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-- ss/ß-Schreibung und die Problematik der Vokallänge in regionalen Varianten (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=342)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.03.2005 um 07.52

Das ß ist das eigenartigste Zeichen der deutschen Orthographie. Es stammt aus gotischen Kursivschriften des Spätmittelalters und geht wohl, wie der Name sagt, auf eine Verbindung von langem s und sog. geschwänztem z zurück. (Horst Haider Munske)

Um 1500 gibt es in den Kursivschriften das ß aus langem s mit einer angehängten, nach links überzogenen Schleife, ein ß anscheinend aus langem s mit einem herangeschobenen geschwänztem z, dann dasjenige in einem Zug, das eigentlich nicht mehr an ein z erinnert, und das ähnliche italienische Kürzel aus langem und rundem s. Wenn Max Bollwage meint, das ß sei ein eigenständiges Zeichen, entstanden als alten Kanzleikürzeln, dann dürfte das zumindest auf die erste Form zutreffen. Daß um 1460 nicht an eine Verbindung aus s und z gedacht wurde, könnte die vereinzelte Schreibung ſß, z.B. „laſß“ (Lochamer Liederbuch) nahelegen.

In den romanischen Sprachen war das ß eher eine unverbindliche verkürzende Ligatur. Im Italienischen konnte es naturgemäß am Wortende nicht auftreten. Im Deutschen dagegen entfaltete es seine leserfreundliche, ästhetische Wirkung als Schlußzeichen über 600 Jahre lang. Nun muß sich die Mehrheit der Deutschen, die das beibehalten will, denunzieren lassen als „einige Hochwohlgeborene“, die „ glauben, sie müßten“ die von oben verordnete „Reform“ „aus ästhetischen oder sonstigen Gründen nochmal korrigieren“ (Müntefering).

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Sigmar Salzburg


eingetragen von Klaus Kolbe am 13.03.2005 um 00.11

Auch zu diesem Thema wird man bei Horst Haider Munske in seinem Buch "Die angebliche Rechtschreibreform" (zu beziehen bei Herrn Dräger im Reichl Verlag) fündig.
Nachfolgend Auszüge aus seinem Buch:

V.
Das ß

Das ß ist das eigenartigste Zeichen der deutschen Orthographie. Es stammt aus gotischen Kursivschriften des Spätmittelalters und geht wohl, wie der Name sagt, auf eine Verbindung von langem s und sog. geschwänztem z zurück. Solche Buchstabenverbindungen erleichtern das schnelle Schreiben. Diese Praxis fand später auch Eingang in den Buchdruck. Es entstanden sog. Ligaturen, das heißt zwei miteinander verbundene Bleilettern. In den Frakturschriften des 16. Jahrhunderts ist das ß allgemein üblich und fand auch Eingang in europaweit verbreitete Antiquaschriften. Dor wurde es als Verbindung von langem s und rundem Schluß-s umgedeutet. Eine komplizierte Lebensgeschichte. Im 19. Jahrhundert verschwinden langes s und ß aus den europäischen Antiquaschriften, nachdem auch die Frakturschrift ungebräuchlich geworden war – außer in Deutschland, wo Fraktur und ,deutsche‘ Schreibschrift bis zur Abschaffung durch Hitler im Jahre 1941 allgemein üblich bleiben. So konnte das ß zu einem Kennzeichen und Symbol deutscher Orthographie werden.
Die Verwendung des ß ist begrenzt: nie am Anfang, niemals groß geschrieben. Scharfes s nennen es manche, denn es steht immer nur für stimmloses s, nie für stimmhaftes. Darin unterscheidet es sich vom einfachen s, das sich auf beide Laute beziehen kann. Es gibt mehrere Verwendungen des ß: im Inlaut nach Langvokal und Diphthong steht es für stimmloses s, um es vom stimmhaften zu unterscheiden. So können wir Muse und Muße, reisen und reißen, die sich lautlich unterscheiden, auch in der Schreibung erkennen. Ferner als Schluß-ß nach kurzem Vokal und in dem Wörtchen daß. Beides soll künftig beseitigt werden.
Ist es hier überflüssig? Wir wollen verstehen, wozu es dient. Das sogenannte Schluß-ß tritt auf, wenn eigentlich ss nach Stammprinzip zu erwarten wäre. Statt muss wie in müssen steht muß, statt müsste steht müßte. Das ß übernimmt damit eine zusätzliche Information, die über den Lautbezug hinausgeht. Es sagt uns: Hier endet das Wort muß oder der Stamm müß-. Was ist damit gewonnen? Es ergänzt die Information von Wortzwischenräumen, Interpunktion und Großschreibung. Solche Grenzsignale sind ein wichtiges Merkmal leserorientierter Schriftsysteme. Meist wird der Wortbeginn markiert, die Kennzeichnung des Stamm- oder Wortendes erfolgt seltener. Das ß ist dazu das einzige Mittel. Dazu dient es seit seiner Entstehung. Eine besonders wichtige Funktion hat es in Zusammensetzungen wie Ausschußsitzung, Mißstand, Eßsaal oder Schlußsatz. Hier zeigt es die Kompositionsfuge an und erleichtert es, die Teile des zusammengesetzten Wortes zu erkennen. Diese Erleichterung des Lesens sollte man nicht ohne Not über Bord werfen.


VI.
Zum Wörtchen daß

Gute Gründe haben also dazu geführt, daß die Unterscheidungsschreibung selbst in der sogenannten Rechtschreibreform beibehalten wurde. Warum dann aber eine Schreibänderung von daß zu dass? Offenbar sollte dem Schluß-ß unbedingt der Garaus gemacht werden. Dabei gab es gute Gründe, am daß nicht zu rühren. Doppelkonsonanten sind nämlich in unserer Rechtschreibung vor allem flektierbaren Wörtern vorbehalten, um ein Gelenk zwischen zwei Silben bilden zu können (Män-ner). Unflektierbare Einsilber wie in, mit, bis schreibt man zu Recht nur mit einfachem Konsonanten. Will man also weiterhin Pronomen und Konjunktion in der Schreibung unterscheiden, dann ist dafür das Sonderzeichen ß am besten geeignet. Es hebt auch durch seine graphische Oberlänge die Konjunktion daß gegenüber dem Pronomen das ab. Die Weisheit historischer Entwicklung ist auch hier den falschen Vereinfachungen von Reformern vorzuziehen. Das bestätigt auch die erhöhte Fehlerquote der neuen ss-Schreibung.


eingetragen von Ursula Morin am 02.12.2004 um 22.14

Die neue "ss"-Schreibung gehört schleunigst abgeschafft, sie ist offensichtlich gehirnschädigend. Beispiele - bei einem einzigen Zugriff auf Google auf der ersten Seite:

GERUCHSVERSCHLUß (der einzige Fehler, den man auch früher häufig sehen konnte)

dann:
Einbau eines Geruchsverschluss
Montage eines Geruchsverschlußes

Rohrstück, dass derart gestaltet ist, dass es durch Zurückhalten geringer Wassermengen ...

Ich habe schnell wieder "zugemacht" - vielleicht leide ich ja an Halluzinationen ...

Kann mir übrigens jemand erklären, weshalb "das" und "dass"
verwechselt werden. Man kann doch die Schreibweise u.a. auch an der Aussprache erkennen - "das" mit etwas längerem Vokals als "dass" - oder gilt das nur für Schwaben, die kein Hochdeutsch können?







eingetragen von Reinhard Markner am 03.11.2004 um 18.40

Weimarisches Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und Kunst, hrsg. von Hoffmann von Fallersleben und Oskar Schade. - Hannover : Rümpler, 1.1854 - 6.1857; damit Ersch. eingest.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.11.2004 um 09.57

Das bisher einzige Buch in historischer Heyse-Schreibung, das mir unter die Augen kam, ist plattdeutsch und erträglich durch die Frakturschrift:

Klaus Groths Gedichtband „Quickborn“, in der Bearbeitung und mit Glossar von Prof. Karl Müllenhoff 1855, Ausgabe im F.W.Hendel Verlag, Meersburg 1930.

Druck in Fraktur: S. 270 …Voſs, …Oſs, S.271 …de Haſ’, …je’n Spaß. Naturgemäß ist das „ß“ äußerst selten: Droßel, Preißen, Blumenstruß, Karbüßel („Kombüse“, Hütte). Bemerkenswert: Schöſſteen (Schornstein).

Die Aussprache will Müllenhoff auch mit weiteren Sonderzeichen andeuten.

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Sigmar Salzburg


eingetragen von Karsten Bolz am 25.05.2004 um 10.49

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Karin Pfeiffer-Stolz
... Ist dieser Vorschlag wirklich gemacht worden?
Wer hat ihn gemacht?
Ich bin von einem Redakteur danach gefragt worden.
Danke für rasche Antwort!

Nachzulesen in der WELT vom 24. März 2003 (zu finden u. a. bei http://www.vrs-ev.de/forum/viewtopic.php?t=330&highlight=deutsche+akademie+sprache+dichtung):

Totgelaufen oder tot gelaufen?

...
Gewiss erfreulich: Die Dreifachhäufung von Konsonanten wird zurückgenommen (Schlammasse statt Schlammmasse), und bei Streßsituation (statt Stresssituation) kehrt sogar das „ß“ zurück.
...

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Karsten Bolz


eingetragen von Reinhard Markner am 25.05.2004 um 10.40

Dieser "evident dumme" Vorschlag der Darmstädter Akademie stammt aus dem Jahr 1999 und hat in die im Frühjahr 2003 publizierte Buchfassung ihres Kompromißvorschlags Eingang gefunden. Schon Daniel Sanders hat Ende des 19. Jahrhunderts mit der Heyseschen ss-Schreibung im Verbund mit zwei verschiedenen ß experimentiert. Das ist alles ganz fruchtlos. Der einschlägige Satz aus ihrem offenen Brief übrigens ("Aus verschiedenen „Strassen“ in Deutschlands Orten erreichen uns Briefe, deren Schreiber sich höflich und mit „freundlichen Grüssen“ verabschieden") ist wirklich brillant.


eingetragen von Norbert Schäbler am 25.05.2004 um 10.19

Der Vorschlag wurde meines Wissens von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt) vor etwa zwei Jahren unterbreitet.
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nos


eingetragen von Karin Pfeiffer-Stolz am 25.05.2004 um 09.39

Habe ich das gelesen oder geträumt:
Um die Dreifachschreibung sss zu vermeiden, wird vorgeschlagen, künftig so zu schreiben:
Schlossplatz aber Schloßstraße
Bassgeige aber Baßstimme
Esslokal aber Eßstörung
?

Ist dieser Vorschlag wirklich gemacht worden?
Wer hat ihn gemacht?
Ich bin von einem Redakteur danach gefragt worden.
Danke für rasche Antwort!
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Karin Pfeiffer-Stolz


eingetragen von J.-M. Wagner am 04.04.2004 um 18.32

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Lieber Herr Wagner,
Sie haben völlig recht: Ich muss zurücknehmen, dass das Heysesche sss ein wirklicher Nachteil ist. Da hat auch mein ästhetisches Vorurteil hineingespielt. Ich drücke mich noch einmal anders aus: Dass Morphemfugen bei Adelung manchmal besser erkennbar sind, ist ein Argument, das so gut wie nichts wiegt. Vermutlich.
Einverstanden?
Nein: Solange Sie nicht begründen, worauf Sie Ihre Vermutung stützen, bin ich nicht einverstanden.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 04.04.2004 um 18.21

Auf diese Variante war ich noch gar nicht gekommen. Ihre Existenz unterstreicht, worauf ich hingewiesen habe: Es geht bei der s-Schreibung eben nicht nur um die Frage ss oder ß. Allerdings muß man auch die Relationen sehen (und diese mit der Häufigkeit anderer Falschschreibungen vergleichen, aber das mache ich jetzt nicht): Google lieferte mir für „fußball -fussball“ ca. 2,480,000 Treffer, für „fussball -fußball“ ca. 1,940,000 Treffer und für „fusball -fußball -fussball“ ca. 8,030 Treffer (soweit ich weiß, ignoriert Google die GKS).

Insgesamt erhebt sich für mich dabei die Frage, welche der „ß-haltigen“ s-Schreibungsregeln von ihrer Konzeption her weniger zu derartigen Falschschreibungen verleitet. Was halten Sie von dieser Fragestellung, Herr Fleischhauer?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Norbert Schäbler am 04.04.2004 um 10.12

Zugegeben:
Ehrfurchtsvolles Staunen hat eine religiöse Dimension, allerdings auch ein Stück Naivität.
Bedenklich wird nämlich derartiges Staunen, wenn es sich zu einer Art Ekstase steigert, wenn beispielsweise 15 Leute – (so viele braucht man mindestens) – eine 1000jährige Eiche umfassen, vor selbiger in die Knie fallen und sich mit der Ehrwürdigen zu unterhalten beginnen.

Salonfähiger:
... scheint da schon das wissenschaftliche Staunen. Das ist ein solches, das sich aus dem Wald einige Paradebäume herauspickt und diese in Atome zerlegt.
Veröffentlichte man doch daselbst kürzlich folgende absolut sachbezogene Experiment-Erkenntnisse.
Man habe, beim Untersuchen der Adelung`schen Edelbuche festgestellt, daß im teutonischen Urwald (sozusagen im germanischen Kerngebiet) 80 Millionen Menschen in stiller Gläubigkeit und ritueller Praxis der Buche Rauchopfer darbringen, wobei man über derartige Naivität ja nur lächeln könne, was u.a. eine alte Dame aus einem aufgeklärten Kanton auch lauthals tue.
„Buche“, so die Schlußfolgerung, „ist lediglich Hartholz“.

Noch ein Schlußgedanke zur Karwoche, die am heutigen Tag mit „Hosianna“ beginnt und genau sieben Tage später mit „Auferstehung“ endet.
Zwischendrin liegt bekanntlich Karfreitag „Nacht“ – symbolischer Termin, der treffend das dünkelnde wissenschaftliche und weltliche Tun skizziert.


– geändert durch Norbert Schäbler am 04.04.2004, 16.36 –
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nos


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 04.04.2004 um 09.20

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Damit die Auferstehungsfeier wirklich stattfinden kann, bedarf es noch einiger Vorbereitungen; dabei dürfte es aber mit dem Plazieren von ein paar Ostereiern nicht getan sein...

Vor gut einem halben Jahr schrieb Herr Fleischhauer, sich auf mich beziehend, auf diesen Seiten: "Ich glaube wir verstehen uns ganz gut. Ich habe jedenfalls keine nennenswerten Einwände." Jetzt sind wir offenkundig nicht wesentlich weiter. (Das Verteilen von Ostereiern ist also in der Tat verfrüht - aber es ist ja noch ein bißchen Zeit.)

Ich gebe Herrn Fleischhauer insofern recht, als sich die Problematik mit der Zeit nicht entschärft; eher ist das Gegenteil der Fall.
Während die Mehrheit der in diesem Forum Vertretenen die möglichst baldige Rückkehr zur ss/ß-Schreibung vor der Rechtschreibreform bevorzugt, Herr Fleischhauer dies (aus ganz überwiegend theoretischen Erwägungen) immer wieder in Zweifel zieht, driftet ein größer werdender Teil gerade der jungen Menschen ab in ein (von vielen Seiten lautstark beklagtes) Rechtschreib-Chaos.

Angeregt durch den Hinweis von Herrn Fleischauer, mir den "Ickler" vorzunehmen, habe ich mir den § 4 noch einmal genauer angeschaut. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß weder dieser Paragraph (noch seine gekürzte Darstellung auf S. 16) noch der Hinweis von margel ("Liebe Gewohnheit, sonst nichts") der "Rechtschreibwirklichkeit"* vor der Rechtschreibreform tatsächlich entsprechen. (§ 4 ist eine gute "Regelbeschreibung" i.S. dessen, was ich vor ein paar Tagen hier mal geschrieben habe**, NUR Gewohnheit führt wahrscheinlich bei der Vielzahl der möglichen Einzelfälle nicht zu der vor der Reform zu beobachtenden Fehlerarmut.)

Ich habe gerade einen Google-Ausflug hinter mir, bei dem es mir um folgendes ging: Ich hielt die von Ickler beschriebene "Einzelbuchstabigkeit" des ß für kein praktisch relevantes Problem und ging von folgender Hypothese aus: Im allgemeinen wäre der ss-Charakter von ß auch in draußen, außen, Straße, heißen etc. klar, es dürften also viele Fehlschreibungen mit doppeltem s vorkommen (wie dem ja auch so ist). Aber allenfalls in den Gegenden Deutschlands, in denen das stimmhafte s fast nicht (oder gar nicht) genutzt wird (also vorzugsweise in Süddeutschland) würden (seltenst) Fehlschreibungen wie drausen, ausen, Strase, heisen etc. auftauchen.

Diese Hypothese wurde durch meinen Ausflug nicht bestätigt. Man muß zwar u.U. eine ganze Reihe von Algorithmen ausprobieren, um Eigennamen usw. auszuschließen, aber das Ergebnis ist: Selten ist "drausen" etc. nicht gerade - besonders offenbar in Internet-Foren. Und eine regionale Differenzierung zeigte sich mir jedenfalls nicht.

Davon angetrieben, prüfte ich noch: Wieviele Fundstellen liefert »"Fusball" -"Fußball"«, eingeschränkt auf "Seiten aus Deutschland***"? Beeindruckend!

FAZIT: Wir brauchen GANZ einfache Leitlinien. (Meines Erachtens darf, nein muß, da Einfachheit vor Präzision gehen.)



* = i.S. dessen, was sich beim Schreibenden vollzieht, während er schreibt
** wobei ich immer auf einen Laienbonus setze
*** 15.300


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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 03.04.2004 um 15.57

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
... man trennt nach Sprechsilben. Ob man die Aussprache oder die Trennbarkeit zum Kriterium macht, ist deshalb eigentlich gleichgültig.

Wenn ich ein einsilbiges Wort habe, kann ich natürlich auch nicht trennen: Piß, pißt. Wenn ich mehrsilbige Wörter habe, ist der Begriff "Aussprache" hier inzwischen so auf die Vokallänge zentriert, daß die Trennbarkeit durchaus eine sinnvolle Differenzierung darstellt.

Zitat:
Dass man vor der Reform beim ß kaum Fehler machte, hat eher etwas mit dem Gedächtniß (wegen Gedächtmis-se; ich benutze einmal Ihre Regel) zu tun als mit Anwendung von Regeln.

Zu Gedächtniß hat Sie was für eine Regel geführt? (Mein "Probeschuß" kann es ja wohl nicht gewesen sein.)

Zitat:
Sie glauben doch nicht etwa, dass man bei jedem Wort mit s am Schluß nach dessen Trennbarkeit gefragt hätte!

In der Tat nicht. Ergibt sich ja wohl von selbst.

Zitat:
Übrigens trennt man "pis-sen".

Wieso übrigens? Hat irgendjemand (ich vielleicht gar) etwas anderes behauptet?

Zitat:
(Kleiner Tip: Lesen Sie mal Ickler, §3.)

Kann man sicher immer wieder mal lesen. Welchen Anlaß sahen Sie jetzt konkret zu diesem Hinweis?

Trage ich Scheuklappen? In diesem Beitrag habe ich kein ernsthaftes Argument gefunden. (Ostern kommt doch erst!)

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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 03.04.2004 um 15.02

Lieber Herr Wagner,
Sie haben völlig recht: Ich muss zurücknehmen, dass das Heysesche sss ein wirklicher Nachteil ist. Da hat auch mein ästhetisches Vorurteil hineingespielt. Ich drücke mich noch einmal anders aus: Dass Morphemfugen bei Adelung manchmal besser erkennbar sind, ist ein Argument, das so gut wie nichts wiegt. Vermutlich.
Einverstanden?
Zur Empirie: Die Heyse-Schreibung hat ja noch niemand richtig verinnerlicht, dazu reichen sieben Jahre nicht. Man könnte aber einen Schweizer Adelungsche und Schweizer Texte korrigieren lassen. Er hat ja beide Schreibungen drauf. Man könnte auch sein Lesetempo in beiden Textsorten untersuchen. Oder ihn einfach fragen, welche Texte er "angenehmer" findet. (Ich hatte mich einmal mit einer Schweizerin per E-Mail ein bisschen darüber ausgetauscht. Wir alle können ja mal ein bisschen herumfragen!) Man muss dann noch berücksichtigen, dass die Heysesche Schreibung der Adelungschen näher ist.
Zu den ästhetischen "Kriterien": Sie lassen sich nicht verallgemeinern. Und sie sind wandelbar. Auf eins können wir immerhin achten: Wie äussern sich andere Menschen über die Reform? Was heben sie dabei besonders hervor? Welche Bereiche akzeptieren sie, welche halbwegs, welche überhaupt nicht? usw.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 03.04.2004 um 14.51

Lieber Herr Scheuermann,
man trennt nach Sprechsilben. Ob man die Aussprache oder die Trennbarkeit zum Kriterium macht, ist deshalb eigentlich gleichgültig.
Dass man vor der Reform beim ß kaum Fehler machte, hat eher etwas mit dem Gedächtniß (wegen "des Gedächtnis-ses"; ich benutze einmal Ihre Regel) zu tun als mit Anwendung von Regeln. Sie glauben doch nicht etwa, dass man bei jedem Wort mit s am Schluß nach dessen Trennbarkeit gefragt hätte!
Übrigens trennt man "pis-sen".
(Kleiner Tip: Lesen Sie mal Ickler, §3.)


eingetragen von J.-M. Wagner am 03.04.2004 um 14.23

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (03.04.2004, 00.33 Uhr)
Noch einmal zur Lesefreundlichkeit. Man müsste das schon empirisch untersuchen. Ich gehe davon aus, dass eventuelle Unterschiede in der Lesegeschwindigkeit zu gering sind, um überhaupt messbar zu sein.
Die Lesegeschwindigkeit ist nur ein mögliches Kriterium, ein anderes ist, mit welcher Trefferquote Fehler gefunden werden: Man lege denselben Text, der einmal in der Adelungschen, einmal in der Heyseschen s-Schreibung gehalten ist und diverse s-Schreibungsfehler enthält, zwei unterschiedlichen Personengruppen vor, die mitgeteilt bekommen, nach welcher der Regeln der Text geschrieben sein soll und die entsprechende Fehler bei möglichst zügigem Lesen erkenen sollen. (Das nur, um die Idee zu veranschaulichen, ohne auf weitere Details, die man dabei bedenken müßte, näher einzugehen.)

Man kann objektiv sagen, dass bei Adelung Morphemgrenzen etwas häufiger durch ß verdeutlicht werden als bei Heyse. Aber es dürfte eins dieser Argumente sein, die nichts wiegen.
Sie widersprechen sich, lieber Herr Fleischhauer: Erst plädieren Sie für eine empirische Untersuchung (was auch ich befürworte), dann aber mutmaßen Sie bereits, daß eines der wichtigsten Argumente, die es zu überprüfen gilt (Relevanz der Morphemgrenzenkennzeichnung durch ß), eines derer ist, »die nichts wiegen«. An anderer Stelle hatten Sie geschrieben: »Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir uns, was die Überlegenheit der Adelungschen Schreibweise betrifft, zu viele Argumente einfach aus den Fingern saugen. Meines Erachtens gibt es Überlegenheit nur in dieser Hinsicht: Adelung kennt kein sss.« Bleiben Sie nun wenigstens bei der letztgenannten Aussage?

ß ist ja nicht einmal ein reiner Schlussbuchstabe (Straßenbahn/Straßarmband).
Soweit ich es mitbekommen habe, wurde bislang nur von „Schlußbuchstabigkeit“ gesprochen, die sich beim ß finden lasse. Herr Markner hat andernorts (Morbus Wußtsein ?) bereits darauf hingewiesen, daß »niemand behauptet [hat], daß das ß ein Schlußbuchstabe im strengen Sinne sei, also entsprechend dem runden s der Fraktur. Gleichwohl erfüllt es aber diese Funktion in den vielen hier schon oft thematisierten Wörtern wie Eßecke, Meßergebnis, Schloßstraße.« Ich habe deshalb von den beiden Funktionen des ß gesprochen, die es da, wo es (egal, ob nach Adelung oder nach Heyse) steht, immer hat: Es zeigt a) einen stimmlosen (scharfen) s-Laut an, der b) ausschließlich zu genau einer Silbe gehört. Das wird durch Ihre Beispiele Straßenbahn, Straßarmband eindrucksvoll unterstrichen, und es gilt auch bei mußt, gestreßt etc.

Wir sind immer in Gefahr, die Lesbarkeit nach unseren ästhetischen Vorurteilen zu bewerten.
Auch wenn ich Ihnen darin zustimme, daß persönliche Vorurteile bei der Beurteilung der Lesbarkeit eine Rolle spielen, so handelt es sich, was beispielsweise die Drei-Konsonanten-Regel betrifft, dabei nicht nur um unsere eigenen, sondern auch um die „Vorurteile“ verschiedener Herrschaften der vergangenen Jahrhunderte, die sich für das in der herkömmlichen Rechtschreibung übliche Verfahren ausgesprochen haben.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 03.04.2004 um 13.43

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Wolfgang Scheuermann
Jetzt müssen wir eigentlich nur noch Ostern vorbereiten.
Vielen Dank für Ihre freundliche Antwort! – Ja, Sie haben recht: Damit die Auferstehungsfeier wirklich stattfinden kann, bedarf es noch einiger Vorbereitungen; dabei dürfte es aber mit dem Plazieren von ein paar Ostereiern nicht getan sein...
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von margel am 03.04.2004 um 11.37

Das ß ist ein nettes Dessin und erleichtert uns Inländern das Lesen - möglicherweise. Andere Deutschschreibende und -lesende kommen sehr gut ohne aus. Sie lesen und schreiben genau so flott und vertun sich auch nicht beim Zählen bis drei... Und sie verstehen sogar das Gemeinte.


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 03.04.2004 um 10.40

... zunächst einmal, daß es bei dieser Dame so ist (es könnte natürlich auch allgemeiner gelten).
Die Reichweite der Aussage, daß man nicht vermißt, was man nicht kennt, ist natürlich auch nicht unbegrenzt (obwohl in der Regel wohl zutreffend).

Ich denke aber, da wir das ß nun einmal haben, sollten wir den besten Gebrauch davon machen, d.h., es möglichst nutzbringend einsetzen.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von margel am 03.04.2004 um 09.17

Schweizer haben weder mit dem Schreiben, noch mit dem Lesen von s/ss/sss/ die geringsten Schwierigkeiten. Hingegen kenne ich eine durchaus intelligente, rechtschreibsichere Deutsch-Schweizerin, die auch nach 30 Jahren Schreib- und Lesepraxis in Deutschland immer wieder einmal im Zweifel ist, ob nun ein ß hingehört oder nicht. - Dies beweist, daß Orthographie vor allem eine Sache der Gewohnheit ist und in der Kindheit eingeübt werden muß, am besten anhand von Wortbildern, also durch Lesen des Richtigen.


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 03.04.2004 um 07.42

... das haben wir hier m.E. noch nie genau genug unter die Lupe genommen. Ihre Regel ("ß ist zu schreiben, wenn ss nicht getrennt werden kann oder darf" - sie hat sie mir übrigens, da bin ich noch einmal in mich gegangen, erst zu Beginn meiner Schulzeit, nicht davor, erklärt) setzt eine gewisse Kenntnis der Sprache voraus, darüber hinaus aber sehr wenig - z.B. braucht man Ausdrücke wie "Schlußbuchstabigkeit" oder "Stammprinzip" nicht explizit zu kennen.
Wir haben uns auch immer noch nicht ausreichend mit der Frage befaßt, warum tatsächlich es vor der Rechtschreibreform im Bereich ss/ß-Schreibung so gut wie keine Fehler (=Abweichungen von Adelung) gab, obwohl nur wenige genauere Regeln oder Ausdrücke wie eben Schlußbuchstabigkeit kannten (da bin ich mir ziemlich sicher; ich jedenfalls gehörte zu dieser Gruppe).

Wenn man weiß, wo »ss« stehen kann, ist das Problem mit obiger Regel eindeutig geklärt: Schluß kann nicht Schluss und schließen nicht schliessen geschrieben werden. "Er meißelt mit dem Messer" - alles eindeutig geklärt. Das ist für eine so einfache Regel schon ein schönes Resultat.
Ein Problem können theoretisch Wörter werden, bei denen man »ss« vermutet, diese Vermutung aber falsch ist. Wie gesagt, ein rein theoretisches Problem, denn es tauchte vor der Reform nicht auf ("Ereigniss", "Ergebniss").
Jetzt könnte man anfangen, sich darüber (vorösterliche) Gedanken zu machen, um den solcherart Reformgeschädigten zu helfen. Die Hilfe sollte natürlich ebenfalls möglichst einfach sein. Ein "Probeschuß": "Ein doppeltes s ist nur möglich, wenn ein zugrundeliegendes Verb darauf hinweist."
Es gibt kein "sich ereignissen", daher auch kein "Ereigniß". (Dagegen "Riß" wegen "reißen", "Piß" (ugs.) wegen "pissen" (ugs.).
Es ist ja noch ein paar Tage Zeit bis Ostern.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 02.04.2004 um 22.33

Noch einmal zur Lesefreundlichkeit. Man müsste das schon empirisch untersuchen. Ich gehe davon aus, dass eventuelle Unterschiede in der Lesegeschwindigkeit zu gering sind, um überhaupt messbar zu sein. Man kann objektiv sagen, dass bei Adelung Morphemgrenzen etwas häufiger durch ß verdeutlicht werden als bei Heyse. Aber es dürfte eins dieser Argumente sein, die nichts wiegen. ß ist ja nicht einmal ein reiner Schlussbuchstabe (Straßenbahn/Straßarmband). Wir sind immer in Gefahr, die Lesbarkeit nach unseren ästhetischen Vorurteilen zu bewerten.


eingetragen von Norbert Schäbler am 02.04.2004 um 22.05

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Wolfgang Scheuermann

Jetzt müssen wir eigentlich nur noch Ostern vorbereiten.


Ich glaube nicht, daß wir in dieser kurzen Zeit die "Wollhennensau" erfinden können, und wenn doch, dann wäre das eine langwierige patentrechtliche Angelegenheit.

(Da war doch mal dieser Adelung!)
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nos


eingetragen von J.-M. Wagner am 02.04.2004 um 21.43


Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Lieber Herr Wagner,
die Schweizer Schreibweise ist leichter zu schreiben. – Fest steht dagegen, dass man bei der Schweizer Schreibung aus rein statistischen Gründen nicht so viele Fehler machen kann. – Die Schweizer Schreibung dagegen ist idiotensicher, weil ß nicht vorkommt. Der Schweizer hat eine kleinere „Auswahl“.
Natürlich ist die Auswahl bei der Schweizer Schreibweise kleiner. Aber warum sollte das schon hinreichend dafür sein, daß diese Schreibweise die idiotensicherste von allen ist?

Zu dem Thema „wenn früher ß stand...“ – ich verstehe nicht, welche Verwechselungsmöglichkeit mit s Sie meinenn. Es geht doch gerade nicht ums s. Erklären Sie doch noch einmal, was Sie meinen.
Ein einzelnes s kann ja, je nach Stellung, für einen stimmhaften oder für einen stimmlosen s-Laut stehen. Deshalb kann es passieren, daß ein s anstelle von ss oder ß geschrieben wird oder umgekehrt (Gries, Geheimniss). Insofern muß es bei jeder s-Schreibungsregel immer auch ums s gehen.
__________________
Jan-Martin Wagner


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 02.04.2004 um 20.48

Ja, sehr geehrter Herr Wagner, genau diesen Leserbrief meinte ich.

Herrn Fleischhauer hat als advocatus diaboli functionalis bewirkt, daß noch zusätzliche Register gezogen wurden, deren Existenz anfänglich gar nicht bekannt schien. Auf der Orgel gespielt haben manche, aber Sie haben den Grundton gehalten und mit der für Sie offenbar typischen Geduld und Beharrlichkeit störende Dissonanzen immer wieder abgefangen.

Jetzt müssen wir eigentlich nur noch Ostern vorbereiten.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von J.-M. Wagner am 02.04.2004 um 20.13

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Wolfgang Scheuermann
Und wenn der Zwang dann wegfällt? Dann fällt eine "cheuermann"-Regel oder eben auch die Heyse-Regel wieder weg (so wie Ickler es in seinem kürzlichen Leserbrief in der FAZ so schön dargelegt hat).
Meinten Sie damit diesen Leserbrief?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Norbert Schäbler am 02.04.2004 um 18.22

(gehört eigentlich in den Bereich der Dehnung statt in den Bereich der Schärfung und der S-Laute; gleichwohl unterliegt obige Überschrift dem Vokallängen-Prinzip)!

Es war nicht der Fehler derjenigen, die bestimmt und verfügt haben, sondern es war der Fehler derer, die sich verfügen ließen.

Das nämlich sollten wir wissen: Das „Böse“ und „Schädliche“ erfährt seinen Beifall durch all diejenigen, die es regungslos dulden.


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nos


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 02.04.2004 um 17.46

Lieber Herr Scheuermann,
ich habe auch das Gefühl, dass wir uns einer Einigung näherkommen. Wir wäre es damit: Dass die Reformer und die Politiker uns Ihre Entscheidung überstülpten, anstatt uns, den Rest der Deutschen und vielleicht auch die Schweizer selbst entscheiden zu lassen, war ein Fehler.


eingetragen von Norbert Schäbler am 02.04.2004 um 17.29

... schrieb Luther:
Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
__________________
nos


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 02.04.2004 um 17.01

... schrieb Luther von der Veste Coburg an seinen Freund Melanchthon nach Augsburg und meinte damit, alles sei abgehandelt, nun müsse man zu einer Entscheidung kommen.

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Ich will überhaupt nicht entscheiden!!! Das unterscheidet mich übrigens von vielen anderen hier im Forum.

Sie müssen natürlich nicht. Aber ich vermute, zu dem zu diesem Thema überhaupt Abhandelbaren haben wir das meiste zusammengetragen (und Icklers Verweis auf Augst an dieser Stelle verstehe ich so, daß wir mit Sicherheit sehr viel tiefer gegraben haben als die Reformer). Auch Sie, Herr Fleischhauer, haben selbst immer wieder alle Argumente, die gegen Heyse sprechen, für sich persönlich bestätigt. Sie meinen aber, das täte nichts zur Sache, denn ein anderer Stephan Fleischhauer, der in einer Heyse-Welt aufgewachsen wäre, würde vielleicht ganz anders urteilen. In letzter Zeit neigten Sie dazu, die Diskussion, die wir hier führen, zu vereinfachen, indem Sie den Gegenstand derselben aufheben (und in der freien Schweiz* Zuflucht nehmen).

Dürfen wir hier - zumindest als Zwischenbilanz - festhalten: Auch Stephan Fleischhauer (als solcher) kommt nach umfänglichen Untersuchungen zu dem Schluß, - alles in allem - war die Entscheidung zu Heyse ein Fehler, den man am besten durch eine Rückkehr zu Adelung aufheben könnte. (Das faßt m.E. das zusammen, was Sie wiederholt als persönliche Neigung, Eindruck, Gewöhnung etc., etc. genannt haben.) Nur möchte er einer solchen Entscheidung aus theoretischen bzw. wissenschaftstheoretischen Gründen (aber auch praktischen -> neue Umstellung) selbst nicht beteiligt sein.

*wo der Diogenes-Verlag Adelungs Fahne hochhält
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von gestur am 02.04.2004 um 16.47

Wenn nach ss ein Vokal folgt ("Grossenkel"), ist man als Nicht-Schweizer immer in Versuchung, das ss zunächst als Silbengelenk zu interpretieren. Das erschwert das Lesen. Beim schnellen Lesen zählt man nicht jedesmal nach, ob da zwei oder drei s stehen. Lesen ist für Fortgeschrittene Worterkennung und nicht Buchstabieren. Für schnelles Lesen ist das ß als Silbenschlußzeichen sehr nützlich.
(Und weil Lesen Worterkennung ist, stolpert man über sinnentstellende Getrenntschreibungen.)


eingetragen von Norbert Schäbler am 02.04.2004 um 14.04

Dann passen Sie ja in die entscheidungsunfähige Gesellschaft.

Ich wußte es: Demokratie ist ein Phantom!
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nos


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 02.04.2004 um 13.57

Ich will überhaupt nicht entscheiden!!! Das unterscheidet mich übrigens von vielen anderen hier im Forum.


eingetragen von Norbert Schäbler am 02.04.2004 um 13.49

Lieber Herr Fleischhauer!

Das ist doch keine Frage der Empirie, sondern eine Frage der Akzeptanz!
Wollen Sie denn endlos testen, bis Sie in die Kiste gehen, ohne aus eigenem Gusto eine Entscheidung getroffen zu haben für das "nahe Liegende" (resp. Nächstliegende).
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nos


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 02.04.2004 um 13.37

Es ist unbestreitbar, dass Wort-/Morphemfugen durch Schlussbuchstabigkeit verdeutlicht werden. Ebenso unbestreitbar ist, dass s-Laute in Zusammensetzungen relativ häufig zusammentreffen. Auch Herr Wagner geht in seinen Beiträgen, die er nochmals in Erinnerung ruft, in erster Linie auf die bessere Lesbarkeit der Adelungschen Schreibweise ein. (Das hatte ich nie bestritten! Unplausibel sind bloss die Argumente der Fehlerträchtigkeit.) Trotzdem, selbst die Schweizer Schreibweise ist nicht wirklich schwer zu lesen (trotz Massstab, Grossenkel; ein gewisses Problem ist das Wortpaar Masse/Masse.) Heyse wiederum "eine ganze Spur" leichter (Maßstab, Großenkel, Masse/Maße). Wie muss man also die objektive Verschlechterung gewichten? Ist sie gravierend? Wir können nicht urteilen, weil wir befangen sind. Wo sind die Empiriker?


eingetragen von Theodor Ickler am 02.04.2004 um 11.59

Burkhard Schaeder, hg.: Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Lang 1999 (GAL – forum 35).
Darin S. 75-92:

Gerhard Augst: „s – ss – ß: die s-Schreibung im Deutschen – Linguistische und pädagogische Überlegung zu ihrer Reform“

Augst kommt nicht zu einem klaren praktischen Vorteil der Neuregelung. Er schlägt daher wie in Augst/Dehn vor, im Unterricht die häufigsten 25 Einzelschreibungen auswendig lernen zu lassen, damit das Regellernen entlastet wird.

Im übrigen ist der Horizont sehr beschränkt. Überhaupt nicht erwähnt wird in dem Aufsatz der Gesichtspunkt der Schlußbuchstabigkeit und der optischen Wortgliederung und damit der Ligaturcharakter des ß. Es geht immer nur um Vokalquantität und Stammkonstanz. Aber selbst in dieser Begrenzung kann Augst auch keine eindeutigen theoretischen Vorteil der Neuregelung ausmachen.

Das scheint mir bei einem so entschiedenen Reformer ganz bemerkenswert. (Es gibt auch eine Reihe Fehler in der Argumentation.)
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Th. Ickler


eingetragen von gestur am 02.04.2004 um 09.44

Schreiben kann man automatisieren, wie es beim SMS-Schreiben schon der Fall ist. Schreiben nach Diktat kann man Maschinen beibringen. Aber Lesen? Wer viel lesen muß, liest "quer" oder "diagonal". Eine denkbare Vorlesemaschine würde Wort für Wort lesen, oft mit falscher d. h. sinnentstellender Betonung, weil sie eben nicht den Kontext erkennt. "Quer-" oder "diagonallesen" kann eine Maschine erst recht nicht, nur der Mensch kann erfassen, was im Text wichtig und unwichtig ist. Lesen müssen meist höher bezahlte Vorgesetzte, da ist jede Minute teuer. Es ist volkswirtschaftlich unverantwortlich, zugunsten des leichteren Schreibens das Lesen holpriger und zeitaufwendiger zu machen. Gerade für Lesemaschinen darf der Sinn sich nicht erst aus dem Satzzusammenhang ergeben, sondern muß es aus bedeutungsunterscheidenden Schreibweisen der einzelnen Wörter. Maschinen können beliebig viele Wörter speichern und unterscheiden lernen. Was gut maschinenlesbar ist (vom Inhalt und Sinn her), ist auch gut menschenlesbar.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 02.04.2004 um 09.18

Lieber Herr Scheuermann,
Sie schrieben: "Und wenn der Zwang dann wegfällt? Dann fällt [...] die Heyse-Regel wieder weg (so wie Ickler es in seinem kürzlichen Leserbrief in der FAZ so schön dargelegt hat)." - Ich bin da anderer Meinung. Wenn der Zwang wegfällt, werden viele trotzdem bei der Heyeschen Regel bleiben. Es wird mit Sicherheit eine längere öffentliche Diskussion geben.


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 02.04.2004 um 08.20

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
O.k., ich gebe Ihnen recht, lieber Herr Scheuermann. Aber Sie haben noch vergessen, dass durch die vermehrte Grossschreibung Druckerschwärze und durch die neuen Getrenntschreibungen Papier vergeudet wird.

Sehr geehrter Herr Fleischhauer!
Ich konnte gestern nur kurz auf ihre Einlassung eingehen.
Das mit der Druckerschwärze und mit dem Papier habe ich nicht vergessen - es ergibt sich vielmehr zwingend aus dem von mir Geschriebenen. Sie haben natürlich auch recht, daß dieses Problem durch die Groß-/Getrenntschreibungsproblematik noch verschärft wird - nur ist das hier nicht das Thema. Mir klingt Ihr Einwurf spöttisch - wenn dieser Eindruck stimmte, hätten Sie nicht verstanden, daß er einen ernsthaften Kern hat.
Druckerschwärze und Papier sind nicht rationiert - sie stehen quasi unbegrenzt zur Verfügung. Darauf muß ich also überhaupt keine Rücksicht nehmen, wenn ich mir mit einer Rechtschreibreform ein Denkmal setzen wollte. Vorausgesetzt, ich hätte die Macht, könnte ich dekretieren:

"An jedes s ist künftig cheuermann anzuhängen."

Das ist eine vortreffliche Regel; ein Idiot ist, wer sie nicht begreift. Sie kostet zwar mehr Druckerschwärze und Papier, aber ich würde so schnell nicht vergessen.

Abgesehen davon, daß selbst eine so einfache Regel natürlich Probleme aufwirft (Wascheuermannscheuermanner oder wegen ss vielleicht Wasscheuermanner?), was ist das prinzipielle Problem damit? Ich mute Schreiber wie Leser systematisch zu, mehr zu schreiben bzw. zu lesen ohne mehr sagen bzw. verstehen zu können (wobei das Lesen - in diesem Falle deutlich - erschwert wird). Das kann man als Kosten bezeichnen und zwar Kosten, denen kein Ertrag entgegensteht. Man könnte ja vielleicht noch vertreten, daß man auf der Seite des Schreibens mehr investiert, wenn es für die Leseseite ein spürbarer Gewinn ist - aber diese "cheuermann-Regel" erhöht die Kosten auf beiden Seiten.

Genauso ist es bei Anwendung der Heyse-Regel. Was Sie vielleicht zum Spötteln angeregt hat, sind die scheinbar nur geringen Kosten: "isst" gegen "ißt", "Mess-Strecke" oder Messstrecke gegen "Meßstrecke" - unglaublich unwichtig, das überhaupt einer Erwähnung wert zu finden! Es sind doch nur ein bis zwei Zeichen mehr!
Nur kommt dieser Fall im Deutschen eben sehr häufig vor - es müssen also sehr häufig diese ein bis zwei zusätzlichen Zeichen investiert werden. Macht das ein Schreiber? Sicher dann, wenn diese zusätzliche Investition sich lohnt - und die Vergütung bestünde in verbesserten Ausdrucksmöglichkeiten oder in einer Erleichterung für den Leser - einverstanden?
Bringt die Investition weder verbesserte Ausdrucksmöglichkeiten noch einen Vorteil für den Leser (oder sie bringt ihm gar einen Nachteil), wird sich der Schreiber fragen, wozu er eine solche Investition leisten soll.

Er wird sie leisten, wenn er dazu gezwungen* wird - so heute an den Schulen (oder im vorvorigen Jahrhundert schon einmal an Österreichs Schulen) - oder auch durch Schreibmaschinentastaturen, die kein ß haben - oder eben, wenn das ß ganz abgeschafft würde.

Und wenn der Zwang dann wegfällt? Dann fällt eine "cheuermann"-Regel oder eben auch die Heyse-Regel wieder weg (so wie Ickler es in seinem kürzlichen Leserbrief in der FAZ so schön dargelegt hat).

Zum Schluß: Es geht nicht um erster Linie um die Frage der wie auch immer empfundenen "Schwierigkeit" (diese Frage läßt Sie dann zwei Klassen von "Idioten" erfinden) - es geht um die Sinnhaftigkeit (und das zusätzliche Zeichen in "isst" gegenüber "ißt" trägt keinen zusätzlichen Sinn). Dies ist schlicht eine andere Betrachtungsebene als die sonst von mir seit je betonte - aber beide führen zur gleichen Schlußfolgerung.

Ganz zum Schluß: Herrn Schäbler stimme ich in seiner Schlußfolgerung natürlich zu, nur war der Nobelpreisträger Heyse Enkel und/oder Sohn der/des ss-ß-Heyse(s).


*Eine subtile Form des Zwangs ist, etwas als "modern" zu verkaufen ... dann setzt die Vernunft nämlich aus.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von J.-M. Wagner am 01.04.2004 um 21.21

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (01.04.2004, 12.03 Uhr)
2. Die Adelungsche Erleichterung, nicht zwischen ss und ß unterscheiden zu müssen, ist eine zweifelhafte. Niemand hat es so gut auf den Punkt gebracht wie Herr Beesk: Der Schreiber macht von der „Erleichterung“ keinen Gebrauch, er schreibt „Prozess“, er „wählt“ zwischen s, ß und ss! Er benötigt deshalb die Anti-Verdruss-Massnahme.
Daß man ganz systematisch zur Heyseschreibung gelangen kann, hatte ich in ähnlicher Weise wie Herr Beesk bereits dargestellt – siehe hier. (Diese Beiträge sind unter dem hiesigen Leitthema zu finden, sie befinden sich auf der letzten bzw. vorletzten Seite.) Dort stellte ich bereits Fragen zum Einfluß der Schrifttypenart, die ich – zum Teil – unter „Antiqua versus Fraktur“ zu beantworten versucht habe. Auf die damit zusammenhängenden Fragen der besseren Lesbarkeit bin ich z. B. unter „Vier auf einen Streich“ näher eingegangen. Was davon haben Sie wirklich gelesen, lieber Herr Fleischhauer, so daß sie es mit Fug und Recht als unplausibel bezeichnen wollen würden? Außerdem haben Sie geschrieben:
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (31.03.2004, 10.11 Uhr)
Lieber Herr Wagner,
es ist kaum möglich, gegeneinander abzuwägen. Alle Schreibweisen sind ja unstimmig. Es war auch nie meine Absicht, eine Schreibweise für die bessere zu erklären. Unter anderem deshalb hatte ich mich hier eingeschaltet. Man kann natürlich Vermutungen anstellen. Mit entsprechender Vorsicht. (Ein wenig vorsichtiger sind wir hier auch schon geworden.) So vermute ich ganz vorsichtig: Die Schwierigkeitsunterschiede sind so minimal, dass es kaum lohnen würde, etwa in einem Zeitungsartikel darüber zu berichten.
Warum soll das kaum möglich sein? Stellen meine Überlegungen, auf die ich zuvor verwiesen habe, in Ihren Augen kein vorsichtiges Abwägen dar? Warum?

Ihr Argument mit dem Zeitungsartikel halte ich weniger für ein vorsichtiges Abwägen denn für ein Beispiel eines ungeeigneten Maßstabes: In einer linguistischen Zeitschrift sollte ein entsprechender Artikel durchaus auf Interesse stoßen. Für Herrn Munske hat es sich ja auch gelohnt, seinen Aufsatz zur ck-Trennung zu veröffentlichen – obwohl der enorm fehlerhaft ist, wurde die Trennungsregel geändert.

Sehr bemerkenswert ist allerdings der Vorschlag von Herrn Beesk, ß a priori als eigenen Buchstaben zu lehren und ss als eine zugehörige Variante – üblicherweise macht man es ja gerade andersherum, aber muß man das?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Norbert Schäbler am 01.04.2004 um 20.53

Zunächst möchte ich feststellen, daß in diesem Strang die Leitidee verlorenzugehen droht.

Zweitens erinnere ich an meinen Beitrag „Instrumentalisierung“ in diesem Strang, der ebenfalls im Grenzbereich der Themavorgabe anzusiedeln ist.

Grundaussagen meines Beitrags vom 30.03.04: In langjähriger Unterweisung waren die Schüler der allgemeinbildenden Schulen methodisch, loyal und effektiv ausgerichtet auf die Adelung’sche Rechtschreibung. Den Wechsel von Adelung`scher zu Heyse’scher Rechtschreibung haben allerdings nicht die Schüler, sondern die Kultusminister, zu verantworten.

Folgen:
Die Umstellung per Erlaß zog einen Methodenwechsel nach sich, der wissenschaftlich und methodisch noch nicht vollzogen ist; der allerdings praktisch vollstreckt wird.

Einschätzung:
Wir haben hier einen Sonderfall, bei dem die dumpf und in Verängstigung vollziehende Basis sich über die Freiheit der Wissenschaft erhebt, und wir haben genau aus dieser Konstellation heraus die Sogwirkung, daß die Wissenschaft, der Erfindung (bzw. dem Erlaß) hinterherhinkend, bereit ist, vom Fachlichen her unduldbare Kompromisse zu schließen.

Fachliche Einschätzung:
„Adelung ist Heyse überlegen, selbst wenn Heyse Nobelpreisträger war.“



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nos


eingetragen von J.-M. Wagner am 01.04.2004 um 20.08

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (01.04.2004, 13.21 Uhr)
Lieber Herr Wagner,
Sie wollten doch wissen, welche Argumente ich für nicht plausibel halte. Ich käme wohl aus dem Aufzählen nicht heraus, aber Sie brauchen sich nur einmal die letzten beiden Beiträge anzuschauen. Unglaublich, was hier manchmal in die Waagschale geworfen wird!
Wenn das, was in die Waagschale gelangt, kein Gewicht hat – was macht das? Und sooo abwegig ist das Dreifach-s nicht: Haben Sie die genannten Beispiele (Schlosss, Schlusss, bewussst) mal in eine Suchmaschine eingegeben? Gut, im Verhältis zu den richtigen Schreibungen ist ihre relative Häufigkeit verschwindend gering, und natürlich ist es sehr wahrscheinlich, daß es sich dabei um Tippfehler handelt (zufällig [!] einmal zuviel das s gedrückt) – aber daß sie nicht bemerkt wurden, ist dann doch bemerkenswert.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 01.04.2004 um 19.58

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Schäbler

Spässjen (Reg. Unterfranken)

Nachtrag: Fiesjen (ebd.)
Das ist wirklich die Mehrzahl? Ist die mit der Verkleinerungs- bzw. Verniedlichungsform identisch?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 01.04.2004 um 19.48

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (31.03.2004)
Fest steht dagegen, dass man bei der Schweizer Schreibung aus rein statistischen Gründen nicht so viele Fehler machen kann.
Ich lasse mich gern als pingelig bezeichnen, wenn ich hier nachfrage, wie Sie das genau und konkret meinen: Auf welche Fehlerfälle bezieht sich Ihre statistische Aussage?
Zuletzt antworteten Sie:

Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (01.04.2004, 12.03 Uhr)
Lieber Herr Wagner,
ich habe das Gefühl, Sie wollen, einmal mehr, auf die Verschiedenheit der „Wahlmöglichkeiten“ hinaus: Adelung – ß und s, Heyse – ss, ß und s, Schweiz – ss und s. Meine bekannten Einwände, einmal mehr:
1. Der Schreiber braucht solche Erleichterungen nicht, er kann Volallängen unterscheiden.
2. Die Adelungsche Erleichterung, nicht zwischen ss und ß unterscheiden zu müssen, ist eine zweifelhafte. Niemand hat es so gut auf den Punkt gebracht wie Herr Beesk: Der Schreiber macht von der „Erleichterung“ keinen Gebrauch, er schreibt „Prozess“, er „wählt“ zwischen s, ß und ss! Er benötigt deshalb die Anti-Verdruss-Massnahme. Die Schweizer Schreibung dagegen ist idiotensicher, weil ß nicht vorkommt. Der Schweizer hat eine kleinere „Auswahl“. Und weil es so wenig Idioten gibt, die davon profitieren, ist der statistische Unterschied in der Fehlerhäufigkeit ganz minimal. Vergleicht man die Adelungsche mit der Heyseschen Schreibweise, muss man zwei Mengen von Idioten gegeneinander abwägen: die, die mit der Ligatur nicht umgehen können, und die, die die Aussprache nicht beherrschen. Die letzteren können eigentlich überhaupt nicht schreiben.
Lieber Herr Fleischhauer, ich hatte einfach nachgefragt, was Sie mit Ihrer Aussage gemeint hatten, daß die Schweizer Schreibweise leichter zu schreiben sei. Ich wollte zunächst auf eine klare Antwort von Ihnen hinaus, aber die hatte ich bislang nicht bekommen. Sie meinten also, daß die einzige mit der Schweizer Schreibweise verbundene Fehlermöglichkeit die Verwechslung von s und ss ist. Diese Situation hatten Sie als „narrensicher“ bezeichnet – warum ist sie das?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich richtig verstanden habe, was Sie mit dem „Unterschied in der Fehlerhäufigkeit“ meinen: Meinen Sie, daß die – falls sie sich definieren lassen – für die jeweilige s-Schreibungsregel typischen Fehlerhäufigkeiten sich nur unwesentlich voneinander unterscheiden?

Zitat:
Warum kommt mein Anti-Reform-Argument der Umstellungsschäden hier nicht an? Je länger die Unsicherheiten andauern, desto mehr gewinnt es meines Erachtens an Aktualität. Das war doch vor sieben Jahren nicht abzusehen, wieviele Fehler heute noch gemacht werden.
Wie kommen Sie darauf, daß dieses Argument nicht ankäme? Weil niemand darauf eingeht? Ich habe es bereits explizit für gut befunden (31.03.2004, 00.05 Uhr). Mir scheint es überdies allgemeiner Konsens zu sein, daß die seit geraumer Zeit bestehenden Unsicherheiten ein deutliches Zeichen dafür sind, daß sie eben nicht nur auf Umstellungsschwierigkeiten beruhen.
Zitat:
Man muss aber auch andersherum fragen: Kann man den Leuten „krass“ und „Stress“ wieder abhandeln? Vielleicht ist die Kontamination der Gehirne schon zu weit fortgeschritten.
Das kann man. Wenn die Schulkinder von Anfang an wieder die Adelungsche Schreibweise lernen und auch alle Zeitungen, Zeitschriften etc. sie wieder anwenden, sollte das kein Problem sein. Es wird zwar nicht von heute auf morgen gehen, aber gehen wird es – wie die Reformer selbst argumentiert haben, ist es im wesentlichen eine Frage der Gewohnheit. (Womit die Problematik dieses Arguments erneut zutage tritt: Die Möglichkeit einer Änderung stellt noch keine Begründung bzw. Notwendigkeit dafür dar, vgl. „Die Rechtschreibreform und einige ihrer Argumente“.)
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Norbert Schäbler am 01.04.2004 um 19.14

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
In den Gegenden Deutschlands, in denen die regionaltypische Aussprache Spass lautet – wie spricht man dort die Mehrzahl dieses Wortes aus?
Nachtrag: AUSSPRACHE: Mehrzahl Fuß


Spässjen (Reg. Unterfranken)

Nachtrag: Fiesjen (ebd.)
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nos


eingetragen von J.-M. Wagner am 01.04.2004 um 19.09

In den Gegenden Deutschlands, in denen die regionaltypische Aussprache Spass lautet – wie spricht man dort die Mehrzahl dieses Wortes aus? Und wie ist es damit bei Fuss?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 01.04.2004 um 17.32

Wenn Sie das tatsächlich so verstehen könnten, würden Sie sehen, daß die Heyse-Schreibung auch in diesem Punkt zur übrigen Reform paßt, sehr geehrter Herr Fleischhauer: sie ist minderwertig.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von gestur am 01.04.2004 um 17.25

Wenn ich möchte, daß mein Text schnell, zügig, ohne Stocken gelesen und sofort verstanden wird, muß ich mich in die Rolle des Lesers, d. h. des "Kunden" versetzen, der für das Lesen Arbeit und Zeit aufwendet.
Wenn ich nur so schreibe, wie es für mich am bequemsten ist, erreiche ich das nicht.
Deshalb ist es auch so frustrierend, daß gut lesbar geschriebene Texte von anderen Leuten leseunfreundlich verschlechtert werden, nur weil das die neue Rechtschreibung so vorschreibt.
Schüler schreiben nicht für Leser oder Kunden, sondern für ihren Lehrer, und der muß das lesen, ob er will oder nicht.
Entsprechendes gilt für Behörden, dort muß der betroffene Bürger sich durch den Text quälen, ob er will oder nicht.
Im richtigen Leben ist das aber ganz anders. Wenn mein Text zwar der neuen Rechtschreibung entspricht, aber durch sie schwieriger zu lesen ist, wird er eben einfach nicht gelesen.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 01.04.2004 um 16.16

O.k., ich gebe Ihnen recht, lieber Herr Scheuermann. Aber Sie haben noch vergessen, dass durch die vermehrte Grossschreibung Druckerschwärze und durch die neuen Getrenntschreibungen Papier vergeudet wird.


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 01.04.2004 um 14.33

Sehr geehrter Herr Fleischhauer!

Wenn Sie meine heutigen Beiträge als "unglaublich" kennzeichnen (was Sie ja wahrscheinlich nicht als Auszeichnung ansehen), sollten Sie das m.E. schon begründen.
Um es Ihnen möglichst einfach zu machen, werde ich noch ein kleines bißchen genauer.

Zu Schlusss, bewussst etc.: Hätten die Schreiber Schluß und bewußt schreiben wollen, wäre Ihnen das mit gleicher Wahrscheinlichkeit auch passiert? Ich glaube eher nicht. Es liegt m.E. daran, daß man weiß, daß jetzt mehrere s folgen müssen (und dann kommt es halt vor, daß man statt zweimal eben dreimal auf die S-Taste hämmert).

Zum Informationsgehalt von Texten à la Heyse oder à la Adelung: Wenn Sie einen Text von Adelung in Heyse übersetzen, wird er in jedem Falle länger (auch wenn Sie z.B. Messstrecke statt der - besser erkennbaren - Variante Mess-Strecke wählen), weil viele ß durch ss ersetzt werden müssen. Das sind im weitesten (und auch im ganz direkten) Sinne Kosten.

Was gewinnt man dafür? Trägt der "Heyse-Text" mehr Information? Allenfalls eine marginale zur Aussprache für Menschen, die die Wörter, die sie lesen wollen, nicht kennen - und für die (das haben Sie ja wahrscheinlich richtig erkannt, wie man im Umkehrschluß aus einem Ihrer letzten Argumente folgern könnte) ist diese marginale Information dann wirklich nur von äußerst zweifelhaftem Wert.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 01.04.2004 um 11.21

Lieber Herr Wagner,
Sie wollten doch wissen, welche Argumente ich für nicht plausibel halte. Ich käme wohl aus dem Aufzählen nicht heraus, aber Sie brauchen sich nur einmal die letzten beiden Beiträge anzuschauen. Unglaublich, was hier manchmal in die Waagschale geworfen wird!

Etwas anderes.
Die Nachuntersuchung von Harald Marx gibt, wie es aussieht, meiner Auffassung recht. Ich hatte auch schon den Ruf nach empirischen Material vernommen. Ich bin überzeugt davon, dass Herr Marx prominentere Mitglieder dieses Forums nicht so abfertigen würde wie mich. Warum sollte er nicht so freundlich sein, eine internetfähige Version seiner Studie uns zur Verfügung zu stellen?


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 01.04.2004 um 11.04

Könnte es sein, daß auch die obigen Fehlschreibungen Folge der Rechtschreibreform sind (oder aus dem Schweizer Gebrauch resultieren)?
Man muß hin und wieder richtiggehend abzählen, damit einem das einigermaßen sicher nicht unterläuft.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 01.04.2004 um 10.38

Ein angemeldeter Forumsleser geht auf meine Beiträge im Faden "Probleme der ss/ß-Schreibung" (»Grüsse und Küße - Heyse und die Sinnlosigkeit«) und hier (»Die Regel meiner Großmutter«) vom 27.3. per E-Mail ein und macht mich darauf aufmerksam, daß Küße bei Google genauso zu finden sei wie (im Rheinland) die kurze Ausprache von Fussball "just allgemein üblich" sei. Damit sei meine Argumentation "abgehakt".
Ich danke für den Hinweis, folge aber nicht der Schlußfolgerung.
Es stimmt: Auf deutschen Seiten (".de") findet man über Google 140.000 Belege für Küsse, aber auch 751 für Küße. Diese Belege stammen z.T. aus sehr alten Texten, beweisen aber natürlich die schiere Existenz von Küße. Allerdings handelt es sich wirklich um eine verschwindend kleine Minorität: 99,5% der Belege entfallen auf Küsse - das ist damit auch die eindeutig durchgesetzte Schreibweise.

Ob Rheinländer in Fussball Fuss kurz sprechen, ist im Zusammenhang unserer Diskussion hier nur insofern wichtig, als diejenigen Rheinländer, die bereits firm in Heyse sind, Fuß in Fußball jetzt lang sprechen, weil Heyse es so vorsieht. Das wiederum kann ich mir nicht vorstellen (wie die Bayern auch Spaß nicht lang sprechen).

Ich habe eine andere Argumentationsebene gesucht und habe Regeln einfach mal ausgeblendet. Noch ein Beispiel dazu:

"Er isst" <--> "Er ißt"

Auch diese beiden Schreibweisen trifft man heute häufig an. Die linke erfordert ein Zeichen mehr, dieses zusätzliche Zeichen trägt aber keinen merklichen Informationswert ("geht gegen Null"). Ein (kleiner) Informationswert wäre gegeben, wenn eine nennenswerte Zahl von Sprachnutzern im rechten Falle das i lang sprechen würde (weil ihm ja ein ß folgt). Das habe ich aber noch nie* gehört. Als Schreibender muß ich also im linken Falle mehr "arbeiten" - mit dem Ergebnis, daß das Produkt meiner Bemühung noch (minimal) langsamer zu erfassen ist (ein Zeichen mehr).

Die linke Variante ist demnach schreib- und lese-unökonomisch. Die rechte Variante ist - umgekehrt - schreib- und lese-ökonomischer und von daher zu bevorzugen (wenn einem das Zeichen ß überhaupt zur Verfügung steht).


* Das ist natürlich nicht gleichbedeutend mit der vollständigen Nichtexistenz einer solchen Spielform.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 01.04.2004 um 10.03

Lieber Herr Wagner,
ich habe das Gefühl, Sie wollen, einmal mehr, auf die Verschiedenheit der „Wahlmöglichkeiten“ hinaus: Adelung – ß und s, Heyse – ss, ß und s, Schweiz – ss und s. Meine bekannten Einwände, einmal mehr:
1. Der Schreiber braucht solche Erleichterungen nicht, er kann Volallängen unterscheiden.
2. Die Adelungsche Erleichterung, nicht zwischen ss und ß unterscheiden zu müssen, ist eine zweifelhafte. Niemand hat es so gut auf den Punkt gebracht wie Herr Beesk: Der Schreiber macht von der „Erleichterung“ keinen Gebrauch, er schreibt „Prozess“, er „wählt“ zwischen s, ß und ss! Er benötigt deshalb die Anti-Verdruss-Massnahme. Die Schweizer Schreibung dagegen ist idiotensicher, weil ß nicht vorkommt. Der Schweizer hat eine kleinere „Auswahl“. Und weil es so wenig Idioten gibt, die davon profitieren, ist der statistische Unterschied in der Fehlerhäufigkeit ganz minimal. Vergleicht man die Adelungsche mit der Heyseschen Schreibweise, muss man zwei Mengen von Idioten gegeneinander abwägen: die, die mit der Ligatur nicht umgehen können, und die, die die Aussprache nicht beherrschen. Die letzteren können eigentlich überhaupt nicht schreiben.

Warum kommt mein Anti-Reform-Argument der Umstellungsschäden hier nicht an? Je länger die Unsicherheiten andauern, desto mehr gewinnt es meines Erachtens an Aktualität. Das war doch vor sieben Jahren nicht abzusehen, wieviele Fehler heute noch gemacht werden.
Man muss aber auch andersherum fragen: Kann man den Leuten „krass“ und „Stress“ wieder abhandeln? Vielleicht ist die Kontamination der Gehirne schon zu weit fortgeschritten.


eingetragen von J.-M. Wagner am 31.03.2004 um 20.27

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (31.03.2004)
Fest steht dagegen, dass man bei der Schweizer Schreibung aus rein statistischen Gründen nicht so viele Fehler machen kann.
Ich lasse mich gern als pingelig bezeichnen, wenn ich hier nachfrage, wie Sie das genau und konkret meinen: Auf welche Fehlerfälle bezieht sich Ihre statistische Aussage?

Mir persönlich fällt das Lesen der bisherigen Schreibweise am leichtesten. Warum wollen Sie das wissen? Es besagt nichts.
Warum sollte es nichts besagen? Es besagt immerhin das, was für Sie persönlich gilt. – Ich wollte mit dieser Frage darauf hinaus, daß es bei einer orthographischen Betrachtung der s-Schreibung nicht nur um das Schreiben gehen kann, sondern auch um das Lesen gehen muß. Das kommt mir in dieser Diskussion zu kurz.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von gestur am 31.03.2004 um 13.37

sind Ableitungen von der Grundform; sie sind sächlich, oft im Gegensatz zur Grundform.
Bei Verben kommt man nicht darum herum, die Stammformen zu kennen: "Sie kannte die Kante."
(Das nur zur Ergänzung, nicht als Kritik)


eingetragen von Norbert Schäbler am 31.03.2004 um 12.35

Lieber Herr Fleischhauer!

Sie sprechen davon, daß die Doppelkonsonanten traditionell falsch unterrichtet werden.
Das finde ich höchst interessant. Ich selbst nämlich vermisse eindeutige Richtlinien und methodische Vorschläge aus der wissenschaftlichen Etage. Dort oben scheint der „phonetische Dunstkreis“ fröhliche Urständ zu feiern.

Schaue ich mir gegenwärtige Lehrpläne an – hier besonders die methodischen Vorschläge – dann erkenne ich, daß mein einstiges Repertoire an Methodenvielfalt doch deutlich zurechtgestutzt worden ist. Methodische Vorschläge zur Behandlung des jeweiligen Rechtschreibfalles werden im bayerischen Lehrplan 2003 nur noch aus der „phonetischen Ecke“ eingebracht.

Für mich dagegen bedeutet "Sachanalyse" ein ganzheitliches Durchdringen des Lehrgegenstandes.
Dem Bereich der Konsonantenverdopplung nähere ich mich in erster Linie denkend, ordnend, schlußfolgernd. Dazu gehören sprachmotorische und akustische Übungen als notwendig durchzuführende Methoden. Über allem aber steht die Einsicht; d.h. die von verschiedenen Sinnen zustande gebrachte Erkenntnis:

Echte Konsonantenverdopplung ist eine Untergruppe im Gesamtbereich der Schärfung.
„Kante, Falte, Kanne, Falle“, das sind nur einige wenige Beispiele, die exemplarisch abgehandelt werden können.
„Ecke, Stukkateur, Pizza, sitzen, Kuß“ ... sind weitere Beispiele, die exemplarisch für Sonderfälle der Rechtschreibung stehen.

Keinesfalls kommt man in der Behandlung der Rechtschreibfälle darum herum, das Umfeld der Verdopplungen zu studieren. Hier sind zuvorderst die Ableitungen zu nennen. Um echte Verdopplung zu erkennen, ist es nötig, ein Wort zu finden, bei dem hinter der Konsonantengruppe ein Selbstlaut auftaucht.
Bsp.: „Kännchen“ wird abgeleitet zu „Kanne“, „Fall“ wird zu „Fälle“, „Kuß“ wird zu „Küsse“.
(Wenn man diese Wörter abgeleitet hat, dann funktioniert z.B. die "Klatschregel"/in der Grundschule verfügen wir über hervorragende Rhythmus- und Bewegungsübungen -

„Ableitungen bilden können“, ist im übrigen ein überaus wichtiges instrumentales Lernziel, das es durch Visualisierung (Hervorheben des Buchstabenumfeldes mit bunter Farbkreide etc.) abzusichern gilt.
Auch ist es wichtig, den Blickwinkel, wie auch den Methodeneinsatz häufig zu wechseln! (Zum Thema Blickwinkel habe ich in meinen gestrigen Beiträgen unter dem Gesichtspunkt der „Trennregeln“ einiges ausgesagt).

Ich behaupte: In den allgemeinbildenden Schulen ist es relativ leicht, die instrumentale Lernzielgruppe zu verwirklichen.
Und ich versichere, daß jedem Schüler bis zum Jahre 1996 das entsprechende handwerkliche Rüstzeug vermittelt wurde, um der Adelung`schen Schreibung gerecht werden zu können.
„Deinstrumentalisierung“ im doppelten Wortsinn (Wechsel der darstellenden „Instrumente“, Beseitigung und Vernachlässigung bekannter instrumentaler Fertigkeiten) ist ein doppelter Schritt zurück!

Gespannt bin ich auf Ihre Argumentation, daß die Konsonantenverdopplung in den Schulen falsch vermittelt werde. Offensichtlich meinen Sie die gegenwärtige Unterweisung!


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nos


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 31.03.2004 um 08.11

Lieber Herr Wagner,
es ist kaum möglich, gegeneinander abzuwägen. Alle Schreibweisen sind ja unstimmig. Es war auch nie meine Absicht, eine Schreibweise für die bessere zu erklären. Unter anderem deshalb hatte ich mich hier eingeschaltet. Man kann natürlich Vermutungen anstellen. Mit entsprechender Vorsicht. (Ein wenig vorsichtiger sind wir hier auch schon geworden.) So vermute ich ganz vorsichtig: Die Schwierigkeitsunterschiede sind so minimal, dass es kaum lohnen würde, etwa in einem Zeitungsartikel darüber zu berichten.

Das "Problem" der Adelungschen Schreibweise liegt in der graphischen Form von ß. Sähe es anders aus, würde man es vielleicht genauso ins Silbengelenk setzen wie die ck-"Ligatur". Und dann hätten wir im Prinzip die Schweizer Schreibweise! Herr Wrase bräuchte dann nicht zu "wählen", und die GEW-Vertreterin Demmer hätte auch ihren Frieden: Faß wie Fäßer.
Allerdings glaube ich nicht, dass der Schreiber überhaupt "wählt".
Fest steht dagegen, dass man bei der Schweizer Schreibung aus rein statistischen Gründen nicht so viele Fehler machen kann. (Es ist übrigens viel schwerer, zu ermitteln, wieviele "Fehler" man beim Lesen macht.)

Mir persönlich fällt das Lesen der bisherigen Schreibweise am leichtesten. Warum wollen Sie das wissen? Es besagt nichts.


eingetragen von Reinhard Markner am 30.03.2004 um 22.52

Leichter zu tippen und zu schreiben ist die Schweizer Schreibweise sicher nicht, aber Herr Fleischhauer meint es wohl nicht so wörtlich.
Zu Herrn Wagner : Zu ergänzen ist noch sz im Anlaut (relevant wegen Schlußszene). Ich erinnere außerdem an die Ausnahme von der 3-Buchstaben-Regel, die in der Schweiz im Hinblick auf das ss galt (wurde schon einmal erwähnt).


eingetragen von J.-M. Wagner am 30.03.2004 um 22.05

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (30.03.2004)
Lieber Herr Wagner,
die Schweizer Schreibweise ist leichter zu schreiben.
Weshalb? Weil es wegen des nicht benutzten ß nur zwei Möglichkeiten gibt, einen s-Laut zu notieren (s oder ss) – meinen Sie das?

Aber die objektive Erleichterung wird durch Gewohnheit völlig überspielt. [...] Beim Lesen mag das auch eine Rolle spielen. Fragen Sie mal einen Schweizer, welche Schreibung er besser lesen kann!
Gute Frage, werde ich mal stichprobenweise machen. – Unabhängig davon: Welche Schreibweise finden Sie denn am leichtesten zu lesen?

Wenn ich sage: die Umstellung auf Heyse braucht 50 Jahre, meine ich damit auch: Zurückrudern, noch ist es möglich! Keine Änderung der Reform greift so weit in den Kernwortschatz ein wie die neue ss-Regelung.
Gutes Argument! – Auf alles andere gehe ich später ein, wenn Sie geantwortet haben...
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 30.03.2004 um 20.22

Lieber Herr Wagner,
die Schweizer Schreibweise ist leichter zu schreiben. Aber die objektive Erleichterung wird durch Gewohnheit völlig überspielt. Ich merke das selbst, muss meine Beiträge daraufhin durchsehen, ob ich nicht versehentlich auf die ß-Taste gekommen bin. Beim Lesen mag das auch eine Rolle spielen. Fragen Sie mal einen Schweizer, welche Schreibung er besser lesen kann! Wenn ich sage: die Umstellung auf Heyse braucht 50 Jahre, meine ich damit auch: Zurückrudern, noch ist es möglich! Keine Änderung der Reform greift so weit in den Kernwortschatz ein wie die neue ss-Regelung. Ich hatte ein englisches Beispiel bemüht: "Can not" wäre fraglos systematischer als "cannot". Wenn man hier reformiert, wird es zunächst jedoch schwieriger. Das fest ins die Gehirnwindungen Eingebrannte wäre plötzlich falsch. Gerade das Englische zeigt, wie unwichtig orthographische Regeln im Kernwortschatz sind. Der Englischlerner scheitert nicht an der Orthographie, sondern an der Idiomatik, dem Vokabelreichtum, den Satzbauplänen usw. Das visuelle Gedächtnis des Menschen ist im Normalfall recht gut ausgeprägt.

Ich bin genau wie Sie der Meinung, dass die Entscheidung der Reformer für Heyse die neue Dreifachkonsonanten-Regel nach sich gezogen hat. Wenn schon, denn schon! Wie sollte man sonst auf die Idee kommen, "Brennnessel" und "helllicht" zu schreiben?

Zu dem Thema "wenn früher ß stand..." - ich verstehe nicht, welche Verwechselungsmöglichkeit mit s Sie meinenn. Es geht doch gerade nicht ums s. Erklären Sie doch noch einmal, was Sie meinen. Ihren letzten Absatz finde ich sehr spekulativ. Wenn ich es richtig verstehe, wollen Sie darauf hinaus, dass man zwar die bisherige Schreibung allmählich vergisst, aber immer noch von ihr "ausgeht". Ich würde hier eher von Umstellungsschwierigkeiten reden. Man merkt sich zunächst eine ziemlich dumme Regel ("Wo bisher ß stand...") und hat dann ein Problem, wenn man auf die bessere Regel (Stammschreibung) umstellt. Das Phänomen der Übergeneralisierung finde ich ausgesprochen schwer zu verstehen. Vielleicht spielt so etwas wie Angst eine Rolle. Man macht "einen Bogen" um das ß. Man will einer Fahrrinne ausweichen, schlägt zu weit ein und landet in der nächsten - dem Schweizer ss. Wahrscheinlich wird die Heyse-Regel auch falsch unterrichtet. Allerdings werden Doppelkonsonanten traditionell falsch unterrichtet. Das Problem besteht eben schon darin, dass man jetzt nach Regeln und nicht mehr intuitiv schreibt. Für das alles kann aber Heyse nichts.


eingetragen von J.-M. Wagner am 30.03.2004 um 17.30

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von gestur (30.03.2004)
Bei der Häufigkeit von Dreifachkonsonanten steht aber das sss jetzt mit sehr großem Abstand an der Spitze, und deswegen fällt es so oft auf.
Im Leitthema „Buchstaben und Laute“ (28.03.2004):
Der Buchstabe s steht im Silbenanlaut für das stimmhafte [z], wenn er nicht zu einem ss im Silbengelenk gehört.
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (20.03.2004)
Meines Erachtens gibt es Überlegenheit nur in dieser Hinsicht: Adelung kennt kein sss.
Der Unterschied zwischen dem s und den anderen Konsonantenbuchstaben ist ja, daß jene – außer bei Auslautverhärtung – ihren Lautwert in Zusammensetzungen beibehalten, das s aber in ganz verschiedenen Funktionen auftreten kann. Deshalb stellt es in der herkömmlichen Rechtschreibung kein Problem dar, einen Konsonantenbuchstaben einzusparen, wenn ein Nicht-s-Laut-Konsonant bei einer Zusammensetzung in eine Silbengelenkposition gerät: Brennessel statt Brennnessel. Beim s ergibt sich keine Einsparung, da zum einen der nicht auf Verhärtung beruhende Wortausgang auf einen scharfen s-Laut mit ß notiert wird, zum anderen ein scharfer s-Anlaut nur in Kombination mit einem anderen Konsonanten auftritt (siehe unten), und in diesem Fall wird generell kein Buchstabe weggelassen.

Beim s ist der Wechsel von einem Wortausgang auf ß (Heyse: ss) zu einem Silbenanfang mit einem für das stimmhafte [z] stehenden s (Beispiel: genußsüchtig [Heyse: genusssüchtig]) nur eine derartige Möglichkeit neben anderen: Das s kann auch Teil von sh, sp, st oder sch sein, was zur Häufigkeit von sss beiträgt. Im Prinzip muß man hier auch die (z. T. nur in Fremdwörtern vorkommenden) Kombinationen sf, sg, sk, sl, sm, sn (Nachtrag: sz – danke für den Hinweis!) anführen, weil sie zu einer „Anlautverhärtung“ des s führen (Beispiele: Sforzato, Sgraffito, Skat, Slaven, Smear [Musik], Snob; Nachtrag: Szene). In allen diesen Fällen führt die Heysesche Schreibweise bei Zusammensetzungen zu einer Dreifachschreibung des s, bei der natürlich keines davon eingespart werden kann – selbst wenn, wie in Schlusssatz, nur ein s-Laut zu hören ist. (Nachtrag: Dies ist die in der Schweiz schon vor der Reform geltende Ausnahme von der Drei-Buchstaben-Regel.)

Aus systematischen Gründen bietet es sich daher an, zusammen mit der Heyseschreibung auch die allgemeine Dreifachschreibung von Konsonantenbuchstaben einzuführen. Das bedeutet umgekehrt, daß eine Argumentation gegen das eine automatisch auch das andere in Frage stelt. Eine ähnliche Kopplung gibt es zwischen der Nichttrennung von ck und der Abtrennbarkeit von Einzelvokalbuchstaben am Wortanfang. Natürlich raten die Reformer davon ab, davon Gebrauch zu machen – wenn man denn eine Wahl hat, was aber bei A-cker, E-cke, i-cke (Berlinerisch für „ich“), o-cker etc. offenbar nicht der Fall ist. Schafft man die Abtrennbarkeit der Einzelvokalbuchstaben ab, muß auch die Nichttrennbarkeit von ck dran glauben – nicht wahr?

– geändert durch J.-M. Wagner am 31.03.2004, 17.05 –
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 30.03.2004 um 14.36

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (30.03.2004)
Hallo gestur,
ich finde es völlig in Ordnung, wenn man diejenige Schreibweise bevorzugt, die man für die hübscheste hält. Warum immer nur an Fehler denken? Die leichteste Schreibweise ist ohnehin die schweizerische.
In welchem Sinne ist sie das? Ist sie am leichtesten zu lesen oder am leichtesten zu schreiben?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 30.03.2004 um 14.34

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (25.03.2004)
Wenn man eine Vermutung aussprechen will, wie andere sich dabei behelfen, die Heysesche Schreibung umzusetzen, sollte man m.E. auch nicht zu sehr an Regeln denken. Es geht auch intuitiv: Fuß wie Füße, Fass wie Fässer usw. (An den gebeugten Formen sieht man, dass auch bisher nach Aussprachekriterien geschrieben wurde.) Die Unterscheidung am Silbenschluss ist ganz systematisch und auch in anderen Fällen erforderlich: komm! wie: kommen, kam wie: (wir) kamen. Manche sagen auch: ss bei kurzem Vokal, wenn früher ß stand.
Solange man sich darauf beschränkt, den Wechsel zwischen ss und ß zu betrachten (wie Sie es an Ihrem Beispiel „Fuß wie Füße, Fass wie Fässer“ demonstrieren), kommt man natürlich zu dem Schluß, daß dieser ganz systematisch ist. Sobald man dabei aber in dem Schema denkt, das Sie zuletzt angegeben haben (Manche sagen auch: ss bei kurzem Vokal, wenn früher ß stand.), macht man zwei Fehler: Man geht von der herkömmlichen Schreibweise aus, und man ignoriert dabei die Verwechslungsmöglichkeit mit s. – Halten Sie das für aus den Fingern gesaugt?

Nach dem von Ihnen angegebenen Schema („wenn früher ß stand“) zu denken, ist natürlich für Umlerner die naheliegendste Möglichkeit. Weil das auf diese Weise – die, wie Sie richtig schreiben, irgendwann intuitiv funktioniert – auch zuverlässig klappt, kann das dazu verleiten, diesen Eindruck zu übergeneralisieren und die Heysesche Schreibweise insgesamt für recht problemlos zu halten. Konsequenzen: siehe oben. – Halten Sie auch das für aus den Fingern gesaugt?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 30.03.2004 um 14.16

Hallo gestur,
ich finde es völlig in Ordnung, wenn man diejenige Schreibweise bevorzugt, die man für die hübscheste hält. Warum immer nur an Fehler denken? Die leichteste Schreibweise ist ohnehin die schweizerische.


eingetragen von gestur am 30.03.2004 um 09.57

Lieber Herr Fleischhauer,
Sie haben völlig recht, daß man die Mehrzahlprobe immer dann braucht, wenn man sich wegen der Auslautverhärtung nicht sicher ist, ob dort ein stimmhafter oder stimmloser Konsonant stehen muß und ob das Stammprinzip Doppelkonsonanten verlangt.
Und Herr Beesk hat völlig recht, daß die bisherige ß-Regel nach kurzen Vokalen nur nötig ist, weil sie eine Ausnahme von der sonstigen Konsonantenverdopplung darstellt.

Bei der Häufigkeit von Dreifachkonsonanten steht aber das sss jetzt mit sehr großem Abstand an der Spitze, und deswegen fällt es so oft auf.

Ich halte ganz allgemein diejenige Schreibweise für die beste, die im Rahmen der Grammatikregeln und ohne Wörtervernichtung die wenigsten Fehler verursacht. Die neue Schreibweise verursacht auch nach 7 Jahren trotz Wörtervernichtung immer noch mehr Fehler als die alte, weil die neuen Regeln zu Übergeneralisierung verführen und immer noch die wenigsten Anwender sie wirklich beherrschen. Regeln, die zu kompliziert sind, erschweren das Schreiben.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 30.03.2004 um 06.55

Herr Beesk antwortet zwar nicht treffend auf gestur, aber was er zu unserem "einfachen" Merkvers schreibt, ist goldrichtig. Erfrischend, so etwas einmal hier zu lesen!
Die Darstellung des ß als Einzelbuchstaben ist in der Adelungschen Schreibung nicht möglich und in der Heyseschen m.E. zu radikal: es käme einer Gehirnwäsche gleich.
Zu gestur: Bei der Probe Fuß/Füße geht es nicht um die Vokallänge, sondern um die Stimmhaftigkeit des Konsonanten: Fuß/Füße aber Los/Lose.


eingetragen von Theodor Ickler am 30.03.2004 um 04.04

Daß die Schlußbuchstabigkeit (Verdruß) innerhalb des Deutschen eine Ausnahme darstellt, bedarf keines Beweises. Sie mußte also besonders gelernt werden. Aber ich meine, daß das kein großes Problem war. Und tatsächlich kamen unter erwachsenen Schreibern, z. B. auch in Zeitungen, so gut wie keine Fehler mehr vor, sehr im Gegensatz zu anderen Schwierigkeiten des Deutschen, die von der Reform nicht berührt werden (Branntwein, verwandt, Gebaren, Grieß). Darf man noch einmal daran erinnern, daß die Reformer lange Zeit nicht daran dachten, die Heysesche Schreibung einzuführen?

(Beim Sichten diverser Dokumente bin ich gerade auch noch einmal auf ihre Polemik gegen die vermehrte Großschreibung gestoßen. Wenig später haben sie sie eingeführt und als große Tat gefeiert. Aber eben erst, als es mit der Kleinschreibung endgültig nichts wurde. Überhaupt lassen sich fast alle Argumente gegen die jetzige Reform schon bei den Reformern selbst nachlesen. Am Ende war ihnen jede Änderung recht, um der Änderung selbst willen.)
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Th. Ickler


eingetragen von Martin Beesk am 29.03.2004 um 23.05

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von gestur
Das Stammprinzip oder die Mehrzahlprobe "Fuß wie Füße" ist eigentlich ein Zirkelschluß, weil es voraussetzt, zu wissen, daß "Füße" wegen des langen "ü" mit ß geschrieben wird. Insofern ist es ein Denk-Umweg, der beim Diktat-Schreiben wertvolle Zeit kostet. Die frühere Einfach-Regel "ss am (Silben-)Schluß bringt Verdruß" war schneller und erforderte so gut wie keine Überlegung. Das Schreiben sollte durch die neue Regel doch eigentlich erleichtert und schneller werden.
Den Merkvers "ss am (Silben-)Schluß bringt Verdruß" anzuführen, scheint mir eher kontraproduktiv, wenn man die Meinung vertritt, die alte ß-Schreibung sei einfacher lernbar und weniger fehlerträchtig gewesen. Denn die Existenz dieses Merkverses zeigt ja gerade, daß man nach nicht-reformierter Rechtschreibung anscheinend immer wieder versucht war und ist, in bestimmten Fällen ss statt ß am (Silben-)Ende zu schreiben - sonst wäre er ja nicht nötig gewesen. (Und dieser Merkvers ist zweifelsohne viel älter als die durch die Reform gestiftete Verwirrung.) Und welche bestimmten Fälle sind das? Doch wohl die, in denen man auch bei anderen Konsonanten die doppelte Schreibung erwartet: Schuss wie Schutt, isst wie trifft (aber wie traf), krass wie baff usw. (Man braucht sich da gar nicht bewusst machen, daß das etwas mit der Vokallänge davor oder mit einer verwandten Form mit Silbengelenk zu tun hat; es reicht, sich auf sein intuitives Wissen zu verlassen, das man vom Gebrauch der anderen Konsonantenbuchstaben hat!) "ss am (Silben-)Schluß bringt Verdruß" ist also eine zusätzliche, die allgemeinen Regeln für Konsonanten einschränkende Merkregel. "Fuß wie Füße" ist dagegen keine zusätzliche Regel, sondern beschreibt einfach das Grundmuster, nach dem alle Konsonantenbuchstaben (natürlich mit Ausnahmen wie dem Buchstaben x) funktionieren: Fuß wie Hut, Füße wie Hüte.
Daß trotzdem häufiger fälschlich *Fuss als *Hutt geschrieben wird, hat m.E. neben dem Umlernen durch die Reform einen reformunabhängigen Grund (auch vor der Reform war dieser Fehler bei ß häufiger als z.B. bei t): ß wurde und wird leider nicht als eigenständiger Buchstabe gelehrt (und ss als seine doppelte Darstellung) - wie ich ähnlich auch schon an anderer Stelle ausgeführt habe -, sondern immer irgendwie als Sonderform von ss. Das verwirrt unnötig und verstärkt die Tendenz, ß als überflüssigen Buchstaben zu empfinden. Auch die Reformer haben das nicht kapiert und durch ihre Regelformulierungen die Verwirrung ums ß noch verstärkt.
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Martin Beesk, Berlin


eingetragen von gestur am 28.03.2004 um 10.53

Die Stammschreibung gilt nur innerhalb des Gültigkeitsbereichs einer "Stammform". Das betrifft die Mehrzahlbildung durch Ablaut und die starke Beugung von Verben mit unterschiedlichen Stämmen für Präsens, Perfekt und Partizip II.


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 28.03.2004 um 09.43

Sehr geehrter Herr Fleischhauer!

Ich sehe, wo das Problem liegt!
Wir diskutieren hier über eine lebendige Sprache, deren Regeln sich mit ihrer Entwicklung ausbilden. Diese Regelbildung vollzieht sich a priori unsichtbar; man kann sich einen Menschen durchaus vorstellen, der eine Sprache beherrscht, aber keine ihrer Regeln zu benennen vermöchte. Es ist auch leicht vorstellbar, daß diese Regeln noch von niemandem formuliert worden sind (oder, wenn doch, unvollständig oder ungenau, hölzern). Obwohl die Formulierung einer Regel zweifellos Einfluß auf die weitere Sprachentwicklung nehmen kann - und ihr damit ein normativer Charakter zuwachsen mag - sind Regeln und formulierte Regeln nicht gleich. Im günstigsten Falle bilden die Regelformulierungen die Regeln ab.
Regelformulierungen können aber auch aus der schieren Lust an Regelformulierungen erwachsen; wenn ich dafür bezahlt werde, kann ich im Regelformulieren sogar eine hehre Verpflichtung sehen.
Die Heyses hatten als Schulleute am Regelformulieren wahrscheinlich Spaß (jedenfalls wünsche ich ihnen das). Völlig losgelöst von tatsächlichen Anforderungen der Sprache haben sie eine Regel formuliert, mit deren Hilfe der Deutschschreibende entscheiden konnte, wann er "ss" und wann er "ß" zu schreiben hätte. Diese Regel bildete die Schreibwirklichkeit zwar nur höchst unvollkommen an, aber sie war einfach erklärbar. Also wurde sie einmal offiziell eingeführt.
Meine Großmutter wurde etwa um diese Zeit herum geboren. Im Greisenalter erklärte sie mir (der ich noch gar nicht in der Schule war) die Anwendung des Eszett mit dem Kriterium der Unauftrennbarkeit (was Sie, Herr Fleischhauer, schon einmal als originellen Gedanken bezeichnet haben). Wenn man dieses Kriterium übernimmt, fällt der allergrößte Teil scharfsinniger Erläuterungen zu Heyse oder Adelung unter den Tisch; Freunde des Regelformulierens werden das naturgemäß bedauern. Als Ersatz können vielleicht allgemeine Erörterungen dienen: Schriftsprache folgt der Sprache; spezifische Regelformulierungen für die Schriftsprache sind gegenüber Regelformulierungen für die Sprache nachrangig; sparsame Regelformulierungen sind besser als umfängliche; das wichtigste Kriterium für Regelformulierungen für die Schriftsprache ist, daß sie zu einem Schriftbild führen, das möglichst mühelos erkennen läßt, was der Schreiber im Sinn hatte.
Das sind furchtbar simple Gemeinplätze - und doch wurden und werden sie von den Urhebern der Rechtschreibreform nicht geteilt - wieso nicht? Die Antworten finden sich in Icklers Büchern und natürlich auch auf diesen Seiten, vielleicht nur noch nicht konzise kompiliert. Das Standardmotiv für menschliches Handeln ist GAM* - das wird auch bei den Reformern nicht anders sein.


*Geld, Ansehen, Macht

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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 28.03.2004 um 07.33

Es gibt Bereiche, da setzt ich die Stammschreibung über Aussprache hinweg: Rad, Räder. In anderen jedoch ändert sich das Schriftbild: komme, kam; bei Heyse: schoss, schießen. Ich sehe nicht, wo das Problem ist.


eingetragen von Theodor Ickler am 28.03.2004 um 06.44

Wie ich schon seit Jahren klarzustellen versuche, ist es nicht möglich, die Ausssprache und das Stammprinzip gleichzeitig für die s-Schreibung anzuführen. Das Stammprinzip besagt, daß trotz unterschiedlicher Aussprache gleich geschrieben wird, es würde daher Schuß/schießen, aber auch geschoßen fordern - falls man das ß als Buchstaben wie jeden anderen und nicht als positionsbedingte Ligatur ansieht. Oder alles umgekehrt mit ss, das läuft ja auf dasselbe hinaus. Wie ich seinerzeit als Augen- und Ohrenzeuge berichtete, fiel die GEW-Vertreterin Demmer auf diesen Fehler herein und verkündete vor dem Bundesverfassungsgericht ihre Zufriedenheit darüber, daß nun endlich Schuss und schiessen gleich geschrieben würden. Schräg hinter mir stöhnten Mentrup und Augst vernehmlich auf.
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Th. Ickler


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 27.03.2004 um 18.07

Sehr geehrter Herr Fleischhauer,

Sie empfinden als aus den Fingern gesaugt,
daß die Schreibweise Fussball keinen anderen Nachteil hat als den, weder Heyse noch Adelung zu entsprechen?
Es ist leicht zu schreiben und leicht zu lesen, auch Mißverständnisse sind praktisch ausgeschlossen.
Da auch ganz offenkundig niemand auf die Idee kommt, in Fussball Fuss kurz zu sprechen (weil irgendwann irgendjemand mal eine Regel formuliert hat, aus der das im Umkehrschluß zu folgern sein könnte), gibt es mit Fussball also kein ernsthaftes Problem.

Google findet knapp 2 Millionen "Seiten aus Deutschland" mit dem Suchbefehl "Fussball -Fußball" und etwa 2,5 Millionen Seiten mit dem Befehl "Fußball -Fussball". Das ist ein empirischer Befund, jedenfalls keine Spekulation.

Ich vermute, daß das auch schon vor der Rechtschreibreform von vielen nachlässig gehandhabt wurde; aber ich vermute eben auch, wenn man den Einsatz des ß dort zu verbieten versucht, wo es ganz besonders sinnvoll ist - zum Beispiel am Schluß, dann wird automatisch die Motivation geschwächt, es dort einzusetzen, wo man ohne nennenswerten Verlust darauf verzichten kann.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von gestur am 25.03.2004 um 18.22

Das Stammprinzip oder die Mehrzahlprobe "Fuß wie Füße" ist eigentlich ein Zirkelschluß, weil es voraussetzt, zu wissen, daß "Füße" wegen des langen "ü" mit ß geschrieben wird. Insofern ist es ein Denk-Umweg, der beim Diktat-Schreiben wertvolle Zeit kostet. Die frühere Einfach-Regel "ss am (Silben-)Schluß bringt Verdruß" war schneller und erforderte so gut wie keine Überlegung. Das Schreiben sollte durch die neue Regel doch eigentlich erleichtert und schneller werden.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 25.03.2004 um 17.45

Lieber Herr Wagner,
mit dem Umlernen haben Sie mich richtig verstanden. Das mit dem Konditionieren hatte ich sehr fahrlässig formuliert. Lernen ist natürlich Konditionieren... Stänige Wiederholung, Automatisierung - darauf wollte ich hinaus. Ich weiss einfach keine bessere Erklärung für die vielen Fehler, die noch gemacht werden. Wahrscheinlich wird das Umlernen auch nicht ernstgenommen und mit nur wenig Eifer betrieben. Gerade die Befürworter sagen ja oft, dass die Reform "nicht weit genug" geht, und sehen womöglich in der neuen Rechtschreibung nur einen Zwischenzustand.
Wenn man eine Vermutung aussprechen will, wie andere sich dabei behelfen, die Heysesche Schreibung umzusetzen, sollte man m.E. auch nicht zu sehr an Regeln denken. Es geht auch intuitiv: Fuß wie Füße, Fass wie Fässer usw. (An den gebeugten Formen sieht man, dass auch bisher nach Aussprachekriterien geschrieben wurde.) Die Unterscheidung am Silbenschluss ist ganz systematisch und auch in anderen Fällen erforderlich: komm! wie: kommen, kam wie: (wir) kamen. Manche sagen auch: ss bei kurzem Vokal, wenn früher ß stand.
Die Unsystematik der Adelungschen Schreibweise, oben angedeutet, nach Kürschner auch die Vermengung von sz und ss, kann man als Nachteil sehen, muss man aber nicht. Schliesslich sind alle Schreibweisen unsystematisch, die kein eigenes Zeichen für das scharfe s haben. Wir sollten jede Schreibweise zunächst wohlwollend betrachten, bevor wir dann alle gegegeneinander ausspielen. Mich hat erschrocken, welche Empörung ich mir "einhandelte". Ein weiteres Problem der Adelungschen Schreibweise waren immer lateinische und englische Eindeutschungen (z.B. lat. Regreß, im Englischen vor allem Substantive auf -ness). Sicher, wenn man die einfache Regel beherrschte, ss am Schluss... Aber: Warum soll hier nur die Regel zählen, nicht die Praxis? Bei Heyse wird dann gern andersherum argumentiert. Das ist unfair.


eingetragen von J.-M. Wagner am 24.03.2004 um 21.35

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir uns, was die Überlegenheit der Adelungschen Schreibweise betrifft, zu viele Argumente einfach aus den Fingern saugen. Meines Erachtens gibt es Überlegenheit nur in dieser Hinsicht: Adelung kennt kein sss.
Ich bin der Meinung, daß man sich da gar nicht viel aus den Fingern zu saugen braucht, wenn man nur genau genug beobachtet und beide Schreibweisen, die Adelungsche und die Heysesche, unter einer Reihe verschiedener Kriterien einander gegenüberstellt.
Zitat:
Grundsätzlich ist auch das Adelung-ß eine Behelfsschreibung. (Wie kann man eigentlich auf die Idee kommen, eine Schlussligatur mitten ins Wort zu setzen? „Muße“, „reißen“ – dilettantisch!) Sie hat ihre ganz eigenen Nachteile; das wird auf diesen „Kampfseiten“ gern verschwiegen.
Wie gesagt, ich bin auf Ihre Argumente neugierig. Erläutern Sie sie doch am besten unter einem separaten, noch zu eröffnenden Leitthema „Zu den Nachteilen der Adelungschen s-Schreibung“. Na, wie steht's damit?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 24.03.2004 um 21.26

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Was die schlechte Darstellung des amtlichen Regelwerks betrifft: Kaum jemand dürfte sie kennen, und man kann sie deshalb nicht für die häufigen Fehler verantwortlich machen.
Prinzipiell haben Sie natürlich recht: Etwas, das weitgehend unbekannt ist, kann nicht für weit verbreitete Fehler verantwortlich sein.

Damit erhebt sich aber die Frage, in welcher Form denn die Heysesche Regel allgemein verbreitet ist; haben Sie einen Vorschlag, wovon man realistischerweise ausgehen sollte?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 24.03.2004 um 21.17

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihr folgendes Argument rich[t]ig verstanden habe:

"Die wollen nur nicht umlernen" - das ist eigentlich unser Argument! Wir haben es nur noch nicht begriffen. Niemand will umlernen, kann umlernen, denn die blinde Sicherheit geht für immer flöten. Der treuherzige Reformanhänger opfert sich eben, für künftige Generationen.
Warum ist das unser Argument? Und wie ordnen Sie dabei den Aspekt ein, daß, sollte sich die Reform durchsetzen, es in ein paar Jahren gar keine Probleme mehr mit Umlernern gibt? Bitte erläutern Sie es nochmal.
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Zum Thema Umlernen: Ich glaube, als ich das erste Mal von der neuen ss-Schreibung las, habe ich eine halbe Minute gebraucht, sie zu begreifen. Wahrscheinlich war mir die Möglichkeit einer solchen Schreibweise schon vorher bewusst. Es liegt ja auf der Hand, dass es sich bei "muß" und "Fuß" um zwei verschiedene Arten von ß handelt (das meine ich jetzt nicht im Sinne von Herrn Kürschner, aber egal). Das Problem liegt gar nicht darin, die neue ss-Regelung zu begreifen. Auch nicht darin, sie anzuwenden. Bei dem hohen Tempo, in dem professionelle Schreiber ihre Texte in die Tasten hauen, ist einfach jede Änderung des Gewohnten ein Problem. Im nachhinein würden sie ihre ss-Fehler schon korrigieren können. Es geht, um es behavioristisch auszudrücken, mehr ums Konditionieren als ums Lernen. Das ist "unser Argument".
Mir scheint, daß mir endlich klar geworden ist, worauf Sie hinauswollen. Ich beschreibe es hier mal etwas ausführlicher und gehe dabei von folgender Aktionskette aus: Die Reform verlangt eine Änderung der ss/ß-Schreibung – Die Reformkritiker erheben dagegen Einwände – Von den Gefolgsleuten der Reform werden die Einwände mit der Bemerkung "Die wollen nur nicht umlernen" abgetan.

Ich habe hierbei absichtlich offengelassen, welcher Art die Einwände sind, weil ich den Fall betrachten will, daß es erst die Replik auf die Einwände ist, die das Argument des Umlernens in die Diskussion einbringt. Das ist wichtig, denn dann kann man folgendermaßen argumentieren: Wenn es schon um das Thema des Umlernens gehen soll (und explizit nicht um das Neulernen) – was aber gar nicht unser Kritikpunkt war – dann muß berücksichtigt werden, daß es ernstzunehmende sachliche Gründe gibt, die gegen das Umlernen sprechen, weil es mit erheblichen Nachteilen für die Umlerner verbunden ist; denn letztlich läuft es bei jenen nicht auf ein Umlernen, sondern ein Umkonditioniertwerden hinaus.

(Was aber macht den Unterschied zwischen umlernen und umkonditioniertwerden aus?)
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Wolfgang Wrase am 24.03.2004 um 06.14

wie ich schon oft erklärt habe, ist die Verwechslung von dass und das deshalb mein "Lieblingsfehler", weil er die größere Schwierigkeit der neuen ss/ß-Schreibung besonders deutlich macht. Meine Angabe, daß ich bei guten Texten mindestens eine Verzehnfachung dieser Verwechslung feststelle (nach der Reform daß -> dass), beruht auf meiner Tätigkeit als Korrektor seit Anbeginn der Reform sowie auf der Erfahrung aus der Lektüre von reformierten Texten. Die beispielhafte Angabe "von 0,3 auf 3 Prozent" habe ich jeweils mit "vielleicht" gekennzeichnet und in Klammern hinzugefügt, daß es (bei solchen Angaben von Größenordnungen) darauf ankomme, wie man "gute Schreiber" definiert. Ich habe mit diesen beispielhaften Zahlenangaben nur auf Ihre Aufforderung reagiert, ich solle erklären, warum der Journalist dasselbe Wort zehnmal richtig und einmal falsch schreibt, obwohl man da gar nichts erklären kann. Ich wollte Ihre "Statistik" in einen sinnvolleren Rahmen bringen.

Es geht hier um eine Verwechslung, und es ist ganz selbstverständlich, daß man Verschiedenes leichter unterscheiden kann und entsprechend bei der Auswahl sicherer zugreifen kann, wenn der Unterschied deutlicher ist. (Das ist keine "Theorie", egal wie man diese nennen möchte, ob "Gestalttheorie" oder anders, sondern eine durch allgemeine Lebenserfahrung überall greifbare Tatsache.) Nicht nur der Anblick, sondern vor allem der Tippvorgang ist bei das und dass wesentlich ähnlicher als bei das und daß. Wenn Sie sich dieser Aussage so "vorurteilsfrei" nähern, wie Sie es von den anderen Diskutanten erbitten, werden Sie das sicherlich feststellen. Somit ist die dauerhafte und deutliche Zunahme dieses Fehlertyps ganz selbstverständlich, wenn man sich nicht Gegenargumente "aus den Fingern saugt", wie Sie das über mich und andere behaupten.

Weiterhin ist es auch ganz selbstverständlich, daß man etwas um so besser unterscheiden kann und wiederum bei der Auswahl weniger Fehler macht, je weniger vielfältig die Auswahl ist. Wir haben nach der Reform mit s, ss und ß zu kämpfen, die Schweizer haben jedoch nur zwischen s und ss zu wählen. Somit können sich die Schweizer bei der ss/ß-Schreibung, die bei ihnen einfach eine ss-Schreibung ist, besser darauf konzentrieren, die richtige Auswahl zwischen das und dass zu treffen. Denn es handelt sich um eine grammatische Prüfung, die zusätzlich zu den grundlegenden Anforderungen der jeweiligen ss/ß-Regelung geleistet werden muß, und diese entfallen in der Schweiz komplett. Aus diesem Grund stimmt Ihre Überlegung nicht, in der Schweiz müßte sich dieselbe Fehlerquote zeigen wie (langfristig) in Deutschland.

Der Deutlichkeit halber noch einmal mein Fazit: Bei der Beurteilung der Schwierigkeit der ss/ß-Regelung muß man mehr in Betracht ziehen als die Frage, wie schwierig die Beurteilung von Vokallängen ist bzw. wie sehr sich die Schreiber schon an diese Aufgabe gewöhnt haben. Darin liegt der Irrtum der Reformer - und Ihr Irrtum bei Ihrer bisherigen Argumentation. Aber auch darin, daß die Reformer und Sie die Schwierigkeit der Vokallängenprüfung bei der ss/ß-Schreibung unterschätzen. Die Argumente sind hier schon oft formuliert worden.

Übrigens bin ich aus einer rein beruflichen Sicht mit der Neuregelung der ss/ß-Schreibung zufrieden, weil mir die enorme Zunahme der Fehler in diesem Bereich mehr Aufträge einbringt und vor allem das Gefühl, gebraucht zu werden. Man fühlt sich gut, wenn man gebraucht wird, und als Korrektor hat man nach der Reform in diesem Feld sehr viel mehr zu tun als früher. So viel, daß ich persönlich nicht darauf angewiesen bin, auf Statistiken aus dem Jahr 2050 zu warten.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 23.03.2004 um 23.12

Lieber Herr Wrase,
ich hatte Sie falsch verstanden - ich dachte, Ihr "Lieblingsfehler" sollte ein Beispiel für das Vokallängenproblem sein. Ich hatte nicht genau gelesen, war aber auch dadurch beirrt, dass Sie von "Gewöhnung an Vokallängen" sprachen. Das ist doch gar nicht meine Theorie! (Kein Wunder, dass Sie sie ablehnen.)
Ihre "Gestalt-Theorie" finde ich nicht überzeugend. Warum ist ss nicht auffällig genug? Müsste man nicht eher die Gestalt des ß kritisieren? - es sieht aus wie ein griechisches Beta! Aber was soll's, über solche Fragen lässt sich einfach schlecht streiten. (Prügel wäre dem Naseweis sicher, der unseren Fraktur-Liebhabern erklärte, das lange s würde sich kaum von f unterscheiden...)
Wie kommen Sie auf 3% bzw. 0,3%? Statistische Daten wären wirklich hilfreich; wir könnten uns viele Diskussionen sparen. Wenn auch die Schweizer "das" zu 3% mit ss schreiben, hätten Sie wohl recht mit Ihrer Theorie.


eingetragen von Wolfgang Wrase am 23.03.2004 um 16.46

Lieber Herr Fleischhauer,

was gibt es da zu erklären? Eine Schwierigkeit besteht ja nicht darin, daß ein Wort immer falsch geschrieben wird, sondern zum Beispiel ist etwas sehr schwierig, wenn es eine Fehlerquote von 10 Prozent gibt, wie von Ihnen beschrieben. (Man geht besser nicht von einem Text von zwei, drei Seiten aus, sondern von großen Textmengen.) Die erklärungsbedürftige Frage ist: Warum war die Fehlerquote bei daß vs. das (bei guten Schreibern) vielleicht 0,3 Prozent, warum ist sie jetzt bei dass vs. das vielleicht auf 3 Prozent gestiegen (je nach Definition von "guten Schreibern")? Da dieselben Aussprache- und Grammatikverhältnisse vorliegen und auch keine Alt/Neu-Verwechslung vorliegt, muß man zu dem Ergebnis kommen, daß es noch andere Faktoren geben muß, die auf die Schwierigkeit der ss/ß-Schreibung Einfluß haben. Ich habe sie unter dem Stichwort "Gestalt der ss/ß-Schreibung" zusammengefaßt.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 23.03.2004 um 16.02

Lieber Herr Wrase,
in der von Ihnen zitierten Nachricht wird der Artikel das einmal falsch und zehnmal richtig geschrieben. Erklären Sie mir das doch einmal! Um Vokallängen kann es hier nicht gehen.
Gerade auf die Verunsicherung des motorischen und visuellen Gedächtnisses, die entsteht, wenn man Schreibgewohnheiten ändert, hatte ich ja hingewiesen. (Wenn Sie das einmal spüren möchten, empfehle ich Ihnen eine Konfrontationstherapie, ganz wie die meinige.) Das mit den 50 Jahren Umstellungsfrist war deshalb auch eine Spitze gegen die Reform.


eingetragen von Wolfgang Wrase am 23.03.2004 um 14.16

Ganz im Geiste des eGovernment, dass dem Bürger die Interaktion mit dem Staat erleichtern soll, hat die Polizei NRW kräftig Hilfestellung geleistet ...

http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,291861,00.html

Wie gesagt, das ist mein "Lieblingsfehler", und ich schätze nach wie vor, daß die Häufigkeit der Verwechslung von daß und das nach der Reform (Verwechslung von dass und das) bei geübten, professionellen Schreibern sich mindestens verzehnfacht hat. Nach der Argumentation von Herrn Fleischhauer dürfte das nicht der Fall sein, vielmehr sollten sich nach seiner reformtreuen Theorie, daß es nur um die Gewöhnung an Vokallängen gehe, ausschließlich Fehler der Sorte daß statt dass ergeben. Die enorme Zunahme der Verwechslung von dass und das zeigt eindeutig, daß die Beherrschung der ss/ß-Schreibung sehr viel mit der Gestalt von ss bzw. ß zu tun hat, daß also die Argumentation von Herrn Fleischhauer einen mangelnden Praxisbezug hat.

Zur Gestalt der ss/ß-Schreibung gehört im weiteren Sinne aber nicht nur die mehr oder weniger gut erkennbare Form des Buchstabens, sondern auch die Gestalt des Wortes bzw. der Silbe. Ein Hinweis darauf, daß eine einfache Regel, die von der Position des s-Lautes ausgeht ("ss am Schluß bringt Verdruß"), sehr wohl die ss/ß-Schreibung vereinfachen kann. Ganz allgemein sind die hohen Fehlerzahlen nach der Reform ein Hinweis darauf, daß die durchgehende Beurteilung der Vokallänge hingegen eine schwierige Sache ist.

Natürlich können wir fünfzig Jahre abwarten, wie es Herr Fleischhauer vorschlägt, bis wir das noch klarer beurteilen können. Dann könnte es jedoch für eine Rückkehr zur einfacheren Schreibung etwas spät sein.


eingetragen von Detlef Lindenthal am 20.03.2004 um 18.01


Theodor Ickler schrieb::
Hier darf man wohl auch an das Gutachten von dem damals noch hier in Erlangen studierenden Thorwald Poschenrieder (und Christian Stang) zur Godesberger Anhörung 1993 erinnern. P. hat später im Sammelband Eroms/Munske das Problem noch einmal sprachgeschichtlich behandelt.
Wir erinnern uns: Genanntes „Gutachten“
„... empfiehlt die Einführung der »modifizierten Großschreibung«“; und es heißt darin außerdem:

„Sehr zu begrüßen ist hingegen der Vorschlag zur Neuregelung ... belämmert, schnäuzen, überschwänglich, Schenke oder Schänke, aufwendig oder aufwändig ... Hier wäre noch ersätzlich neben ersetzlich (wegen Ersatz) zu ergänzen.“
„Grundsätzlich ist es begrüßenswert, daß die neue Darstellung der Laut-Buchstaben-Beziehung von der Aussprache* ausgeht ...“
(*wessen Aussprache? Schtern und Schtain, oder wie? Dann müßte in wie Kinn geschrieben werden und Lärche wie Lerche? 1944 wurden diese Schreibungen vorgeschlagen: Klaun, Kor, Krist und Frase).
„Der Vorschlag ..., grundsätzlich keinen Beistrich zu setzen ..., ist im großen und ganzen begrüßenswert ..., denn eine Vereinfachung ist dringend erforderlich.“
„Gut ist die vorgeschlagene Unauflösbarkeit des ck ...

Mein Vorschlag ist, daß man dies „Gutachten“ mit Vorsicht genießen sollte.
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Reinhard Markner am 20.03.2004 um 16.25

Kürschner : ». . . z. B. missverstehen, vgl. engl. miss- z. B. in missunderstand).«
Selten so gelacht.


eingetragen von Reinhard Markner am 20.03.2004 um 15.33

Die Ausführungen Kürschners sind zum Teil unzutreffend, vor allem die These, daß das ß (in der Fraktur) eine Ligatur von s und z darstelle. Sie beruhen ja auch eingestandenermaßen nicht auf eigenen Forschungen. Richtig sind hingegen die paläographischen Befunde Max Bollwages (»Ist das Eszett ein lateinischer Gastarbeiter? Mutmaßungen eines Typographen«, Gutenberg-Jb. 1999), auf die hier schon verschiedentlich hingewiesen wurde.


eingetragen von Theodor Ickler am 20.03.2004 um 14.32

Hier darf man wohl auch an das Gutachten von dem damals noch hier in Erlangen studierenden Thorwald Poschenrieder (und Christian Stang) zur Godesberger Anhörung 1993 erinnern. P. hat später im Sammelband Eroms/Munske das Problem noch einmal sprachgeschichtlich behandelt.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 20.03.2004 um 09.44

Vielen Dank, lieber Herr Wagner, für den Hinweis auf den Kürschner-Text. Wirklich interessant!
Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir uns, was die Überlegenheit der Adelungschen Schreibweise betrifft, zu viele Argumente einfach aus den Fingern saugen. Meines Erachtens gibt es Überlegenheit nur in dieser Hinsicht: Adelung kennt kein sss.
Was die schlechte Darstellung des amtlichen Regelwerks betrifft: Kaum jemand dürfte sie kennen, und man kann sie deshalb nicht für die häufigen Fehler verantwortlich machen.
Zum Thema Umlernen: Ich glaube, als ich das erste Mal von der neuen ss-Schreibung las, habe ich eine halbe Minute gebraucht, sie zu begreifen. Wahrscheinlich war mir die Möglichkeit einer solchen Schreibweise schon vorher bewusst. Es liegt ja auf der Hand, dass es sich bei "muß" und "Fuß" um zwei verschiedene Arten von ß handelt (das meine ich jetzt nicht im Sinne von Herrn Kürschner, aber egal). Das Problem liegt gar nicht darin, die neue ss-Regelung zu begreifen. Auch nicht darin, sie anzuwenden. Bei dem hohen Tempo, in dem professionelle Schreiber ihre Texte in die Tasten hauen, ist einfach jede Änderung des Gewohnten ein Problem. Im nachhinein würden sie ihre ss-Fehler schon korrigieren können. Es geht, um es behavioristisch auszudrücken, mehr ums Konditionieren als ums Lernen. Das ist "unser Argument".


eingetragen von J.-M. Wagner am 19.03.2004 um 22.38

Zuvor: Ich antworte hier und nicht in der „Sammlung: Probleme der ss/ß-Schreibung“, weil letztere speziell für essayistische Beiträge gedacht ist und dokumentarischen Charakter haben soll. Diskussionen passen deshalb dort nicht hinein.

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Es sind ja nicht nur Blöde, die sagen, die ss-Schreibung sei leicht zu lernen. Im Gegenteil, es sind meistens Leute mit ganz gesundem Verstand. Denen müssten wir schon gute Gegenargumente bieten - sonst besteht Gefahr, dass wir uns der Lächerlichkeit preisgeben.
Diese Argumente haben wir...
Zitat:
Dass die Deutschen zu doof wären, ein Gefühl für Vokallängen zu entwickeln, halte ich jedenfalls für kein gutes Argument. Ich glaube auch nicht, dass die umständliche Darstellung im amtlichen Regelwerk das eigentliche Problem ist, selbst wenn sie Einfluss auf die Schulen haben mag. Offenbar haben wir keine Argumente.
...nur scheinen Sie sie nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Dafür spricht auch meine Erfahrung aus der Diskussion, die man in diesem Leitthema nachlesen kann. – Es kann aber auch sein, daß Sie auf eine ganz und gar andere Herangehensweise hinauswollen; dann würden wir leider immer wieder aneinander vorbeireden...

Zitat:
Grundsätzlich ist auch das Adelung-ß eine Behelfsschreibung. (Wie kann man eigentlich auf die Idee kommen, eine Schlussligatur mitten ins Wort zu setzen? "Muße", "reißen" - dilettantisch!) Sie hat ihre ganz eigenen Nachteile; das wird auf diesen "Kampfseiten" gern verschwiegen.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie einen eigenen Strang zu den Nachteilen der Adelungschen s-Schreibung eröffneten und Ihre Argumente darin erläuterten. Zu den Stichworten „Behelfsschreibung“ und „Schlußligatur“ ist ja bereits woanders etwas gesagt worden (vgl. hier, hier und hier), ich will daher nur noch auf das „mitten ins Wort zu setzen“ eingehen: Genau darüber hatte ich mich auch lange Zeit gewundert, bis ich Prof. Kürschners Anmerkungen über den Zusammenhang mit der Lautverschiebung las (siehe hier).

Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihr folgendes Argument richig verstanden habe:
Zitat:
"Die wollen nur nicht umlernen" - das ist eigentlich unser Argument! Wir haben es nur noch nicht begriffen. Niemand will umlernen, kann umlernen, denn die blinde Sicherheit geht für immer flöten. Der treuherzige Reformanhänger opfert sich eben, für künftige Generationen.
Warum ist das unser Argument? Und wie ordnen Sie dabei den Aspekt ein, daß, sollte sich die Reform durchsetzen, es in ein paar Jahren gar keine Probleme mehr mit Umlernern gibt? Bitte erläutern Sie es nochmal.

Zitat:
Man kann sich eigentlich nur fragen, warum überhaupt geändert wurde. Dann sind wir wieder bei den ganz allgemeinen Argumenten gegen die Rechtschreibreform.
Richtig. Und wenn man konsequent ist, sucht man auch nach Antworten auf diese Frage. Die Begründung von Prof. Gallmann habe ich hier genannt, und (unter anderem) hier habe ich die Vor- und Nachteile von Adelungscher und Heysescher Schreibung gegeneinander abgewogen. Mein Fazit ist, daß sich keine hinreichenden Gründe für die Änderung finden lassen, sondern daß die Vorteile der Adelungschen Regel überwiegen.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von margel am 22.09.2003 um 16.15

Aus dem "Editorial" des Mitteilungsblattes der Apothekerkammer Niedersachsen: "DAS die Unzahl von ...Initiativen...nicht...gefruchtet hat..." - Ja, Frau Präsidentin, es ist schon ein Kreuz mit der neuen Rechtschreibung! (Das kommt von der "Vereinfachung").


eingetragen von J.-M. Wagner am 17.09.2003 um 09.31

Karl-Heinz Büchner (16.09.03, 22:01): »2. Diphtonge sind per definitionem lange Vokale (schau nach im Siebs!!!), deshalb hinter Diphtongen nie ss, sondern immer ß!!« (http://klartext.spd.de/read_v2.php?f=28&i=2216&t=2171)

Ich habe keinen „Siebs“ – ob wohl mal jemand für mich dort nachschauen könnte, ob das wirklich da drinsteht? Und für Kommentare, was von dieser Aussage über Diphthonge zu halten ist, wäre ich auch dankbar.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 10.09.2003 um 08.58

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Lieber Herr Beesk,
die grundsätzliche Möglichkeit der Auflösung von ß zu ss (z.B. Schweizer Schreibung) beweist ja die "abgeschwächte orthographische Relevanz" des ß.
Das beweist garnichts, denn die Abschaffung des ß in der Schweiz war nicht nur eine pragmatische Entscheidung, sondern Herrn Markner zufolge auch eine politische (vgl. hier).

Zitat:
Das Hauptproblem sind eben die in der Tat häufigeren Dreifach-s, die auch bei folgendem Vokal nicht zu ss vereinfacht werden können.
Und was schlagen Sie als Lösung für dieses Problem vor?
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Ich erlaube mir, nochmals darauf hinzuweisen, daß Beispiele in die Beispielsammlung gehören und Diskussionen in das Rechtschreibforum. Deshalb habe ich auch (mal wieder) den Faden gewechselt.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Theo Grunden am 09.09.2003 um 10.23

Auch die Messgeräte selbst sind trotz der alle 2 Jahre fälligen Routinekontrollen nicht vor Manipulationen gefeit, weiß Dietmar Breuer, Leiter des bayerischen Landesamts für Mass und Gewicht.

(NRZ 09.09.2003)


eingetragen von Martin Beesk am 07.09.2003 um 00.39

Ich habe erst jetzt entdeckt, daß es hier ein weiteres Forum mit dem Thema ß/ss-Schreibung gibt. Deshalb habe ich meine Beiträge aus dem Forum>Beispielsammlung über Sinn und Unsinn>ss vs. ß kopiert und hier noch einmal veröffentlicht.
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Martin Beesk, Berlin


eingetragen von Martin Beesk am 07.09.2003 um 00.33

Viele Grüße und vielen Dank noch an Herrn Scheuermann für meine Begrüßung durch ihn hier im Forum am 13.8.03.
Ich habe mir inzwischen einige Gedanken gemacht und will meine Auffassung noch einmal unter anderen, auch den hier diskutierten Aspekten versuchen, deutlich zu machen.
Ich glaube, daß man sich keinen Gefallen tut, wenn man ß immer wieder nur als typografischen Sonderfall (von ss) erklärt. Ich befürchte, daß damit (ungewollt) die weit verbreitete Tendenz unterstützt wird, ß als imgrunde überflüssigen Zie(r)rat der deutschen Rechtschreibung einzustufen (und es dann irgendwann überhaupt nicht mehr zu verwenden). Mir geht es darum, begreiflich zu machen, daß ß auch eine unverzichtbare, weil grundlegende Funktion im (Schrift-)Sprachsystem hat (ß als eindeutiger Repräsentant für den ß-Laut, wie in meinen Beiträgen am 13.8. schon angeschnitten).
Daß ß aus einer Ligatur entstanden ist, finde ich, keine Frage, sprachgeschichtlich eine wichtige Erkenntnis; zeigt sie doch eine der vielfältigen Möglichkeiten, wie aus dem auf 23 Buchstaben begrenzten klassischen lateinischen Alphabet im Laufe der Zeit eine Vielzahl neuer Buchstaben für die Bedürfnisse der Sprachen Europas entstehen konnten (eben durch ursprüngliche Ligaturen wie w, ß oder æ, oder durch Differenzierung der Form wie i/j und u/v, durch Umformungen, wie schon im klassischen Latein selbst G aus C entstanden ist, und die Entwicklung diakritischer Zeichen, wie ö, é, oder einfach durch die Übernahme von Buchstaben aus andern, nicht-lateinischen Alphabeten). Aber man sollte eben nicht ignorieren, daß eine Sprachentwicklung stattgefunden hat und stattfindet: heute haben all diese Zeichen ihre Funktion als eigenständige Buchstaben (ß ist nicht weniger „wirklich“ als w!), haben oft sogar einen eigenen Platz in der alphabetischen Reihenfolge der jeweiligen Sprache bekommen. Da ß im Verhältnis ein relativ junger Buchstabe ist, steckt er noch mitten in der Entwicklung. Wir müssen uns entscheiden, ob wir diese Entwicklung unterstützen oder bremsen wollen! Ich plädiere für ersteres, da ich nicht denselben Fehler machen will, wie ihn die „Reform“ auf der Ebene der Getrennt- und Zusammenschreibung gemacht hat: einer vermeintlich einfachen Beschreibbarkeit wegen die Regeln GEGEN die Tendenzen in der Sprachentwicklung (begrifflich Zusammengehörendes eher zusammenzuschreiben) zu formulieren.
Zur Ligatur-Frage selbst scheint mir die Frage, ob ß eine Ligatur aus langem s und rundem s oder aus langem s und z darstellt, ein wenig müßig. Nach meinem typografischen Wissen (ich arbeite in einem Satzbüro) stimmt aus heutiger Sicht beides! Es gibt Schriften (Schriftarten), in denen ß in der Tat anzusehen ist, daß es aus einem langen s besteht, das mit einem folgenden runden s verbunden ist. Es gibt aber auch Schriften, in denen der zweite Bestandteil eindeutig einem geschwungenem z gleicht oder zumindest ihm eher ähnelt als einem s. Am deutlichsten ist das bei der Schrift, in der (West-)Berliner Straßenschilder gesetzt sind (siehe z.B. das Filmplakat für den neuen Film „Rosenstraße“): das ursprüngliche z im Buchstaben ß sieht exakt genauso aus wie das z in der dort ebenfalls verwendeten Ligatur tz! Auch die Variante (Allograph) des Buchstabens ß wie sie z.B. in dem Buch „Pro und Kontra – Die Rechtschreibreform“ von Eroms/Munske verwendet wurde (ein langes s mit einer Art halbhoher 3) hat von der Form her nichts mit einer Verbindung mit rundem s zu tun.
Daß die Ligatur aus langem und runden s die ältere Variante ist, mag stimmen. Meine These ist aber, daß ß nur deshalb seine Stellung in der deutschen Rechtschreibung erlangen konnte, weil es im Gebrauch in den gebrochenen Schriften (z.B. Fraktur) und den deutschen Schreibschriften (z.B. Sütterlin) gerade nicht mehr als Ligatur aus langem und runden s, sondern aus langem s und z aufgefasßt (!) wurde. Nur so konnte es nämlich problemlos in den verschiedenen Positionen im Wort verwendet werden. ß in Wörtern wie „Füße“, „Straße“, „außen“ zu verwenden, wenn man es als langes und rundes s versteht, widerspräche krasß (!) den Grundsätzen von der Verwendung vom runden s! Rundes s steht nur am Wort- und Silbenende, es darf nie am Silbenanfang, vor Vokalbuchstaben stehen! Deshalb entsprächen nur Schreibungen wie „Fuß“ und „Fluß“ den Regeln fürs runde s. Die Auffassung als langes s plus z fügt sich dagegen gut in das System dieser Schriften ein. Es besteht z.B. auch keine Verwechslungsgefahr mit sz in ohnehin seltenen Fällen wie „faszinierend“, da hier ein rundes s am Ende der ersten Silbe verwendet wird (wobei vor der ersten Rechtschreibreform 1901 dieses Wort sowieso „fascinirend“ geschrieben worden ist). Auf diese Weise konnte in diesen Schriften ja auch die Aussprache von sch und s-ch unterschieden werden.
M.E. würdigt man die Sprachgeschichte besser, wenn man den Buchstaben ß heute als eigenen Buchstaben (mit einer spannenden Geschichte) lehrt und ihn, falls man ihn ersetzen musß (!) und solange sich noch kein GRO$BUCHSTABE durchgesetzt hat, als sz wiedergibt (das hat sich auch in unserem Satzbüro bewährt, weil so viel weniger Verwechslungsmöglichkeiten bei der Schreibung von Autorennamen am Rechner bestehen als bei der Verwendung von ss). (Zum Thema ß als Großbuchstabe übrigens ein int’ressanter Link: http://www.typeforum.de/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=158. Es gibt/gab also schon wirklich verwendete Entwürfe für ein typografisch-echtes großes ß! – und das beim Duden selbst!)
P.S.: Die von mir hier verwendete Schreibung mit sß soll nur ein (augenzwinkernder) Vorschlag zur Güte sein. Eine echte Synthese aus den beiden gegensätzlichen Streitlagern der Frage „Nußschale“ oder „Nussschale“! „Nusßschale“ bewahrt die Schlusßbuchstabigkeit UND macht gleichzeitig die Kürze des Vokals deutlich – was will der Leser mehr (für den wir ja schreiben)?!



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Martin Beesk, Berlin


eingetragen von Martin Beesk am 07.09.2003 um 00.31

Meiner Meinung nach ist das Grundproblem aller Umgangsschwierigkeiten mit ß das Phänomen, daß es nicht (in seiner Funktion) als gleichwertiger Buchstabe wahrgenommen und gebraucht wird. Nach meiner Beobachtung gibt es eine fatale Tradition der Regelbeschreibung für die ß-Schreibung, die sich in so gut wie allen Beschreibungen der "alten" wie der "neuen" Rechtschreibung findet und so gut wie nie hinterfragt wird: ß wird immer wieder als Sonderfall von ss innerhalb der sog. s-Schreibung beschrieben und problematisiert. Immer wieder wird dazu behauptet, daß die Darstellung der "s-Laute" besonders kompliziert sei - eine "sich selbst erfüllende Prophezeiung"! Kein Wunder, wenn die ß-Schreibung dann bei vielen als schwierig, als Sonderfall oder gar als überflüssig gilt. Es wäre vieles einfacher, wenn ß von Anfang an in der Schule als Konsonantenbuchstabe in einer Reihe mit f, k, p und t (in Abgrenzung zu ihren "stimmhaften" bzw. "schwächer artikulierten" Entsprechungen s, w, b und d) gelehrt würde. Dann dürfte es auch in Süddeutschland keine größeren Schwierigkeiten mit ß und s geben als beispielsweise mit p und b, die ja lautlich genauso verwechselbar sind. (Überhaupt ist diese süddt. Ausspracheigenart, s- und ß-Laut nicht unterscheiden zu können, kein Argument für ss anstelle von ß, denn bei "Fliesen" - "fliessen" würde das Rechtschreibproblem ja weiterhin bestehen.) Die Schüler wüssten dann: es gibt ein ß, das steht in der Regel für den "ß-Laut", es gibt ein s, das steht für den "s-Laut", genau wie p für den "p-Laut" und b für den "b-Laut". ß ist dann der Normalfall, ss die besondere Form zur Darstellung des ß-Lautes nach Kurzvokalen bzw. am Silbengelenk. (Daß der ß-Laut auch durch s dargestellt werden kann [z.B. "Kiste", "das"], ist ein davon zu unterscheidender Fall, der so ähnlich auch bei anderen Konsonanten vorkommen kann [z.B. bei b statt p in "Erbse", "ab"].) Etwas ganz anderes ist das typografiegeschichtliche Wissen darum, daß ß ursprünglich (und in vielen Schriften bis heute) eine Ligatur ist. Nicht anders als z.B. das w (ebenfalls in vielen Schriften auch heute noch)! Trotzdem findet es heute niemand "einfacher", vv (oder uu) statt w zu verwenden. Das w als eigenständigen Buchstaben einzustufen (aufgrund seiner Funktion, nicht aufgrund seiner Form!), hat man sich inzwischen eben gewöhnt.
Typografische Geschichte und Funktion im gegenwärtigen Schriftsystem sollten also sauber auseinandergehalten (und dann vernünftig in Beziehung gesetzt) werden.
Daß ß nicht in allen Positionen des Wortes vorkommt und man ihm außerdem auch die Funktion "Schlußbuchstabigkeit" zuordnen kann, ist kein Gegenargument. Auch j kommt nur in bestimmten Positionen vor (in der Regel nur am Wortanfang oder allgemeiner nur vor Vokalbuchstaben) und hatte ursprünglich die typografische Funktion eben den Wortanfang zu markieren (als typografische Variante der Buchstabens i) - und gilt heute ebenso als eigenständiger Buchstabe!
Bei dieser Betrachtungsweise klärt sich auch, warum oft der Fehler "heissen" gemacht wird. Die traditionelle Regelformulierungen sagen, daß ß "nur nach Langvokalen (und Diphthongen)", so auch die Neuregelung, und, so außerdem die alte Regelung, "außerdem am Wortende und vor Konsonanten" verwendet werden darf/soll (unausgesprochen: "anstelle von ss"). "Diphthonge" sind als Sache naturgemäß schwerer zu begreifen und so bleibt nur hängen, daß ß nur verwendet werden soll, um etwas bestimmtes (die Vokallänge oder die "Schlußbuchstabigkeit") zu kennzeichnen/eindeutig zu machen. ss wird dann konsequenterweise immer verwendet, wenn die Aussprache nicht uneindeutig wird, also auch in "heissen" und sogar "fliessen" (Vokallänge ist hier eindeutig wegen ie).
Deshalb wird meines Erachtens bei der Regelformulierung nur umgekehrt ein guter Schuh draus: ss darf (wie alle Doppelkonsonantenbuchstaben!) nur nach einzelnem Kurzvokal gebraucht werden (nach alter Regelung ergänzend: wenn ein weiterer Vokalbuchstabe folgt), ansonsten ist der Normalfall ß zu verwenden (oder unter bestimmten Bedingungen s)!


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Martin Beesk, Berlin


eingetragen von Peter Schubert am 13.08.2003 um 18.32

Na denn, viel Spass noch.


eingetragen von Jörg Metes am 13.08.2003 um 17.31


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Jörg Metes


eingetragen von J.-M. Wagner am 13.08.2003 um 17.10

Spass
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 13.08.2003 um 11.10

Lieber Herr Schäbler, betrachten Sie meine Kritik an der Adelungschen Schreibung doch bitte nicht als "vernichtende" Kritik.
Lieber Herr Wagner, können wir uns nicht einmal auf die wesentlichen Punkte beschränken? Soll ich ihre zeilenweisen Kommentare auch noch zeilenweise kommentieren? (Bitte kommentieren Sie jetzt nicht diese Zeilen.)
Drei Dinge:
1. Meine Rede von der "Ligaturauflösung" sollte die Sache vereinfachen. Man kann natürlich auch sagen: "Die Ligatur ß ist, wenn auch abgeleitet von ss, der Normalfall. Verzichtet wird auf die Ligatur in folgenden Fällen..."
2. Man muß sich nicht unbedingt an der Regeldarstellung der Reformer orientieren. Das Heysesche ss ist ohnehin älter.
3. Zur Besonderheit der s-Stammschreibung:
kneife, kneifst, kneifen ...
(Einzelkonsonant im Stamm mit Langvokal)
kniff, kniffst, kniffen ...
(Doppelkonsonant im Stamm mit Kurzvokal)
fließe, fließt, fließen ...
(DOPPELkonsonant im Stamm mit LANGvokal)
floß, flossen
(Doppelkonsonant im Stamm mit Kurzvokal)
Auf den Begriff Stamm könnte in meiner Darstellung auch verzichtet werden. Alles läßt sich auch durch Vokallängen beschreiben. ß würde demnach "aufgelöst" nach kurzem Vokal. Dazu zwei Bemerkungen:
-Vokallängen bereiten dem Schreiber keine Schwierigkeiten. (Geben Sie doch bitte ein Gegenbeispiel!)
-Wenn man die Heysesche Regel NICHT stammorientiert anwendet, sehe ich keine Fehleranfälligkeit mehr.


eingetragen von Norbert Schäbler am 12.08.2003 um 20.44

Lieber Herr Fleischhauer!

Verstehe ich Sie richtig, daß Sie unter anderem wegen der Schwierigkeiten fremdsprachiger Begriffe (wellness, fitness, etc.) einen Haken an der Adelungischen Schreibung entdecken?
Und darf ich Ihren Gedanken einmal zu Ende denken?
Sollten wir tatsächlich unser riesiges Potential (resp. Potenzial) an „ß-Wörtern“, das durch einige wenige Anglizismen gefährdet erscheint, zugunsten dieser verschwindend kleinen Minderheiten vernachlässigen?
Das hieße doch: das Kinde mit dem Bade ausschütten!

Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt. Wäre es nicht möglich, diese Wörter einfach zu übernehmen, sie originär zu schreiben und in diesem Falle eine Alternativschreibung zuzulassen.

Das muß dann natürlich von oben her verordnet werden, damit sich das nach unten hin durchspricht, und nicht ähnliches passiert, wie mir damals auf der Mittelstufe des Gymnasiums.
Damals schrieb ich bei irgendeiner Übersetzung „Großbrittanien“ (ich kam von diesem great Brittain nicht weg). Mein gestrenger Lehrer kreidete mir dafür gleich einen Doppelfehler an, was mich eine ganze Notenstufe kostete.
In der deutschen Übersetzung hätte ich nämlich „Großbritannien“ schreiben müssen.



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nos


eingetragen von J.-M. Wagner am 12.08.2003 um 20.09

(Alle Zitate ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer)

Zitat:
Die Verlegung der Diskussion auf einen anderen Thread - zumal einen ganz unpassenden - macht die Sache nicht überschaubarer.
Warum ist dieser Strang hier unpassend? Bitte erläutern Sie das – denn in Anbetracht dessen, wie die Heysesche Schreibung im Regelwerk verankert ist und wie sie in der Öffentlichkeit propagiert wird, muß man sich in diesem Zusammenhang, wenn es um die Praxis geht, auf die Vokallänge beziehen.

Zitat:
Sie widerlegen, lieber Herr Wagner, meine Darstellung nicht, sondern halten bloß Ihre entgegen. Ich weiß darum nicht so recht, wo ich ansetzen soll und beschränke mich auf wenige Punkte.
Komisch, den gleichen Eindruck hatte ich von Ihrem letzten Beitrag auch, sagten Sie doch, daß Sie, statt auf Einzelheiten einzugehen, noch einmal eine eigene Darstellung versuchen. Aber manchmal klappt es eben nicht beim ersten Anlauf, und man muß etwas Geduld aufbringen, bis man dazu kommt, daß man wirklich von der gleichen Sache spricht. Also los:

Zitat:
Sie hatten selbst zugegeben, daß in der Fremdwortschreibung - auch in gebildeten Kreisen - Fehler gemacht wurden. Ihre Meinung kann nur sein: Die bisherige Regel wurde nicht genug in die Köpfe eingebimst. Mag sein. Aber fehlerträchtig ist nun einmal fehlerträchtig.
Ich muß mich da evtl. ein wenig korrigieren: Ich kann nicht ausschließen, daß auch vor Einführung der Reform Fehler bei der Fremdwortschreibung unterliefen, mir sind keine aufgefallen. Ich bin mir aber sicher, daß die Verunsicherung seit der Einführung der Reform zugenommen hat. Andererseits vermute ich, daß die Fehleranfälligkeit bei Wörtern wie Streßsituation deutlich geringer ist (bzw. war).

Ja, man kann aus meinen Aussagen den Schluß ziehen, daß ich vermute, daß die herkömmliche Regel den Schreibern nicht präsent genug war. Man sollte aber darüberhinaus bedenken, wie die bisherige Regel funktioniert bzw. wie in diesem Fall der Merkspruch aussieht ("ss" am Schluß bringt Verdruß) und wie sich unter dieser Voraussetzung die Chancen dafür darstellen, daß eine Verbesserung der Rechtschreibleistung erreicht werden kann. Dies setzt – und damit sind wir bei den im Parallelstrang diskutierten Anfordeungen an Rechtschreibregeln – eine einfache Regel voraus, die gut lernbar ist und bei der Anwendung keine Schwierigkeiten bereitet.

Die Frage ist letztlich, was man unter „fehlerträchtig“ versteht bzw. auf welcher Ebene man das ansiedelt. Ich übertreibe mal: Ist nicht letztlich jede Rechtschreibregel fehlerträchtig, einfach, weil man immer einen Fehler machen kann? Klar, hier ging es darum, daß man sich etwa durch die englische Schreibung stress verunsichern läßt, und die Verunsicherung mach die Fehlerträchtigkeit aus. Aber wir müssen doch zwischen (mindestens) zwei Ebenen unterscheiden: Die eine ist, wie – sozusagen abstrakt gesehen – nach den jeweiligen Regeln "ss" und "ß" verteilt sind. Hierbei meine ich nur die Schreibungen der Wörter an sich und nicht die Regeln selbst, d. h. es geht mir um das, was ein Blick in ein entsprechendes Wörterverzeichnis liefern würde. Die andere ist, wie diese Schreibungen in praktische Regeln gekleidet werden, wie sie etwa in den Paragraphen 2, 4, 5, 23 und 25 der Neuregelung zu finden sind (diese tragen alle zur s-Schreibung nach der Neuregelung bei).

Verstehen Sie jetzt, worauf ich mit den beiden Ebenen hinauswill? Für meine Begriffe gibt es zum einen „die Adelungsche bzw. Heysesche Schreibung an sich“, zum anderen gibt es jeweils eine oder mehrere Beschreibungen dafür. Bei letzteren halte ich es zudem für sinnvoll, zwischen der (deskriptiven) Konzeption des A./H.-Schreibungssytems und der praktischen Ausformulierung als (präskriptive) Regel zu unterscheiden.

Sie haben argumentiert, daß man die Heysesche Schreibung (als solche bzw. Ergebnis im Wörterbuch) auch erhalten kann, wenn man nur die Silbengelenkstellung und das Stammprinzip beachtet, und das stimmt ja. Ich würde dies aber auf der Ebene der Konzeption und nicht der praktischen Regel einordnen. Die Frage bleibt also, wenn Fehler gemacht werden, woher diese rühren, und offenbar müssen alle Ebenen betrachtet werden. Mir ist bisher nicht klargeworden, auf welche dieser Ebenen Sie sich jeweils beziehen, wenn Sie eine Aussage zur Fehlerträchtigkeit machen.

Zitat:
Die ganze Argumantation um Vokallänge ist hinfällig.
Auf welcher Ebene? Auf allen?

Zitat:
Der Schreiber hat nicht die geringsten Schwierigkeiten damit. Er schreibt weder "rattfahren" noch "ich kamm".
Es mag ja sein, daß es auch Fälle gibt, in denen vergleichsweise wenig Problem auftreten. Aber muß das schon bedeuten, daß die Vokallänge generell problemlos richtig wiedergegeben wird?

Zitat:
Die Rede davon, daß der Schreiber "wählen" muß zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Konsonantschreibung, überzeugt deshalb nicht.
Diese Bemerkung kann ich nicht zuordnen. Auf welche meiner Äußerungen beziehen Sie sich hier?

Zitat:
Nebenbei: Ein Langvokal wird nicht durch den folgenden Konsonanten angezeigt (also auch nicht durch Heyses ß), sondern durch Dehnungszeichen.
Das ist nicht ganz richtig. Ich zitiere dazu die Neuregelung (Vorbemerkung zu §§ 2–5):
1.2  Besondere Kennzeichnung der kurzen Vokale
Folgen auf einen betonten Vokal innerhalb des Wortstammes – bei Fremdwörtern betrifft dies auch den betonten Wortausgang – zwei verschiedene Konsonanten, so ist der Vokal in der Regel kurz; folgt kein Konsonant, so ist der Vokal in der Regel lang; folgt nur ein Konsonant, so ist der Vokal kurz oder lang. Deshalb beschränkt sich die besondere graphische Kennzeichnung des kurzen Vokals auf den Fall, dass nur ein einzelner Konsonant folgt.
Natürlich gibt es auch die Kennzeichnung durch Dehnungsbuchstaben (Vorbemerkung zu §§ 6–12):
1.3  Besondere Kennzeichnung der langen Vokale
Folgt im Wortstamm auf einen betonten Vokal kein Konsonant, ist er lang. Die regelmäßige Kennzeichnung mit h hat auch die Aufgabe, die Silbenfuge zu markieren, zum Beispiel Kü|he; vgl. § 6. Folgt nur ein Konsonant, so kann der Vokal kurz oder lang sein. Die Länge wird jedoch nur bei einheimischen Wörtern mit [i:] regelmäßig durch ie bezeichnet; vgl. § 1. Ansonsten erfolgt die Kennzeichnung nur ausnahmsweise:

a) in manchen Wörtern vor l, m, n, r mit h; vgl. § 8
b) mit Doppelvokal aa, ee, oo; vgl. § 9
c) mit ih, ieh; § 12.

Zum ß (statt s) nach langem Vokal und Diphthong siehe § 25.
Das bedeutet zwar nicht, daß das Eszett zur Kennzeichnung eines langen Vokals eingesetzt wird; es steht ja, von der Logik her gesehen, nur da: WENN Langvokal vorhanden DANN Eszett möglich (!) – und nicht umgekehrt. Aber gerade diese Umkehrung wird als Vorteil der Heyseschen Schreibung beim Lesen propagiert, und in dieser Umkehrung ist die Zuordnung außerdem eindeutig: WENN Eszett geschrieben DANN Langvokal vorausgehend. (Das Problem der Diphthonge sei hier ausgespart.)

Diese Eindeutigkeit, die man sich auch ohne Kenntnis der Regel anhand der Schreibweisen in einem „Heyseschen Wörterverzeichnis“ durch systematische Beobachtung erschließen kann, sehe ich als mögliche Problemquelle an (ähnlich wie zuvor die Verunsicherung bei der Fremdwortschreibung): Zum einen kann diese Eindeutigkeit dazu verleiten, die Regel auch in der anderen Richtung für eindeutig zu halten (wo aber auch "s" möglich ist), zum anderen kann im Gegenteil die logisch richtige Negation (WENN kein Langvokal vorausgehend DANN kein Eszett schreiben) übergeneralisiert werden, wenn ein Vokal als kurz empfunden wird, der es „eigentlich“ nicht ist, so daß eine Schreibung mit "ß" dem eigenen Sprachempfinden zuwiderlaufen würde (Bsp.: Spass).

Zitat:
Was Ihre "Hierarchie" betrifft: Stammschreibung kommt darin offenbar nicht vor.
Das ist ein guter Einwand; siehe auch Ihr Beispiel rattfahren. Wie gesagt, meine Hierarchie war nur eine Annahme; ich bilde mir nicht ein, auf einen Schlag die kognitiven Prozesse, die beim Schreiben relevant sind, richtig angeben zu können.

Zitat:
Auch bei Adelung muß flektiert werden. Moos wg. Moose, Glas wg. Gläser, Faß wg. Fässer. (Es gibt übrigens Sonderfälle - Partikel: aus/außen, in/innen, Fremdwörter: Bus/Busse, Namen: Cottbus/Cottbusser) Lesen Sie doch mal bei Ickler nach. In seinen Regeln ist es sehr schön erklärt.
Das ist mir alles bestens bewußt, und genau darauf bin ich ja in meinen langen Beiträgen eingegangen (oder etwa nicht genug?). Diese Ausnahmen sind auch der Grund, warum ich dafür plädiere, das Problem bei der s-Schreibung nicht auf die Unterscheidung zwischen "ss" und "ß" zu reduzieren. Was Ickler dazu geschrieben hat, ist mir durchaus geläufig, aber mir ist gerade nicht klar, was Sie genau meinen, daß ich in diesem Zusammenhang nachlesen soll – meinen Sie das, was sich hier und hier findet?

Zitat:
Und: wie können Sie behaupten, das Wörter mit -s in der Diskussion nichts zu suchen haben? Sie gehen doch gerade davon aus, daß man zwischen s, ss und ß "wählt".
Moment mal – hier hatte ich bloß Ihre Behauptung zitiert.

Zitat:
Zur Ligaturauflösung:
Bei Adelung wird die Ligatur im Gelenk aufgelöst: müssen, Fässer,
bei Heyse auch in allen "stammzugehörigen" Formen: muss, musste, Fass. Als stammverschieden gelten: schießen - schossen (ebenso wie kneifen - kniffen). Das hat zur Folge, daß ß nur noch nach langem Vokal steht. (Das heißt aber nicht, das ß den Langvokal markiert.)
Ich kann mich Ihrer Sichtweise der Ligaturauflösung noch nicht so recht anschließen, denn ich habe das „philosophische“ Problem, daß das Wort Ligatur bedeutet, daß etwas verbunden worden ist, und mithin muß der Ausgangszustand der unverbundene sein. Sie nehmen aber die Ligatur zum Ausgangspunkt. Die Rechtfertigung dafür ist mir nicht klargeworden.

Zitat:
Bei Heyse gibt folgendes Problem: Die Stammunterscheidung, die ja an sich nicht schwerfällt (siehe kneifen), wird beim s-Laut sozusagen "typographisch" - per Ligatur - geregelt. Das ist nicht systemgerecht, denn in allen anderen Fällen wird durch Doppelkonsonant/Einzelkonsonant unterschieden. Da es aber nicht plausibel ist, daß ß auf einmal ein Einzelkonsonant sein soll, verselbständigt sich die Auflösung zu ss aufgrund aller möglichen Stämme (fliessen wg flossen). Bei Adelung dagegen werden die Stämme überhaupt nicht unterschieden (ebenfalls ein Systembruch, aber man wird nicht so leicht auf die Idee kommen, fliesen statt fließen zu schreiben). Die Ligaturauflösung ist stellungsbedingt.
Das habe ich nicht verstanden. Können Sie bitte nochmal konkret vorführen, wo sich die s-Laut-Schreibung von allen anderen Konsonanten bezüglich der Stammunterscheidung anders verhält?

Zitat:
Ligaturen sollten mit Stammschreibung überhaupt nichts zu tun haben. In der Regel ist deren "Auflösung" morphembedingt: Ausstellung, Markknochen.
Auch das habe ich nicht verstanden: Was soll eine Zusammensetzung, die zufällig zum Aufeinandertreffen gleicher Konsonanten führt, mit der Auflösung von Ligaturen zu tun haben? – Mir scheint, daß die Themen „Ligatur“ und „Stammschreibung“ noch einmal gründlicher betrachtet werden müssen.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 12.08.2003 um 10.13

Die Verlegung der Diskussion auf einen anderen Thread - zumal einen ganz unpassenden - macht die Sache nicht überschaubarer. Sie widerlegen, lieber Herr Wagner, meine Darstellung nicht, sondern halten bloß Ihre entgegen. Ich weiß darum nicht so recht, wo ich ansetzen soll und beschränke mich auf wenige Punkte.

Sie hatten selbst zugegeben, daß in der Fremdwortschreibung - auch in gebildeten Kreisen - Fehler gemacht wurden. Ihre Meinung kann nur sein: Die bisherige Regel wurde nicht genug in die Köpfe eingebimst. Mag sein. Aber fehlerträchtig ist nun einmal fehlerträchtig.

Die ganze Argumantation um Vokallänge ist hinfällig. Der Schreiber hat nicht die geringsten Schwierigkeiten damit. Er schreibt weder "rattfahren" noch "ich kamm". Die Rede davon, daß der Schreiber "wählen" muß zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Konsonantschreibung, überzeugt deshalb nicht. Nebenbei: Ein Langvokal wird nicht durch den folgenden Konsonanten angezeigt (also auch nicht durch Heyses ß), sondern durch Dehnungszeichen.

Was Ihre "Hierarchie" betrifft: Stammschreibung kommt darin offenbar nicht vor. Auch bei Adelung muß flektiert werden. Moos wg. Moose, Glas wg. Gläser, Faß wg. Fässer. (Es gibt übrigens Sonderfälle - Partikel: aus/außen, in/innen, Fremdwörter: Bus/Busse, Namen: Cottbus/Cottbusser) Lesen Sie doch mal bei Ickler nach. In seinen Regeln ist es sehr schön erklärt. Und: wie können Sie behaupten, das Wörter mit -s in der Diskussion nichts zu suchen haben? Sie gehen doch gerade davon aus, daß man zwischen s, ss und ß "wählt".

Zur Ligaturauflösung:
Bei Adelung wird die Ligatur im Gelenk aufgelöst: müssen, Fässer,
bei Heyse auch in allen "stammzugehörigen" Formen: muss, musste, Fass. Als stammverschieden gelten: schießen - schossen (ebenso wie kneifen - kniffen). Das hat zur Folge, daß ß nur noch nach langem Vokal steht. (Das heißt aber nicht, das ß den Langvokal markiert.)

Bei Heyse gibt folgendes Problem: Die Stammunterscheidung, die ja an sich nicht schwerfällt (siehe kneifen), wird beim s-Laut sozusagen "typographisch" - per Ligatur - geregelt. Das ist nicht systemgerecht, denn in allen anderen Fällen wird durch Doppelkonsonant/Einzelkonsonant unterschieden. Da es aber nicht plausibel ist, daß ß auf einmal ein Einzelkonsonant sein soll, verselbständigt sich die Auflösung zu ss aufgrund aller möglichen Stämme (fliessen wg flossen). Bei Adelung dagegen werden die Stämme überhaupt nicht unterschieden (ebenfalls ein Systembruch, aber man wird nicht so leicht auf die Idee kommen, fliesen statt fließen zu schreiben). Die Ligaturauflösung ist stellungsbedingt.

Ligaturen sollten mit Stammschreibung überhaupt nichts zu tun haben. In der Regel ist deren "Auflösung" morphembedingt: Ausstellung, Markknochen.


eingetragen von J.-M. Wagner am 11.08.2003 um 23.01

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (unter „ss vs. ß“)
Lieber Herr Wagner,
Ihre Beiträge, auf die Sie verweisen, sind ja sehr umfangreich. Ich glaube aber, daß man ganz anders ansetzen muß. Statt auf Einzelheiten einzugehen, versuche ich noch einmal eine eigene Darstellung. Ich werde mich in vielen Dingen wiederholen, aber ich weiß auch nicht genau, worauf sie hinauswollen.
Aber trotz des Umfangs haben Sie meine Beiträge gelesen? – Ich will auf verschiedene Dinge hinaus, unter anderem auf etwas mehr Systematik. Aber bevor sich diese herstellen läßt, müssen wohl noch ein paar Details durchgesprochen werden.

Zitat:
Auch die bisherige Schreibung war fehleranfällig: Delikateßpastete, Streß, kraß.
Auch auf die Gefahr hin, daß Sie sich wiederholen: Warum sehen Sie hier eine Fehleranfälligkeit der herkömmlichen s-Schreibung? Meiner Meinung nach ist ja gerade der Vorteil der Adelungschen Regel, daß man, wenn man sich stur daran hält, auch hier nichts falsch machen kann: Kein Silbengelenk – kein "ss". Zusätzlich hilft der schon oft zitierte Merkspruch: "ss" am Schluß bringt Verdruß.

Zitat:
Es wird immer wieder argumentiert, daß ,Heyse' sich nach der Aussprache richtet. Dabei wird nicht bedacht, daß es mindestens ebenso schwierig ist, die Vokallänge in „Bad“ festzulegen wie in „Spaß“. Es geht ja vor allem darum, in welchen Fällen der Doppelkonsonant ß in ss aufgelöst wird. Da richtet sich auch ,Adelung‘ nach der Aussprache: die Ligatur wird im Silbengelenk aufgelöst („lassen“).
Natürlich richtet sich auch die Adelungsche Regel, wenn man diese praktische Herangehensweise wählt, nach der Aussprache – aber der Aussprache wovon (im Unterschied zur Heyseschen Regel, wenn man, dieser entsprechend, bei dem konkret zu schreibenden Wort die Aussprache prüft)? Ist es nicht so, daß bei Adelung die Aussprache des s-Lautes an sich maßgeblich ist (Silbenfuge vs. Randstellung), bei Heyse dagegen die des vorangehenden Vokals?

Wie gesagt, diese Frage bezieht sich darauf, was gilt, wenn man bei beiden Regeln den Zugang über die Aussprache des direkt betroffenen Wortes wählt. Diese Voraussetzung scheint mir dadurch gerechtfertigt zu sein, weil es der praktischen Herangehensweise am ehesten entspricht. Das Prüfen von Beugungsformen eines Wortes zur Ermittlung seiner Schreibung ist doch in der Praxis erst der zweite Schritt, wenn der erste („Untersuchen“ des direkt betroffenen Wortes) nicht genügend oder keine klare Infomation lieferte.

Zitat:
Und Silbengelenk bedeutet nichts anderes als kurzer Vokal, geschlossene Silbe, Trennbarkeit – alles einerlei.
Ja, eben: Weil Silbengelenk = kurzer Vokal = geschlossene Silbe = Trennbarkeit gilt, ist es ja von Vorteil, sofern man das eine davon „haben“ möchte, ein anderes aber leichter zu „bekommen“ ist, wenn von dieser Erleichterung bei der Regeldefinition bzw. einer praktischen Anwendungsvorschrift für eine Regel Gebrauch gemacht wird. Allgemein gilt, daß bei Vorliegen einer dieser vier Fälle und wenn nur ein Konsonant folgt, der zugehörige Konsonantenbuchstabe verdoppelt wird. Hier will man konkret den Fall des "ss" erschlagen. Nach Heyse achtet man dabei auf die Vokaldauer, nach Adelung auf die Geschlossenheit der Silbe bzw. die Trennbarkeit. Von der Theorie her sind diese Herangehensweisen zwar äquivalent, nicht aber in der Praxis: Die Fehlerquote scheint mir bei Adelung geringer zu sein.

Zitat:
Die Fälle „mies“, „Gras“, „Moos“ usw., gehören überhaupt nicht in die Argumentation. Da hatten Sie mich, glaube ich, auch verstanden. (Meine Beiträge am 23. und 24. 7.)
Ich hatte damals einfach nicht weiter nachgehakt, obwohl ich Ihre Ansicht nicht teile. Ich möchte die Problematik einmal von der ganz praktischen Seite her betrachten und nehme dazu an, daß es eine Hierarchie gibt, nach der bestimmte Kriterien bei der Entscheidung über die Schreibung zum Zuge kommen. Bei der s-Schreibung muß prinzipiell zwischen "s", "ss" und "ß" unterschieden werden, und es ist klar, daß diese Unterscheidung nicht mit einem einzigen Kriterium zu schaffen ist. Wenn als Zugang zu der jeweiligen s-Schreibungsregel – wie es im reformierten Regelwerk ja der Fall ist – der Weg über die Aussprache des konkret betroffenen Wortes genommen wird, bedeutet dies, daß bei einer hierarchischen Herangehensweise anhand der Aussprache zunächst nur eine mehr oder weniger grobe Sortierung zwischen den drei Fällen "s", "ss" und "ß" möglich ist. Bei Heyse läßt sich entscheiden, ob ein Wort in die „Zweituntersuchungskategorie“ "ss"/"s" oder in die Kategorie "ß"/"s" fällt. Bei Adelung dagegen ist an dieser Stelle bereits ein Fall klar erkennbar: Entweder ist es "ss", oder es wird eine Zweituntersuchung auf "ß"/"s" hin nötig.

Nur wenn man von vornherein die Bedingung im Hinterkopf behält, daß es lediglich um eine Entscheidung zwischen "ss" und "ß" geht, haben sämtliche Wörter auf -s nichts in der Diskussion zu suchen. Die Frage ist aber, wie realistisch es ist, dieses Bewußtsein allgemein vorauszusetzen. Adelung hat eben den Vorteil, unempfindlicher zu sein, wenn es daran hapert.

Zitat:
Am interssantesten wäre eigentlich die Frage, ob Heyse kontraintuitiv ist. Das ist mir erst in den letzten Tagen aufgegangen. (Sie haben doch sicher meine Kehrtwende bemerkt!)
Leider habe ich Ihre Kehrtwende nicht richtig bemerkt, weil ich an einigen Stellen ihren Gedankensprüngen nicht ganz folgen konnte. Trotzdem scheint mir die Frage recht interessant zu sein, ob Heyse kontraintuitiv ist. Das zu diskutieren läuft aber darauf hinaus, daß man zunächst andere Dinge noch einmal auf den Punkt bringen muß, nämlich, was man nun genau unter der jeweiligen Regel an sich versteht und welchen Unterschied man evtl. gegenüber einer praktischen Anwendungsvorschrift derselben Regel sieht. Sie hatten ja darauf hingewiesen, daß man auch die Heysesche "ss"/"ß"-Verteilung allein aus der Silbengelenkstellung ermitteln kann. Dazu gehört auch folgende Ihrer Bemerkungen:
Zitat:
Das Problem ist eben der Ligaturstatus des ß – und die überfeine Regelung der Ligaturauflösung bei Heyse.
Das versteht nur jemand, der Ihre spezielle Betrachtungsweise nachvollzogen hat – was bei mir noch nicht ganz der Fall ist. Können Sie das nochmal erläutern?

Zitat:
Zum Vergleich:
kneifen, kniffen, Kniff
Hier geht es ja auch um Vokallängen (Silbengelenke, Öffnungsgrade …) – doch wer macht hier Fehler? (Man beachte übrigens den Diphthong!)
Guter Vergleich! Die entscheidende Frage ist für mich, worum es hier mehr geht: Richtet man sich mehr nach der Vokallänge, nach dem Silbengelenk oder nach dem Öffnungsgrad? Kurz: Warum passieren hier relativ wenig Fehler? Dieser Frage lohnt es sich m. E. nachzugehen.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 07.06.2003 um 17.00

In meinem vorangehenden Beitrag „Re: Liebgewonnene Schreibweisen“ habe ich zu Beginn des Abschnittes IV zwei Verweise auf die Suchfunktion mit falschen Parametern versehen, so daß die Suche ins Leere läuft. Hier wiederhole ich die entsprechende Passage, aber mit korrigierten Aufrufen:

Zudem ist in Fraktur der Unterschied zwischen einer Ligatur aus Lang-s und Rund-s und einer aus Lang-s und "z" nicht allzu groß, so daß es naheliegend ist, in beiden Fällen das gleiche Zeichen zu verwenden (die entsprechenden hierin enthaltenen Verweise auf das „alte Rechtschreibforum“ funktionieren zwar derzeit nicht, jedoch gibt es hier [hoffentlich vollständige] Kopien der entsprechenden Beiträge).
Ich bitte, das Versehen zu entschuldigen, und ich würde mich freuen, auf solche Fehler hingewiesen zu werden.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.05.2003 um 07.44

Zufällig geriet ich an Nietzsche:

Die Feigen fallen von den Bäumen, sie sind gut und süss; und indem sie fallen, reisst ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen Feigen.
[ ... ]
Gott ist eine Muthmaassung; aber ich will, dass euer Muthmaassen nicht weiter reiche, als euer schaffender Wille.
(Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra/ Auf den glückseligen Inseln)

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Sigmar Salzburg


eingetragen von J.-M. Wagner am 11.05.2003 um 11.02

(Nachtrag: Auf Anregung von Herrn Schubert habe ich nachträglich Abschnittsnumerierungen eingefügt, die sich auf die Absätze seines Beitrages beziehen, auf den ich hier eingehe.)

(I)

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Peter Schubert
Sehr geehrter Herr Wagner, wir waren schon einmal weiter als Sie in Ihrem Beitrag vom 5. Mai, 17.06 Uhr. Wir waren uns schon darüber einig geworden, dass im Deutschen bei jeder Silbe feststeht, ob sie lang oder kurz ist. Jetzt kündigen Sie diese Einigkeit auf und kommen mit dem nicht sehr überzeugenden Beispiel "aua" und, in Übereinstimmung mit Frau Philburn, mit dialektalen Abweichungen, und Sie sehen dabei ein Problem.
Wie schön, daß ich mir in Anbetracht Ihres wiederholten Ignorierens von innerlich und äußerlich jeden Kommentar dazu sparen kann, warum wir wie weit sind – einzig interessant dabei ist, in welche Richtung wir schon wie weit gekommen sind...

Aber konkret: Ich wage Ihrer Feststellung zu widersprechen, daß wir uns schon darüber einig geworden waren, daß im Deutschen bei jeder Silbe feststeht, ob sie lang oder kurz ist. Ich hatte geschrieben:
»Bestreiten Sie, dass im Hochdeutschen für jede Silbe festgelegt ist, ob sie lang oder kurz ist?«
Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, daher kann es sich durchaus um ein falsches Urteil handeln, wenn ich sage: Nein, das bestreite ich nicht; ich gehe davon aus, daß es in der Hochsprache einen Standard bezüglich der Silbenlänge (bzw. -kürze) gibt.
(„Antworten und neue Fragen“ [in: „ss vs. ß“], 24.03.2003)
„Die Silbenlänge (bzw. -kürze)“ ist ein „dehnbarer“ Begriff – in meinen Augen läßt er mehr zu als nur die Unterscheidung nach genau zwei Fällen. Wie ich an anderer Stelle erwähnte, gibt es durchaus Silben, die nicht in das einfache lang/kurz-Schema passen: Lamm/Leim/lahm. Sie sehen, ich habe nichts aufgekündigt, sondern meine vagen Aussagen präzisiert. Das Thema der dialektalen Abweichungen ist zudem nicht neu, Sie hatten bloß vor ein paar Wochen, als sich ein von Ihnen so genannter Fachleut in die Diskussion einschaltete, kein Interesse mehr, sie fortzusetzen (es ging damals um »Das ü in "Schüssel"«).
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(II)
P. Schubert:
Ein Problem sehe ich auch dabei nicht. Wenn ein Schüler in einer schriftlichen Arbeit eine regionale Variante verwendet, die in einem nicht ganz unbedeutenden Wörterbuch verzeichnet ist ("Geschoß" lt. Duden), dann hat der Rotstift Ruhe zu bewahren, egal, aus welcher Region der Schüler oder der Lehrer kommt und in welcher Region die Arbeit geschrieben wird. Korrektoren und Zensoren müssen eben auch manchmal nachschlagen.
Hierzu möchte ich in die Runde fragen: Entspricht das der Praxis vor der Rechtschreibreform? Es würde mich wundern; wozu denn wird in dem nicht ganz unbedeutenden Wörterbuch speziell und genau vermerkt, daß bestimmte Schreibweisen nur in bestimmten Regionen/Ländern anzutreffen sind? Und speziell im Fall des Geschoß würde ich mir keine Illusionen machen, daß dies bei einer in einer deutschen Schule angefertigten schriftlichen Arbeit nicht als Fehler gewertet würde.
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(III)
P. Schubert:
Offenbar sehen auch Sie mehrere Arten von Eszetts.
Das ist nicht richtig. Ich habe lediglich gesagt, daß unser heutiges ß rein typographisch verschiedene Ursprünge hat, aber über seine jeweilige Funktion hatte ich bislang nichts gesagt; darüber weiß ich zu wenig. Ich sehe zwei Funktionen, die das Zeichen "ß" hat, und die es dort, wo es steht, immer hat. Daher bin ich mit der Bezeichnung „mehrere Arten von Eszetts“ nicht einverstanden.

P. Schubert:
Noch einmal meine Unterscheidung von echtem und unechtem Eszett: Das echte signalisiert ausnahmslos, dass der Zischlaut stimmlos ist und dass davor ein langer Vokal oder ein Diphthong ist. Man schreibt also "Grüße" und "außer". In diesen Fällen ist das Eszett zwar nicht unverzichtbar (die Schweizer kommen ja auch ganz gut ohne aus), aber sehr sinnvoll; die Aussprache des Wortes ist eindeutig erkennbar.
Ich wage zu behaupten, daß die Schweizer mit dem ß an diesen Stellen (wegen des zuvor diskutierten Prinzips der Verdopplung des Konsonantenbuchstabens nach kurzen betonten Vokalen) wesentlich besser dran wären und man sich also an der Schweizer Schreibweise kein Beispiel nehmen sollte, wenn man bestrebt ist, herauszufinden, was die sinnvollste Variante der s-Schreibung ist. Das Schweizer Beispiel zeigt m. E., daß es zwar im Notfall auch ohne ß gehen würde, aber es zeigt auch, daß es eben der schlechtestmögliche Fall ist.

Ich frage mich, warum das Eszett an dieser Stelle signalisiert, daß ein Diphthong vorausgeht – wenn da ein Diphthong steht, erkenne ich das bereits, bevor ich das "ß" lese. Rein theoretisch können natürlich bei einer Wortzusammensetzung zufällig Vokalbuchstaben zusammenstoßen, die (rein formal) einen Diphthong bilden, aber ist das in der Praxis relevant? – Meines Erachtens zeigt sich hier vielmehr die konsequente Anwendung des Eszetts gemäß seiner beiden Funktionen: Ein Eszett steht a) für einen scharfen s-Laut, der b) nur genau einer Silbe zugeordnet ist. Bei den von Ihnen genannten Beispielen Grüße und außer steht es jeweils als Silbenanlaut, es kann aber auch im Innenlaut (gestreßt, heißt, mußt) oder Auslaut (daß, Fuß, Mißerfolg, Mißstand, mißlich, scheußlich) auftreten.
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(IV)
P. Schubert:
Das unechte Eszett steht nach kurzem Vokal dort, wo in der Fraktur oder der deutschen Handschrift keine zwei langen s und auch keine zwei runden s stehen dürfen.
Daß in Fraktur keine zwei runden s direkt nebeneinander stehen können, ist klar; was aber meinen Sie mit dem Fall, daß keine zwei langen s stehen dürfen? Mit fällt dazu nur das Wortende ein, bei dem das letzte s rund wird, so daß ein Lang- und ein Rund-s unmittelbar nebeneinander stehen.

P. Schubert:
Hier ist das Eszett eine Verlegenheitslösung.
Das stimmt nur, wenn man von vornherein Ihre Auffassung vom „echten Eszett“ zugrundelegt; nur dann kommt man zu der Einschätzung, daß hier ein Eszett als Ersatz für etwas einspringen muß, für das es nicht gedacht ist. Das stimmt aber nicht. Hier handelt es sich um einen der anderen „typographischen Ursprünge“ des Zeichens "ß" – den Fall der Doppel-s-Ligatur. Das gilt nicht nur für die Fraktur, sondern auch für die Antiqua, in der es ebenfalls die lange Form des "s" gab.

Diese typographische Form des ß gehört gerade an eine solche Stelle, und das Eszett ist deshalb an dieser Stelle genauso echt wie an der zuvor beschriebenen. Zudem ist in Fraktur der Unterschied zwischen einer Ligatur aus Lang-s und Rund-s und einer aus Lang-s und "z" nicht allzu groß, so daß es naheliegend ist, in beiden Fällen das gleiche Zeichen zu verwenden (die entsprechenden hierin enthaltenen Verweise auf das „alte Rechtschreibforum“ funktionieren zwar derzeit nicht, jedoch gibt es hier [hoffentlich vollständige] Kopien der entsprechenden Beiträge).

P. Schubert:
Sie [die Verlegenheitslösung] ist obsolet, seitdem kaum noch in Fraktur oder deutscher Handschrift geschrieben wird. Und wer doch noch lieber Fraktur oder deutsch schreibt, kann es ja tun.
Es stimmt zwar, daß sich das Problem, aufeinanderfolgendes Lang-s und Rund-s bzw. Lang-s und normales "z" richtig zu verarzten, heutzutage nicht mehr stellt, weil das Lang-s (leider!) nicht mehr in Gebrauch ist. Der Hintergrund aber, der die Unterscheidung zwischen Lang- und Rund-s sinnvoll macht, nämlich die besondere Kennzeichnung des "s" am Silbenende zwecks besserer Lesbarkeit von Zusammensetzungen, ist nach wie vor gegeben.

Es mag zwar sein, daß dieses Problem heutzutage kaum noch wahrgenommen wird, was aber m. E. hauptsächlich daran liegt, daß bis vor der Rechtschreibreform das Eszett dafür gesorgt hat, daß dieses Problem gar nicht erst auftrat. Das mag eine Erklärung dafür liefern, daß manche, die nun von der Heyseschen Regel angetan sind, als Besonderheit des Eszetts nur noch seine Funktion wahrnehmen, das scharfe s im Silbenanlaut anzuzeigen, wenn die vorhergehende Silbe nicht auf einen Konsonanten endet – was sicherlich eine wichtige Aufgabe ist, aber es ist nicht die einzige! (Mir sind nur zwei Fälle eingefallen, in denen eine mit einem scharfen s anlautende Silbe auf eine konsonantisch auslautende folgt: Wörter vom Typ Wasser oder vom Typ Haxe.)

Wie oben gezeigt, fügt sich diese Aufgabe nahtlos in die allgemeine Funktionsbeschreibung des Eszetts ein, und durch dieselben allgemeinen Funktionen des Eszetts wird das Problem der Silbenrandmarkierung (sowie partiell das der Dreifachbuchstaben, s. u.) gelöst (Ausschusssitzung vs. Ausschußsitzung; Bambusessstäbchen vs. Bambuseßstäbchen; bisschen vs. bißchen; Fresstempel vs. Freßtempel; Messergebnis vs. Meßergebnis; Schlossparkett vs. Schloßparkett). Das ist doch einfach genial: Mittels genau eines Zeichens ("ß") werden auf einen Schlag orthographische, typographische, ästhetische und lesetechnsche Schwierigkeiten systematisch ausgeräumt. Zeigen Sie mir einen anderen Buchstaben/eine andere Schreibweise, der/die so viele Vorteile in sich vereint (und dabei nur, wie es hier der Fall ist, geringfügige Nachteile mit sich bringt).

P. Schubert:
Der Reformduden (22. Aufl. S. 101) empfiehlt für das unechte Eszett die Kombination von lang s + rund s, wofür es übrigens auch in Antiquaschriften des 19. Jh. Vorbilder gibt.
Diese Empfehlung bezieht sich ausdrücklich auf die Rechtschreibreform; sie war in der 20. Auflage (1991) nicht enthalten (S. 74). Dort findet sich unter „a) Das lange s“ das Beispiel Abszeß in Fraktur – mit einer s-z-Ligatur am Schluß. Im 2000er Duden steht (hier mit "f" für das lange "s" zitiert): »[...] Doppel-s im Auslaut sollte im Fraktursatz aus ästhetischen Gründen mit "fs" wiedergegeben werden.« Dem kann ich keinen Glauben schenken, denn zum einen war es jahrelang kein Problem (weder ein orthographisches noch ein ästhetisches), an dieser Stelle das Fraktur-ß zu verwenden, und zum anderen sah Heyse selbst »aus ästhetischen und systematischen Gründen« für die Folge "f"+"s" eine eigene Ligatur vor (zitiert nach: Th. Poschenrieder: „S-Schreibung – Überlieferung oder Reform?“, in „Die Rechtschreibreform – Pro und Kontra“, hrsg. von H.-W. Eroms und H. H. Munske, hier: S. 177).

P. Schubert:
Die reformierte s-Schreibung besteht ausschließlich darin, dass das unechte Eszett durch Doppel-s ersetzt wird.
Das ist schon klar, aber das sagt nichts darüber aus, ob und warum das wirklich sinnvoll ist, denn es ist eine reine Fallbeschreibung. Warum sollte man diese Ersetzung machen?

P. Schubert:
Davon geht die Welt nicht unter.
Das war nix. – Läuft Ihre Auffassung von einem „echten Eszett“ (grob skizziert) darauf hinaus, daß in Wörtern wie Straße, außer nur die Anwendung einer s-z-Ligatur sinnvoll ist und man also erwarten dürfte, daß in der Vergangenheit (besser: in etwa vor der Etablierung der Adelung/Gottschedschen Regel) an dieser Stelle keine Doppel-s-Ligatur verwendet wurde, weder in Fraktur noch in Antiqua? Das spricht den Fall an, um den es in meinem Verständnis der Geschichte des ß am schlechtesten bestellt ist. Ich hatte in diesem Forum bereits vor einiger Zeit nach näheren Informationen dazu gefragt, aber keine Antwort bekommen; und ich war bislang zu beschäftigt, auf eigene Faust Nachforschungen (etwa in der Bibliothek) anzustellen. Darüber würde ich weiterhin gern Genaueres wissen, auch, um in der Diskussion um das „echte/unechte Eszett“ voranzukommen. Interessant ist dabei auch, warum als Ersatz in allen Fällen ein Doppel-s geschrieben werden soll und nicht "sz" (was in ungarischen Texten für den scharfen s-Laut steht).
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(V)
P. Schubert:
Noch ein Wort zum "Kompromissvorschlag" der DASD:
Mit Verlaub, mit welcher Intention haben Sie hier Anführungszweichen verwendet? Als Zitat oder als Andeutung von Zweifel? Da im Originaltitel ein "ß" steht, tendiere ich dazu, Ihnen letzteres zu unterstellen...

P. Schubert:
Der dortige Vorschlag (S. 13), es bei der Heyseschen Schreibung zu belassen, aber zur Vermeidung von drei s bei "Missstand" und "Stresssituation" doch ein ß + s zuzulassen, ist albern. Die Heysesche Schreibung bringt es zwangsläufig mit sich, dass drei s auftreten können.
Wie ich bereits anderenorts geschrieben habe, stellen sich diese drei "s" in Fraktur ganz anders dar als in lang-s-loser Antiqua. Die Heysesche Schreibung wurde für Fraktur konzipiert, wo die Abfolge Lang-s–Rund-s–Lang-s keine Leseprobleme bereitet. Ein dreifaches Rund-s ist dagegen – wie jeder dreifach gesetzte Buchstabe – ein Lesehemmnis. Die partielle Ersetzung durch ein Eszett ist daher sehr sinnvoll und wirkt nur deshalb albern, weil der DASD-Vorschlag damit in sich inkonsistent wird. Die Begründung dafür ist in der Tat albern – mehr noch: Sie ist eine Veralberung des Lesers. Die gesamte Passage lautet:
1.  ß. Die Ersetzung des ß nach Kurzvokalbuchstaben durch ss ist weder systematisch geboten noch ist sie unproblematisch, was das Schreibenlernen betrifft. Sie führt nachweislich dazu, daß die Schüler dazu neigen, nur noch ss zu schreiben. Es finden sich vermehrt Schreibungen vom Typ Landstrasse, Blumenstrauss, d. h. hier tritt ein neuer Rechtschreibfehler auf. Andererseits ist die Ersetzung des ß durch ss gewissermaßen das Herzstück der Reform, sie ist ihr sichtbarster Bestandteil und im großen und ganzen folgerichtig. Wer sie akzeptiert, gibt zu erkennen, daß er die Neuregelung nicht grundsätzlich bekämpft. Das Umgekehrte gilt ebenfalls. Im Interesse einer Beilegung des Streites, zugunsten einer Wiederherstellung des »Rechtschreibfriedens« wird vorgeschlagen, die Änderung zu übernehmen. Es soll nur eine Ausnahme erlaubt sein: in Fällen, wo auf eine mit ss auslaufende Silbe eine andere folgt, die mit s beginnt, kann zur Vermeidung einer Verdreifachung dieses Buchstabens ß geschrieben werden (z. B. Mißstand statt Missstand, Streßsituation statt Stresssituation, vgl. 2).
Das als vorauseilenden Gehorsam zu bezeichnen, wäre noch viel zu milde ausgedrückt; Feigheit vor dem Feind träfe es schon eher, und noch ganz andere Begriffe könnten passend erscheinen – was für eine Versuchung, mal so richtig abzukotzen! Aber letztlich ist hier jedes Wort überflüssig und vergeudet, denn die Krönung der Albernheit des DASD-Kompromißvorschlages ist, daß seine Autoren ihren eigenen Vorschlag nicht ernstnehmen und durchgängig die herkömmliche (Adelung/Gottschedsche) s-Schreibung verwenden. Was sagt das darüber, was die Experten selbst von ihrem Vorschlag halten?

P. Schubert:
Auch in der alten Rechtschreibung kamen drei gleiche Konsonanten hintereinander vor: SCHLOSSSTRASSE, Sauerstoffflasche, Balletttruppe, Schiff-fahrt.
Das letzte ist ein Beispiel für eine Trennung, nicht wahr? Und damit ist auch klar, daß das nichts Überraschendes oder Ungewöhnliches ist, ergibt sich doch das Aufeinandertreffen dreier gleicher Buchstaben ganz zwangsläufig bei Wortzusammensetzungen. Daß in der herkömmlichen Rechtschreibung in den hier angesprochenen Fällen alle Konsonantenbuchstaben geschrieben werden (bzw. ein weggelassener bei der Trennung wieder eingefügt wird), ergibt sich m. E. daraus, daß keine Leseerleichterung resultiert, wenn man einen Buchstaben wegläßt, oder daß sogar eine falsche Lesart möglich wird (Kunststofflasche vs. Kunststoffflasche).

P. Schubert:
Auch davon ging die Welt nicht unter.
Das war wieder nix.

– geändert durch J.-M. Wagner am 18.05.2003, 10.47 –
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.05.2003 um 14.07

Gerade haben wir die japanische Schulfreundin meiner Tochter zu Besuch. Sie ist neun Monate in Deutschland und hatte in Japan schon drei Jahre Deutsch gelernt. Ich fragte sie, wie für sie die vereinfachten chinesischen Schriftzeichen zu lesen seien („oft gar nicht zu erkennen"). Dabei sagte sie unvermittelt: „Das ist wie im Deutschen. Die ß werden immer weniger. Ich finde das soo schade."

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Sigmar Salzburg


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.05.2003 um 12.02

Das Schreibmaschinenzeitalter ist vorbei. Nachdem Rechner vom Westen her den nahen Osten eroberten, erobern sie nun den fernen Osten. Und, jetzt kommt das, worauf es mir ankommt: Wir sind im Begriff, daß die hier gekauften Geräte alle Sprachen beherrschen werden. Mein Rechner, geöffnet von einem Tschechen, wird tschechisch laufen. 65000 Buchstaben, Zahlen, Zeichen haben einen unverwechselbaren Platz bekommen. Die Betriebssysteme kommen nicht mehr durcheinander. Nach hinten geschaut wurden Nur-Großbuchstaben-Rechner für 10000 Mark verkauft. Nach vorne geschaut werden Sprachmaschinen für 2000 Euro geliefert. Ich werde die Zeit miterleben, in der in Netzbriefen wie selbstverständlich russische, chinesische und unsere Zeichen unverkrampft nebeneinander stehen werden. Manch einer wird möglicherweise ohne ß schreiben, dennoch hat das ß seinen Platz in den Zeichensätzen: 00DF/00130

琉球大学農学教授 比嘉 照夫  博士が発見した有用微生物



Wer hier japanische Zeichen sieht, weiß, was ich meine.

ß
Čech
Přemysil
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Norbert Lindenthal


eingetragen von Henning Upmeyer am 07.05.2003 um 07.24

Der Vollständigkeit halber sollte man auch die Jan Hus zugeschriebene Einführung diakritischer Zeichen für das Tschechische und Slowakische erwähnen. Handschrift und Buchdruck kommen damit gut zurecht, aber die Computer können sie nicht schreiben, weil sie nur die westlichen Zeichen beherrschen, nicht die des früheren Ostblocks.


eingetragen von Norbert Schäbler am 06.05.2003 um 22.56

Das Besondere an Herrn Markners Vorschlag, welcher ebenfalls schon einmal in der Vorzeit auftauchte, ist allerdings, daß Dehnung und Schärfung in einem Wort und in unmittelbarer Folge aufeinandertreffen.

Das sprengt doch jede Schulweisheit.
In unserer Orthographie ist doch ohnehin nicht beides sauber geregelt.
Dehnung kann durch Dehnungszeichen erfolgen, muß sie aber nicht. (Meer, mehr, so, Fuß ...)
Schärfung kann durch Konsonantenverdopplung erfolgen, wobei Konsonantenverdopplung nicht allzu engstirnig als gleichartige Konsonantenverdopplung aufzufassen ist - sie muß es aber nicht (Faß, fast, Mutter, Muster, Bus, ab ...).

Und dann das: Dehnung und Schärfung im selben Wort.
Arme Lehrer!

(Nachtrag: Lieber Herr Upmeyer!
Da ich Ihren Beitrag "Soße, Sosse oder Sose" im Gästebuch gelesen habe, meine ich zu wissen, worauf Sie hinauswollen.
Eigentlich gehörte diese gehaltvolle Betrachtung in diesen Strang. Im Gästebuch schwimmt sie in kürzester Zeit davon.)
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nos


eingetragen von Henning Upmeyer am 06.05.2003 um 22.24

Man könnte die Kürze und Länge von Einzelvokalen auch anders machen: Im Niederländischen sind Einzelvokale immer kurz, und deren Länge wird durch Vokalverdopplung dargestellt. Hier wurde schon beschrieben, daß ein solcher Vorschlag früher einmal für die deutsche Sprache gemacht und ausgelacht worden ist. Wegen der sehr etymologischen deutschen Schreibweise geht das wohl überhaupt nicht, Beispiel: der Bote, die Boote usw.


eingetragen von Norbert Schäbler am 06.05.2003 um 20.21

Um echte Schreiberleichterung herzustellen – und das war das erklärte Ziel für die Rechtschreibreformer – wäre es die einfachste Sache gewesen, den Bereich der S-Laute so zu regeln, wie es die Schweizer tun, die bekanntlich auf das Sonderzeichen „ß“ so gut wie gänzlich verzichten.
Und Argumente dafür hätte es gegeben. Immerhin wird diese „Sonderregelung“ von einem Teil unserer Sprachengemeinschaft praktiziert. In der Gegenwart wohlgemerkt!
Was aber sprach dagegen? Waren das nur Einwände aus dem Kreis der Phonetik?

Man suchte also einen anderen Weg, um Schreiberleichterung bzgl. der S-Laute sicherzustellen, den Weg zurück in die Historie, zurück zur Heyse`schen Regel.
Im Ergebnis tilgten die Rechtschreibreformer das „ß“ nach kurzgesprochenem Selbstlaut, das sich in jedem Falle im Auslaut des Wortes oder Wortstammes (inkl. Silbengelenk) befindet. Gleichwohl blieben noch Worte erhalten, die auch weiterhin ein „ß“ im Auslaut führen (Maß, Gruß, Kloß, Fleiß, Grieß …), und zwar deshalb, weil dem „ß“ ein langer Vokal oder ein Diphthong vorausgeht.
Diese etwas inkonsequent anmutende Tilgung des „ß“ im Auslaut läßt darauf schließen, daß sich die Reformer an phonetischen Gesichtspunkten orientierten, (die allerdings in sich völlig schlüssig sind).
Wo aber blieb der Einwand der Sprachökonomen – der Mathematiker? Wer betrieb die Erinnerung an den Kommissionsauftrag, der da hieß: „Die Beschlüsse müssen zu einer Schreiberleichterung führen?

Man hätte es anders machen müssen, hätte sich dem „ß“ im Inlaut zuwenden müssen; man hätte den Wörtern „Grüße, fließen, Maße, Straße …“ einfach ein anderes Wortgesicht geben sollen.
Das ging doch auch bei der Gämse, beim Stängel und beim Tollpatsch.
Das geht doch auch in der Schweiz!
Denken hätte man halt müssen, nicht nur eine Anleihe betreiben in der Vergangenheit. Den Adelung hätte man verstehen lernen sollen, der im Denken, Praktizieren und Regeln eines Sprachfalles seinem Nachfahren, Dichterkreisgründer und Cliquenwirtschafter Heyse um Meilen voraus war.
Richtig und ohne Schablone in die Vergangenheit schauen – so wie es am heutigen Tag Reinhard Markner tat mit seinem Wortbeispiel „Maasse“ – das wäre echte Kreativität gewesen.
Stattdessen haben die Herren Reformer einfach etwas abgekupfert, die Vergangenheit verfälscht, und eine Verschlechterung betrieben.

Aufgrund der Unfähigkeit der an phonetischen Prinzipien orientierten Rechtschreibreformer kam es zu einem verheerenden Ergebniß, zu einer Erschwerniß der Rechtschreibung.
Dazu stellen Mathematiker fest: Die Rechtschreibunsicherheit bei einem Wort mit S-Laut am Wortende hat um 50 Prozent zugenommen. Früher nämlich gab es nur zwei Möglichkeiten für die Darstellung des S-Lautes am Wortende (nach Adelung war nur s oder ß möglich).
Nun aber haben wir drei Möglichkeiten (s/Gras, ß/Fuß, ss/Fluss).
Und deshalb könnte man paradoxerweise die oben in ungewohnter Schreibweise vorgeführten Worte in drei verschiedenen Wortgesichtern präsentieren: „Ergebnis, Ergebniß, Ergebniss“, “Erschwernis, Erschwerniß, Erschwerniss“.
Die ersten beiden waren sehr lange Zeit im deutschen Sprachraum gängig. Die letztgenannte Schreibalternative könnte in konsequenter Ausführung der ordre de mufti entstehen.

Aber vermutlich haben die Phonetiker die jeweils mittlere Schreibweise (mit ß) verdrängt, weil sie sich einmal im Laufe der Sprachregelung einem ökonomischen Gesichtspunkt gebeugt hatten.


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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 06.05.2003 um 17.18

Ich habe provoziert mit meiner These vom stimmhaften „ß“, allerdings nicht augenzwinkernd, sondern ziemlich übel, hart und scharf.
Manchmal habe ich mich wohl gar im Ton vergriffen, und dafür bitte ich Herrn Schubert um Entschuldigung.
Er war für mich zum „roten Tuch“ geworden mit seiner prinzipiellen Ausrichtung an der Phonetik, die ich teilweise als störend empfinde.
Ich denke im Gegenteil dazu häufig über Funktionen nach (z.B. über das Gewichtungs-h) und richte mich oft an der Mathematik aus, weil Sprache und Mathematik viele Gemeinsamkeiten haben (z.B. das unbedingte Streben nach Kürze und Prägnanz, wie das im Wesen einer mathematischen Formel zutage tritt).
Sehr betroffen machte es mich, daß die Rechtschreibreformer das Auslaut-ß zertrümmert haben, dem die herrliche Funktion der Wortbildgliederung und der Fugengelenkdarstellung zugedacht war. Sie haben sich einfach über Prinzipien hinweggesetzt, die mir wichtig sind. Und das ist für mich fast schon ein persönlicher Angriff.
Demnächst werde ich eine Gegenthese aufstellen – nicht etwa einen Beweis führen – wie ich kürzlich vollmundig prahlte.
Ich werde ein wenig „stimmloser“ und sachlicher werden.

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nos


eingetragen von Reinhard Markner am 06.05.2003 um 15.18

Im 19. Jahrhundert war noch die Schreibung mit zwei a sehr verbreitet, so daß eine Verwechslung von »in Maßen (in Maassen)« mit »in Massen« nicht möglich war.


eingetragen von J.-M. Wagner am 06.05.2003 um 13.33

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Schäbler (hier)
Ich frage zurück, ob es zwischen der Schreibweise "Grüsse" (Schreibmodell: Schweiz) und der Schreibweise "Grüße" einen Unterschied in der Aussprache gibt?
In nullter Näherung würde ich sagen, nein - auch wenn Herr Gallmann betont, daß die schweizerische "ss"-Schreibung der schweizerischen Aussprache entspricht (vgl. hier). Das sage ich aber nur, weil ich davon ausgehe, daß jemand, der diese Schreibweise liest, gute Kenntnisse des hochsprachlichen Wortschatzes besitzt und weiß, daß es ein Wort /Grüs-se/ mit kurzem betontem ü nicht gibt. Diese kurze Aussprache des ü und ein ambisyllabisches s würden den Regeln der Konsonantenverdopplung entsprechen. In allen Fällen aber wäre der s-Laut in der Mitte des Wortes stimmlos – was mich zu meiner ursprünglichen Frage zurückbringt: Meinen Sie das ernst mit der Möglichkeit eines stimhaften ß, oder ist das lediglich eine weitere augenzwinkernde Provokation Ihrerseits?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Peter Schubert am 05.05.2003 um 13.03

Sehr geehrter Herr Wagner, wir waren schon einmal weiter als Sie in Ihrem Beitrag vom 5. Mai, 17.06 Uhr. Wir waren uns schon darüber einig geworden, dass im Deutschen bei jeder Silbe feststeht, ob sie lang oder kurz ist. Jetzt kündigen Sie diese Einigkeit auf und kommen mit dem nicht sehr überzeugenden Beispiel "aua" und, in Übereinstimmung mit Frau Philburn, mit dialektalen Abweichungen, und Sie sehen dabei ein Problem.

Ein Problem sehe ich auch dabei nicht. Wenn ein Schüler in einer schriftlichen Arbeit eine regionale Variante verwendet, die in einem nicht ganz unbedeutenden Wörterbuch verzeichnet ist ("Geschoß" lt. Duden), dann hat der Rotstift Ruhe zu bewahren, egal, aus welcher Region der Schüler oder der Lehrer kommt und in welcher Region die Arbeit geschrieben wird. Korrektoren und Zensoren müssen eben auch manchmal nachschlagen.

Offenbar sehen auch Sie mehrere Arten von Eszetts. Noch einmal meine Unterscheidung von echtem und unechtem Eszett: Das echte signalisiert ausnahmslos, dass der Zischlaut stimmlos ist und dass davor ein langer Vokal oder ein Diphthong ist. Man schreibt also "Grüße" und "außer". In diesen Fällen ist das Eszett zwar nicht unverzichtbar (die Schweizer kommen ja auch ganz gut ohne aus), aber sehr sinnvoll; die Aussprache des Wortes ist eindeutig erkennbar.

Das unechte Eszett steht nach kurzem Vokal dort, wo in der Fraktur oder der deutschen Handschrift keine zwei langen s und auch keine zwei runden s stehen dürfen. Hier ist das Eszett eine Verlegenheitslösung. Sie ist obsolet, seitdem kaum noch in Fraktur oder deutscher Handschrift geschrieben wird. Und wer doch noch lieber Fraktur oder deutsch schreibt, kann es ja tun. Der Reformduden (22. Aufl. S. 101) empfiehlt für das unechte Eszett die Kombination von lang s + rund s, wofür es übrigens auch in Antiquaschriften des 19. Jh. Vorbilder gibt. - Die reformierte s-Schreibung besteht ausschließlich darin, dass das unechte Eszett durch Doppel-s ersetzt wird. Davon geht die Welt nicht unter.

Noch ein Wort zum "Kompromissvorschlag" der DASD: Der dortige Vorschlag (S. 13), es bei der Heyseschen Schreibung zu belassen, aber zur Vermeidung von drei s bei "Missstand" und "Stresssituation" doch ein ß + s zuzulassen, ist albern. Die Heysesche Schreibung bringt es zwangsläufig mit sich, dass drei s auftreten können. Auch in der alten Rechtschreibung kamen drei gleiche Konsonanten hintereinander vor: SCHLOSSSTRASSE, Sauerstoffflasche, Balletttruppe, Schiff-fahrt. Auch davon ging die Welt nicht unter.

Sehr geehrter Herr Schäbler, der Speck, den Sie mir ausgelegt hatten, hat zwar nichts genützt, aber nur deswegen nichts, weil Sie selbst zu erkennen gegeben haben, dass Ihnen der Unterschied zwischen stimmhaftem und stimmlosem s durchaus klar ist, nämlich bei dem hörbaren Summton und der fühlbaren Kehlkopfvibration beim stimmhaftem s. Es ehrt Sie, dass Sie das Ihren Schülern demonstriert haben. Aber genützt hat es wohl kaum; bei Erstklässlern liegt die Sprache schon ziemlich fest, und in Ihrer Gegend wird im Anlaut vor Vokal nunmal ein stimmloses s gesprochen. Gegebenenfalls hat der Pfarrer die Schüler darin noch bestärkt: ßälick ßind die ßanftmütigen ...

Trotzdem, Herr Schäbler, ist es Ihnen gelungen, mich zu provozieren, und zwar mit Ziff. 2 b) Ihres Beitrags vom 6. Mai, 11.47 Uhr. Danach könne auch das ß in "Grüße" oder "außen" stimmhaft sein. Bei hochdeutscher Lautung stimmt das nicht; ein ß ist immer stimmlos.

Die Rechtschreibreformer haben das unechte ß getilgt. Auf Ihren Beitrag, sie hätten das echte tilgen sollen, bin ich gespannt.


eingetragen von margel am 04.05.2003 um 15.55

Als-horribile dictu- unkundiger Amateur (was Max Liebermann von sich und der Malerei sagte, daß er nämlich nicht mit ihr verheiratet sei, sondern ein Verhältnis mit ihr habe, möchte ich auch von mir und der deutschen Sprache behaupten) darf ich jede Dummheit äußern. Das ist das Privileg der Kinder und (alten)Narren!
1. Die langanhaltende Diskussion zwischen Herrn Schäbler und Herrn Schubert zeigt mir, daß das rechte Schreiben mehr mit dem Lesen als mit dem Sprechen und Hören zu tun hat. Der Weg ist einfach kürzer und weniger fehleranfällig. Die Deutschschweizer
z.B. sprechen ja bekanntlich nicht Hochdeutsch("Schriftdeutsch", wie es bezeichnenderweise heißt),
und doch sind sie in der Rechtschreibung, gleicher Bildungsstand vorausgesetzt, bestimmt nicht unsicherer als wir.

2. In der herkömmlichen Rechtschreibung konnte am Wortende
entweder s oder ß stehen. Heute gibt es drei Möglichkeiten:
s, ss, ß. Wo ist da die Erleichterung, bzw. Vereinfachung?


eingetragen von J.-M. Wagner am 04.05.2003 um 15.39

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Peter Schubert (im Strang „Von den Reizen der neuen Rechtschreibung“)
Die bayerische Mass (Bier) mit kurzem a und daher mit Doppel-s wird im Reform-Duden ausdrücklich aufgeführt. Jetzt kann man beim Schreiben das Maß und die Mass problemlos unterscheiden.
Auch hier frage ich mich, wo der DUDEN seinen Eintrag herhat, denn die Schreibung Mass ist m. E. nicht durch das amtliche Wörterverzeichnis gedeckt. In der 22. Auflage (2000) steht auf S. 635: »2Maß, bes. bayr. auch Mass, die; -, -[e] (bayr. u. österr. ein Flüssigkeitsmaß); 2 Maß, auch Mass Bier« (unter dem "a" von Mass fehlt hier noch der Punkt, der die Kürze der Silbe anzeigt). Weil diese Schreibung im Duden sowohl als regionaltypisch bzw. als Austriazismus als auch (durch den Rotdruck) als Neuschreibung im Zuge der Reform gekennzeichnet ist, sollte man erwarten dürfen, daß sie im amtlichen Wörterverzeichnis enthalten ist. Weil sie das nicht ist, stellt sich die Frage, ob das Wörterverzeichnis unvollständig ist oder ob die Dudenredaktion die Lizenz hat, Neuschreibungen im Sinne der Reform zu erfinden.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 04.05.2003 um 15.06

(Sehr geehrter Herr Schubert, wegen des Themenbezuges ziehe ich es vor, meine Antwort hier einzustellen. Außerdem geht sie dann zum einen nicht im Kuddelmuddel des Gästebuches unter, zum anderen wollte ich die an anderer Stelle offengebliebene Diskussion sowieso hier weiterführen.)

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Peter Schubert (im Strang „Von den Reizen der neuen Rechtschreibung“)
Innerlich und äußerlich. Bei der ersten Silbe dieser Wörter ist ein Quantitätsunterschied hörbar, "innen" kurz, "außen" lang. Der Unterschied wird ja auch in der Schreibung zum Ausdruck gebracht.
Die Beispielwörter waren – und sind – nicht innen und außen, sondern innerlich und äußerlich. Was habe Sie zu diesen zu sagen? Ein anderes Beispiel sind die („kurz angebundenen“) Rufe aua! und Anna!; m. E. gibt es auch dabei keinen Quantitätsunterschied.

P. Schubert:
Untergeschoss. Schwaben, Baiern und Österreicher sprechen in dem Wort "Geschoss" ein langes o, egal ob ein Stockwerk oder ein Projektil gemeint ist. Der neue Duden lässt daher die Schreibweise sowohl mit ss als auch mit ß zu.
Ich frage mich, wie der DUDEN zu seinem Eintrag kommt, denn der ist doppelt fehlerhaft. In der 22. Auflage (2000) steht auf S. 419: »Geschoss [alte Schreibung Geschoß], das; Geschosses, Geschosse, südd., österr. auch Geschoß, das; -es, -e« (es fehlt hier der Punkt bzw. Strich unter dem "o", der die kurze bzw. lange betonte Silbe anzeigt). Dagegen steht im amtlichen Wörterverzeichnis: »Geschoss*, Geschoß (österr., auch schweiz.)«. Schaut man sich den Gebrauch des Zusatzes (österr.) im amtlichen Wörterverzeichnis an, so stellt man fest, daß damit Schreibweisen gekennzeichnet werden, die ausschließlich in Österreich gebräuchlich sind – es sei denn, daß noch ein auch folgt (s. u.).

Somit ist zum einen nach der Reform die Verwendung von Geschoß in Deutschland als Fehler zu werten; darauf hat ja Frau Philburn bereits hingewiesen. Zum anderen hat das auch im Duden nichts zu suchen, denn laut dem amtlichen Wörterverzeichnis ist in Österreich nur die Schreibung mit "ß" zulässig. Wäre in Österreich auch Geschoss zulässig, müßte der Eintrag im amtlichen Wörterverzeichnis »Geschoss*, (österr. auch) Geschoß« lauten (ohne Fettdruck!); vgl. den Eintrag »Gulasch, (österr. auch) Gulyás«.

P. Schubert:
Insofern ist die neue Rechtschreibung auch ganz praktisch, man kann ausdrücken, in welcher Gegend die Leute "Spaß" und in welcher Gegend sie "Spass" sagen.
Raten Sie mal, woran man vor der Rechtschreibreform gedacht hätte, wenn man in einem (literarischen) Text, dessen Handlung in der fraglichen Gegend spielt, die Schreibung Spass gelesen hätte (oder in irgend einem Text, bei dem man davon ausgehen kann, daß es sich nicht um einen Druckfehler, sondern um Absicht handelt).

P. Schubert:
Im Übrigen: Wer nur Dialekt und nicht die Hochsprache spricht, macht beim Schreiben einige Fehler mehr; das ist unvermeidbar und gilt nicht nur für Deutsche.
Natürlich hat es jemand schwerer, richtig zu schreiben, der die Hochsprache nicht sicher beherrscht. Andererseits ist aber eine erhöhte Fehlerhäufigkeit nicht in allen Fällen unvermeidbar! Gerade die Adelungsche/Gottschedsche s-Schreibung ist ein Beispiel für eine Regel, die dazu führt, daß man beim Schreiben weniger Fehler macht, selbst wenn man Dialekt spricht – eben wegen der Art, in der hierbei die Schreibung von der Aussprache abhängt: Nicht die unsichere Größe Vokalquantität ist der Maßstab, sondern die wesentlich sicherere Zerlegung nach Sprechsilben.

P. Schubert:
Faß – eine Silbe – ein Buchstabe; Fässer – zwei Silben – zwei Buchstaben. Wo ist das Problem? Ein Problem ist da nicht, aber eine unnötige Komplikation.
(An dieser Stelle muß ich zunächst ein Wort an Frau Menges richten: Sehen Sie? Das ist eine echte inhaltliche Diskussion, in der sauber argumentiert wird, und dann macht es auch Spaß! Sie aber haben noch kein einziges meiner Argumente – wie auch immer Sie dieses Wort definieren – inhaltlich erwidert.)

Handelt es sich wirklich um eine Komplikation? Es ist eine Abweichung vom sonst üblichen Schema, gewiß, jedoch ist sie nicht kompliziert – weil es nur genau diese eine Regel gibt und keine weiteren Unterscheidungen oder Ausnahmen von Ausnahmen etc. Darüber, ob diese Abweichung vom sonst üblichen Schema unnötig ist oder nicht, wird man lange streiten können. Es gibt mit Sicherheit keinen Grund, der diese Schreibung erzwingt, weil anderenfalls etwas Falsches herauskäme (wie etwa in den Fällen, die Sie mit Herrn Schäbler verhandelt haben, in denen kein einzelnens "s" stehen darf). Andererseits steht der Möglichkeit, diese Schreibweise anzuwenden, nichts im Wege, und da sie einige Vorteile gegenüber dem Festhalten an dem üblichen Schema mit sich bringt, die die Nachteile der Abweichung nicht nur aufwiegen, sondern eine Verbesserung gegenüber dem üblichen Schema mit sich bringen, spricht in meinen Augen alles für die Abweichung.

P. Schubert:
Es gibt ja eine Unzahl von einsilbigen Wörtern, deren Auslaut nach kurzem Vokal durch Doppelkonsonanten geschrieben wird: Fall, Fälle; Kamm, Kämme; Bann, bannen; Stopp, stoppen; Spott, spotten. Da gilt überall: Eine Silbe, zwei Buchstaben. Nur beim s soll es anders sein?
Es ist völlig richtig, daß es von Beispielen nur so wimmelt, in denen eine kurze betonte Silbe auf zwei Konsonantenbuchstaben endet. Ich habe aber die Parallele der Buchstaben- und Silbenzahl nur als Merkregel für den Fall "'ß' vs. 'ss'" aufgestellt – mit der Berechtigung, daß die Vorteile, die die Berücksichtigung dieser Zusatzregel mit sich bringen, den Aufwand für ihre Befolgung rechtfertigen.

P. Schubert:
Fremdwörter mit ß (Progreß). Wo ist das Problem? Ein Problem ist auch hier nicht, aber ich hatte erwartet, dass meine überlange Aufzählung solcher Fremdwörter eine gewisse Komik dieser Schreibweise erkennen lässt. Diese Wirkung ist anscheinend jedenfalls bei Herrn Wagner nicht eingetreten.
Ja, das mag sein, daß mir die Komik dieser Schreibweisen entgangen ist. Jedoch, im Vertrauen: Immerhin hat die Reform bei mir zu der „komischen“ Situation geführt, daß ich mich eines Tages doch vergewissert habe, daß diese Wörter vor der Reform ganz normal nach der allgemein üblichen ss/ß-Regel mit "ß" geschrieben wurden... Aber wenn schon, denn schon, finde ich: Handelt es sich um aus dem Englischen stammende Hauptwörter, sollte man sie nicht nur mit "ss" am Ende schreiben, sondern auch klein, nicht wahr?

P. Schubert:
Interessant ist Herrn Wagner Begründung: "Das ß tritt hier als Doppel-s-Ligatur auf". Was er "Doppel-s-Ligatur" nennt, nennt Prof. Ickler eine typografische – meinetwegen auch typographische – Variante des Doppel-s. Ich habe es an anderer Stelle "das unechte Eszett" genannt. Alle drei Bezeichnungen geben eines zum Ausdruck: Dieses ß sieht zwar genau so aus wie ein ß, in Wirklichkeit ist es aber gar kein ß, sondern ein Doppel-s. Also bitte, kann man dann nicht auch ein Doppel-s schreiben?
Ist es nicht reichlich egal, wie man dieses Zeichen benennt? Wieso bestehen Sie darauf, daß es so etwas wie ein „unechtes Eszett“ gibt – in welchem Sinne sollen manche Eszetts nicht echt sein? Wir wissen doch inzwischen, daß es mehrere Ursprünge hat, die sich in den heutigen Antiqua-Texten nicht sauber trennen lassen – selbst wenn in einzelnen Schriftarten der eine oder andere Ursprung deutlich erkennbar ist (so sieht z. B. das Bodoni-ß wie eine s-z-Ligatur aus, das Garamond-ß ist eine Doppel-s-Ligatur, und das Times-ß ist quasi ein „Dreierles-s“; das Arial- bzw. Helvetica-ß gibt es zudem in zwei Varianten, die eine ein „Dreierles-s“, die andere eine Doppel-s-Ligatur). Welche davon die älteste Variante ist und wie das entsprechende Zeichen damals genannt wurde, müßte noch geklärt werden.

Allein daß die Bezeichnung „Eszett“ für das Druckzeichen in den Fällen, da es sich nicht um eine s-z-Ligatur handelt, strenggenommen nicht gerechtfertigt ist, ist offenbar kein hinreichender Grund, von „falschen Eszetts“ zu sprechen – werden solche doch auch an den Stellen benutzt, an denen in Ihren Augen „richtige“ stehen. Umgekehrt werden alle Eszetts, wie Sie selbst an anderer Stelle betont haben, ersatzweise durch "ss" wiedergegeben, wenn kein "ß" zur Verfügung steht. Warum sollte dann eine Doppel-s-Ligatur ein „falsches Eszett“ sein?

Ist es nicht geradezu ein Vorteil, daß das Zeichen "ß" heutzutage mehrere Funktionen in sich vereint? Dadurch kann das "ß" immer dort für ein scharfes s notiert werden, wo ein einfaches oder doppeltes "s" falsch oder typographisch nachteilig wäre (wie etwa in der Situation, die ich den das/dass-vs.-das/daß-Kontrast nenne).

Was nun speziell die Fremdwörter betrifft, so hätte ich persönlich in nullter Näherung nichts dagegen, wenn man ihre Schreibung freigäbe; ich war ja selber verunsichert (s. o.). Denke ich aber nur ein wenig weiter, so wird mir ganz schnell klar, daß das wegen der im Deutschen üblichen zusammengeschriebenen Zusammensetzungen keine gute Idee wäre. (Gibt es im Englischen eigentlich den Fall, daß in einem zusammengeschriebenen Wort drei "s" aufeinendertreffen? Mir scheint, daß dieses Problem wegen der Getrenntschreibung von Zusammensetzungen [bzw. der Verwendung des Bindestrichs] nicht auftritt.)

Wegen der besseren Lesbarkeit (via Wortbilderkennung, welche das "ß" quasi „hervorragend“ begünstigt) werden ja auch andere Wörter am Ende nicht mit "ss", sondern mit "ß" geschrieben. Und die Umständlichkeit, für das einzelne Wort die Schreibung mit "ss" freizugeben, bei Zusammensetzungen aber "ß" zu verlangen, kann man sich sparen und konsequent einheitlich "ß" verwenden. (Siehe dazu auch „Genussschein vs. Genußschein“ unter ss vs. ß.)
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 03.05.2003 um 20.25

Danke für dieses Beispiel; darauf hätte ich als biertrinkender Berliner im Prinzip selber kommen können...

Eigentlich suchte ich aber nach einem Beispiel für den Fall, daß das 'ß' nicht den Silbenauslaut, sondern den Anlaut der folgenden Silbe bildet. Alles, was mir dazu zunächst durch den Kopf geht, hat einen betonten Diphthong: außen, außer, äußerst, beißen, draußen, dreißig, entäußern, Geißel, gleißen, heißen, kreißen, Meißel, reißen, schmeißen, schweißen, spleißen, verheißen, verschleißen.

Bei bestimmten Zusammensetzungen kann sich natürlich die Betonung verschieben: abbeißen, außerstande. Gibt es aber noch andere Fälle/Beispiele?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.04.2003 um 17.45

Schultheiß
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Sigmar Salzburg


eingetragen von J.-M. Wagner am 29.04.2003 um 16.24

Gibt es überhaupt den Fall, daß ein 'ß' nach einem unbetonten Diphthong auftritt?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Sigmar Salzburg am 05.04.2003 um 20.55

Aus meiner älteren Musikliteratur
(im Faksimile)

Hans Judenkünig,
„Ain schone kunſtliche Underweisung"
Lautenbuch
„Vollendet und getrückht zu Wieñ yn Osterreich
dürch Hanns Singryener.im.1.5.2.3.Jar."


Fraktur,
lang s, im Wort zwei lange s
am Ende: rundes Schluß- s ,
nur am Ende: ß oder ss (lang s neben rund s)

Item wie dw ainē ſtukh / das auſgeſaꜩt iſt / helf
fen ſolſt / mit guͤter applicaꜩ vnnd coloraturen / ſo
merkh diſe regel. Wan es ſich begibt / dʒ der Tenor
vnd Baß / jre grif in den vordern dreyen pinttē ſein̄
vn̄ der Diſcant / in den auſſern pindē ſteet / ſo nim
in der auſſern Laitter / in dē andern .ā.b̄.c̄. die puͤch-
ſtaben die dem Tenor und Baſs gleich lautten / da
hab mit vleis acht auf das die vngeschickhten wei
ten griff / vermitten beleiben / wann es ist die peſſt
khunst ain guete applicaꜩ.

(fol. l ii re)

ē = für folgenden ausgelassenen Buchstaben od. Tabulaturzeichen
uͤ = u mit eingeschriebenem e

Keine Unterscheidung von Artikel und Konjunktion „das", die Kurzform „dz" tritt anscheinend nicht als Artikel vor dem Substantiv auf .

Das Nebeneinander von Baß und Bass zeigt, daß ß eine Ligatur ist, zusammengeschoben aus lang s und etwa dem unteren Teil des runden s.

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Sigmar Salzburg


eingetragen von Theodor Ickler am 30.10.2002 um 04.25

Thorwald Poschenrieder: "s-Schreibung - Überlieferung oder Reform?" In: Eroms/Munske: Rechtschreibreform - Pro und Kontra. Berlin 1997, 173-183.
Zuvor schon vom selben Verfasser: Ergänzungsgutachten zum Bereich der ß-Schreibung. Hannover 1993
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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 29.10.2002 um 22.46

Und wie hat das 'ß' an dieser Stelle ("liessen" --> "ließen") Einzug gefunden? Weiß jemand etwas dazu? Die Erklärung mit der Ligatur aus Lang- und Rund-s paßt hier ja nicht!!

Ich frage das deshalb, um ganz sicherzugehen, daß sich das 'ß' an dieser Stelle nicht wegen des Langvokals etabliert hat.

Gab es beispielsweise wirklich die Schreibung "Strasze" (mit Lang-s, aber ohne Ligatur)? Wie kompatibel ist die sehr einleuchtende Erklärung für das 'ß' als Schlußligatur aus Lang- und Rund-s mit seinem Auftreten z. B. in "Straße"?

Wie sieht die historische Entwicklung in diesem Punkt aus? Wo kann man Genaueres dazu erfahren?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Reinhard Markner am 07.05.2002 um 17.04

Bei der Lektüre von Texten (gedruckten wie handschriftlichen) des späten 18. Jahrhunderts fällt auf, daß häufig nach langen Vokalen im Wortinneren ss steht ("liessen" usw.). Am Silben- und Wortende wurde beinahe immer ß gesetzt.

Ich nehme an, daß die Unterscheidung von langem und rundem s auf gelehrte Schreiber zurückgeht, die sich den griechischen Usus zum Vorbild nahmen. Weiß jemand darüber etwas ?


eingetragen von Elke Philburn am 07.05.2002 um 01.29

Möglicherweise liegt es daran, daß Adelungs Werke zur Orthograpie die einflußreicheren waren, auch wenn die Adelungsche s-Schreibung schon vor der Zeit desselben existiert haben mag. (Um das festzustellen, müßte man wohl die Originaltexte einsehen.)

Eine weitere wichtige Person in der Geschichte der Rechtschreibung war Johann Christoph Gottsched.

Mit seiner "Grundlegung einer deutschen Sprachkunst" (1748), die sich im Wesentlichen an Freyer hält, nahm er großen Einfluß auf die Orthographiediskussion. Auch er setzte sich für eine Festlegung der Literatursprache auf den Sprachgebrauch in Obersachsen ein.

Den bedeutendsten Einfluß aber (und auch mehr Erfolg als seine Vorgänger) erreichte der Lexikograph und Grammatiker Johann Christoph Adelung der sich in seinen Regeln zur Rechtschreibung vor allem am Sprachgebrauch orientierte. Sein wichtigstes Werk ist die , "Vollständige Anweisung zur deutschen Orthographie" (1788). Er faßte seine Regelung zusammen im "Grundgesetz der deutschen Orthographie":

"Schreib das Deutsche und was als Deutsch betrachtet wird, mit den eingeführten Schriftzeichen, so wie du sprichst, der allgemeinen, besten Aussprache gemäß, mit Beobachtung der erweislichen nächsten Abstammung und, wo diese aufhöret, des allgemeinen Gebrauches."

Damit befürwortete er vor allem Formen und Schreibungen, die bereits weit verbreitet und üblich waren, was es erleichterte, sie zur Norm zu machen. Die Bedeutung Adelungs rührt sicher auch daher, daß er ein Wörterbuch verfaßte, in dem man die Schreibung der einzelnen Wörter nachschlagen konnte (und nicht nur die allgemeinen Regeln), welches seinerzeit das einzige dieser Art war, und daher, daß sich Dichter und Schriftsteller wie Goethe, Lessing, Schiller, Wieland, Voss u.a. auf dieses Wörterbuch bezogen.


eingetragen von Phil Mannix am 06.05.2002 um 22.44

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Eine andere meiner vielen Fragen betraf die Bezeichnung der Adelungschen s-Schreibungsregel. Bei Michael Schneider heißt es (unter der Jahreszahl 1748) zu Johann Christoph Gottsched: »Auf ihn geht auch die im 20. Jahrhundert übliche Verteilung von und <ß> zurück.« Damit meint er doch die s-Schreibung, von der ich hier im Forum gelernt habe, daß sie gewöhnlich als die Adelungsche bezeichnet wird. Wie paßt das zusammen?


Johann Christoph Gottsched gab in den Jahren 1725/26
die Moralische Wochenschrift "Die vernünftigen Tadlerinnen"
heraus.
Quelle: http://www.llb-detmold.de/htdocs/Gottsched/Texte.htm

Eine der Tadlerinnen schrieb zum Beispiel im Juni 1726:

"Daß ich mich aus Verdruß gekruemmet und gewunden,
so oft als der Tyrann zu den gesetzten Stunden,
durch ein verhaßtes Wort mich mit dem Spiel gestoert,
und eh ich teutsch gekonnt, was Roemisches gelehrt."
Quelle: http://www.fachpublikationen.de/dokumente/01/1a/01025.html

Johann Christoph Adelung wurde erst im Jahre 1732 geboren!
Ich plädiere für die Bezeichnung "Gottschedsche s-Schreibung".


eingetragen von Walter Lachenmann am 05.05.2002 um 22.52

Wie die Heyse'sche Orthographie in Fraktur umgesetzt wurde, kann ich nicht beantworten. Logisch wäre, in der Wortmitte zwei lange s zu verwenden, am Wortende ein langes und ein rundes s.

Zum Unterschied zwischen Fraktur und Antiqua.
Fraktur: Ganz grob gesprochen, kann man sagen, daß die ersten Druckschriften, also die von Gutenberg, die geschriebenen Schriften möglichst getreu nachbilden wollten, man wollte denselben ästhetischen Eindruck erreichen wie bei den kostbaren von Hand geschriebenen Texten aus den Klöstern. Es wurde also der Duktus der mit der Feder geschriebenen Schrift imitiert. Die ersten Satzschriften kannten eine Unzahl von Ligaturen, um möglichst viele Buchstabenkombinationen darstellen zu können, wie man das bei Handschriften bisher gewohnt war. Auch im europäischen Ausland wurde von den ersten Druckereien diese Art der Schriftwiedergabe zunächst übernommen.

Antiqua: Die Renaissance besann sich bekanntlich in allen kulturellen Bereichen auf Geist und Ästhetik der Antike. Das führte dazu, daß man die von den römischen Inschriften her bekannten Schriften auch in den Druckwerken haben wollte. Italienische, französische und holländische Schriftgießer brachten also solche, der Antike nachempfundene Schriften auf den Markt. Die Nachahmung ging bis hin zu Details, die im Hinblick auf die Verwendung von Schrift auf Papier, als Druckbuchstaben, rein technisch eigentlich gar nicht funktionsbedingt waren, sondern aus der Meißeltechnik der Steinmetzen herrührten, nämlich die Serifen. Das sind die Füßchen an den Buchstaben, die man sich von den alten Steininschriften abgeguckt hatte und die ihren Ursprung schlicht darin hatten, daß der Steinhauer ja irgendwo mit seinem Meißel ansetzen muß. (Die linearen Schriften, also ohne Serifen, gab es vorher bei Wachstafeln und für den Druck erst wieder im 19. Jahrhundert, als man per Lithographie und anderer Drucktechniken gemalte Schriften auf eine Druckplatte bringen konnte bzw. dies als fortschrittliche Technik und Ästhetik für wünschenswert hielt.)

Nun entstand eine Konkurrenzsituation der Kulturen bzw. des geistigen Selbstverständnisses, wobei zwar alle Länder sowohl die Fraktur als auch die Antiquaschriften kannten und verwendeten, die romanischen Länder (auch Holland, vermutlich wegen seiner kulturellen Bindung an Spanien und Frankreich) aber mehr und mehr die Antiquaschriften, die »nordischen« hingegen die Frakturschriften bevorzugten.

Sehr empfehlenswert ist für dieses Thema das Buch von Albert Kapr: Fraktur. Form und Geschichte der gebrochenen Schriften, Verlag Hermann Schmidt Mainz, 1993, ISBN 3-87439-260-0. Neben einer profunden und doch nicht allzu weitschweifigen Geschichte der Frakturschriften, in der auch die hitzigen Identifikationsdiskussionen eine Rolle spielen, in der sich die abstrusesten Gesinnungen der unschuldigen Schönen immer wieder zu bemächtigen versucht haben und noch versuchen, zeigt das Buch viele sehr schöne Beispiele von Frakturschriften und ihrer handwerklich-künstlerischen Anwendung.

Eine kleine Textprobe daraus:
Wenn man die wenigen Bemerkungen Goethes zur Schriftfrage zusammenfaßt, gewinnt man den Eindruck, daß er die Fraktur als Leseschrift für das Volk und die Antiqua als Schrift für das gebildete Publikum betrachtete. Das Format, die Güte des Papiers und die Schärfe des Drucks sowie die geschmackvolle Typographie waren ihm ebenso wichtig, wie die Schriftart. Schillers Einstellung weicht nicht wesentlich von Goethes Haltung ab, und es erübrigt sich, seine Äußerungen festzuhalten.
Auch Klopstock, Wilhelm von Humboldt und der Arzt Hufeland bekennen sich zur Antiqua, während Fichte und Jahn für die Fraktur eintreten. Die Romantik wird wieder zu einer Periode der Fraktur. Sie ist ein passendes Kleid für die Dichtungen von Heinrich Heine, Joseph von Eichendorff, E.T.A. Hoffmann, Achim von Arnim und Clemens Brentano.
Als radikaler Streiter für die ausschließliche Verwendung der lateinischen Schrift und die Kleinschreibung profilierte sich Jakob Grimm, der Begründer der deutschen Philologie und Altertumswissenschaft. In der Vorrede zum »Deutschen Wörterbuch«, das 1854 in Leipzig erschien, schreibt er auf Seite III: »Es verstand sich fast von selbst, daß die ungestalte und häßliche Schrift, die noch immer unsere meisten Bücher gegenüber denen aller übrigen gebildeten Völker von außen barbarisch erscheinen läßt und einer sonst allgemeinen Übung unteilhaftig macht, beseitigt bleiben müßte. Leider nennt man diese verdorbene und geschmacklose Schrift sogar eine deutsche ... Nichts ist falscher, und jeder Kundige weiß, daß im Mittelalter durch das ganze Europa nur eine Schrift, nämlich die lateinische, für alle Sprachen galt und gebraucht wurde.« (Wobei man sich fragt, wo Grimm die klösterlichen Handschriften, die ersten Druckerzeugnisse und die Inkunabeln eingeordnet hätte, WL).
[...]
Aber Jakob Grimm konnte seiner Meinung nur im Rahmen der wissenschaftlichen Literatur Geltung verschaffen, selbst die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm, von denen schon 1899 die 30. Auflage erschienen war, wurden fast ausschließlich in Fraktur gesetzt und hätten in Antiqua nie diese gewaltige Verbreitung gefunden. Es bestätigte sich, daß das deutsche Volk in seiner Mehrheit die Fraktur als deutsche Schrift liebte. Volkstümliche Drucke erschienen in Fraktur, und jene Dichter, die auf eine große Verbreitung ihrer Werke Wert legten, ließen sie in Fraktur drucken.
[...]
Am liebsten würde ich jetzt das ganze Buch abschreiben, es ist wirklich faszinierend und sehr aufschlußreich, insbesondere im Hinblick darauf, daß die Fraktur von Anhängern und Kritikern des deutschen Patriotismus seit Kaiser Maximilian über Bismarck bis hin zu unseren zeitgenössischen Kameradschaftsvereinigungen als Sinnbild für Deutschtum angesehen wurde und wird, woran auch die abstruse Qualifizierung der »Schwabacher« als Judenschrift (Juden waren zur Zeit der Entstehung dieser Schrift von der Ausübung des Buchdruckerberufs völlig ausgeschlossen!) und damit einhergehend das Verbot der Fraktur durch Martin Bormann 1941 nichts ändern konnte. Wer einen Einblick hat in den riesigen geistigen Reichtum, der in Fraktur überliefert ist, kann diese unfreundliche Übernahme nur als schmerzliche Diskriminierung eines über solche Betrachtungen weit erhabenen Kulturgutes beklagen.

P.S.: Zur Entstehung der Ligatur ß wurde an anderer Stelle geschrieben hier im Forum. Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle, die vermutlich - zusammengenommen - auch nicht falsch sind: vom »Kürzel« der alten Klosterhandschriften bis zur Ligatur s/z oder lang-s/rund-s.
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Walter Lachenmann


eingetragen von Karl Eichholz am 05.05.2002 um 21.25

Zitat:
Wie passen eigentlich die Heysesche s-Schreibung und Frakturschriften zusammen?

(Nebenbei gefragt: Ist "Fraktur" der Name nur für eine bestimmte Schriftart, oder bezeichnet es eine ganze Klasse von Schriftarten, wie etwa "serifenlos" bei den lateinischen Schriften?)

Welche Schriftart war z. B. in Österreich Ende des 19. Jahrhunderts gebräuchlich, als dort die Heysesche s-Schreibung galt? Herr Eichholz hat ja sehr einleuchtend gezeigt, wie das "ß" als Ligatur aus Lang-s und Schluß-s (höchstwahrscheinlich) entstanden ist, aber was passierte bei Wörtern wie "Genuß", "blaß" etc. in Heysescher s-Schreibung? Wurden dort das Lang- und das Schluß-s nebeneinandergeschrieben, anstatt die dafür vorgesehene "Ligatur" (d. h. das "ß") zu verwenden (etwa in der Art, wie es in einem vorangehenden Beitrag von Herrn Eichholz zu sehen ist)? (Und wurde dann das Schluß-s beim Übergang zu "Genüsse", "Blässe" einfach zum Lang-s?)

Fraktur heißt ja nichts als „gebrochene Schrift“, also eine solche, wie sich mit einer Breitfeder unter Vermeidung von Rundungen anbietet.

Soweit ich weiß, haben alle Frakturschriften ein Lang-s, und darüberhinaus auch manche Rundschriften. Selbst im Ausland wurden (sogar auch in Rundschriften) teilweise Lang-s verwendet, beispielsweise und besonders in Zeitungsüberschriften. Dies weiß ich teilweise vom Französischen und auch vom Amerikanischen.

Bei der Fraktur machte es also eigentlich kaum einen Unterschied, ob dort Lang-s + Rund-s (= ƒs)oder eben die Ligatur ß gesetzt wurde, das Schriftbild war sehr ähnlich.

Analog zum Wort
„grafisch“,
wo in dem einen Fall das f + i einzeln, im andern Fall als Verbund gesetzt sind. Das Wortbild ist in beiden Versionen so ähnlich, daß man den Unterschied nicht auf den ersten Blick, sondern erst auf den zweiten erfaßt.

Die entscheidende Änderung fand statt mit Aufgabe des Lang-s (wie es auch bei Benutzung der Rundschrift erforderlich sein mag), denn dadurch wurde der gewöhnliche Fall des langen schmalen „ƒ“ zum „Sonderfall“ Rund-s „s“, der ja in der Fraktur dem Wortende oder Wortstammende vorbehalten ist und eine besondere Signalwirkung hat.

Was jetzt die genannte Heysesche s-Schreibung genau bedeutet und erfaßt, ist mir nicht bekannt. Ich vermute, daß sie sich auf die s-Schreibung in runden Schriften bezieht.

Da im Wort „Blässe“ das s nicht am Schluß steht, ist es eben kein Rund-s (= Schluß-s), sondern ein Lang-s: (= Bl䃃e). Das gleiche gilt für „Wasser“ etc.
Das Lang-s war eben die gewöhnliche, häufige Form, das Rund-s das Besondere.

Zitat:
Ich stelle mir vor, daß eine derartige Nebeneinanderscheibung von Lang- und Schluß-s quasi von allein zur Verwendung des "ß" führt und somit die Heysesche s-Schreibung in Fraktur "unnatürlich" aussehen würde. Als Konsequenz daraus wundere ich mich, wie sich die Heysesche s-Schreibung in einer Frakturschrift etablieren kann. Aber vielleicht liege ich ja völlig falsch, und die Heysesche s-Schreibung ist eigentlich garnichts Verwunderliches -- auch nicht in Fraktur.

Und umgekehrt: Wie schrieb man Wörter wie "Straße", "Maße" etc. bevor es das "ß" gab? -- Ich weiß nicht, ob das alles trivial ist; ich würde es gern einmal genau wissen.

Auch ich stellte einst diese Frage, in dem Fall im Forum der DSW, und stieß dabei darauf, daß es historisch offensichtlich auch s-z Schreibungen mit der Bedeutung Scharf-s gab und gibt (beispeilsweise auch heute im Ungarischen noch), so daß möglicherweise eben Straße sich aus Straƒze herleitet.

Offensichtlich münden hier also verschiedene historische Zweige in einen vermeintlich gemeinsamen Fluß, der bei näherer Betrachtung wiederum in unterschiedliche Ströme geteilt betrachtet werden sollte.

Historiker und „Eingeweide“ sind also gefordert, uns was beizubringen!



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mit herzlichen Grüßen
Karl Eichholz


eingetragen von J.-M. Wagner am 05.05.2002 um 16.46

Wie passen eigentlich die Heysesche s-Schreibung und Frakturschriften zusammen? (Nebenbei gefragt: Ist "Fraktur" der Name nur für eine bestimmte Schriftart, oder bezeichnet es eine ganze Klasse von Schriftarten, wie etwa "serifenlos" bei den lateinischen Schriften?) Welche Schriftart war z. B. in Österreich Ende des 19. Jahrhunderts gebräuchlich, als dort die Heysesche s-Schreibung galt? Herr Eichholz hat ja sehr einleuchtend gezeigt, wie das "ß" als Ligatur aus Lang-s und Schluß-s (höchstwahrscheinlich) entstanden ist, aber was passierte bei Wörtern wie "Genuß", "blaß" etc. in Heysescher s-Schreibung? Wurden dort das Lang- und das Schluß-s nebeneinandergeschrieben, anstatt die dafür vorgesehene "Ligatur" (d. h. das "ß") zu verwenden (etwa in der Art, wie es in einem vorangehenden Beitrag von Herrn Eichholz zu sehen ist)? (Und wurde dann das Schluß-s beim Übergang zu "Genüsse", "Blässe" einfach zum Lang-s?)

Ich stelle mir vor, daß eine derartige Nebeneinanderscheibung von Lang- und Schluß-s quasi von allein zur Verwendung des "ß" führt und somit die Heysesche s-Schreibung in Fraktur "unnatürlich" aussehen würde. Als Konsequenz daraus wundere ich mich, wie sich die Heysesche s-Schreibung in einer Frakturschrift etablieren kann. Aber vielleicht liege ich ja völlig falsch, und die Heysesche s-Schreibung ist eigentlich garnichts Verwunderliches -- auch nicht in Fraktur.

Und umgekehrt: Wie schrieb man Wörter wie "Straße", "Maße" etc. bevor es das "ß" gab? -- Ich weiß nicht, ob das alles trivial ist; ich würde es gern einmal genau wissen.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Reinhard Markner am 04.05.2002 um 09.57

Daß es sich bei *prüflesen um einen Anglizismus handelt, ist hier längst überzeugend dargelegt worden. Die rhetorische Strategie, Beweise für das Evidente zu fordern, erinnert mich ganz fatal an einen Mitstreiter, der jetzt andernorts toben muß.


eingetragen von Elke Philburn am 04.05.2002 um 09.04

Im Zusammenhang mit der s-Schreibung wird tatsächlich Gottsched oft neben Adelung genannt, und zwar als der 'frühere'. Wie das zusammenhängt und wie weit sich die s-Schreibung auf beide zurückführen läßt, ist wohl anhand der im Netz verfügbaren Texte schwer nachzuvollziehen.


eingetragen von Detlef Lindenthal am 04.05.2002 um 08.09

Soll ich mich für „Lilienthal“ jetzt mit „Lackelmann“ oder irgendwelchem anderen spätpubertären Unsinn rächen? Weil ich jedoch kein Orientale bin, finde ich, daß Rache und Vergeltung und ähnliche Maßnahmen unnütz und nicht verantwortbar sind.

Lieber Herr Lachenmann,
wenn ich geahnt hätte, wieviel Purzelbäume das kleine Wort „prüflesen“ verursacht ...
Aber auch Sie werden wieder zur Ruhe kommen, mich in Ruhe lassen und dann hoffentlich, wie von Herrn Prof. Ickler vorgeschlagen, das Wort „prüflesen“ in den nächsten Wörterbuchausgaben vorfinden.
Der Nachweis, daß „prüflesen“ kauderwelsch wäre, ist Ihnen bisher nicht gelungen.

Gruß,
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Theodor Ickler am 04.05.2002 um 03.04

Mal ehrlich: Steckt hinter der lustvollen Pointenjagd auch ein Gedanke? (Berufskrankheit des Aphoristikers ...)
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Th. Ickler


eingetragen von Walter Lachenmann am 03.05.2002 um 22.19

In anderweitigen Studien begriffen, entdeckte ich soeben einen Spruch von Karl Kraus, den ich Ihnen für Ihre bisher durchaus nicht uninteressanten oder fruchtlosen Bemühungen um weitere Bereicherungen unserer deutschleutschen Kuriositätensammlung mit auf den Weg geben möchte:

Dem Kampf gegen das Welsche scheint eine heimliche Sympathie für das Kauderwelsche zugrundezuliegen.
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Walter Lachenmann


eingetragen von J.-M. Wagner am 28.04.2002 um 15.54

Eine andere meiner vielen Fragen betraf die Bezeichnung der Adelungschen s-Schreibungsregel. Bei Michael Schneider heißt es (unter der Jahreszahl 1748) zu Johann Christoph Gottsched: »Auf ihn geht auch die im 20. Jahrhundert übliche Verteilung von <ss> und <ß> zurück.« Damit meint er doch die s-Schreibung, von der ich hier im Forum gelernt habe, daß sie gewöhnlich als die Adelungsche bezeichnet wird. Wie paßt das zusammen?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Elke Philburn am 28.04.2002 um 14.14

Ich mutmaße mal, es liegt daran, daß der Verbstamm hust- lautet, eine 'Verlängerung' des Wortes mit einem Vokal nach dem s also nicht möglich ist. Durch die 'Verlängerung' kann man nach den herkömmlichen Regeln bis auf einige Ausnahmen herausfinden, ob ein Wort bzw. Wortstamm auf s oder ß endet.

Also:

Gras - Gräser -> stimmhaft -> einfaches s

groß - größer -> stimmlos -> ß

muß - müssen -> stimmlos -> ß

was, Last, aus - keine 'Verlängerung' möglich -> s


eingetragen von J.-M. Wagner am 28.04.2002 um 13.54

Ich möchte gern auf eine meiner "vielen Fragen" (R. Markner) zurückkommen: Kann es sein, daß der Fall eines unmittelbar folgenden Konsonanten im Wortstamm von den alten Dudenregeln (hier: R 183-188) nicht erfaßt wurde? Welche der alten Dudenregeln spricht gegen die Schreibung der *Hußten?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 28.04.2002 um 13.42

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Detlef Lindenthal
Verrät mal jemand der Allgemeinheit, wie das [einen Gedankenstrich erzeugen; J.-M. W.] auf Dose (H. M., m.!) geht? (Ich habe einen Kunden, der hat Stein und Bein behauptet, daß Windows keinen Gedankenstrich auf der Tastatur hat; nur so mit Makro und Maus und Sonderzeichen und so.)
Das geht sogar noch etwas einfacher, als es Herr Lachenmann beschrieben hat: Einen normalen Gedankenstrich erhält man mittels des Minuszeichens vom Ziffernblock (ganz rechts außen), wenn man dabei die "Steuerungstaste" (Strg), engl. CTRL-Taste, gedrückt hält. Einen sog. "langen Gedankenstrich" (ist das ein "Geviertstrich" in der Druckersprache?) erhält man, wenn als dritte Taste zusätzlich "Alt" gedrückt gehalten wird.

Alle diese Tastenkürzel sind in dem entsprechenden Fenster für die Auswahl von Sonderzeichen angegeben (ganz rechts neben den Zeichen). Man erreicht das Fenster »mit Makro und Maus und Sonderzeichen und so«(!): Einfügen - Sonderzeichen - Auswahl 2. Jedoch sind nicht für alle Sonderzeichen Tastenkürzel definiert; dann hilft wirklich nur noch ein Makro.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Walter Lachenmann am 28.04.2002 um 07.35

1. Danke - ich habe die < und > Tasten gefunden, bei meiner Max-Tastatur liegen sie neben der 1, wo sie nicht wirklich hingehören.

2. Aber warum fragen Sie nach Mac, wenn Sie eh auf Dose schreiben?
Lieber Detlev von Liliencron, hier kommt wieder einmal Ihr abgrundtiefes Nichtwissen ans Tageslicht. Die ehrwürdige Schwarze Kunst kannte schon immer den Schweizerdegen. Die Schweizer Landsknechte waren einst gefürchtet wegen ihrer Schlagkraft, bei ihren Degen waren nämlich beide Seiten scharfgeschliffen, also sowohl Kimme als auch Korn. Übertragen auf die Schwarze Kunst war ein Schweizerdegen ein Allroundfreak, der sowohl das Setzen als auch das Drucken beherrschte - für Einmannbetriebe durchaus sinnvoll. So ein Rundumfrack bin ich auch, ich bin ein Tastengott sowohl auf PC-Dose wie auf McKindtosch, nur die spitzen Klammern hatte ich übersehen.

3. Wer mit Wörd schreibt, hat selber schuld.
Wer freiwillig mit MaxKindtosch arbeitet, kommt auch auf Schnapsideen wie prüflesen und nimmt heimlich Trinkgeld.

4. Ein Blockade-Zeichen (schwarzes Rechteck) kenne ich in den Werkschrift-Zeichensätzen nicht;
Mackie stellt Ihnen dafür die Tastenfolge Wanne_Schifft_+ zur Verfügung, dann erscheint ein Äpfelchen, bei Mackies hat man's immer gerne ein bißchen mit Fun.
Ein ordentliches Satzprogramm kennt viele Möglichkeiten für die Blockade, Sie müssen eben z.B. Zapf-Dingbats anwählen, die Alt-Taste drücken und dann ein simples n tippen. Im Forum geht das so nicht.

5. Betreffs der beglaubigten Antwort auf die Gautschfrage dürfen Sie nicht so ungeduldig sein; wo soll ich denn am Wochenende einen Notar auftreiben?
Das ist einleuchtend.

Falls sich jemand über die intellektuelle Höhe dieses Disputes hier meint beschweren zu müssen, so empfehle ich demjenigen, künftig sich bei der ARD die vormitternächtliche Diskussionsrunde »Im Glashaus« anzuschauen. Gestern saßen beieinander: Sloterdijk, Safranski, Franziska Augstein und Madame Mathiopoulos und unterhielten sich darüber, was in unserer Gesellschaft nicht in Ordnung sei, daß so ein Unheil wie der Amoklauf in Erfurt hatte stattfinden können. Der Fall sollte wohl auf höchster geistiger Ebene analysiert und verarbeitet werden. Allein die Situationsbeschreibung »der Gesellschaft« war ebenso oberflächlich wie konträr, die einen fanden, von unseren Kindern würde zu viel Leistung gefordert, die andere meinte genau das Gegenteil. Als ob der durchgeknallte Junge deshalb - so oder so - dieses Unheil angerichtet hätte!
Hier überschneiden sich die Forumsstränge und es geht um »Gruppendynamik« - auch hier soll Distanz hergestellt werden zu einem Phänomen, man meint mit ihm irgendwie umgehen zu müssen und zwar sofort, und zu wissen wie. Die Angelegenheit wird auf den Medienmarkt gezerrt, in alle Gazetten und Fernsehsender. Trauer und Betroffenheit werden inszeniert, weil sie in Wahrheit nicht da oder nicht wirklich erlebbar sind. Anstatt daß man einfach mal für eine Weile den Mund hält, wenn so etwas passiert. (Muß ausgerechnet ich sagen! Aber hier passiert ja nichts Schlimmes.)


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Walter Lachenmann


eingetragen von Detlef Lindenthal am 28.04.2002 um 06.13

Tastentechnik

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Walter Lachenmann
Also mit dem Gedankenstrich ist das so, wie ich schon beschrieben habe. Man drückt auf Alt und tippt auf dem Zahlenfeld: 0150. Wenn man aber seinen Text in Word vorschreibt und das dann hier reinkopiert, erscheint wieder der normale Trennstrich, unser gutes altes Divisorium. Wenn man direkt ins Forum schreibt mit Alt 0150, dann klappt's.

Jetzt darf mir Herr Lindenthal erklären, wie man die spitzen Klammern < und > auf dem Mc&MausComputer schreibt, deutsch auch Max genannt, dessen für die PISA-Generation abgespeckte Tastatur diese Zeichen nicht hat. Wanne, Apfel, Blumenkohl, Schifft oder was? Oder Ostereier suchen oben im Gemüsebeet des kleinen P?


Voraussetzend, daß die Neologismen >>Mc&MausComputer ... deutsch auch Max genannt<< Apple Macintosh (verdeutscht Apfelrechner) bedeuten sollen, antworte ich:
Die mir bekannten Tastaturen haben > und < rechts neben der linken Groß-Taste (Neologismus: Schifft-Taste).
In HTML werden die Zeichen so gebildet: &lt; bzw. &gt; (Merkhilfe: less than, greater than).
Gedankenstrich: &#150;
Tütteln: &#132; und &#147;

» und « bildet man mit Weiche-Groß-q bzw. Weiche-q. Oder in HTML: &raquo; und &laquo; (Merkhilfe: right/left antic quote)
Wanne ist bedeutungsgleich mit Weiche und Alt?
Alle „Ostereier“ (sehen Sie, ich stelle mich nicht so an, wenn andere Leute neue Wörter einführen) aus dem „Gemüsebeet des kleinen p“ haben das zugehörige Tastenkürzel in der ersten Gemüsebeet-Reihe verzeichnet.
Aber warum fragen Sie nach Mac, wenn Sie eh auf Dose schreiben? Alt-0150-loslassen geht m.W. nur auf Dose.
Wer mit Wörd schreibt, hat selber schuld.

Bei allem Respekt vor dem „Kulturgut dieses traditionsreichen Berufsstandes“ sollten wir nicht die Augen vor der harten Wirklichkeit verschließen: Ein Blockade-Zeichen (schwarzes Rechteck) kenne ich in den Werkschrift-Zeichensätzen nicht; falls Sie das oftmals für fehlende Zeichen vorhandene hohle Rechteck meinen, so würde ich dessen Verwendung, gemessen an der reinen Lehre, doch schon auf der Grenze zu Kulturbanausentum sehen.

Betreffs der beglaubigten Antwort auf die Gautschfrage dürfen Sie nicht so ungeduldig sein; wo soll ich denn am Wochenende einen Notar auftreiben?
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Elke Philburn am 28.04.2002 um 04.49

Vielleicht habe ich die Frage etwas zu direkt gestellt. Die Vorstellung, sich so einem gouching zu unterziehen, mag Herrn Lindenthal nicht gentleman-like genug erscheinen.


eingetragen von Walter Lachenmann am 27.04.2002 um 22.36

Wenn Herr Lindenthal gegautscht worden wäre, hätte er nicht so geheimnisvoll drumrum gefaselt. Ich hatte mal einen Chef, der hatte einen Namen, den es auch im Adel gibt, er hatte mit dem Adel aber überhaupt nichts zu tun. Fragte man ihn, ob er aus der berühmten Adelsfamilie stamme, schlug er keusch die Augen nieder und murmelte etwas, wie »ach, reden wir von was anderem oder später mal drüber, da gäbe es viel dazu zu sagen...« Ohne Vorlage eines notariell beglaubigten Gautschbriefes in Zitterlünstaketenschrift glaube ich nie und nimmer, daß unser Kandidat von der Existenz eines Gautschbottichs auch nur je gehört hat, sonst ginge er auch nicht so zerstörerisch-schöpferisch mit dem sprachlichen Kulturgut dieses traditionsreichen Berufsstandes um.

Also mit dem Gedankenstrich ist das so, wie ich schon beschrieben habe. Man drückt auf Alt und tippt auf dem Zahlenfeld: 0150. Wenn man aber seinen Text in Word vorschreibt und das dann hier reinkopiert, erscheint wieder der normale Trennstrich, unser gutes altes Divisorium. Wenn man direkt ins Forum schreibt mit Alt 0150, dann klappt's.

Jetzt darf mir Herr Lindenthal erklären, wie man die spitzen Klammern < und > auf dem Mc&MausComputer schreibt, deutsch auch Max genannt, dessen für die PISA-Generation abgespeckte Tastatur diese Zeichen nicht hat. Wanne, Apfel, Blumenkohl, Schifft oder was? Oder Ostereier suchen oben im Gemüsebeet des kleinen P?

Jetzt geh ich schlafen, sonst kann ich morgen früh nicht rechtzeitig hochkomma!
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Walter Lachenmann


eingetragen von Detlef Lindenthal am 27.04.2002 um 20.47

denn das ist ja nicht so, daß ich ein übereifriger Neologist wäre; neue Wörter hole ich nur, wenn sie gebraucht werden oder besser sind oder bereichern.

Sie sollten wirklich nicht meinen, daß ich den *Hochbeistrich nicht auf Eignung überprüft hätte. Es sind ja kein Beistriche, sondern Hochstriche. Solche könnten aber irgendwie sein, z.B. so, wie die meisten Lehrer die setzen würden: ´ oder ` oder '; ein richtiger Apostroph ’ hat aber die Form eines Kommas und steht oben und jedenfalls nicht so bei wie der Beistrich. Hochkomma erklärt gleich mit, wie dieser Hochstrich auszusehen hat. Gönnen Sie mir doch auch ein paar Fremdwörter.

Den Vergleich mit „Uhrwerk Orange“ (so hieß der Film damals) müßten Sie genauer erklären. Die sind oft auf der falschen Straßenseite gefahren, um den Gegenverkehr zu erschrecken; meinten Sie das? Oder den fröhlichen Gesang?
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Detlef Lindenthal am 27.04.2002 um 20.31

Hier nun die mit Spannung erwartete Auflösung des Aussprache-Rätsels von gestern.
Die Rätselfrage lautete:
Klingen nach Meinung der hiesigen Foristen die Wörter Bund und bunt genau gleich? (Gibt es einen eigenen Endlaut d gar nicht?)

Die Antwort:

1. Natürlich war das nur eine Fangfrage. Es ging nicht um die Standardsprache oder um das Standarddeutsch(e) oder das Schweizerdeutsche oder Sächsische, sondern um das Deutsche, und da gibt es durchaus Sprechweisen, die d und t auch am Wortende unterscheiden; vielleicht nicht gerade bei den Sachsen – die haben auch am Wortanfang Schwierigkeiten mit der Unterscheidung z.B. von weichem b und hartem b (Bolizisd usw.).

2. Freilich gibt es einen vom t- unterschiedlichen d-Laut am Wortende; sorgfältige Sprecher beachten den Unterschied häufiger, weniger sorgfältige seltener, und auch je nach Sprechgeschwindigkeit unterschiedlich – statistisch ist jedenfalls eine Unterscheidung gegeben.
Das Wortende-t besteht aus einem explodieren Verschluß der Zunge am Oberkiefer mit nachfolgendem zwerchfellgestützten Zunge-Oberkiefer-Zischlaut (oder heißt das Reibelaut?), für den der Luftkanal zur Lunge  o f f e n  ist und ein verhältnismäßig großes Luftvolumen die t-Lautfolge formt.
Beim Wortende-d ist der sich dann öffnende Verschluß der Zunge am Oberkiefer der gleiche wie beim t, jedoch steht dafür nur ein viel geringerer Luftvorrat zur Verfügung, denn der Luftstrom wird zuvor irgendwo im Hals oder an der Zungenwurzel abgeklemmt, und durch eine Zungenmitte-Aufwärtsbewegung wird die eingeschlossene wenige Luft dafür genommen, das kleine Exblosiönchen mit etwas Hauch danach durchzuführen; nach dem Wortende-d ist der Hals also  g e s c h l o s s e n .

Hier einige Wörterpaare zum Nachprüfen:
gute Fahrt / das Essen ist fad;
danke für den Rat / sie kommt mit dem Rad / er fährt Fahrrad
Ein Schnee fällt auf das Feld.
Wald und Welt ...

Wie gesagt, je nach Sprachlandschaft und je nach Sprechgeschwindigkeit wird das Ergebnis unterschiedlich sein; wie heißt es doch im 3. Kommissionsbericht: Prüfstein sei „langsames Vorlesen“.

Sind alle mit obigem Entscheid der (Einmann-)Jury einverstanden?


– gegautscht oder nicht? Liebe Frau Philburn, ich will mit der Beantwortung von solchen Einzelfragen das hiesige Auditorium nicht langweilen; wir können ja noch weitere Fragen sammeln, vielleicht lohnt sich dann eine Gesamtantwort in Form einer umfassenden Lebensbeichte.
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Reinhard Markner am 27.04.2002 um 20.28

= Hochbeistrich ! Wenn schon, denn schon !

(Die Lektüre des Regelwerks in einer älteren Duden-Auflage zeitigt übrigens ähnliche Effekte wie Burgess' Clockwork orange. Vor lauter »Beistrichen«, »Umstandswörtern« und »Wesfällen« wird einem regel[ge]recht schwindlig. Vgl. dazu auch den denkwürdigen Band Das Ringen um eine deutsche Grammatik, erschienen in der Reihe »Wege der Forschung«.)


eingetragen von Reinhard Markner am 27.04.2002 um 20.21

http://www.mauthner-gesellschaft.de/mauthner/intro/bichsel.html


eingetragen von Elke Philburn am 27.04.2002 um 19.57

Wink

(Mich hätte aber nun doch interessiert, ob Herr Lindenthal gegautscht wurde.)


eingetragen von Detlef Lindenthal am 27.04.2002 um 19.27

Ihnen ein Lob, Herr Lachenmann, denn es gelang Ihnen – gut passend übrigens zu Ihrer Berufsschau – erstmalig, einen richtigen Gedankenstrich zu setzen (nach dem Wort Spaß).
Also, auf Apfelrechner (Herr Markner, meckern!) macht man den Gedankenstrich mit „Weiche“ + „Bindestrich“ gleich „Alt“ + „minus“. Verrät mal jemand der Allgemeinheit, wie das auf Dose (H. M., m.!) geht? (Ich habe einen Kunden, der hat Stein und Bein behauptet, daß Windows keinen Gedankenstrich auf der Tastatur hat; nur so mit Makro und Maus und Sonderzeichen und so.)
– In der nächsten Lektion verrate ich, wie Tütteln unten und oben gehen (An- und Abführungsstriche) und das Hochkomma (der Apostroph).

Und ich arbeite fiberhaft (mit jeder Faser meines Körpers und Geistes) an der Auflösung des Sonnabendrätsels* (wg. der Aussprache von Bund und bunt). Danke an Frau Philburn für die gut verständliche Erläuterung!
(* Ich weiß, südlich der Eider sagen manche Leute Samstag.)
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Walter Lachenmann am 27.04.2002 um 17.57

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
nicht diese Töne! Liebt euch!

Welche?

Gegautscht ist ganz was Harmloses. Ein Drucker- oder Schriftsetzergeselle wird nach bestandener Gesellenprüfung im Kreise seiner Kollegen seit altersher gegautscht, d.h. in einen Bottich mit Wasser getaucht. Dann bekommt er den Gautschbrief, in Zütterlinsspitzschrift gesetzt oder geschrieben, und dann wird gesoffen. Erst dann kann er als Jünger der Schwarzen Kunst ernstgenommen werden.

Auch Hurenkinder sind harmlos: Ausgangszeilen eines Absatzes sollten nie oben an einer Druckseite stehen (wie etwa bei Icklers Wörterbuch auf Seite 57). Wenn ein Absatz mit einer Zeile unten an der Seite beginnt, ist das auch nicht schön, das ist dann ein Schusterjunge, der ist aber nicht so schlimm.

Fische sind Buchstaben aus einer anderen Schriftgröße, die sich in den Setzkasten verirrt haben. Wenn sie aus einer ganz anderen Schrift kommen, sind es Zwiebelfische. Diese schwimmen reichlich in der Regelungsgewalt (Times und Garamond bunt gemischt, kursiv und elektronisch schräggestellt, etwa in den Fußnoten. Ansonsten ist das Buch erstklassig, aber ein richtiger Setzer war an seiner Entstehung nicht beteiligt).

Keine Sorge - wir lieben uns, Fachgespräche sind nun einmal so. Besserwissen macht Spaß – das wissen wir doch alle hier.
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Walter Lachenmann


eingetragen von Elke Philburn am 27.04.2002 um 17.28

Zitat:
Meine Frage hatte ich auf deutsch geschrieben, und ich würde es angemessen und auch höflich finden, wenn Sie auf deutsch antworten könnten oder anderenfalls mal im Forum herumfragen, wer die Bedeutung Ihrer seltenen Wörter kennt.

Es ging ja darum, daß b, d oder g am Wortende in der Standardlautung wie p, t oder k gesprochen werden, bunt also wie Bund. Wenn man Gallmann glauben darf, unterscheidet sich das Schweizerdeutsche dadurch, daß es b, d oder g am Wortende nicht zu p, t oder k werden läßt, wenn die Laute a, e, i, o, u, m, n, l oder r folgen. Bei Bund erweitern müßte d weiterhin wie d gesprochen werden.

Die Erklärung dafür ist wohl, daß es einfach ist, hier ein d zu artikulieren. Man kann es ja wie bun-derweitern aussprechen. Bei Bund schließen wäre es dagegen schwierig, ein vom t deutlich zu unterscheidendes d hinzukriegen. Deshalb wird es wohl bunt schließen ausgesprochen.


eingetragen von Elke Philburn am 27.04.2002 um 17.08


eingetragen von Theodor Ickler am 27.04.2002 um 16.39

nicht diese Töne! Liebt euch!
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Th. Ickler


eingetragen von Walter Lachenmann am 27.04.2002 um 15.37

Aber hier verbietet doch keiner keinem was! Wovon reden Sie eigentlich? Wir unterhalten uns doch ganz friedlich. Und Ihre Ideen sind ja auch ganz nett, aber ein bißchen verschroben, das darf man doch wohl noch sagen in diesem unserem Lande! Daß es Blockaden immer noch gibt, wenn man die Tastenkombination kennt, Hurenkinder ebenso und viele andere Krankheiten mit diesen schönen Bezeichnungen, lasse ich jetzt mal auf sich beruhen. Sind Sie eigentlich gegautscht?
__________________
Walter Lachenmann


eingetragen von Detlef Lindenthal am 27.04.2002 um 15.22

Jetzt fangen auch noch Sie, Herr Markner, mit Wörterverbot an; haben Sie aus der Geschichte und aus der bisherigen Erörterung in diesem Forum nichts gelernt?
Die genannte Geschichte lese ich mir gerne durch, wenn Sie sie mir zusenden: mailto://detlef@lindenthal.com.


Liebe Frau Philburn,

weil ich nicht weiß, was die Wörter Obstruenten, Obstruentenneutralisierung, Fortes, Fortis, fortis, Lenis, lenis, Affrikate bedeuten, habe ich Ihren Beitrag leider nicht verstanden. Ich bin Handwerker und habe noch nicht mal ein schlechtes Gewissen, daß ich die Wörter nicht kenne.

Meine Frage hatte ich auf deutsch geschrieben, und ich würde es angemessen und auch höflich finden, wenn Sie auf deutsch antworten könnten oder anderenfalls mal im Forum herumfragen, wer die Bedeutung Ihrer seltenen Wörter kennt.

Wenn ich später noch Zeit habe, schreibe ich noch die Auflösung für meine Bund/bunt-Frage.


Lieber Herr Lachenmann,

eingeschnappt hin oder her; das Revier, welches jene eigene Fachsprache von Hochzeit, Hurenkind und anderen Häßlichkeiten aufspannen geholfen hat, gibt es nicht mehr; es wurde von den bereits genannten Sekretärinnen, Deutschlehrern, „Sprachwissenschaftlern“ (in Tütteln, denn sie sind, wissenschaftsfern, der Empirie, dem Alltagsbezug untreu geworden), Duden-usw.-Mafia und Kultusbürokraten flachgemacht.

Einige wenige Ausdrücke jener Fachsprache benutze ich, eine große Anzahl (Zwiebelfisch, Eierkuchen, Blockade ...) gibt es durch Rechnersatz nicht mehr.

Als ich als Elternvertreter einer Vor-Abitur-Klasse in der Fachschaft Deutsch argumentierte, immer mehr Bücher würden nicht mehr von Setzern und Lektoren gemacht, sondern von Laien mit Abitur, und eine große Zahl von Abiturienten würden selbst ein Buch verfassen (nämlich die eigene Examensarbeit), deshalb sollten die Schüler eine Woche lang die Grundbegriffe des Büchersatzes lernen, da sagt der zweite Direktor, der Stiesel, der nicht meinte, zuhören zu müssen: „Ach wissen Sie, das Büchermachen ist doch mehr Angelegenheit der Druckereien.“
(Meine Söhne und einige von deren Mitschülern lernten dann einiges beim Abi-Buch; aber die nötige begleitende Lehrstoffsammlung entstand nicht.)

Als Ergebnis und empirischen Beweis für diesen einer Kulturnation absolut unwürdigen Mißstand führe ich an:
„Entwurf – nicht für die Öffentlichkeit bestimmt
Bericht der zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung
Vorschläge zur Präzisierung und Weiterentwicklung aufgrund der kritischen
Stellungnahmen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung
Dezember 1997“,
„Bericht der zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung
Vorschläge zur Präzisierung und Weiterentwicklung aufgrund der kritischen
Stellungnahmen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“,
„Zweiter Bericht der zwischenstaatlichen Kommission für deutsche
Rechtschreibung (Februar 1998 – Dezember 1999)“,
„3. Bericht der zwischenstaatlichen Kommission für deutsche
Rechtschreibung“,

(Quelle z.B.: Rechtschreibargumente.de), die zu lesen mir vergönnt war.
Diese „Berichte“ bewegen unser Hochtechnologieland zielstrebig in Richtung Bananenrepublik, und das weckt meinen Widerstand.

Wenn Sprache allerorten verändert und auch weiterentwickelt wird und werden muß, so gilt dieses Gebot zuvörderst auch für die Kulturschützer.

Was halten Sie davon, dieses Forum um ein Wörterbuch für neue Wörter zu bereichern und dort alle Argumente und Sammelwut hineinzustecken statt in weniger wichtige Argumente?
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Reinhard Markner am 27.04.2002 um 14.52

Wenn überhaupt, dann heißt das »Bruchschrift«, man spricht ja auch von »gebrochenen Schriften«. Im übrigen empfehle ich Herrn Lindenthal Peter Bichsels Erzählung »Ein Tisch ist ein Tisch«.


eingetragen von Elke Philburn am 27.04.2002 um 14.44

Detlef Lindenthal:

Zitat:
Da habe ich einmal eine Frage:
Klingen nach Meinung der hiesigen Foristen die Wörter Bund und bunt genau gleich? (Gibt es einen eigenen Endlaut d gar nicht?)

Dazu Theo Ickler:

Zitat:
Im Standarddeutschen klingen die Wörter gleich, im Schweizerdeutschen - vor allem im Textzusammenhang - nicht (vgl. Gallmann in Augst et al.: Zur Neuregelung ...; auch auf Gallmanns Internetseite).

Hierzu schreibt Gallmann:

Hierzu muss man wissen, dass das Schweizerdeutsche (wie auch viele andere oberdeutsche Dialekte) keine Auslautverhärtung in der Art der Standardsprache kennt. Was statt dessen vorkommt, ist eine Art Obstruen- tenneutralisierung: Wenn innerhalb eines Wortes oder an einer Wortgrenze zwei Obstruenten aufeinander- treffen, ist die Opposition Fortis/Lenis aufgehoben (die neutralisierten Obstruenten stehen dann rein lautlich den Fortes näher als den Lenes). Positiv ausgedrückt: Wenn von zwei Wörtern das erste auf einen einfachen Konsonanten endet und das zweite mit einem Vokal (oder auch etwa [l], [r]) beginnt, ist zu hören, ob der auslautende Konsonant des ersten Wortes eine Fortis oder eine Lenis ist. 9 Die Korrelation graphische Verdoppelung ­ Fortis ist so stark, dass in manchen standardsprachlichen Wör- tern, die in den Dialekten kein Äquivalent haben, Doppel-b als Fortis /p/ umgesetzt wird, so öfter in Ebbe. Die Graphie gg entspricht im Schweizerdeutschen übrigens ausschließlich /k/, während k einer Affrikate /kx/ zugeordnet ist.

Quelle

Demnach ist die Auslautverhärtung nur vor Obstruenten, also Verschluß- und Reibelauten vorzufinden, aber nicht vor Sonoranten (n, l, r) oder Vokalen.

Anders als im Standarddeutschen würde der Schweizer dann das /g/ in mag lieber stimmhaft aussprechen. Ähnlich wie ma-glieber. Bei mag Brot dagegen wäre die Aussprache des g wie k, also wie in der Standardsprache. Um auf das Beispiel Bund zurückzukommen: Bei den Bund erweitern müßte der Schweizer das d hörbar als lenis artikulieren, bei zum Bund gehen dagegen als fortis t.

Davon unabhängig ist die Aussprache graphisch verdoppelter Konsonanten. Diese werden nach Gallmann im Schweizerdeutschen verlängert ausgesprochen, weil sie
als 'Silbengelenk' fungieren, also zum Ende der ersten wie auch zum Anfang der zweiten Silbe gehören. Das Wort offen hätte demnach einen langen f-Laut, vielleicht vergleichbar mit dem /f/ in einem Wort wie Lauffeuer.


eingetragen von Walter Lachenmann am 27.04.2002 um 14.00

Keine Ahnung, was Sie meinen. Ich meckere nicht, ich verbiete Ihnen weder das Wort noch das Denken, rege Sie vielmehr dazu an, letzteres handwerklich und wissenschaftlich besser zu tun als bisher erkennbar; ich verteidige kein Revier, ich denke auch ich denke gar nicht so zäpfchenförmig, wie Sie denken, daß ich denke.
Da habe ich extra für Sie diesen interessanten Aufsatz über unsere gemeinsame Fachsprache abgeschrieben (mein Skönner kann keine Spitzschrift lesen), der auch Ihnen vielleicht zu überlegen gibt, ob es so sinnvoll ist, Begriffe zu erfinden, wo es schon seit Ewigkeiten welche gibt, mit denen kein Mensch Probleme hat und die viel schöner sind als alle Neuerfindungen und eine wunderbare Tradition mit sich führen. Und jetzt sind Sie eingeschnappt. Das finde ich aber nicht gerade intellektuell souverän. Und das wollte ich auch nicht – ehrlich.

Und natürlich gibt es noch Schriftsetzer und Lektoren bzw. Leute die das tun, was diese in der Vergangenheit taten, nämlich Texte setzen, was heute jeder, der einen PC mit Word besitzt, meint ordentlich machen zu können. Und das stimmt überhaupt nicht. Da haben Sie völlig recht mit Ihrer Feststellung, daß man sehr wohl erkennen kann, ob einer von Schriftsatz etwas versteht oder nicht, etwa an den Gedankenstrichen u.a. – in Word kriege ich die richtig hin, sie verwandeln sich aber wieder in Divisorien, wenn die Texte ins Netz kommen. Die »Quereinsteiger« haben zu einem üblen Verkommen der Sitten geführt, insbesondere die Kollegen aus den Werbeagenturen, die es fertigbringen, die Ergebnisse ihrer Unfähigkeit, mit Satz umzugehen, als ein besonderes Merkmal für professionellen Satz zu verkaufen, so daß Weltfirmen mit den hanebüchsten typographischen Sünden auftreten und andere meinen, ihre Werbung müsse nun auch so miserabel – in ihren Augen professionell oder schick – sein, etwa im Bereich des Kernel, des Zeilenfalls oder des Ausschließens. Oder beim Umgang mit dem s in Frakturschriften! Da muß ich Ihnen ja wohl nichts erzählen. Also – ich mein' ja nur.

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Walter Lachenmann


eingetragen von Detlef Lindenthal am 27.04.2002 um 13.09

... zum Ausweichen vor verantwortbarer Gemeinwesengestaltung

Na, Herr Lachenmann, da hat es ja in Ihrem zweiten Anlauf doch noch geklappt, vonwg. Mecker.
Trotzdem: Sie sind wieder zu kurz gesprungen; die Wörter Spitzschrift, Verbund usw. sind nicht von mir; lediglich prüflesen, vonwg. und Revierverteidigung.
Mir scheint, Sie verteidigen verbissen ein Revier, das es längst nicht mehr gibt: das der Schriftsetzer und Lektoren. Als ich 1996 versuchte, diesen erlauchten Berufsstand zum Schutze unseres Arbeitswerkzeuges (der Sprache nämlich) anzusprechen, haben die sich zäpfchenförmig (dies Wort ist auch nicht von mir) hinter ihren Geldgebern und Firmenchefs zu verstecken versucht.

Und das Debakel kommt daher, daß dieser Berufsstand, genau wie Sie, nicht fallbezogen politisch denkt, sondern nur vorhandene Denkmuster mit vorgefundenen Lagemustern in Übereinstimmung bringen will – so wie sich das bei der Rechtschreibung ja bewährt. Bei den übrigen Gemeinwesenfragen klappt das manchmal ganz gut, oftmals reicht es aber nicht; Musterübereinstimmung suchen ist eben kein Denken; zum Denken gehört, daß so lange gesucht und Hypothesen bewegt, verworfen und vor allem auch neu entwickelt werden, bis eine handwerklich und wissenschaftlich befriedigende Lösung gefunden wurde.
Und da ich in dieser Hinsicht in den vergangenen 5 Jahren nicht weniger eingesetzt und zuwege gebracht habe als Sie, bin ich nicht geneigt, mir von Ihnen das Wort und das Denken verbieten oder madig machen zu lassen.

Angezeigt wäre es, werteschaffend voranzuarbeiten; aber ich bin nicht zuversichtlich, daß bei der hier versammelten Schreiberschaft der nötige Arbeitsernst Oberwasser gewinnen könnte. Denn die hiesigen Foristen tragen viel zu sperrige Geweihe mit sich herum, als daß sie die Revierkämpfereien vergessen und sich den Sachfragen zuwenden könnten. Wenn es sich anders entwickelt, würde ich mich sehr freuen. Vorschläge für extrem lohnende Arbeitsfelder gibt es die Fülle; doch glaube ich, daß es hier im Forum wie bei der Dorffeuerwehr ist, daß da nicht jeder ein Vorschlags-, Rede- und Fragerecht hat; wo kämen wir da hin.

Einen schönen Sonntag noch!
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Walter Lachenmann am 27.04.2002 um 10.14

(Walther G. Olischewski, aus: 500 Jahre Buch und Druck. Zum Jahre 1940 herausgegeben von den graphischen Betrieben R. Oldenbourg in München)

Herrn Dethlef Lindenthal, dem deutscher Sprachtradition und Sprachreinheit verpflichteten Erfinder der Spitzschrift, der Verbünde, dem Prüflesen und anderer Sprachkleinodien zugeeignet. WL.

Es handelt sich bei der Buchdruckersprache um eine der charakteristischsten Erscheinungen der deutschen Sprachgeschichte, als deren lebendiges Glied der Wortschatz der Buchdrucker sich zu einer eigenen Fach- und Gesellschaftssprache ausgebildet hat. Phantasie, Humor und die ständig unmittelbare Berührung mit Gegenständen des Geistes vieler Völker haben an dieser Ausbildung einen wesentlichen Anteil.
Zwei Gruppen des reichen Wortschatzes der Druckersprache sind zu unterscheiden. Zu der ersten gehören die mehr fachtechnischen Bezeichnungen, zu der zweiten die eigentliche Gesellschaftssprache der Buchdrucker. Es ist naheliegend, daß die gewerblichen Bezeichnungen unter dem starken Einfluß der lateinischen Gelehrtensprache entstanden sind. Die Buchdrucker waren, zumal in Universitätsstädten, wo sie oft bei den Artistenfakultäten immatrikuliert gewesen sind, fast durchgängig humanistisch gebildet. Die bedeutendsten wissenschaftlichen, theologischen und liturgischen Werke der Inkunabelzeit, die man mit dem Jahre 1500 allgemein abschließen läßt, wurden in lateinischer Sprache gedruckt. Eigentlich erst seit der Reformation, durch Luthers Schrifttum, das zur Begründung und Entwicklung unserer neuhochdeutschen Schriftsprache wesentlich beigetragen hat, ist der deutsche Sprachraum im Druckwerk der Zeit in breiter Front sichtbar geworden. Aber bis auf den heutigen Tag sind viele der gewerblichen Bezeichnungen unverändert lateinisches Wortgut oder wenigstens lateinischen Ursprungs. Man braucht sich nur an eine Reihe der gebräuchlichsten und zum größten Teil allgemein bekannten Fachwörter zu erinnern: Abbreviatur, Akzidenzen (Accidenzien), Antiqua, Autor, Brevier, Cicero, deleatur, Divisorium, Duodez, Errata, Faktor, Folio, Initiale, justieren, Interpunktion, Konkordanz, Korpus, korrigieren, Kolumne, Kustos, Ligatur, Marginalien, Mater, Matrize, Norm, Offizin, Presse, Punkt, Quart, Register, Revision, Tenakel, Tabelle, Uniciale, Vakat, Versalie u.a.
Alle Bemühungen um Verdeutschung dieser lateinischen Wörter sind erfolglos gewesen. Nur ganz wenige, wie z.B. Abbreviatur = Abkürzung, Errata = Irrtum (Druckfehler) - wie schon in Fachlehrbüchern des 18. Jahrhunderts vorgeschlagen wurde -, haben Eingang gefunden. Die Entwicklung und Ausbreitung der Buchdruckerkunst auch über die Universitätsstädte hinaus, die Herstellung der meisten Druckwerke in deutscher Sprache haben immer mehr eine Kenntnis der lateinischen Sprache für die Buchdrucker überflüssig gemacht und damit, wenn auch in beschränktem Maße, zur Verunstaltung der lateinischen Fachwörter beigetragen, so daß man mitunter schwerlich ihren Ursprung erkennen kann.
Auch die französische, italienische und englische Sprache sind an der Ausbildung der gewerblichen Druckersprache beteiligt gewesen. Vor allem die französische! Durch Einwanderung französischer Drucker nach Süd- und Westdeutschland sind eine ganze Reihe solcher Fachwörter zu uns gekommen. Sie sind unverändert im Gebrauch, z.B. Diamant, Nonpareille, Petit, Borgis (Bourgeois) für Schriftgrade [sowie Colonel, WL], Grotesk (Grotesque), Egyptienne für Schriftarten; ferner Letter, Vignette = Verzierung, Reglette = Zeilendurchschuß in bestimmter Länge u.a.
Die zweite Sprache, die eigentliche Gesellschaftssprache der Buchdrucker, ist dagegen ein eindrucksvolles Beispiel des selbständigen sprachschöpferischen Vermögens des Berufes, das den volkstümlichen Wortschatz der deutschen Sprache immer wieder neu bereichert hat. Diese lebendige Mitbeteiligung hat wohl kein anderes Gewerbe aufzuweisen. In der Kaufmanns- und Bergmannssprache ist sie wesentlich geringer. Die Unmenge von Redensarten und Bezeichnungen sind von einzigartiger Prägnanz des Ausdrucks und der Bildhaftigkeit. Das Mittel der Personifikation ist dabei eine auffällige Erscheinung.

[Es folgt dann eine ganze Geschichte, die mit Begriffen der Druckersprache gespickt und mühsam zu lesen ist, trotz oder wegen der häufigen Sternchen, die auf Fußnoten verweisen, in denen die Begriffe erläutert werden. Einige Beispiele: Schuster (schlechter Setzer), Schiff, Fleisch, Spieß, Hose, Fahne, Leiche, Hochzeit, Hurenkind, Schusterjunge, Jungfrau, Fisch, Zwiebelfisch usw.]
.........
Im Nachhinein fällt mir dazu die Überlegung ein, ob es nicht überhaupt eine irrige und dem Willen des »Sprachvolks« keineswegs entsprechende Forderung ist, ein Wort müsse präzise und eine direkte Bezeichnung des Gemeinten sein. Auch der populäre Wortschatz gefällt sich doch oft in phantasievollen Umschreibungen, zumindest in Umwegen. So gibt es etwa im Französischen auch außerhalb des Druckereiwesens für Kleinbuchstaben neben dem völlig eindeutigen »minuscules« auch die Bezeichnung »bas-de-casses«, Korrektoren kürzen ab: »bdc«. Damit bezeichnet man die Lettern, die »unten im Setzkasten« bzw. vorne in größerer Griffnähe des Setzers liegen, nämlich die Kleinbuchstaben. Die Versalien (capitales, caps) liegen ganz oben, also in größerer Entfernung, denn da muß der Setzer nicht so oft hingreifen). Das spielt zwar in der realen Technik keine Rolle mehr, aber wer diese Terminologie verwendet, weist sich aus als einer vom Fach, diese Aussage gehört manchmal mit dazu.
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Walter Lachenmann


eingetragen von Walter Lachenmann am 27.04.2002 um 08.30

Es ist eben so, daß nicht zwangsläufig bestimmte Buchstabenverbindungen zu Ligaturen werden müssen, sondern nach Bedarf. Eben wenn sich die nebeneinander stehenden Buchstaben gegenseitig behindern, einandern überlappen oder einzeln einen zu großen Abstand zueinander hätten. Das ist je nach Schriftgestaltung unterschiedlich (besonders viele und oft sehr schöne Ligaturen haben deshalb die »Zierschriften« mit ihren »Schwungversalien«). Die klassischen, aus technischen Gründen kaum vermeidlichen Ligaturen fi, ft, fl usw. sind allerdings fast immer vorhanden. Es wurden auch schon Schriftschnitte versucht, bei denen man völlig ohne Ligaturen auskommen wollte, da wurde dann zum Beispiel der obere Schweif des f so spitz und klein gehalten, daß er eher nur noch ein leicht nach hinten geneigtes Düddelchen war oder wie ein verkümmerter Bischofsstab aussah, aber eben nicht über die folgende Oberlänge von i oder l oder t ragte. Es war nicht schön und hat sich nicht durchgesetzt.
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Walter Lachenmann


eingetragen von Gerd Weder am 27.04.2002 um 07.23

> und sch ist sowieso keine Ligatur sondern wird
> zusammengesetzt aus s + ch

In den meisten Schriften ist das richtig.

Die Eckmann-Schrift verwendet (jedenfalls im ursprünglichen Bleisatz, nicht mehr in den meisten jetzt erhältlichen Computerfassungen) eine eigene sch-Ligatur, bei der die "Fahne" des s nach rechts etwas länger in den Raum über dem c hinübergezogen ist als beim einzeln stehenden s oder etwa bei der st-Ligatur. Ob das auch bei anderen Schriften vorkommt, weiß ich allerdings nicht - gut wirken dürfte es nur bei eher flächigen Entwürfen.


eingetragen von Walter Lachenmann am 26.04.2002 um 23.04

Es steht ja jedem frei, wie er die Dinge bezeichnen will, mit denen er sich beschäftigt. Die Frage ist nur, ob er sich unter seinen Mitmenschen verständlich macht mit den von ihm erdachten Begriffen. Meckern tu ich deswegen nicht.

»Verbund« - dieser unverwechselbare Begriff ist in der Tat wunderbar für die ehrwürdige Ligatur, »Spitzschrift-Verbünde« - geradezu genial für Frakturligaturen, und auch »Rundschrift« für Antiqua ist eine Sprachschöpfung von erlesener Schönheit, die unser Vokabular einerseits um originelles deutsches Wortgut bereichert, andererseits die häßlichen Fremdwörter, die seit Jahrhunderten unsere Sprachkultur verunzieren, entbehrlich werden läßt. Marotten können etwas Liebenswürdiges sein.

Ansonsten ist das Feld hier ein weites. Ich habe wieder gelernt, daß es tatsächlich die Ligaturen ll und tt gibt bzw. gab, als ein Qualitätsmerkmal von Frakturschriften. In Antiquaschriften kenne ich diese Ligaturen nicht, im jetzigen Stand der elektronischen Satztechnik kommen sie meines Wissens nicht vor, man kann sie aber durch Unterschneiden manuell herbeiführen, wenn man diesen Aufwand für berechtigt hält.

Vor Einführung des Schreibsatzes konnte der Schriftsetzer natürlich nur die Lettern setzen, die sein Setzkasten enthielt. Und da gab es Unterschiede von Schrift zu Schrift. Die hochwertigeren enthielten ein großes Sortiment an Ligaturen, so die Zentenar-Fraktur (1837, Handsatz) ch, ck, ll, ff, fi, fl, ft, ss, si, st, (jeweils langes s) tt, tz, und die Schriften für den weniger anspruchsvollen Gebrauch hatten weniger. Ein mir vorliegendes in Fraktur (vermutlich Maschinensatz) gesetztes Buch aus dem Insel-Verlag von 1922 hat zum Beispiel die Ligaturen ch, ck, ll, ss, si, st, tz, nicht aber ff, fi fl, ft, tt - und sch ist sowieso keine Ligatur sondern wird zusammengesetzt aus s + ch.

Über die Geschichte des Zeichens ß kann man viele sehr unterschiedliche Theorien lesen. Sie sind alle ebenso plausibel wie höchstwahrscheinlich falsch. In einem der letzten Gutenberg-Jahrbücher stellte der Stuttgarter Typograph Bollwage fest, daß es sich aus einem Schnörkel entwickelt hat, der schon in der Ära der Handschriften üblich war, um ein längeres Wort, dessen Buchstabenfolge als bekannt vorausgesetzt werden konnte beim Leser, nicht in Gänze ausschreiben zu müssen, also ein Kürzel oder, wie Herr Lindenthal sagen würde, ein Joker. In abgewandelter Form wurde dieser Schnörkel dann für alle möglichen kalli- oder typographischen Situationen eingesetzt. Die Tschichold'sche These mit den verschmolzenen Buchstaben s+z ist sicherlich nur eine nachgeschobene Konstruktion, plausibler ist die Herkunft aus langem s + kurzem s, aber da das Zeichen auch in italienischen, französischen und englischen Drucksachen in der Renaissance erscheint und zwar ohne erkennbare orthographische Regelhaftigkeit, eher in einer Art »Beliebigkeitsschreibung«, ist anzunehmen, daß es mit den Eigentümlichkeiten der deutschen Orthographie ursprünglich nichts zu tun hat und es eine einzige Wahrheit bei diesem Thema nicht gibt.




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Walter Lachenmann


eingetragen von Karl Eichholz am 26.04.2002 um 21.11

Herr Wagner sprach das Thema an, deswegen hier nochmals etwas Erklärung dazu:

http://www.rechtschreibreform.com/Perlen/Forum/Forum.pl?f&Tue+Nov++9+12:59:25+PST+1999

und

http://www.rechtschreibreform.com/Perlen/Forum/Forum.pl?a&Tue+Aug++1+15:40:46+PDT+2000

Noch nie hatte das ß eine Funktion, den Vokal davor zu formen Richtung lang oder kurz, sondern es wurde als Verbund von Lang-s (hier mit ƒ dargestellt, obwohl nicht ganz korrekt) und Rund-s (= Schluß-s) dazu verwendet, das Silben- oder Wortstammende zu kennzeichnen.

Nochmals sei betont, daß früher das Lang-s der gewöhnlichere Fall war; das Rund-s nur der Sonderfall. Das Lang-s harmonierte dabei besonders mit den oft sehr schmal laufenden Frakturschriften.

Der Vergleich des Platzbedarfs von Fraktur und Rundschrift fällt bei gleicher Lesbarkeit (für den Geübten!) deutlich zugunsten der Fraktur aus, erstrecht heute, wo die vielen ss und auch die Dreikonsonanten (Teeei oder gar Tee - Ei) nochmals mehr Platz beanspruchen.

Die Fraktur gab dem Auge durch deutlicher hervortretende unter- und Oberlängen viel mehr Halt, so daß die grobe Umrißform schon sehr viel mehr über den Wortinhalt verriet als es bei den heutig meist verwendeten Schriften der Fall wäre. Diese Leuchtturmfunktion war im wesentlichen das Verdienst des Lang-s, aber auch des nach unten geschwungenen z.

Man kann sagen, daß durch Lang-s/Kurz-s eine sehr viel genauere Unterscheidung der vielen unterschiedlichen Funktionen des s-Buchstabens stattfand, so daß Zweifelsfälle beim Lesen nur selten möglich waren.

Minuszeichen / Minuszeichen / Minuszeichen
Schusszone / Schußzone / Schußzone / Schuƒszone
Schussszene / Schußszene / Schu߃zene / Schuƒsƒzene
Schlusssatz / Schlußsatz / Schlu߃atz / Schluƒsƒatz
Gussstopfen / Gußstopfen / Gu߃topfen / Guƒsƒtopfen
Rußsack / Rußsack / Ruƒsƒack

Die Unterscheidung Lang-s zu Schluß-s fand ja nur bei den Kleinbuchstaben statt, deswegen eben auch das ß nur bei Kleinschrift.
Man kann sagen, daß das Lang-s „ƒ“ die etwas nach links gestürzte „hochkant“gestellte schmale Form des s war, während man am Ende des Wortes zu einem schönen Schwung in die Breite Platz hatte und es eben auch am Wortstammende benutzt wurde, um den Beginn des neuen Wortteils hervorzuheben.

Und heute sind wir fast schon wieder soweit, daß wir WortTeile durch UnterScheidung herVorheben.

KunstStoffFlasche / KunstStoffLasche


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mit herzlichen Grüßen
Karl Eichholz


eingetragen von Detlef Lindenthal am 26.04.2002 um 15.35

Herr Lachenmann schrieb:
>>„Die gängigen Ligaturen sind bei guten elektronischen Schriften auch so programmiert, daß sich eine ligaturähnliche Verbindung zwischen den betreffenden Buchstaben von alleine ergibt durch entsprechendes »Kernel«“ <<

Für Njudeutsch Körnel (geschrieben: kernel oder colonel, letzteres bedeutet allerdings etwas anderes :-) ) kann man auch „Unterschneidung“ sagen.
Daran, ob bei Spitzschriften (Gotisch, Schwabacher, Fraktur) die Verbünde (Ligaturen) – mindestens ch, ck und tz – sowie Lang-s und Rund-s richtig verwendet werden, kann ein Leser erkennen, ob das Werk von einer Fachkraft gesetzt wurde oder von einer Nichtfachkraft (Sekretärin, Deutschlehrer, „Sprachwissenschaftler“ usw.).
Hierfür ist übrigens auch die Verwendung von Bindestrich „-“ und Gedankenstrich „ – “ bei lateinischen Schriften ein überwiegend zutreffendes Unterscheidungsmerkmal.

tt kommt als Verbund in vielen Schriften vor und ist auch deutlich am durchgehenden Strich zu erkennen.

Getrennt werden die folgenden Spitzschrift-Verbünde, wenn sie im Wortgelenk stehen:
(Anmerkung: Sämtliche nachfolgenden s sind Lang-s.)
ck (Sok- ke; Hack- ordnung)
ll (Bäl- le; Ball- spiel)
ff (hof- fen; Hoff- nung)
ft (luf- tig; Luft- schleuse)
ss (Was- ser)
tt (But- ter; Schutt- halde)
tz (Kat- ze; Netz- werker)

Nicht getrennt hingegen werden:
ch (Ku- chen)
sch (wa- schen)
si (lau- sig)
fi (häu- fig)
fl (Stuben- fliege)
st (pu- sten)


Ach ja, mal sehen, ob ich nun wieder von Herrn Lachenmann für die Verwendung von „Verbund“ statt „Ligatur“ genausoviel Mecker bekomme wie bei „prüflesen“ statt „[K|k]orrektur[ ]lesen“.
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Detlef Lindenthal am 26.04.2002 um 15.30

Der – übrigens recht gute – DDR-Duden (Der Große DUDEN, Leipzig 1975) verzeichnet 495 Sprachregeln.
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Christian Dörner am 26.04.2002 um 14.11

Von den 212 Regeln im Duden von 1991 kommt man auf 171 orthographische Vorschriften, wenn man die Regeln, die sich mit grammatischen Fragen beschäftigen, sowie bloße Doppelanführungen beim Komma bei und und oder abzieht.
Im neuesten Duden finden sich 169 Regeln, aber keine einzige Regel zur Grammatik, und auch die Zusammenfassungen der Kommaregeln sind entfallen.
__________________
Christian Dörner


eingetragen von Reinhard Markner am 26.04.2002 um 14.03

Zitat:
Herr Ickler, wie kommen Sie eigentlich auf weniger als 212 Regeln bei der alten Dudenrechtschreibung? In meinem 1986er Exemplar geht es von R 1 bis R 212, jede in ihrem eigenen Kasten.
Viele Fragen, aber ich will, obwohl ich nicht Ickler heiße, mal nur auf folgenden bemerkenswerten Umstand hinweisen, der sich auch gut publizistisch ausschlachten ließe : Der Mannheimer Duden in der 17. Aufl. von 1973 hatte noch 341 Regeln ! Obwohl sich bis 1986 nichts änderte, war die »Einsparung an Regeln« vergleichbar mit der durch die RR angeblich erzielten.


eingetragen von Walter Lachenmann am 26.04.2002 um 12.57

Ligaturen ll und tt habe ich noch nie gesehen.

»Neben den Buchstaben als einzelne Figur gibt es Buchstaben-Verbindungen, sogenannte Ligaturen. Diese Verbindungen können eine sprachliche oder eine technische Ursache haben. Sprachliche Ligaturen sind Buchstaben, die durch ihre Verbindung den Lautwert ändern:
Antiqua: ch, ck, sch, ß tz
Fraktur: ch, ck, sch, ß, tz

Technische Ligaturen existieren, weil diese Buchstaben einzeln versetzt sich gegenseitig behindern würden, oder aber einen zu großen Abstand ergäben.
Antiqua: ff, fi, fl, ft
Fraktur: ff, fi, fl, ft, ll, si, ss, st [mit langem s, WL]«

Aus: Stiebner, Erhardt D., und Walter Leonhard: Bruckmann's (sic!) Handbuch der Schrift. Unter Mitarbeit von Johannes Determann, Philipp Luidl, Alfons Huber, München 1977.

(Es gibt tatsächlich noch einige technische Ligaturen mehr als in diesem Buch angegeben, etwa ffi, ffl, und je nach Schriftschnitt Verbindungen von Versal mit folgendem Kleinbuchstaben: Qu, Re, Ta, Te usw.)

Und es scheint doch ll in der Fraktur als Ligatur zu geben, das habe ich aber noch nie bewußt gesehen. Bei den elektronischen Schriften des Computersatzes sind zwar Ligaturen vorhanden, aber ziemlich kompliziert anzuwenden (Wechsel des Schriftschnittes, sie können nicht auf den Tastaturen mitgeschrieben werden usw., vielleicht wendet sie ein besonders gewissenhafter Ästhet in Ausnahmefällen an, es sollte mich wundern). Die gängigen Ligaturen sind bei guten elektronischen Schriften auch so programmiert, daß sich eine ligaturähnliche Verbindung zwischen den betreffenden Buchstaben von alleine ergibt durch entsprechendes »Kernel«, das ist die Definition der Abstände der Buchstaben zueinander, die für jede Buchstabenverbindung individuell in einer sogenannten Kerneltabelle festgehalten ist (und nach Belieben abgewandelt werden kann), also f + i = x, f + l = y usw., x und y stehen für definierte Abstände.
__________________
Walter Lachenmann


eingetragen von Theodor Ickler am 26.04.2002 um 12.28

Im Standarddeutschen klingen die Wörter gleich, im Schweizerdeutschen - vor allem im Textzusammenhang - nicht (vgl. Gallmann in Augst et al.: Zur Neuregelung ...; auch auf Gallmanns Internetseite).
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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 26.04.2002 um 11.22

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Detlef Lindenthal
Da habe ich einmal eine Frage:
Klingen nach Meinung der hiesigen Foristen die Wörter Bund und bunt genau gleich? (...)
Meiner Meinung nach klingen zwar Bund und bunt nicht ganz genau gleich, was aber mehr an der "Härte" des n liegt: Bei Bund tendiere ich dazu, es etwas weicher, fast ein wenig nasal auszusprechen, bei bunt dagegen etwas härter. Der abschließende Laut ist aber immer /t/.
__________________
Jan-Martin Wagner


eingetragen von Detlef Lindenthal am 26.04.2002 um 10.42

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner
Das Phänomen der Auslautverhärtung ist den meisten Sprechern des Deutschen nicht bewußt, sie neigen generell zu der Auffassung, man müsse (idealerweise) so sprechen, wie die Schreibung es vorzugeben scheint. Wenn nun manche Experten neuerdings zu dem Schluß kommen, daß zwar eine Auslautverhärtung stattfinde, diese aber nicht zur vollständigen Neutralisierung führe, so liegt darin eine Annäherung an den Laienverstand, der ja stets von einem fortdauernden Unterschied zwischen /d/ und /t/ ausgegangen ist.

Die zugrundeliegende Wertung favorisiert offenbar eine möglichst große Übereinstimmung von Schreibung und Lautung (Formulierung 1). Das Phänomen der Auslautverhärtung steht dem entgegen, man geht also von der Frage aus, warum das /d/ zum /t/ werde (Formulierung 2). Es ist wohl sprachhistorisch naheliegend und auch insgesamt ökonomischer, die Frage so zu stellen und zu einer Regel zu gelangen, aber wäre es wirklich unmöglich, sich dem Phänomen aus der anderen Richtung zu nähern, also zu fragen, unter welchen Bedingungen das /t/ in »Bund« usw. zu /d/ wird?


Da habe ich einmal eine Frage:
Klingen nach Meinung der hiesigen Foristen die Wörter Bund und bunt genau gleich? (Gibt es einen eigenen Endlaut d gar nicht?)
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Detlef Lindenthal


eingetragen von J.-M. Wagner am 26.04.2002 um 10.39

Vielen Dank für diese Berichtigung!
Ich habe das mit den Ligaturen so geschrieben, weil sie mir beim Lesen meistens an solchen Stellen ("fi", "fl") aufgefallen sind. Kann das daran liegen, daß die "ll"- oder "tt"-Ligatur im Druckbild kaum auffällt und ich sie deshalb meist "überlesen" habe (was m. E. wiederum sehr für ihre Qualität spräche, daß sie unscheinbar bleibt und trotzdem - oder gerade deswegen - ihren Zweck erfüllt), oder kommt sie nur in besonders hochwertig gesetzten Texten vor? (Daß ich nicht an die "ff"-Ligatur gedacht habe, ist mir durchaus ein wenig peinlich.)

Ich habe gerade eine Stichprobe gemacht (in einem 1963 in den USA gedruckten Physikbuch, gesetzt vermutlich in "Baskerville"; United Kingdom Edition), und dabei sind mir im wesentlichen "fi"-, aber auch "ff"- und "ffi"-Ligaturen aufgefallen; letztere sind natütlich trennbar (dif-fer-ent, suf-fi-cient). Tja, da habe ich das Buch wohl noch nicht gründlich genug gelesen ... - Dagegen habe ich keine "ll"- oder "tt"-Ligaturen gefunden. Kann das daran liegen, daß diese in englischsprachigen Texten nicht üblich sind?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Norbert Lindenthal am 26.04.2002 um 09.36

Ball mit ll-Ligatur, Bälle mit ll-Ligatur. Und doch ist das Wort Bäl-le trennbar, wobei die Ligatur im alten Bleisatz wie im modernen elektronischen Satz herausgenommen und durch zwei einzelne Buchstaben ersetzt wird. Oder das Schiff. Moderne Zeichensätze haben Verbundbuchstaben für ch und ff, wenn sie für hochwertigen Satz zum Einsatz kommen.
Es gibt aber offensichtlich nicht nur die Silbe, sondern auch die Wortendigkeit, die darüber entscheidet, ob ein Buchstabenverbund doch getrennt werden darf oder ob er sinnstärkend nicht getrennt wird. Schlottern, schlotterig, schlottrig. Im Bleissatz jedesmal mit tt-Verbund, Trennung aber bei den ersten beiden Formen mitten durch den Verbund. Texttafel. Bettuch nicht mit Ligatur, wenn es mit beten zu tun hat.
Ganz anders sieht es wohl bei der ß-Ligatur aus. Hier ist wirklich die Konsequenz so, wie sie Herr Wagner darstellt. Wasser, wässerig, wäßrig. In Fraktur gibt es auch einen (trennbaren) ss-Buchstabenverbund. Wo aber ß geschrieben wird, wird nie getrennt.
Mir stellte sich auch früher schon einmal die Frage, ob die gute Lesbarkeit der ß-Ligatur sich in die Antiquaschriften gerettet hat, weil ohne sie so viele schlechtlesbare Wortbilder entstünden. Das wiederum hat damit zu tun, daß das Aufeinandertreffen von mehreren s mit Abstand die häufigste Buchstabenfolge an Trennstellen ist. Wegen Sonderfunktionen in st, sch, sp und als Binde-s ist das s nun einmal ganz besonders häufig. Genau das möchte ich einmal mit Zahlen belegen und suche nach geeigneten größeren Textmengen. Ich würde mit einem Trennprogramm (RagTime 3) alle Trennstellen einfügen, dann auf Richtigkeit prüf(les)en und dann die Buchstabenfolgen an den Trennstellen nach Häufigkeit bewerten. Ich würde Wortendigkeit und Dreibuchstaben beachten.
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Norbert Lindenthal


eingetragen von J.-M. Wagner am 25.04.2002 um 22.32

Fast wäre es konsequent, in den neuen Rechtschreibregeln das "ß" auch bei den Dehnungszeichen mit anzugeben; schließlich ist es ja darauf beschränkt, nach einem langen Vokal (oder einem Diphthong) in Erscheinung zu treten. Dies wird bei der Motivation der Heyseschen s-Regel bzw. der Begründung, warum diese sinnvoll ist, unter dem Stichwort "Lautprinzip" vermerkt. (Hier habe ich absichtlich die Feinheiten weggelassen, um etwas "rhetorischen Spielraum" zu gewinnen; es geht ja wohl genau genommen um eine Schemenkonstanz bei der Verwendung des "ß" - oder so ähnlich, ich habe das gerade nicht im Kopf.)

Das bedeutet doch aber, daß es bei dem "Lautprinzip der 'ß'-Schreibung" gar nicht um den durch das "ß" ausgedrückten scharfen (stimmlosen) s-Laut geht, sondern um den ihm vorhergehenden Laut - wie eben bei den Dehnungszeichen (e, h, eh), bloß daß danach sofort der s-Laut kommt. (Deswegen wäre diese Einordnung nicht ganz konsequent. - Warum sie eigentlich sogar irreführend wäre, will ich weiter unten zeigen.) Das finde ich eigenartig; eher würde ich bei "ß-Lautprinzip" (absichtlich noch stärker verkürzte Bezeichnung) an den s-Laut des "ß" denken.

Auch hat Herr Markner im Strang »Reformen von 1880« darauf hingeweisen, daß es [die Auffassung gab (und vielleicht gibt es sie auch noch), daß es] Fälle gibt, in denen ein "h" wie ein Dehnungszeichen plaziert ist, es diese Funktion jedoch nicht hat (die von ihm zitierten Beispiele sind bähen, blähen, rauher). Genauso hat das "ß" vordringlich die Funktion, einen stimmlosen s-Laut zu bezeichnen; der wird gewöhnlich als Doppel-s notiert, an anderen Stellen aber durch "ß" wiedergegeben, in manchen Fällen (wenn unmittelbar darauf ein zum Wortstamm gehörender Konsonant folgt) aber auch durch "s" (Pfosten, Rispe, Auster, Schuster).

(Kann es übrigens sein, daß der letzte Fall - Konsonant im Wortstamm - von den alten Dudenregeln (hier: R 183-188) nicht erfaßt wurde? Welche der alten Dudenregeln spricht gegen die Schreibung der *Hußten? - Und, Herr Ickler, wie kommen Sie eigentlich auf weniger als 212 Regeln bei der alten Dudenrechtschreibung? In meinem 1986er Exemplar geht es von R 1 bis R 212, jede in ihrem eigenen Kasten.)

Für mich ist der entscheidende Punkt dabei, woran sich diese Notationsfrage ("ss" oder "ß"; zu "s" s. o.) entscheiden läßt - genauer: worauf diese Entscheidung im Kern zurückgeht. Ich denke, daß der Schlüssel dazu im "ß" selber liegt - denn es ist kein Zeichen für eine Ligatur aus "s" und "z", sondern aus dem Lang-s und dem Schluß-s der Frakturschrift. Mithin ist es eine typographische Variante von "ss" (diese Wahl der Bezeichnung habe ich von Herrn Ickler übernommen).

Das Besondere an einer Ligatur ist der eindeutige Zusammenhang mit der Untrennbarkeit des Wortes an der Stelle ihres Auftretens: Nur dort, wo die Trennung eines Wortes nicht möglich ist, kann eine Ligatur auftreten, und umgekehrt zeigt eine Ligatur an, daß an dieser Stelle keine Trennung möglich ist.
[Nachtrag: Das stimmt nicht!! Siehe dazu den unmittelbar folgenden Beitrag von N. Lindenthal. Im Falle des "ß" trifft es jedoch zu.]
Das hat interessante Konsequenzen:
a) Ein Wort, welches einen stimmlosen s-Laut enthält, der sich bei der Trennung ambisyllabisch verhält (d. h. er tritt an den beiden entstehenden Silbenrändern auf), muß mit "ss" geschrieben werden, ansonsten aber, wenn keine Aufteilung des stimmlosen s-Lautes erfolgt oder eine Trennung an der Stelle sowieso nicht möglich ist, mit "ß" (ggf. mit "s", s. o.).
b) Der Wechsel von "ss" zu "ß" bei manchen Wörtern (wissen - er weiß) ist kein Verstoß gegen die Stammschreibung, denn in Form des "ß" bleibt das Doppel-s erhalten - es erscheint lediglich in einer anderen typographischen Form (vgl. auch hier).
c) Als Konsequenz aus a) ergibt sich die Verwendung des "ß" an Stelle von "ss" in Fällen, bei denen der stimmlose s-Laut auf einen langen Vokal folgt, weil letzterer bei der Silbentrennung das Ende einer Silbe bildet. Das bedeutet aber auch, daß der an dieser Stelle zwangsläufig auftretende Widerspruch zu dem Prinzip, daß ein Doppelkonsonant die Kürze des vorangehenden Vokals anzeigt, durch das "ß" lediglich verdeckt, aber nicht beseitigt wird. - Damit muß man leben; zum Glück macht einem das "ß" das leicht.

Mithin braucht man keine Extraregel für die Verwendung des "ß" nach einem langen Vokal oder einem Doppellaut - dieser Fall folgt bereits aus der Ligatureigenschaft des "ß" -, sondern nur für den zuvor beschriebenen dritten Fall, daß ein stimmloser s-Laut allein durch "s" notiert wird (vgl. dazu § 25 der amtlichen Neuregelung und § 4 im Icklerschen Rechtschreibwörterbuch).

Vor allem aber ist das Auftreten eines "ß" an sich kein Zeichen für die Länge eines davorstehenden Vokals - im Gegenteil: Wenn es irgend etwas mit der Länge des davorstehenden Vokals zu tun hätte, zeigte es als typographische Variante eines Doppelkonsonanten seine Kürze an. Das "ß" als eine Art Dehnungszeichen anzusehen ist irreführend! - Dieses Problem löst man m. E. am besten dadurch auf, daß man dem "ß" genau gar keine Funktion bezüglich der Länge oder Kürze seines linken Nachbarn zuspricht.
Und es ist auch umgekehrt die Länge des vorausgehenden Vokals nicht unmittelbar das entscheidende Kriterium für die Verwendung des "ß", sondern dies folgt mittelbar über das allgemeinere Prinzip des Verhaltens bei einer (evtl.) Trennung an dieser Stelle.

Wenn man meiner naiven Herangehensweise folgte und die Bezeichnung "Lautprinzip" in dem Zusammenhang mit der ss/ß-Schreibung umdeutete (so daß sie sich auf die Qualität des stimmlosen s-Lautes und sein Verhalten bei Worttrennungen bezöge), so käme man zu einigen klaren Konsequenzen (die im wesentlichen die Entstehung des "ß" widerspiegeln, s. o. - Inwieweit ist eigentlich die Heysesche s-Schreibung mit den beiden s-Typen der Frakturschriften kompatibel; setzt die Heysesche s-Schreibung Antiqua voraus?), und mir scheint, daß man dann unmittelbar bei der oben beschriebenen Verwendungsregel für das "ß" ankäme, welche ja nichts anderes ist als die altbekannte Adelungsche Regel (warum heißt die eigentlich so, da doch nach http://staff-www.uni-marburg.de/~schneid9/geschich.pdf diese Schreibweise auf J. Ch. Gottsched zurückgeht?). Diese Regel hat den großen Vorteil, daß sie sich sowohl in klarer Weise an den vorhandenen Lauten orientiert, als auch, daß die Variation der Vokallänge bei regionalen Aussprachevarianten kein Problem für ihre Anwendung darstellt.

– geändert durch J.-M. Wagner am 27.04.2002, 12.43 –
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Thomas Paulwitz am 18.02.2002 um 15.22

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Jörg Metes
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Und wie wird dies(es) ausgesprochen?
Das Problem wurde per Email an den Kulmbacher Gewährsmann weitergereicht. Ich lege es hiermit aber auch anderen Kennern des Fränkischen vor (Kennern z.B. in Erlangen. So weit weg von Kulmbach kann Erlangen doch nicht liegen?).


Kulmbach liegt in Oberfranken, Erlangen in Mittelfranken. Es gibt Unterschiede, auch wenn Spardorf (bei Erlangen) hart an der Grenze zu Oberfranken liegt. Ich dachte bisher, daß in Erlangen eigentlich nur die zugereisten Bayern "dös" sagen.
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Thomas Paulwitz
http://www.deutsche-sprachwelt.de


eingetragen von Jörg Metes am 18.02.2002 um 00.44

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Und wie wird dies(es) ausgesprochen?
Das Problem wurde per Email an den Kulmbacher Gewährsmann weitergereicht. Ich lege es hiermit aber auch anderen Kennern des Fränkischen vor (Kennern z.B. in Erlangen. So weit weg von Kulmbach kann Erlangen doch nicht liegen?).
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Jörg Metes


eingetragen von J.-M. Wagner am 16.02.2002 um 17.47

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Jörg Metes
Ein Freund aus Kulmbach erzählt mir, daß es in seinem Heimatdialekt einen ganz deutlich hörbaren Unterschied zwischen daß und das gebe: daß werde des ausgesprochen, das dagegen dös.
"Des dös glar is!"
Und wie wird dies(es) ausgesprochen?
__________________
Jan-Martin Wagner


eingetragen von Elke Philburn am 16.02.2002 um 13.58

Ich denke, phonematisch ist zu phonemisch, was grammatikalisch zu grammatisch.

Im Grunde ist's Hose wie Jacke.

Aber auch das zu wissen, ist besser als nicht.


eingetragen von Reinhard Markner am 16.02.2002 um 10.45

Ich genieße meine neugewonnene Freyheit. Mit der linguistischen Terminologie, so merke ich immer wieder, ist es nicht ganz so weit her wie es auf den ersten Blick scheint. Wenn der eine »phonetisch« schreibt, der andere »phonematisch« und der dritte »phoney«,* so ist damit nicht nothwendig ein Bedeutungsunterschied intendiert.

*Vgl. Salinger, J. D. (1951).


eingetragen von Elke Philburn am 16.02.2002 um 03.57

Das kannst Du halten wie Du willst.

(Und damit Walter nicht meckert, gibt's sogar ein großes D.)

Ansonsten gilt:

Im Falle eines Falles weiß Google wirklich alles.

Searched the web for "regionale varianten" sprache. Results 1 - 10 of about 168.

Searched the web for "regionale varietäten" sprache. Results 1 - 10 of about 83.


eingetragen von Reinhard Markner am 16.02.2002 um 02.27

Ich dachte bisher, Varianten sei der richtige Begriff z. B. verschiedene Schreibweisen, Varietäten (varieties) hingegen der für verschiedene (regionale) Formen einer Sprache. Clear me up, Phillie.


eingetragen von Elke Philburn am 16.02.2002 um 01.52

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner
Hatte schon ganz vergessen, des dös hier nicht der Strang »Faszination der Auslautverhärtung« ist.

Macht nichts. Du weißt doch, ich gehe gern auf deine Fragen ein.

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner
Und hätte es nicht von vornherein »Varietäten« statt »Varianten« heißen müssen ?

Nein.


eingetragen von Reinhard Markner am 16.02.2002 um 00.50

Hatte schon ganz vergessen, des dös hier nicht der Strang »Faszination der Auslautverhärtung« ist. Und hätte es nicht von vornherein »Varietäten« statt »Varianten« heißen müssen ?


eingetragen von Jörg Metes am 15.02.2002 um 12.22

Ein Freund aus Kulmbach erzählt mir, daß es in seinem Heimatdialekt einen ganz deutlich hörbaren Unterschied zwischen daß und das gebe: daß werde des ausgesprochen, das dagegen dös.
"Des dös glar is!"
__________________
Jörg Metes


eingetragen von Elke Philburn am 09.02.2002 um 15.47

Zitat:
Was nun die Lehre von der Auslautverhärtung angeht, so wird sie doch sicher deutlich älter sein als der Chomskyanismus ? Hat sie nicht schon Jacob Grimm bei Rasmus Rask abgeschrieben ?

Ich weiß nicht, ob sich Jacob Grimm nicht irgendwann auch mit der Auslautverhärtung im Deutschen befaßt hat, aber zu den Grimmschen Lautgesetzen gehört dieses Phänomen sicher nicht. Die Auslautverhärtung wird im Deutschen sprachgeschichtlich viel später angesiedelt als die erste Lautverschiebung, nämlich im Mittelhochdeutschen. Interessant in Hinblick auf die Rechtschreibung ist dabei vielleicht, daß das Mittelhochdeutsche die Auslautverhärtung noch schriftlich abbildete ('tac' für 'Tag', 'gap' für 'gab' etc.)

Die von Rask entdeckte und später von Grimm aufgegriffene 1. Lautverschiebung von den stimmhaften Verschlußlauten zu den stimmlosen vollzog sich nicht im Auslaut, sondern vor im An- und Inlaut, Bsp.: decem > ten. Erst durch die zweite Verschiebung wurde das /t/ weiter zu /z/ 'verschoben', Bsp. zehn. Eine interessante Parallele dazu ist der Stadtdialekt von Liverpool ('Scouse'), der ebenfalls eine Verschiebung (Ausspracheverschleifung?) von Verschlußlauten zu Reibelauten aufweist: "title of the book" = etwa ausgesprochen wie seitl of the buch.


eingetragen von Reinhard Markner am 04.02.2002 um 17.38

Mit »Laienverstand« meinte ich hier die Sprachauffassung jener Sprecher des Deutschen, die nicht ausdrücklich mit der »alten« Expertenmeinung in Sachen Auslautverhärtung vertraut gemacht worden sind. Ich halte grundsätzlich die Abstände zwischen Laienverstand und herrschender Expertenmeinung (die natürlich beide nicht immer einfach festzustellen sind) für keineswegs irrelevant, denn sie bedingen ja mannigfaltige Kommunikationsprobleme zwischen Wissen- und Gesellschaft. Und ist es nicht auch herzig, wenn Altbundeskanzler Schmidt Kants Kategorischen Imperativ in die Formel »Was du nicht willst, das man dir tu', das füg auch keinem andern zu« übersetzt ? Damit ist immerhin natürlich niemandem geschadet (allenfalls dem Andenken Kants), wohingegen die Konstruktionen eines Laienverstands durch Gerhard Augst zur Geburt von monströsen Volksetümeleien geführt haben (vgl. dazu die Rezension unseres Herrn Keisers von der Erlangen-Nürnberger).

Was nun die Lehre von der Auslautverhärtung angeht, so wird sie doch sicher deutlich älter sein als der Chomskyanismus ? Hat sie nicht schon Jacob Grimm bei Rasmus Rask abgeschrieben ?


eingetragen von Elke Philburn am 04.02.2002 um 13.30

Zitat:
so liegt darin eine Annäherung an den Laienverstand, der ja stets von einem fortdauernden Unterschied zwischen /d/ und /t/ ausgegangen ist.

Ich habe so eine Behauptung von Laien noch nie gehört und sie scheint mir eher unmaßgeblich. Wer ist mit den Laien gemeint? Leute, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, oder solche, die eine sprachlich orientierte Ausbildung haben, denen aber auf diesem speziellen Gebiet die Kenntnisse fehlen?

Zitat:
aber wäre es wirklich unmöglich, sich dem Phänomen aus der anderen Richtung zu nähern, also zu fragen, unter welchen Bedingungen das /t/ in "Bund" usw. zu /d/ wird ?

Nein. Die Frage macht sogar viel mehr Sinn. Die platte Behauptung, /d/ werde zu /t/ diente den Phonologen, die eine Anwendung der Chomskyschen Theorie auf die Phonologie versuchten, dazu, schlichte Regeln aufzustellen, wonach z. B. ein zugrundeliegendes /d/ am Silbenende durch Transformation zu /t/ an die Oberfläche gelangt (oder so ähnlich...). Wichtig dabei war, daß es sich um diskrete Einheiten handelte, fußend auf der Idee, daß sich die Vielfalt der Sprache auf eine begrenzte Zahl von zugrundeliegenden Strukturen und Regeln erklären lasse. Die Umwandlung von einem Laut in den anderen sollte demnach funktionieren, als ob man eine Art Schalter bedient, der entweder nur das eine oder das andere bewirkt, so nach der Art Licht an oder Licht aus. Als sich herausstellte, daß man es keineswegs mit diskreten Kategorien, sondern mit Zwischenformen und allmählichen Übergängen zu tun hat, fiel das Kartenhaus erst einmal zusammen.

Statt eines Erklärungsversuches, der nur auf Theorien baut, fing man an, Erkenntnisse der Phonetik in Betracht zu ziehen, z. B. die Tatsache, daß auslautende Verschlußlaute üblicherweise sowieso teilentstimmt sind. Die Behauptung, das /g/ in "dog" sei stimmhaft und müßte von Schulkindern entsprechend realisiert werden, ist schlichtweg falsch. Bei der Verschlußlösung von /g/ in "dog" vibrieren die Stimmbänder nicht mehr, sofern nicht ein weiterer Vokal folgt. Ich erinnere mich an Englischlehrer, die sich bemühten, so ein stimmhaftes finales /g/, /d/ oder /b/ hinzukriegen, mit dem Resultat, daß das natürlich völlig künstlich klang.

Es gibt Vermutungen, wonach sich solche durch die Sprechorgane bedingten lautlichen Veränderungen auf das Regelsystem der Sprache auswirken können, z. B. indem der Hörer die quasi 'unbeabsichtigte' Entstimmung als eine 'beabsichtigte' interpretiert und sie in seiner eigenen Aussprache sogar noch weiter führt, so daß /d/ (fast) zu /t/ wird. Die Auslautverhärtung ist ja auch in zahlreichen Sprachen zu beobachten. Zu einer schlüssigen Erklärung führt das zwar auch nicht, aber man hat zumindest erkannt, daß Phonologie nicht wie Syntax funktioniert.


eingetragen von Theodor Ickler am 03.02.2002 um 19.26

Ja, das mit dem nochmal war damals ein Fehler von mir, ich hatte es schlicht übersehen, aber sehr bald danach entdeckt - und von Herrn Heller die Auskunft erhalten, daß sogar er es nicht wußte.

Im übrigen sehen Sie die Sache ganz richtig. Die Heysesche s-Schreibung ist ganz logisch, wenn man an die sonstigen Regeln der Verdoppelung denkt. Deshalb leuchtet sie ja auch vielen Menschen auf Anhieb ein. Welche Probleme sich dann sekundär damit ergeben, ist bekannt und auch von Ihnen vielfältig gezeigt worden. Die typographische Variante ß bietet demgegenüber viele Vorteile und ist sehr schnell zu lernen.
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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 03.02.2002 um 17.30

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Und dann kann man das Ganze noch in die allgemeinen Regeln zur Buchstabenverdoppelung einbauen, vgl. §§ 3 und 4 in meinen Regeln und dazu noch die leichtere Fassung, die im Rechtschreibwörterbuch vorangestellt ist (hier von der Startseite aus leicht aufzufinden).
Ich habe vom Hintergrund der Heyseschen s-Schreibung keine weitere Ahnung, als durch die Reformschreibungsregeln vermittelt wird, und es liegt mir fern, sie zu unterstützen. Mir scheint allerdings, daß die konsequente Einbeziehung der s-Schreibung in die allgemeinen Regeln zur Buchstabenverdoppelung als Begründung der Heyseschen Regel
dienen kann - wenn man von der Verwendung von "ß" als »typographischer Variante von 'ss'« abgeht, welches »am Silbenende und vor konsonantisch anlautenden Suffixen [steht], wenn dort aufgrund der Stammschreibung 'ss' stehen müßte« (vgl. § 4). Stimmt das?

Vielleicht ist dies (wenn es stimmt) der Grund dafür - ohne daß es ihnen bewußt ist -, daß es manchen Leuten inzwischen selbstverständlich erscheint, z. B. "muss", "dass", "Bass" oder "Hass" zu schreiben, analog zu "Mumm", "dann", "Ball" oder "Haff". Und vielleicht ist dies auch der Grund, warum mir das "ss" am Wortende - außer beim "daß" - viel seltener als Reformschreibung auffällt als andere Änderungen (insbesondere der GZS). Daher plädiere ich dafür, in solchen Texten mal genauer hinzusehen, bei denen man den Eindruck hat, daß in puncto Neuschreibung nur eine Ersetzung von "daß" zu "dass" stattgefunden hat, ob nicht auch diese anderen Schreibungen systematisch vertreten sind - sonst geht man in einigen Fällen mit dem Vorwurf zu weit, in der alleinigen Verwendung von "dass" zeige sich eine "spezielle" Haltung gegenüber der Reformschreibung.

Sobald aber ein solches Wort (auf "-ss") in einer Zusammensetzung erscheint, bekomme ich z. T. massive Leseprobleme aufgrund der fehlgeleiteten Interpretation, die an bestimmte Zusammenziehungen gewohnt ist und beispielweise aus dem "Freßtempel" (wenn mit "ss" geschrieben) einen "Fres-Stempel" macht. Und schon ist ziemlich klar, warum es sehr sinnvoll ist, das "s" anders zu behandeln als andere Buchstaben: Es bietet die meisten Möglichkeiten für Fehlinterpretationen (s-ch, s-p, s-t). Für wie wichtig die besondere Behandlung des "s" lange Zeit gehalten wurde, zeigt sich ja auch daran, daß es in den Frakturschriften zwei "s"-Zeichen gibt. Die schlechten Erfahrungen mit der Heyseschen s-Schreibung vor 1902 fallen in eine Zeit, in der Frakturschiften sehr gebräuchlich waren. Was ich nicht weiß: Verwendete man damals in Österreich die Fraktur, sprich: Wurden diese schlechten Erfahrungen unter Verwendung von Fraktur gemacht? Und: Hat die Typenart (Fraktur oder Antiqua) einen Einfluß auf die Fehlerträchtigkeit der Heyseschen s-Schreibung, sprich: Hat dies einen Einfluß auf die Übertragbarkeit damaliger Erfahrungen auf heute?

(Übrigens: In der Einleitung schreiben Sie, »weder der Duden noch die Neuregelung erkennen die Zusammenschreibung bei 'ernstnehmen' und 'nochmal' an [...]« - aber in § 55 (4) der Neuregelung steht - unter Verweis auf § 39 (1) - "nochmal" explizit da; im Wörterverzeichnis fehlt es allerdings.)
__________________
Jan-Martin Wagner


eingetragen von Reinhard Markner am 02.02.2002 um 22.31

Das Phänomen der Auslautverhärtung ist den meisten Sprechern des Deutschen nicht bewußt, sie neigen generell zu der Auffassung, man müsse (idealerweise) so sprechen, wie die Schreibung es vorzugeben scheint. Wenn nun manche Experten neuerdings zu dem Schluß kommen, daß zwar eine Auslautverhärtung stattfinde, diese aber nicht zur vollständigen Neutralisierung führe, so liegt darin eine Annäherung an den Laienverstand, der ja stets von einem fortdauernden Unterschied zwischen /d/ und /t/ ausgegangen ist.

Die zugrundeliegende Wertung favorisiert offenbar eine möglichst große Übereinstimmung von Schreibung und Lautung (Formulierung 1). Das Phänomen der Auslautverhärtung steht dem entgegen, man geht also von der Frage aus, warum das /d/ zum /t/ werde (Formulierung 2). Es ist wohl sprachhistorisch naheliegend und auch insgesamt ökonomischer, die Frage so zu stellen und zu einer Regel zu gelangen, aber wäre es wirklich unmöglich, sich dem Phänomen aus der anderen Richtung zu nähern, also zu fragen, unter welchen Bedingungen das /t/ in »Bund« usw. zu /d/ wird ?


eingetragen von Elke Philburn am 02.02.2002 um 20.42

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner
Das Überraschende an diesen Resultaten und ihrer Darstellung scheint mir etwas anderes zu sein,
1. die Angleichung der Expertenmeinung an den Laienverstand (denn der geht ja auch davon aus, daß man »bunt« und »Bund« verschieden ausspricht bzw. auszusprechen hat)


Vor diesen Untersuchungen war die Expertenmeinung, daß die deutsche Auslautverhärtung ein Fall von Neutralisierung darstelle. Mit dem, was ein Laie für die 'richtige' Aussprache halten mag, hat das wenig zu tun.

Zitat:
2. die mitschwingenden Wertungen, unmittelbar in der Formulierung von der »besseren lautlichen Abbildung der Sprache«, mittelbar in der Annahme einer Entwicklungsrichtung in der Formulierung »weil das /d/, wie man zu hören meint, zum /t/ wird«.

Mit dieser Formulierung war gemeint, daß das Phonem /d/ durch den phonologischen Prozeß der Auslautverhärtung augen(ohren?)scheinlich zu einem /t/ wird. Eine Wertung im dem Sinne, daß das eine besser sei als das andere, ist natürlich nicht impliziert. Wie du darauf kommst, wundert mich.


eingetragen von Reinhard Markner am 02.02.2002 um 17.46

Das Überraschende an diesen Resultaten und ihrer Darstellung scheint mir etwas anderes zu sein,
1. die Angleichung der Expertenmeinung an den Laienverstand (denn der geht ja auch davon aus, daß man »bunt« und »Bund« verschieden ausspricht bzw. auszusprechen hat),
2. die mitschwingenden Wertungen, unmittelbar in der Formulierung von der »besseren lautlichen Abbildung der Sprache«, mittelbar in der Annahme einer Entwicklungsrichtung in der Formulierung »weil das /d/, wie man zu hören meint, zum /t/ wird«.


eingetragen von Elke Philburn am 01.02.2002 um 19.12

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner
Unhörbar ungleich nicht hörbar ? Vielleicht (gibt es Beispiele für diese terminologische Differenz ?), aber es kommt ja weniger auf die Rahmenbedingungen an (das Rauschen in der Leitung o. ä.) als auf die Fähigkeiten der Versuchsperson.

Ich will es mal anders auffädeln, da es ja um die Frage der Konsonantenverdoppelung ging:

Gegenüber der sehr sorgfältigen und überartikulierten Bühnenaussprache erfordert die gebundene Rede im normalen Gespräch, daß Artikulationsbewegungen verkürzt und vereinfacht werden, was natürlich auch die Konsonantendauer betrifft. Bei einem /t/ z. B. wird die Verschlußphase verkürzt und kann in sehr schneller Rede sogar ganz entfallen. Was man dann isoliert, z. B. über den PC, hört, gleicht beinahe einem /s/. Oder die Entstimmung kann entfallen, wobei die Stimmbänder nur teilweise geöffnet werden und der resultierende Sprachlaut sich einem /d/ annähert.

Das Wichtige dabei ist allerdings, daß die Kontraste gewahrt bleiben. D. h. /t/ wird stimmhaft, ohne daß es mit /d/ identisch wird. Dasselbe geschieht bei zwei aufeinanderstoßenden gleichen Konsonanten: Sie werden verkürzt, ohne dabei dieselbe Länge zu erreichen wie das einfache Gegenstück.

Bei diesen Unterscheidungen ist der Sprechapparat unglaublich präzise, und das ist der Grund, warum solche Unterschiede durch das Ohr nicht immer heraushörbar sind. Wenn ich z. B. die Sätze

Er versteht Torsten nicht

und

Ich versteh Torsten nicht

in flotter und relativ stark verschliffener Umgangssprache ausspreche, stelle ich fest, daß die Verschlußdauer von /t/ im oberen Satz immer ein klein wenig länger ist als im unteren. Wichtig hierbei ist natürlich, daß die Sprechgeschwindigkeit mehr oder weniger identisch ist. Die Unterschiede befinden sich im Bereich von schätzungsweise 10 ms, vielleicht auch weniger, wobei die gesamte Verschlußdauer etwa im Bereich 50 - 70 ms liegt. Der Unterschied bleibt also gewahrt.

Eine weitere, an sich spektakulärere Beobachtung dieser Art ist die phonetische Unterscheidung von stimmlosen Konsonanten in Silbenendstellung. Das betrifft z. B. Paare wie "bund" und "bunt", deren Aussprache scheinbar nicht unterschieden wird, weil das /d/, wie man zu hören meint, zum /t/ wird. In den 80er Jahren erschienen erstmalig mehrere Aufsätze, die zeigten, daß das nicht zutrifft, u. a.:

PORT, R., MITLEB, F. & O’DELL, M. 1981. Neutralization of Obstruent Voicing in German is Incomplete. Journal of the Acoustical Society of America, 71 (Suppl. 1).

und

PORT, R.F. & O’DELL, M.L. 1985. Neutralization of Syllable-Final Voicing in German. Journal of Phonetics, 13(4): 455–471, Oct.

"Neutralization" bezieht sich dabei auf den Verlust eines Kontrasts zwischen zwei Lauten. Das Überraschende an diesen Resultaten ist, daß der Sprechapparat, wie es scheint, zu einer deutlich besseren lautlichen Abbildung der Sprache fähig ist, als man generell glaubt.

– geändert durch Elke Philburn am 03.02.2002, 02.34 –


eingetragen von Claudia Ludwig am 31.01.2002 um 12.08

Kann es sein, daß die deutsche Rechtschreibung nicht in erster Linie eine Lautschreibung ist, sondern vielmehr - wie die englische auch - eine "Bedeutungsschreibung"? Das soll heißen: wir brauchen die festgelegten Schreibweisen, um in unseren schriftlichen Werken deutlich zu machen, was wir meinen.

So gibt es z.B. (nach "alter" Rechtschreibung): kannte/Kante, fast/faßt, Wal/Wahl, Mal/Mahl, man/Mann, an/Ann, geulich/gräulich und das/daß. Wenn wir in einem Text die eine oder andere Schreibweise lesen, wissen wir schneller, was gemeint ist.

Ich frage mich auch, wie falsch oder richtig die Behauptung der Reformer ist, das Wortbild spiele beim Erlernen der Rechtschreibung keine Rolle. In Anbetracht dessen, daß sehr viele Menschen "visuelle Lerner" sind, scheint mir diese Behauptung ziemlich unbewiesen.

Ich selbst habe auch die Beobachtung gemacht, daß bei den "s"-Lauten versucht wird, dem "logischen" kurz/lang-Prinzip korrekt zu folgen, was in der Tat zu Schreibungen wie "Ergebniss, Hinweiß oder Glassscherben" führt. Diese Fehler haben Kinder (und ich habe 16 Jahre lang Diktate korrigiert!) vorher nie so gemacht!

Die angebliche Logik der Regeln der "neuen" deutschen Rechtschreibung lockt Kinder - und Erwachsene übrigens auch - in die (von mir so benannte) "Logikfalle". Da aber die deutsche Rechtschreibung - und das gilt für die "neue" wie für die "alte" - in keiner Weise logisch ist, kommt es eben zu diesen vielen neuen Fehlern.

Für mich bleibt daher nur das eine: ich setze mich vehement für die Rücknahme der Rechtschreibreform ein - und dafür gibt es nur einen Grund: die Kinder. Die werden die "neue" deutsche Rechtschreibung mit den daneben existierenden unzähligen Varianten bei Verlagen und Firmen nämlich nicht mehr lernen können!



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Claudia Ludwig


eingetragen von Reinhard Markner am 31.01.2002 um 11.47

Unhörbar ungleich nicht hörbar ? Vielleicht (gibt es Beispiele für diese terminologische Differenz ?), aber es kommt ja weniger auf die Rahmenbedingungen an (das Rauschen in der Leitung o. ä.) als auf die Fähigkeiten der Versuchsperson.


eingetragen von Elke Philburn am 31.01.2002 um 01.37

Der Phonetiker braucht keinen lieben Gott, dem genügt schon sein PC. Mit ihm wird das Hörbare sichtbar, und der sonst flüchtige Sprachlaut wird speicherbar und beliebig reproduzierbar. Dabei entdeckt man so manche Besonderheit, die einem normalerweise gar nicht auffallen würde.

Der Unterschied zwischen "unhörbar" (R. Markner) und "nicht hörbar" (myself) ist derselbe wie zwischen "unsichtbar" und "nicht sichtbar". Ersteres ist, würde ich sagen, eine Eigenschaft der Sache, das zweitere ist von Bedingungen abhängig.

Was meinscht?


eingetragen von Reinhard Markner am 30.01.2002 um 23.27

Der feine und für mich zunächst nicht wahrnehmbare und auch nicht phonetische Unterschied besteht einfach darin, ob etwas für Versuchsperson X unhörbar ist oder ob es schlechthin unhörbar ist.
Ferner kam es mir immer so vor, als seien Theologen Experten fürs Unsichtbare, frei nach Gagarin : »Ich kann Gott hier oben nicht sehen.« Aber es stimmt natürlich, sie sind auch zuständig fürs Unhörbare, womöglich auch fürs Unschmeckbare.


eingetragen von Elke Philburn am 30.01.2002 um 23.21

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Walter Lachenmann
Zitat Elke Philburn: «Dabei wäre es doch ein Einfaches, das großgeschriebene Du als 'höfliche' Variante vermitteln zu lassen.«

Warum bist Du zu Reinhard so un'höflich'? Und: Dies ist keine Seite für TheologInnen (sehr subtil, gerade hier: Theo log innen!). Vielleicht findest Du bei Pater Brown Gehör fürs Unhörbare.


Der Pater Braun, lieber Walter, wird auf meine Forumsanwesenheit gern verzichten. Und das großgeschriebene Du behalte ich mir für E-Mails und dergleichen persönliche Mitteilungen vor. (Damit kannst du doch leben, oder?)


eingetragen von Walter Lachenmann am 30.01.2002 um 21.44

Zitat Elke Philburn: «Dabei wäre es doch ein Einfaches, das großgeschriebene Du als 'höfliche' Variante vermitteln zu lassen.«

Warum bist Du zu Reinhard so un'höflich'? Und: Dies ist keine Seite für TheologInnen (sehr subtil, gerade hier: Theo log innen!). Vielleicht findest Du bei Pater Brown Gehör fürs Unhörbare.
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Walter Lachenmann


eingetragen von Elke Philburn am 30.01.2002 um 19.52

Kommt drauf an, wie gut dein Gehör ist, Reinhard.

Und es ist natürlich ein Unterschied, ob du versuchst, bestimmte Merkmale festzustellen, indem du jemandem zuhörst, oder ob du dir das digitalisierte Sprachsignal Stück für Stück und immer wieder am PC anhören kannst.

Daß für jemanden ein Unterschied nicht hörbar ist, heißt also nicht, daß er nicht existiert.


eingetragen von Reinhard Markner am 30.01.2002 um 16.50

Wenn ich es richtig verstehe, handelt es sich um phonetische Unterschiede, die im allgemeinen nicht so wahrgenommen werden, wie sie (bei genauerer Betrachtung, will sagen : Anhörung) eigentlich sind. Das ist aber doch etwas anderes als unhörbare phonetische Unterschiede. Denen kann einfach keine Existenz zukommen.


eingetragen von Elke Philburn am 30.01.2002 um 14.34

Zitat:
Hä ?! Unhörbare phonetische Unterschiede sind doch wohl ein Fall à la Meinong

Eher ein Fall der 'kategorischen Wahrnehmung' ('categorical perception'), was bedeutet, daß graduell abgestufte Unterschiede in Sprachlauten nicht graduell wahrgenommen werden, sondern kategorisch. Hier ein Link zum Thema

Daß benachbarte Konsonanten sich einander angleichen (z. B. die Assimilation von /n/ an ein nachfolgendes /f/, die bei "fünf" zur Aussprache /fümf/ führt), passiert in gebundener Rede ständig. Daß einzelne Laute dabei ganz verschwinden, dürfte eher der Ausnahmefall sein. Man denke nur an Wörter wie "mitdenken" und "weggehen". Beide enthalten sowohl das /t/ als auch das /d/ bzw. das /k/ und das /g/, und eine Löschung eines der beiden Laute wäre kaum denkbar. Nun vergleichen Sie mal tief liegende und tief fliegende. Gibt's da keinen Unterschied?


eingetragen von Theodor Ickler am 29.01.2002 um 18.42

Und dann kann man das Ganze noch in die allgemeinen Regeln zur Buchstabenverdoppelung einbauen, vgl. §§ 3 und 4 in meinen Regeln und dazu noch die leichtere Fassung, die im Rechtschreibwörterbuch vorangestellt ist (hier von der Startseite aus leicht aufzufinden).
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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 29.01.2002 um 16.53

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Da muß ich leider widersprechen. Man hört keineswegs doppelte Konsonanten - die gibt es im Deutschen gar nicht (mehr). Obwohl man mit sehr guten Gründen behaupten kann, das s, m usw. in Wasser, kommen usw. gehöre gleichzeitig zu zwei Silben (sei also "ambisyllabisch"), findet phonetisch keine Verdoppelung oder Längung des Konsonanten statt wie im Italienischen usw. Auch in Schlusssatz hört man nur ein einziges s. Alles andere wäre, zumindest inm Standdarddeutschen, eine "Überlautung", also Aussprache nach der Schrift.
Erwischt! Stimmt, es ist im Deutschen nicht wie im Italienischen, wo ein doppelter Konsonant abgesetzt ausgesprochen werden muß (per esempio: allegro ma non troppo). Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht, sondern hatte diese deutsche Aussprache bereits für eine Verdoppelung gehalten - wozu ich von der ambisyllabischen Funktion mancher Konsonanten verleitet wurde. Wegen der Möglichkeit, das Wort "Wasser" auszusprechen, indem man zunächst "was?" fragt und dann noch ein "-ßer" dranbindet, könnte ich aber auch behaupten, daß man trotz der unterbleibenden Verdoppelung zwei s-Laute heraushört. Andererseits ist das evtl. bloß eine weitere Möglichkeit, die ambisyllabische Funktion des s in "Wasser" zu belegen.

Aber darauf kommt es gar nicht an, sondern darauf, ob meine Idee generell richtig ist; dafür ist bereits hinreichend, daß eine ambisyllabische Funktion des s vorliegt. Damit ist das "ss"-Kriterium auf das der Silbentrennung zurückgeführt, und die Merkregel muß also lauten:

Schreibe nur dann "ss", wenn das Wort an der Stelle (zwischen den "s") getrennt werden kann, sonst "ß".

Das sollte es treffen, denke ich - oder fällt jemandem ein Gegenbeispiel ein?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Reinhard Markner am 29.01.2002 um 13.48

Zitat:
Wenn phonetische Unterschiede nicht hörbar sind, bedeutet das ja nicht, daß sie nicht existierten.
Hä ?! Unhörbare phonetische Unterschiede sind doch wohl ein Fall à la Meinong (»Der jetzige König von Frankreich«). Anders gesagt, ähnlich existent wie unsichtbare orthographische Unterschiede. Oder ist das sprachhistorisch gemeint (die jetzige Aussprache ist gleich, aber das war nicht immer so) ?


eingetragen von Theodor Ickler am 29.01.2002 um 09.55

Das ist dann Bühnenaussprache.
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Th. Ickler


eingetragen von Elke Philburn am 29.01.2002 um 09.38

Ich denke, die Frage, ob ein Konsonant doppelt gesprochen wird oder nicht, hat zum einen mit der Art der Grenze zu tun, die er überschreitet, mit der Sorgfalt / Geschwindigkeit der Aussprache und im Fall von Komposita mit der Vorkommenshäufigkeit eines Wortes.

So könnte ich mir vorstellen, daß ein häufig gebrauchtes Wort wie "Handtuch" in gebundener Rede wie auch isoliert als "han-tuch" ausgesprochen wird, ein Wort wie "Leittitel" dagegen nicht als "Lei-titel", sondern als "Leit-titel" also mit verlängertem Konsonanten. Wenn phonetische Unterschiede nicht hörbar sind, bedeutet das ja nicht, daß sie nicht existierten.

Ein deutlicheres Beispiel für verlängerte Konsonanten ist die Überschreitung von Lexemgrenzen (z. B. "da steht Thorsten") oder von syntaktischen Einheiten (z. B. "guck mal, wer da steht, Thorsten").


eingetragen von Theodor Ickler am 29.01.2002 um 07.30

Da muß ich leider widersprechen. Man hört keineswegs doppelte Konsonanten - die gibt es im Deutschen gar nicht (mehr). Obwohl man mit sehr guten Gründen behaupten kann, das s, m usw. in Wasser, kommen usw. gehöre gleichzeitig zu zwei Silben (sei also "ambisyllabisch"), findet phonetisch keine Verdoppelung oder Längung des Konsonanten statt wie im Italienischen usw. Auch in Schlusssatz hört man nur ein einziges s. Alles andere wäre, zumindest inm Standdarddeutschen, eine "Überlautung", also Aussprache nach der Schrift.
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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 28.01.2002 um 17.00

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Christian Dörner (unter "Sammlung: Probleme der ss/ß-Schreibung")
Das von Frau Salber-Buchmüller beschriebene Phänomen scheint seltsamerweise nicht auf die RSR zurückzuführen zu sein. Steht ß zwischen einem Diphthong und einem Vokal, so war die Schreibung mit ss schon immer häufig anzutreffen. Zum Beispiel wurde die Weisse oder auch der Federweisse in Produktnamen bereits vor 1996 nur selten anders geschrieben. Woran das liegt, weiß ich nicht.
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler (unter "Sammlung: Probleme der ss/ß-Schreibung")
Hierzu haben wir bisher zwei Erklärungsversuche, die sich wohl ergänzen. Erstens kann das ss auf die Tatsache zurückzuführen sein, daß solche Wörter sehr oft in Großbuchstaben erscheinen, also ebenso wie Imbiss, Strasse zu erklären sind. Zweitens kann es daran liegen, daß Diphthonge nicht gedehnt werden können, ohne ihre Qualität zu verlieren; sie werden daher als kurz empfunden, auch wenn sie für ausgebuffte Metriker lang sind.
Hier zeigt sich die Stärke der nichtreformierten Schreibung. Deren Regel(n) zur Schreibung eines scharfen "s" (als "ss" oder "ß") kann man m. E. in dem Satz zusammenfassen:

Schreibe nur dann "ss", wenn Du wirklich zwei s-Laute hörst, sonst "ß".

Diese Regel ist sehr einfach und würde in vielen Fällen (wie den oben genannten) weiterhelfen; natürlich nicht bei Eigennamen oder bei Wörtern, die nur mit einfachem s geschrieben werden.

Kann man diese einfache Merkregel weiterempfehlen, oder fällt jemandem ein Gegenbeispiel ein?

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Durch falsche Generalisierung im Gefolge der RSR ist dieser bekannte Fehler häufiger geworden.
Woher kommt eigentlich die falsche Verallgemeinerung bei der s-Schreibung? In der Zusammenfassung von Klaus Heller (SPRACHREPORT-Extra) stehen die Diphthonge explizit als Beispiele da (draußen, beißen), und die Kurzfassung der Regel ist zumindest insofern korrekt, als daß sie von einem vorreformatorischen "ß" ausgeht, an dessen Stelle ggf. ein "ss" tritt. Die "Vernachlässigung" dieser Voraussetzung scheint mir der kritische Punkt zu sein, denn ich sehe häufiger ein falsches "ss" als ein falsches "ß".

– geändert durch J.-M. Wagner am 30.01.2002, 06.38 –
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 27.01.2002 um 17.35

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn (unter "Sammlung: Probleme der ss/ß-Schreibung")
Es mag ja Zufall sein, aber in letzter Zeit fallen mir immer wieder Falschschreibungen des Suffixes '-nis' ins Auge, z. B. Verhältniss oder Geheimniss, für die auch Google einige tausend Belege hat.

Ist das eine Konsequenz dessen, daß die Leute sich auf die scheinbar einfache Regel der Vokallänge verlassen?
Das halte ich für die wahrscheinlichste Ursache. Zwei andere Möglichkeiten kommen nicht so sehr in Betracht, denke ich:
- Es wird das Stammprinzip auf eigenartige Weise angewendet, indem vom Plural auf den Singular geschlossen wird.
- Es handelt sich um den Plural, aber es wurde das "e" weggelassen und auch der Apostroph, der das anzeigt.

Ich habe die Suche mit Google getestet, und es wurden bei der Eingabe "Verhältniss" auch Seiten mit "Verhältniß" gefunden. Das spricht gegen die 2. Alternative. Gegen die 1. Alternative spricht, daß sie auf dem Wissen um das "Stammprinzip" beruht, welches ich aber für nicht allgemein bekannt halte.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Reinhard Markner am 25.11.2001 um 18.06

Sehr auffällig ist das benannte Phänomen im Wienerischen, wo viele Vokale sehr in die Länge gezogen werden. Daher auch die orthographische Variante »Geschoße«.
Zu Zwirner vgl. Rechtschreibreform und Nationalsozialismus, S. 64.


eingetragen von Elke Philburn am 25.11.2001 um 17.21

Beispiele:

'hießen' - 'hissen'

'fraßen' - 'fassen'

'groß' - 'Roß'

'Gruß' - 'Russe'


(In der Standardaussprache handelt es sich bekanntlich nicht nur um quantitative, sondern auch um qualitative Unterschiede, die hier aber erstmal keine Rolle spielen sollen.)


eingetragen von Engel am 25.11.2001 um 16.12

Kann ich dafür ein Beispiel kriegen?


eingetragen von Elke Philburn am 13.11.2001 um 01.34

Ich bin hier auf eine Quelle gestoßen, die sich mit der Tauglichkeit des Unterscheidungsmerkmals 'Vokallänge' vs. 'Vokalkürze' und ihrer Anwendbarkeit bei der reformierten Rechtschreibung befaßt.

Mich würde einmal interessieren, ob Süddeutsche die hier beschriebene Beobachtung, nämlich den geringen Unterschied zwischen Langvokal und Kurzvokal bestätigen können.

http://www.univie.ac.at/Germanistik/schrodt/rechtschreibreform/reform.html

Zitat:
3.3. Das Problem der vokalischen Länge und Kürze muß aber viel grundsätzlicher gesehen werden. [...] Wenn man den phonometrischen Untersuchungen von Zwirner9 trauen darf, sind die Quantitätsgegensätze bei den Vokalen im Nordwesten und Südwesten des deutschen Sprachgebietes am größten, im Bairischen (und Oberschlesischen) hingegen so schwach, daß sie kaum mehr wahrnehmbar sind. Das bedeutet natürlich nicht unbedingt, daß überhaupt kein Gegensatz mehr vorhanden sein muß – er kann in der Vokalqualität (Öffnungsgrad) bestehen, und es ist sogar denkbar, daß die Folgekonsonanz der eigentliche Träger dieses Gegensatzes ist. Man muß sich allerdings fragen, ob die Bezeichnung (vokalische) "Länge – Kürze" im Regelwerk tatsächlich gerechtfertigt ist, ob sie nicht doch nur eine Reminiszenz an traditionelle Ausdrucksweisen ist.

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http://www.vrs-ev.de/


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