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Juraforum.de 14.02.2008 Recht, Juraforum-News
Verfassungsgericht kippt 5%-Klausel bei Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein
Der Antrag der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Landesverband Schleswig-Holstein, der sich gegen die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlgesetz richtet, war erfolgreich. Die Partei DIE LINKE, Landesverband Schleswig-Holstein war dem Antrag beigetreten. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte mit Urteil vom 13. Februar 2008 fest, dass der Landtag Schleswig-Holstein in das Recht der Antragstellerin auf Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit dadurch eingegriffen hat, dass er einen Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bezüglich der Fünf-Prozent-Klausel abgelehnt hat. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Hinreichende Gründe, die die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen in Schleswig-Holstein nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen erforderlich machen, sind nicht ersichtlich.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. Mit 7 : 1 Stimmen bejahte der Zweite Senat die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens. Die Ablehnung des Gesetzesantrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Abschaffung der Fünf-Prozent-Sperrklausel bildet hier einen zulässigen Angriffsgegenstand im Organstreitverfahren. Der Antragsgegner hat sich mit der Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel im Schleswig-Holsteinischen Kommunalwahlrecht inhaltlich befasst und einen ausdrücklich auf die Abschaffung der Sperrklausel gerichteten Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren abgelehnt. Damit steht im vorliegenden Fall die Ablehnung des Gesetzentwurfes dem als Maßnahme zu wertenden Erlass eines Gesetzes gleich. In beiden Fällen befasst sich der Gesetzgeber im parlamentarischen Verfahren inhaltlich mit der Frage der Sperrklausel im Kommunalwahlrecht und trifft eine Entscheidung, die in die Statusrechte der Antragstellerin eingreift.
II. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlgesetz bewirkt eine Ungleichgewichtung der Wählerstimmen. Sie werden hinsichtlich ihres Erfolgswerts ungleich behandelt, je nachdem, ob die Stimme für eine Partei abgegeben wurde, die mehr als fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, oder für eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Sperrklausel gescheitert ist. Letztere Wählerstimmen bleiben ohne Erfolg. Zugleich wird durch die Fünf-Prozent-Sperrklausel das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit beeinträchtigt. Dieser Eingriff in das Recht der Antragstellerin auf Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit ist nicht gerechtfertigt.
1. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie dem Zweck diene, verfassungsfeindliche oder (rechts-)extremistische Parteien von der Beteiligung an kommunalen Vertretungsorganen fernzuhalten. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel wirkt nicht nur gegen (unerwünschte) extremistische Parteien, sondern trifft alle Parteien gleichermaßen, ebenso wie kommunale Wählervereinigungen und Einzelbewerber. Für die Bekämpfung verfassungswidriger Parteien steht das Parteiverbotsverfahren zur Verfügung.
2. Auch in der Sicherung der Gesamtwohlorientierung politischer Kräfte kann gegenwärtig kein zwingender Grund für die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel gesehen werden. Aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung folgt, dass die Auslese der Kandidaten für die kommunalen Vertretungskörperschaften jedenfalls auch nach partikularen Zielen möglich sein muss und daher nicht ausschließlich den ihrem Wesen und ihrer Struktur nach in erster Linie am Staatsganzen orientierten politischen Parteien vorbehalten werden darf. Es muss daher auch ortsgebundenen, lediglich kommunale Interessen verfolgenden Wählergruppen das Wahlvorschlagsrecht und ihren Kandidaten eine chancengleiche Teilnahme an den Kommunalwahlen gewährleistet sein. 3. Aus der Erforderlichkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel für Bundestags- oder Landtagswahlen kann nicht ohne weiteres auf die Erforderlichkeit der Sperrklausel auch für Kommunalwahlen geschlossen werden. Bei gesetzgebenden Körperschaften sind klare Mehrheiten zur Sicherung einer politisch aktionsfähigen Regierung unentbehrlich. Anders als staatliche Parlamente üben Gemeindevertretungen und Kreistage dagegen keine Gesetzgebungstätigkeit aus. Vielmehr sind ihnen in erster Linie verwaltende Tätigkeiten anvertraut. 4. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das Ziel der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Volksvertretung mit dem Gebot der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit politischer Parteien zum Ausgleich zu bringen. Bei seiner Prognoseentscheidung darf sich der Gesetzgeber aber nicht auf die Feststellung der rein theoretischen Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit beschränken; erforderlich ist vielmehr eine mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung. Hinreichende Gründe, die die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen in Schleswig-Holstein nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen erforderlich machen, sind nicht ersichtlich. Bei der Prognoseentscheidung des Gesetzgebers kommt der Ausgestaltung des Kommunalverfassungsrechts in Schleswig-Holstein entscheidendes Gewicht zu. a) Mit der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister in hauptamtlich verwalteten Gemeinden sowie der Landräte ist das zentrale Element weggefallen, das bislang die Rechtfertigung der Fünf-Prozent-Sperrklausel im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht gestützt hat. Nach der Änderung der Kommunalverfassung in Schleswig-Holstein im Jahr 1995 sind für die Wahl der hauptamtlichen Bürgermeister und der Landräte stabile Mehrheitsverhältnisse, die durch das Auftreten von Splitterparteien in Kommunalvertretungen und Kreistagen gefährdet werden könnten, nicht mehr notwendig. Die Direktwahl des Bürgermeisters bzw. des Landrats garantiert zudem weitgehend eine funktionierende Gemeindeverwaltung unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen in der Gemeindevertretung. Denn der Bürgermeister trägt in eigener Zuständigkeit die alleinige umfassende Verantwortung für die Leitung der Gemeindeverwaltung. Der Umstand, dass in ehrenamtlich verwalteten Gemeinden die Gemeindevertretung nach wie vor für die Wahl des Bürgermeisters zuständig ist, kann die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht rechtfertigen. In sämtlichen ehrenamtlich verwalteten Gemeinden muss ein Wahlbewerber, um sicher einen Sitz in der Gemeindevertretung zu erlangen, ohnehin mindestens fünf Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Dies beruht darauf, dass alle ehrenamtlich verwalteten Gemeinden in Schleswig-Holstein weniger als 10.000 Einwohner haben, was dazu führt, dass maximal 19 Gemeindevertreter zu wählen sind. Bei einem zu wählenden Gremium mit 19 Sitzen beträgt schon die faktische Sperrklausel fünf Prozent. Der Wegfall der gesetzlich normierten Fünf-Prozent-Sperrklausel würde sich in den ehrenamtlich verwalteten Gemeinden - und damit in nahezu 95 Prozent aller schleswig-holsteinischen Gemeinden - praktisch nicht auswirken. b) Auch bei einer größeren Anzahl von Fraktionen oder Einzelvertretern in der Gemeindevertretung oder im Kreistag drohen keine nachhaltigen Gefahren für die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretung. Für Sachentscheidungen reicht bereits eine relative Abstimmungsmehrheit aus. Bei Wahlen gilt grundsätzlich das Meiststimmenverfahren. Danach ist der Kandidat gewählt, auf den mindestens eine Stimme mehr entfällt als auf eine andere vorgeschlagene Person. c) Darüber hinaus liegt eine gänzliche Funktions- und Entscheidungsunfähigkeit in Anbetracht der Regelungen der Gemeinde- und der Kreisordnung fern, die insbesondere die Entscheidungsfähigkeit der Kommunalvertretungen auch dann sicherstellen, wenn das übliche Quorum der Beschlussfähigkeit nicht zu erreichen ist. In der Praxis betrifft dies vor allem die Fälle, in denen die Beschlussunfähigkeit von mehreren Mitgliedern der Gemeindevertretung oder des Kreistags durch Verlassen einer Sitzung herbeigeführt wird. d) Auch eine Gefährdung der Arbeit in den Ausschüssen ist nicht ernstlich zu befürchten. Die Gemeinde kann die Zahl der Mitglieder der ständigen Ausschüsse frei bestimmen. Dabei ist nicht von Belang, ob durch die Größe des Ausschusses gewährleistet ist, dass alle Fraktionen darin mitwirken können. Eine bestimmte Anzahl von Sitzen in der Gemeindevertretung berechtigt Fraktionen nicht, eine Erhöhung der Ausschusssitze zu verlangen, um dann dort berücksichtigt zu werden. e) Schließlich können die in den anderen Ländern ohne Fünf-Prozent-Sperrklausel gemachten Erfahrungen bei der Prognoseentscheidung nicht gänzlich außer Betracht gelassen werden. Seit der Reformierung der Kommunalverfassungen bestehen in nahezu allen Flächenländern wesentliche Übereinstimmungen in den Kommunalverfassungen. Daher spielt für die Prognoseentscheidung auch eine Rolle, dass schwerwiegende Störungen der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen aus anderen Ländern ohne Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht bekannt geworden sind.
BVerfG - Urteil vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –
Quelle: Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -, Pressemitteilung Nr. 16/2008 vom 13. Februar 2008; Foto: (c) wikipedia (GNU)
eingetragen von Norbert Lindenthal am 18.01.2007 um 17.25
Juraforum.de 17.1.2007
Presseinformation Alfried Krupp Wissenschaftskolleg
Greifswald, 17. Januar 2007
Das Ende des Rechtschreibkrieges?
Peter Eisenberg nimmt am 22. Januar 2007 im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg zur Reform der Rechtschreibreform Stellung
Professor Dr. Peter Eisenberg, prominentes Mitglied des mit der Reform der Rechtschreibreform betrauten "Rats für deutsche Rechtschreibung" und einer der besten Kenner der deutschen Orthographie und ihrer Geschichte, bezieht am 22. Januar 2007 um 20 Uhr im Krupp-Kolleg zu den neuen amtlichen Rechtschreibregeln Position. "Das Ende des Rechtschreibkrieges? Deutsche Orthographie 2007" heißt der Titel des Vortrags, den das Alfried Krupp Wissenschaftskolleg gemeinsam mit dem Greifswalder Zweig der Gesellschaft für deutsche Sprache veranstaltet. Alle am Stand der Diskussion über die Rechtschreibreform Interessierten sind dazu herzlich eingeladen. Der Eintritt ist frei.
Eisenberg, unter dessen Federführung eine Kommission der "Akademie für Sprache und Dichtung" schon früh nach einem Kompromissvorschlag suchte, war maßgeblich an der "Reform der Reform" beteiligt, deren Ergebnis nun die neue "Amtliche Rechtschreibung" darstellt. Wichtige Neuregelungen betreffen insbesondere die äußerst umstrittene Getrennt- und Zusammenschreibung, aber auch die Groß- und Kleinschreibung sowie die Zeichensetzung. Viele der seit dem 1. August 2006 geltenden Regeln, durch die ein großer Teil der ursprünglichen Rechtschreibreform wieder zurückgenommen worden ist, gehen auf Eisenbergs Vorschläge zurück.
In seinem Vortrag wird Professor Eisenberg in allgemein verständlicher Form die wichtigsten Neuregelungen erläutern und begründen. Er wird herausstellen, was mit der Reform erreicht wurde, sich aber auch kritisch mit den Hintergründen des Reformvorhabens selbst beschäftigen. Den Vortragstitel "Das Ende des Rechtschreibkrieges?" hat Peter Eisenberg bezeichnenderweise mit einem Fragezeichen versehen. An einer Antwort auf diese Frage dürfte allen sprachinteressierten Menschen gelegen sein.
Peter Eisenberg studierte zunächst Musik und Elektrotechnik. 1968 absolvierte er das Examen als Tonmeister und 1969 erhielt er das Diplom in Nachrichtentechnik. Erst 1970 begann er das Studium der Linguistik und Germanistik, bereits in der ersten Phase mit einem zweisemestrigen Aufenthalt am renommierten Massachussetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (USA). Ab 1975 lehrte er als wissenschaftlicher Assistent an der FU Berlin, dann als Akademischer Rat in Hannover. Nach der Habilitation wurde er 1980 als Professor für Deutsche Philologie an die FU Berlin berufen. Von 1993 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2006 hatte er den Lehrstuhl für Deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam inne.
Aus Eisenbergs umfangreichem wissenschaftlichem Werk zur Erforschung der deutschen Sprache ragt der zweibändige "Grundriß der deutschen Grammatik" (1998/99) heraus - eine Grammatik, die nicht als totes Wissen neben der Sprache steht, sondern eine Innensicht der Sprache ermöglicht. Zur Diskussion um die Rechtschreibung hat Peter Eisenberg kürzlich einen nüchtern abwägenden Band mit einem sprechenden Titel herausgegeben: "Niemand hat das letzte Wort. Sprache - Schrift - Orthographie" (Göttingen 2006).
Das Ende des Rechtschreibkrieges?
Deutsche Orthographie 2007
Vortrag von Professor Dr. Peter Eisenberg (Potsdam)
Montag, 22. Januar 2007, 20 Uhr s. t.
Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald
Greifswald, Martin-Luther-Straße 14
Moderation:
Professor Dr. Jürgen Schiewe
(Institut für Deutsche Philologie der
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald)
Eine Veranstaltung des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs Greifswald und der Gesellschaft für deutsche Sprache e. V., Zweigverein Greifswald.
Alfried Krupp Wissenschaftkolleg Greifswald
D-17487 Greifswald
Telefon: + 49 (0) 3834 86-19001
Telefax: + 49 (0) 3834 86-19005
E-Mail: info@wiko-greifswald.de
Quelle: idw
Alle angegebenen Zeiten sind MEZ
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