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-- Lug, Trug und andere Reize (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=372)


eingetragen von Walter Lachenmann am 21.12.2001 um 09.27

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner
Schon Ende des 18. Jahrhunderts hat z. B. der Zürcher Verlag Orell & Füßli[1] überwiegend in Antiqua publiziert.

[1] "Füßli"
Schreibung überprüfen. Enthält dieses Wort einen Rechtschreibfehler?
Korrekturvorschläge: Füssli

Der älteste mir vorliegende deutsche Text in Antiqua stammt aus dem Jahr 1478, er enthält allerdings kein ß.

(ƒ = langes s)

DAs buechlin behende/du billich lernen ƒolt
Vnd es achté fuer edel geƒtain/ƒilber/vnd golt
Kalendarius gehaiƒƒen zu latein
Leret dich der ƒvnne hoech und mo~des ƒchein
Czwelif zeichen/vnd beider liechte finƒternus
Czaigt dir uff vil iare mit kurtzer gedechtnus


usw.

Also die Beachtung der Chronologie müßte fundierter stattfinden, und der Appell geht an die Appenzeller Vertretung, diesen Sachverhalt zu prüfen, bevor sich hier die blinden Hühner die Augen auspicken.

Es könnte sein, daß das Zeichen ß in der humanistischen Antiqua zunächst tatsächlich durch ƒs oder ss ersetzt wurde, dann aber im Zusammenhang mit dem Wechsel von der Fraktur auf die Antiquaschrift in Deutschland wieder eingeführt wurde, um auf das vertraute Zeichen nicht verzichten zu müssen. So könnte man sich auch erklären, weshalb Jan Tschichold sich den Kopf zerbrochen und die kühnsten Vermutungen darüber angestellt hat, wie das Zeichen selbst als Ergebnis einer Zusammenschrumpfung von ƒ + z (altem, mit Unterlänge) entstanden sein könnte, was falsch ist, da ß gar nicht für diese »Ligatur« steht, wenn dann schon eher für ƒ+s, da dies die korrekte Schreibweise für Doppel-s am Wortende wäre (s = Schluß-s).

Wir sollten einen Forschungsauftrag vergeben, bevor wir hier weiterraten.

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Walter Lachenmann


eingetragen von Reinhard Markner am 20.12.2001 um 20.58

Schon Ende des 18. Jahrhunderts hat z. B. der Zürcher Verlag Orell & Füßli überwiegend in Antiqua publiziert. Wann die Fraktur in der Schweiz endgültig auf die Verliererstraße kam, weiß ich nicht (vielleicht früher noch als in Dänemark), aber ich bin mir sicher, daß die überwältigende Mehrheit der Bücher, die im 19. Jahrhundert auf deutsch und in Antiqua gesetzt wurden, ohne ß daherkam. Anfang des 19. Jahrhunderts ist im übrigen auch in England und Frankreich das lange s im Anlaut verlorengegangen, folglich auch das ß, das man um 1800 als Ligatur in der Kursiven (also z. B. a tragic loß) noch findet.


eingetragen von Walter Lachenmann am 20.12.2001 um 17.30

Da hat wohl wieder ein blindes Huhn gepickt!

Da Antiquaschriften schon immer auch das Zeichen ß hatten, erscheint mir diese Erklärung nicht plausibel. Schon in den Renaissance-Druckschriften von Bembo u.a. in Italien und später bei Garamond in Frankreich oder Elzevier in Holland gab es das Zeichen ß, das in den Sprachen Italienisch und Französisch sich dann allerdings verloren hat. Warum also hätten die Schweizer nicht auch dieses Zeichen ebenso übernehmen können? Sie hätten es beim Kauf einer Schrift im Gegenteil explizit aus dem Lieferumfang ausschließen müssen. Schriften wurden nicht einzelbuchstabenweise gekauft, sondern als ganze Sätze.

Für die Bestückung der Schreibmaschinentastaturen mag allerdings gelten, daß man von vornherein auf ß verzichtet hat.

Da besteht wohl noch ein gewisser Forschungsbedarf, die Herren Wissenschaftler. Herr Stirnemann kann das sicherlich für uns aufklären.
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Walter Lachenmann


eingetragen von Reinhard Markner am 20.12.2001 um 16.42

Der Fachausdruck für derartige Verrenkungen lautet »nachträgliche Rationalisierung«. Natürlich war die Aussprache nicht der Grund für die »Abschaffung« des ß.* Aber das Beispiel zeigt sehr schön, wie tief das oralprimatistische Denkmuster sitzt.

*Die Schweiz ging früher als Deutschland auf breiter Front zur Antiqua über, und das ß hat sich im Antiquasatz und beim Schreibmaschineschreiben erst allmählich im Laufe des 20. Jahrhunderts durchgesetzt. Es handelt sich also weniger um die Abschaffung des ß als um den Verzicht auf seine Einführung. Von einer Abschaffung kann nur in einzelnen Fällen gesprochen werden, z. B. bei der NZZ, die 1973 die Verwendung des ß einstellte.
– geändert durch Reinhard Markner am 22.12.2001, 00.42 –


eingetragen von Theodor Ickler am 20.12.2001 um 16.07

In Blüml et al. (Hg.): Zur Neuregelung ... hat Gallmann einen Beitrag veröffentlicht: "Warum die Schweizer weiterhin kein Eszett schreiben". Er argumentiert damit, daß in den schweizerischen Dialekten tatsächlich auch nach Langvokal/Diphthong so syllabiert wird, daß ss die angemessene Schreibung ist.
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Th. Ickler


eingetragen von Reinhard Markner am 20.12.2001 um 13.28

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Schäbler
Handelt es sich bei dieser "halbherzigen" Regeländerung möglicherweise um einen Kompromiß, der dazu dienen sollte, die angestrebte Vereinheitlichung herzustellen?

Schnäbler pickt hier ein bißchen wie ein blindes Huhn herum. Das Körnchen Wahrheit könnte darin liegen, daß man sich in Reformerkreisen möglicherweise zeitweilig der Illusion hingegeben hat, man könne das ß in der Schweiz staatlicherseits wiedereinführen. Man wußte aber lange vor 1996, daß dies nicht durchzusetzen war.

Für den generellen Verzicht auf das ß hätte immerhin die Vereinheitlichung (auch im Hinblick auf die Großschreibung) gesprochen. Für die Wiederbelebung der Heyseschen Regelung spricht hingegen nichts.


eingetragen von J.-M. Wagner am 20.12.2001 um 12.08

- genauer: zur Herkunft des »ß« - hatte sich Karl Eichholz vor ein paar Monaten unter einem anderen Leitthema geäußert:

Zitat:
Wir sehen also: das "ß" hat und hatte NICHT[S] damit zu tun, daß der Vokal davor LANG oder KURZ gesprochen wurde, sondern hatte lediglich signalisiert, daß der Doppellaut [?] "ss" am WortENDE oder WortstammENDE steht. Dies ist eine wichtige Eigenschaft, denn trotz der vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten in der deutschen Schriftsprache war eine EINDEUTIGE Zuordnung des jeweiligen "s" zum jeweiligen Wort oder Wortstamm gewahrt.

Stand das "ss" in der WortMITTE wie bei »Wasser«, so wurde draus »Waffer« mit zwei Lang-s [hier als "f" wiedergegeben]. Da aber das Lang-s in die heutige Zeit einfach als Rund-s übersetzt wurde, lesen wir heute eben nicht mehr »Waffer« sondern »Wasser«.
Hatte das "ß" wirklich NIE mit ihm vorausgehenden langen oder kurzen Vokalen zu tun? Ich denke an die Möglichkeit, daß inmitten eines Wortes ein scharfes s auftaucht, dem aber ein langer Vokal vorangeht. Wurde auch dann "ff" geschrieben? (Das sollen hier wieder lange "s" sein.) Als Beispiele sind mir zunächst »Größe«, »Blöße« eingefallen, die man aber als Ableitungen von »groß«, »bloß« verstehen kann. Dann gibt es da noch ein recht unfeines Wort, »Schei..e« - das ja mit "ß" geschrieben wird. Ist das erst das Resultat der »Übersetzung« in Schriften ohne "lang-s" oder auch eine Ableitung? Aber wie ist es bei »Buße« oder »Straße«? Darin kann ich keine Ableitungen mehr erkennen.

Ich will hier auf keinen Fall auf eine Rechtfertigung der Heyseschen Regel hinaus, sondern mir geht es darum, mit der Kritik an dieser Regel nicht zu weit zu gehen - wozu man aufgrund der oben zitierten Erläuterung geneigt sein kann, falls sie eben nicht ganz stimmt.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Theodor Ickler am 20.12.2001 um 08.21

Interessant ist folgender Auszug aus dem Protokoll der Ersten Orthographischen Konferenz (1876) zur s-Schreibung:

"Demnächst empfahl Hr. Scherer, für jetzt bei der allgemein verbreiteten Adelungschen Regel stehen zu bleiben; Heyse sei bisher im wesentlichen nur in Schulen durchgedrungen, und aus Österreich könne Redner bezeugen, daß auch wer danach unterrichtet werde, die Heysesche Regel später wieder aufzugeben pflege." (Verhandlungen ... S. 97)
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 20.12.2001 um 08.17

Nein!
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Th. Ickler


eingetragen von Norbert Schäbler am 20.12.2001 um 07.42

... erhoffend und tiefstdunkelrot bitte ich um weitere Aufklärung.

Meine unsortierten Formulierungen bitte ich zu entschuldigen.
Es ist mir nachträglich bewußt geworden, daß die Schweizer generell das "ß" ersetzen (gross, heiss ...).

Erneuter Frageversuch mit der Bitte um nicht allzu einsilbige Antwort:
Handelt es sich bei dieser "halbherzigen" Regeländerung möglicherweise um einen Kompromiß, der dazu dienen sollte, die angestrebte Vereinheitlichung herzustellen?

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nos


eingetragen von Theodor Ickler am 20.12.2001 um 06.51

Die Schweizer Schreibweise hat mit der jetzt wiederbelebten Heyseschen s-Schreibung nichts zu tun. Die vollständige Ersetzung des ß durch ss war auch bisher möglich, ist aber etwas ganz anderes als die hochselektive, stellungsabhängige Neuregelung.
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Th. Ickler


eingetragen von Norbert Schäbler am 20.12.2001 um 05.21

Red face

Gute Güte! Schreck am Morgen. Da habe ich wohl was velwechsert!
... Schamesröte, Krümelmonster, (Zappelbildchen)!

Zwei verschiedene Gedanken hatte ich in der Brust oder im Kopf und dann ist es halt passiert, daß die Frage schlampig formuliert wurde.
Und dann war da noch die Provokation!

Ich frage anders. Wie kann das denn sein, daß man die Schreibgewohnheit der Schweizer (ca. 3 Millionen User) einem ganzen Volke (ca. 100 Millionen User) per Erlaß überstülpt?

Be- und verschämt (aus dem Abseits)
mit vorweihnachtlichem Gruß

Norbert Schäbler

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nos


eingetragen von Theodor Ickler am 20.12.2001 um 03.30

Die Schwierigkeit der herkömmlichen Adelungschen s-Schreibung war offenbar bei weitem nicht so groß, wie von interessierter Seite behauptet wurde. Erwachsenen machten kaum Fehler damit. Der Hauptpunkt dabei heißt "Schlußbuchstabigkeit" (ein Ausdruck, den ich bei Th. Poschenrieder gefunden habe). Das ß in mußt usw. kommt hinzu, wurde aber zum Beispiel in Zeitungen fast nie falsch gemacht. Offenbar läßt sich die scheinbar komplizierte Adelungsche Regel intuitiv leicht lernen. Die Verwechslung von das und daß/dass ist rein grammatisch und bleibt es auch.

Die wirklichen Probleme wie widerspiegeln/wiedergeben werden bekanntlich von der Reform gar nicht berührt.

Interessant: Eine Regel, die sich nur schwer und umständlich formulieren läßt, muß deshalb nicht schwer zu befolgen sein. Ein schlagendes Beispiel ist die Verwendung der Abtönungspartikeln (denn, doch, eigentlich, ja, eben usw.). Die Germanisten quälen sich seit Jahrzehnten damit ab, die Regeln zu finden, während dreijährige Kinder es einfach intuitiv richtig machen.
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Th. Ickler


eingetragen von Elke Philburn am 20.12.2001 um 02.29

Zitat:
Wie darf ich denn künftig die Heysesche S-Regelung einschätzen?

Die Heysesche ist doch das, was wir jetzt haben.

Da heißt es, nach Langvokal kommt ß, nach Kurzvokal ss.

Eine leicht zu lernende Regel, sofern man mit der alten schon längst vertraut ist. Dann ersetzt man ganz einfach alle ß mit ss, sofern ein Kurzvokal vorangeht.

Was nun Grundschulkinder betrifft, stellt sich die Sache wohl nicht mehr so einfach dar, mutmaße ich mal. Denn die Vokalregel geht für die meisten Sprecher schon bei "das" und "dass" flöten, weil es den Längenunterschied in ihrer Aussprache gar nicht gibt.

Und auch sonst ist wohl die Vokalregel nur mit äußerster Vorsicht zu genießen, denn selbstverständlich ist es nicht so, daß alle /s/-Laute nach Kurzvokalen als ss geschrieben werden (z. B. biss statt bis). Harald Marx hat ja da auch viele Fälle von Übergeneralisierung bei Grundschülern feststellen können.

Ich bin mir nicht sicher, was ich von der Adelungschen s-Schreibung halten soll. Sie ist natürlich komplexer als die Heysesche, täuscht aber andererseits keine Einfachheit im Sinne einer schlichten Orientierung an der Aussprache vor. Vielmehr sind die Formen ß und ss Alternationen, deren Auftreten von der phonetischen Umgebung und der morphologischen Position abhängt. In dieser Hinsicht ist die Adelungsche Regel allerdings völlig konsistent.

Mein Eindruck ist, daß den Kindern nichts erspart bleibt. Sie haben jetzt eine leichtere Regel zu erlernen, mit der sie allerdings auch schneller Schiffbruch erleiden können. Denn alle Wörter, die schon immer mit auslautendem s oder st geschrieben wurden, müssen notgedrungen Ausnahmen sein. Die wenigen Ausnahmen, die der Duden angibt, werden bei weitem übertroffen, wenn man nur ein bißchen überlegt. Mir fallen dabei ein mies, fies, dies, Kies, las, Gras, Glas, Gas, Moos, Mus, Maus, Klaus, Laus, raus, Saus und Braus. Nimmt man auslautendes st dazu, kommen noch die ganzen Flexionsformen für 2. Person singular hinzu liest, siehst, Biest, niest, gehst, nähst, drehst, rast, Faust, saust, baust, meist, feist, reist.

Letztendlich bleibt dem Schüler nichts anderes übrig, als die Schreibung jedes Wortes einzeln zu erlernen, sofern er Fehler durch Übergeneralisierung vermeiden will.


eingetragen von Walter Lachenmann am 19.12.2001 um 20.17

Siehst Du? Wieder im Abseits!
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Walter Lachenmann


eingetragen von Theodor Ickler am 19.12.2001 um 19.20

Meinen Sie die Adelungsche?
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Th. Ickler


eingetragen von Norbert Schäbler am 19.12.2001 um 17.09

(am Beispiel des Rechtschreibfalles S-Laute)

Ungeachtet der Diskussion über den Stellenwert rechtschriftlicher Normierung möchte ich über Lehrmethoden und Lerntechniken berichten, die vorwiegend im Rechtschreibunterricht der Grundschulen angewandt werden.

Ziel des Rechtschreibtrainings ist es, die ca. 1000 Wörter der sogenannten Wörterliste einüben und beherrschen zu lernen. Dies geschieht anhand von Ganztexten - sogenannten Nachschriften - in denen das zu lernende Wortmaterial eingebracht ist. Dem Ganztext ist stets ein zusätzliches Blatt mit Arbeitsaufträgen beigefügt, und diese Arbeitsaufträge verfolgen den Zweck, die sogenannten Lernwörter aus dem Text zu isolieren und gesondert einzuüben. Dabei gilt der Grundsatz, daß beim Einprägen der Lernwörter möglichst viele Sinne eingesetzt werden, um so das Wortbild dauerhaft und resistent gegen das Vergessen abzuspeichern.

Der Begriff "Automatisierung" bezeichnet diesen Lernvorgang mit einem negativen Beigeschmack, und tatsächlich handelt es sich um einen "Drill", dessen Sinn oder Unsinn durchaus in Folgediskussionen (z.B. im Strang "Der Fetisch Norm") erörtert werden kann. Hier jedoch soll ausschließlich über den Erfolg der Rechtschreibmaßnahmen berichtet und der Einfluß der "so genannten" Rechtschreibreform aufgezeigt werden.

Professor Harald Marx (siehe Graphik auf der Netzseite http://www.rechtschreibreform.com) hat in einer Untersuchung nachgewiesen, daß die Grundschüler (2. bis 4. Klasse) seit der Rechtschreibreform im Bereich des Rechtschreibfalles "S-Laute" mehr Fehler machen - oder besser ausgedrückt, daß es zu erheblich mehr Normverletzungen kommt als vor der Reform. Dabei läßt sich lediglich spekulieren darüber, ob dieser Zuwachs an Normverletzungen mit einer bewußten oder unbewußten Ablehnung der künstlich geschaffenen Norm einhergeht ...

Vom Standpunkt der Unterrichtspraxis her, lassen sich Gründe finden für das Nachlassen der Rechtschreibsicherheit im Bereich der S-Laute, denn die Rechtschreibreform hat in das funktionierende System der Wortbildspeicherung eingegriffen, und es ist ihr anzulasten, daß insbesondere Wortbilder, in denen ehemals ein "ß" enthalten war, heute "fehlerhaft" gespeichert werden.

Der Buchstabe "ß" ist nämlich in der lateinischen Ausgangsschrift (jedoch nicht in der Druckschrift) ein äußerst signifikanter Buchstabe, und es gibt unter allen klein geschriebenen Buchstaben nur noch ein einziges Zeichen (das "f"), das in der Schreibschrift der Schüler ähnliche Längenausdehnung aufweist.
Fachsprachlich bezeichnet man dies als "Überlänge" (hierzu zählen ausschließlich: f und ß), im Gegensatz zu "Oberlängen" (hierzu zählen: b, l, h ...), bzw. Unterlängen (g, p, y ...).
Keinen Blickfang dagegen bieten die Buchstaben: a, e, i, o, u, c ...
Darunter fällt auch der Buchstabe "s".

Der logische Schluß ist einfach. Da sich unser Gedächtnis in erster Linie den Besonderheiten mit Vorliebe zuwendet, da unser visueller Sinn doch zumeist vom Außergewöhnlichen gefesselt wird, war die Auflösung der Überlänge "ß" zugunsten des Normalbuchstabens "s" wortspeichertechnisch gesehen ein absoluter Rückschritt.
Und diese Aussage kann ich aufgrund langjähriger Praxis beweisen. Insbesondere dann, wenn ich spielerische Formen im Bereich der visuellen Wortbilderfassung einsetzte (Anwendung der sog. Geisterschrift oder das Füllen von Wortrahmen - das sind Techniken, mit denen Buchstaben in Striche und Längen dekodiert werden / an anderer Stelle in diesem Forum wurde dies genauer erklärt), wandten sich die Schüler zunächst immer den auffallendsten Wortbildern zu. Genau diese wurden auch am eifrigsten trainiert und am sichersten behalten.

Lediglich streifen möchte ich, daß auch andere "Rechtschreibsinne" und Wortbildspeichertechniken von der neuen S-Regelung betroffen sind.
So wurde beispielsweise eine berühmte Merkregel ("Eselsbrücke") abgeschafft: "ss am Schluß, bringt Verdruß".
Auch die Aussprache, das Erfühlen der Buchstaben und der Hörsinn wurden durch die Umstellung verfremdet.
Dies kann man nachvollziehen, wenn man versucht die nachfolgenden Wörter bühnenreif zu artikulieren: Hase, hasse, Haß (Hass), Maß, Masse, Mus, muß (muss), Kloß, Glosse, Glas, Klasse, Wiese, wissen, wißbegierig (wissbegierig) ...

Nicht nur aus oben aufgezählten Gründen lehne ich als Lehrer die Rechtschreibreform ab!
Sie ist eine übergestülpte nicht sorgfältig durchdachte Fremdnormierung, die etwas Gewachsenes erheblich beeinträchtigt und schädigt.

Eine Frage noch an Professor Ickler. Wie darf ich denn künftig die Heysesche S-Regelung einschätzen? Ist das eine regionale Besonderheit, eine Norm, oder ein Brauch?
Zusatzfrage: Kann man diese Regelung - die in der Schule bis 1996 Gültigkeit hatte - nicht mit Fug und Recht als die besser durchdachte, ökonomischere und ästhetischere Lösung bezeichnen?










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nos


eingetragen von Theodor Ickler am 19.12.2001 um 04.25

krank schreiben wird nach dem alten Duden nur getrennt geschrieben. In Wirklichkeit wird es jedoch oft zusammengeschrieben, wenn das Adjektiv nicht adverbial gebraucht ist. Das wird aber erstmals in meinem "Rechtschreibwörterbuch" verzeichnet.
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Th. Ickler


eingetragen von Elke Philburn am 19.12.2001 um 01.30

Nein, Herr Schäbler.

Ich meine nur, man braucht es ja sich selber und den Schülern nicht noch schwerer machen, als es ist. Schon schlimm genug, wenn man den Schwachsinn unterrichten muß.


eingetragen von Norbert Schäbler am 19.12.2001 um 00.33

Heißt das, daß ich mein - wie, wie tief und warum auch immer - ausgeprägtes Sprachgefühl wegschmeißen kann?
Bin ich künftig zum Clown im Klassenzimmer degradiert?
Kann ich meine Wenigkeit aufwerten durch einen Professoren- oder Doktortitel?
Oder darf ich? Und überhaupt?
Ich bitte um die Lizenz zum ...
auf keinen Fall "Lehrer"!

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nos


eingetragen von Elke Philburn am 19.12.2001 um 00.11

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Schäbler
Es ist nun mal ein Unterschied, ob ich krank schreibe (z.B. in meiner Langeweile einen Brief) oder ob einer krankschreibt (z.B. der Arzt einen Patienten).

Ach naja, ich würde aber auch danach gehen, was für den Schüler relevant ist. Daß man einen Brief auch krank schreiben kann und nicht nur im gesunden Zustand, mag sich zum kleinen Scherzchen im Unterricht eignen, aber vielmehr auch erstmal nicht.


eingetragen von Norbert Schäbler am 18.12.2001 um 23.43

Es erscheint mir als Lehrer logisch, daß ich die Schüler normierte Wortbilder abspeichern lasse, denn die Wortbildspeicherung und die getreue Wiedergabe des Wortbildes hat den Vorteil, daß beliebige Adressaten das Wortbild wiedererkennen und den in graphischen Zeichen vermittelten Begriff erfassen und verstehen können.
Wortbildspeicherung ist ein Hauptanliegen des Rechtschreibunterrichts.

Die Lehrplangestalter und Curriculumforscher haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Häufigkeit beliebiger Wörter zu untersuchen. In Auswertung dieser Untersuchungen entstand eine sogenannte Wörterliste, die zumindest für Bayerische Grundschulen verbindlich ist.
Sie umfaßt ca. 1000 Wörter. Diese Wörter sollten innerhalb der ersten vier Schuljahre eingeprägt werden.

Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß darauf hingewiesen werden, daß es Ziel des Rechtschreibtrainings ist, nicht nur das spezifische Wortbild (z.B. das Wortbild "krank") einzuprägen, sondern vielmehr das Wort in all seinen verwandtschaftlichen Beziehungen abzusichern. Das heißt:
Zu "krank" gehört: "das Krankenhaus, kränkeln, krank_machen, krank_schreiben, Krankenschwester, Krankenbett, kränkelnd, erkrankt ..."
In Wirklichkeit umfaßt die Wörterliste also ein Vielfaches der tatsächlich aufgelisteten Wortbilder.

Tatsache ist, daß versucht wird, die Stammschreibung und Analogiebildung überzubetonen, weil sämtliche Ausnahmen zusätzlichen Lern- und Zeitaufwand erfordern.
Und Tatsache ist, daß "Zeit" heutzutage gleichbedeutend ist mit "Geld". Bildung darf nichts kosten. Sie soll sozusagen "umsonst" sein.

Allerdings zeigt sich bereits am angeführten Beispiel "krank", daß es nicht so einfach ist, ausschließlich die Stammschreibung zu betreiben, denn nahezu gleichbedeutend - für den Adressaten gar besonders wichtig - ist die Unterscheidungsschreibung, die von der Rechtschreibreform extrem vernachlässigt wurde.

Es ist nun mal ein Unterschied, ob ich krank schreibe (z.B. in meiner Langeweile einen Brief) oder ob einer krankschreibt (z.B. der Arzt einen Patienten).
Es erleichtert ungemein die Sinnerfassung, wenn ich das, "wovon die Rede ist" (Zitat: Ickler) groß schreibe (vgl. großschreibe).

Wortbildspeicherung darf doch nicht ausarten zu einem Buchstabenpuzzle!



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nos


eingetragen von Ruth Salber-Buchmüller am 18.12.2001 um 18.00

In der heutigen SZ steht unter KULTUR
ein ausführlicher Beitrag vom ehemaligem FAZ-ler Thomas Steinfeld
"Irrtum 'PISA-STUDIE'"
"Wie zu viel Wettbewerb Bildung verhindert".



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Ruth Salber-Buchmueller


eingetragen von Norbert Schäbler am 18.12.2001 um 15.17

Keinerlei Verständnis bringe ich dafür auf, daß in Sachen Rechtschreibreform immer wieder mit den gleichen Parolen argumentiert wird.
Die Argumentation, die sich auf der Stufe der hessischen Rahmenrichtlinien von 1972 bewegt (hier wurde die Rechtschreibung als Rohrstockersatz verpönt), ist vor ca. 30 Jahren stehen- und steckengeblieben.

Tatsache ist, daß die Messung der Leistungen im Fachbereich Deutsch nach verschiedenen Teilbereichen erfolgt, die unterschiedliche Wertigkeit besitzen. Dies gilt zumindest für die Grund- und Hauptschulen. Die Aufgliederung nach den unten benannten Teilbereichen hat amtlichen Charakter.

Teilbereiche sind:
1. Literatur (Lesefähigkeit, Gestaltendes Lesen, Sinnerfassung, Merkfähigkeit u.a. in Zusammenhang mit Gedichtvorträgen ...).
2. Mündliche Sprachgestaltung (Formulierungsqualitäten, Argumentationsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit ...).
3. Schriftliche Sprachgestaltung (ehemaliger Aufsatzunterricht, heute allerdings vielseitiger, adressatenbezogener und situationsspezifischer aufgegliedert / Briefe, Comics, Anleitungen, Berichte, Sprachspiele, Kreatives Verändern und Transferieren von motivierenden Ausgangstexten/z.B. Gedichten, "Textarbeiten" - Erörterungen wurden abgeschafft...).
4. Grammatik (Sprachbetrachtung, Sprachanalyse, Sprachgefühl ...).
5. Rechtschreibung (Nachschriften / geübte Texte; Probediktate / unbekannte Texte mit zuvor eingeübtem Wortmaterial).

Höchste Wertigkeit besitzen die Teilbereiche der Sprachgestaltung. Leistungsmessungen werden hier (im Verhältnis zu den übrigen Teilbereichen) doppelt bis dreifach gewichtet und - dies habe ich schon wiederholt gesagt - die Rechtschreibung hat dabei nahezu keinen Einfluß auf die Festsetzung der Teilnote.
Nur in äußerst schwerwiegenden Fällen kann die Note im Bereich der schriftlichen Sprachgestaltung abgewertet werden. Dies ist so gut wie nie der Fall (man vergleiche in diesem Zusammenhang den sog. Legasthenikererlaß / im Strang Dokumente).

Ich fasse zusammen. Die gebetsmühlenhaft vorgetragenen Argumente, daß Rechtschreibunterricht und die Bewertung der Rechtschreibung zur Verunsicherung und Bestrafung der Schüler beitrügen, sind nichtig, überholt und von der Sache ablenkend.
Sie stammen aus den Zeiten der Kulturrevolution, als man die Chancengleichheit auf dem Bildungssektor einzuklagen versuchte. Längst haben einstige Forderungen den Marsch durch die Institutionen angetreten.

Auf dem Bereich der Bildung hat sich einiges getan (siehe obigen Bewertungskanon nebst Entrümpelung der Lehrinhalte).
Deutlich aber zeigt die Pisa-Studie auf, daß die vollzogene Nivellierung nicht nur positive Seiten hat.

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nos


eingetragen von Theodor Ickler am 18.12.2001 um 15.14

Lieber Herr Schäbler,
es gibt keine geltende Normierung der Rechtschreibung.
Ich sollte vielleicht sagen "nicht mehr", denn das Dudenprivileg ist aufgehoben (und das ist auch gut so). Aber schon vorher bestand an der Legitimität dieser staatlichen Maßnahme ein gewisser Zweifel. Außerdem war niemand außer der Schule daran gebunden. Das ist jetzt genauso.

Mir war immer viel daran gelegen, die Idee einer staatlichen Rechtschreibregelung grundsätzlich anzufechten. Also noch einmal:

1. In der Schule wird die allgemein übliche Sprache (Schriftsprache ebenso wie mündliche Rede) gelehrt.

2. Wie andere Teile der Sprache, so wird auch die Rechtschreibung aufgrund der muttersprachlichen, durchs Studium veredelten Kompetenz des Deutschlehrer (usw.) vermittelt.

3. Dabei helfen Wörterbücher, Grammatiken usw., die den üblichen Sprachgebrauch dokumentieren.

Diese Ordnung der Dinge engt die Sprachgemeinschaft nicht ein und gibt dem Lehrer wieder, was des Lehrers ist.

Leider habe ich bisher selten jemanden gefunden (auch unter den Mitstreitern), der diese einfache und schlicht menschenwürdige Konzeption zu Ende zu denken bereit wäre.
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Th. Ickler


eingetragen von Norbert Schäbler am 18.12.2001 um 12.21

"Die Grundlage des Fundaments ist die Basis"

Im beitragreichhaltigsten Strang dieses Forums, dem von Uwe eröffneten Leitfaden "Vorzüge der Rechtschreibreform", machte Herr Wagner folgenden Vorschlag:

Zitat: Danke, Herr Schäbler, für Ihre wiederholte Bemühung um die Überwindung von Vorurteilen; manches muß sich eben noch weiter herumsprechen. Was zu diesem "manchem" zählt, müßte mal übersichtlich auf den Punkt gebracht werden. Ich bin dafür, zu diesem Zweck ein neues Leitthema einzurichten, aber ich habe bislang keinen wirklich brauchbaren Einstiegsvorschlag.
Möglicherweise verlange ich Änderungen in Bereichen, die Uwe für nebensächlich hält. Umso besser, dann hat er sicher nichts gegen solche Änderungen. Im Gegenteil, wenn er diese Änderungen unterstützen würde, könnte er einen konstruktiven Beitrag leisten. - Willst Du, Uwe?

Unabhängig davon, daß hier möglicherweise auch eine ironische Komponente vorliegt, stelle ich fest, daß Herr Wagner einerseits daran interessiert ist, jene Vorurteile und Pseudoargumente, auf denen die Rechtschreibreform fußt, in übersichtlicher Art und Weise kennenzulernen und einzuschauen.
Daneben aber gibt es bei ihm auch noch das dringende Bedürfnis, klarzumachen, daß er für sinnvolle Änderungen eintritt, um nicht zuletzt damit zu beweisen, daß die Kritiker der vorliegenden Rechtschreibreform keine Reformboykotteure sind.
Um diesen beiden teilweise widersprüchlichen Absichten nachzukommen, müßten eigentlich zwei Leitthemen eröffnet werden.

Mir geht es im übrigen ähnlich wie Herrn Wagner, denn gerade einem Vielschreiber und permanenten Sprachuser wird die vorhandene Norm oft zu eng. Dabei will ich aber auch an die Worte von Theodor Ickler erinnern, der stets darauf verwies, daß die Wörterliste (das heißt die Lizenzerteilung für Einzelworte) und das Regelwerk selbst zwei Paar Stiefel sind. Die bestehende Normierung läßt größeren Spielraum zu als man weiß und glaubt.

Ich möchte mich mit der Eröffnung des Stranges "Lug, Trug und andere Reize" der perfiden Überrumpelungsaktion der Kultusminister zuwenden und nur zu gerne dem verlogenen Machwerk das Fundament abgraben. Motive dafür gibt es reichlich. Mein Hauptmotiv: "gelebte, streitbare Demokratie".

Der Strang sollte normalerweise recht einfach funktionieren, denn es gilt ja eigentlich nur, eine möglichst übersichtliche Zusammenschau aller verlogenen Argumente zu fertigen, die dazu führten, daß sich diese Rechtschreibreform institutionalisieren konnte. Dazu würde es ausreichen, die in diesem Forum verstreut eingebrachten Beiträge herüberzukopieren. Das wäre absolut zeitsparend und wenig "aufwändig". Ob dies letztlich ein Diskussionsstrang oder nur ein "Sammelstrang" wird - oder ob die Intention gar fehlschlägt - bleibt der Zukunft überlassen.

Irgendwie bin ich schwer beeindruckt von den Argumenten der Kultusbürokratie. Sie waren recht einfach zu merken: "zu spät", "zu faul (zum Umlernen)", "große Erleichterung" ...
Im besonderen aber beschäftigt mich die nachfolgende Frage:
Wie bitteschön konnte es möglich werden, daß ein fast 100jähriges Faktum - nämlich die altbewährte, einheitliche deutsche Rechtschreibung - durch einen Federstrich in Wien beseitigt werden konnte, und - das ist eigentlich ein Treppenwitz - daß gerade die Reformer seit nunmehr fünf Jahren das Argument des Faktischen für sich in Anspruch nehmen?

Sauer bin ich auf diese Worthülsenblender (!), die Sätze in die Welt "sätzen", die vor Banalität strotzen, aber vom Volke aufgenommen werden wie ein Gebet.

Was bitte wäre von folgendem Satz zu halten: "Die Grundlage des Fundaments ist die Basis."
So - oder so ähnlich - reden die!
Ergo: Graben wir dort, wo es wehtut, ohne daß es uns Leid tut.


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nos


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