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eingetragen von Sigmar Salzburg am 15.06.2003 um 19.21
Im Leipziger Wortschatz-Lexikon sind „Andersdenkende" mit etwa 200 Beispielen gut dokumentiert. Amtliche „anders Denkende" finden sich dagegen nur einmal unter zwei Dutzend „Denkenden" am Schluß in einem Rosa-Luxemburg-Zitat, das vielleicht gar nicht korrekt ist – erstaunlicherweise aus der FAZ von 1994.
Bei Suche nach der korrekten Version im Netz stieß ich nur auf eine politisch wohl nicht korrekte Quelle, die sich aber auf die politisch korrekte Rosa-Luxemburg-Stiftung bezieht. Das korrekte Zitat könnte also lauten:
„Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern."
Wenn ich mich recht entsinne, gibt es „Andersdenkende" schon im Grimmschen Wörterbuch, auf jeden Fall aber in meinem Duden von 1926, Vorwort von A.C. Schmidt 1915.
Ein Blick in das GROSSWÖRTERBUCH „Deutsche Rechtschreibung" (Trautwein) aus dem Compact Verlag München (2002), ähnliche Ausgabe auch bei Buch+Zeit Verlag, Köln, zeigt, daß „Andersdenkende" dort lexikalisch nicht mehr existieren.
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Sigmar Salzburg
eingetragen von Jörg Metes am 15.06.2003 um 15.56
Der Ickler hat es nicht, der Duden 1991 genausowenig (sondern nur: ein gut Teil) und der Bertelsmann-Wahrig 2002 natürlich erst recht nicht. Im Leipziger Wortschatz-Lexikon aber ist es bereits registriert, und Google findet ein Gutteil gar schon häufiger als ein gut Teil.
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Jörg Metes
eingetragen von Jörg Metes am 08.12.2002 um 13.31
Nur 148 Belege zwar bei Google, aber:
" Beim Blättern in einem Wörterbuch von 1909 mit dem schönen Titel: »Ausführliches grammatisch-orthographisches Nachschlagebuch der deutschen Sprache unter steter Berücksichtigung der neuesten orthographischen Spezial-Wörterverzeichnisse der einzelnen deutschen Bundesstaaten, Österreichs und der Schweiz« -- in diesem Wörterbuch von August Vogel habe ich beim Blättern das Wort »worthalten« gefunden (...)
Im Wörterbuch der deutschen Rechtschreibung von Karl Erbe (3., erw. Ausgabe, o. J. [1911]), das ich seit heute besitze, findet man ebenfalls die Schreibung »worthalten«: worthalten (halte wort, habe wortgehalten)"
(schreibt Wolf Busch bei de.etc.sprache.deutsch in einem Beitrag zu Betrifft: r/Recht)
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Jörg Metes
eingetragen von Martin Reimers am 04.12.2002 um 09.40
"gut finden" deutet eine Betonung an, die der Bestimmtheit des Urteils mehr Gewicht verleiht. Ich habe den Eindruck, daß die Getrenntschreibung häufig signalisiert: "Jetzt kommt etwas Neues, möglicherweise Unerwartetes und vielleicht nicht allgemein Akzeptiertes", während die Zusammenschreibung eher auf unverfänglichere Dinge hinweist, über die man auch leichter hinweglesen darf.
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Martin Reimers
eingetragen von Jörg Metes am 04.12.2002 um 06.49
Die Zusammenschreibung gutfinden kommt bemerkenswerterweise kaum vor (710 Belege bei Google - für gutgehen z.B. gibt es dagegen 17 200). Woran mag das liegen?
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Jörg Metes
eingetragen von Detlef Lindenthal am 10.11.2002 um 07.35
Dieser Faden zerrt an den Grundfesten eines Sprachraumes insofern, als hier neue Normierungen angepriesen werden, die nicht aus der Praxis kommen, sondern von der Lehrerschaft versucht werden – es ist ein Grundfehler der Rechtschreib„reform“, dem auch hier nachgeeilt wird:
Die Lehrerarbeit nutzt durchweg einen vergleichsweise schmalen Wortschatz an überaus kurzen Sätzen. Für neue Regeln werden einige Beispiele berücksichtigt, ein Fülle weiterer Beispiele bleibt unbeachtet, wird teilweise sogar mit Wörterverbot beiseite geschoben. Solche Schullehrsprache hat mit der Werksprache der Zeitungen, Briefe, Fachbücher, schönen Literatur nicht viel zu tun.
Nur Schriftsetzer und Lektoren haben die breite Grundlage aus der Vielheit ihrer Sprache, mit der Rechtfertigungsnotwendigkeit gegenüber den Autoren die Ebenen-Verklammerung und mit der jahrhundertelangen Berufstradition den nötigen Erfahrungsschatz, aus der vorhandenen Sprache Regeln abzulesen. (Es ist nicht so einfach, mit dem Lötkolben einen Fernseher umzugestalten.)
So wie die Lehrerschaft ganze Ebenen leugnet und kappt (z.B. Kommasetzung), geht das nicht.
Dabei ist der bisherige Erfahrungsschatz der Schriftarbeiter in den bisherigen Wörterbüchern sehr gründlich und fleißig dargestellt.
Weil ich es für uneinladend halte, der RS„R“ nachzutappen, plane ich, mich diesem Faden zu entplonken.
Hatte ich doch gehofft, man könne dank RS„R“ die Entdeckung einer neuen Wortart (für infrage) gebührend feiern.
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Theodor Ickler am 10.11.2002 um 04.12
Es ist nicht sehr ergiebig, über Grade der Verblaßtheit zu spekulieren. Eindeutiger sind formale Vorgänge wie der Wegfall des Artikels usw. Er hat es grundgelegt.
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Th. Ickler
eingetragen von Norbert Schäbler am 09.11.2002 um 23.35
Beim Schlittenfahren sind wir schon; genau genommen: beim Schlittengefahrenwerden.
(das aber gehört streng genommen in einen anderen Strang)
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nos
eingetragen von Reinhard Markner am 09.11.2002 um 23.22
Wenn man schon über den Grad der Verblaßtheit spekulieren will, sollte man doch wenigstens Beispiel für Beispiel durchgehen und nicht einfach Schritt fahren an die Stelle von Schritt halten setzen. Sonst sind wir im nächsten Schritt dann beim Schlitten fahren.
eingetragen von Norbert Schäbler am 09.11.2002 um 23.04
Zitat: "Merke: Einen Grenzbereich gibt es immer, und die hier angeführten Wörter sind hübsche Beispiele, um den Grenzbereich auszuleuchten."
Das, lieber Herr Lindenthal, führt aber doch automatisch zur Diskussion über die Grenzfestlegung!
Ist Grenzfestlegung eine Sache der Sprachgemeinschaft?
Oder ist sie im einzelnen Sache der Dichter, der Professoren, der Politiker, der wortgewaltigen Stammtischbrüder und Unikümer; Sache einer bibliographischen Anstalt - oder gar Angelegenheit der zwölf Apostel von der Rechtschreibreformkommission, nebst deren Schirmherren.
Mit welchem Recht? frage ich mich, holt die Kommission etwas völlig Verblaßtes aus der Versenkung zurück und behauptet, daß „auf dem laufenden bleiben“ oder „beim alten lassen“ oder „durch dick und dünn gehen“ künftighin wieder unverblaßt und ursächlich zu schreiben sei.
Sicher habe auch ich kein Recht, „Schritt fahren“ in den Zustand des allmählichen Verblassens überzuführen, sprich „schrittfahren“ zu schreiben, doch erinnere ich daran, daß die Herren Rechtschreibreformer genau dieses Vakuum der Schreibung (dieses Metápherische) als Begründung für die Notwendigkeit ihrer Verschlimmbesserungen anführten.
Auch schon früher habe ich mir die Freiheiten herausgenommen, „radfahren“ genauso wie „autofahren“ zu schreiben, dann nämlich, wenn ich die Tätigkeit (das Tunliche/Tunwortartige) im Vordergrund sah. Ich kenne doch die Wortart, in die ich transferieren will. Da brauche ich doch keinen Duden, keine Regel, keine neuen Wortpapierkörbe, sondern lediglich grammatisches Gespür.
Genau jenes aber wird mir durch den Rechtschreiberlaß extrem verwehrt; und das war mir auch durch die Einzelwortfestlegung des Duden (allerdings in geringerem Maße) ebenfalls nicht so recht gestattet.
Übrigens: Man kommt nie an die Grenzen, wenn man sich ausschließlich im bequemen Wohnzimmersessel tummelt.
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nos
eingetragen von Detlef Lindenthal am 09.11.2002 um 21.36
> Mit Schritt halten verhält es sich wie mit teilhaben, die unterschiedliche Schreibung ist Zufall. <
Das würde ich anders sehen; gemäß Duden _19 R207 schreibt man Substantiv+Verb getrennt, wenn die Eigenbedeutung des Substantives noch empfunden wird, und zusammen, wenn das Substantiv verblaßt ist.
Angewandt auf Schritt fahren: Gemeint ist Schrittempo fahren, genanntens Tempo ist noch bei weitem nicht verblaßt, keine einheitliche Tätigkeit herrscht vor.
Bei teilhaben hingegen, deutlicher noch bei teilnehmen, ist das Teil verblaßt und mit dem Verb verschmolzen.
Merke: Einen Grenzbereich gibt es immer, und die hier angeführten Wörter sind hübsche Beispiele, um den Grenzbereich auszuleuchten.
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Detlef Lindenthal am 09.11.2002 um 20.57
In Abstimmung mit Duden _19 kann ich an Schritt fahren keinen Fehler erkennen; oder übersehe ich etwas? (Unter uns gesagt: in meinem untigen Beitrag habe ich das Schritt halten schnell noch ausgebessert, nachdem ich, unsichererweise, flugs im Duden nachgeschaut hatte.)
eingetragen von Norbert Schäbler am 09.11.2002 um 19.47
Das Problem stellt sich für mich etwas anders dar.
Über so manches Schild habe ich mich geärgert, auf dem stand: „Schritt fahren“.
Da hätte ich zu gerne den Rotstift angesetzt, denn selbst beim Autofahren war ich Deutschlehrer.
Im Gegensatz zu Herrn Ickler halte ich unterschiedliche (und hierbei vor allem die fehlerträchtigere) Schreibung nicht für einen Zufall, sondern eher für einen Mangel.
Einen Mangel, der vielfältig begründet ist:
- in der Persönlichkeit des Schreibers (z.B. durch fehlendes Potential, nicht verfügbare Alternativen, ungenügende Aufklärung und Schulung …)
- in der Persönlichkeit des Lesers (s.o.)
- in der Rechtschreibnorm (durch zu rigorose oder zu lasche Handhabung der Regeln)
- im System (durch den typisch deutschen Hang zum Perfektionismus sowie die autoritäre Gesinnung unserer Politiker).
Im übrigen bitte ich, zwischen Mangel (der kann fremd- oder eigenverursacht sein und ist behebbar) und Makel (der ist unwiderruflich da und sorgt für Antipathie) zu unterscheiden.
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nos
eingetragen von Theodor Ickler am 09.11.2002 um 14.42
Das Problem war schon immer vorhanden, wurde aber von den Deutschlehrern geschickt umgangen.
"Umstandswort" oder "Adverb" sind Papierkörbe, keine ordentlich definierten Klassen. Beachten Sie bitte, daß die adverbiale Bedeutung von abend nur in der Verbindung mit dem Datum aufkommt, andernfalls kann abend ja nicht allein stehen.
Mit Schritt halten verhält es sich wie mit teilhaben, die unterschiedliche Schreibung ist Zufall.
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Th. Ickler
eingetragen von Detlef Lindenthal am 09.11.2002 um 13.09
Aber mindestens in den beiden Ausdrücken
Schritt halten
und
in Frage stellen
waren vor der RS„R“ keine neuen Wortarten nötig?! Ich sehe 2 Tuwörter (Verben), ein Verhältniswort (Präposition), zwei Dingwörter (Substantiv).
In heute früh, heute abend usw. sind früh und abend Umstandswörter (Adverbien), oder habe ich das falsch behalten?
Welche Wortarten oder neuartenden Grenzgänger hat mir meine Deutschlehrerin in der Schule denn verschwiegen?
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Theodor Ickler am 09.11.2002 um 12.54
Das allmähliche Zusammenwachsen - hier bei Verbzusätzen im weiteren Sinne - führt dazu, daß die Wortart aufweicht und man gar nicht mehr recht sagen kann, zu welcher Wortart ein bisher selbständiges Wort nun gehört. Die Grammatik hat bisher keine überzeugende Lösung für dieses Problem. Dasselbe war übrigens bei Abend usw. zu beobachten, wo in der Verbindung mit Datumsangaben (heute abend) ebenfalls die Wortart unbestimmbar ist, so daß Gallmann zu der Notlösung griff, einfach die Wortart eines gleichlautenden Substantivs zu übernehmen.
Schritt hat keinen Artikel mehr und kann nicht mehr durch Attribute erweitert werden; beides deutet auf mangelhafte Ausprägung des Substantivcharakters hin.
Entweder müssen wir das Dogma aufgeben, daß alles, was im Satz beweglich ist und Spatien um sich herum hat, einer bestimmten Wortart zugeordnet werden müsse - oder wir müssen wesentlich mehr Wortarten ansetzen als die herkömmlichen.
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Th. Ickler
eingetragen von Detlef Lindenthal am 09.11.2002 um 11.56
Welche Wortart ist denn bei dieser Wendung schritt halten das Wort schritt?
Bei dieser günstigen Gelegenheit frage ich dann auch gleich:
Welche Wortart ist bei der Wendung infrage stellen das neugeschaffene Wort infrage?
Das wäre doch die „Krönung“ von Sprachvereinfachung und Logikförderung, wenn die RS„R“ es geschafft hat, neue Wortarten und/oder eine Spezialregel zur Substantiv-Kleinschreibung zu erfinden. – Aber bitte, ich bin Handwerker und kein Grammatikist; deswegen frage ich ja auch.
eingetragen von Reinhard Markner am 09.11.2002 um 11.38
Als Substantivierung sehr häufig, aber auch als Infinitiv anzutreffen.
Interessant auch Beispiele wie dieses :
»Bei der nötigen Abwägung zwischen Ökologie und Ökonomie muss die Wirtschaft schritt halten können.« Die Welt, 17. 9. 2002
eingetragen von Jörg Metes am 05.11.2002 um 09.22
196 000 Belege bei Google.
– geändert durch Jörg Metes am 06.11.2002, 16.24 –
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Jörg Metes
eingetragen von Jörg Metes am 31.07.2002 um 07.23
'Google' findet ca. 14000 Belege für die Zusammenschreibung und ca. 6730 für die Getrenntschreibung (und 'Google' fragt auch, wenn man die Getrenntschreibung sucht, zurück: Meinten Sie: "kurzentschlossen"). Aber weder im Duden (20. Auflage) noch im Ickler ist kurzentschlossen aufgeführt.
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Jörg Metes
eingetragen von Detlef Lindenthal am 12.04.2002 um 04.55
Lieber Herr Lachenmann,
da zumindest meine Antwort nichts mehr zu tun hat mit der Sache dieses Fadens (nämlich Univerbierung), lege ich jene auf einen neuen Faden „Fehlende Wörter“ (der eigentlich in ein neues Forum „Wortschatz“ (statt „Rechtschreibreform“) gehörte).
Auf Wiedersehen dort !
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Walter Lachenmann am 10.04.2002 um 21.35
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Ruth Salber-Buchmüller
Nicht nur im Angelsächsischen, wie Herr Lindenthal meint,
gibt es kein Wort für "Heimat"; auch das Französische
hat dafür kein Wort.
Das ist eine problematische Behauptung und ebensowenig wirklich zutreffend, wie für das Englische (auch mir ist das Angelsächsische als Sprache bisher nicht begegnet). Es klingt dabei so etwas mit, als hätten Franzosen/»Angelsachsen« so etwas überhaupt nicht wie das, was wir mit »Heimat« bezeichnen. Und das ist natürlich völlig unsinnig.
Für das Französische denke ich, in aller Unwissenschaftlichkeit, beobachten zu können, daß man »Heimat« mit unterschiedlichen Wörtern wiedergibt, je nachdem, welche Bedeutung damit verbunden ist.
»[Mon] pays natal*« (eben ein aus zwei Wörtern gebildeter Begriff) deckt unseren gängigen Heimatbegriff vielleicht noch am ehesten ab. Daß das zwei Wörter sind und nicht ein einziges, besagt aber nicht, daß es für den Begriff keine Entsprechung gibt. »Zuhause« etwa heißt »chez moi« usw. »Univerbierungen« sind offenkundig seltener als bei uns.
Man denke an Jacques Brels »Heimatlied« über sein geliebtes Flandern: »Le plat pays qui est le mien«. Da steckt weiß Gott nicht weniger Innigkeit und Genauigkeit drin, als in »Nun ade du mein lieb Heimatland...« Dergleichen Beispiele könnte man leicht aufzählen.
Übrigens haben auch Nomaden eine sehr enge Beziehung zu den Regionen, in denen sie leben, eine mit einem größeren Horizonte sozusagen.
Ähnlich »richtig« wäre es wohl, wenn man feststellen wollte, die Franzosen hätten für die Zahl Achtundneunzig kein Wort, denn die Entsprechung ist eine richtige kleine Rechenaufgabe: Quatre-vingts-dix-huit [vier x zwanzig + zehn + acht]. So gesehen hätten wir übrigens auch keins: acht + neunzig.
* Hierzu wiederum gibt es keine präzise konkruente Übersetzung ins Deutsche, denn »Geburtsland« (im Französischen »pays d'origine«) ist wieder etwas anderes, und »das Land, in dem ich geboren wurde« erst recht.
Also: Man muß aufpassen mit solchen Betrachtungen, um einer Sprache nicht das Vorhandensein oder eben Fehlen »innerer Werte« (Heimat, das Zuhause...) zu unterstellen, beziehungsweise den Menschen, um deren Muttersprache es sich dabei handelt.
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Walter Lachenmann
eingetragen von Reinhard Markner am 10.04.2002 um 17.33
"Man kann (wenn man es in Deutschland sagen darf) ein erträglichguter metaphysischer Kopf seyn, und doch nur wenig Ideen haben."
Ulrich Hegner: Beiträge zur nähern Kenntniß und wahren Darstellung Johann Kaspar Lavater's, Leipzig 1836 (!)
eingetragen von Detlef Lindenthal am 10.04.2002 um 15.46
Ja, freilich ist zu Hause eine vergleichsweise altertümliche Schreib- oder Ausdrucksweise (Archaismus)(abhängig davon, wie wir nichtaltertümlich = modern verorten); so altertümlich allerdings auch wieder nicht; ähnliche finden wir zuhauf: [=häufig]: zu Hauf** ist etwas anders als zuhauf;
zu Fuß ist laut Google 100mal so häufig wie zufuß;
zu Fuß und zu Pferd zeigen deutlich, daß ein Verblassen gar nicht möglich ist; wie wöllte jemand auf einem verblaßten Pferde sitzen? Die Ausdrücke sind lebendig im gewöhnlichen Sprachgebrauch (... ich wohne auf dem Dorf ...).
Hochzuroß gibt es bei Google nur ein einziges Mal in einem „modernen“ Gedicht.
Zu Luft, zu Wasser und zu Lande ... – zu Luft gibt es 1800mal bei Google;
Zuluft ist etwas anderes (für den Heizkeller).
Zu Zeiten (Gutenbergs) ist etwas anderes als zuzeiten (=manchmal).
Zu zweit; seine Haut zu Markte tragen; zu Mainz: Diese Ausdrucksweisen geben hübsche Farbtupfer zur Auffrischung von Schmalspurdeutsch.
Im Duden, 20. Auflage, finde ich auf Seite 63:
„R 208: Man schreibt ein verblaßtes Substantiv mit einer Präposition (einem Verhältniswort) zusammen, wenn die Fügung zu einer neuen Präposition oder einem Adverb geworden ist.“ – Auch hier wieder das Merkmal der Verblassung.
Ein Verblassen ist bei zu Hause erst dann möglich, wenn sämtliche Sprachträger ihr Zuhause nur noch im Hotel (Udo Lindenberg läßt grüßen), in Raketensilo oder Flugzeugkanzel, auf der Landstraße, auf der Flucht usw. haben; Paul Celans Schicksal hatte etwas davon.
**zu Hauf:
Emil Luckhardt, Die Internationale:
„Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger!
Alles zu werden strömt zu Hauf!“
Detlev von Liliencron, Pidder Lüng:
„... du frißt deinen Grünkohl nicht eher auf,
als bis dein Geld hier liegt zu Hauf.“
Joachim Neander, Lobe den Herren:
„... Kommet zu Hauf.
Psalter und Harfe wacht auf...“
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Theodor Ickler am 10.04.2002 um 12.30
Bei im Grunde steckt noch ein verschmolzener Artikel drin, daher ist das Dativ-e noch möglich. Auch ein Adjektiv genügt. Man kann daher sagen aus dem Holze oder auch aus bestem Holze, aber nicht aus Holze. Insofern ist zu Hause ein Archaismus, nach heutiger Grammatik nicht mehr konstruierbar, und das ist ein Zeichen des Verblassens.
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Th. Ickler
eingetragen von Ruth Salber-Buchmüller am 10.04.2002 um 12.03
Nicht nur im Angelsächsischen, wie Herr Lindenthal meint,
gibt es kein Wort für "Heimat"; auch das Französische
hat dafür kein Wort.
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Ruth Salber-Buchmueller
eingetragen von Reinhard Markner am 10.04.2002 um 11.16
Zwingend ist die Klein- und Zusammenschreibung in all diesen Fällen nicht, sie ist nur das Ergebnis einer noch nicht abgeschlossenen historischen Entwicklung.
(Das Angelsächsische gibt es nicht mehr, aber im Englischen ist das Äquivalent von »Heimat« home, auch in Verbindungen wie home country usw. Das muß aber an dieser Stelle nicht diskutiert werden.)
eingetragen von Detlef Lindenthal am 10.04.2002 um 10.18
Reinhard Markner schrieb:
>>Das »Haus« in zuhause und nachhause ist »verblaßter«, als es zunächst erscheinen mag. <<
Wenn es eine Verblaßtheit gibt, dann ist ihr Grad sicherlich soziokulturell bedingt; für nichtdeprivierte Schulkinder z.B. dürfte die Verbindung des Ausdrucks zu Hause mit einem bestimmten Haus und einer bestimmten Hausvorstellung durchweg farbenfroh gegeben sein.
Wenn das angehängte e ein Indiz für Verblassung ist, dann jedenfalls kein zwingender Grund für Kleinschreibung; im Grunde hat auch dies e, ist überhaupt recht undinglich geworden, würde aber kaum klein geschrieben werden: „Du hast *imgrunde recht“ ??
Wenn die Menschheit sich im Nomadisieren weiterentwickelt, werden zu Hause und Heimat zu unverständlichen oder/und nichtvorhandenen Begriffen (wie es heute bereits im Angelsächsischen für Heimat kein (nachträglich eingefügt: eigenes) Wort gibt und daher die Begriffsbildung erschwert sein dürfte). Auf dem Weg zur immer nachhaltiger nomadisierenden Menschheit könnte die Schreibweise zuhause eine Zwischenstufe sein.
– geändert durch Detlef Lindenthal am 13.04.2002, 07.55 –
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Reinhard Markner am 10.04.2002 um 08.40
Das »Haus« in zuhause und nachhause ist »verblaßter«, als es zunächst erscheinen mag.
Schon das stehengebliebene Dativ-e signalisiert ja die Formelhaftigkeit des Ausdrucks. Hinzu kommt die Substantivierung (ähnlich der »Nachhauseweg«), und man bedenke, daß man sich auch z. B. auf dem Fußballplatz zuhause fühlen kann. Von einem Haus ist da (längst) nicht (mehr) die Rede.
eingetragen von Detlef Lindenthal am 09.04.2002 um 19.20
Die Schreibung „nachhause“ kommt mir etwas vor wie hierher; dann sollte man gleich nachhausekommen wie hierherkommen schreiben? Doch ist die Schreibung nachhause so wie in Neuschreib infrage n.m.M. nicht gut; dazu:
Bei den Unterscheidungen von z.B. zugrunde richten gegenüber (ein Schiff) auf Grund setzen habe ich mich nach den Regeln und Überregeln (Metaregeln) gefragt und habe die Überregel gefunden: Dinge* sollen groß geschrieben werden. (*der Vollständigkeit halber: außer Fürwörtern (Ausnahme: Du, Sie usw.), Zahlwörtern (Grenze: Dutzend, das Gros, das Tausend ... ), Verweisen, nichtsubstantivisch gebrauchten Substantivierungen; habe ich sie alle?)
So:
zu Hause (das Haus ist als handfest greifbares Ding vorhanden),
nach Hause (ebenso),
das Zuhause (nun ist sogar die Zuhausesein-Möglichkeit als Haus samt Lebensgefühl greifbar),
in Frage stellen (die Frage entsteht ja gerade durch diese Infragestellung),
zu Ende bringen (dann ist das Ende erreicht und somit vorhanden),
(ein Schiff) auf Grund setzen (nämlich auf den als Ding vorhandenen Meeresgrund)
gegenüber
zutage fördern (die mir dazu einfallenden Hauptwörter der Tag, das Tageslicht, der Tagebau sind nicht das, durch was meine Aufmerksamkeit von der Bedeutung dieses Ausdruckes angezogen wird; das könnte anders sein, wenn Kohle von unter Tage *?zu Tage gefördert wird: da sehe ich dann wieder das Tageslicht und die Tage gewordene Erdoberfläche vor mir);
zugrunde legen (was mir einfällt, ist doch recht weit weg: als Grundlage nehmen);
aufgrund neuerer Erkenntisse (zu schreiben auf Grundlage neuerer Erkenntnisse ginge, aber das genau steht da nicht),
zugrunde richten (flachmachen und dem Erdboden, dem Erdengrund gleich machen ist oftmals nicht gemeint; und der logische Grund (causa) auch kaum);
beiseite schaffen ggü. zur Seite schaffen: *bei Seite wäre kein gewöhnlicher Satzbau mehr, daher hat für beiseite eine Wortbildung stattgefunden.
zustande bringen (kein Verkaufsstand und kein Fahrradständer und kein zum Stehen bringen bietet sich an);
zuschanden machen ggü. zur Schnecke machen: eine hübsche Gegenüberstellung.
Für mich, der ich Rechtschreibung als Handwerker in der Alltagsarbeit gelernt habe, ist die Frage: „Ist das Ding, von welchem die Rede sein könnte, vorhanden?“ immer ein brauchbarer Maßstab gewesen.
Hat jemand gegen die Gültigkeit dieser Prüffrage Einwände oder Gegenbeispiele?
(Ich habe zwei fragwürdige Gegenbeispiele, aber dieser Beitrag ist für heute lang genug.)
Paul Celan kam aus Tschernowitz (Bukowina), für ihn war sozusagen der österreich-ungarische KuMi zuständig; und laut deren Ö-Duden darf „zuhause“ geschrieben werden.
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Detlef Lindenthal
eingetragen von Reinhard Markner am 09.04.2002 um 14.50
»Vielleicht kannst Du nachhause kommen.«
Paul Celan in einem Brief an Erich Einhorn aus dem Jahre 1944, zit. F.A.Z. 4. 3. 2002.
eingetragen von Jörg Metes am 07.04.2002 um 11.50
Google findet für wildgeworden(-e,-er,-es) insgesamt gut 3400 Belege, für die getrennten Schreibungen insgesamt gut 1700. Wenn man wild gewordene eingibt, fragt Google zurück: "Meinten Sie: wildgewordene", wenn man aber wildgewordenes eingibt, fragt es: "Meinten Sie: wild gewordenes".
Im Duden von 1996 sind zwar wildlebend und wildwachsend verzeichnet, nicht jedoch wildgeworden. Auch im Ickler findet man wildgeworden nicht, in die nächste Auflage gehört es meines Erachtens rein.
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Jörg Metes
eingetragen von Elke Philburn am 24.03.2002 um 22.46
Eigentlich gibt es keinen Grund, warum man wahrmachen nicht zusammenschreiben sollte. Dennoch scheint mir die Zusammenschreibung hier weniger selbstverständlich als bei kaputtmachen oder sich schönmachen.
Könnte es daran liegen, daß wahrmachen nicht häufig genug vorkommt, um als eigenständiger Begriff empfunden zu werden?
eingetragen von Jörg Metes am 24.03.2002 um 16.34
Google findet 1350 Belege für wahrmachen und 2740 für wahr machen sowie 1460 für wahrgemacht und 2770 für wahr gemacht.
Wieder einmal hätte ich die Zusammenschreibung für die herkömmliche und korrekte gehalten und bin überrascht, sie weder im alten Duden noch im Ickler zu finden.
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Jörg Metes
eingetragen von Christian Melsa am 03.03.2002 um 04.41
Bei Hohelied fällt mir gerade Hohepriester ein. Ja, ist das nun eine echte Univerbierung oder eine Zusammenschreibung? Bemerkenswert ist hierbei nämlich die Beugung des adjektivischen Erstglieds:
Er aber schwieg still und antwortete nichts. Da fragte ihn der Hohepriester abermals und sprach zu ihm: Bist du Christus, der Sohn des Hochgelobten? (Markus 14,61)
Wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjathars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand durfte essen, denn die Priester, und er gab sie auch denen, die bei ihm waren? (Markus 2,26)
(Beides nach Luther)
Auch wenn die Rechtschreibreform aus hochgestellten Persönlichkeiten hoch gestellte Persönlichkeiten macht, hat man sich den hohen Priester wohl nicht getraut (oder den Hohen Priester...?).
eingetragen von Theodor Ickler am 03.03.2002 um 04.07
Darunter versteht man, daß etwas zu einem Wort verschmilzt, also zum Beispiel sozusagen, Vergißmeinnicht, Hohelied. Das ist ein Wortbildungsvorgang, etwas Grammatisches. Wenn es aber nur zur Zusammenschreibung kommt, ohne grammatische Veränderung, spricht man neuerdings auch von graphischer Univerbierung: heimgehen usw. Das Ergebnis ist ein orthographisches Wort, zusammengeschrieben und durch Zwischenräume von den Nachbarn getrennt.
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Th. Ickler
eingetragen von J.-M. Wagner am 02.03.2002 um 11.48
Zitat:Bitte erklären Sie doch einmal die genaue Bedeutung des Terminus »Univerbierung« für einen Laien auf dem Gebiet der Germanistik. Kann das etwas unterschiedliches ausdrücken, je nach Kontext, oder gibt es da eine "Haupt- und Nebenvariante" der Bedeutung, oder sollte es besser nur für eine Sache benutzt werden (obwohl das in der Praxis nicht scharf eingehalten wird), oder hat es nur genau eine Bedeutung? Und womit wird dann das bezeichnet, worauf sich »Univerbierung« ggf. nicht bezieht?
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler (im Strang "GZS")
Wobei wieder zu unterscheiden wäre zwischen der rein orthographischen "Univerbierung" und der eigentlichen, die Wortbildung betreffenden.
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von J.-M. Wagner am 20.02.2002 um 20.11
In diesem Diskussionsstrang sind bereits Bemerkungen zu 'garnicht' gemacht worden. Wie sieht es mit dem Analogon 'garkein' aus - stellt das überhaupt einen analogen Fall dar, und sind die ca. 1.200 Fundstellen im Netz (Google; ca. 1.000 für 'garkeinen') oder das einzelne Auftauchen in der TAZ (bereits 1988; vgl. wortschatz.uni-leipzig.de/index_js.html) schon ein Beleg für die erfolgte Einbürgerung einer neuen Schreibvariante?
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von J.-M. Wagner am 17.02.2002 um 21.23
Zitat:Ich hatte bei dem Fall des zuhause speziell an nach Hause gedacht, weil ich gerade darin ein mögliches Parallel-Gegenbeispiel gesehen habe, um die Schreibung »zu Hause« zu begründen. Wie man sich täuschen kann! - Weiß jemand, wie man das Netz nach »nachhause« durchsuchen kann, ohne Resultate mit »Nachhause« zu bekommen?
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner (im Strang »WAZ-Gruppe«)
Ich selbst schreibe seit jeher »nachhause« und plädiere für die Aufnahme in den Ickler. Nicht ganz ernstgemeinte Begründung : Man schreibt schließlich auch nicht »da Heim« (ein Wort, das ich allerdings ohnehin nie verwenden würde).
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von Christian Melsa am 11.02.2002 um 01.00
Zitat:Ja, zumal so ein Satz wie
Ursprünglich eingetragen von Jörg Metes
Ich habe auch immer "zuendegehen", "zuendebringen" u.ä. für korrekt gehalten.
Er mußte die Sache zu Ende bringen.
grammatisch unkorrekt wirkt. Es müßte doch dann "zum Ende" heißen.
eingetragen von Jörg Metes am 10.02.2002 um 22.55
Google findet ungefähr 26 700 Belege für "zuende".
Ich hätte schwören können, daß das auch immer die korrekte (dudenkonforme) Schreibweise war (vor der Reform).
Doch tatsächlich finde ich in der 20. Dudenauflage jetzt nur "zu Ende".
Ich bin wirklich erstaunt!
Ich habe auch immer "zuendegehen", "zuendebringen" u.ä. für korrekt gehalten.
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Jörg Metes
eingetragen von Theodor Ickler am 09.02.2002 um 10.28
Bisher schrieb man allemal, ein für allemal, ein für alle Male - weil durch den Plural die substantivische Natur von Mal wieder stärker hervorgehoben wird. Die Neuregelung legt fest: allemal, ein für alle Mal. Auch dies muß gelernt werden, widerspricht aber dem rein formalen Kriterium, das den Reformern doch eigentlich am Herzen liegen müßte. Das kommt mir ähnlich sinnlos vor wie die neue Kleinschreibung viele tausende von Fußballfans (dies allerdings nur als Variante, weiß der Himmel, warum; besonders Eifrige wie die Max-Planck-Gesellschaft schreiben nur so).
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Th. Ickler
eingetragen von Jörg Metes am 01.11.2001 um 16.37
Wie steht es mit dem Artikel (?) "werweißwieviele"?
Gebraucht wird es sehr häufig, geschrieben nur sehr selten.
"Es gab werweißwieviele Anrufe."
Und wie steht es mit "werweißwieoft"?
"Es hat werweißwieoft geklingelt."
Es liest sich etwas seltsam, aber die Alternativen ("Es gab wer weiß wieviele Anrufe" u.ä.) lesen sich meines Erachtens noch seltsamer (und was wären "wer" und "weiß" dann für Satzbausteine?).
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Jörg Metes
eingetragen von Christian Melsa am 30.10.2001 um 18.02
Zitat:Die Büchse der Pandora öffnen. Paßt besser zum Behältersinnbild.
Ursprünglich eingetragen von Christoph Kukulies
Mir fiel noch etwas ein: "Sie werden die Geister nicht mehr los, die sie gerufen haben". (Goethes Zauberlehrling)
eingetragen von Elke Philburn am 30.10.2001 um 17.58
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Christoph Kukulies
Mir fiel noch etwas ein: "Sie werden die Geister nicht mehr los, die sie gerufen haben". (Goethes Zauberlehrling)
Das erscheint mir beinahe noch passender.
eingetragen von Christoph Kukulies am 30.10.2001 um 17.53
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Christoph Kukulies
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn
[...]
Die Schwierigkeiten mit der Neuregelung sehe ich nicht darin, dass man die auseinandergeschriebenen Wörter nicht mehr verstehen könne, sondern vielmehr darin, dass man mit den neuen Regeln eine Dose voller Würmer* geöffnet hat, deren man nicht mehr Herr wird. Unter den abstrusesten Fehlern, die von reformwilligen Schreibern begangen werden, scheinen sich besonders viele zu befinden, die auf einem Missverständnis der GZS beruhen.
[...]
*Mir ist zu dem Ausdruck 'can of worms' keine bessere deutsche Entsprechung eingefallen.
"In ein Wespennest stechen" kommt dem englischen Idiom einigermaßen nahe.
Mir fiel noch etwas ein: "Sie werden die Geister nicht mehr los, die sie gerufen haben". (Goethes Zauberlehrling)
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Christoph Kukulies
eingetragen von Elke Philburn am 30.10.2001 um 09.41
eingetragen von Christoph Kukulies am 30.10.2001 um 07.53
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn
[...]
Die Schwierigkeiten mit der Neuregelung sehe ich nicht darin, dass man die auseinandergeschriebenen Wörter nicht mehr verstehen könne, sondern vielmehr darin, dass man mit den neuen Regeln eine Dose voller Würmer* geöffnet hat, deren man nicht mehr Herr wird. Unter den abstrusesten Fehlern, die von reformwilligen Schreibern begangen werden, scheinen sich besonders viele zu befinden, die auf einem Missverständnis der GZS beruhen.
[...]
*Mir ist zu dem Ausdruck 'can of worms' keine bessere deutsche Entsprechung eingefallen.
"In ein Wespennest stechen" kommt dem englischen Idiom einigermaßen nahe.
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Christoph Kukulies
eingetragen von Theodor Ickler am 30.10.2001 um 07.11
Zu Christian Dörner: Ja, der neue Bertelsmann hat jedesmal ebenfalls beseitigt. Alles, was die Wörterbücher mit diesen Verbindungen angestellt haben, geht auf Deutungen des wirren Eintrags Mal im amtlichen Wörterverzeichnis zurück, das völlig willkürlich verfährt.
Frau Philburn hat sozusagen klassische Tests vorgeführt (Unterbrechbarkeit, Eignung als Phrasenkern, Betonung). Über allem steht natürlich der Usus, den wir erst mal respektieren.
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Th. Ickler
eingetragen von Jan am 29.10.2001 um 23.50
Interessanter Denkansatz. Um Lichtjahre fortschrittlicher als das Reformwerk und seine dümmlichen Untertanen.
Viel Spaß beim Entdecken der Schönheit unserer Schriftsprache wünscht Dir
Jan
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mfg
Jan
mehl-mir-mal@spray.net
eingetragen von Elke Philburn am 29.10.2001 um 22.54
Mein Eindruck ist, dass das Verhalten von Ausdrücken im sprachlichen System Aufschluss darüber geben kann, ob Anzeichen von Zusammensetzung vorhanden sind. Z. B. ob man Wörter dazwischensetzen kann oder nicht, ob die Betonung auf die erste Silbe festgelegt ist.
Das hat damit garnichts zu tun.
Zusammenschreibung ist hier m. A. n. richtig, da gar durch die Betonung als Teil von nichts gekennzeichnet wird.
(Vgl.: Das hat damit gar wenig zu tun.)
Überhaupt nicht würde ich weiterhin getrennt schreiben, weil hier Wörter dazwischengesetzt werden können:
Er hat überhaupt noch nicht geschrieben.
Zu:
In manchen Geschäften kann man immernoch Schallplatten kaufen.
Hier würde ich trennen. Grund: immer wie auch noch können einzeln stehen, oder auch in umgekehrter Reihenfolge:
... kann man noch immer Schallplatten kaufen
Zu:
Hast du dazu noch irgendetwas zu sagen?
Auch hier Zustimmung; irgend kann nicht allein stehen.
Schonmal scheint ein Zwischending zu sein. Man kann den ersten oder auch den zweiten Teil betonen. Bei schon oft geht das nicht.
Mit jedesmal scheint es mir ähnlich.
eingetragen von Christian Dörner am 29.10.2001 um 20.11
Das Wort jedesmal läßt sich, soweit ich das beurteilen kann, mit den anderen Beispielen (schon mal, noch mal, erst mal) nicht ganz vergleichen, da es nicht die Abkürzung von *jedes einmal ist und daher einer anderen Gruppe zugeordnet werden muß. Das Wort paarmal gehört m. E. in dieselbe Gruppe wie jedesmal.
paarmal wurde ja inzwischen vom Duden wiederhergestellt, jedesmal seltsamerweise nicht.
Übrigens kann ich weder im amtlichen Regelwerk noch im Wörterverzeichnis eine Grundlage für die Auflösung dieses Wortes entdecken. Vielleicht ist das die Ursache, weshalb Bertelsmann den Eintrag »jedesmal, auch jedes Mal« (so schon im Knaur von 1973) beibehalten hat. Ähnlich ist auch unterderhand (neu: unter der Hand) zu beurteilen. Hierzu schweigt die Neuregelung ebenso. Trotzdem lösen alle Wörterbücher übereinstimmend diesen Eintrag auf.
Nachtrag: Hat Bertelsmann jedesmal jetzt im Zuge der Angleichung an den Duden ebenfalls getilgt? Ich besitze die neueste Ausgabe nicht.
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Christian Dörner
eingetragen von Elke Philburn am 29.10.2001 um 17.24
Ich habe mir mal die von Herrn Ickler aufgeführten Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung durchgesehen, die für mich völlig nachvollziehbar sind, weil ihnen das Prinzip
Zitat:
Zusammensetzungen sind Wörter; sie werden daher zusammengeschrieben
zugrundeliegt.
Die Schwierigkeiten mit der Neuregelung sehe ich nicht darin, dass man die auseinandergeschriebenen Wörter nicht mehr verstehen könne, sondern vielmehr darin, dass man mit den neuen Regeln eine Dose voller Würmer* geöffnet hat, deren man nicht mehr Herr wird. Unter den abstrusesten Fehlern, die von reformwilligen Schreibern begangen werden, scheinen sich besonders viele zu befinden, die auf einem Missverständnis der GZS beruhen.
Im Fremdsprachenerwerb sehe ich ebenfalls Nachteile, denn die scheinbar zugrundeliegende Regel, dass man jetzt öfter auseinander (und groß) schreibt, setzt voraus, dass der Lerner sich bereits der großen Überzahl jener Zusammensetzungen bewusst ist, die man selbstverständlich nicht trennt
(*'er geht ein kaufen').
Es könnte zwar jemand, der sich auf die Zusammenschreibung stützt, auf die Idee kommen, so etwas wie 'heutnachmittag' zu schreiben (auch das ließe sich begründen), aber insgesamt erscheint mir dieser Ansatz weitaus weniger fehlerträchtig. Nicht zuletzt wird mit der Vorstellung, dass Zusammensetzungen Wörter sind, auch das Problem der Groß- und Kleinschreibung minimiert.
*Mir ist zu dem Ausdruck 'can of worms' keine bessere deutsche Entsprechung eingefallen.
eingetragen von Theodor Ickler am 29.10.2001 um 02.45
Und ich möchte auch noch auf die unverschämte Tilgung des Allerweltswortes jedesmal hinweisen. Allerdings vergessen viele Autoren bzw. Korrektoren das immer wieder.
Der Eintrag unter Mal im amtlichen Wörterverzeichnis gehört zu den verworrensten überhaupt.
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Th. Ickler
eingetragen von Christian Dörner am 29.10.2001 um 00.24
Wenn man die Wortgruppen untersucht, in denen mal als Abkürzung von einmal verwendet wird, so stellt man schnell fest, daß die Zusammenschreibungen durchgängig verbreitet sind, und zwar nicht nur bei nochmal und schonmal, sondern auch bei nunmal, nichtmal und ganz extrem bei erstmal.
Da diese Konstruktionen alle ein und demselben Muster folgen (erst einmal, noch einmal, schon einmal usw.), verwundert der hohe Anteil der Zusammenschreibung bei den anderen Wortgruppen (bei nochmal war er ja schon bekannt) nicht.
Ob man solche Dinge nun in ein deskriptives Wörterbuch aufnehmen sollte, wäre zu diskutieren.
Ich möchte mich hier weder für das eine noch für das andere aussprechen (vor allem deshalb, weil mir bis heute selbst die so gebräuchliche Zusammenschreibung von nochmal aus einem mir nicht bewußten Grunde ein wenig unsympathisch ist), aber interessant sind diese Befunde durchaus, oder nicht?
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Christian Dörner
eingetragen von Theodor Ickler am 28.10.2001 um 17.46
Für garnicht findet man bei Google fast 48.000 Belege, also fast so viele wie für die Getrenntschreibung. Ich habe es in mein Wörterbuch noch nicht aufgenommen, weil ich nicht zu viele Leute verprellen wollte. Aber es kommt in den besten Kreisen vor, in unzähligen Briefen habe ich es schon gesehen, auch im Druck, und zwar nicht erst seit gestern. Meiner Ansicht nach gibt es gute Gründe für die Zusammenschreibung, denn aus der sonstigen Verwendung von gar kann man es nicht mehr herleiten.
Übrigens stimmt es nicht, daß man dann auch überhauptnicht schreiben müßte. Solche Automatik oder "Logik" ist der Sprachentwicklung fremd, man muß immer genau hinschauen und dann versuchen, den Wandel zu erklären.
Nachtrag: für schonmal und schon mal finde ich gerade dieselben Proportionen, aber wahrscheinlichist das alles ein bißchen gemogelt, denn wie will Google das in einer zehntel Sekunde herausfinden`?
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Th. Ickler
eingetragen von Christian Melsa am 28.10.2001 um 15.30
Mir ist eben gerade aufgefallen, daß ich auch intuitiv zu folgendem tendiere:
Da hab ich ausversehen den falschen Artikel kommentiert.
Ich schreibe aus Versehen eigentlich nur, weil ich weiß, daß es auch sonst immer so geschrieben wird.
eingetragen von Christian Melsa am 27.10.2001 um 23.21
Ich finde garnicht auch komisch, aber man muß schon zugeben, daß das eigentlich als ein einziges Wort wahrgenommen wird, denn das gar wird hier ganz anders eingesetzt als bei anderen Wörtern (gar schrecklich, gar unerhört usw.), allerdings müßte man dann auch überhauptnicht tolerieren. Das Wort sowas schreibe ich selber immer so, mir wird gerade erst bewußt, daß das gar nicht der Dudennorm entspricht. Neues Beispiel:
Derselbe Defekt tauchte schonmal auf.
Das kann man sich schonmal erlauben.
– geändert durch Christian Melsa am 29.10.2001, 16:31 –
eingetragen von Christian Dörner am 26.10.2001 um 12.01
Die Zusammenschreibungen garnicht und garnichts sind sicherlich oft anzutreffen, wirken aber auf mich sehr befremdlich und (ich hoffe, Sie verzeihen mir) auch häßlich. irgendetwas ist im "Rechtschreibwörterbuch" ohnehin verzeichnet, bei immernoch wäre das Vorkommen der Zusammenschreibung zu untersuchen.
Als weitere Beispiele für verbreitete Zusammenschreibungen möchte ich naja und sowas nennen. Ich selbst verwende sie nicht, aber sie sind so häufig (viel üblicher als die normgetreuen Getrenntschreibungen), daß man sie wohl aufnehmen müßte.
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Christian Dörner
eingetragen von Christian Melsa am 26.10.2001 um 00.34
Ich lade dazu ein, in diesem Forum verbreitete Univerbierungen zu sammeln, die bislang noch nicht im Duden zu finden waren, aber in der Praxis häufig zu beobachten sind. Einiges, wie stattdessen oder wieviele, ist ja in Icklers Rechtschreib-Wörterbuch bereits verzeichnet. Mir geht es jedoch auch um solche Wortverschmelzungen, die in den Textkorpora, welche Icklers Wörterbuch zugrundelagen, noch nicht so üblich waren. Es dürfte ganz interessant sein, zu sehen, wo die intuitiven Bestrebungen auch nicht ganz so rechtschreibsicherer Schreiber liegen, Wörter zu vereinigen. Daraufhin kann man herumdeuten, wie die Zusammenschreibung motiviert sein mag und ob es auch Gründe gibt, die gegen sie sprechen. Ich gebe gleich einmal ein paar Beispiele, die mir gerade einfallen:
Das hat damit garnichts zu tun.
In manchen Geschäften kann man immernoch Schallplatten kaufen.
Hat du dazu noch irgendetwas zu sagen?
Wenn diese Beispielsätze exakte Wiedergaben der Fundstelle sind, sollte dies vermerkt werden; und wenn sich noch auch ein oder mehrere Fälle von Getrenntschreibung dieser Wörter entdecken lassen, wäre es natürlich gut, diese ebenfalls samt Satz zu nennen.
– geändert durch Christian Melsa am 27.10.2001, 06:48 –
Alle angegebenen Zeiten sind MEZ
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