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eingetragen von glasreiniger am 11.02.2008 um 19.49
aber nicht, wenn man Kultusminister ist. Denn dann muß man "Fachleute" bei der Stange halten (indem man ihre unsinnigen Vorschläge erst zur Unkenntlichkeit verändert und den unstimmigen Rest dann durchpaukt, weil sich ja nicht um "eigentlich Politisches" handelt), die Staatsraison aufrechterhalten, die Reformmaschine weiter am Durchdrehen halten (Bätscheler etc.) und vor allem die Finanzierung des KMK-Sekretariats sicherstellen. Empirische Bildungsforschung soll gemacht werden, aber ja nicht im Fall der Rechtschreibreform und ihrer Verwandten, der "vereinfachten lateinischen Ausgangsschrift".
Die dösigen Interviewer lassen den beiden Befragten den Unsinn unhinterfragt durchgehen (weil man an den dümmsten Unternehmungen ja auch propagandistisch mitgewirkt hat): wahre Pre$$titutes eben!
eingetragen von Norbert Lindenthal am 11.02.2008 um 13.19
DIE ZEIT, 07.02.2008 Nr. 07
Die Reformer von der ersten Bank
Annette Schavan und Jürgen Zöllner über Bildungspolitik als Wahlkampfthema, die Zukunft der Kultusministerkonferenz und das Erbe von 1968
[Bild:
Frau Schavan und Herr Zöllner auf einer Schulbank, Hintergrund Kreidetafel mit Matheformeln und Graphen. Herr Zöllner hält seine Hand hinter Frau Schavan wie Kanickelohren.]
Annette Schavan (CDU) und Jürgen Zöllner (SPD)
© JANNI CHAVAKIS FÜR DIE ZEIT
DIE ZEIT: Bei der Hessenwahl war für die meisten Wähler die Bildungspolitik Thema Nummer eins. Freut Sie das?
Jürgen Zöllner: Bei Wahlen wird man ja eher mit den Problemen als mit Erfolgen konfrontiert, insofern ist das zweischneidig. Aber dass die Bildungspolitik in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, ist unterm Strich erfreulich.
Annette Schavan: Bildungspolitik ist das Herzstück der Landespolitik. Die Landesregierung hat 4300 neue Lehrerstellen geschaffen und wichtige Reformen auf den Weg gebracht.
ZEIT: Mahnt Hessen nicht dazu, dass Bildungsreformen, wie etwa die Schulzeitverkürzung, eines breiten Konsenses bedürfen?
Zöllner: Unbedingt. Größere Umbauten an den Schulen gelingen nur, wenn Eltern, Lehrer und Schüler nicht überfordert werden und wenn sie nicht in Gefahr sind, bei einem Regierungswechsel zurückgenommen zu werden.
Schavan: Wer reformiert, wird auch kritisiert. Aber Kritik schafft noch keinen Konsens. Viele Fragen, zum Beispiel wie der Unterricht verbessert werden kann, sind pädagogischer Natur. Sie eignen sich nicht für den politischen Streit. Andere gehören zum politischen Wettbewerb.
ZEIT: Wo sehen Sie denn diesen Wettbewerb zwischen den Parteien? Alle Bundesländer stärken die Frühförderung, führen Bildungsstandards und zentrale Prüfungen ein, wandeln an den Hochschulen Diplom- und Magisterstudiengänge in Bachelor- und Masterstudiengänge um.
Zöllner: SPD und CDU setzen unterschiedliche Schwerpunkte beim Fördern und Fordern der Schüler. Die CDU achtet stärker auf die Auswahl der Besten und erst in zweiter Linie auf die Förderung der Schwächeren. Wir Sozialdemokraten achten mehr darauf, möglichst vielen eine Chance zu geben, und achten dann darauf, dass auch die Leistung stimmt.
Schavan: Wir setzen auf die kontinuierliche Weiterentwicklung zur Steigerung der Qualität und auf die Durchlässigkeit im Bildungssystem. Bildungsforscher sagen, dass in keinem Land die Durchlässigkeit so hoch ist wie in Baden-Württemberg. Durchlässigkeit steigert Chancengerechtigkeit.
ZEIT: Wo sehen Sie denn die Unterschiede zur SPD?
Schavan: Die Bildungspolitik von CDU und CSU ist erwiesenermaßen besser im Blick auf Qualität und Gerechtigkeit. Das haben die Pisa-Studien gezeigt. Die vier besten Länder im innerdeutschen Vergleich werden von der Union regiert.
Zöllner: Die Leistungen bei Pisa sind wichtig, aber nicht alles. Für die Entwicklung von Arbeiter- und Migrantenkindern ist es auch wichtig, Abitur zu machen oder zumindest einen Hauptschulabschluss. Da haben SPD-regierte Länder vielfach die Nase vorn.
ZEIT: Sie beziehen sich beide auf die Vergangenheit. Welche unterschiedlichen Pläne haben Sie denn für die Zukunft?
Schavan: Die Union baut weiter auf Qualität und Chancengerechtigkeit. Jeder Jugendliche braucht einen Abschluss und eine qualifizierte Ausbildung. Der Anteil der Studienanfänger soll weiter steigen. Wir setzen auf die besseren Konzepte. Wer jetzt wieder nur über Strukturen redet, versetzt dem Bildungssystem erneut einen Schlag. Am Ende würde dann wieder die Qualitätsfrage in den Hintergrund gedrängt werden wie bei der Gesamtschuldebatte in den siebziger Jahren.
Zöllner: Ich hielte es auch für verhängnisvoll, den Streit um die Schulstruktur ins Zentrum zu rücken. Aber auch hier stehen ja die Zeichen auf Entspannung. In Hamburg etwa haben sich CDU und SPD auf den Kompromiss eines Zweisäulenmodells geeinigt: Erhalt des Gymnasiums und Zusammenlegung unter anderem der Haupt- und Real- und Gesamtschulen. Im Übrigen muss sich der Wettbewerb der Parteien nicht an unterschiedlichen Modellen festmachen, es zählt auch die gute oder weniger gute Regierungspraxis.
ZEIT: Auch wenn der Parteienstreit nachgelassen hat, plagt die Bildungspolitik nach wie vor ein Imageproblem. Die meisten Kultusminister sind bei Lehrern und Eltern nicht beliebt; die Kultusministerkonferenz gilt noch immer als unbeweglich. Woran liegt das?
Schavan: Ein Grund sind die überzogenen Erwartungen der Öffentlichkeit. Wenn die Leistungen der Schüler nicht stimmen, wenn sich Erziehungsprobleme zeigen – dann wird immer nur auf die Schule geschaut. »Daumen hoch«, wenn sie Probleme löst, »Daumen runter«, wenn nicht. Die Verantwortung der Eltern und der Gesellschaft im Ganzen für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen wird unterschätzt.
ZEIT: Wie zeigt sich das?
Zöllner: Ein typisches Beispiel: Kürzlich wurde eine Studie vorgelegt, die auf die Bewegungsarmut und Fehlernährung von Kindern und Jugendlichen aufmerksam machte – der Nachwuchs ist zu dick. Im Kern eigentlich kein Bildungsthema. Doch sofort landet der Schwarze Peter bei der Schule, und die Kultusminister werden von der Presse zu einer Stellungnahme aufgefordert.
ZEIT: Wie haben Sie sich aus der Affäre gezogen?
Zöllner: Ich habe darauf hingewiesen, dass die Kinder lieber Treppen steigen sollten, statt mit dem Aufzug zu fahren, und mehr Fahrrad fahren sollten, anstatt mit dem Auto zur Schule und zur Musikschule gebracht zu werden. Das war einigen zu flapsig.
Schavan: Die Schule ist auch in der Gefahr, kaputtgeredet zu werden.
ZEIT: Wie meinen Sie das?
Schavan: Im Kern hat die Schule kein Qualitätsproblem, sondern ein Vertrauensproblem. Lehrer werden nicht im notwendigen Maß als Autoritäten geachtet, und das Gleiche gilt dann für die Kultusminister.
ZEIT: Sind die bösen 68er schuld?
Schavan: Sie haben der Schule jedenfalls eine Autoritätskrise beschert, die bis heute intellektuell nicht verarbeitet wurde. Das hat die Qualität der Schule an vielen Orten beschädigt. Lehrer sind von einem Milieu des Misstrauens umgeben. Dem Esprit der Schule, der Tatsache, dass Lehrer Kulturschaffende sind, wird nicht genügend Rechnung getragen. Und so ist letztlich zu erklären, dass in jeder Sommerpause die Abschaffung der Kultusministerkonferenz gefordert wird.
ZEIT: Schuld am schlechten Ruf der Kultusministerkonferenz sind also die anderen?
Zöllner: Wir haben natürlich auch Fehler gemacht.
ZEIT: Welche?
Zöllner: Die großen Reformen, die wir gemeinsam angestoßen haben, haben wir zu wenig als eigene Leistungen verkauft.
ZEIT: Zum Beispiel?
Zöllner: Die Pisa-Studie, die zu einem Umsteuern in der Bildungspolitik geführt hat, ist ja nicht vom Himmel gefallen. 1997 haben die Kultusminister beschlossen, Frau Schavan und ich waren aktiv daran beteiligt, sich an Schulleistungsstudien zu beteiligen, das war damals alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir mussten als Kultusminister nach der Pisa-Studie viel Schelte einstecken. Dass wir selbst diese Studie in Auftrag gegeben und bezahlt haben, damit sind wir zu wenig hausieren gegangen. Dem Ruf der Kultusministerkonferenz war sicher auch abträglich, dass wir uns ohne Not die Rechtschreibreform ans Bein gebunden haben.
ZEIT: Weshalb haben Sie das denn gemacht?
Zöllner: Wir haben, ich schließe mich da ein, vollkommen unterschätzt, wie die Öffentlichkeit auf dieses Thema reagiert. Es ist ja eigentlich kein politisches Thema. Wir wollten lediglich die Reformvorschläge der Fachleute absegnen und haben uns letztlich einen riesigen Streit eingehandelt.
ZEIT: Die Kultusministerkonferenz, die KMK, feiert im Juli ihr 60-jähriges Jubiläum. Durch die Föderalismusreform sind die Länder noch eindeutiger für die Bildungspolitik verantwortlich. Doch ihr Rückgrat, das KMK-Sekretariat, das eine wichtige Denkfabrik sein könnte, wird massiven Sparmaßnahmen unterworfen.
Schavan: Zur Denkfabrik sind sicher unabhängige Institute besser geeignet als die Verwaltung. Ich möchte dafür werben, dass die Schulen bei der Qualitätsentwicklung nicht auf Anweisungen von oben warten, sondern sich selbst an Ort und Stelle auf die Suche nach Expertise machen, zum Beispiel an den Universitäten.
Zöllner: Als Denkfabrik sehe ich das KMK-Sekretariat auch nicht. Aber es spielt eine zentrale Rolle bei der Sitzungsvorbereitung, der Kommunikation und der Abstimmung unter den Kultusministern. Dazu brauchen wir dort exzellente Mitarbeiter, die auch die Kontinuität der Arbeit sichern, denn die Präsidentschaft wechselt jährlich. Das wird nicht gelingen, wenn wir das Budget der KMK weiter kürzen. Beim Geldsparen ist das Ende der Fahnenstange erreicht.
ZEIT: Sie haben in der KMK die sogenannte empirische Wende in der Bildungspolitik durchgesetzt. Wir wissen durch Pisa etwa, was die Schüler tatsächlich lernen, während früher nur gemutmaßt wurde. Ihre Reformen lassen Sie aber nicht evaluieren. Die Umstellung auf die Bachelorstudiengänge an den Hochschulen oder die Umstrukturierung der Oberstufe – alle Bundesländer betreiben sie, aber was sie bewirken, bleibt im Dunkeln.
Zöllner: Empirische Studien sind manchmal, aber nicht immer erforderlich. Manchmal reicht auch der gesunde Menschenverstand. Wenn wir die Fächerwahl in der Oberstufe einschränken, dann schafft das mehr Klarheit, eine bessere Vergleichbarkeit, mehr Vertrauen in das Abitur.
Schavan: Wir reagieren mit der Weiterentwicklung der Oberstufe auch auf Kritik der Universitäten, also der Abnehmerseite, das gehört auch zur Empirie. Die Oberstufe soll das Studium nicht vorwegnehmen, sondern eine breite Grundlage schaffen.
Zöllner: Wie sich diese Reformen flächendeckend auswirken, können wir erst in zehn, zwanzig Jahren bewerten. Da nützt mir kein begrenzter Modellversuch. Roman Herzog, der vormalige Bundespräsident, hat gesagt, wir hätten kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem im Bildungswesen. Dem stimme ich zu.
Schavan: Ich bin aber froh, dass wir die empirische Bildungsforschung stärken können, denn wir brauchen deren Erkenntnisse weiter. Pisa zeigt uns vieles, aber das sind immer nur punktuelle Messungen. Ein großes Projekt ist ein sogenanntes Bildungspanel, das wir gemeinsam mit den Ländern und der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf den Weg bringen wollen. Davon verspreche ich mir viele Erkenntnisse über die Kompetenzentwicklung im Laufe des Lebens und ihre Bedeutung für den Berufserfolg.
Die Fragen Stellten Thomas Kerstan, Martin Spiewak und Jan-Martin Wiarda
Annette Schavan (CDU), 52, und Jürgen Zöllner(SPD), 62, gelten als die erfahrensten Bildungspolitiker ihrer Parteien. Bevor es beide nach Berlin zog, sie 2005 als Bundesbildungsministerin, ihn 2006 als Berliner Bildungssenator, haben sie sich als langjährige und erfolgreiche Kultusminister in Baden-Württemberg (Schavan) und Rheinland-Pfalz (Zöllner) einen Namen gemacht. 1997 wirkten beide an den sogenannten Konstanzer Beschlüssen der Kultusministerkonferenz mit, die länderübergreifenden Studien zu Schülerleistungen den Weg ebneten. Dadurch wurde unter anderem der Vergleich der Bundesländer im Rahmen der Pisa-Studie möglich.
© DIE ZEIT, 07.02.2008 Nr. 07
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Norbert Lindenthal
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