat. Es ist endgültig an ihr, die Konsequenzen zu ziehen. Der ratlose "Rat" hat keine Daseinsberechtigung mehr. Die Rechtschreibreform muss endlich durch ein unabhängiges, mit Gegnern und Befürwortern zumindest paritätisch besetztes Gremium auf den Prüfstand gestellt werden. Das Ziel ist klar: eine neue internationale Rechtschreibkonferenz, die dem unerträglichen Wirrwarr ein Ende setzt.
© Axel Springer AG 2013. Alle Rechte vorbehalten
eingetragen von Norbert Lindenthal am 15.11.2013 um 09.54
Die Welt 15.11.2013 Essay
Nichts als Pfusch
Die Rechtschreibreform ist krachend gescheitert. Die Regeln des Schreibens haben ihre Verlässlichkeit verloren. Es wird höchste Zeit, dem Wirrwarr eine Ende zu setzen
Von Dankwart Guratzsch
Siebzehn Jahre nach der Rechtschreibreform bietet sich an den Schulen ein niederschmetterndes Bild. Nur noch jeder fünfte Schüler der neunten Schulstufe in Deutschland beherrscht die deutsche Rechtschreibung. Das hat der "Rat für deutsche Rechtschreibung" herausgefunden und seinem Auftraggeber, der Kultusministerkonferenz, im Oktober bescheinigt. Dabei war es das erklärte politische Ziel der Reform gewesen, der Sprachgemeinschaft (und den Schülern im Besonderen) das Erlernen, Lesen und Schreiben der deutschen Schriftsprache zu erleichtern. Immer neue staatliche Eingriffe bis hin zur jüngsten Anweisung: "Schreib, wie du es hörst" haben aus der Rechtschreibung Konrad Dudens einen Trümmerhaufen gemacht. Vor sieben Jahren hat der für die "Weiterentwicklung" der Rechtschreibung eingesetzte "Rat" noch einmal 17 (!) von niemandem verwendete neue Unsinnsschreibungen von Fremdwörtern zurückgenommen. Das war das Letzte, was man von ihm gehört hat.
Jetzt haben die Kultusminister die Quittung: Der einzige über den engeren Kreis hinaus bekannte kritische "Kopf" dieses Gremiums, der Linguist Peter Eisenmann, schmeißt hin. Für den Versuch, die Rechtschreibreform doch noch irgendwie zu retten, ist das ein Desaster. Denn wer soll an seine Stelle treten?
Die Zeit ist reif für eine Generalinventur. Allerdings braucht man dafür den Mut zu einer Revision von Grund auf. Die Schönredner aus dem "Rat", die nichts offenlegen, nichts kritikwürdig finden, nichts Konstruktives zu einer Lösung beizusteuern vermögen, sind dafür kein Ansprechpartner mehr. Es gehört zu den dümmsten Argumenten in der Rechtschreibdebatte, die Orthografie einfachheitshalber gleich pauschal für unwichtig zu erklären. Das mag sie für die wirklich Intellektuellen tatsächlich sein. Für die breite Masse der Schreibenden ist sie es offensichtlich nicht. Da braucht man nur einmal die Internetforen, Blogs und Partnerbörsen durchzuscrollen, um immer wieder auf die Forderung von Briefschreibern zu stoßen: "Aber bitte nur Antworten in korrekter Rechtschreibung."
Orthografie für marginal zu erklären, nur weil die Rechtschreibreform nicht funktioniert, ist nichts als eine Verlegenheitsfloskel. Kommunikative Kompetenz wird in der Gesellschaft unverändert an der Beherrschung von Grundregeln gemessen. Aber die Regeln für das Schreiben, wie sie der geniale Konrad Duden aus dem Schreibgebrauch der deutschen Stämme und Regionen kompiliert hat und wie sie die Buchdrucker des Kaiserreichs rektifiziert haben, sie haben für weite Teile der Bevölkerung ihre Verlässlichkeit verloren. Verlage, Medien, Wörterbücher, selbst einzelne Schriftsteller schreiben nach eigenem Gusto. In der Lehrerschaft hat das Pfuschwerk Resignation, Unlust und Gleichgültigkeit ausgelöst. Das ist die Mitgift, mit der die Schule heute die Schüler ausstattet.
Dabei ist allein der Eindruck irrig, dass die Reform aus einem echten gesellschaftlichen Bedürfnis erwachsen sei und die Fachwissenschaft geschlossen hinter ihr stehe. In Wahrheit war sie das Anliegen einer kleinen Gruppe von Linguisten um den Siegener Germanisten Gerhard Augst, die im "elaborierten Code" der geltenden Rechtschreibung ein Instrument zur "Unterdrückung" breiter Volksschichten sahen und die Sprachgemeinschaft aus solcher Regelknechtschaft "befreien" wollten. Das Gegenteil wurde erreicht: Der Prozentsatz derjenigen, die sich in der Orthografie gewandt zu bewegen vermögen, ist infolge der Reform dramatisch gesunken, die Stigmatisierung derer, die ob ihrer Herkunft aus bildungsfernen Schichten über diese Fertigkeit nicht verfügen, hat zugenommen. Diese Beschädigung der Zugangswege zur Bildung ging einher mit der Beschädigung demokratischer Spielregeln, war doch die vermeintliche "Reform" nur unter Missachtung rechtsgültiger Bürgerentscheide durchzusetzen.
Wie aber konnte es einer Handvoll linguistischer Wissenschaftler gelingen, einer sich nach Kräften sträubenden Schreibgemeinschaft von hundert Millionen Mitteleuropäern widersprüchliche, am Schreibtisch ausgedachte Schreibweisen aufzuzwingen? Das ist nur möglich gewesen, weil es hinter den Kulissen zu einem bis heute nicht aufgearbeiteten Komplott zwischen westdeutschen und DDR-Linguisten kam. So war es allen anderen Argumenten voran die penetrant vorgetragene Drohung der Gruppe um Augst, die DDR werde ihre eigene Reform machen, wenn der Westen nicht vorangehe, die die bundesdeutschen Kultusminister kirre machte. Es war ein Sonderfall konspirativer Erpressung. Die Bereitschaft der "West"-Politiker, die alte Rechtschreibung umzustoßen, wurde von der durch die Wissenschaftler geschürten Sorge diktiert, der zweite deutsche Staat könnte nach der politischen auch die kulturelle Einheit der Deutschen aufkündigen. Dass der Geleitzug wegen der österreichischen, schweizerischen, liechtensteinischen, belgischen, luxemburgischen und Südtiroler Mitfahrer dann nicht mehr zu stoppen war, als über Nacht die Wiedervereinigung kam, gehört zu den historischen Ironien dieser überflüssigen und schädlichen Kulturrevolution.
Was aber vor zwanzig Jahren gegolten hat, kann heute keine Entschuldigung mehr sein. Seit 1996 haben zuerst die Mitglieder der Kommission, dann des Rats ihren Auftrag missachtet, den deutschen "Schrift-Usus" (also den mehrheitlichen Rechtschreibgebrauch) der Deutschen zu ermitteln und die "amtliche" Rechtschreibung daran anzupassen. Diese Arbeit hat das Gremium vom ersten Tag seines Bestehens an großzügig den Wörterbuchverlagen und dem Institut für deutsche Sprache in Mannheim überlassen, die aber jeder zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen und Auslegungen kommen. Die ebenfalls nicht vom "Rat" selbst, sondern durch unabhängige Untersuchungen auf der Basis von Millionen Daten gewonnene Erkenntnis, dass sich die Zahl der Rechtschreibfehler in Schüleraufsätzen und -diktaten nach der Reform verdoppelt hat, ist dem Rechtschreibkonsortium keine Beachtung wert.
Es war die Politik, die die Suppe eingebrockt hat. Es ist endgültig an ihr, die Konsequenzen zu ziehen. Der ratlose "Rat" hat keine Daseinsberechtigung mehr. Die Rechtschreibreform muss endlich durch ein unabhängiges, mit Gegnern und Befürwortern zumindest paritätisch besetztes Gremium auf den Prüfstand gestellt werden. Das Ziel ist klar: eine neue internationale Rechtschreibkonferenz, die dem unerträglichen Wirrwarr ein Ende setzt.
© Axel Springer AG 2013. Alle Rechte vorbehalten
eingetragen von Sigmar Salzburg am 26.09.2013 um 13.09
... einen ausführlichen Artikel über ...
Das schwierigste Wort der deutschen Sprache
Es gibt Wörter, die schreibt fast jeder falsch – gerade weil sie uns so vertraut vorkommen. Das Wort, das die Deutschen am häufigsten verhunzen, ist norddeutsch, kommt aber aus dem Spanischen.
... die Krone gebührt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dem Wort tschüs. Es wird in der Mehrzahl der Fälle falsch geschrieben – mit zwei S. 489.000 Google-Belegen für die korrekte Schreibweise stehen 917.000 für die falsche gegenüber.
Zwar lässt der Duden das Wort seit 1996 mit zwei S zu (so wie er auch grabschen mittlerweile als Variante erlaubt – mein Computer unterkringelt es aber noch, der Gute!), aber das ist nur die Deppenschreibweise. Empfohlen wird von der Duden-Redaktion nach wie vor die Schreibung mit einem S. Die Rechtschreibreform war in diesem Falle nur eine Kapitulation. Tschüs wurde schon lange vorher von den größten Besserschreibe[r]n und Orthografie-Pharisäern meistens falsch geschrieben.
... Im Norden weiß man bis heute noch eher, wie man tschüs schreibt: Als Heidi Kabel 2010 starb, widmete ihr das "Hamburger Abendblatt" die Schlagzeile "Tschüs, Heidi" und der verantwortlich[e] Redakteur [Schmachthagen?] erwies sich damit als sattelfester im Niederdeutschen als die Schauspielerin des für Mundartpflege zuständigen Ohnsorg-Theaters, die ihre Memoiren "In Hamburg sagt man Tschüss" betitelt hatte...
welt.de 21.9.2013
Matthias Heine vergißt zu erwähnen, daß andere Wörter, ebenfalls ausländischer Herkunft, selten („Tolpatsch“) oder nie („As“) falsch geschrieben wurden und daß es dennoch die Reformisten für nötig befanden, eine Falschschreibung für „richtig“ zu erklären, damit es die Kultusministerdarsteller in die Schulen pressen...
eingetragen von Sigmar Salzburg am 23.08.2013 um 12.45
Das höfliche "Sie"
Zu: "Gesellschaft ohne Peilung" vom 17. August
Der Artikel von Herrn Krauel greift hier sehr amüsant, aber im Kern doch sehr ernsthaft das Dilemma mit unserer "neuen" Rechtschreibung auf. Wie er treffend darstellt, ergeben sich nicht nur grammatikalische Probleme und Missverständnisse, sondern die dahinterliegenden Inhalte sind oft nicht eindeutig. Mich wundert und ärgert es schon lange, dass die Gegenstimmen zur Rechtschreibreform nicht mehr zu hören sind. Irgendwie ist wohl alles egal, nicht wichtig und abgehakt …
Ich war damals selbst aktiv in die Einführung der neuen Rechtschreibung während meiner Tätigkeit in einem Produktionsbetrieb eingebunden. Mit gemischten Gefühlen einerseits, viel Herumgeeiere im Schriftverkehr und allgemeinem Desinteresse ob des eigentlich doch unwichtigen Themas, das nur mehr Arbeit machte, war sie dann irgendwie eingeführt. [...]
Sabine Butenschön, per E-Mail
welt.de 20.8.013
eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.08.2013 um 10.30
Anscheinend ist es politisch nicht mehr korrekt, die „Rechtschreibreform“ zu erwähnen oder nach ihren Folgen zu fragen:
"Ein bildungspolitischer Skandal"
Bildungsforscher Peter May über die umstrittene "Lesen durch Schreiben"-Methode und die Rechtschreibfähigkeiten Hamburger Schüler ...
... Peter May, promovierter Pädagoge, weiß, wie es tatsächlich um die orthografischen Fähigkeiten der Schüler bestellt ist. Der 64-jährige wissenschaftliche Direktor am Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) ist Autor der Hamburger Schreibprobe (HSP), des meisteingesetzten Testinstruments zur Überprüfung der Rechtschreibung an Schulen bundesweit...
Welt am Sonntag:
Was weiß man denn über die Rechtschreibfähigkeiten von Hamburger Kindern?
Peter May:
Die Rechtschreibung wurde in 90er-Jahren im "Projekt Lesen und Schreiben für alle" (PLUS) flächendeckend getestet und später in den KESS- und IGLU-Studien. Daher wissen wir, dass die Leistungen der Schüler im Verlauf der vergangenen zehn Jahre in etwa gleich geblieben sind. Da hat sich kaum etwas verändert.
Aber der Befund war damals sehr negativ.
Das stimmt. 2004 hat sich gezeigt, dass Hamburg bundesweit vor Bremen und geringfügig hinter Berlin an vorletzter Stelle liegt – und deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Das liegt an der sozio-kulturellen Zusammensetzung der Bevölkerung in Stadtstaaten, die mit der in Flächenländern nicht zu vergleichen ist.
Wird an Hamburger Schulen zu wenig Wert auf Rechtschreibung gelegt?
Es wurde bis zum Ende der 90er-Jahren nach meiner Auffassung erheblich zu wenig Wert darauf gelegt – im Grunde bis zur ersten PISA-Studie. Jetzt findet dies mehr Beachtung, mit der Folge, dass sich die Leistungen nicht mehr verschlechtern...
welt.de 18.8.2013
Offensichtlich rechnete man mit der bevorstehenden 50- bis 90prozentigen Erleichterungswelle durch die Reform:
Dann aber zog Westerwelle gegen die Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder, die übergreifende Schulfragen regelt, zu Felde. "Wir werden sie entmachten müssen", forderte der FDP-Chef. Die KMK habe "zehn Jahre lang 100 Beamte" mit der Rechtschreibreform beschäftigt, aber die in der Pisa-Studie offen gelegten Versäumnisse nicht bemerkt.
Berliner Zeitung 10.5.2002
Bisweilen äußert sich Peter May aber doch:
Die Rechtschreibreform hat nach Peter May vom Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung keine Erleichterung für unsichere Schüler gebracht.
Der Tagesspiegel 29.5.2010
eingetragen von Sigmar Salzburg am 23.03.2013 um 17.53
Meinung 22.03.13
Gegenwartsdeutsch
Das Gefühl des Sprachverfalls trügt nicht
Das Institut für Deutsche Sprache befasste sich auf seiner Jahrestagung mit dem Sprachwandel. Die Wissenschaftler fasziniert Veränderung, für den Normalbürger jedoch bedeutet sie einen Verlust.
Von Dankwart Guratzsch
Gibt es einen "Verfall" der deutschen Sprache? Stirbt der Konjunktiv? Ist der Dativ dem Genitiv sein Tod? Macht das schludrige Denglisch dem reinen deutschen Idiom den Garaus? Ist die schauderhafte neue Rechtschreibung der Totengräber? Wo sind die Warner und Gesetzeshüter, die den Sprachverderbern das Mundwerk legen?
Jedenfalls nicht im Institut für deutsche Sprache in Mannheim, nicht in der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden und auch nicht in der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Der dreigeteilte Olymp der deutschen Sprachwissenschaft im Rhein-Neckardreieck ist ein Hochsitz ohne Götter, Mauern, Schwerter und Kanonen. Hier wird nur angesessen und Buch geführt. Und jedes Rascheln im Gesträuch klingt den Lauernden wie Musik in den Ohren.
Was bei solcher Pirsch herauskommt, das hat der mit großer Spannung erwartete, vor drei Wochen publizierte "Bericht zur Lage der deutschen Sprache" erwiesen. Das Dickicht des Gegenwartsdeutschs, so befanden die Autoren, strotzt nur so von Leben. Der deutsche Wortschatz sei heute reicher als zu Goethes Zeiten, die Grammatik werde immer einfacher, die Anglizismen ließen sich verschmerzen und selbst die hässlichen Streckverbgefüge könnten auch manchmal sogar als sinnvoll erweisen. Mit anderen Worten: Die Jagd auf Symptome von Sprachverfall kann abgeblasen werden.
Sprachwandel bedingt auch Verlust
Als jetzt das Institut für Deutsche Sprache (IDS) auch noch seine Jahrestagung in Mannheim dem Thema widmete, wurde das Halali geblasen. "Es liegt im Wesen der Sprache, dass sie sich verändert, dass ihre Entwicklung in keinem Augenblick stille steht," hatte schon 1900 der große Sprachwissenschaftler Otto Behaghel gelehrt, und zu diesem Evangelium bekannten sich seine Kollegen auch in Mannheim. Denn Stillstand bedeute Tod. Zwar fiel der Verweis auf das vermeintlich tote Latein ein bisschen oberflächlich aus. Denn das lateinische Wörterbuch wird im Vatikan auch heute noch täglich um neue Wortschöpfungen ergänzt. Das Resümee der Linguistentagung berührte das jedoch nicht.
Nur wer ganz genau hinhörte, konnte wahrnehmen, dass auch auf diesem Forum von etwas ganz anderem als in der deutschen Öffentlichkeit die Rede war. Für den Sprachwissenschaftler ist ja das Faszinosum an seinem Orchideenfach gerade der Wandel, ein "Richtig" oder "Falsch", ein "Gut" oder "Böse", ein "Schön" oder "Unschön" gibt es für ihn nicht. Für den Normalbürger aber geht es um Fülle, Farbigkeit, Feinheit im Ausdruck. Sein Leiden am Sprachwandel ist ein Leiden am Verlust.
Werden Jugendliche in fünfzig Jahren überhaupt noch Goethe im Original lesen können? Oder sind ihnen bis dahin viele Vokabeln des Deutschen abhanden gekommen? Brauchen sie künftig Wörterbücher, um Kant, Lessing, Schiller, Kleist, Heine oder die Libretti der Wagneropern zu verstehen?
Geht ihnen – und der Sprachgemeinschaft insgesamt – der direkte Zugang zum Kosmos der großen literarischen und philosophischen Kulturleistungen in deutscher Sprache verloren?
Die Frage wurde in Mannheim nicht einmal gestellt. Dass sie eine Kernfrage des Deutschunterrichts an den Schulen ist, dessen Lehrer von denselben Linguisten ausgebildet werden, haben die Sprachwissenschaftler – um es mit einer jener neuen, bei den Fachvertretern so beliebten Wendungen zu sagen – nicht auf dem Schirm. Und das hat sehr gut nachvollziehbare Gründe.
Feinste Veränderungen in der Wortwahl
Allzu groß ist die Faszination der neuen digitalen Techniken, die ein Durchforsten der Sprache nach Erscheinungen des Wandels und der Veränderung erlauben, wie es so noch keiner Generation möglich war. Wenn zum Beispiel mit einem einzigen Tastendruck hundert Jahrgänge einer Zeitung auf eine (falsche) Wortbildung wie "schwörte" (für "schwor") durchsucht werden können, lassen sich feinste Tendenzen des Sprachwandels und flüchtigste Schwankungen mundartlicher oder modediktierter Varietäten in Sekundenschnelle mit Beispielen belegen. Mit welchem Eifer sich die moderne Linguistik dieses neuen Werkzeugs bedient, dafür bot die Tagung mannigfache, durchaus faszinierende Belege.
Am verblüffendsten sicherlich, dass viele Erscheinungen des heute "gefühlten Sprachverfalls" seit Jahrhunderten beobachtet werden, ohne dass sie sich durchgesetzt hätten. Berühmt berüchtigt ist der Dativ auf "wegen". Sein vermeintlicher Vormarsch, so Ludwig M. Eichinger, Direktor des IDS, ist offenbar nicht nur ins Stocken geraten, sondern bewegt sich womöglich rückwärts – zumindest im Schriftlichen. Hier standen bei einer Untersuchung 25.669 Belegen für "wegen des" nur 2266 für "wegen dem" gegenüber.
Eichinger vermutet: "Wegen dem" wird umgangssprachlich gebraucht, doch der Sprecher weiß sehr wohl, dass es grammatisch falsch ist. Mit anderen Worten, allem Kokettieren mit "Modernität" zum Trotz verwendet er die falsche Form mit schlechtem Gewissen.
Beispiele dieser Art lieferte der Kongress die Fülle. So kommt es Marc Kupietz (IDS) so vor, als kündige sich sogar schon für Anglizismen ein "Abwärtstrend" an. Die hätten sich im Deutschen zwar seit 1995 verdoppelt, den Scheitelpunkt jedoch, zumindest in Österreich, anscheinend schon erreicht. Überhaupt misst der Forscher nicht dem Zeitfaktor, sondern dem jeweiligen Medium und der Region die größere Bedeutung bei der Ausbildung von Sprachvarianten bei.
So verzeichnet der Sportteil der Zeitungen den mit Abstand höchsten Anteil an Anglizismen (möglicherweise unter Beteiligung der Allerweltsvokabel "Team"), während Parlamentsprotokolle (!) davon weitgehend frei sind.
Statt "Dialekten" gibt es nun "Regiolekte"
Reihenweise räumte auch der Engländer Martin Durrell (Manchester) mit Vorurteilen über die deutsche Sprache auf. Er hatte schon im 18. Jahrhundert einen Beleg für den – später verpönten – Konjunktiv mit "würde" gefunden: "Ich glaubte, daß ich genug Zeit haben würde, die Hämorrhoiden zu stopfen." Erst in den 1830er Jahren hätten so prominente Sprachwissenschaftler wie Johann Christoph Adelung und Karl Wilhelm Ludwig Heyse dann den Würde-Konjunktiv "aus dem Nichts heraus" auf den Index gesetzt – mit geringer Wirkung selbst auf einen Sprachmeister wie Thomas Mann.
Und wie zum Beispiel steht um die Dialekte? Seit 250 Jahren, so Jürgen Erich Schmidt (Marburg), sagen Sprachkritiker ihr Absterben und damit die Einebnung regionaler Sprachvarianten voraus. Doch bei der Untersuchung des Sprachgebrauchs in 150 Orten bei drei unterschiedlichen Altersgruppen sei etwas ganz anderes herausgekommen.
Die alten Grenzen und Barrieren der Dialekte erwiesen sich "auch aktuell noch höchst aktiv". Zwar seien die einstigen "externen Faktoren" für diese Grenzziehungen wie Religion oder staatliche Zugehörigkeit weggefallen, aber wo die Dialektkompetenz schwinde, übernähmen übergreifende "Regiolekte" ihre Rolle. Schmidts Folgerung klingt höchst überraschend: "Die alten Grenzen wirken weiter, durch die Anlagerung neuer Gegensätze vertiefen sie sich sogar." Und schnelles Umlernen auf einen anderen "Regiolekt" sei schlechterdings unmöglich: "Wenn ich versuchen wollte, wie Winfried Kretschmann zu sprechen, fehlten mir zehn Jahre Ausbildung."
Vokabeln der deutschen Hochsprache schwinden
Eine Erklärung für diese auffällige Beharrungstendenz von Spracheigentümlichkeiten im Deutschen will Renata Szczepaniak (Hamburg) am Beispiel der Karriere des Genitivs als Präpositionalkasus gefunden haben. Danach fungieren ambitionierte grammatische, dialektale und lexikale Formen im Deutschen vielfach als "soziolinguistische Marker". Zum Beispiel werde der Genitiv in Verbindung mit Dativpräpositionen wie "entgegen", "entsprechend", "gemäß" heute von Aufsteigern geradezu als "Prestigekasus" gebraucht. Ganz entgegen landläufigen Meinungen könne hier konstatiert werden: "Der Genitiv ist dem Dativ sein Tod" – und nicht etwa umgekehrt.
Was aus alldem rückgeschlossen werden kann, ist vor allem für die (im Mannheimer Plenum reichlich vertretenen) Sprachrevolutionäre von 1968 fatal. Ihr Kampf für Einebnung der Sprache, gegen den "elaborierten Code" ist genauso gescheitert wie die von ihnen angezettelte Rechtschreibreform. Was einer ganzen Generation dadurch verbaut wurde, das ist die Teilhabe an eben jenem Bildungskanon, den die Reformer mit vermeintlichen Spracherleichterungen allgemein zugänglich machen wollten.
Der Verlust an Vokabular der deutschen Hochsprache, der in Mannheim niemanden interessierte und der das alarmierendste Symptom für Sprach- (und Kultur-)verfall ist, hilft die Distanz zu diesem Bildungskanon nicht etwa überbrücken, sondern vergrößert sie noch.
Und er steht nicht zuletzt auch der Integration von Migranten in die deutsche Kulturgemeinschaft wie eine Barrikade im Wege. Unvermindert scheint dagegen zu gelten, was es nach jenen Irrlehren gar nicht mehr geben sollte: Sprachkultur dient und wird eingesetzt als Ausweis kultureller Identität.
Und deshalb kann Entwarnung in Sachen Sprachverfall, wie sie der "Bericht" nahelegt, keineswegs gegeben werden. Das Halali der Linguisten ist verfrüht.
welt.de 22.3.2013 (Hervorhebungen hinzugefügt)
Zu dem angeführten „Bericht“ siehe hier und da.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.03.2013 um 06.35
"Lage der Sprache"
Goethe war gut, aber wir sind besser
… Kann man sprachliche Qualität messen? Kein Zweifel. Um die Größe Goethes zu illustrieren, wird beispielsweise gerne darauf hingewiesen, dass bei ihm knapp 100.000 Wörter vorkämen – mit so vielen Einträgen rechnet man beim "Goethe-Wörterbuch", wenn es irgendwann einmal fertig ist…
Nach den Kriterien der bloßen Wortzählerei ist die deutsche Sprache insgesamt heute goethesker als zu Zeiten Goethes und seiner Epigonen im 19. Jahrhundert. 3,715 Millionen deutsche Wörter zählte ein Team um Wolfgang Klein von der Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg in ausgewählten Texten einer so genannten "Zeitscheibe" von 1905-1914. Für die Jahre von 1948-1957 kam man auf 5,045 Millionen. Und im Zeitraum von 1995-2004 wuchs der Wortschatz auf computergezählte 5,328 Millionen an. Mitgerechnet sind Zusammensetzungen, auf die bei solchen Zählungen sonst auch mal verzichtet wird. Von einer "Verarmung" der Sprache, wie sie eine populäre Sprachkritik gerne beklagt, kann also keine Rede sein…
Die Grammatik wird ärmer, die Lexik reicher
Vor allem die Darmstädter Akademie steht, spätestens seit ihrem Kampf gegen die schlimmsten Auswüchse der Rechtschreibreform, nicht im Verdacht, Anschläge gegen die deutsche Sprache schönreden zu wollen. Doch in den grassierenden Sprachpessimismus, der sich in Leserbriefen, Onlinekommentaren und Zeitungsglossen austobt, mochte keiner der Wissenschaftler einstimmen.
Wenn etwa das Deutsche an grammatischer Vielfalt einbüße, werde dies, so die These Wolfgang Kleins, durch den größeren Wortschatz kompensiert. Der Berliner Germanist weist auch darauf hin, dass die Tendenz zur grammatischen Vereinfachung im Grunde genommen schon seit indogermanischen Zeiten anhalte, ohne dass es Grund zur Untergangsstimmung gebe …
Es gibt tatsächlich mehr Anglizismen
Der Wortschatz wächst, die Grammatiker finden keine Hinweise auf die Apokalypse – dürfen wir uns denn wenigstens vor den Anglizismen, dem Lieblingsfeind aller Sprachverfallstheoretiker, noch so richtig gruseln? Peter Eisenberg sieht auch dort keinen Grund zum Defätismus…
Eisenberg hat auf der Basis epochenrepräsentativer Textsammlungen (im Wissenschaftsjargon "Korpora" genannt), die jeweils ungefähr 10 Millionen Wörter umfassen, festgestellt: "In der 1. Zeitscheibe (1905-1914) finden sich etwa 1000 Anglizismen, in der 3. Zeitscheibe (1995-2004) hat sich ihre Zahl fast auf 11.000 vermehrt." Doch nimmt man Wolfgang Kleins Ergebnisse über den Gesamtwortschatz als Maßstab, kann man wohl sagen: Es gibt auch mehr Anglizismen, weil es überhaupt mehr Wörter gibt… "Die weitaus meisten Anglizismen sind nicht entlehnt, sondern im Deutschen gebildet." Das können Zusammensetzungen aus einem deutschen und einem englischen Wort wie "Babystuhl" sein oder nach deutschen Wortbildungsregeln gebildete Verben wie "jobben"…
Peter Eisenberg prägt den Begriff "Sprachloyalität", die unter Deutschen nicht so ausgeprägt sei. Gemeint war der unbedingte Glaube, dass die eigene Sprache die schönste und beste sei. Stattdessen ist das Reden über Sprache genau wie der Blick auf die Umwelt, die Wirtschaft und die Politik von "german Angst" geprägt, um mal einen besonders schönen Anglizismus zu gebrauchen. Diesem diffusen Gefühl können dank des "Berichts zur Lage der deutschen Sprache" nun Fakten entgegengehalten werden. Man hoffe, so Eisenberg, dass künftig nicht mehr jeder ungestraft jeden Unfug über den vermeintlichen Sprachverfall verbreiten könne.
welt.de 2.3.2013
Je langsamer sich die Sprache einer Nation verändert, um so ausgedehnter ist das literarische oder einfach das menschliche Erbe, das genutzt werden kann. Die Isländer können ihre Sagas ohne weiteres verstehen.
Daß grammatischer Schwund schon seit indogermanischer Zeit zu beobachten sei, ist kein Grund, dies heute nicht zu bekämpfen. Jede Simplifizierung bläht den notwendigen Ersatzapparat auf. Das Italienische z.B. hat noch das indogermanisch/lateinische Futur, im Deutschen ist eine mehrteilige Konstruktion notwendig.
Grammatische Schrumpfungen kann man nicht gegen Erweiterungen des Wortschatzes aus Wissenszuwachs aufrechnen. Wenn zu viele Formen nicht mehr verständlich sind, werden die Texte auch nicht mehr gelesen, ebenso, wenn zu viele Wörter nicht mehr geläufig sind, weil sie etwa durch Anglizismen verdrängt wurden.
eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.02.2013 um 18.33
Die Welt 7.2.2013
10:23 Uhr
Doktortitel-Affäre
"Der Fall Guttenberg holt Schavan jetzt ein"
Politologe Gerd Langguth sieht Bildungsministerin Annette Schavan nach der Aberkennung ihres Doktorgrads in der "Glaubwürdigkeitsfalle". Die Affäre sei ein großes Problem – auch für Angela Merkel.
[Bild]
Foto: picture-alliance/ dpa
Plagiatsaffären beschädigen die Glaubwürdigkeit: Annette Schavan und Karl-Theodor zu Guttenberg (Archivbild)
"Sie hat nicht in dem Ausmaß wie der frühere Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg plagiiert. Der Fall holt sie jetzt aber ein. Sie hatte damals nicht ohne Häme erklärt, sie schäme sich nicht nur heimlich. Das fällt nun auf sie zurück", sagte Langguth den "Ruhr Nachrichten". "Die beschädigte Glaubwürdigkeit ist ein großes Problem, auch für die Kanzlerin."
Diese werde nun erst einmal die Lage sondieren und abwarten, wie sich die Debatte entwickelt. "Es ist möglich, dass sie dann ihre Vertraute, Frau Schavan, bitten wird zurückzutreten."
Nida-Rümelin: Keine Doppelstandards
Der Philosoph und frühere Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin zeigte sich befremdet, dass es darüber überhaupt eine Diskussion gebe. "Es darf keine doppelten Standards geben, weil sie viele Verbindungen hat, weil viele abhängig von den Geldflüssen des Wissenschaftsministeriums sind", sagte Nida-Rümelin dem 3sat-Magazin "Kulturzeit".
Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt hielt Schavan zugute, "dass sogar Kapitalverbrechen nach 25, 30 Jahren verjähren. Und im Vergleich damit sind Plagiate in wissenschaftlichen Arbeiten, in die ohnehin kaum jemand hineinblickt, doch eine ganz andere Schwere von Tat."
Trotzdem gehörten sie unnachsichtig und streng verfolgt, sagte Patzelt, der an der TU Dresden forscht, dem Radiosender MDR Jump.
Doktorgrad nach 33 Jahren entzogen
Nach Aberkennung ihres Doktortitels ist die politische Zukunft von Bildungsministerin Schavan offen. Zwar hatte Regierungssprecher Steffen Seibert versichert, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe "volles Vertrauen" in Schavan.
Zugleich vermied er aber ein ausdrückliches Bekenntnis zum Verbleib Schavans im Amt. Die Uni Düsseldorf hatte der 57-Jährigen nach neun Monaten Prüfung wegen "vorsätzlicher Täuschung" in ihrer Promotionsarbeit den vor 33 Jahren erworbenen Doktortitel entzogen.
Schavan befindet sich auf einer fünftägigen Dienstreise in Südafrika. Am Mittwoch hatte sie in einem kurzen Pressestatement mitgeteilt, dass sie gegen die Aberkennung klagen werde. Am Freitag soll die Ministerin nach Berlin zurückkehren.
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.01.2013 um 20.14
Die SPD müsse eine Partei zum Anfassen werden, daher sollte jeder Funktionsträger mit einem Touchpad auf der Stirn ausgestattet werden.
Welt-Kolumnist Hans Zippert über die mutmaßlichen Ratschläge von Microsoft-Chef Bill Gates auf der SPD-Klausurtagung in Potsdam
Welt v. 29.1.2013, zitiert nach junge Welt.
Es fehlt der Hinweis auf die Funktionsträgerinnen, und wo die ihr Tatschpolster haben sollten!
eingetragen von Sigmar Salzburg am 19.11.2012 um 06.42
„Die Welt gehört denen,
die neu denken.“
Etwa Broder:
Ja, wer hat denn nun die Juden erfunden?
Der israelische Historiker Shlomo Sand bestreitet in einem Buch das historische Recht der Juden auf das Heilige Land. Dies sei nur eine aus dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts geborene Idee. Von Henryk M. Broder
… Nun warten wir gespannt auf die kommenden Werke des Historikers, der einen "Mythos" nach dem anderen auseinander nimmt, …
… Das nächste Buch von Shlomo Sand könnte "Die Erfindung des Holocaust" heißen. Dann aber sollte sein deutscher Verlag den Anstand haben und es dort anbieten, wo alle Arbeiten von Sand hingehören: Unter "Fantasy & Fiction".
welt.de 11.10.2012
Broder gibt hier den reinen Demagogen, unterm Niveau selbst der WELT.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 25.08.2012 um 18.00
Spiegel online weist auf einen Artikel in der „Welt“ hin:
Der Germanist Karl-Heinz Göttert erinnert an den Sprachforscher Theodor Siebs, der vor 150 Jahren geboren wurde - er legte zu Götterts Kummer die "richtige Aussprache" des Deutschen fest, die seitdem in dem entsprechenden Duden-Band propagiert wird.
Spiegel.de 25.8.2012
In Götterts Artikel selbst kann ich keinen Kummer entdecken (Welt.de 25.8.2012). Mit den Einzelheiten mögen sich kompetentere Experten beschäftigen. Mir fällt dazu nur ein:
Wenn es keine anerkannt genormte Hochsprache gäbe: Welchen Regionaldialekt sollen denn Zuwanderer wählen, wie etwa Dénez Törzs (NDR-Sprecher), der zunächst Mühe mit einer akzentfreien deutschen Aussprache hatte.
Und: Hätte Walter Ulbricht sich in seiner Aussprache nach Siebs gerichtet, dann hätte er weit mehr Süd-, West- und Norddeutsche (einschließlich der DDR) für seinen Sozialismus begeistern können.
Nebenbei: Die DDR ist wohl auch daran gescheitert, daß technokratische Namenskürzel wie „DDR“ und „DDR-Bürger“ – anders als „Deutschland“, „Deutsche“, „Österreich(er)“ oder sogar „Bayern“ – als Zeichen für eine nationale Identität ungeeignet sind. Aber selbst den Österreichern mußte sie ja teilweise mühsam eingeprügelt werden.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.08.2012 um 07.21
Horst Eckert präsentiert neues Buch
"Die Festung" vereint erste Krimis
Im Keller des Polizeipräsidiums - von den Figuren seiner Krimis nur "die Festung" genannt - hat der Düsseldorfer Autor Horst Eckert gestern sein neustes, gleichnamiges Buch präsentiert. Frischen Lesestoff enthält es allerdings nicht. Der Band "Die Festung" vereint Eckerts erste Romane "Annas Erbe" und "Bittere Delikatessen". Mit dem Buch will Eckert die beiden 1995 und 1996 erschienenen Werke wieder ins Licht rücken … Angepasst wurde für die Neuauflage nun nur die Rechtschreibung …
welt.de 16.7.2012
eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.08.2012 um 19.00
Der grausige Tod eines Großjournalisten
In einem neuen Schweden-Krimi stirbt eine Person, die dem "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher sehr ähnelt. Den Autoren, Per Johansson, gibt es nicht. Die Spurensuche führt zur "Süddeutschen Zeitung".
"Der Sturm" von Per Johansson, der nächste Woche im Verlag S. Fischer erscheint, spielt in der gemütlichen Landschaft Schonen …
Die Ermittlerfigur ist hier der Lokalreporter Ronny … Als Ronny am Tatort eintrifft, wird ihm übel angesichts der von Dachsen zerfressenen Leiche, beim Blick auf "einen abgenagten Schädel, einen wirren Haufen aus weißroten Fleischresten und Knochen, aus Stofffetzen, die einmal ein dunkelblaues Sakko, eine graue Flanellhose, ein hellblaues Hemd gewesen sein mussten"…
Wer aber hat dann den Krimi geschrieben? … Nun gibt es eine Person, auf die alle diese Merkmale in perfekter Weise zutreffen: Es ist eben der bereits zitierte Thomas Steinfeld, der Feuilletonchef der "Süddeutschen Zeitung".
… Thomas Steinfeld war in den Neunzigerjahren Literaturchef der "FAZ" unter Herausgeber Frank Schirrmacher und verließ 2001 gemeinsam mit anderen Redakteuren frustriert die Zeitung. Als brauchte es noch eine weitere Bestätigung, prangt auf der Rückseite des Romans ein in seiner Begeisterung schier unglaubliches Zitat des türkischen Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk: "Der beste und intelligenteste Kriminalroman, den ich seit langer Zeit gelesen habe". In welcher Sprache Pamuk den Roman wohl gelesen haben mag? Auf Deutsch? …
Härter als in diesem Schlüsselroman hat öffentlich noch niemand Schirrmacher angegriffen, jedenfalls niemand auf Augenhöhe: Ein Denkmalsturz, getarnt als harmloser Krimi. Ein Unterhaltungsroman als Racheakt…
Dass "Der Sturm" kein perfektes Verbrechen geworden ist, sondern so viele Spuren zum wahren Urheber führen, ist daher nicht einfach Unvermögen. Hier ist, wie bewusst auch immer, der Wunsch am Werk, erkannt, vielleicht sogar bestraft zu werden.
welt.de 14.8.2012
Thomas Steinfeld hat am 26.7.2000 die grandiose Einleitung zur Abkehr der Frankfurter Allgemeinen von der Rechtschreibreform verfaßt:
Milliarden hat dieser Bankrott der deutschen Rechtschreibung gekostet, sie hat viele Tausende an Arbeitsstunden gefordert, sie hat in mehreren Schüben Berge von Büchern hervorgebracht, die innerhalb von kurzer Zeit überholt waren, und sie hat nie die Unterstützung der Bevölkerung besessen. Sie war das dümmste und überflüssigste Unternehmen in der deutschen Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg: ein gemeingefährlicher Akt.
Nachrichtenbrett.de
Die reale Hauptfigur des Krimis, Frank Schirrmacher, hat vermutlich 2006 maßgeblich zum erneuten Kotau der FAZ vor der „Reform“ beigetragen. Insofern ist das schreckliche Ende im Roman durchaus verdient.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 10.03.2012 um 09.32
Prof. Joachim Latacz setzt seine altersmilde Kritik der Rechtschreibreform unter der Tarnung allgemeiner Sprachkritik fort:
... Paulinchen erstarrt. "Joe, siehst du nicht, wohin die Reise geht? Es wird relauncht, es wird geoutsourced – aufwändig, Joe, aufwändig! – , es wird bestimmt auch bald geturnarounded ... Nein, Joe, unmöglich, diese Wände mache ich nicht mehr mit! Ich lehne den Junior ab und bleibe beim Alten! Damit ich weiterhin beim alten bleiben kann, verstehst du?"
"Natürlich, klar, Paulinchen!" sage ich liebevoll begütigend, "ich will ja auch, dass du die alte bleiben kannst!" ...
welt.de 8.3.2012
Die hier fett kursiv markierten klassisch richtigen Schreibungen werden heute selbstverständlich in der Schule und in den reformierten Medien als Fehler bezeichnet. Die an sich wohl noch reformkritische Welt-Redaktion führt im Begleittext einen Eiertanz auf, um solch vorsichtige Kritik vor der Konzernspitze und dem zu verdummenden Volk zu rechtfertigen.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 24.02.2012 um 15.34
Der Altphilologe Prof. Joachim Latacz spottet in der WELT über die Rechtschreibreform, aber so feinsinnig, daß es doch in der reformrückfälligen Springer-Presse gedruckt werden kann – die neben seinen Beitrag trampelige Schleichwerbung für den Duden setzt.
Warum Paulinchen keine Jogger anspringt
...
Wissen Sie eigentlich, seit wann die neue deutsche Rechtschreibung gilt? Nein? Macht nichts, Sie gehören zur schweigenden Mehrheit! So wie meine alte Freundin Pauline.
Paulinchen schreibt für Frauenzeitschriften. …
Natürlich muss Pauline da jederzeit auf dem laufenden¹) sein (nein, nicht: auf dem "Laufenden"! Mein Paulinchen springt doch keinen Jogger an!)….
Ich brüte gerade über einer tiefgründigen Abhandlung zum Siechtum des deutschen Genitivs für die Philologische Wochenschrift, da stürmt sie herein: “Sag mal, Joe, seit wann gilt eigentlich die neue deutsche Rechtschreibung?”
“Na, seit dem 1. August 2006” brumme ich.
[Genauer: seit 1996, 1998, 2000, 2004, 2005, 2006]
“Die ‘Amtliche Regelung’! Schon vergessen? Abgedruckt im ‘Wahrig’ und immerhin erwähnt, wenn auch verschämt als Link, im ‘Duden’, letzte Auflage 2011. So um die 50 Seiten lang. Als 'Gesetzestext' [!] und Vorlage für private Sprachratgeber, wie Duden, Wahrig und so manche andere, präsentiert von Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D., Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung, ein echter Bayer ....”
Sie hat recht! Nein, nein, nicht: Recht!
“Also Joe", sagt Paulinchen, "bevor du jetzt in flammender Begeisterung versinkst: Was steht da über ‘Adjektiv im Dativ nach Artikel, Pronomen oder Numerale ebenfalls im Dativ’ drin? Wie muss das richtig heißen? Ich lese nämlich gerade in der 'FAZ': ‘... in diesem großartigem Konzert ...’ und ‘Der Bundespräsident müsse aus dem parteipolitischem Streit herausgehalten werden.’ Stell dir vor, mit zwei m am Ende!”
Entsetzt spring’ ich auf. Tatsächlich, sie hat recht (nein, nein, nicht: ‘Recht’! Das Recht hat nur der Bundestag: der setzt Recht in deutschen Landen, nicht mein Paulinchen).
“Pauline", sag’ ich dumpf, “jetzt schafft sich Deutschland wirklich ab! Wenn das Sprachgefühl stirbt, bröckelt die Kultur. Dazu braucht man keinen Duden. Aber wenn du willst: Im alten Duden gab’s im Grammatik-Teil – tempi passati! – den Paragraphen R 273: ‘Die schwache Beugung [eines Adjektivs] tritt ein, wenn ein Geschlechts-, Für- oder Zahlwort vorangeht, das seinerseits schon starke Beugung aufweist: In dem (einem, meinem, unserem usw.) alten Haus.’ Zu schwierig? Nicht doch! Furchtbar einfach: Nie zwei m! Ach, Paulinchen ...." …
welt.de 22.2.2012
¹) Durch die „Reform“ für falsch erklärt!
eingetragen von Sigmar Salzburg am 30.11.2011 um 14.19
Dankwart Guratzsch
Rechtschreibreform produziert Analphabeten
Ausgerechnet Hans Zehetmair beklagt, dass jeder Fünfte unter den 15-Jährigen Analphabet ist. Dabei ist er einer der Verantwortlichen für die Rechtschreibreform.
Die deutsche Rechtschreibung ist in verheerendem Zustand. Das sagt ausgerechnet Hans Zehetmair, seines Zeichens Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung und einer der Verantwortlichen für die Rechtschreibreform. Seit sieben Jahren steht er diesem Gremium vor, das eigentlich die Aufgabe hat, die neu eingeführten Schreibweisen dem Schriftgebrauch anzupassen. Wenn er jetzt erklärt, dass mit der Orthografie "nachlässig" umgegangen werde und dass dies eine Ursache dafür sei, "dass ungefähr zwanzig Prozent eines Jahrgangs der 15-Jährigen als Analphabeten gelten müssen", kommt dies einer Bankrotterklärung gleich.
Zur Begründung der Rechtschreibschwächen verwies er auf "Schwierigkeiten, die bereits in der Vermittlung von Rechtschreibung liegen". Aber genau diese Schwierigkeiten hatten ja durch die Reform behoben werden sollen. Nun aber stellt sich heraus, dass offenbar nicht einmal die Lehrer mehr mit den Ungereimtheiten des neuen Regelwerks zurechtkommen. Denn, so Zehetmair: "Didaktisch an die jeweiligen Jahrgangsstufen angepasste Konzepte sind rar, oftmals wird der betreffende Sachverhalt eins zu eins aus dem amtlichen Regelwerk in die Schulbücher kopiert."
Ein Regelwerk, das nicht vermittelbar ist, kann aber zu einer Erleichterung niemals beitragen. Fachleute wie Theodor Ickler und Horst Haider Munske, Institutionen wie die Forschungsgruppe Deutsche Sprache und die Konferenz der Schweizer Erziehungsdirektoren hatten von Anfang an darauf hingewiesen - sie wurden überhört. Lange vor Stuttgart 21 waren es Bürgerinitiativen in ganz Deutschland gewesen, die die Reform zu verhindern versucht hatten. Sie wurden ausmanövriert.
Als das Kind in den Brunnen gefallen war, legte der Leipziger Linguist Harald Marx, Professor für Pädagogische Psychologie und Dekan der Universität Leipzig, das Ergebnis von Schreibversuchen vor. Sie legten zweifelsfrei offen, dass die neuen Schreibweisen fehlerträchtiger als die alten sind - niemand, auch Zehetmair nicht, schenkte ihm Beachtung.
Inzwischen sind zwei "Reformen der Reform" über die deutsche Schreibwelt hinweggegangen. Längst haben sich auch die Medien aus dem Schreibkonsens verabschiedet und eigene Schreibweisen eingeführt. Aus einem geordneten System ist ein behördlich angerichtetes und sanktioniertes Chaos geworden. Wenn Zehetmair nun erklärt: "Der Rat für deutsche Rechtschreibung unterstützt Bemühungen, die sich für einen bewussten Umgang mit der deutschen Rechtschreibung einsetzen," so klingt es in den Ohren derer, die genau dieses Fiasko hatten abwenden wollen, wie Hohn. Es wäre ehrlicher, das Scheitern einzugestehen und zurückzutreten.
Welt.de 30.11.2011 15:21
eingetragen von Sigmar Salzburg am 20.11.2011 um 12.57
Mensh, Schne ... mit Kafka gegen Rechtschreibung
Mit 1850 Fehlern in einer – angeblich von der EU geförderten – Kafka-Ausgabe protestieren Bildungs-Guerilleros gegen das österreichische Schulsystem.
Dass die EU eine vor Druckfehlern strotzende Ausgabe von Franz Kafkas „Das Schloss“ mit einem sechsstelligen Euro-Betrag bedacht haben soll, hat in den letzten Tagen manche Feuilleton-Polizei ausrücken lassen: Ein Betrugsfall aus Steuergeldverschwendung und falscher Orthografie, das kommt schließlich nicht so oft vor.
Die ISBN-Nummer ist geklaut
Der EU-geförderte Täter, ein Wiener Verlag mit dem Namen „Gehlen und Schulz“ habe, so hieß es, zwei Millionen Exemplare vom „Schloss“ gedruckt, um sie gratis an Schulen des deutschsprachigen Raums zu verteilen. Es sei dennoch nicht schlecht verdient worden, ließen die Verleger wissen, die sich bei ihrem pädagogischen Kafka-Projekt um Rechtschreibung nicht wirklich gekümmert hatten. Schon auf der ersten Seite des mit „Das Schloß“ und eben nicht „Das Schloss“ betitelten Romans stand „Schne“, wo es doch „Schnee“ hätte heißen sollen, „Mensh“, „niemant“, „vermiten“ waren weitere Blüten.
Kurz hat sich die Aufregung noch aufgeschaukelt, als der Verlag auf Kritik mit harschen Worten reagierte. Die Rechtschreibdiskussion sei „totalitäres Geschwätz“ und würde am besten nach Nordkorea passen. Jetzt ist der kriminelle Hintergrund der Sache raus: Die ISBN-Nummer ihres Buches haben die vorgeblichen Verleger von Thomas Glavinics Roman „Lisa“ geklaut.
Bald dürfte den Lesern Orthografie egal sein
Was aber viel schwerer wiegt: Die falsche Orthografie war gefälscht. Gezählte 1850 Fehler hat die Wiener Gruppe „The BirdBase“ eigens in Kafkas Roman hineinmontiert, das Buch sei nicht „Teil eines EU-weiten Projekts zur Förderung der Lust am Lesen“, wie es im Begleitschreiben an die Schulen noch hieß, und auch nicht in sagenhaften Auflagen gedruckt worden. 1000 Stück wurden produziert, Kostenpunkt 2000 Euro.
Ein minimaler Betrag, gemessen an seiner medialen Wirkung. Die war beabsichtigt. Auf die miserable Bildungslage im Pisa-berüchtigten Österreich wollten die Guerilleros von „The BirdBase“ hinweisen, darauf, dass es den Lesern bald egal sein werde, ob die Orthografie stimmt, weil sie sie selbst gar nicht mehr beherrschen.
Viele Schulen, so hört man, haben ihren Gratis-Kafka brav in die Bibliotheken einsortiert. In der Öffentlichkeit hat das kulturelle Frühwarnsystem weit besser funktioniert, allerdings mit graduellen Feinheiten. Nicht der verhunzte Kafka war das Problem, sondern die Verschwendung von EU-Steuergeld.
welt.de 20.11.2011
„Schloß“ kann keine Fälschung sein, denn drucküblich war allgemein das Schluß-ß.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.06.2011 um 14.01
Google News präsentiert einen sieben Jahre alten Welt-Artikel
"Es geht doch nur um die Schreibung, nicht um die Sprache" - Nachrichten DIE ...
WELT ONLINE - Vor 6 Stunden
Bei dem knapp dreistündigen Gespräch in Wien sei trotz der kontroversen Debatte nicht über die Zukunft der Rechtschreibreform gesprochen worden, betonte die österreichische Delegationsleiterin, Heidrun Strohmeyer, im Gespräch mit der WELT. ...
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Autor: DW| 24.08.2004
"Es geht doch nur um die Schreibung, nicht um die Sprache"
Die Rücknahme der Rechtschreibreform ist nach Auffassung der Zwischenstaatlichen Kommission gegenüber den Schülern unverantwortlich
Der deutsche Vorstoß für die Berufung eines "Rats für deutsche Rechtschreibung" hat im Mittelpunkt des gestrigen Treffens von Spitzenbeamten der Zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung gestanden. Nach dem Beschluss des Gremiums sollen nun die deutschen Mitglieder einen Entwurf vorlegen, wie sie sich die künftige Arbeit des geplanten Rats vorstellen, der die Kommission 2005 ersetzen soll.
Bei dem knapp dreistündigen Gespräch in Wien sei trotz der kontroversen Debatte nicht über die Zukunft der Rechtschreibreform gesprochen worden, betonte die österreichische Delegationsleiterin, Heidrun Strohmeyer, im Gespräch mit der WELT. Man habe "lediglich über den Rat für deutsche Rechtschreibung gesprochen". Alle anderen Themen habe man "bewusst ausgeklammert, denn die Zukunft der Rechtschreibreform ist letztlich eine politische Entscheidung". Österreich werde weiter an den neuen Schreibregeln festhalten, so Strohmeyer. Die Forderung österreichischer Autoren, "Österreichisch" als eigene Sprache zu etablieren, lehnten die Mitglieder der Zwischenstaatlichen Kommission ab. "Österreichisch ist eine deutsche Sprache, und so soll es auch bleiben", sagte der Vorsitzende der Kommission, Karl Blüml. Außerdem bezeichnete er die von der Mehrheit der Deutschen geforderte Rücknahme der Reform gegenüber den Schülern als "absolut unverantwortlich". Zum Ausmaß der Diskussion in Deutschland meinte er: "Man soll das Ganze nicht so tiefernst nehmen. Es geht doch nur um die Schreibung, nicht um die Sprache." Er kündigte aber an, in Zukunft werde es weitere Änderungen geben, da sich die Rechtschreibung ständig fortentwickle. Es habe schließlich auch schon Änderungen der ursprünglichen Reform gegeben, so Blüml.
An der Sitzung nahm von deutscher Seite auch der Generalsekretär der deutschen Kultusministerkonferenz (KMK), Erich Thies, sowie der Generalsekretär der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, Hans Ambühl, teil.
Bereits am Sonntag hatten Reformgegner aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in München einen unabhängigen "Rat für deutsche Rechtschreibung" ausgerufen. Das Gremium, das sich für die Schreibweisen vor der Reform einsetzen will, sprach den Kultusministern das Recht ab, "eine weitere Rechtschreibkommission zu berufen, deren einzige Aufgabe es sein kann, das offenkundige Scheitern der Rechtschreibreform hinauszuzögern".
In Niedersachsen gründeten Gegner der Rechtschreibreform zudem eine Volksinitiative. Wie der niedersächsische Landeswahlleiter Karl-Ludwig Strelen mitteilte, will die parteiübergreifende Initiative bis August nächsten Jahres 70 000 Unterschriften wahlberechtigter Bürger sammeln, um eine öffentliche Sitzung vor dem zuständigen Ausschuss des Landtages zu erzwingen. Die Reformgegner wollen den Landtag auffordern, dafür zu sorgen, dass in den Schulen baldmöglichst wieder nach den Regeln der alten Rechtschreibung unterrichtet wird.
welt.de vom 24.8.2004
[1.7.2011] Weiterhin bleibt rätselhaft, warum gerade dieser Artikel bei Welt.de so präpariert wurde, daß er von Google News gefunden wird:
Dieser Artikel stammt aus unserer Zeitung DIE WELT, eine der großen deutschen Tageszeitungen. Bestellen Sie jetzt Ihr kostenloses Probabo...
Seltsame Werbung, damit an das (anschließende) Scheingefecht des Springer-Konzerns gegen die Rechtschreibreform zu erinnern ...
eingetragen von PL am 21.04.2011 um 06.34
„Zudem vereinbarten die Koalitionäre, sich für eine Absenkung des Quorums bei Volksabstimmungen in der Landesverfassung einzusetzen. Diese verlangt bisher, dass 33 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. Mithin müssten rund 2,5 Millionen Bürger für ein Ende von S 21 stimmen, um den Tiefbahnhof zu verhindern. Kaum jemand glaubt, dass dieses hohe Quorum erreicht wird. Deshalb wollen SPD und Grüne nun per Verfassungsänderung das Quorum senken. Dafür brauchen sie im Landtag eine Zweidrittelmehrheit, folglich die Stimmen der CDU. Die jedoch hat sich bislang geweigert, den Grünen diesen Gefallen für die leichtere Ablehnung von Stuttgart 21 zu tun. Doch wollen Grüne und SPD die CDU ködern. Denn diese hat in der vergangenen Legislaturperiode selbst vorgeschlagen, das Quorum auf 25 Prozent zu senken. Das wurde damals von SPD und Grünen abgelehnt, weil es ihnen nicht weit genug ging. Aber wenn sie es der CDU jetzt neu vorschlagen? Bisher lehnt die CDU ab.“
WELT ONLINE heute.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 19.04.2011 um 07.17
... aber sind dennoch betrogen worden!
Volksentscheid ist nicht zu schaffen
Kretschmann: Stuttgart-21-Wahlversprechen war ein Fehler
Stuttgart - Der künftige baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat Fehler bei der Ankündigung einer Volksabstimmung zum Bahnvorhaben Stuttgart 21 eingeräumt. Wenn bei einer Mehrheit gegen das Milliardenprojekt das geforderte Quorum von einem Drittel der Wahlberechtigten nicht erreicht werde, könne dies nicht zur Befriedung der Situation beitragen, sagte er der "Süddeutschen Zeitung". "Ich streite nicht ab, dass wir in diesen Fragen nicht klar genug waren und vor Monaten schon einen Fehler gemacht haben." Das Quorum sei "nüchtern betrachtet" nicht zu schaffen. Die Grünen sind im Gegensatz zu ihrem künftigen Koalitionspartner SPD gegen das 4,1 Milliarden Euro teure Projekt. Kretschmann glaubt, dass der angekündigte Stresstest zur Leistungsfähigkeit des tiefer gelegten Bahnhofes das Ende von Stuttgart 21 ist. Er will dann keine Volksabstimmung - SPD-Landeschef Nils Schmid schon.
welt.de 19.4.2011
Das „Quorum“ eines Volksentscheids ist die nötige Anzahl der Zustimmungen im Verhältnis zur Zahl der Wahlberechtigten. Es wird in den verschiedenen Bundesländern von den maßgebenden Parteien mit großer Beliebigkeit festgelegt. Deren Ziel ist die Verstärkung des Anscheins, daß die Macht vom Volke ausgeht – bei größtmöglichem eigenem Machterhalt.
Bei gewöhnlichen Wahlen gibt es kein Quorum, so daß Kandidaten ihr Amt, beispielsweise als Bürgermeister, schon mit einer Zustimmung von 12 Prozent antreten konnten. Bei der Volksabstimmung über die „Rechtschreibreform“ in Schleswig-Holstein 1998 mußte eine Wahlbeteiligung von 50 Prozent und eine Mehrheit von 50 Prozent innerhalb der abgegebenen Stimmen erreicht werden, was auch überzeugend gelang – trotz aller perfiden Versuche der SPD-Regierung, das Volk von den Wahlurnen fernzuhalten.
Schwierig sind Abstimmungen, bei denen es um Belange geht, die nur einen kleineren Teil der Bevölkerung betreffen, z.B. die Abstimmung über eine acht- oder neunjährige Gymnasialzeit. Dabei können sich die Parteien infolge der Nichtbetroffenheit vieler Bürger regelmäßig ihre unverdiente Machtstellung erhalten.
Da Stuttgart 21 fast nur die Stuttgarter betrifft, tritt die SPD hier, anders als in Schleswig-Holstein, scheinheilig für einen (natürlich landesweiten) Volksentscheid ein.
eingetragen von Norbert Lindenthal am 30.03.2011 um 04.11
Welt online 30.3.2011
ATOM-KATASTROPHE (8) 05:41
Radioaktivität um Fukushima 3355-fach erhöht
Die Strahlung um das Kraftwerk Fukushima steigt. Im Meer wurde stark erhöhte Radioaktivität gemessen. Die Arbeiter sind am Ende ihrer Kräfte.
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Norbert Lindenthal am 27.03.2011 um 07.01
Welt online 27.3.2011
Strahlung an Atomreaktor millionenfach erhöht
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.03.2011 um 05.46
Biosprit: Brüderle ruft wegen E10-Chaos zum großen Gipfel
WELT ONLINE - Vor 8 Stunden
Die Mineralölwirtschaft hat die Einführung des umstrittenen E10-Biosprits vorläufig gestoppt. Nun scheinen die zuständigen Minister vor Wut zu kochen.
Wenn doch auch bei der „Rechtschreibreform“ die Medienwirtschaft so prompt und einsichtig gewesen wäre!
Noch vor kurzem wurde mir berichtet, die Inhaberin eines großen Kieler Anzeigenverlages habe wörtlich gesagt, die Rechtschreibreform wäre „Scheiße“. Zum Widerstand hat es aber nicht gereicht.
eingetragen von glasreiniger am 17.12.2010 um 12.59
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Sigmar Salzburg
WELT Online hat die Kommentarfunktion dieses Artikels geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis.
www.welt.de 16.12.2010
ssänk ju. ai anderstähnd.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 17.12.2010 um 00.02
"The Tourist" - ein Muß?
Georg Rodek
Florian Henckel von Donnersmarck ist ein gewissenhafter Mann. Um eines der vielen Drehbücher zu lesen, die ihm zugeschickt werden, braucht er schon mal drei Stunden; viele seiner weniger skrupulösen Kollegen düsen da in einer halben Stunde durch. Und selbst über schlechte Bücher denkt er den Rest des Tages immer wieder nach. Das ist fast rührend altmodisch.
Auch seine Interviews möchte er gegenlesen, bevor sie veröffentlicht werden. Das wiederum ist eine deutsche Krankheit; kein amerikanischer, englischer oder französischer Star besteht darauf. In den Texten, die dann zurückkommen, fällt eines auf: Donnersmarck ist kein Fan der neuen Rechtschreibung. "Muss" soll bei ihm weiter "muß" heißen und "dass" immer noch "daß". Das spielt natürlich bei Hollywood-Drehbüchern keine Rolle. Aber es hat in gewisser Weise mit seinem Film "The Tourist" zu tun.
Nun lehrt die Lebenserfahrung, dass man manchmal nur lange genug auf einem altmodischen Standpunkt beharren muss, damit dieser wieder in Mode kommt. Das gilt auch für unsere Rechtschreibung. Gerade erst hat der "Rat für deutsche Rechtschreibung" (ein zwischenstaatliches Gremium zur einheitlichen Weiterentwicklung der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum) empfohlen, die schlimmsten Blüten der Schlechtschreibreform einzukassieren. Vor allem eingedeutschte Fremdwörter sollen wieder erkennbar werden: Boutique statt Butike, Facette statt Fassette, Creme statt Krem.
Das wäre ein erster Schritt. "Muß" und "Daß" wären damit noch nicht rehabilitiert, aber Donnersmarck könnte sich Hoffnung machen, dass sein Beharren auf dem Alten und Bewährten sich allmählich durchsetzt. Auch der "Tourist" kann als Beharren auf Altem und Bewährtem interpretiert werden. Da hat einer viel Katharine Hepburn und Cary Grant und Audrey Hepburn gesehen und wünscht sich diese Art von Filmen zurück. Und dann bekommt er 100 Millionen in die Hand und kann sich plötzlich selbst daran versuchen: die elegante Frau von Welt und Geheimnis, die ein Kupee fährt und Scharm besitzt. Die Maläse mit der Schose ist, dass nicht nur die Rechtschreibung, sondern auch das Kino seine Moden hat. Und die Screwball Comedies , wo solche Frauen vorkamen, sind nicht nur aus der Mode, sondern unwiderruflich vorbei, weil sie auf Geschlechterrollen beruhten, die unwiderruflich der Vergangenheit angehören.
Das ist der tiefere Grund für den sich anbahnenden kritischen und kommerziellen Misserfolg des "Touristen", an dem auch jene drei Golden Globe-Nominierungen nichts ändern können, die mehr der Hoffnung geschuldet sein dürften, dass Jolie und Depp zur Verleihung erscheinen mögen, als wahrer Begeisterung. Henckel von Donnersmarck sollte sich davon nicht beirren lassen. Hollywood braucht jemanden, der es hin und wieder an seine Traditionen erinnert, und komme er aus Deutschland. Und über die Reform der Reform reden wir, wenn er wieder in Deutschland dreht.
WELT Online hat die Kommentarfunktion dieses Artikels geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis.
www.welt.de 16.12.2010
eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.09.2010 um 05.32
DIE WELT: 06:19
Kopfnoten
Handeln statt quatschen: Dieter Hallervorden
Von Sabine Menkens
Wer Dieter Hallervorden in den vergangenen Jahrzehnten vorwiegend auf dem Bildschirm erlebt hat, wird vielleicht nicht glauben wollen, dass sein Lebensmotto eigentlich lautet: "Ein Gramm Handeln wiegt mehr als eine Tonne Gequatsche". Seine nervtötende Kunstfigur "Didi" war derart omnipräsent, dass man ihn gern in die Klamaukkiste verbannen wollte. Dabei ist der Gründer der "Wühlmäuse" ein großer Kabarettist, Schauspieler und Theatermanager. Seit 2009 führt er das bereits totgesagte Berliner Schlossparktheater [Schloßparktheater].
Heute wird er 75. Glückwunsch!
welt.de 4.9.2010
Unvergeßlich – Die Rechtschreibreform
eingetragen von Norbert Lindenthal am 20.08.2010 um 16.11
Die Welt, 20. August 2010
Selbstbewusste Bürger zwingen Politik in die Knie
Sie machen gegen Stuttgart 21 mobil, kippen die Schulreform in Hamburg. Stoppen sie jetzt auch die deutsche Atomlobby?
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Atomstromlieferanten der Bundesrepublik
FOTO: DPA
In Deutschland läuft die Debatte um die Abkehr vom Atomausstieg. Bis etwa 2020 sollen hierzulande - bisher - alle Meiler abgeschaltet werden. Wir zeigen die deutschen Atomkraftwerke. Zum Beispiel Biblis in Hessen: Kernkraftwerke gibt es in Deutschland bereits seit 1960, das erste Versuchskraftwerk wurde damals von der Firma AEG gebaut.
Von Günther Lachmann
In den vergangenen Jahren haben Affären, gebrochene Wahlversprechen und öffentlich ausgetragene persönliche Auseinandersetzungen das Ansehen der deutschen Politik schwer geschädigt. Ihre Autorität und damit ihre Entscheidungssouveränität blieb bislang jedoch weitgehend erhalten.
Inzwischen gerät aber auch diese zunehmend in Gefahr. Denn politische Entscheidungen werden nicht nur angezweifelt, sie werden sogar erfolgreich bekämpft und etwa durch Volksentscheide revidiert. In Hamburg kippten Bürger eine von den regierenden Parteien geplante Schulreform, in Bayern erstritten sie gegen den Willen der Politik ein strenges Rauchverbot. In beiden Fällen verkannte die Politik die wahren Interessen der Bürger, die sich daraufhin selbst organisierten. In Hamburg und Bayern setzten sie ihre Vorstellungen vom Gemeinwohl schließlich mit Hilfe der aus den öffentlichen Protesten hervorgegangenen Volksabstimmungen durch und erschütterten das parteipolitisch organisierte System der Bundesrepublik nicht unerheblich.
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Hamburger stimmen gegen Schulreform
In Stuttgart könnte es nun zu einer weiteren schweren Niederlage der Politik kommen. Dort wollen tausende Bürger den Umbau des Hauptbahnhofs verhindern. Das sogenannte Projekt Stuttgart 21 ist ihnen erstens zu teuer, zweitens zweifeln sie an seiner Praktikabilität. Seit Tagen erhalten die Bürger, die die Bagger am Abriss des Bahnhofnordflügels hindern, weiteren Zulauf.
Die Aktionen in Bayern, Hamburg und Stuttgart sind urdemokratische Reflexe gegen ein parteipolitisch organisiertes parlamentarisches System, bei dem der Dialog zwischen Parlament und Gesellschaft nicht mehr funktioniert. Das Volk und diejenigen, die es regieren bzw. regieren wollen, sind sich fremd geworden. Es gab eine Entwicklung, in deren Folge die Lebenswirklichkeit von den Parteien und ihren Fraktionen anders wahrgenommen wird als von der Gesellschaft.
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Baubeginn für "Stuttgart 21"
In ihren Abgeordnetenbüros haben die Parlamentarier ständigen Kontakt zu Lobbyisten aus allen Bereichen der Wirtschaft, von Berufsverbänden und anderen Institutionen. Den Menschen in ihrem Wahlkreis begegnen sie nur alle paar Wochen einmal.
Schon vor der parlamentarischen Sommerpause liefen ihnen die Vertreter der Atomlobby die Türen ein. Anlass ist die im September anstehende Entscheidung der Bundesregierung über die künftige Energiepolitik im Land. Da wollen die Vertreter der Kernenergie unter anderem eine Verlängerung der Laufzeit älterer Kraftwerke durchsetzen.
Welche Bedeutung die Atomindustrie der Entscheidung im September beimisst, belegt eine in den kommenden Tagen startende Kampagne mit dem Ziel, die Energiepolitik der Bundesregierung noch im Prozess der Entscheidungsfindung im Sinne der eigenen Interessen zu lenken. Es geht darum, die Folgen der historischen Niederlage vom Dezember 2001, als der Bundestag mit den Stimmen von SPD und Grünen den Atomausstieg beschloss, zu beseitigen.
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Der komplizierte Weg zum Atomkompromiss
Die geplante Verlängerung der Atomlaufzeiten hält die deutsche Politik derzeit in Atem. Verantwortlich dafür ist nicht nur der ideologische Richtungsstreit zwischen und in den Parteien über die zivile Nutzung der Nuklearenergie. Erschwert wird eine Entscheidung dadurch, dass die Laufzeitverlängerung mit vielen verschiedenen Fragen verknüpft ist. Ein Überblick:
Zu diesem Zweck suchten sich die Energiekonzerne namhafte Mitstreiter. So wurde der Aufruf unter der Überschrift „Mut und Realismus für Deutschlands Energiezukunft“ neben den Chefs der vier großen Energiekonzerne, Johannes Teyssen (E.on), Jürgen Großmann (RWE), Hans-Peter Villis (EnBW) und Tuomo Hatakka (Vattenfall) unter anderem vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Josef Ackermann, von Bayer-Chef Werner Wenning und dem Thyssen-Krupp-Vorstand Ekkehard Schulz unterzeichnet. Ihnen wiederum schlossen sich ehemalige Politikgrößen wie Friedrich Merz, Otto Schily und Wolfgang Clement an. Zumindest die Unterschrift der beiden Letztgenannten ist überraschend, haben sie doch, wenn auch widerwillig, damals den Atomausstieg mitgetragen.
Wie die Bürgerproteste in Hamburg, Bayern und Stuttgart ist die konzertierte Aktion der Atomlobbyisten ein massiver Angriff auf die Politik. Doch anders als in Hamburg, Bayern und Stuttgart ist das Vorgehen der deutschen Wirtschaftsführer nicht Ausdruck eines in der Gesellschaft tief verankerten politischen Konsenses, den Regierende und Parlamentarier missachteten. Er richtet sich im Gegenteil gegen einen solchen gesellschaftlichen Konsens und ist einzig und allein Ausdruck handfester wirtschaftlicher Interessen.
Eine Physikerin besucht die Energie
FOTO: DDP/DDP
Merkels Energiereise, Tag 2: Die Kanzlerin, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD, r.) und der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) besuchten die Strombörse in Leipzig.
Erst im Juni wurde dem Deutschen Atomforum in einer von ihm selbst beim Meinungsforschungsinstitut Emnid in Auftrag gegebenen Umfrage erneut die ablehnende Haltung der Deutschen gegenüber der Kernenergie bescheinigt. Darin sagten 50 Prozent der Befragten, sie seien gegen die Atomenergie. Bei der Frage, welche Energieträger die Stromversorgung in den kommenden Jahren „im Wesentlichen sichern“ können, erhielt die Solarenergie mit 69 Prozent den höchsten Zustimmungswert, gefolgt von der Windenergie mit 66 Prozent und der Wasserkraft mit 44 Prozent. Die Atomenergie folgten mit 30 Prozent Zustimmung auf Rang vier.
Anders als die gescheiterte Schulpolitik in Hamburg, als das umstrittene Bahnprojekt in Stuttgart und die Nichtraucherpolitik in Bayern basiert der Atomausstieg auf dem Willen einer klaren Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Obwohl das Land in den 1970-iger Jahren unter einer Energiekrise litt, wuchsen die Zweifel an der Kernenergie. Auch damals ignorierte die Politik die Interessen der Bürger, was letztlich zur Gründung der Partei „Die Grünen“ und schließlich 2001 zum Ausstieg aus dieser Politik führte.
In einer Phase, in der die Politik viel Vertrauen der Menschen verspielt hat, sind die Proteste in Stuttgart und die Volksentscheide in Hamburg und Bayern ermutigende Signale aus einer Gesellschaft, die für ihr demokratisches Recht der Selbstbestimmung kämpft. Das beharrliche Engagement der Bürger dort sollte allen Demokraten neuen Mut machen, die an der fehlenden Sensibilität der Parteien für gesellschaftliche Befindlichkeiten und der Ignoranz ihrer parlamentarischen Vertreter verzweifeln.
Aus vielerlei Gründen gerät die Politik zurzeit von vielen Seiten unter Druck. Man kann nur hoffen, dass sie daraus die richtigen Schlüsse zieht und nicht weiterhin unnötig ihre Autorität riskiert.
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Norbert Lindenthal am 04.07.2010 um 18.57
Die Welt 4.7.2010
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Die CSU und ihr Chef Horst Seehofer rühmen sich gerne der Kontinuität ihrer Politik. Die Geschichte des Rauchverbots ist das beste Beispiel, dass das christsoziale Selbstlob nicht ganz mit der Realität übereinstimmt. „Liebe Staatsregierung, lieber Herr Seehofer: Vielleicht sollten Sie öfter einmal das Volk entscheiden lassen. Wenn Sie einmal ein gutes Gesetz gemacht haben, stehen Sie dazu“, spottete Ober-Nichtraucher Sebastian Frankenberger.
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Norbert Lindenthal am 30.06.2010 um 12.38
Die Welt 30.6.2010
Christian Wulff fällt im ersten Wahlgang klar durch
Der spannende Polit-Krimi Gauck vs. Wulff geht in die zweite Runde. WELT-ONLINE-Autor Thomas Vitzthum berichtet live aus der Bundesversammlung.
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 08.05.2010 um 11.47
Helmut Schmidt liest Journalisten die Leviten
Der Henri-Nannen-Preis, eine der wichtigsten Auszeichnung für Journalisten, ist in Hamburg vergeben worden. … Altkanzler Helmut Schmidt wurde für seine publizistisches Lebenswerk geehrt. Und ließ auch auf der Bühne nicht von seinen Glimmstengeln.
… im Gespräch mit „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo zeigte Schmidt, dass er geistig hellwach ist und nichts von seinem Biss verloren hat. Er habe viele Menschen schlecht behandelt und es gebe vielleicht einiges in seinem Leben, was er bereuen sollte. Aber: „Die Journalisten und ihre Behandlung gehören nicht dazu.
welt.de 8.5.2010
eingetragen von Sigmar Salzburg am 19.04.2010 um 13.31
Vom "Fernsehprogramm" überfordert
Von Insa Gall
Laut Kess-Studie steht es schlecht um die Schreibkompetenz von Schülern
Dass die deutsche Sprache nicht ganz einfach ist, weiß schon der Volksmund. Lehrer und Hochschullehrer, Kammern und Ausbildungsbetriebe kritisieren allerdings in regelmäßigen Abständen, dass viele Schüler und sogar manche Studenten ohne Rechtschreibprogramm kaum mehr einen Satz korrekt geschrieben zu Papier bringen können.
Wie es tatsächlich um die orthografischen Fähigkeiten der Hamburger Schüler bestellt ist, hat jetzt - quasi nebenbei - die Bildungsstudie "Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern" (Kess 8) mit wissenschaftlicher Genauigkeit beleuchtet. Die Erhebung des Dortmunder Bildungsforschers Wilfried Bos, die der WELT bereits vorliegt, soll heute veröffentlicht werden.
Die gute Nachricht ist, dass mehr als 90 Prozent der Hamburger Achtklässler Wörter wie "zieht", "Staubsauger" und "Briefträger" richtig schreiben können. "Fahrradschloss" und "Gießkanne" bringen immerhin drei Viertel der Jugendlichen korrekt zu Papier. Beim "Reißverschluss" und der "Sekretärin" wird es dann allerdings schon kompliziert. Diese Wörter bekommen nur 53 beziehungsweise 55 Prozent der Jungen und Mädchen am Ende der achten Klasse korrekt hin. Getestet wurden Jungen und Mädchen in allen Schulformen.
Selbst das "Fernsehprogramm", dem sich viele Schüler in ihrer Freizeit sehr verbunden fühlen, können nur 23 Prozent der Viertklässler, 50 Prozent am Ende der Jahrgangsstufe sechs und zwei Drittel (67 Prozent) der Achtklässler richtig buchstabieren.
Von weniger als einem Drittel der Schüler in der achten Klasse werden Wörter mit besonderen Schwierigkeiten richtig geschrieben. Dazu zählen die Bildungsforscher "allmählich", das nur 32 Prozent korrekt buchstabieren, "quietschen" (26 Prozent) und "ermüdend" (18 Prozent).
Die Groß- beziehungsweise Getrenntschreibung stellt die Achtklässler bei "nahe gelegenen" (21 Prozent richtig) und "zum ersten Mal" (neun Prozent) vor Probleme. Fremdwortschreibungen wie "Goldmedaille" gelingen nur noch zehn Prozent, "Eisenbahnwaggon" sogar lediglich sechs Prozent der Schüler. Sätze wie "Zum ersten Mal finde ich dieses Fernsehprogramm mit den vielen Goldmedaillen ermüdend" sollten demzufolge tunlichst vermieden werden.
Tröstlich ist dabei der zentrale Befund der Bildungswissenschaftler. So haben sich die Schüler laut Kess 8 in allen Schulformen bei allen Wörtern von der vierten bis zur achten Klasse in der Rechtschreibung verbessert - immerhin.
welt.de 19.4.2010
eingetragen von Norbert Lindenthal am 28.03.2010 um 09.19
Merkel fordert Migranten zum Deutsch lernen aufKann mir jemand erläutern, wie es oft, zu oft, zu dieser Satzbildung kommt? Meine Lehrer-Schwester macht ebensolche Fehler.
»zum Deutsch lernen« ist falsch.
Es muß heißen zum Deutschlernen.
Andere Zeitungen schreiben dazu heute so:
Süddeutsche 27.03.2010, 19:09Merkel: Migranten sollen Deutsch lernenWie wäre es, wenn der zuständige Redakteur bei Dankwart Guratzsch zur Schule ginge?
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 13.11.2009 um 20.17
Premierminister Gordon Brown
... Dieser hatte vor einer Woche an eine gewisse Mrs. Jacqui Janes ein handschriftliches Kondolenzschreiben abgeschickt, zum Tod ihres 20-jährigen Sohnes, Soldat in den Grenadier Guards, der am 5. Oktober Opfer einer Straßenbombe geworden war. Gordon Brown nun hat eine bekannt krakelige Handschrift, deren hastige Züge, noch dazu in Filzstift hingeworfen, die Lektüre nicht gerade erleichtern. Obendrein teilt er mit vielen Briten - unter anderem mit Tony Blair - auch dies Problem: Er steht mit der Orthografie auf Kriegsfuß. Der seitenlange Brief enthielt peinlich viele Schreibfehler, …
welt.de 13.11.09
eingetragen von Sigmar Salzburg am 20.08.2009 um 09.09
Umfrage
Was halten Sie heute von der Rechtschreibreform?
Eine sehr gute Sache. Sie war damals dringend notwendig. 5 %
Sie war in Ordnung, hat aber einige Merkwürdigkeiten hervorgebracht. 17 %
Schlimm! Sie hat großen Schaden angerichtet. 79 %
Zuletzt abgegeben: 4887 Stimmen
WELT.de ab 3.8.09
Das Ergebnis war am 21.8.09 wieder sichtbar, wurde im obigen Text aktualisiert und hier unter „Umfragen ... seit 1996“ nachgetragen.
– geändert durch Sigmar Salzburg am 21.08.2009, 09.38 –
eingetragen von DS am 01.08.2009 um 09.04
eingetragen von Sigmar Salzburg am 31.07.2009 um 10.19
Die Leidtragenden sind die Schüler
Von Dankwart Guratzsch 31. Juli 2009
Unterschiede in den Neuausgaben von Duden und Wahrig zeigen: Die Rechtschreibreform ist gescheitert
Im verflixten 13. Jahr nach der umstrittenen Rechtschreibreform legen Duden und Wahrig parallel zwei neue deutsche Wörterbücher vor - und bescheinigen damit ungewollt der größten Umstellung der deutschen Schriftsprache seit Konrad Duden ihr völliges Scheitern. Denn statt einer gemeinsamen Orthographie - also Richtigschreibung - für das Deutsche präsentieren sie zwei. Das bereits bestehende Rechtschreibchaos wird dadurch fortgeschrieben - und der von der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Koordination eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung schweigt.
Das Pikante an der Sache: Wahrig und Duden erscheinen neuerdings quasi unter einem Dach: Der neue Herr im Bibliographischen Institut, dem Hausverlag des Duden, ist derselbe Verlag Cornelsen, der mit Bertelsmann auch den Wahrig herausbringt. Wenn also hätte bewiesen werden sollen, dass die linke Hand nicht mehr weiß wie die rechte schreibt, dann hätte man kein besseres Arrangement dafür erdenken können. Doch der Vorsitzende des Rates, der frühere bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair, hat von den Diskrepanzen zwischen beiden Wörterbüchern offenbar noch nichts gemerkt. "Gibt es die?", fragte er unlängst in einem Zeitungsinterview - und bewies damit, dass er die Arbeit der Wörterbuchredaktionen keineswegs verfolgt hat.
Denn es gibt diese Diskrepanzen zuhauf, und das, obwohl dem Rat vor drei Jahren aufgetragen worden war, das durch die Reform angerichtete Chaos zu entwirren. Wenn sich der "Rat" damit überfordert fühlt, so hätte er sich Hilfe holen müssen, etwa bei der Berliner Forschungsgruppe Deutsche Sprache, die in einer ersten Übersicht 350 Abweichungen aufgelistet hat.
Soll man laut Duden zum Beispiel "bei Weitem" schreiben, so schließt sich Wahrig "bei weitem" noch nicht an. Hält der Duden an der "bismarckschen" Sozialgesetzgebung fest, meint man bei Wahrig, mit den amerikanisch verfremdeten "Bismarck'schen" Sozialgesetzen besser zu fahren. Und so geht es munter weiter: "Schimäre" oder "Chimäre", "tschau!" oder "ciao!", "Kortison" oder "Cortison", "dahin gehend" oder "dahingehend", "Kakofonie" oder "Kakophonie!", "seit Neuestem" oder "seit neuestem", "Play-back" oder "Playback", "Große Koalition" (für den Duden immer, für Wahrig nur von 1966-1968), "große Koalition" (für den Duden nie, für Wahrig von 1928-1930) - in beiden Redaktionen herrscht offenbar vollkommene Konfusion über das, was laut Rechtschreibreform "richtig" oder "falsch" ist und was, ganz unabhängig von richtig und falsch "allgemeiner Usus" (also Schriftgebrauch) ist. Aber Ratschef Zehetmair findet "kein Unbehagen" dabei. "Ich habe kein Problem mit Wahrig, der den jetzigen Stand der Orthografie wiedergibt."
Tut er das wirklich? Der "Münchner Merkur" rät zu einem Blick ins Internet: 69 Prozent der Internet-Nutzer schreiben Gemse - und nicht Gämse, wie die Reformer wollten; 72 Prozent ziehen "selbständig" dem reformierten "selbstständig" vor, "und wer das neudeutsche 'Spagetti' eingibt, wird vom Computer wie selbstverständlich gefragt: ,Meinten Sie: Spaghetti?'"
Wenn die KMK dem famosen Rat die Aufgabe gestellt hat, die Schreibweise dem Schriftgebrauch anzupassen, hätte Zehetmair unverzüglich tätig werden und die neuen Unsinnsschreibungen diesem "allgemeinen" Gebrauch anpassen (also zurücknehmen) müssen. Stattdessen bekennt sich der Oberverweser der neuen deutschen Schriftsprache zur altersweisen Untätigkeit: "Der Rat wird intensiv in der Stille arbeiten und die Sprache beobachten - ohne zeitliche und inhaltliche Aufgeregtheit. Er wird nicht durch Beschlüsse weitere offizielle Empfehlungen abgeben." Das heißt aber mit anderen Worten, er gibt seinen Auftrag zurück. Müsste die KMK da nicht unverzüglich die Konsequenz ziehen und die Finanzmittel für diese Rechtschreibvoyeure streichen. Untersucht man die Abweichungen näher, kommt eine interessante Tatsache zutage: Nicht der Rechtschreibrat scheint eine erkennbare Funktion auszuüben, wohl aber die Deutsche Presse-Agentur (dpa) als Sachwalterin des gedruckten Deutsch. Zumindest Wahrig stützt sich mit seinen Schreibweisen weitgehend auf ihre Empfehlungen.
Damit wiederholt sich ein Phänomen, mit dem sich schon der Schöpfer der deutschen Einheitsrechtschreibung, Konrad Duden, konfrontiert gesehen hatte: Mehrfachschreibweisen ließen sich nicht durchsetzen. Der Widerstand ging von den Buchdruckern aus. Auf einer Tagung in Konstanz 1902 "gaben sie ganz unverhohlen ihrer Missstimmung über die durch die neuen Regelbücher nur noch vermehrte Unsicherheit in der Rechtschreibung Ausdruck". Und so waren es schon damals die gedruckten Medien, die im Kampf um eine einheitliche Schreibweise letztlich obsiegten.
1903 lieferte Duden erstmals einen "Buchdruckerduden" aus, der später mit dem "normalen" Duden verschmolz. Im Untertitel wurde darauf hingewiesen, dass er "auf Anregung und unter Mitwirkung des Deutschen Buchdruckervereins, des Reichsverbandes Österreichischer Buchdruckereibesitzer und des Vereins Schweizerischer Buchdruckereibesitzer" entstand.
Ganz auf diese Linie scheint der neue Wahrig eingeschwenkt zu sein, der sich über weite Strecken an die von dpa vorgeschlagene Gemeinschaftsschreibweise der gedruckten Medien hält. Getreu der Regel, dass in Zweifelsfällen die herkömmliche Schreibweise gelten soll, macht er so manche Eskapaden der Schreibreform nicht mehr mit. Der neue Duden hingegen wirkt wie eine Kampfansage an dieses Konzept. Dabei setzt er jeweils eigene Schreibweisen an die erste Stelle seines Variantensalats und verzichtet auch noch darauf, die Schreibweisen wie bisher je nach Quelle farbig voneinander abzuheben. Der Benutzer soll nicht mehr erfahren, ob er sich in den Ruinen der alten Rechtschreibung oder im Niemandsland der neuen bewegt.
Unterstützung für Wahrig kommt von "Anwendern der Presse und der Verlage" in der Schweiz. Wie die Kollegen in Deutschland unter Führung der dpa, haben auch sie sich auf die Ausarbeitung eigener Rechtschreibregeln geeinigt. Auch hier heißt die Generalregel: "Bei Varianten die herkömmliche", auch hier ist das Ziel, die von den Rechtschreibreformern um den Siegener Linguisten Gerhard Augst zerstörte Einheitlichkeit der Rechtschreibung zurückzugewinnen.
Aber anders als der untätige deutsche "Rat" bietet die "Schweizer Orthographische Konferenz (SOK)" dazu auch Sprachwissenschaftler auf, die sich als kooperativ erweisen.
Als Hauptleidtragende der inzwischen mehrmals nachgebesserten Rechtschreibreform macht die Redaktion der reformkritischen Zeitschrift "Deutsche Sprachwelt" die Schüler aus. "Nicht die Schüler sind zu dumm für die Neuregelung, sondern umgekehrt ist die Rechtschreibreform zu dumm für die Schüler", so Chefredakteur Thomas Paulwitz. Tatsächlich hat der saarländische Germanist Uwe Grund jüngst nachweisen können, dass die Reform ihren Hauptzweck, die Vereinfachung der Rechtschreibung, gerade bei den Heranwachsenden verfehlt.
In einer umfangreichen Studie, in der die Rechtschreibleistungen in Schülertexten vor und nach der Rechtschreibreform verglichen werden, kommt Uwe Grund zu dem Befund, dass die Fehlerquote nicht abgenommen, sondern zugenommen hat: "1. Nach der Rechtschreibreform werden in der Schule erheblich mehr orthographische Fehler gemacht als davor. 2. Die Fehler haben sich - möglicherweise sogar überproportional - in den Bereichen vermehrt, in denen die Reformer regulierend in die Sprache eingegriffen haben. 3. Die Vermehrung der Fehler hat Konsequenzen, die vor allem die Lehrenden und Lernenden schlechter stellen, also jene Sprachteilnehmer, um deretwillen das Reformwerk angeblich geschaffen wurde."
Als Resümee stellt der Germanist Grund die rhetorische Frage: "Gibt es Auswege aus dem ,nationalen Desaster'?" Seine Antwort fällt bildkräftig aus: "Der Teufel muss, wie der Volksmund weiß, zu dem Loch wieder hinaus, zu dem er hereingekommen ist. Das gilt auch für den Fehlerteufel."
welt.de 31.7.09
eingetragen von Norbert Lindenthal am 01.03.2009 um 11.21
Welt online 1. März 2009, 02:22 Uhr
Was die Rechtschreibreform mit der Freiheit zu tun hat
Reiner Kunze beklagt die Ignoranz der Politiker. Mit ihrer Machtarroganz arbeiten sie jenen in die Hände, die die Freiheit nicht achten und ein anderes System wollen
Was ich Ihnen zu Beginn erzählen werde, betrifft die Sprache. Ich erzähle es Ihnen der Einblicke wegen, die in den vergangenen Jahren manchem die Sprache verschlugen. Als das inzwischen herrschende Orthographieelend noch nicht völlig unabwendbar zu sein schien, fragte ich einen Ministerpräsidenten, der am Rande eines Empfangs meine Frau und mich eines längeren Gesprächs gewürdigt hatte, wie er zur Rechtschreibreform stehe. Er antwortete: "Herr Kunze, ich habe keine Ahnung, worum es da geht." Vielleicht war es diese Ehrlichkeit, der er seine landesväterliche Popularität verdankte. Zwei, drei Tage später hörten wir ihn im Radio mit staatstragender Bestimmtheit sagen, die Rechtschreibreform werde ohne jede Änderung eingeführt, denn sie halte "allen Einwänden stand". Ich werde hier nicht aussprechen, was ich in diesem Augenblick empfand. Nur dies: Für uns, meine Frau und mich, hatte der Mann seine Glaubwürdigkeit verloren.
Anfang 2006 sagte eine Kultusministerin im persönlichen Gespräch, die Rechtschreibreform werde am 1. August kommen, und was danach an der Rechtschreibung geändert werde, interessiere sie nicht mehr. Diese Skrupellosigkeit war mit der Amtsmacht ausgestattet, der Sprache von 100 Millionen Menschen eine jahrzehntelange, vielleicht eine ein Jahrhundert währende Leidenszeit zuzufügen.
Ein führender Parteipolitiker nannte jene, die bis zuletzt darauf gedrängt hatten, wenigstens von den grammatisch falschen und das Sprachgefühl außer Kraft setzenden Regelungen abzusehen, "nur einige Hochwohlgeborene", die meinten, "aus ästhetischen oder sonstigen Gründen" noch immer Einspruch erheben zu müssen. Da schlug Machtarroganz in Herabwürdigung um, und als hochwohlgeborener Bergarbeitersohn entsann ich mich nostalgisch der Finsternis unter Tage, die sich mit der Grubenlampe aufhellen ließ.
Der Bürger, der über Jahre solche oder ähnliche Erfahrungen macht und sich einem Establishment der Gesichts- und Amtsstandswahrung gegenübersieht, das dem Sachargument keine Chance läßt, dieser Bürger kann zu unterschiedlichen Schlüssen gelangen. Derjenige, der weiß, daß die Demokratie nicht besser sein kann als die Menschen, die jeweils für sie verantwortlich sind, wird sich in sein Los schicken, auf unbestimmte Zeit zum stillgelegten gesellschaftlichen Potential zu gehören, vielleicht resigniert, vielleicht aber auch auf das Selbstwehrpotential der Wirklichkeit vertrauend. Wo Sachargumente auf dem toten Gleis stehen, steht Wirklichkeit auf totem Gleis, was sich irgendwann rächen wird, denn jener Teil der Wirklichkeit, in dem von Menschen unabhängige Gesetze gelten, gehorcht uns bekanntlich nicht, ehe nicht wir ihm gehorchen. Der Schluß, den der Bürger zieht, kann aber auch darin bestehen, über Alternativen zu einem Staatswesen nachzudenken, das in bestimmten Bereichen dem Mißbrauch der demokratisch verfaßten Freiheit nicht nur ausgeliefert zu sein scheint, sondern in ihn involviert ist - unbelangbar.
Das jedoch ist die Stunde derer, die, obwohl widerlegt durch ein Jahrhundert systemimmanenter Verweigerung von Grundfreiheiten und Ausrottung ganzer gesellschaftlicher Klassen und Schichten, auf die rechtsstaatliche parlamentarische Demokratie als System verweisen und vorgeben, über den besseren und einzig gerechten Gesellschaftsentwurf zu verfügen. Dabei lassen sie weder über ihr Ziel noch über ihre Strategie im unklaren. Schon 1990 sagte ein in Ost-Berlin lebender Geheimdienstoberstleutnant a. D. einem westdeutschen Reporter: "Die Partei, die ist noch da. Die KPD hat unter viel schwierigeren Umstanden gekämpft. Sie hat nie aufgegeben. Sie gibt vielleicht ihren Namen auf, heißt SED oder PDS, aber sie gibt nie ihr Ziel auf. Warten Sie ab. Das, was hier in der DDR passiert, ist noch lange nicht fertig ... Die darauf hoffen, daß der Kommunismus am Ende ist, hoffen vergebens."
Eine Kernideologin äußerte vor kurzem, es gebe keinen Grund, die Partei "Die Linke" vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Die "Linke" habe es nicht nötig, gegen die Verfassung zu verstoßen, denn diese biete ihr alle Möglichkeiten, den Systemwechsel herbeizuführen. Gefragt, warum er zur Bundespräsidentenwahl antrete, antwortete der Kandidat der Partei "Die Linke" am 15. Oktober 2008 im Sender MDR-info, sein Herz habe schon immer links geschlagen, und er wolle "der 'Linken' helfen, das Haus zu bauen, das sie gern haben möchte". Die nicht ganz unerhebliche Minderheit, die in einem solchen Haus nicht leben möchte, hatte der Kandidat in diesem offenherzigen Augenblick ausgeblendet.
Das Establishment der anderen Parteien geht aber nicht etwa geschlossen auf Distanz zu jener Partei, sondern um eines mehr oder weniger kurzzeitigen Machtgewinns willen umwerben sie Politiker unterschiedlicher Parteiebenen und werten sie Schritt für Schritt auf. Gewiß, man argumentiert, das Gros der Umworbenen hätte sich vom Stalinismus distanziert, und ich bin überzeugt, daß das ehrlich ist. Nur würde man nach der Machtübernahme auf dieses Gros keine Rücksicht nehmen - im Gegenteil. Die Vorstellung, auf welcher Seite dann Demokraten stehen könnten, die heute Parteitagsbeifall spenden, wenn einer "Abweichlerin" gewünscht wird, ihr mögen "die Beine abfaulen", läßt mich schaudern. Nicht wenige Demokraten waren und sind auf einem Auge ideologisch blind und in bestimmter Hinsicht auf beiden Ohren historisch taub, was bereits Lenin 1922 in einem Brief an Tschitscherin in sein internationales politisches Kalkül einbezog. Der Arbeitstitel dieses Kongresses lautet: "Freiheit ein Luxus? Der Arbeiter-und-Bauern-Staat als Paradies in den Köpfen."
Die Frage, wie man "den Freiheitsgedanken attraktiver machen" kann, klingt mir zu sehr nach Herrenausstatter. Es kommt nicht darauf an, den Freiheitsgedanken attraktiver zu machen, sondern es käme - ich bediene mich bewußt des Konjunktivs - darauf an, in der freiheitlichen Demokratie so zu leben und, was das politische, ökonomische und im weitesten Sinne intellektuelle Establishment betrifft, die Demokratie so vorzuleben, daß die Bürger auf den Gedanken kommen, es gibt im Zusammenleben der Menschen Gleichwertiges, aber nichts Wertvolleres als die Freiheit.
Der Autor ist Schriftsteller. Zu seinen bekanntesten Werken zählten "Die wunderbaren Jahre". Er hielt die Rede während des Freiheitskongresses der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Januar in Berlin
eingetragen von Norbert Lindenthal am 01.12.2008 um 06.55
Welt online 30. November 2008 13:04 Uhr
KLARTEXT, BITTE!
Wickert fordert neuen Umgang mit der Sprache
Immer wieder tauchen umstrittene Worte in der Öffentlichkeit auf. "Unterschicht" etwa, "Blutrecht" oder "Ehrenmord". Fernsehmoderator Ulrich Wickert streitet für einen neuen Umgang mit der Sprache. Man soll die Dinge deutlich beim Namen nennen: Es heißt "Gier" und nicht "Profitmaximierung"
[Bilder] 19 Stück
In seiner „Ode an die deutsche Sprache“ schreibt der große argentinische Dichter Jorge Luis Borges: „Dich aber, süße Sprache Deutschlands, / Dich habe ich erwählt und gesucht, / ganz von mir aus. / In Nachtwachen und mit Grammatiken, / aus dem Dschungel der Deklinationen, / das Wörterbuch zur Hand, / das nie den präzisen Beiklang trifft, / näherte ich mich Dir? / Du Sprache Deutschlands, bist Dein Hauptwerk; / Die verschränkte Liebe der Wortverbindungen, / die offenen Vokale, die Klänge, / angemessen dem griechischen Hexameter?“
Da horche ich auf: Dich aber, süße Sprache Deutschlands, Dich habe ich erwählt und gesucht, ganz von mir aus. Mit einer Sprache kann wohl nur der glücklich werden, der sie erwählt und sucht, ganz von sich aus.
Anders ausgedrückt: Glücklich kann nur werden, wer die Sprache bewusst anwendet. Sprache und Geschichte lassen sich nicht trennen. Und Feinfühligkeit gegenüber dem Sinn von Worten gilt in besonderem Maße für die Deutschen – wegen der zwölf Jahre des Nationalsozialismus, wegen des Weltkrieges, der Konzentrationslager, Gaskammern, wegen der Judenvernichtung.
Nach dem Dritten Reich haben sich die Deutschen angewöhnt, mit ihrer Sprache besonders kritisch umzugehen. Doch häufig habe ich den Eindruck, dass schon eine Tabu-Haltung gegenüber Worten als kritisches Denken angesehen wird. Mit Bewusstsein hat das nichts zu tun. Denn der Sinn von Tabus ist ja, das Denken auszuschalten. Und Tabu sind – wegen Auschwitz – Worte wie etwa „Führer“.
So erklärte Rolf Hochhuth dem Literaturkritiker Hellmuth Karasek, er habe nie den „Führerschein“ gemacht, weil darin das Wort „Führer“ vorkomme. In seiner Strenge ist Hochhuth sehr deutsch. Er bestimmt als Kritiker die Gebote und Verbote. Karasek machte sich darüber lustig: „ Ich habe ja, obwohl man in meiner Kindheit mit erhobenem Arm „Heil Hitler“ grüßte, was damals alles andere als komisch war, Heil Hitler und Sieg Heil, trotzdem im Nachkrieg Heilbutt gegessen und Heilkräutertee getrunken.“
Ganz banal scheinende Worte unterliegen Tabus. Wird an deutschen Schulen die Frage von Schuluniformen angesprochen, dann kochen die Gefühle schon allein wegen des Begriffs Uniform hoch. Klüger ist, wer dann von Schulkleidung spricht. In Frankreich, England, Spanien sprechen alle von Uniformen, weil Uni-Form ja nur die Einförmigkeit der Kleidung bezeichnet. Aber Uniform heißt dann für die Wahrer der Tabus: Wehrmacht, heißt Verbrechen.
Das zeigt: Tabus verhindern das Denken. Wir wollen nicht mehr unmenschlich scheinen. Also verdrängen wir Worte, aber mit den Worten auch die Probleme, die diese Worte schildern.
So haben wir das gesellschaftlich bedeutende Wort „Unterschicht“ aussortiert. Weil ich persönlich Tabus hasse, habe ich in einem Fernsehgespräch den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder gefragt, ob er aus der Unterschicht stamme. Er ist ein Barackenkind, die Familie lebte von Sozialhilfe und Schwarzarbeit der Mutter, Schröder konnte nicht auf das Gymnasium, weil das Geld fehlte.
Er hat das Wort angenommen und bestätigt: Ja, er sei ein Kind der Unterschicht. Schröder schilderte seine Jugend, fügte aber hinzu: ich habe alles getan, um aus der Unterschicht nach oben zu gelangen.
Weil das Dritte Reich für Rassenpolitik und die Verfolgung anders denkender Menschen steht, erleben wir in Deutschland allerdings auch unkritische Milde, ja, ein Übermaß an Toleranz, wenn es um Worte geht, die unseren Werten widersprechen, mit denen aber aus dem Ausland stammende Bürger in Deutschland Verbrechen rechtfertigen wollen.
Ich ärgere mich regelrecht, wenn ich das Wort „Ehrenmord“ höre. Selbst in Anführungszeichen oder mit einem „so genannt“ möchte ich es nicht lesen. Ehre und Mord widersprechen sich. Die Ehre eines Menschen beruht auf der Menschenwürde. Der Mord ist die Vernichtung des Menschen. Einen Mord aber mit der Menschwürde zu begründen ist aberwitzig, ist dumm.
Immer wieder hören wir, dass junge Frauen, die in Deutschland so leben wollen, wie junge Frauen in Deutschland leben, nach Beschluss des Familienrates von ihren jungen Brüdern oder Verwandten kaltblütig ermordet werden. Die Mörder kommen vor Gericht. Sie werden auch verurteilt. Aber weil sie sich mit dem Begriff „Ehrenmord“ verteidigen, haben Richter in Deutschland sich immer wieder dazu verleiten lassen, eine mildere Strafe zu verhängen, da es sich ja in der Heimat der Täter um einen „Ehrenmord“ handle.
GEORGE ORWELL UND DAS "NEUSPRECH"
Ich glaube, viele Begriffe in der gesellschaftlichen und politischen Debatte müssen wieder ihrer ursprünglichen Bedeutung zugeordnet werden. Sie müssten wieder klar ausdrücken, was der meint, der sie benutzt, und nicht dazu dienen, das eigentlich Gemeinte schönrednerisch zu verschleiern.
Denn in der modernen Wohlstandsgesellschaft hat sich breitgemacht, was George Orwell in seinem Roman 1984 als „newspeak“, als Neusprech, bezeichnet hat. „Newspeak“ wird in der Gesellschaft von Orwells Roman angewendet, um den Menschen dort gedanklich die Möglichkeiten vorzuenthalten, Missstände klar benennen zu können. In der utopischen Zwangsgesellschaft von 1984 wird Klartext zur Gefahr für die Machthabenden. Und ohne dass wir es merken, leben auch wir längst in einer Art gedanklichen und sprachlichen Zwangsgesellschaft.
Wie das „Unterschicht“-Beispiel zeigt, wird auch bei uns häufig Neusprech angewendet, um einen gesellschaftlichen Missstand zu verschleiern. Unterschicht tut weh – als Wort. Prekariat versteht die Masse nicht – und vergisst das gesellschaftliche Problem.
PROBLEME LIEBER KLAR AUSSPRECHEN
Klartext reden aber bedeutet: ein Problem beim Namen nennen. Selbst wenn es wehtut. Sonst können die Probleme nicht in ihrer wirklichen Tragweite wahrgenommen und erst recht nicht gelöst werden.
Klartext reden genügt aber nicht. Wer sich über einen Zustand beklagt, wer klare Rede und klares Denken einfordert, muss auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und entsprechend zu handeln.
Sehr früh in meinem Leben als Fernsehjournalist erreichte mich der Brief einer Zuschauerin. Sie hatte in einer Sendung mehr als siebzig Fremdworte gezählt und beklagte sich darüber mit der Feststellung, viele Zuschauer würden diese Worte nicht verstehen. Gilt es eine Aussage zu treffen, so hat man häufig die Wahl zwischen einem Wort mit deutschem Stamm oder ein Fremdwort. Ich habe gelernt, das deutsche Wort wirkt stets stärker.
So benutzte ich nicht den Begriff „Sanktionen“. Die kommen immer dann vor, wenn vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wieder einmal Sanktionen gefordert oder beschlossen werden. Aber bitteschön, was sind Sanktionen? Strafmaßnahmen. Ja, den Begriff verstehe ich: Da steckt Strafe drin. Was Strafe bedeutet, weiß jeder von Kindesbeinen an, wahrscheinlich ist es selbst das eine oder andere Mal gestraft worden. Gegen welches Kind werden schon Sanktionen verhängt?
Politiker sehen es manchmal gar nicht gern, wenn Journalisten das deutsche Wort für einen Terminus technicus benutzen, eben weil es deutlicher ausdrückt, worum es geht. Ein Beispiel: 1999 machte sich der sozialdemokratische Innenminister Otto Schily daran, das Staatsbürgerschaftsrecht zu ändern, also die Bedingungen, unter denen man Deutscher wird. Bisher herrschte das ius sanguinis. Deutscher war, wer von deutschen Eltern abstammte.
Was aber bedeutet ius sanguinis? Das deutsche Wort dafür heißt: „Blutrecht“. Ei verdammt! Das klingt nicht gut. Da denken wir sofort an Blut und Scholle.
NIE IM FERNSEHEN "HOLOCAUST" GESAGT
Aber ius sanguinis heißt nun einmal Blutrecht. Und dieses Recht wollte der SPD-Innenminister abschaffen. So habe ich in meinen Moderationen zu der politischen Auseinandersetzung um das neue Staatsbürgerschaftsrecht gesagt, dass die Opposition sich gegen die Abschaffung des Blutrechts wende.
Auch der Begriff „Holocaust“ kam in meinen Moderationen nicht vor. Oder gar „Shoa“. Beide Worte sind über Filmtitel nach Deutschland gelangt: Holocaust über die gleichnamige Serie, die Ende der Siebzigerjahre gesendet wurde. Deren Ausstrahlung durch die ARD war heftig umstritten. Aber erst durch diese Serie bürgerte sich bei den Deutschen das Wort Holocaust ein, das aus dem Griechischen kommt und Brandopfer bedeutet. Ähnlich ging es dem Wort Shoa, so nannte Claude Lanzmann seinen bedrückenden Dokumentarfilm über die Judenverfolgung. Shoa, das ist hebräisch für Unheil. Statt Holocaust oder Shoa zu verwenden, sprach ich stets von der Vernichtung der Juden.
In den Zeiten der Finanzkrise können wir auch über die Ökonomisierung des Lebens – und damit der Sprache nachdenken. Die Ökonomisierung des Lebens bedeutet: alle Bereiche des Handelns werden nur noch nach dem Maßstab gewertet, ob es der Ökonomie nutzt. Was der Ökonomie nutzt, ist gut. Die ökonomische Begründung gibt Begriffen eine positive Deutung.
JOSEF ACKERMANN UND DIE GIER
Die Gier ist eine der sieben Hauptsünden. Also nennen wir den Begriff um. Statt „Gier“ sagen wir „Profitmaximierung“, und schon wird aus der Sünde eine Tugend. Nun klagte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann jüngst in der SZ, er könne das Wort „Gier“ nicht mehr hören. Von Sünden reden Sünder ungern. Sie geben sich lieber tugendhaft, so wird Herrn Ackermann die „Profitmaximierung“ genehm sein. Auch wenn dieser „Neusprech“ die Welt ins Unglück führt.
Rolf Hochhuth hat ein Sprachgesetz nach französischem Vorbild gefordert. Werfen wir also einen Blick auf das französische Gesetz für die Reinheit der Sprache. Staatlich diktiert werden da französische Worte für englische Ausdrücke: statt walkman baladeur (Spaziergänger); aus jumbo-jet wird grosporteur (Großträger); fast food wird verdaulich als prêt-à-manger (Konfektionsessen).
Doch manchmal sind selbst Beamte überfordert. Mit Beschluss vom 12. August 1976 verfügte die offenbar hilflose Terminologiekommission des Verteidigungsministeriums, das deutsche Wort „der Schnorchel“ sei im Französischen als „le schnorchel“ zu verwenden.
FRANKREICHS GESETZ ZUR REINHEIT DER SPRACHE
Die Begründung für das Gesetz zur Sprachreinheit in Frankreich klingt kabarettreif. Es sei eine „unverzichtbare Waffe im Kampf um den Erhalt der nationalen kulturellen Identität. Das größte Verbrechen ist der Mord an der Sprache einer Nation. Es gibt verschiedene Arten der Kolonisation, die schlimmste ist die innere Entfremdung von der eigenen Kultur, der eigenen Sprache. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird bald eine Handvoll Tauber über Millionen von Stummen regieren. Zum Schutz bedrohter Tierarten gibt es schon lange Gesetze. Es wurde höchste Zeit für ein Gesetz zum Schutz unserer bedrohten Sprache.“
Ich möchte nicht, dass der Staat sich in die Sprache einmischt. Reicht nicht, was Beamte und Politiker für ein Chaos mit der Rechtschreibreform geschaffen haben? Die Sprache lebt im Volk. Vergessen wir nicht, dass französische Hugenotten zur Zeit des Großen Kurfürsten nach Deutschland auswanderten, dass Verfolgte der Französischen Revolution auch ihre Sprache mit nach Preußen brachten.
Heute benutzen wir Worte, deren fremden Ursprung wir gar nicht mehr kennen. Wenn jemand etwas „ratzekahl“ auffrisst, dann leitet sich dieses Wort vom französischen „radical“ ab. Forschsein hat mit „force“ (mit Kraft) zu tun, und der Deez leitet sich von der „tête“ ab. Lassen wir die Sprache leben, wenn wir sie lieben und mit ihr glücklich sein wollen.
Ulrich Wickert (65) moderierte von 1991 bis 2006 die ARD-Tagesthemen. Seitdem widmet er sich schreibend und moderierend den Büchern. Im sommer erschien sein zweiter Krimi, "Der nützliche Freund" (Piper).
eingetragen von Detlef Lindenthal am 22.10.2008 um 21.04
DIE WELT macht hier allerdings den Fehler, daß sie Deutschland gleichsetzt mit Deutschlands veröffentlichter Meinung, die von einer gleichgeschalteten, demokratisch nicht legitimierten Minderheit hergestellt wird.
Die getöteten Soldaten kehren Heim
Quelle: Die Welt
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Eines trauriger als das andere:
Kein Verteidigungs-und-Angriffs-Minister hat mir erläutern können, wieso Deutschlands Freiheit ausgerechnet am Hindukusch zu verteidigen wäre; und
kein Kultus-und-Kulturabbau-Minister oder Lehrer konnte irgendwem nachvollziehbar erklären, wofür der Großschreib-Umsturz, genannt Rechtschreib„reform“, gut sein soll.
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Norbert Lindenthal am 04.07.2008 um 06.29
Welt 4.7.2008
…
In Sachsen sind zahlreiche Gerichtsverfahren anhängig, mit denen ein neuer Bürgerentscheid erzwungen werden soll. Größtes Hindernis für einen Kurswechsel zur Tunnellösung ist bisher nämlich ein Bürgerentscheid von 2005, in dem sich die Dresdner mit klarer Mehrheit (67,9 Prozent) für den Brückenbau ausgesprochen hatten.
…
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Norbert Lindenthal am 03.07.2008 um 10.11
Die Welt 3. Juli 2008, 10:07 Uhr
Karlsruhe
Bundestagswahlrecht teils verfassungswidrig
Überraschendes Urteil aus Karlsruhe: Die Regelungen für die Sitzverteilung bei der Bundestagswahl sind laut Bundesverfassungsgericht teilweise verfassungswidrig. Die letzte Bundestagswahl beruht damit auf einem Wahlfehler. Doch das Wahlergebnis bleibt in Kraft.
Das Bundesverfassungsgericht hat Teile des Bundestagswahlrechts für verfassungswidrig erklärt. Die Vorschriften zum sogenannten negativen Stimmgewicht verletzten die Gleichheits-Grundsätze, urteilten die Richter in Karlsruhe. Obwohl die letzte Bundestagswahl damit auf einem Wahlfehler beruhe, werde der derzeitige Bundestag aber nicht aufgelöst. Der Gesetzgeber müsse jedoch bis Ende Juni 2011 Regelungen finden, mit denen dieses Paradox künftig vermieden werde (Az.: 2 BvC 1/07).
Durch das negative Stimmgewicht kann eine Partei mehr Mandate erhalten als ihr nach den Zweitstimmen zustehen. Umgekehrt kann auch eine Partei mit zu viel Zweitstimmen weniger Mandate bekommen. Der Grund dafür ist das Zusammenwirken von Direktmandaten und Zweitstimmen bei einer Bundestagswahl.
Bei der Dresdner Nachwahl, die wegen des Todes einer NPD-Direktkandidatin notwendig geworden war, musste die CDU unter 41.225 Zweitstimmen bleiben. Ein höherer Wählerzuspruch hätte in Sachsen selbst nichts gebracht, weil die Union dort bereits mehrere Überhangmandate gewonnen hatte, aber zugleich wegen der bundesweiten Verrechnung zu einem Mandatsverlust geführt. Mit entsprechender Wähleraufklärung konnte die CDU ihr Ergebnis in Sachsen unter diese Grenze drücken.
Gegen diese Praktiken hatten zwei Wähler geklagt. Mit dem verkündeten Urteil hat erstmals in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts eine Wahlprüfungsbeschwerde von Bürgern Erfolg.
Nach den Worten des Zweiten Senats führt die Klausel zu „willkürlichen Ergebnissen und lässt den demokratischen Wettbewerb um Zustimmung widersinnig erscheinen“. Dabei handele es sich nicht etwa um eine seltene Ausnahme. Der Effekt wirke sich regelmäßig auf das Wahlergebnis aus, sobald Überhangmandate entstünden – also wenn eine Partei in einem Land mehr Direkt- als Listenmandate gewinnt.
Dieser Artikel hat zunächst nichts mit Rechtschreibung zu tun, lenkt aber einmal Licht darauf, daß sich Parteien nicht gleich wie nach dem Verständnis für Volksentscheide einrichten. Mit Volksentscheid hat Rechtschreibung sehr viel zu tun. - Norbert Lindenthal
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Detlef Lindenthal am 01.08.2007 um 17.13
http://www.welt.de/politik/article1069858/Ein_Wirrwarr_wie_im_19._Jahrhundert.html?page=3
>>31. Juli 2007, 17:34 Uhr
Von Dankwart Guratzsch
Rechtschreibreform
"Ein Wirrwarr wie im 19. Jahrhundert"
Die neuen Schreibweisen der Reform sind ab morgen in ganz Deutschland verbindlich, selbst für Nachrichtenagenturen. Von einer einheitlichen Regelung kann aber trotzdem keine Rede sein: Schweizer verglichen die Reform schon mit den Zuständen vor über 100 Jahren.
Bild: Dudenreklame; Bildunterschrift: Die letzte Übergangsfrist ist vorbei, nun muss in der neuen Rechtschreibung geschrieben werden
Nach einem Jahr „Pause“ in Sachen Rechtschreibreform werden Schüler, Lehrer, Ämter und Zeitungsleser von heute an erneut mit „neuen“ oder „neu verbindlichen“ Schreibweisen konfrontiert. Der Grund ist ein doppelter: Einmal vollzieht der von den Kultusministern ins Leben gerufene Rechtschreibrat unter Vorsitz des früheren bayerischen Kultusministers Hans Zehetmair (CSU) den offiziell zunächst „letzten“ Schritt der Rechtschreibreform. Gleichzeitig führen die Nachrichtenagenturen vereinheitlichte Schreibweisen ein, die ihrerseits aber keineswegs den Schreibweisen an den Schulen entsprechen müssen.
Was ändert sich, und was ist verbindlich? Die Deutsche Presseagentur hat zum Stichtag eine Wörterliste veröffentlicht, in der künftige verbindliche Neuschreibungen aufgelistet werden. „Eislaufen“ muss nun wieder klein und zusammengeschrieben werden, „leidtun“ – anders als früher – ebenfalls. Für andere Verbindungen wie „näher kommen“, „kennenlernen“, „warmmachen“, „richtigstellen“ oder „schwerkrank“ ist Zusammen- oder Getrenntschreibung freigestellt, „Rad fahren“ darf nur noch groß und getrennt geschrieben werden. „Bis auf weiteres“ und „sich zu eigen machen“ sind wieder verbindlich kleinzuschreiben, der „Blaue Brief“ und die „Rote Karte“ kommen – je nach Bedeutung – wie einst in großer und kleiner Schreibweise vor.
Auch diesmal ist es nicht durchgreifend gelungen, die unterschiedlichen Schreibweisen mit Bedeutungsgehalten zu verbinden. Nach „offizieller“ Rechtschreibung und damit auch an den Schulen wird von heute an ein zusammengeschriebenes „wieviel“, „zuviel“ oder „jedesmal“ als Fehler angestrichen. Wer in Analogie zur nun allein offiziell zugelassenen Schreibung „jedes Mal“ allerdings auch „dies Mal“ oder „jeder Zeit“ schreibt, macht ebenfalls einen Fehler.
Bei „Schiff-Fahrt“ taucht plötzlich als neue Variante ein Bindestrich auf, bei Fremdwörtern bleiben kuriose Neuschreibungen wie „Ketschup“ oder „Grafologe“ gestattet.
Auch die Nachrichtenagenturen haben mit der Reform zu kämpfen
Dieselbe Uneinheitlichkeit begegnet einem auch in der von heute an eingeführten Rechtschreibung der Nachrichtenagenturen. Mit ihr sollten Widersprüche zwischen den Wörterbüchern Duden und Wahrig beseitigt werden. Wie die Forschungsgruppe Deutsche Sprache moniert, ist dies aber keineswegs gelungen. „Vielmehr bieten sie eine inkonsistente Mischorthografie an, in der es zwar ,hartgekocht‘, aber ,gar gekocht‘, zwar ,nass geschwitzt‘, aber ,rotgeweint‘ heißen soll: eine Orthografie also, die unerlernbar und nicht nur für die Zwecke der Printmedien unbrauchbar ist“, kritisiert das Gremium, dem Sprachwissenschaftler wie Theodor Ickler und Christian Stetter sowie die Schriftsteller Walter Kempowski, Sten Nadolny und Adolf Muschg angehören.
Heftige Kritik an den Endergebnissen der Rechtschreibreform kommt auch von der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK). Nach ihrer Meinung habe der Rat für deutsche Rechtschreibung ein Regelwerk vorgelegt, „das bloss (Schweizer Schreibweise) ein politischer Kompromiss, aber keine Grundlage für eine sprachrichtige und einheitliche Rechtschreibung ist“. Dadurch herrsche heute in Kernbereichen der Rechtschreibung ein „Wirrwarr, wie wir ihn zuletzt im 19. Jahrhundert hatten“.
Die SOK empfiehlt daher „ohne weiteres“, „des weiteren“ (nicht: ohne Weiteres, des Weiteren) und „der eine“, „der erstere“ (nicht: der Eine, der Erstere) zu schreiben. Und sie will nicht gelten lassen, das längst übliche Wort „jedesmal“ durch „jedes Mal“ zu ersetzen. Generell solle mit „grossen Buchstaben“ (Schweizer Schreibweise) „sparsam“ umgegangen werden.
Für Deutschland hat Hans Zehetmair angekündigt, dass sich die neuen Schreibweisen entsprechend dem Schriftgebrauch weiter verändern würden. Dafür will der 40-köpfige Rechtschreibrat unter seiner Führung sorgen. Ob das auch zur (weiteren) Rückkorrektur neu eingeführter Schreibweisen führen kann, hat er nicht gesagt.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gelten die neuen Schreibregeln auch weiterhin nur für Schulen und Behörden. Im Alltagsschreibgebrauch kann jeder Bürger auch künftig die ihm sympathischste Rechtschreibung wählen. Die Mehrheit der prominenten Schriftsteller – an der Spitze Günter Grass – hat dieses Recht für sich ausdrücklich in Anspruch genommen und veröffentlicht die eigenen Werke nach wie vor in herkömmlicher Rechtschreibung. <<
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Nun, Herr Guratzsch, was ist das für ein Gefühl, wenn dem von Ihnen sorgfältig rechtgeschriebenen Aufsatz anschließend von einem sich für Geld hergebenden Mietling oder, schlimmer noch, von einem M$-Automaten mittels ss-Schreibung das Mindestmaß von Herdengeruch angeimpft wird?
Schreiben Sie bei uns! Wir verhunzen Ihre Rechtschreibung nicht.
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Norbert Lindenthal am 20.06.2007 um 18.50
„Die Welt“ 2007-06-14
Andrei Plesu:
Deutsche, bekennt Euch zu Eurer Sprache!
Für die Eröffnungsrede des Festivals „Die Macht der Sprache“ haben sich die Organisatoren Andrei Plesu ausgesucht. Der frühere rumänische Kultur- und Außenminister erklärt, warum die Welt erwartet, daß Deutsche deutsch reden.
Der rumänische Kunsthistoriker und Religionsphilosoph Andrei Plesu fordert die Deutschen zu neuem linguistischen Selbstbewußtsein auf.
Die folgende Rede, die WELT ONLINE in Auszügen veröffentlicht, hielt Andrei Plesu am Donnerstag im Deutschen Bundestag. Das Goethe-Institut, der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und andere Institutionen wollen mit der zweitägigen Veranstaltung „Die Macht der Sprache“ die Bedeutung der Sprache in einer globalisierten Welt erörtern und ein breites Publikum anregen, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen:
Friedrich II. von Hohenstaufen soll – von dem Wunsch beseelt, die „Ursprache“ der Menschheit auf experimentelle Weise wiederzufinden – befohlen haben, zwei Neugeborene von jeglichem sprachlichen Stimulus und von jedem Kontakt zum menschlichen Sprachbereich zu isolieren. Die beiden Kinder wurden folglich zwar ausgezeichnet gepflegt, doch niemand richtete ein Wort an sie und niemand sprach in ihrer Umgebung. Die beiden „Subjekte“, so hoffte der Kaiser, würden – angetrieben durch das angeborene Bedürfnis nach Kommunikation und ohne jedes äußere linguistische Modell – spontan beginnen, sich in der Ursprache der Zeit vor dem Turm zu Babel zu unterhalten.
Doch trotz genauestens überprüfter guter körperlicher Verfassung und einer echt prinzenhaften physiologischen Versorgung verstarben die beiden Kinder nach nur wenigen Jahren, verloren in einem Abgrund der Stummheit. Friedrich II. hat folglich nichts über die Ursprache in Erfahrung bringen können. Doch er erfuhr – zu einem Preis, den nur Kaiser zahlen können – etwas viel Wichtigeres: Daß das Sprechen kein Anhang des Menschlichen ist, kein nebensächliches Teil in seinem biologischen und sozialen Haushalt. Das Sprechen ist für den Menschen eine Realität desselben Ranges wie Nahrung und Luft – und es ist als solches lebensnotwendig.
Kein „Leben ohne Wort“
Beim Sprechen geht es nicht um eine einfache „Kommunikations“-Übung, wie ein beachtlicher Teil der modernen Linguistik geneigt ist anzunehmen. Sprechen bedeutet, deinen Gesprächspartner aufzubauen oder zu vergiften. Das Wort ist kein Nebenphänomen des Lebens und der Intelligenz. Im Gegenteil – es ist die Quelle der beiden, ihr Lebensrhythmus, kurz, ihr Atem. Zwischen dem Hauch des Geistes, der Beseelung des Lebens und dem Geist des Wortes herrscht folglich eine völlige Übereinstimmung. Lebendig sein und der Sprache mächtig sein, sind zwei simultane Wirkungen derselben Ursache. Auf menschlicher Ebene gibt es kein „Leben ohne Wort“ und kein „Wort ohne Leben“. ...
Die Macht des Wortes ist umfassender als sein linguistischer Wert – sie ist trans-linguistisch. Das Wort ist nicht nur signifikant, sondern auch erbaulich und stärkend. Es kann das Unkommunizierbare kommunizieren, eine Tatsache, die von der Forschung eher selten berücksichtigt wird, aber von den Schriftstellern aller Zeiten als eine Offenkundigkeit. ...
Sprache, ein Schleier vor unseren Gedanken
Die Macht des Wortes stützt sich auf zwei entscheidende Annahmen:
1. Das Wort ist nicht einfach ein Werkzeug des Menschen, sondern es ist Teil seines Wesens, und
2. Es hat ein weitaus umfassenderes Aktionsfeld als das der einfachen Kommunikation. „Wir können die Wörter benützen“, schreibt George Steiner, „um zu beten, zu segnen, zu heilen, zu töten, zu verstümmeln und zu foltern. Der Mensch schafft – und zerstört – durch Vermittlung der Sprache. ... Die autonome Macht des menschlichen Sprechens hat keinerlei Grenze“.
Wir sprechen demnach nicht nur, um unsere Gedanken auszudrücken. Wir sprechen oft – so wie Talleyrand dies formulierte –, um unsere Gedanken zu verbergen. Kierkegaard ging noch weiter: Wir sprechen oft, um die Tatsache zu verbergen, daß wir nicht denken. Wenn Sprache und Sprechen eine solche Macht haben, dann haben jene, die sie benützen, eine enorme Verantwortung. Kurz vor seinem Tod sagte Sokrates zu seinem Freund Kriton: „Das schlechte Verwenden der Wörter ist nicht bloß ein Sprachfehler, sondern eine Art und Weise, den Seelen Böses anzutun.“ ...
Konfuzius: Die Dinge beim Namen nennen
Der Anspruch auf eine gute Verwendung der Sprache richtet sich vor allem an die Menschen und Institutionen, für die das Sprechen ein Beruf ist: an die Presse in allen ihren Varianten, die Schule auf all ihren Ebenen, an die Schriftsteller und Politiker. Aus dieser Ecke werden gültige und taugliche Kriterien für einen Lebensstil und ein menschenwürdiges Zusammenleben erwartet. Der Parlamentarier, der eine Rede hält, übermittelt nicht nur eine politische Botschaft, konterkariert nicht nur die Meinung eines Gegners – er bietet seiner Zuhörerschaft eine „manière d'être“ an, ein gewisses Verhaltens-Design, ein globales Gefühl der öffentlichen Ordnung und Werte.
„Was würdest du als erstes tun, wenn man dich mit den Regierungsgeschäften beauftragen würde?“, wurde einmal Konfuzius gefragt. Die Antwort lautete folgendermaßen: „Das Wesentliche ist, die Dinge korrekt zu benennen. Wenn die Bezeichnungen nicht korrekt sind, passen die Wörter nicht mehr. Wenn die Wörter nicht mehr passen, gehen die Staatsgeschäfte schlecht. Wenn die Staatsgeschäfte schlecht gehen, können auch Rituale und Musik nicht gedeihen. Wenn Rituale und Musik nicht gedeihen können, sind Urteile und Strafen nicht länger gerecht. Wenn Urteile nicht mehr gerecht sind, weiß das Volk nicht mehr, wie es sich verhalten soll. ...
Warum totalitäre Systeme der Sprache schaden
Die Tugenden und die ausstrahlende Macht der Sprache haben jedoch auch eine Kehrseite der Medaille, und diese resultiert aus rhetorischem Mißbrauch, ideologischer Mißbildung, lexikaler Armut, grammatikalischem Primitivismus, schlechtem Geschmack und Falschheit. Es gibt Phänomene der Vergewaltigung der Sprache, der Amputierung ihrer Energie oder der abweichenden, manipulierenden Verwendung ihrer Ressourcen. Mit anderen Worten, der Sprache bleiben manchmal – öfter sogar, als uns lieb ist – Episoden der Machtlosigkeit, der Ohnmacht oder des Deliriums nicht erspart. ...Wir sprechen über brain-washing, Manipulation und psychischen Terror. Für jemand, der wie ich aus dem europäischen Osten kommt, heißt all dies „hölzerne Sprache“. ...Die hölzerne Sprache ist ein Gemisch aus Armut und Redseligkeit.
Eine Statistik belegt, daß die Sprache der sowjetischen Presse, die zur Erziehung des „neuen Menschen“ berufen war, nur 1500 von insgesamt 220.000 im Wörterbuch der russischen Sprache verzeichneten Wörtern verwendete. ...Wir finden äquivalente Mißbildungen im Nazi-Diskurs, im kommunistischen Diskurs und, bis zu einem Punkt, in einer gewissen Demagogie der Französischen Revolution. Es gibt eine Holzsprache des Maoismus, eine der westeuropäischen intellektuellen Linken und eine der rechtsextremen Xenophobien. Mit dem von den beiden großen Totalitarismen des vergangenen Jahrhunderts hervorgerufenen linguistischen Desaster läßt sich sicherlich nichts vergleichen. Es schadet aber nicht, besondere Vorsicht walten zu lassen bei den bereits „holzigen“ Komponenten des EU-Diskurses (Integration, Triumphalismus, Anti-Amerikanismus), des „liberalen Fundamentalismus“ – wie John Gray ihn nennt – der Säkularisation, des missionarischen amerikanischen Ethizismus, des Ökologismus, des Macho-Konservatismus und der Homo-Emanzipation.
Eine Inflation der Wörter
Durch die eigennützige Ausbeutung der Sprache kann jede Idee zu einem anämischen Schema, zum voraussehbaren Kunstgriff eines Dogmas reduziert werden. Jeder Sprecher ist ein potenzieller Manipulator seines Gesprächpartners. Jeder Diskurs ist ein Akt der Verführung – mit all den Risiken, die solch ein Akt voraussetzt. Und das vor allem in einer Epoche, in der Gott allem Anschein nach als Einziger das Schweigen gewählt hat. Es gibt mehrere Modalitäten, wie man durch und über die Sprache erkranken kann. So wie es mehrere Wege gibt, sich durch die Sprache zu retten. Für eine umfassende Inventur der klinischen Symptome und heilenden Rezepturen reicht die Zeit nicht aus. Ich beschränke mich auf drei zeitgenössische Disfunktionen. ...
I. Wir leiden auf planetarischer Ebene an einer Inflation der Wörter. Es wird enorm viel geredet. Zu Vorträgen, Konferenzen und über das Fernsehen übertragenen Debatten kommt heute das gesamte Arsenal der neuesten Technologien hinzu: Internet und Mobilfunk in erster Reihe. Weil man von überall mit jedermann sprechen kann, tut man das auch. ....Die verbale Askese, die restaurierende Disziplin des Schweigens, der hygienische.Rückzug aus dem inkontinenten Fluß des alltäglichen Geschwätzes könnte uns möglicherweise helfen, die ursprüngliche Frische des Ausdrucks, den wahren Wert eines jeden gesprochenen Wortes wiederzufinden. ...
Fremde Zungen entzweien die Menschen
II. Eine zweite Bedrohung unserer zeitgenössischen Welt ist – so seltsam es scheinen mag – der Monolinguismus, die provinzielle Einkapselung im eigenen Idiom, die Verweigerung der linguistischen Andersartigkeit. Es ist das, was ich als das Erbe des Turms zu Babel bezeichnen würde. Statt zu vereinen, entzweit die Sprache. ... Eine Stadt – wo sie auch liegen mag –, in der sich der Sprecher von zwei, drei Weltsprachen mit niemand verständigen kann – es sei denn durch Zeichen – ist zu diesem Zeitpunkt der Geschichte eine tote Stadt. Solche Städte gibt es, manche gar im Herzen von Europa. ...
III. Die letzte Gefahr aber, über die ich zu Ihnen sprechen möchte, besteht eben in einer möglichen Fehlentwicklung des Plurilinguismus: die Vernachlässigung und Minimalisierung der eigenen Sprache und – extrem – ihre Verachtung. Bei Punkt zwei hatte ich vor dem Risiko gewarnt, nur in der eigenen Sprache zu sprechen. Jetzt möchte ich das Risiko verdeutlichen, das in der Minimalisierung oder sogar Aufgabe der Sprache liegt, in die man geboren wurde. ... Im Namen ihrer Einzigartigkeit haben wir alle die Pflicht, uns mit größtmöglicher Sorgfalt um unsere eigene Sprache zu kümmern. Wir haben die Pflicht, sie zu erhalten, ohne sie verknöchern zu lassen, sie zu erneuern, ohne sie zu entstellen, und dafür zu sorgen, daß sie bei dem Auftritt vor aller Welt in ihrer optimalen Version erklingt. Auf Ihnen, meine Damen und Herren, lastet die große Verantwortung der Pflege der deutschen Sprache.
Wenn Sprache zum Himmel führt
Ich möchte Sie ermutigen, den Klang der deutschen Sprache ins Rampenlicht zu rücken, so oft das nur möglich ist. Ich weiß, das ist nicht einfach. Ich weiß, daß ein historisch bedingter Komplex Sie Zurückhaltung üben läßt gegenüber jeglicher politischer oder kultureller Verwertung des „nationalen Spezifikums“. ... Ein Kirchenvater wie Origines schrieb die Geburt der Sprachen den Engeln zu. Da jedes Volk einen bestimmten Schutzengel hat, kann angenommen werden, daß eben dieser Engel auch der Schutzpatron seines Sprechens ist, jener also, der den lokalen Sprachen „Form“ verleiht. Eine Sprache sprechen wäre demnach – aus dem Blickwinkel dieser Hypothese – das Gleiche wie das Vermitteln zwischen deiner Welt und der Welt der anderen, so wie der Engel zwischen der Welt der Menschen und der Welt Gottes vermittelt.
Die nationalen Sprachen sind unser Teil des Himmels. Wir haben die Pflicht, sie allen zur Verfügung zu stellen ... Mir bleibt jetzt nichts anderes mehr übrig, als Sie zu warnen, daß jedes Mal, wenn Sie Scheu oder „political correctness“-Skrupel dazu bewegen, nicht Deutsch zu sprechen, Ihr Teil des Himmels unerforscht bleibt und Ihr Engel melancholisch wird.
Der Autor dieses Textes Andrei Gabriel Plesu wurde 1948 in Bukarest geboren. Er studierte Kunstgeschichte und Philosophie, war Lizentiat für Geschichte und Theorie der Kunst, bevor er als Professor an der Universität Bukarest Kunstgeschichte und Religionsphilosophie lehrte. In der Ceausescu-Ära politisch verfolgt, gründete er nach der Wende in Bukarest das „New Europe College“ sowie die Zeitschrift „Dilemma“.
Von 1990 bis 1991 war er der Kultur- und von 1997 bis 1999 der Außenminister Rumäniens.
Übersetzung: Malte Kessler
eingetragen von Sigmar Salzburg am 01.04.2007 um 17.04
WELT-Meisterschaftsrunde ss gegen ß
am 1. April 2007
Pauli und das sündige Auge des Betrachters
[Hier ein Ausschnitt aus der aufregendsten Spielphase:]
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Die moralinsaure Kritik einer Ingrid Heckner (CSU-Landtagsabgeordnete), Pauli solle „von ihrem Egotrip herunterkommen“ wirken dagegen einigermaßen abgeschmackt. Dass ein ausgeprägtes Ego in der Politik das Überleben sichert, ist hinlänglich bekannt. Auch daß Politiker mit ihrer Person ein ganzes Lifestyle-Paket vermarkten, ist wahrlich nichts Neues.
...
Das Spiel wurde beim Stand 6 : 5 für die „neuen“ ss abgebrochen.
http://www.welt.de/politik/article788183/Pauli_und_das_suendige_Auge_des_Betrachters.html
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Sigmar Salzburg
eingetragen von Norbert Lindenthal am 24.03.2007 um 19.14
Welt Freitag, 23. März 2007 | aktualisiert: 21:42 Uhr
In eigener Sache
Deutsche Sprache, schwere Sprache
Entweder mir sind ein paar nicht unwesentliche Details der letzten Rechtschreibreform entgangen, oder der nunmehr fast zweijährige Auslandsaufenthalt fordert Tribut. Oder beides. Jedenfalls stoße ich beim Schreiben in diesem Blog häufig auf Wörter, Formulierungen oder Satzstellungen, bei denen ich mir völlig im unklaren (Unklaren?) darüber bin, wie die korrekte Schreibweise lautet.
Um dem zu begegnen, habe ich beschlossen, mir einen Duden zu besorgen.
Die Frage ist nun:
Reicht mir die 22. Auflage (2000) oder 23. Auflage (2004), die beide bei einem der hiesigen Online-Buchhändler vorrätig zu sein scheinen? Oder soll es die 24. und aktuellste Auflage (2006) sein? Eine Buchlieferung aus Deutschland könnte ein paar Wochen dauern. Vielleicht also besser gleich die elektronische Version?
Falls unter den werten Lesern ein paar Philologen oder sonstige Sprachexperten sein sollten, freue ich mich über sachdienliche Hinweise in den Kommentaren. Vielen Dank!
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bitte über den Verweis oben zum Kommentarformular klicken und bei der Welt einen Volksentscheidsrat abgeben …
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Norbert Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.03.2007 um 23.49
...fache (z.B. Vierfache, das; -n [mit Ziffer 4fache od. 4-Fache ↑K66])
( Zur wirkungsvolleren Volksverdummung ist das „4-Fache“ als Empfehlung gelb unterlegt)
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Sigmar Salzburg
eingetragen von Detlef Lindenthal am 11.03.2007 um 20.19
Zwar weiß ich die Zeit des kommenden Nordsee-Morgenhochwassers (ungefähr 6 Uhr), aber leider weiß ich den ganz allerneuesten Stand der „Reform“schreibung nicht, weil mir der Duden-Verlag keine kostenlosen Werbeexemplare mehr sendet (vielleicht muß ich ihm einen freundlichen Brief schreiben ...).
Sigmar Salzbzurg schrieb:
Die Nachfrage nach Ruhigstellern ist ums 120-Fache gestiegen.
Dumm, aber vorschriftsmäßig.
Nach dem „Reform“-Duden vom August 2004 (23., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage) ebenso wie nach der 22. und 21. Auflage jedenfalls muß es „ums 120fache“ heißen, und 120-Fache ist eindeutig falsch, also nicht vorschriftsmäßig.
Einst fragte ich Herrn Klaus Heller, ob es nicht unsystematisch und unlernbar sei, wenn es in seiner „Reform“schreibung „120-mal“, aber „120fach“ hieße, und er verteidigte die Notwendigkeit dieser Unterscheidung aufs heftigste.
– Möglich, daß in der „Reform“reform die Schreibung 120-fach zusätzlich „erlaubt“ wird, aber vorgeschrieben ist sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht.
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 09.03.2007 um 06.26
Sie sind der Schrecken von Eltern und Lehrern: Kinder, deren aggressiver Bewegungsdrang nicht mehr zu kontrollieren ist. Inzwischen schlucken aber sogar Erwachsene Arzneien gegen ADHS. Die Nachfrage nach Ruhigstellern ist ums 120-Fache gestiegen.
Dumm, aber vorschriftsmäßig.
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Sigmar Salzburg
eingetragen von Sigmar Salzburg am 27.01.2007 um 08.02
Wilhelm II. war der erste moderne Deutsche
Der letzte deutsche Kaiser zog zeitlebens viel Spott auf sich. Nach seiner Abdankung war er plötzlich an allem Unheil Schuld.
Rauh ohne „h“ ist flau:
Norman Mailer: "Sex-Szenen müssen rau sein"
Der amerikanische Schriftsteller hat ein Buch über die Kindheit Adolf Hitlers geschrieben. Sein Vater sei von Sexualität besessen gewesen, erzählt der 84-Jährige im Interview….
Mailer: … Für mich war das die Sorte Sex-Szene, die ich für wahrscheinlich hielt. Es ist die raueste im Roman.
Dazu Elmar Krekeler in der gleichen Welt-online:
Der US-Schriftsteller Norman Mailer glaubt an den Teufel. Außerdem ist er der Meinung, dass Täter deswegen zu Tätern werden, weil sie eine schwere Jugend hatten. Das erinnert an Dani Levys Führer-Film, wonach Klein-Adolf einfach zu heiß gebadet wurde. Nur ist der Film Satire - und Mailer meint seinen Mist todernst.
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Sigmar Salzburg
eingetragen von Sigmar Salzburg am 24.01.2007 um 06.31
Der Klimawandel nimmt auch alten Volksliedern ihre Bedeutung: Die viel besungenen Frühlingsboten Amsel, Drossel, Fink und Star sind schon seit Langem keine echten Zugvögel mehr, wie der Frankfurter Zoologe Wolfgang Wiltschko am Dienstag sagte.
Die Welt online 24.01.2007
(Die Springer-Presse folgt den Dumm-Duden-Empfehlungen)
eingetragen von Sigmar Salzburg am 01.12.2006 um 07.04
Osloer Stadtparlament stoppt Denkmal für König Olav
Die norwegische Hauptstadt Oslo verzichtet nun doch auf ein vor sechs Jahren in Auftrag gegebenes Denkmal für den beliebten König Olav V. Der Präsident des Stadtparlaments, Per Ditlev-Simonsen, sprach von einer "extrem schwierigen Entscheidung". Der in Italien lebende norwegische Bildhauer Knut Steen (82) hatte sich gegen den Vorwurf wehren müssen, sein Denkmal erinnere allzu sehr an den italienischen Diktator Benito Mussolini (1883-1945). Die 7,5 Meter große Granitstatue hätte vor dem Rathaus errichtet werden sollen. Als besonders unglücklich empfanden die Auftraggeber, dass der 1991 gestorbene König auf dem Standbild seinen rechten Arm wie beim Gruß der italienischen Faschisten hebt, eine operettenhafte Uniform trägt und sein Kinn selbstbewusst nach vorne reckt. Steen, der in der Nähe von Carrara lebt, hat damit gedroht, dass Denkmal in Italien zu begraben. Steen wurde nach eigenen Angaben durch ein altes Foto, das den König in Gala-Uniform zeigt, zu dem Denkmal inspiriert.
WELT.de/dpa, Artikel erschienen am 29.11.2006
[Ein herkömmliches „daß“ wird schon mal vergessen, die neuen „dass“ aber werden eher häufiger eingesetzt – nach der demnächst unvermeidlichen Regel: „Bei betontem relativem Anschluss darf auch "dass" geschrieben werden“.]
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Sigmar Salzburg
eingetragen von Detlef Lindenthal am 01.12.2006 um 00.25
In Berlin und einigen Außenstellen haben einige wenige MfS-Mitarbeiter den Vertretern der Demokratiebewegung geholfen, dass MfS-System zu erkennen.
http://welt.de/data/2006/12/01/1129821.html
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.11.2006 um 03.32
Der Schatz der Deutschen
Nicht nur Migranten, auch viele Einheimische beherrschen das Deutsche nicht. Aber nur wer virtuos Worte findet, kann die Welt begreifen, meint der Präsident der Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung, Klaus Reichert.
Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass in deutschen Schulen deutsch gesprochen wird. Ist es aber nicht. Sonst hätte die Entscheidung der Herbert-Hoover-Schule in Berlin-Wedding, deutsch nicht nur im Unterricht, sondern auch auf dem Pausenhof und den Gängen zu sprechen, nicht solches Aufsehen erregt. Der Hintergrund dieses Schrittes war das nicht zu bändigende Aggressionspozential in einer zu 80 Prozent von Migrantenjugendlichen besuchten Schule, die sich untereinander nicht verständigen konnten außer mit den Fäusten. Für diesen mutigen Schritt wurde der Schule der Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung zugesprochen.
Die deutsche Sprache hat Integrationskraft, ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner. Der allerdings scheint schwerzufallen. Um damit zu beginnen: Zwei Bundesländer weigern sich, die missglückte Rechtschreibreform zu korrigieren. Zweitens: Die Universitäten sind stolz, einen weiteren Studiengang in den Natur- und Wirtschaftswissenschaften nur auf Englisch anbieten zu können. Die Schulen wiederum, drittens, sind stolz, schon den Erstklässlern PCs hinstellen zu können; richtig schreiben zu lernen brauchen sie dann auch nicht mehr, weil es ja Korrekturprogramme gibt. Die evangelischen Kirchen, viertens, haben ihr großes sprachliches Erbe ohne Not verspielt, die Lutherbibel und das Kirchenlied. Stattdessen werden selbst gebastelte Lieder zur Klampfe gesungen. Und, fünftens, die Familien: In einer neueren Umfrage war zu lesen, dass Paare im Durchschnitt 5,5 Minuten pro Tag miteinander reden, Eltern mit ihren Kindern 7,5 Minuten. Das werden dann Sätze sein wie "Trag den Müll runter" oder "Das Essen steht im Kühlschrank".
Die Folge dieser Verkümmerungen und Eliminierungen ist eine fortschreitende Sprachinkompetenz. So berechtigt es ist, von Migranten nicht nur die Kenntnis, nein, die Beherrschung der Landessprache zu verlangen, so berechtigt ist es, sie den Deutschen selbst abzuverlangen. Kinder, Jugendliche, Studierende, Erwachsene beherrschen die eigene Sprache nicht mehr. 80 Prozent der neu eingeschulten Kinder können keinen einzigen vollständigen Satz bilden; die Hauptarbeit beim Korrigieren studentischer Hausarbeiten besteht im Korrigieren ihrer Sprache. Die Sprache des Alltags ist auf Rudimente heruntergefahren. Der Konjunktiv ist fast ausgestorben, die Imperfektformen werden nicht mehr gewusst, mit den Flexionsformen hapert es, von Nebensatzgefügen ganz zu schweigen.
Die zu beobachtenden Sprachdefizite sind nicht nur Sprachdefizite. Wer nicht wenigstens eine Sprache richtig beherrscht, kann auch nicht richtig denken. Denken und Sprache gehören zusammen wie die zwei Seiten eines Blattes Papier. Herder sprach vom Geist der Sprache. "Kommt, reden wir zusammen", beginnt ein Gedicht von Gottfried Benn, "wer redet, ist nicht tot,/ es züngeln doch die Flammen/ schon sehr um unsere Not."
Sprache ist sehr viel mehr als Kommunikation. Sprache ist das wichtigste Instrument zur Wahrnehmung der Welt. Was ich von meinen Wahrnehmungen über die fünf Sinne nicht in Sprache fassen kann, das habe ich nicht wirklich gesehen, gehört oder gespürt, das habe ich nicht wirklich wahrgenommen, nicht verstanden. Je besser ich den Umgang mit dem Instrumentarium meiner Sprache erlerne, es beherrsche und dann benutzen kann, desto besser verstehe ich andere und mich selbst, desto besser finde ich mich in der Welt zurecht. Sprachlos wissen wir nicht, was wir tun.
Welcher Weg führt zur Sprache? Ich glaube, es geht nur über die Literatur, die große deutsche Literatur. Man darf die Heranwachsenden nicht unterfordern, man muss sie überfordern; das sind wir ihnen schuldig. Für jede Altersstufe gibt es herrliche Gedichte, mit denen sich, ich schwöre es, die Herzen der Kinder und Jugendlichen entzünden lassen. Das beginnt mit den Kinderliedern, dann vielleicht Matthias Claudius, etwas später Eichendorff, Heine, Goethe, noch etwas später die Balladen, also noch einmal Goethe, Schiller, Uhland, Fontane. Das eine oder andere Wort muss man vielleicht erklären, manche Wendung bleibt vielleicht unverstanden, rätselhaft und verwunderlich, aber das macht nichts; Gedichte zu lesen und, bitte, auch wieder auswendig zu lernen könnte ein Gegenprogramm sein zu den Verkümmerungen des Alltags und der benutzten, vernutzten, verfüllten Sprache.
Warum sollten die Schulen nicht, anstatt angeblich vorzubereiten auf eine "Realität", deren Perspektiven sich permanent ändern, gegensteuern, indem sie lehren, dass es etwas ganz anderes gibt, das den Jugendlichen gewissermaßen von Haus aus gehört, wenn man ihnen denn zeigte, wo der Schatz liegt und wie er zu bergen wäre. Dieses Gegenprogramm ist die Literatur, und es sind Kunst und Musik, beides vernachlässigte Fächer, obwohl zum Beispiel von der Musik inzwischen bekannt ist, wie wichtig sie für die Ausbildung der Feinmotorik und zum Erlernen kognitiver Prozesse ist.
Die Sprache ist der einzige Besitz, der uns nicht genommen werden kann. Paul Celan hat einmal, als er von den Jahren der Vernichtung sprach, gesagt: "Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache. Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem." Ich sage hier immer die Sprache und meine die deutsche.
Wer aber eine andere Sprache lernt, dem wächst eine andere Welt zu, er wird reicher und nicht nur das: Er sieht auch die eigene Sprache mit anderen Augen, weil das, was er für selbstverständlich hielt, sich auf einmal nur als eine Möglichkeit unter vielen, die Welt zu sehen, herausstellt. Es ist recht und billig, von Migranten und zumal von solchen Menschen ausländischer Herkunft, die schon seit zwei oder drei Generationen hier leben, die Beherrschung des Deutschen zu verlangen. Man sollte ihnen aber auch nahelegen, die Sprache ihrer Herkunft nicht nur für den Hausgebrauch beizubehalten, sondern sie zu pflegen und sich ihrer Weltausschnitte zu versichern. Denn Doppelsprachigkeit bedeutet immer eine Kompetenzerhöhung beider Sprachen.
Der Autor ist Präsident der Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung in Darmstadt
Artikel erschienen am 21.11.2006
Anmerkung: Klaus Reichert hat das politische Reformtheater anscheinend nicht so recht verstanden. Die genannten zwei Bundesländer, Nordrhein-Westfalen und Bayern, haben sich nicht geweigert, die „Reform“ zu korrigieren, sondern sie wollten abwarten, bis die Korrektur durch den „Rat für deutsche Rechtschreibung“ abgeschlossen wäre. Deshalb haben sie die teilweise Inkraftsetzung der „Reform“ von 2005, mit der die übrigen Kultusminister hofften, einige Festlegungen unkorrigierbar zu machen, nicht vollzogen, sondern die traditionelle Rechtschreibung weiterhin nicht als Fehler anrechnen lassen. Inzwischen sind die beiden abtrünnigen Länder wieder in die Gemeinschaft der fundamentalistischen Reformdurchsetzer zurückgekehrt. Jürgen Rüttgers hatte am 08.08.2004 versprochen:
„Die CDU wird nach einem Wahlsieg bei der Landtagswahl im Mai 2005 dafür sorgen, daß man zu den bewährten Regeln zurückkehrt.“
Nun meint er, die vorzeitig abgebrochene und doch in Kraft gesetzte Teilkorrektur der „Reform“ als Erfüllung seines Versprechens ausgeben zu können. Das erklärt aber nicht, warum seit dem 1.8.06 auch unter seiner Regierung etwa das schlicht geschriebene Wörtchen „Quentchen“ in den Schulen als Fehler verfolgt werden muß.
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Sigmar Salzburg
eingetragen von Norbert Lindenthal am 29.07.2006 um 15.41
Die Welt, 27. Juli 2006
Interview
"Duden unterläuft Beschlüsse des Rechtschreibrats"
Am 1. August tritt die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in Kraft. Laut dem Vorsitzenden des Rats, Hans Zehetmair, bleiben Irrungen und Wirrungen dennoch bestehen.
Hans Zehetmair
Foto: dpa
Berlin/München - Am 1. August 2006 tritt die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung mit den vom Rechtschreibrat erarbeiteten Änderungen in Kraft. Laut dem Vorsitzenden des Rats, Hans Zehetmair, bleiben Irrungen und Wirrungen dennoch bestehen. Schuld sei der Duden, so der frühere bayerische Wissenschaftsminister. Mit ihm sprach Joachim Peter.
DIE WELT: Der neue Duden relativiert mit seinen Empfehlungen viele vom Rechtsschreibrat beschlossene Schreibweisen. Wie ist dies zu erklären?
Hans Zehetmair: Mir fehlt dazu jegliches Verständnis! Der Duden-Verlag war in allen Sitzungen des Rats für deutsche Rechtschreibung vertreten und hat die Beschlüsse fast ausnahmslos mitgetragen. Nun stelle ich fest, daß einige Neuregelungen des Rats, insbesondere im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung, durch die Variantenempfehlung unterlaufen werden.
WELT: Können Sie ein Beispiel nennen?
Zehetmair: Natürlich. Nehmen wir die vom Duden empfohlene getrennte Schreibweise "sitzen bleiben". Es ist doch ein Unterschied, ob man sagt, "ihr dürft sitzen bleiben", oder ob man sagt, "ein Schüler muß wegen mangelnder Leistungen sitzenbleiben". Hier liegt ein klarer Sinnunterschied vor!
WELT: Wittern Sie eine politische Intrige?
Zehetmair: Ich habe den Eindruck, daß der Duden-Verlag den Versuch unternimmt, sich bewußt abzusetzen, um seinen Monopolanspruch geltend zu machen. Ich halte dies aber für ein kurzsichtiges Unterfangen, denn man muß wissen, daß das Wahrig-Wörterbuch den Beschlüssen des Rechtschreibrats konsequent gefolgt ist wie auch das amtliche österreichische Wörterbuch. Hier einen Kampf zu eröffnen macht keinen Sinn. Wir brauchen endlich Ruhe an der Rechtschreibfront!
WELT: Wie sollen sich nun die Lehrer verhalten?
Zehetmair: Wir haben gemeinsam mit dem Institut für deutsche Sprache eine kompakte Zusammenstellung erarbeitet, die die vom Rat empfohlenen und von der Kultusministerkonferenz beschlossenen Änderungen enthält. Dieses 16seitige Werk werden wir jetzt den Kultusministern zukommen lassen, die es dann an die Lehrer weiterleiten sollen.
WELT: Wie haben die Mitglieder des Rechtschreibrats auf den neuen Duden reagiert?
Zehetmair: Als erstes meldeten sich österreichische Kollegen zu Wort und waren sehr irritiert. Die Kultusminister haben uns jedoch versichert, daß es bei der Umsetzung der Empfehlungen des Rechtschreibrats am 1. August bleibt. Wenn der Duden zum Teil einen eigenen Weg geht, dann ist das seine Sache.
WELT: Sie haben das Vorwort für das Wahrig-Wörterbuch geschrieben. Wie werden Sie reagieren, wenn Ihnen jemand vorwerfen sollte, sie seien ein Lobbyist dieses Verlages?
Zehetmair: Der Duden-Verlag hat bei mir nicht angefragt, ob ich ein Vorwort schreiben wolle. Ich wäre ganz sicher nicht abgeneigt gewesen. Aus heutiger Sicht kann man nun wohl aber von Vorsehung sprechen, daß es dazu nicht gekommen ist ...
WELT: Bereuen Sie bei all der Schreibverwirrung, sich jemals für die Rechtschreibreform eingesetzt zu haben?
Zehetmair: (lacht) Ich habe mich um den Job ja nie beworben - sondern mich aus Fürsorge um die deutsche Sprache geopfert!
Artikel erschienen am Fr, 28. Juli 2006
eingetragen von Norbert Lindenthal am 22.07.2006 um 04.26
Die Welt, 22. Juli 2006
Politik
Nichts Halbes und nichts Ganzes
In den Schulen hält man wenig vom Rechtschreib-Kompromiß, wie er am 1. August in Kraft tritt - und ist doch froh, daß wenigstens die Verunsicherung vorbei ist
Von Torsten Thissen
Gerhard Walgenbach hat in den vergangenen Jahren einiges mitgemacht. Da waren Unsicherheit, Verzweiflung, Streit und Verwirrung. Und nun, am Ende dieses langen Weges, spürt Walgenbach nicht nur bei sich selbst eine Mischung aus Resignation und Erleichterung, sondern auch bei Kollegen, Schülern und Eltern. Der Leiter einer regionalen Schule im rheinland-pfälzischen Kaisersesch mußte zehn Jahre auf Klarheit warten. "Nun herrscht endlich eine gewisse Klarheit", sagt er, "das ist erst einmal positiv."
Wenn zum 1. August die Rechtschreibregeln in Kraft treten, auf die sich die Kultusminister in den vergangenen zwölf Monaten geeinigt haben, endet auch eine Debatte, die in vergangenen zehn Jahren die deutsche Öffentlichkeit, doch vor allen Dingen, Lehrer, Eltern und Schüler bewegt hat. Nun ist die Debatte beendet, und ein Aufatmen geht durch die Reihen der Beteiligten. "Endlich kommen die Schulen wieder in ruhiges Fahrwasser", freut sich der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung und Mitglied des Rates für deutsche Rechtschreibung, Ludwig Eckinger etwa. Er gewinnt dem jahrelangen Tauziehen um Klein- und Großbuchstaben, um Getrennt- oder Auseinanderschreiben auch noch etwas Positives ab: "Der Rechtschreibstreit führte letztlich zu mehr Sensibilität gegenüber unserer Sprache".
Walgenbach sagt: "Es ist zwar nichts Halbes und nichts Ganzes bei dem Kompromiß herausgekommen, doch wenigstens kann man sich nun auf die wirklich wichtigen Dinge in der Schule konzentrieren." Die Debatte habe der Rechtschreibung eh immer einen viel zu großen Stellenwert eingeräumt. "Letztlich spielt es für den Schüler und ihre persönliche Entwicklung keine Rolle, ob sie Schiffahrt mit zwei oder drei f schreiben", sagt Walgenbach.
Am 1. Juli 1996 haben die Vertreter der deutschsprachigen Staaten in Wien eine gemeinsame Absichtserklärung zur Reformierung der deutschen Rechtschreibung unterzeichnet. Sie sollte ab dem 1. August 1998 für Behörden und Schulen gelten. Doch schon zu Beginn regte sich massiver Widerstand. Kopfschütteln und Ratlosigkeit machte sich schließlich angesichts dessen breit, was die Kommission präsentierte. Während die Debatte im Gange war, herrschte an den Schulen Ratlosigkeit. Manchmal ließen gar die Lehrer ihre Schüler entscheiden, welche Rechtschreibung sie in den Klausuren anwenden wollten.
"Diese mußten sie allerdings auch durchhalten", sagt Klaus Wenzel, seit 33 Jahren Hauptschullehrer aus Bayern und Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands.
Auch Wenzel ist froh, daß die Diskussion endlich beendet ist und damit die allgemeine Verwirrung. Das Ergebnis bezeichnet allerdings auch er als "erbärmlich".
Dabei waren die Schüler wohl am gelassensten von allen Beteiligten, sagt er. Auch haben er und seine Kollegen in der Zeit der Unsicherheit keine Verschlechterung der Rechtschreibung bei ihren Schülern festgestellt. "In den Klassen war man einfach realistischer als in der Öffentlichkeit." Denn schließlich hätten sich in den vergangenen zehn Jahren auch die Zeiten geändert. "1996 war die Art der Kommunikation eine komplett andere", sagt Wenzel. "Damals hätten auch Erwachsene es nicht hingenommen, sich Texte zu senden, ohne darauf zu achten, daß das, was sie schreiben, auch richtig geschrieben ist." Heute hingegen nähmen die meisten Menschen es hin, daß Mails und SMS voller Flüchtigkeitsfehler seien. "Bei den Schülern ist diese Ansicht noch viel ausgeprägter." So herrscht denn auch in Lehrer Wenzels Klassen die Erleichterung vor, daß die Diskussion endlich ein Ende hat. Und der Pragmatismus, verbunden mit der Hoffnung, daß, anders als in den vergangenen Jahren, die Zahl derer zunimmt, die Rechtschreibfähigkeit nicht mit Intelligenz gleichsetzen. "Eine immer noch weitverbreitete Ansicht unter Personalchefs", sagt Wenzel. Trotz aller Unzufriedenheit mit dem "faulen Kompromiß", wie er ihn nennt.
In einem sind sich allerdings alle Beteiligten einig. Zu einer Verbesserung der Rechtschreibfähigkeit der Schüler hat weder das Hin und Her der vergangenen zehn Jahre geführt noch die "verbesserte", neue Rechtschreibung, die nun eingeführt wird. "Die Fehlerquote bei den guten und normalen Schülern ist nahezu gleich geblieben", sagt Walgenbach. Lediglich seine schlechten Schüler seien noch schlechter geworden.
Artikel erschienen am Sonnabend, 22. Juli 2006
eingetragen von Norbert Lindenthal am 22.07.2006 um 04.22
Die Welt, 22. Juli 2006
Politik
"Für die Schulen ist er nicht geeignet"
Die größte Überraschung des "neuen Dudens" ist seine vermeintliche Modernität. Er setzt sich ostentativ allen Empfehlungen entgegen, in Zweifelsfällen der neuen Rechtschreibung zur herkömmlichen deutschen Orthographie zurückzukehren. Der prominente Kritiker der Rechtschreibreform, der Erlanger Linguist Theodor Ickler, hat dafür in ersten Analysen und vergleichenden Betrachtungen eine Fülle von Beispielen ermittelt und kommt zu dem vernichtenden Fazit, der neue Duden sei "für die Schulen nicht geeignet".
So sollen die erst eben vom Deutschen Rechtschreibrat neu zugelassenen "alten" Zusammenschreibungen laut neuem Duden nun doch besser wieder auseinandergerissen werden. Was für Wörter sind davon betroffen? Ickler nennt "klein schneiden", "kaputt machen", "frei machen", "bloß strampeln", daneben aber auch solche, die Bedeutungsunterschiede bezeichnen. Hierunter fällt auch das berühmte "sitzen bleiben", das bei einheitlicher Getrenntschreibung keine Differenzierung zwischen Schule und Parkbank mehr ermöglicht. Freilich soll "freikratzen" weiterhin zusammengeschrieben werden, wie auch für alle Verben mit "tot", "fest", "voll" ("vollpumpen", "totlaufen", "festzurren") Zusammenschreibung empfohlen wird, so daß von einem durchgängig angewandten neuen Prinzip nicht gesprochen werden kann.
Ähnliches gilt für die Großschreibung fester Begriffe. Auch hier will der Duden wieder hinter die Neuerungen des Rechtschreibrates zurück und Großschreibungen nur noch als "Ausnahmen" zulassen. Ein solcher Sonderfall wäre demnach die "Erste Hilfe" (warum?), nicht aber das "ewige Licht" und der "grüne Tisch".
Gravierend sind diese Empfehlungen deshalb, weil sie in Tausenden Schreibweisen von denen anderer Verlage abweichen. So hat das erst zwei Wochen vor dem Duden erschienene neue Wörterbuch Wahrig die Empfehlungen des Rechtschreibrates weitgehend umgesetzt. Hier werden der "Blaue Brief" und der "Runde Tisch" wieder großgeschrieben, "sitzenbleiben" (in der Schule) und die "freilaufenden Hühner" zusammen.
Auch mit der Handhabung der neuen Rechtschreibung in den Nachbarländern gerät der neue Duden in Konflikt. Denn, so hatte die Schweizer Orthographische Konferenz den Medien und den Buchverlagen erst Anfang Juni empfohlen, wo immer der Rat für deutsche Rechtschreibung Varianten der neuen Rechtschreibung zulasse, soll "in der Schweiz inskünftig die herkömmliche Schreibweise verwendet werden". Aufgezählt werden Beispiele wie "aufwendig" statt "aufwändig", "kennenlernen" statt "kennen lernen", "fleischfressende Pflanze" statt "Fleisch fressende Pflanze" und "er hat recht" statt "er hat Recht".
Dasselbe gilt für große Zeitungs- und Zeitschriftenverlage wie beispielsweise den Verlag Axel Springer. Auch sie hatten die Empfehlungen des Rechtschreibrates - der mit seiner Arbeit noch keineswegs fertig ist - begrüßt (siehe auch Kasten links), um die "Einheitlichkeit des Schriftgebrauchs ... wiederherzustellen". Offen ist bis heute, auf welche Schreibweise sich die Deutsche Presse-Agentur (dpa) festlegt. Sie wird über ihre künftige Schreibung erst gegen Ende des Jahres entscheiden.
gur
Artikel erschienen am Sonnabend, 22. Juli 2006
eingetragen von Detlef Lindenthal am 14.07.2006 um 13.18
Das macht mich nun aber betroffen.
Die Welt schrieb:
"Von den insgesamt 4874 Rechtschreibfehlern (ohne Interpunktionsfehler; d. Red.) fällt etwa die Hälfte in die Großbereiche der Orthographie, die 1996/ 98 reformiert wurden (Laut-Buchstaben-Beziehung; Groß-Kleinschreibung; Getrennt- und Zusammenschreibung, Worttrennung am Zeilenende)." Um die Entwicklung der einzelnen Fehlerarten vor und nach der Reform stichprobenartig zu ermitteln, zog der Wissenschaftler eine DDR-Studie über die Klassen 5 bis 10 heran. Während der Fehleranteil bei Worttrennung und Getrennt-/Zusammenschreibung gleich geblieben ist, sind die Abiturienten von heute bei der Groß- und Kleinschreibung auf das Niveau von Mittelschülern von damals abgeglitten.
Bisher wurde hier im Forum 6mal nach der Fehlereinsparung gefragt, übrigens jedesmal von mir, und niemand konnte mir das beantworten.
Früher hieß es immer: 50 % Fehlereinsparung durch die „Reform“; nun aber sieht es so aus, als wenn die Fehler durch sie deutlich mehr geworden sind? Stimmt es etwa, daß die „Reform“ unlernbar sei?
Wenn das nun wirklich stimmt mit der Fehlerzunahme, muß man dies nicht auch den Ministerpräsidenten mitteilen?
Ich habe mir vorgenommen, daß ich in den nächsten Tagen an Herrn Carstensen nach Kiel schreibe. Er hatte mich 1996 wegen RS„R“ und Volksentscheid angerufen, da freut er sich sicherlich, wenn ich nun an unsere Gespräche anknüpfe.
Mit freundlichen Grüßen,
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Norbert Lindenthal am 14.07.2006 um 05.29
Kultur
Die Welt 14.7.2006
Schreibreform: Mehr Fehler als zuvor
Wenige Tage vor der Verbindlichkeit der neuen Rechtschreibung: Studien belegen, daß die Fehlerquote in Rechtschreibaufsätzen seit Einführung der Reform extrem zugenommen hat.
von Dankwart Guratzsch
Eine Langzeitstudie des Max-Planck-Instituts und der Universität Würzburg sowie vergleichende Studien des saarländischen Pädagogen Uwe Grund kommen zu übereinstimmenden und einander ergänzenden Resultaten. Danach erweist sich das Hauptziel der Rechtschreibreform, die Beherrschung der deutschen Schriftsprache zu erleichtern, als gescheitert.
Die Bedeutung der Würzburger Untersuchung liegt in der unmittelbaren Vergleichbarkeit der Rechtschreibleistungen von Kindern an heutigen Schulen und jenen vor 40 Jahren. Wie der Würzburger Psychologe und Leiter der Studie, Wolfgang Schneider, erläutert, wurden dazu 200 Kinder über 20 Jahre beobachtet. Für die Beurteilung der Rechtschreibkenntnisse wurde ein Diktat aus den 60er Jahren herangezogen. Das Ergebnis versetzte selbst Wissenschaftler in Staunen: "Würde man das Rechtschreibniveau der Schüler von damals zum Maßstab nehmen, wären drei Viertel der heutigen Kinder Legastheniker."
Von einer "Bankrotterklärung des Rechtschreibunterrichts" spricht der Saarbrücker Experte für Fachdidaktik des Deutschen und Geschichte des Deutschunterrichts, Uwe Grund. Seine bislang unveröffentlichten Erkenntnisse fußen auf dem Vergleich von deutschen und schweizerischen Studien zur Rechtschreibkompetenz von Schülern der Oberstufen. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß sich die Zahl der Rechtschreibfehler in Abituraufsätzen des deutschsprachigen Raums gegenüber dem Abiturjahrgang 1978 verdoppelt, gegenüber dem Abiturjahrgang 1962 sogar verdreifacht hat.
Den Befund macht Grund an Ergebnissen des Zürcher "Sprachfähigkeiten"-Projekts aus den Jahren 1962, 1978 und 1989/ 90 sowie an einem Potsdamer Projekt zur Fehleranalyse aus den Jahren 2000/ 2002 fest. Laut der jüngsten Erhebung fanden sich in 333 Abituraufsätzen 9169 Verstöße gegen die aktuelle Norm der Richtigschreibung. Wie der Autor erläutert, bedeutet das, "daß im untersuchten Korpus in jedem Abituraufsatz durchschnittlich 27 Fehler allein im elementaren Bereich gezählt wurden (Syntaxfehler und sogenannte Ausdrucksfehler sowie stilistische Mankos kommen noch hinzu). Läßt man die Interpunktionsfehler einmal beiseite, so haben die Korrektoren in jedem Aufsatz durchschnittlich 141/2 orthographische Fehler gezählt."
Als überraschend hoch erweist sich dabei der Anteil neuartiger Schreibweisen, wie sie erst durch die Reform zur Norm erklärt worden sind. "Von den insgesamt 4874 Rechtschreibfehlern (ohne Interpunktionsfehler; d. Red.) fällt etwa die Hälfte in die Großbereiche der Orthographie, die 1996/ 98 reformiert wurden (Laut-Buchstaben-Beziehung; Groß-Kleinschreibung; Getrennt- und Zusammenschreibung, Worttrennung am Zeilenende)." Um die Entwicklung der einzelnen Fehlerarten vor und nach der Reform stichprobenartig zu ermitteln, zog der Wissenschaftler eine DDR-Studie über die Klassen 5 bis 10 heran. Während der Fehleranteil bei Worttrennung und Getrennt-/Zusammenschreibung gleich geblieben ist, sind die Abiturienten von heute bei der Groß- und Kleinschreibung auf das Niveau von Mittelschülern von damals abgeglitten.
Artikel erschienen am Fr, 14. Juli 2006
eingetragen von Norbert Lindenthal am 09.03.2006 um 18.15
Die Welt, 8.3.2006
Ende eines langen Streits
Vergeblich haben die Schreibreformer jahrzehntelang versucht, die bestehenden Regeln zu ändern
von Dankwart Guratzsch
Berlin - Das jahrelange Ringen um Nachbesserungen der umstrittenen Rechtschreibreform hat ein Ende: Mit Ausnahme der FAZ wollen die deutschen Verlage die von den Kultusministern beschlossenen Nachbesserungen zum 1. August umsetzen. Der Verlag Axel Springer, zu dem auch die WELT gehört, war (ähnlich wie der "Spiegel") im August 2004 zu den Schreibweisen der alten Rechtschreibung zurückgekehrt. Nachdem die Kultusministerkonferenz kürzlich den Vorschlägen des Rats für deutsche Rechtschreibung gefolgt war, wollen sich die Verlage einem möglichen Konsens nicht länger entgegenstellen.
Damit endet eine 34jährige Phase mit zum Teil dramatischen Auseinandersetzungen. Ausgelöst wurde der sogenannte Rechtschreibkrieg durch eine Bürgerinitiative "aktion kleinschreibung" am 25. Juni 1972. In ihrem Mahnbrief an die deutsche Kultusministerkonferenz (KMK) konnte sie sich sogar auf eine noch viel frühere Willensbekundung der Politiker berufen. Denn schon 1950, nur ein Jahr nach Gründung der Bundesrepublik, hatte die KMK gelobt: "Die Kultusministerkonferenz wird die deutsche Rechtschreibung vereinfachen und organisch weiterentwickeln."
Am 4. Oktober 1973 folgte der dreitägige Kongreß der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), des Verbands Deutscher Schriftsteller und des PEN-Zentrums "vernünftiger schreiben" in Frankfurt/Main. Doch Baden-Württembergs Kultusminister Wilhelm Hahn machte den Reformern mit einem Interview in dieser Zeitung nur anderthalb Monate später einen Strich durch die Kleinschreibpläne. Seitdem mußten sich die Schreibreformer auf die Änderung einzelner Schreibregeln beschränken: Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung, Silbentrennung, s-Schreibung, Zeichensetzung und Fremdwörter.
Die Aufgabe übernahm die 1977 am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim gegründete "Kommission für Rechtschreibfragen", die sich aus Mitgliedern der Bundesrepublik, der DDR, der Schweiz und Österreichs zusammensetzte. Sie erarbeitete in jahrelangen Sitzungen Regelvorschläge, die 1985 und 1989 in Buchform publiziert wurden. Nach heftiger öffentlicher Kritik an Schreibweisen wie "keiser" und "opst" mußte wie zuvor die Kleinschreibung erneut zurückgezogen und völlig überarbeitet werden.
Am 1. Dezember 1995 stimmte die KMK den Vorschlägen in der abgeänderten Fassung zu und legte fest, daß sie - die Zustimmung der Bundes- und deutschsprachigen Länder vorausgesetzt - ab 1998 an den Schulen in Kraft gesetzt werden solle. Bis 31. Juli 2005 sollten jedoch bisherige Schreibweisen nicht als falsch, sondern lediglich als überholt gekennzeichnet werden. Dieses Procedere wurde von den Regierungen im Oktober 1995 abgesegnet.
Gegen die "Reform von oben" erhob sich Widerstand in fast allen Bundesländern. Schriftsteller von Günter Grass bis Reiner Kunze, namhafte Buchverlage sowie verschiedene Lehrer- und Elternvertretungen liefen gegen die zwangsweise Einführung über die Schulen Sturm. In mehreren Ländern sammelten Bürgerinitiativen Unterschriften für Bürgerbegehren, in Schleswig-Holstein wurde die Reform durch Bürgerentscheid gekippt. Erst nachdem das Bundesverfassungsgericht im Sommer 1998 geklärt hatte, daß die Einführung der neuen Schreibweisen über einen Erlaß an Schulen und Behörden Rechtens sei, konnten die Proteste eingedämmt werden.
- Seite 2 -
Zahllose Meinungsumfragen, in denen sich nie mehr als zehn Prozent der Befragten für, aber weit über 50 Prozent bis zu zwei Drittel gegen die Reform aussprachen, blieben wirkungslos. Zugleich schossen die "Hausorthographien" wie Pilze aus dem Boden. 15 Jahre nach Wiedererlangung der politischen Einheit schien die Einheit der deutschen Schriftsprache verloren.
Die Wende erreichten die Kultusminister erst dadurch, daß sie die Mannheimer Rechtschreibkommission 2005 in die Wüste schickten und einen 36köpfigen "Rat für deutsche Rechtschreibung" einsetzten, der die Reform ein weiteres Mal revidieren sollte. Am 2. März haben die Kultusminister diese Vorschläge gebilligt und den "Rechtschreibfrieden" ausgerufen.
Aufgehoben wurden vor allem zahlreiche sinnwidrige Auseinanderschreibungen ("wenn Schüler sitzen bleiben" wird wieder zu "sitzenbleiben"), falsche Großschreibungen ("Leid tun" wird zu "leidtun") und aberwitzige Silbentrennungen ("Tee-nager" wird wieder "Teen-ager").
Allerdings stoßen die zahllosen neu eingeführten "optionalen Schreibweisen" auch auf anhaltende Kritik. Einem an das überarbeitete Regelwerk angehängten vorläufigen Wörterverzeichnis ist zu entnehmen, daß "kleinschneiden" auch getrennt geschrieben werden darf, "warm laufen" nur getrennt, "volltanken" und "hochbetagt" hingegen nur zusammen, "hoch begabt" aber auch auseinander, "sich kaputtmachen" nur zusammen, "etwas kaputt machen" auch auseinander. Österreich und die Schweiz behalten sich deshalb vor, für die Prüfung der Vorschläge größere Zeiträume zu beanspruchen.
eingetragen von Sigmar Salzburg am 06.03.2006 um 08.37
Schulbücher werden umgehend umgeschrieben
Verlage versprechen schnelle Reaktion auf die künftig geltenden Rechtschreibregeln - 6000 Euro Kosten pro Titel
Hamburg - Nach der Korrektur der umstrittenen Rechtschreibreform sollen neue Schulbücher bereits zum neuen Schuljahr Anfang September erscheinen. Man werde umgehend die ersten Deutsch-Bücher korrigieren, sagte Programm-Geschäftsführer Peter Schell vom Verlag Westermann/Schroedel/Diesterweg in Braunschweig, auch wenn das "einen Haufen Geld" kostet. Der Verlag gibt knapp 10 000 unterschiedliche Schulbücher heraus. Auch der Ernst Klett Verlag in Stuttgart will Zug um Zug die Änderungen umsetzen, die die Kultusministerkonferenz (KMK) vergangene Woche beschlossen hatte.
Die Nachrichtenagenturen, die an der Erarbeitung der modifizierten Regeln beteiligt waren, wollen sich noch in diesem Monat treffen, um über ihre künftigen Schreibweisen zu beraten. Danach wollen sie ihren Kunden einen gemeinsamen Vorschlag vorlegen.
Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte bereits zum Jahreswechsel die Empfehlungen des Rates für Rechtschreibung umgesetzt. Der größte Teil der Printmedien und die Nachrichtenagenturen in Deutschland, Österreich und der Schweiz hatten 1999 die wesentlichen Teile der neuen Rechtschreibung eingeführt, allerdings mit einigen Besonderheiten. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" kehrte ein Jahr später zur alten Rechtschreibung zurück, 2004 folgte der Axel-Springer-Verlag diesem Beispiel. Springer will bis Ende März prüfen, ob nach der KMK-Entscheidung etwas geändert wird. Über den künftigen Kurs des Verlags sagte Sprecherin Edda Fels am Freitag: "Die Entscheidung ist noch nicht gefallen." Am 30. März trifft sich die Ministerpräsidenten-Konferenz, die dem KMK-Beschluß noch formell zustimmen muß.
Der Verband VdS Bildungsmedien - früher Verband der Schulbuchverlage - hält die Korrektur der Rechtschreibung für eine "richtige Entscheidung". "Sie wird hoffentlich lange Bestand haben", sagte Geschäftsführer Andreas Baer in Frankfurt am Main. Der Verband vertritt die Interessen der Firmen, die Medien für das Bildungswesen produzieren und war im Rat für deutsche Rechtschreibung vertreten, der die Änderungen nach einjähriger Arbeit vorgeschlagen hatte.
Der Aufwand sei überschaubar, weil die Schulen mit den bestehenden Büchern weiter machen könnten - ergänzt durch einige Materialien vor allem zur Getrennt- und Zusammenschreibung, sagte Baer. "Wir sind nicht mehr in der Situation wie 1996, daß wir wirklich mit Kraft neue Schulbücher- und Mediengenerationen entwickeln müssen." Der Übergang könne jetzt schrittweise erfolgen und "sprengt den Kostenrahmen nicht". Pro Schulbuchtitel, der nicht mehr einfach nachgedruckt, sondern überarbeitet werden muß, rechnet Baer mit Kosten von rund 6000 Euro. "Wie viele Titel das sind, kann man jetzt aber noch nicht sagen."
Ab August gelten bundesweit wieder an allen Schulen die gleichen Rechtschreibregeln. DW
Artikel erschienen in DIE WELT am Mo, 6. März 2006
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Sigmar Salzburg
eingetragen von Detlef Lindenthal am 05.02.2006 um 12.56
X-te Reform der Reform
Der Rat für deutsche Rechtschreibung, Reparaturbetrieb für die mißglückte Rechtschreibreform, hat seine Arbeit abgeschlossen. Nun ist der Schwarze Peter wieder bei der Schreibgemeinschaft, die allein entscheidet, was sie von der Reform und von den Vorschlägen des Rates annimmt oder verwirft. Dazwischen rudert hilflos die Kultusministerkonferenz (KMK), die die Reform an den Schulen von 14 Bundesländern durchgesetzt hat, ohne daß ein verbindliches Wörterbuch vorliegt, das den Lehrern als Richtschnur für die Korrektur von Schülerarbeiten dienen könnte.
Was der Rat zum (vorläufigen) Abschluß seiner Arbeit gestern an Empfehlungen für die "Reform der Reform" präsentierte, wirft zahllose der an den Schulen eingeführten Schreibweisen über den Haufen. Das gilt vor allem für die schon bekannten Vorschläge zur Getrennt- und Zusammenschreibung. Darüber hinaus greift der Rat nun auch in Bereiche wie Groß- und Kleinschreibung ein, die von der KMK noch vor wenigen Monaten "verbindlich" an den Schulen eingeführt worden waren.
Gerade deshalb ist durchaus noch offen, ob sich die KMK den Ratschlägen des 36köpfigen Gremiums tatsächlich beugt. Denn noch nie war die Konfusion größer als jetzt. Immer mehr Verbände fordern verbindliche Wörterbücher, in der Schweiz hat eine Absetzbewegung eingesetzt, Bayern, das die "Verbindlichkeit" bisher nicht eingeführt hat, prescht vor und will die Ratschläge der "hochqualifizierten Experten" für die partielle Rücknahme der Reform übernehmen, Nordrhein-Westfalen könnte folgen. Um klare Verhältnisse zu schaffen, bleibt nur ein Weg: das Pfuschwerk komplett zu kippen. Da die Schulbücher ohnehin neu gedruckt werden müssen, wäre es auch die preiswerteste Lösung.
Dankwart Guratzsch
http://www.welt.de/data/2006/02/04/840851.htmlX-te Reform der Reform
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Danke, Herr Guratzsch, daß Sie standhaft bleiben und sich nicht von den „Reform“-„Reformern“ einbinden lassen!
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.12.2005 um 06.36
Zu viele Ungereimtheiten
Rechtschreibchaos geht weiter
von Dankwart Guratzsch
Was wird aus der Rechtschreibreform? Seit dem Regierungswechsel in Berlin und der Absetzung der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission ist die Situation unübersichtlicher denn je. In der neuen Bundesregierung sitzen drei Reformbetreiber der ersten Stunde: Schäuble, Müntefering und Schavan. Aber in der Kultusministerkonferenz sind die Meinungen über die Reform inzwischen geteilt. Eine "Autorität" in Sachen neue Schreibweisen gibt es nicht mehr. Nach jüngsten Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg können Schüler sogar den "Anspruch" erheben, "in der herkömmlichen Schreibung unterwiesen zu werden". Andererseits hat das Gericht jedoch keinen "vollstreckbare[n] Titel geschaffen", so der Arbeitsrichter und Autor der Arbeit "Rechtschreibreform und Verfassungsrecht", Wolfgang Kopke.
Und doch hat das Urteil für die "Verbindlichkeit" der neuen Regeln unübersehbare Relevanz. Denn unabhängig von einem "vollstreckbaren Titel", so Kopke, sei das Land Niedersachsen fortan "gehalten, den vom höchsten für die Auslegung des Schulgesetzes zuständigen Gericht festgestellten Anspruch der Schülerin zu erfüllen". Dies auch im eigenen Interesse, da es andernfalls "zu unnötigen weiteren und (zumindest im Hauptsacheverfahren) für das Land kostenträchtigen Klagen" kommen könne. In jedem Fall seien die Länder "dauerhaft verpflichtet, beide Schreibweisen zu lehren", solange auch die herkömmliche weiterhin außerhalb der Schulen üblich bleibe.
Inzwischen ist der Rat für deutsche Rechtschreibung dabei, das gesamte Reformwerk einer Revision zu unterziehen. Als vorerst "letzten" Komplex hat er sich die Groß- und Kleinschreibung vorgenommen, die von den Kultusministern von 14 der 16 Bundesländer bereits für "unstrittig" erklärt worden war und an den Schulen dieser Länder seit Schuljahresbeginn "verbindlich" benotet wird.
Bis Mitte Januar soll die vom Rechtschreibrat eingesetzte Arbeitsgruppe eine Beschlußvorlage mit folgenden vier Punkten erarbeiten: Schreibung des Anredepronomens "du", Schreibung fester Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv (z.B. gelbe/Gelbe Karte), Schreibung von Einzelfällen zumal aus dem Überschneidungsbereich von Groß-Klein- und Getrennt-Zusammen-Schreibung (Pleite gehen, Recht haben) sowie Schreibungen im Randbereich (z.B. auf allen vieren (gehen).
Das Durcheinander scheint der vorsichtigen Vorgehensweise recht zu geben, derer sich die Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen sowie der schweizerische Kanton Bern befleißigt haben. Sie wollen die neue Rechtschreibung an den Schulen erst "verbindlich" einführen, wenn der Rechtschreibrat seine Arbeit abgeschlossen hat.
Artikel erschienen am Mi, 14. Dezember 2005
http://www.welt.de/data/2005/12/14/817269.html
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Sigmar Salzburg
eingetragen von Karl Eichholz am 18.08.2005 um 22.00
Die Welt schreibt:
Siedlung wird durch Landesgrenze geteilt - Verwirrung für Schüler
von Juliane Albrecht
Bruchmühlen - Die Grenze zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ist im gespaltenen Ort Bruchmühlen allgegenwärtig - nicht erst seit der unterschiedlichen Handhabung der Rechtschreibreform. An Fronleichnam und Allerheiligen ist auf der einen Straßenseite - nämlich in Bruchmühlen im NRW-Kreis Herford - Feiertag und die Geschäfte sind dicht. Auf dem Bürgersteig gegenüber - in Bruchmühlen im niedersächsischen Kreis Osnabrück - wird munter der Einkaufslust gefrönt.
Zum bevorstehenden Schulbeginn nun wird die imaginäre Mauer noch höher: Das Gezänk um die Rechtschreibreform spaltet das Zweiländer-Dorf und sorgt bei Bewohnern wie Lehrern für Unverständnis. Während das CDU-geführte Niedersachsen die neue Rechtschreibung zum 1. August verbindlich eingeführt hat, wird im ebenfalls CDU-dominierten Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Bayern gemauert. Die neuen Regeln gelten hier zwar auch, nur haben sogenannte Verwechslungsfehler keine Auswirkungen auf die Note.
Eine "echte Lachnummer" sei das, findet Schulleiter und Deutschlehrer Andreas Stork (48), allerdings weniger mit Blick auf die Rechtschreibung als vielmehr auf die Eskapaden der föderalen Schulpolitik. An der Gesamtschule der Gemeinde Rödinghausen, zu der der NRW-Teil Bruchmühlens gehört, werden nächste Woche wieder rund 800 Schüler unterrichtet - etwa 100 davon "reisen" aus dem nahen Niedersachsen an. Geschwisterpaare, die dies- und jenseits die Schulbank drücken, könnten also demnächst bei gleicher Leistung unterschiedlich benotet werden.
"Alles nur rein theoretisch", sagt der didaktische Leiter der Gesamtschule, Wolfgang Ermshaus, "die neuen Rechtschreibregeln sind den Schülern längst ins Blut übergegangen". Die Quote der Verwechslungsfehler liege im Promillebereich. "Da wird "Fluss" eher mit nur einem "s" geschrieben, aber das frühere "ß" ist Vergangenheit", schildert der 58jährige.
Die Teilung selbst ist kein Akt von Willkür: Der Grenzverlauf - einst zwischen Preußen und dem Königshaus Hannover - existierte schon vor Entstehung einer Siedlung.
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mit herzlichen Grüßen
Karl Eichholz
eingetragen von 1 am 30.07.2005 um 09.07
Kraftakt der Sprach-Technokraten
Erstmals werden die Rechtschreib-Regeln durch eine Regierung verordnet – Bruch mit der Tradition
von Dankwart Guratzsch
Berlin - Am 1. August tritt an Deutschlands Schulen die neue Rechtschreibung in ihren wichtigsten Teilen formell in Kraft. Von diesem Tage an müssen Verstöße gegen die neuen Regeln der Groß- und Kleinschreibung, der Schreibung mit Bindestrich sowie der Laut-Buchstaben-Zuordnung in Schülerdiktaten als Fehler angestrichen werden. Lediglich die von Anfang an heftig umstrittene Getrennt- und Zusammenschreibung, die Silbentrennung am Zeilenende und die Zeichensetzung bleiben weiterhin von der Bewertung ausgenommen.
Damit ist ein geschichtliches Datum gesetzt. Denn zum erstenmal seit Beginn deutschsprachiger schriftlicher Aufzeichnungen wird eine Reform der Rechtschreibung durch eine Regierung angeordnet. Die große deutsche Schreibreform des Schriftvaters Duden vor mehr als hundert Jahren hat demgegenüber nur behutsam anzugleichen versucht, was sich an Schreibgebräuchen in den deutschsprachigen Ländern herausgebildet hatte.
Diese Schreibgebräuche hatten sich, wie der Erlanger Linguist Theodor Ickler herausgearbeitet hat, über Jahrhunderte in einer "Stafettenkontinuität" von Generation zu Generation intuitiv herausgebildet. Dabei folgte die "Verschriftlichung" dem Bemühen, Gedanken, Gefühle und Absichten möglichst differenziert, exakt und klar auszudrücken, niemals aber der Absicht, bestimmte "Regeln" aufzustellen. Diese möglichst breite Bereiche abdeckenden Regeln sind jeweils erst im nachhinein von Sprachwissenschaftlern aus dem vorherrschenden Schreibgebrauch abgeleitet worden. Bis in die jüngste Gegenwart hinein hat das deutsche Rechtschreibwörterbuch, der Duden, diese Tradition beibehalten und neue Schreibweisen erst dann übernommen, wenn sie sich eingebürgert hatten.
Die neue Rechtschreibung bricht mit dieser Tradition und setzt ein anderes Verfahren an die Stelle. Für das Regelwerk zeichnet nicht der Schriftgebrauch, also "das Volk", sondern ein Team von Experten verantwortlich, das sich abseits der Öffentlichkeit, am grünen Tisch, über neue Schreibregeln verständigt hat. Der Korrespondent dieser Zeitung wurde dreimal des Raumes verwiesen, als er um Teilnahme nachsuchte. Den beteiligten Wissenschaftlern kamen bei dieser Vorgehensweise die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zu Hilfe. Sie ermächtigten die Linguisten nicht nur zu Korrekturen an strittigen Schreibweisen, sondern zu einer grundlegenden Reform der deutschen Orthographie, und erhoben die Reform zum gemeinsamen politischen Projekt aller deutschsprachigen Staaten.
Dieses Verfahren ist von Anfang an auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung gestoßen. Mehrere Volksbegehren und ein Volksentscheid in Schleswig-Holstein gegen das neue Regelwerk blieben jedoch folgenlos, weil sich die Kultusministerkonferenz beharrlich über alle Einwände und Proteste hinwegsetzte. Klagen von Eltern wurden von Gerichten in allen Instanzen, zuletzt 1997 vom Bundesverfassungsgericht, niedergeschlagen. Die staatliche Durchsetzung der neuen Orthographie an den Schulen stellt den zunächst letzten Akt der Einführung des Regelwerks dar, das trotz Rücknahme zahlreicher ursprünglich beabsichtigter, tiefreichender Eingriffe (Kleinschreibung, Keiser statt Kaiser, Bot statt Boot) auch heute noch den vorherrschenden Schreibgebrauch ignoriert und laut Meinungsumfragen von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird.
(2) Der enorme staatliche Kraftaufwand zur Durchsetzung eines derart unpopulären Projektes ließ schon früh die Frage aufkommen, ob es neben den offiziellen Gründen für die Einführung ungebräuchlicher Schreibweisen geheime Nebengründe geben könne? Es wurden personelle Verflechtungen zwischen der anfangs tonangebenden Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Mitgliedern der Rechtschreibkommission und einigen Großverlagen aufgedeckt, die an der Beteiligung am lukrativen Wörterbuchgeschäft und der Abschaffung des Duden-Monopols ein vehementes Interesse hatten. Erst jüngst kamen Spekulationen auf, daß sogar Parteispenden geflossen seien, jeden Angriff auf die Reform rechtzeitig abzublocken.
Viel einfacher und vermutlich plausibler ist der Blick in die Ideologie-Geschichte der Reform. Danach ist die Rechtschreibreform unzweifelhaft ein Erbstück der 68er-Bewegung - inzwischen vielleicht sogar das einzige, das überlebt. Es war auf dem von der GEW dominierten Kongreß "vernünftiger schreiben" vom 4. bis 6. Oktober 1973 in Frankfurt/Main, daß erstmals die Rechtschreibung als Instrument des Klassenkampfes angeprangert wurde. Durch eine neue Rechtschreibung einschließlich Kleinschreibung der Substantive, so wurde dort gefordert, solle dem "Establishment" die Verfügungsgewalt über jenen "elaborierten Code" entwunden werden, mit dem die Volksmassen jahrhundertelang niedergehalten und unterdrückt worden seien. Auch wenn von diesem Pathos nicht viel geblieben ist - in Schriftsätzen von Mitgliedern der inzwischen abgesetzten Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission finden sich bis heute Spuren davon.
Für die politische Durchsetzung der Reform wurde ein zweites Faktum wichtig. Zu Zeiten der deutschen Teilung wußten westdeutsche Reformer bei bundesdeutschen Politikern von früh an den Argwohn zu nähren, die DDR bereite auf eigene Faust eine Rechtschreibreform vor, um die deutsche Teilung auch schriftsprachlich zu zementieren. Das geschickt gestreute, offenbar aus der Luft gegriffene Gerücht, das auch die Medien erreichte, verfehlte seine Wirkung nicht. Voller Nervosität willigten die zuständigen Ministerien der westlichen Länder in Rechtschreibkonferenzen mit DDR-Wissenschaftlern auf "neutralem Boden", in Österreich, ein, die dazu dienen sollten, die DDR einzubinden. Hier wurde - weitab von jeder Öffentlichkeit - die Reform auf scheinbar unumkehrbaren Kurs gebracht.
Heute ist dennoch schwer abzuschätzen, was von der Rechtschreibreform am Ende bleibt. Der neu berufene Rat für deutsche Rechtschreibung hat angekündigt, sich auch die neuen "verbindlichen" Schreibweisen vorzunehmen und gründlich zu überarbeiten. Bayern und Nordrhein-Westfalen wollen ihren Schülern nicht zumuten, in einem Jahr zweimal umzulernen, und warten die "Reform der Reform" noch mindestens ein Jahr lang ab. Aber auch in den anderen Ländern steht die neue Rechtschreibung weiterhin auf wackligen Füßen. Da es kein Wörterbuch für die "verbindlichen" Schreibweisen gibt (und wegen der bevorstehenden "Reform der Reform" bis auf weiteres keines geben wird), kann es zu neuen Klagen gegen falsche oder unsichere Benotungen kommen. Der Schreibfrieden scheint ferner denn je.
Artikel erschienen am Sa, 30. Juli 2005
http://www.welt.de/data/2005/07/30/752631.html
eingetragen von Detlef Lindenthal am 05.06.2005 um 07.52
„Frickeln“, „daddeln“ oder „merkeln“
von Hans Zippert
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich gestern über Nachbesserungen bei der Rechtschreibreform geeinigt. Folgende Änderungen wurden beschlossen. Rotgrün schreibt man ab Herbst auseinander, und zwar möglichst weit auseinander. Getrennt schreibt man aber merkwürdigerweise zusammen. Klassenarbeiten werden auch zusammengeschrieben, und zwar in einem Raum. Ganz groß schreibt man VOLLBESCHÄFTIGUNG und WIRTSCHAFTSWACHSTUM. Einschnitte ins soziale Netz schreibt man so wie immer, aber möglichst unauffällig. Kurze Zeitwörter haben die Möglichkeit, sich ein paar Buchstaben dazuzuverdienen. Beispiel: holen / überholen / herüberholen.
Neu ist die Einführung von Teilzeitwörtern wie „frickeln“, „daddeln“ oder „merkeln“. Einkünfte aus Nebensätzen müssen offengelegt werden, sind aber bis zur achten Silbe steuerfrei. Die diskriminierende Unterscheidung von Tuwörtern (schuften) und Nichtstuwörtern (herumhängen) wird gestrichen, ebenso wie die umstrittene Eigenschaftswörterzulage. Während eines Textes dürfen nicht mehr als drei Wörter ausgewechselt werden, die Entscheidungen des Linienrichters gelten, auch wenn man ein Kästchenheft benutzt.
Artikel erschienen am Sa, 4. Juni 2005
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Detlef Lindenthal
Alle angegebenen Zeiten sind MEZ
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