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eingetragen von 1 am 30.07.2005 um 08.26

Das Gute an der Rechtschreibung
Von Rainer Bonhorst

Die Rechtschreibreform tritt in Kraft und gleichzeitig tritt sie nicht in Kraft. Es hat schon viel Kopfschütteln und Gelächter über die große deutsche Rechtschreibkonfusion gegeben. Es ist an der Zeit, dem Schauspiel, das sich nun schon jahrelang hinzieht, etwas Positives abzugewinnen.

Das Positive an dem Vorgang ist, dass die betroffenen, Leid tragenden Schüler tiefe, pädagogisch wertvolle Einblicke in die Erwachsenenwelt gewinnen. Es ist eine Sache, in theoretischen Unterrichtsstunden über die großartigen Leistungen des Erwachsenenlebens informiert zu werden (Cäsar, Goethe, Einstein & Co). Es ist eine ganz andere, eindringlichere Sache, schmerzhaft am eigenen Leib die Praxis erwachsener Entscheidungsfindungen zu erleben.

Dies ist mit der Rechtschreibreform geschehen. Eine Kommission, bestehend aus den besten Köpfen, die das Land auf dem Lerngebiet Sprache aufzuweisen hat, beriet lang und gründlich und kam nach vielen Jahren mit einer Rechtschreibreform über, die von Kuriositäten strotzte. Die Proteste waren zahlreich und traten in unterschiedlicher Form auf. Lautstarke Empörung, Verweigerung, Kampf gegen das Unsägliche (Unschreibliche?) einerseits, Rechtfertigung, Gegenempörung und schließlich tätige Teilreue andrerseits.

Die Reform der Reform wurde eingeleitet, auf einen kleinen Kern reduziert und dann zur etappenweisen Ausführung vorgelegt. Es folgte der Konflikt darum, ob die Etappen tatsächlich etappenweise vollzogen werden sollen oder ob sie bis zur letzten Etappe verweigert, dann aber mit einem Sprung genommen werden sollen.

Andere Konflikte schwelen unverändert. Einige Zeitungen, die ja wichtiger Lesestoff auch in der Schule sind, schreiben weiter auf die alte Weise, also anders als die Schüler nun früher oder später schreiben müssen, wenn sie keine Fünf kriegen wollen.

Kann man sich für unsere schreibende und lesende Jugend eine bessere Lektion über die menschlich allzu menschlichen Unzulänglichkeiten der Erwachsenenwelt vorstellen?

Es ist natürlich eine unfreiwillige Lektion. Die klugen Köpfe, die höherenorts agieren, entlarven sich selbst als stellenweise beschränkt. Das vermuten zwar viele Jugendliche ohnehin, aber vermuten ist etwas anderes als erfahren. Andererseits ist diese lebensnahe Lektion letzten Endes eben doch sehr unangenehm, denn die Schüler müssen sich mit den Kuriositäten der Reform-Saga allen Ernstes und möglicherweise folgenschwer herumschlagen.

Diese ungewöhnlich deutliche Vorführung erwachsener Unzulänglichkeit, von der Konfusion über die Rechthaberei bis hin zur Machthuberei, erleben wir in einer Zeit, in der wir die sinkende Autorität der Eltern und anderer Erwachsener beklagen. In der Tat: Wir sind den antiautoritären Weg zu weit gegangen und tragen nun die Früchte mangelnder Führung. Doch eine Lehre gilt, ob die Zeiten nun nach mehr oder weniger Autorität verlangen, immer: Wer Vorbild sein will, sollte als ein Vorbild handeln.

Artikel vom: 30.07.2005 00:00                    Letzte Änderung: 29.07.2005 19:25
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