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eingetragen von Norbert Lindenthal am 13.01.2011 um 19.05

hunderttausend.de Donnerstag, 13.01.2011
Sebastian Krämer
"Kunst ist keine Dienstleistung"
Der vielfach ausgezeichnete Sebastian Krämer avancierte in den vergangenen Jahren zu einem der bekanntesten Musikkabarettisten der Republik. Am Donnerstag, 20. Januar, ist er mit seinem neuen Programm "Akademie der Sehnsucht" im Großen Saal der Trierer Tuchfabrik zu Gast. Mit hunderttausend.de sprach der 35jährige Wahl-Berliner vorab über die Lachtempel der Verblödungsgesellschaft, verachtenswerte Deutschlehrer und feige Programmchefs beim Fernsehen.


Foto: Promo
hunderttausend.de: Herr Krämer, schon 2009 und 2010 waren Sie in der Moselmetropole zu Gast. Was zieht Sie immer wieder nach Trier?

Sebastian Krämer: Ich kenne einige sehr freundliche Trierer, die ich gerne treffe, wenn ich hier zu tun habe. Das ist schon eine Menge. Aber davon abgesehen habe ich zu dieser Stadt ein rein professionelles Verhältnis. Die Trierer selbst bedauern einhellig, dass die Stadt so klein sei, so provinziell, und so weit ab vom Schuss liege. Dabei ist das ja gerade das Sympathische. Weniger klein und ab vom Schuss, aber trotzdem Römerstadt ist doch schon Köln.

Ihr neues Programm trägt den Titel "Akademie der Sehnsucht." Der Untertitel lautet vielsagend: "Kein Kabarett." Was erwartet das Publikum hier?

Chansons auf der Höhe meiner Möglichkeiten. Mehr Musik als bisher. Aber auch ein wenig vollmundige Prosa. Inhaltlich geht es um die Erkundung verschiedenster Sehnsüchte: natürlich der amourösen, aber auch der politischen, die Sehnsucht nach verlorener Kindheit und die Sehnsucht nach verlorenem Vertrauen. Ein Abend so traurig wie das Leben, bloß witziger.

Offenbar legen Sie in Ihren Werken auf den Text ebenso viel Wert wie auf die Musik. In Ihrem Programm "Krämer bei Nacht" sagten Sie: "Die Dichtung ist die Kommerzialisierung des Wortes." Warum haben Sie sich überhaupt von Ihrem einstigen Steckenpferd Poetry Slam abgewandt?

Weil es sich zur Treue nicht eignet. Marc Kelly Smith sagte erst kürzlich in einem Interview, die Dichter sollten, wenn sie eine Weile auf Slams aufgetreten sind, auch irgendwann weiterziehen und etwas anderes machen. Und was mich betrifft: Mit all den Siegen im Gepäck – und Niederlagen natürlich auch – immer wieder anzutreten, wäre ein bisschen wie jedes Jahr aufs Neue sein Goldenes Schwimmabzeichen zu machen.

Nun werden Sie nichtsdestotrotz als "Sprachartist und Ausdrucksgourmet" (Hannoversche Allgemeine Zeitung) bezeichnet, als "süßlich-bösartiger Dada-Chansonnier" (Ludwigsburger Kreiszeitung) oder auch als "einer der pointiert bissigsten Liedermacher" (Melodie & Rhythmus). Wie würden Sie selbst Ihren Stil beschreiben?

Muss ich das wirklich? Manchmal habe ich das Gefühl, ich kenne meinen eigenen Stil gar nicht, und das ist auch gut so, weil ich ihn schließlich mit jedem Beitrag neu erfinden muss. Die Unterschiede zwischen meinen Stücken fallen mir stärker auf als die Gemeinsamkeiten. Das Verbindende zwischen ihnen bin wohl ganz einfach ich.

Eigenschaften, die ich habe – meine Sprache, meine Stimme, mein Humor – kennzeichnen naturgemäß auch die Stücke. Aber ich kann Ihnen sagen, was für Lieder und Texte mir gefallen, was also auch mein eigener Anspruch ist: Gedanklich, sprachlich und musikalisch möchte ich als Zuhörer herausgefordert, überrascht, unterhalten werden. Am wichtigsten aber ist die emotionale Wirkung. Ein Lied soll mich ergreifen wie eine Woge.

Wie und warum sind Sie denn zum poetischen Liedermacher geworden?

Die Affinität zur Musik war schon immer da. Nur mein Mut, diese Richtung gegen alle Widerstände zu verfolgen, ist gewachsen. Ein richtiger Kabarettist war ich übrigens nie. Kabarett, Comedy – das sind die Kategorien der Veranstalter, nicht der Künstler. Im Quatsch-Comedy-Club – also im Live-Club, nicht bei Pro7 – habe ich einmal ein sehr melancholisches Lied gesungen und danach zu den Leuten gesagt: "Sie fragen sich jetzt sicher, warum ich so ein Lied hier singe und nicht in der Kirche. Ganz einfach: Der Auftritt hier ist besser bezahlt."

Man muss den Leuten mit dem, was sie wirklich bereichert, dort auflauern, wo sie hin pilgern, und wenn es die Lachtempel der Verblödungsgesellschaft sind. Ich kann doch nicht nur deswegen meinem künstlerischen Anspruch untreu werden, weil der im Vertrag mit dem Endverbraucher gar nicht vorgesehen war. Kunst ist keine Dienstleistung.

Diese Sichtweise ist vielen Ihrer Chansons auch anzumerken, in denen Sie die Political Correctness gerne mal auf die Schippe nehmen. Ein schönes Beispiel ist Ihr Busfahrer-Song, in dem Ärger über Rollstuhlfahrer kundgetan wird, weil für sie die Einstiegsrampe ausgefahren werden muss. Welche Themen sind für Sie noch tabu?

Typisch kabarettistische Themen, also alles Tagespolitische. Ich würde mir eher die Zunge abbeißen, als über Guido Westerwelle zu singen. Leute, die ohnehin zu viel Aufmerksamkeit durch die Medien genießen, sei es, weil sie bei "DSDS" mitmachen oder das Amt eines Ministers vernachlässigen, müssen draußen bleiben.

Sie spielen auch gerne mit Ihren Zuschauern, so zum Beispiel in dem Drachentöterlied, das jeden gewohnten Zeitrahmen sprengt. Warum verweigern Sie sich bisweilen dem im Kabarett üblichen Gebot zu knappen und präzisen Pointen?

Nun ja, nicht alle Stücke sind derart ausladend, es geht auch gern mal Schlag auf Schlag. Meine konsequente Verweigerung gilt bloß jener sterbensöden mediengenormten Pointen-Taktung. Da wird dem Publikum ein bestimmter Lach-Rhythmus antrainiert und dann neunzig Minuten lang abgerufen. Das ist ungefähr so aufregend wie ein tropfender Wasserhahn. Anders gesagt: Gegen Langeweile im Kleinkunstsaal ist nichts wirksamer als ein Lied mit Überlänge und einer Gagdichte wie bei Rilke.

Rilke ist ein gutes Stichwort. Einer Ihrer beliebtesten Songs ist "Deutschlehrer", in dem Sie sich die Sprach- und Literaturerzieher vorknöpfen. Hatten Sie selbst auch einen solchen Deutschlehrer oder was haben Sie gegen die Vertreter jener Zunft?

Nein, es geht ja hier nicht um die Deutschlehrer meiner Schulzeit, sondern um heutige Deutschlehrer. Einer vom alten Schrot und Korn, der noch Schillers Glocke auswendig lernen ließe, wäre ganz nach meinem Geschmack. Ich habe meine Achtung vor allen Deutschlehrern dieses Landes verloren, die nach der Rechtschreibreform nicht in den Streik getreten sind. Also vor allen.

Auch wenn Sie gelegentlich in einschlägigen Sendungen zu sehen sind, scheint Musikkabarett im Fernsehen alles in allem noch unterrepräsentiert zu sein. Woran könnte das liegen?

An der Feigheit der Programmmacher. In manchen Sendungen durfte ich zwar auftreten, aber nicht Klavier spielen, weil dann angeblich sofort die Einschaltquote gelitten hätte. Sowas erzählen diese Hanseln aber nicht nur mir, sondern auch Leuten wie Konstantin Wecker oder Georg Kreisler. Was für eine Frechheit! Dass der Zuschauer nach Herzenslust umschalten oder abschalten kann, ist doch gerade das Schöne am Fernsehen. Aber diese Fernsehmacher wollen immer alle zwanghaft daran hindern – und verhindern damit am Ende nur eines: Gutes Fernsehen.

Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann eine eigene Kabarettsendung im Fernsehen zu haben?

Vielleicht eher eine eigene Liedermacher-Sendung. Wer braucht ein weiteres Kabarett- oder Comedy-Format? Dann doch lieber das Programm um eine vernachlässigte Kategorie ergänzen.
– von Christian Baron


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