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-- Der Fetisch "Norm" (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=373)
eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.12.2009 um 10.30
Ingenieure sind daran gewöhnt, die neuesten, sich ständig wandelnden technischen Normvorschriften zu beachten. Wer sie mißachtet, kann schadenersatzpflichtig werden. Daher ist es nicht überraschend, daß viele Techniker die „Rechtschreibreform“ als ähnliche Vorschrift verkennen. Folgerichtig will jetzt auch das Deutsche Institut für Normung die „Reform“ in der (gewiß vorläufigen) Fassung von 2006 verbindlich machen, obwohl lt. Verfassungsgericht niemand gehalten ist, die neue Rechtschreibung zu verwenden. Hier überschreitet das Institut in seinem bürokratischen Regulierungseifer eindeutig seine Kompetenzen:
Pressemeldung Deutsches Institut für Normung
DIN Deutsches Institut für Normung e. V.
Norm-Entwurf DIN 5008 erschienen
Der nunmehr vorgelegte Norm-Entwurf für eine Neuausgabe der Norm, die für 2010 vorgesehen ist, verfolgt vor allem das Ziel, die Festlegungen aus DIN 676 zu integrieren und weitere Aspekte der Textgestaltung aufzunehmen, die im heutigen Büroalltag häu
[ hier bricht der Vorspann ab]
(pressebox) Berlin, 16.12.2009, Der Norm-Entwurf DIN 5008 "Schreib- und Gestaltungsregeln" für die Textverarbeitung" ist am 14.12.2009 erschienen. Er wurde vom Normenausschuss Informationstechnik und Anwendungen (NIA), Arbeitsausschuss NA 043-03-01 AA „Textverarbeitung“ erarbeitet und wird der Fachöffentlichkeit zur Stellungnahme bis zum 14.4.2010 vorgelegt.
[…]
Warum wird die Norm jetzt überarbeitet?
Im April 1949 erschien die erste Ausgabe von DIN 5008 unter dem Titel "Regeln für Maschineschreiben". Es folgten Neuausgaben in den Jahren 1951, 1963, 1975, 1986, 1996 und schließlich 2001. Im Mai 2005 wurde eine Neuausgabe herausgegeben, in die nur Änderungen zum Anschriftenfeld berücksichtigt wurden. [...]
Was ist Inhalt dieses Norm-Entwurfs?
[...]
Für die Rechtschreibung und Zeichensetzung gilt „Die amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung“ in der Fassung mit Gültigkeit ab 2006-07-01. […]
Diese Norm legt nicht fest, „was“ zu schreiben ist, sondern „wie“ ein vorgegebener Inhalt dargestellt werden soll. [wie gnädig!]
Warum wird die Norm jetzt überarbeitet?
Im April 1949 erschien die erste Ausgabe von DIN 5008 unter dem Titel "Regeln für Maschineschreiben". Es folgten Neuausgaben in den Jahren 1951, 1963, 1975, 1986, 1996 und schließlich 2001. Im Mai 2005 wurde eine Neuausgabe herausgegeben, [...]
Tschüss Schreibmaschine – Was ändert sich noch?
[nördlich (muttersprachlich) nur „Tschüüß“ ]
[…]
Weiterhin wurde der gesamte Text einer redaktionellen Überarbeitung unterzogen und in diesem Zuge an die aktuellen amtlichen Rechtschreibregeln angepasst. Die Anwendungsbeispiele im Anhange E wurden aktualisiert…
DIN Deutsches Institut für Normung e. V.
Burggrafenstraße 6
D-10787 Berlin
http://www.din.de
Techniker wissen natürlich, daß die Normen das Ergebnis eines Kuhhandels der Wirtschaftsvertreter in- und außerhalb des Normenausschusses sind – ein Vorgehen, das jetzt mit der „Rechtschreibreform“ auf unsere deutsche Sprache übertragen wurde. Deshalb war der Deutsche Normenausschuß auch in den vormaligen Beirat der Zwischenstaatlichen Kommission berufen worden. Da sich die Akademie für Sprache und Dichtung geziert hatte, sollten wenigstens Fachleute für die Dichtung von Kellern und Druckbehältern vertreten sein.
P.S.: In den Vorbemerkungen von Ausschreibungen steht häufig: „Auch Entwurfsblätter zur DIN sind zu beachten“. Wer also „Schiffahrt“ oder „Falleitung“ schreibt, verstößt schon jetzt gegen die DIN.
eingetragen von Norbert Schäbler am 15.04.2002 um 08.52
Selbst auf die Gefahr hin, daß ich lästig werde, frage ich noch einmal nach, denn ich weiß nicht, ob unsere Auffassungen vom Begriff „Norm“ (hier im engeren Sinne auf die Rechtschreibnorm angewandt) deckungsgleich sind.
„Rechtschreibnorm“ stellt sich für mich als zwanglose Übereinkunft der Sprachnutzer dar. Getragen sind die freiwillige Regelunterordnung und die sich daraus abzuleitende Disziplin der Sprachnutzer von der Einsicht, gemeinsam das derzeit bestmögliche Kommunikationssystem anzuwenden.
Das System dieser zwanglosen Übereinkunft funktioniert:
- wenn es tatsächlich zwangsfrei ist
- wenn es den Anforderungen moderner Kommunikation genügt
- so lange die Disziplin der Sprachnutzer erhalten und gefördert wird
- so lange die Gruppe der „Abweichler“ relativ klein bzw. mit nicht allzu großer Macht ausgestattet ist
- …
Es ist ein verdammter Denkkreislauf, der nun einsetzte, nachdem sich der Staat mit seinem Machtmonopol dieses zwanglosen Systems bemächtigt hat. Ohnmacht, in jeder Beziehung – auch in den schriftsprachlichen Äußerungen - hat er hinterlassen!
Und es gibt scheinbar nichts, was den Staat bewegen könnte, von seinem Machtmißbrauch Abstand zu nehmen.
Ganz bewußt bin ich zuletzt im Gewand des Clowns dahermarschiert, maskiert mit der Binnengroßschreibung, der größten Sprachabweichung, die es überhaupt gibt.
Ich wollte damit etwas aussagen, provozieren, aufwiegeln; habe aber lediglich sinnlosen und ohnmächtigen Protest formuliert gegen den Zwang, der sich der Zwanglosigkeit bemächtigt hat. Clownerie halt!
„Ich habe fertig.“
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nos
eingetragen von Reinhard Markner am 21.03.2002 um 23.47
Der Beschluß der KMK galt bis auf weiteres, wobei man wohl davon ausging, daß er nicht 40 Jahre lang in Kraft bleiben würde. Selbstverständlich hätte man ihn auch ohne »Reform« aufheben können. Das Spiritusmonopol ist schließlich auch ohne eine Veränderung des Rezepts aufgehoben worden.
eingetragen von J.-M. Wagner am 21.03.2002 um 21.56
Am 6. März 2002 erhielt ich von Herrn Dr. Funk vom Bereich Schulwesen der KMK auf meine Frage nach der Abschaffung des Dudenprivilegs per Brief die Antwort, daß dies aus Ziffer 9 des Beschlusses der KMK vom 01.12.1995 ("Neuregelung der deutschen Rechtschreibung") hervorgeht. Diese lautet: »9. Bisherige Festlegungen zur Rechtschreibung, insbesondere der Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 19. 11. 1955 "Regeln für die deutsche Rechtschreibung" werden mit Wirkung vom 1. 8. 1998 aufgehoben.«
"Das Junktim" zwischen der Rechtschreibreform und der Aufhebung des Dudenprivilegs stammt also von der KMK. Das scheint mir aber zu bedeuten, daß die KMK das Dudenprivileg auch ohne die Kopplung an die RSR hätte aufheben können - mithin wäre eine Schlußfolgerung bzw. Behauptung unzulässig, es sei nur als "Paketlösung" zusammen mit der RSR möglich gewesen. Allerdings muß ich hier eine Einschränkung machen: Ich kenne den Beschluß der KMK vom November 1955 nicht und weiß also nicht, ob jener schon etwas zur Gültigkeitsdauer des Dudenprivilegs enthielt.
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von J.-M. Wagner am 07.02.2002 um 09.47
Weiß jemand, wo man etwas offizielles zur Abschaffung des Dudenprivilegs nachlesen kann? Auf wessen Beschluß und welches Jahr geht das eigentlich zurück?
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von J.-M. Wagner am 31.01.2002 um 18.00
Zitat:Oh, da habe ich doch glatt übersehen, daß es auf der Startseite folgenden Verweis auf einen Artikel im SPIEGEL gibt: "Norwegen, Erfahrungen mit einer Rechtschreibreform". Außerdem bin ich im "bisherigen Gästebuch" (diese Bezeichnung ist reformbedürftig!) auf folgenden Eintrag gestoßen, den ich hier einfach wiederhole, weil er sonst in den Tiefen jenes Stranges verschwindet:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Mich interessiert im Zuge der Diskussion um eine normierte Rechtschreibung noch, wie die Reform in den skandinavischen Ländern (etwa in Norwegen - aber das ist wegen des "Neuen Norwegisch" ein extremes Beispiel; dann besser Dänemark und die dortige Einführung der Kleinschreibung) durchgeführt wurde: Auf welcher Ebene wurde das verhandelt und eingeführt, parlamentarisch (Ausschuß)/Expertenkommission und dann per Gesetz/Erlaß?
Kennt sich jemand damit aus oder weiß (eine) brauchbare Informationsquelle(n) im WWW?
Skandinavische Sprachpflege und Sprachplanung
Abschrift aus: Einar Haugen, Die skandinavischen Sprachen, 3.Kapitel, Die Sprachpflege, 3.2 Sprachplanung
»Mit der Massenausbildung des neunzehnten Jahrhunderts wurde die effektive Kontrolle in die Hände des Erziehungsministeriums gelegt. Die Ministerien mußten Ratschläge bei Experten einholen, was dann wiederum dazu führte, daß offizielle oder halb-offizielle Ratgeberausschüsse für sprachliche Probleme gegründet wurden.
Heutzutage gibt es in den skandinavischen Ländern mehr oder weniger permanente Ausschüsse, die sich mit Sprachplanung in irgendeiner Form befassen. Diese Ausschüsse samt ihrem Gründungsjahr sind: in Finnland Svenska Sprakvardsnämnden (1942); in Schweden Nämden för svensk sprakvard (1944); in Norwegen Norsk spraknemnd (1952), Norsk sprakrad seit 1972; in Dänemark Dansk sprognövn (1955) und in Island Islenzk malnfnd (1964). Die Vereinheitlichung einheimischer Begriffe für technologische Bereiche ist die Hauptaufgabe des norwegischen Ausschusses Radet for teknisk terminologi (1938), der dänischen Terminologiegruppe (1946) und des schwedischen Ausschusses Tekniska nomenklaturcentralen (1941). Eine beträchtliche Anzahl von Veröffentlichungen dieser Ausschüsse liegt schon vor.
Diese modernen Organisationen werden mit Aufgaben betraut, die über die Nationalsprache hinausgehen. Einer der Gründe, der zu ihrer Gründung führte, war, der Zersplitterung der skandinavischen Sprachen Einhalt zu gebieten und die Terminologie innerhalb Skandinaviens zu vereinheitlichen. In den Statuten der einzelnen obengenannten Ausschüsse wird festgelegt, daß sie in Verbindung mit den entsprechenden Organisationen der anderen skandinavischen Länder stehen sollen. Ein Weg, um dieses Ziel zu erreichen, ist das
Abhalten regelmäßiger skandinavischer Treffen der Ausschüsse. Seit 1954 finden solche Treffen statt. Eine Reihe von Veröffentlichungen sind daraus entstanden, unter dem Titel Nordiske Sprakproblemer (in Norwegisch; in Dänisch Nordiske Sprogproblemer, in Schwedisch Nordiska Sprakfragor), die nicht nur über die Tätigkeit der Ausschüsse berichten, sondern auch Beiträge zur Sprachpflege enthalten. Seit 1970 erscheint diese Veröffentlichung jährlich unter dem Titel Sprak i Norden. Im Jahre 1978
wurde in Oslo ein nordisches Sekretariat gegründet, um die Tätigkeit der nationalen Ausschüsse zu koordinieren (Nordisk
Spraksekretariat 1977).
Das Interesse an Problemen der Schriftsprache ist nicht auf Expertengremien oder offizielle Ausschüsse begrenzt. Es ist bei allen vorhanden, die sich der Sprache persönlich oder beruflich bedienen. Für den Außenstehenden ist es auffallend, wie häufig Sprachprobleme in der Tagespresse diskutiert werden, und das nicht nur in Ländern wie Norwegen und Finnland, in denen eine ständige Diskussion über die Standardsprache im Gange ist. Reformer und Reformgegner haben sich seit dem achtzehnten Jahrhundert Gefechte in der Presse geliefert. Private Vereine sind gebildet worden, um Änderungen der Schriftsprache zu fördern oder um solchen Änderungen entgegenzuwirken. Kreative Schriftsteller haben sich mit den Normen auseinandergesetzt, entweder um sie zu bestätigen oder um sie abzulehnen, um die Liebe oder den Haß für das Ausdrucksmittel ihrer Kunst zu verkünden. Die Notwendigkeit des Unterrichtens hat das Entstehen von Lehrbüchern gefördert, angefangen mit Grammatiken und Wörterbüchern bis hin zu Lesebüchern und Anthologien. In jedem Land haben sich Gruppen von Linguisten gebildet, die im allgemeinen an der Universität als Erzieher der
künftigen Lehrer wirken.
Sie haben nicht nur zur Etablierung der einheimischen Normen beigetragen, sondern auch zur Untersuchung der Geschichte, der Dialekte und der Struktur der Nationalsprache. Und mehr als einmal haben die Standpunkte der Liguistik in diametralem Gegensatz zu der Auffassung der Laien gestanden. Das gilt auch für die Klügsten und Hochgebildeten unter den Laien, wenn Linguisten den Versuch unternommen haben, das Feld der Emotionen durch die kühle Betrachtungsweise der Wissenschaft zu erhellen.«
Henning Upmeyer; Roseggerweg 10, 82140 Olching; henning@upmeyer.de; Mittwoch, 23.1.2002
eingetragen von Elke Philburn am 22.01.2002 um 19.52
Ich glaube, den Schuh brauchen Sie sich nicht anzuziehen, Frau Salber-Buchmüller: Im Forum der Zeit, zum Beispiel, gibt es noch eine ganze Menge daß-Schreiber, wie die Eingabe in die Suchfunktion ergibt, wobei das Durchschnittsalter etwa bei Ende 30 liegt und so gut wie jeder Abitur oder Hochschulabschluß hat. Sie befinden sich also in bester Gesellschaft.
eingetragen von Ruth Salber-Buchmüller am 22.01.2002 um 09.31
Die Kraft des Fetischs NORM hat nach den fünf Jahren
Entfaltungsmöglichkeit immerhin dazu geführt, daß
ich bei jedem "daß",das mir aus der Feder fließt,
an die Reaktion des Empfängers denke:
" Na ja, an der ist der Fortschritt wohl vorbeigegangen -
kein Wunder, ist ja auch die alte Generation:"
Es ist kaum anzunehmen, daß der Empfänger die Altschreibe
(die Altenschreibe!) mit einem Körnchen Vernunft und
besserer Einsicht in Verbindung bringt.
Enstation: Resignation
__________________
Ruth Salber-Buchmueller
eingetragen von J.-M. Wagner am 21.01.2002 um 19.43
Was kann man - unter anderem - als Fazit aus der Diskussion in diesem Strang mitnehmen, und zwar speziell unter dem Aspekt, was hilfreich sein kann, um in der allgemeinen Auffassung eine Hinwendung zur Vernunft anzuregen? Was ist wichtig für die weitere Diskussion mit denen, die sich der Reformschreibung angeschlossen haben?
Ich habe den Eindruck, daß es ein sehr unterschiedliches Verständnis der Rechtschreibregeln und - damit zusammenhängend - sehr unterschiedliche von Sinn und Zweck der Rechtschreibung gibt. Das hat natürlich Konsequenzen für die Einstellung gegenüber der Rechtschreibreform und damit auch für eine Diskussion über dieselbe. Woher kommt es eigentlich, daß man sich bei manchen Leuten den Mund fusselig reden kann, was die Probleme der Reformschreibung (und der Rechtschreibreform allgemein) betrifft?
Ein mögliches Verständnis (welches lange Zeit auch mein eigenes war) ist, daß die Rechtschreibregeln genauso funktionieren wie Spielregeln: Entweder Du hältst Dich genau daran, oder Du spielst nicht mit. Eine ähnliche Haltung ist, die Regeln wie Gesetze zu begreifen: Wenn man sie "übertritt", macht man sich "strafbar". In solchen Fällen ist es nicht verwunderlich, wenn sich jemand überhaupt nicht daran stört, daß die Rechtschreibregeln geändert wurden - vorher waren es die einen Regeln, hinterher die anderen, und immer war Rechtschreibung nur genau das, was die Regeln vorgaben.
Damit ist natürlich nur eine mögliche Auffassung über Sinn und Zweck der Rechtschreibung genannt - aber keine seltene, wie mir scheint. Nach dieser Auffassung geht es lediglich darum, daß der - quasi "fetischhafte" - Regelungsbedarf gedeckt wird. Eine historische Entwicklung der Rechtschreibung spielt dabei ebensowenig eine Rolle wie feinsinnige Ausdrucksmöglichkeiten, die durch eine differenzierte Schreibung ermöglicht würden. Gestützt wird eine solche Haltung von der jahrelangen Praxis in Deutschland, daß es sowohl eine amtlich vorgegebene Schreibung als auch das Dudenprivileg der Maßgeblichkeit in Zweifelsfällen gab; wer beides für "normal" hält, wird auf jeden abweichenden Vorschlag mit großem Befremden reagieren. (Und daß auch "normale" Gesetzestexte aus einer schriftlichen Fixierung allgemein bewährter Verfahrensweisen hervorgegangen sind, wissen zumeist nur noch die Juristen.)
Wenn der Gesprächspartner eine derartige Haltung hat, muß man aufpassen, daß man nicht aneinander vorbeiredet. Mir scheint, daß es oftmals nötig ist, zunächst auf die Existenz und die Relevanz von bestimmten Aspekten der Rechtschreibung hinzuweisen (d. h. darauf, daß es diese Aspekte gibt und daß sie durchaus zum Thema gehören), bevor eine sinnvolle Diskussion möglich wird. Erst dann kann man auf die Tragweite der Rechtschreibreform (und der Abschaffung des DUDEN-Privilegs) eingehen, und die Reformschreibung an sich (d. h. ihre Fehler, Erschwernisse, Widersprüche, aber auch Vorteile) ist dabei nur ein Punkt unter anderen. Diese anderen Punkte können also sein:
Ich habe für diese Zusammenstellung die meisten Einträge dieses Stranges durchgesehen, aber nicht vollständig gelesen. Wenn jemand wichtige Aspekte vermißt, möge er (oder sie) sie bitte ergänzen!
- Wie sinnvoll ist eine staatlich reglementierte Rechtschreibung, Vor-/Nachteile; Notwendig- oder Überflüssigkeit einer Norm (prinzipiell)? Dazu: Nebeneffekte (Dilemma-Situation des Lehrers zwischen Prä- und Deskription u. a.), wissenschaftliche Grundlage der Rechtschreibung, "Irrglaube" (»daß es doch eine Lösung geben müsse«, Th. I.), Vergleich mit anderen Ebenen der Sprache (»die seit je ohne staatlich autorisierte Norm beurteilt und gepflegt werden«, Th. I.).
- Auffassung bzw. Verständnis von der Gültigkeit der Rechtschreibregeln - die Gültigkeit? Dazu: Wahrnehmung (im doppelten Sinne) persönlicher Freiheit und Verantwortung; »Dudenhörigkeit« (Ch. M.) vs. Selbständigkeit und Mündigkeit; Demokratieverständnis.
- Konsequenzen der Abschaffung des DUDEN-Privilegs ("Verwaltungsgerichtsfestigkeit" u. a.); Praktizierbarkeit einer nicht staatlich reglementierten Rechtschreibung an den Schulen. (*)
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(*) Vielleicht ist ja die Abschaffung des DUDEN-Privilegs der Ausgangspunkt für einen echten Durchbruch. Denn in der Schulpraxis hat man ja im Prinzip - bezüglich der Wörterbücher - bereits jetzt die Situation, daß es keine Reglementierung mehr gibt. Damit ist der Schritt zum Verzicht auf eine staatliche Normierung gar nicht mehr so weit, denn für die meisten Menschen werden die Wörterbücher viel informativer sein als die (neuen) Regeln, und somit kommt den Wörterbüchern in der Praxis eine besonders große Bedeutung zu. Christian Melsa hat es im Laufe dieser Diskussion so formuliert: »Hätte der Duden einfach die Reform sozusagen links liegen [ge]lassen, ich wette, es hätte so gut wie keine Zeitung etwas an ihrer Rechtschreibung geändert, und wäre in den Schulen noch so sehr etwas anderes unterrichtet worden.«
Wenn es dann als normal gilt, daß man verschiedene Wörterbücher gleichberechtigt nebeneinander benutzen kann, und wenn es eventuell genügend vernünftige Menschen (insbesondere in Zeitungsredaktionen, Verlagen etc.) gibt, die sinnvolle Wörterbücher benutzen (bzw. das Rotgedruckte nicht verwenden), wird es immer leichter möglich sein, die Regeln zu ändern - letztlich allein aufgrund der normativen Kraft des Faktischen. Aber das ist Zukunftsmusik; zunächst muß es darum gehen, das hier diskutierte "Umfeld" der Rechtschreibreform stärker ins allgemeine Blickfeld (und damit eventuell auch ins Bewußtsein) zu rücken.
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von J.-M. Wagner am 21.01.2002 um 10.50
Mich interessiert im Zuge der Diskussion um eine normierte Rechtschreibung noch, wie die Reform in den skandinavischen Ländern (etwa in Norwegen - aber das ist wegen des "Neuen Norwegisch" ein extremes Beispiel; dann besser Dänemark und die dortige Einführung der Kleinschreibung) durchgeführt wurde: Auf welcher Ebene wurde das verhandelt und eingeführt, parlamentarisch (Ausschuß)/Expertenkommission und dann per Gesetz/Erlaß?
Kennt sich jemand damit aus oder weiß (eine) brauchbare Informationsquelle(n) im WWW?
– geändert durch J.-M. Wagner am 23.01.2002, 10.31 –
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von Walter Lachenmann am 14.01.2002 um 15.17
Wer sich vor 1996 in einer Buchhandlung in der Abteilung Wörterbücher umgeschaut hat, fand durchaus nicht nur den Duden. Ein Deutschlehrer muß zwar nicht in eine Buchhandlung gehen, aber Lehrer überhaupt gehören in der Regel zu den Leuten, die dort gelegentlich verkehren, sofern sie sich für Bücher interessieren.
Neben den von Frau Philburn genannten, ziemlich bekannten Wörterbüchern von Wahrig und Störig bzw. Mackensen (m.W. u.a. bei Knaur), die zum Teil auch als Taschenbücher erhältlich waren (dtv), also in großen Auflagen gedruckt und verkauft wurden, gab es seit 1933 »Das deutsche Wort« von Richard Pekrun, dessen 4. Auflage von 1966 ich neben verschiedenen Dudenbänden seit dreißig Jahren besitze. Es ist kein Spezialwörterbuch, sondern ein populäres, erschienen in der Keyserschen Verlagsbuchhandlung in München und m. W. auch beim Deutschen Bücherbund, damals der größten Buchgemeinschaft neben dem Bertelsmann-Lesering, im Programm.
dtv hat vor ca. 7 Jahren einen kompletten Reprint von Grimms Wörterbuch für ca. DM 1.000,00 auf den Markt gebracht. Es war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft und mußte nachgedruckt werden. Das ist natürlich kein Rechtschreibwörterbuch, ich erzähle es auch nur, weil dies zeigt, daß neben dem Duden Wörterbücher sich lebhaften Interesses erfreuen und kein Geheimdasein in irgendwelchen Archiven fristen.
Duden und Pekrun unterscheiden sich allerdings schon mehr, als zwei Exemplare ein und derselben Morgenzeitung. Sonst wäre ja keiner auf die Idee gekommen, dem Duden Konkurrenz machen zu wollen. So gibt Pekrun mehr und ausführlichere Erläuterungen zu den Einträgen und enthält eine ganze Reihe von Wörtern, die der Duden nicht hat (ich vergleiche Pekrun 1966 mit Duden 1996, die Unterschiede können auch an dem Zeitunterschied liegen, ich weiß nicht, ob Pekrun bis heute weitergeführt worden ist). Ein Wörterbuch wie Pekrun wäre also beispielsweise für Ausländer in gewisser Hinsicht hilfreicher als der Duden, aber auch für Deutsche, die die genaue Definition der Bedeutung eines Wortes suchten und diese im Duden nicht immer gefunden haben. Andererseits gibt es bei Pekrun keine Angaben für die für Ausländer sicherlich problematischen Worttrennungen. Unterschiede in der Orthographie dürften kaum vorhanden sein, es geht mehr um Wortschatz und Erläuterungen.
Beliebig gewähltes Beispiel »außen«
Duden:
außen; von - [her]; nach innen und - ; nach - [hin]; Farbe für - und innen; - vor lassen (nordd. für unberücksichtigt lassen); er spielt - (augenblickliche Position eines Spielers), aber vgl. Außen der; -, - (Sportspr.: ) usw.
Pekrun:
außen Uw. (= Umstandswort, W.L.) : nicht innen : an der Oberfläche * von außen her ; nach innen und außen ; nach außen hin * Außenbordmotor : Motor, der an der Außenseite von Ruderbooten angebracht werden kann ; außenbords Uw.: an der Außenseite eines Schiffes ; Außendeich: dem Meere am nächsten liegender Deich usw.
Pekrun gibt die Auskunft »Umstandswort«, erläutert die Bedeutung (»nicht innen«) und zählt Anwendungen auf, die sich von denen beim Duden zum Teil unterscheiden, läßt andere weg, die im Duden stehen.
Im Vorwort zur 1. Auflage von 1933 erläutert Pekrun: »Das vorliegende Wörterbuch stellt einen ersten Versuch dar, eine umfassendere Sammlung des deutschen Wortschatzes zu schaffen, wie sie beispielsweise für das Englische in Chamber's Twentieth Century Dictionary of the English Language vorliegt. ...«
Tatsächlich finden sich hier eine ganz Reihe Wörter, die der Duden nicht enthält, allerdings handelt es sich um eher seltene Beispiele.
Duden:
gram; jmdm. - sein / grämeln / grämen / gramerfüllt /
Gram-Färbung
gramgebeugt / grämlich
Gramm
.......
Knilch / knille / Kniller / knips / knipsen / Knipser / knips knaps / Knirps / knirpsig / knirschen / knistern / knitschen / Knittel / Knittelvers
Pekrun:
gram Ew., nur aussag.: tiefe Abneigung oder Groll empfindend * / gramerfüllt Mw. Ew. / gramvoll Ew. / gramversunken Ew. * Grämelei, die -en: mürrische Art, Verdrießlichkeit * Gräm(e)ler / grämeln / grämen / grämisch / grämlich / Grämlichkeit / Grämling
Graminee
Gramm
.......
Knilch / Knipp / knippen (Knippkugel, Knippschere) / Knips / knipsen / knirbelig / Knirk / Knirps / knirpsig / knirren / knirschen /knispeln / knispern / knist(e)rig / knistern / knitschen / Knittel / Knitter / ...
(die Pekrun-Erläuterungen habe ich nur beispielhaft wiedergegeben, sonst wird's zu mühsam).
Es war also sinnvoll, sich für die Orthographie den Duden und für eine darüber hinausgehende Information über den Wortschatz etwa den Pekrun anzuschaffen. Vielleicht konnte man dort aus dem aktuellen Wortschatz verschwundene Wörter finden, denen etwa ein Leser von Romanen Fontanes begegnen mochte. Worin sich Wahrig und die anderen Wörterbücher vom Duden unterscheiden, ist mir nicht bekannt.
Germanistik
Soviel ich weiß, lernt man beim Germanistikstudium wenig über die Grundlagen der deutschen Sprache und Grammatik, die man in der Schule als Lehrer zu vermitteln hat, diese Kenntnisse werden nach dem Abitur vorausgesetzt. Volksschullehrer studieren ja auch nicht Germanistik.
Alt-68er
Dazu will ich lieber nichts mehr sagen, um die Diskussion nicht dem Biertischniveau auszusetzen, das bei diesem Thema offensichtlich unvermeidlich zu sein scheint. Dasselbe gilt für die Betrachtung von Wahlkampfmethoden, deren Erörterung erstens hier nicht hergehört, und die zweitens von Beteiligten aller Parteien auf ähnlich primitivem Niveau gepflegt werden, nicht zuletzt auch von »christlichen«.
Mobbing ist wieder etwas ganz anderes, als das, was sich Politiker im Wahlkampf um die Ohren hauen, aber auch das gehört nicht hierher, und es ist ein relativ neues Wort, dessen Bedeutung vielleicht noch nicht jeder so genau kennen kann.
Im übrigen habe ich, ebenso wie Norbert Schäbler, auch keine Lust mehr zu fruchtlosen Sandsackboxereien, vor denen wir glücklicherweise immerhin einige Wochen lang verschont gewesen sind. Mich hat nur noch der Vergleich der Wörterbücher gereizt, ansonsten werde ich gewisse Torheiten hier künftig widerspruchslos stehen lassen.
– geändert durch Walter Lachenmann am 15.01.2002, 19.26 –
__________________
Walter Lachenmann
eingetragen von Elke Philburn am 13.01.2002 um 23.06
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eingetragen von Norbert Schäbler am 13.01.2002 um 22.39
... gebe ich auf. Ich sehe keinen Sinn mehr darin, stets den Abzugshahn zu bedienen, wenn irgendwer das Pulver „naß macht“.
Vorläufig adieu!
__________________
nos
eingetragen von Elke Philburn am 13.01.2002 um 21.54
Zitat:
Es können sich hier übrigens Leser melden, die vor 1996 Besitzer alternativer Wörterbücher
waren. Ich bin gespannt, ob sich überhaupt jemand meldet. Es könnten sich aber auch Leser
melden, darunter auch Lehrer, Hochschullehrer und Verleger, die stolz darauf sind, bis 1996
nicht einmal einen aktuellen Duden besessen zu haben.
Mein Hauptnachschlagewerk war immer der Wahrig. Grund: Da konnte man nicht nur die Rechtschreibung einsehen, sondern gleichzeitig auch andere Details nachlesen. Als Ergänzung hatte ich die übrigen Bände aus der Duden-Reihe mit Ausnahme des Bildwörterbuchs, des Rechtschreibwörterbuchs und des Bedeutungswörterbuchs, weil die mir unnötig erschienen bzw. durch den Wahrig gedeckt waren. Ich habe damals auch mal den Störig gekauft, allerdings nicht für mich selber, sondern als Geschenk für jemanden, der gar kein Wörterbuch besaß. Der Störig war inhaltlich und vom Umfang her etwa mit dem Wahrig vergleichbar, allerdings erstaunlich preiswert.
Ich erinnere mich auch noch an mein allererstes Wörterbuch, das ich in der Grundschule hatte. Das war ein kleinformatiges, weißes mit kunststoffbeschichtetem Einband und hieß „Unser Wortschatz“ oder so...
Zitat:
(Wenn man einen Punkteschlüssel manipuliert, kann man aus Fehlleistungen noch annehmbare Leistungen machen)
Gell? Wenn man den Punkteschlüssel nicht man gleich nach den Leistungen der Schüler/Studenten ausrichtet. Eine gleichmäßige Notenverteilung erweckt zumindest immer den Anschein der Normalität.
eingetragen von Manfred Riebe am 13.01.2002 um 20.34
Unser Wissen ist Stückwerk. Das beweisen Sie, Herr Lachenmann, auf besondere Art und Weise in Ihrem Beitrag "Lehrer und »Norm«" vom 13.01.; denn Sie behaupten etwas zu wissen, ohne es zu wissen und spekulieren - wie folgt - drauflos:
"An anderer Stelle bekennt ein Kollege Schäblers, er habe bis 1996 als Deutschlehrer an einer Berufsschule überhaupt nicht gewußt, daß es neben dem Duden auch noch andere konkurrierende Rechtschreibwörterbücher gab. Das kann unmöglich daran gelegen haben, daß ihm irgendwelche finsteren Alt-68er bei Strafe des finalen Mobbings es verboten hätten, sich hierüber kundig zu machen, und wenn ein Lehrer von seinem Unterrichtsfach lediglich die amtlich vorgegebene Literatur zur Kenntnis nimmt, mag das auch mit persönlichem Desinteresse oder der von Norbert Schäbler beschriebenen Unwilligkeit, über die gestanzte Norm hinaus sich mit seinem ureigensten Wissensgebiet zu beschäftigen, zusammenhängen. Wenn dieses Nichtwissen vom Vorhandensein anderer Wörterbücher in der gebildeten Bevölkerung allgemein gewesen wäre, hätte niemals auch nur eines davon verkauft werden können, sie wurden aber durchaus recht gut verkauft, waren also bekannt und verbreitet, und keineswegs ausschließlich im Ramschmarkt zu finden."
Man soll mit dem Wörtern "niemals" und "nie" vorsichtig sein, besonders wenn man Verleger ist und sich daher im Buchwesen eigentlich auskennen sollte. Aber Sie behaupten, es hätte vor 1996 "niemals" auch nur ein einziges alternatives Wörterbuch verkauft werden können, wenn diese nicht in der gebildeten Bevölkerung allgemein bekannt gewesen wären.
Wenn das stimmte, hätten auch Sie - besonders als Verleger - vor 1996 nicht nur Besitzer eines alten Dudens, sondern auch mehrerer alternativer Wörterbücher sein müssen, da diese zu Ihrem "ureigensten Wissensgebiet" gehören. Aber bisher haben Sie in Ihren Beiträgen kein einziges alternatives Wörterbuch erwähnt. Auch war es vor 1996 unnötige sinnlose Arbeit, mehrere Rechtschreibwörterbücher heranzuziehen; denn "Vorher konnten andere Wörterbücher nur beim Duden abschreiben" (Ickler).
(Es können sich hier übrigens Leser melden, die vor 1996 Besitzer alternativer Wörterbücher waren. Ich bin gespannt, ob sich überhaupt jemand meldet. Es könnten sich aber auch Leser melden, darunter auch Lehrer, Hochschullehrer und Verleger, die stolz darauf sind, bis 1996 nicht einmal einen aktuellen Duden besessen zu haben.)
Richtig ist dagegen, daß die zahlreichen Bibliotheken und Germanistikinstitute verpflichtet sind, auch alternative Wörterbücher zu erwerben. Schon deswegen lohnte sich der Druck auch kleinerer Auflagen alternativer Wörterbücher. Wer sich hingegen heute in Antiquariaten und auf Flohmärkten umschaut, findet vorwiegend Duden-Exemplare, dagegen sehr selten konkurrierende Wörterbücher. Daraus kann man schließen, daß alternative Wörterbücher in der gebildeten Bevölkerung nicht sehr verbreitet waren.
Zum Nichtkennen alternativer Wörterbücher von vor 1996 bei Deutschlehrern an einer Berufsschule:
Deutschlehrer an Berufsschulen in Bayern und - wenn mich nicht alles täuscht auch Volksschullehrer - sind in der Regel keine Germanisten, haben also nicht Germanistik studiert. Ob "finstere Alt-68er" speziell für diese fehlende Ausbildung mitverantwortlich sind, weiß ich nicht. Aber daß 68er-Heilsapostel verantwortlich für die allgemeine Senkung des Bildungsniveaus sind, weg von der Leistungsschule hin zur Spaßschule, das dürfte allgemein bekannt sein. Beim Germanistikstudium werden dagegen zwar hohe Anforderungen gestellt. Aber 80 Prozent der Studenten beenden ihr Germanistikstudium nicht (Heike Schmoll: Wie erwartet. Die Reaktionen auf die Pisa-Ergebnisse und die Empfehlungen des "Forum Bildung". In: FAZ Nr. 7 vom 09.01.2002, S. 10).
Hinsichtlich des fehlenden Germanistikstudiums der Berufsschullehrer war man offenbar der Meinung, daß den Schülern die nötigen Deutschkenntnisse bereits an der Volksschule, der Realschule oder dem Gymnasium vermittelt werden. Doch die Deutschkenntnisse vieler Berufsschüler sind - trotz geschönter Noten (Wenn man einen Punkteschlüssel manipuliert, kann man aus Fehlleistungen noch annehmbare Leistungen machen)- erschreckend. Ein Berufsschullehrer ist jedenfalls - insbesondere bei Teilzeitunterricht - nicht in der Lage, mangelnde Deutschkenntnisse der Berufsschüler nachzuholen, da dies schon zuvor im Vollzeitunterricht an den vorhergehenden Schulen nicht gelungen war. Er kann sie nur unwesentlich verbessern.
Die Pisa-Studie hat offengelegt, daß fünzehnjährige Deutsche auf dem Niveau eines Entwicklungslandes stehen, was ihre Sprach- und Lesekompetenz angeht. "Es ist erschreckend festzustellen, daß in einer 7. Gymnasialklasse (...) fast ein Drittel der Schüler als Legastheniker anerkannt sind. Das heißt, man hat ihnen amtlich bescheinigt, daß sie nicht so schreiben und lesen können, wie es ihrem Alter entspricht. Anstatt sich zu fragen, ob in den vorangehenden Klassen das Schreiben und das Lesen zu wenig geübt worden und Konsequenzen für folgende Jahrgänge daraus zu ziehen sind, bescheinigt man diesen Kindern eine Behinderung. Ihre negativen Rechtschreibleistungen dürfen nicht in die Gesamtwertung einfließen. Das gilt für die Fächer Deutsch und sämtliche Sprachen bis zur 10. Klassenstufe." (Sigrid Seeck, Kiel: Die Schule mit dem höheren Anspruch wird bestraft. In: FAZ Nr. 303 vom 31.12.2001, S. 9). Auch an der Universität gelten viele Abiturienten bei den Professoren als nicht studierfähig, weil ihnen das Basiswissen in Deutsch und Mathematik fehle. "Immer häufiger müssen Dozenten in die Rolle der Nachhilfelehrer schlüpfen." Grund sei die Möglichkeit der Abwahl des schwächsten Kernfaches im Abitur. (Professoren fordern: "Abi-Fächer verbindlich festlegen". In: Nürnberger Zeitung Nr. 10 vom 12.01.2002, S. 4).
Berufsschullehrer müssen aber mangels Germanistikstudiums in ihrem Deutschunterricht mit dem auskommen, was sie am Gymnasium im Fach Deutsch gelernt haben. Selten besucht ein Berufsschullehrer an einer Akademie für Lehrerfortbildung Deutsch-Seminare und legt - wie ich - eine Zusatzprüfung in Deutsch ab. Aber dieses Kurzstudium kann man nicht mit einem fünfjährigen Germanistikstudium vergleichen. Auch waren in den Deutsch-Seminaren an der Akademie für Lehrerfortbildung andere Wörterbücher wegen des Dudenprivilegs kein Thema. So kann man verstehen, daß das Fach Deutsch an Berufsschulen vielfach als das fünfte Rad am Wagen gilt. Die meisten Berufsschullehrer wollen das korrekturintensive Fach Deutsch nicht unterrichten. In etlichen Berufsgruppen wurde ohnehin das Fach Deutsch als Prüfungsfach abgeschafft. Der Deutschunterricht wird daher als Nichtprüfungsfach gern zweckentfremdet für Prüfungsfächer verwendet, um wegen Unterrichtsausfalls nicht geschafften Stoff zu erarbeiten. Angesichts all dieser Fakten ist es völlig unwichtig, ob ein Berufsschullehrer vor 1996 nur den Duden oder auch alternative Wörterbücher kannte und benutzte.
Sie sprechen von "finalem Mobbing", zu dem die Alt-68er nicht fähig seien. Mobbing, d.h. Psychoterror, ist der Stasi-Methode der Zersetzung sehr ähnlich. Mobbing kommt überall vor und kann von jedermann ausgeübt werden. Auch in der Schule können Schulleiter Lehrer mobben. Insbesondere die sogenannte Rechtschreibreform als Frucht der Alt-68er und ihre undemokratische Art der Durchsetzung betrachte ich als eine subtile Form des Mobbings.
Sogar ein prominenter Alt-68er wandte kürzlich die Methode des "Mobbings" an. "Schröder kritisierte Stoiber: ‚Er steht für eine Radikalisierung der demokratischen Rechten und gibt damit die Mitte preis'." (NZ Nr. 11 vom 14.01.2002, S. 1) Ein Bundeskanzler bestimmt nicht nur die Richtlinien der Politik, sondern gibt als Alt-68er auch das richtungweisende Signal für einen diffamierenden Schmutzwahlkampf.
– geändert durch Manfred Riebe am 15.01.2002, 11.55 –
eingetragen von Norbert Schäbler am 13.01.2002 um 11.33
Herrn Lachenmann möchte ich danken dafür, daß er sich meiner Gedanken angenommen hat, denn es ist mir tatsächlich ein Bedürfnis, über die Begriffe „Schuld“, „Mitschuld“, „Schuldbewußtsein“ u.dgl. zu reden, denn als Nachkriegsjahrgang - als einem, dem man die „Nie-wieder-Parole“ eingestanzt hat - steckt mir insbesondere jene, sich von allen Sünden reinwaschende Aussage im querdenkenden Hinterkopf: „Wir haben ja nur gedient. Wir haben ja nur Befehle ausgeführt!“
Ich habe nicht vor, der Rechtschreibreform eine Kontinuität mit nationalsozialistischer Vergangenheit einzureden, und ich habe nicht vor, diese Nichtigkeit von Rechtschreibreform hochzustilisieren und mit dieser Arbeitshypothese den Untergang des Abendlandes zu prophezeien.
Ebensowenig soll dies eine moralische oder gar moralisierende Diskussion werden.
Es geht vielmehr um Selbstfindung, um ein Einpendeln oder Ausscheren aus dem Kreislauf der Normierung.
Ein Zugeständnis vorweg: Auch mein Werdegang ist nicht abgeschlossen. Es wäre schlimm.
Eines aber versichere ich: Ich will nichts werden – im Sinne von Laufbahn und Karriere.
Diese Rechtschreibreform ist für mich ein eigentlich minderwertiges, nichtiges Problem. Sie ist aber gleichzeitig ein Erprobungsfeld für „Macht Habende“, und deren Maßnahmen auf den unterschiedlichsten Handlungsebenen lassen Rückschlüsse und Definitionen zu.
Auf dem Erprobungsfeld der Rechtschreibreform haben sich die „Macht Habenden“ zu keinem Zeitpunkt demokratisch verhalten.
Das sind höchst bedenkliche Signale und Alarmzeichen. Sie lassen mich vermuten, daß auch auf anderen Handlungsebenen Diktatur anbrechen könnte.
Die Struktur des hierarchischen Denkens durfte ich in Sachen Rechtschreibreform erkennen. Ich habe festgestellt, daß die sogenannte mittlere Funktionärsebene – angefangen bei der Funktion des Rektors, hin zum Schulrat, über den Regierungsdirektor bis hinauf zum Kultusminister – gekuscht hat. Allesamt haben sie ihren geldwerten Vorteil gewählt, haben sich einer Norm untergeordnet, die mit Bedingungen der Menschenwürde (Gleichheitsgrundsätze etc.) nichts zu tun hat - die Ausnahmen kann man an einer Hand abzählen.
Ich bin sauer auf diese Kategorie der Pädagogen, die im Grunde genommen die Elite darstellen, diejenigen sind, die sich aufgrund ihrer Leistungen von der Basis abhoben. Ich klage sie an, weil sie in dem Moment, in dem sie die höhere Ebene erklommen, keine Leistung mehr gebracht haben.
Und jeder, der durch die Mühle der Bürokratie gegangen ist, wird mir meine Wahrnehmungen bestätigen.
Ich klage an: den deutschen Wasserkopf, der sich für seine Fehler in alle Ewigkeit nicht entschuldigen wird sondern Befehle ausführt, sobald er dazu legitimiert wird.
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nos
eingetragen von Theodor Ickler am 13.01.2002 um 04.41
Herr Riebe stellt zutreffend fest, daß es nach der Abschaffung des Dudenprivilegs für Lehrer notwendig ist, in vielen Wörterbüchern nachzuschlagen. (Vorher konnten andere Wörterbücher nur beim Duden abschreiben. Mehrere Rechtschreibwörterbücher zu konsultieren war daher ungefähr so schlau wie der Erwerb mehrerer Exemplare derselben Morgenzeitung, um festzustellen, ob sie auch die Wahrheit sagt.)
Das bedeutet aber nicht, daß man das Dudenprivileg (oder eine ähnliche Konstruktion) wiederherstellen müßte, um diesen Nachschlagebedarf wieder zurückzuschrauben. Sonst würde man das von Dieter E. Zimmer so oft hergestellte Junktim hereinfallen.
Vielmehr darf es überhaupt nicht zu einer solchen surrealistischen Szene kommen, daß der Schüler auf einer Schreibweise beharrt, die der Lehrer in "seinem" Wörterbuch nicht findet, die sich aber in einem an entlegener Stelle erschienenen Wörterbuch vielleicht doch finden könnte usw. Wenn ein Rechtschreibproblem so subtil ist, daß es weder der Lehrer noch die gängigen Wörterbücher zu lösen vermögen, dann ist es eben gar kein Rechtschreibproblem, sondern eine Quisquilie, die kein ernsthafter Mensch beachtet. Der Glaube, daß es doch eine Lösung geben müsse, ist eben gerade der hier angeprangerte Irrglaube an den Fetisch der Norm.
Ich bilde mir ein, mit meinem Rechtschreibwörterbuch die Grenze zwischen echten Rechtschreibfragen und gleichgültigen Randerscheinungen nach langer Zeit wieder zurechtgerückt zu haben. Der Duden gibt ja selbst zu (auf der Internetseite nachzulesen), daß es im Laufe der Jahrzehnte zu einer solchen Anhäufung von Haarspaltereien gekommen war. Insofern kann das gegenwärtige Durcheinander auch zu einer schätzenswerten Besinnung auf das Wesen der Rechtschreibung führen. Wenn wir jemals wieder zu einer gescheiten Rechtschreibung finden werden, wird sie möglicherweise mit einer verständigeren Sicht der Dinge einhergehen.
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Th. Ickler
eingetragen von Walter Lachenmann am 12.01.2002 um 21.04
Norbert Schäbler ist mit den Antworten, die er hier bekommt, nicht zufrieden. Einerseits stellt er inhaltliche Übereinstimmung mit Herrn Icklers Ideen fest, empfindet aber dennoch, seine Probleme würden nicht erkannt und gewürdigt. Woran liegt dies? Ich will versuchen, es herauszufinden, vielleicht tue ich mich leichter, da ich weder Lehrer noch Sprachprofessor bin, zu beiden Berufsständen (und Individuen) ein gleichermaßen respektvolles Verhältnis habe.
Ich nehme an, daß die Positionen deshalb so ungleich zuungunsten Norbert Schäblers sind, weil Theodor Ickler über die Rechtschreibung so viel theoretisieren und lehren darf, wie er mag, er zumindest wesentlich günstigere Voraussetzungen hat, diese Liberalität in die Praxis umzusetzen, als dies bei Norbert Schäbler als Lehrer der Fall ist. Diese Situation des Lehrers hat er ja sehr drastisch beschrieben, mit teilweise deprimierenden Feststellungen. An ihr sind die Lehrer aber nun wirklich teilweise selbst schuld, und das leugnet er ja auch gar nicht.
Zum Beispiel: Lehrer sind keine autonomen Persönlichkeiten, obwohl man dies von einem Pädagogen erwarten sollte. Sehr wohl sollte man dies erwarten, und wenn es nicht so ist, dann liegt das nicht an irgendwelchen Behörden, sondern an den Lehrern selbst, die doch im Lauf ihrer beruflichen Entwicklung mehr als andere Berufsstände alle Möglichkeiten hatten, sich über die Geschichte der Ideale von Freiheit und Zivilcourage zu informieren und über deren Wichtigkeit für den Bestand unserer Kultur. Offensichtlich sind aber viele von ihnen zu bequem oder zu ängstlich, hiervon das Notwendige selbst in ihrem Leben umzusetzen.
Oder: Wie will denn ein Genormter - ein Gestanzter - etwas anderes weitergeben als gerade jene Norm, die er nie hinterfragt hat, aus welchen Gründen auch immer? Wer ist denn schuld daran, daß er sie nie hinterfragt hat? Hat man es ihm verboten? An anderer Stelle bekennt ein Kollege Schäblers, er habe bis 1996 als Deutschlehrer an einer Berufsschule überhaupt nicht gewußt, daß es neben dem Duden auch noch andere konkurrierende Rechtschreibwörterbücher gab. Das kann unmöglich daran gelegen haben, daß ihm irgendwelche finsteren Alt-68er bei Strafe des finalen Mobbings es verboten hätten, sich hierüber kundig zu machen, und wenn ein Lehrer von seinem Unterrichtsfach lediglich die amtlich vorgegebene Literatur zur Kenntnis nimmt, mag das auch mit persönlichem Desinteresse oder der von Norbert Schäbler beschriebenen Unwilligkeit, über die gestanzte Norm hinaus sich mit seinem ureigensten Wissensgebiet zu beschäftigen, zusammenhängen. Wenn dieses Nichtwissen vom Vorhandensein anderer Wörterbücher in der gebildeten Bevölkerung allgemein gewesen wäre, hätte niemals auch nur eines davon verkauft werden können, sie wurden aber durchaus recht gut verkauft, waren also bekannt und verbreitet, und keineswegs ausschließlich im Ramschmarkt zu finden.
Die Antwort an Norbert Schäbler könnte nach meiner Vorstellung in etwa so lauten, den Spagat zu wagen, den amtlichen Lehrplänen so weit zu folgen wie nötig und den eigenen Überzeugungen so weit wie möglich. Hierbei unterstelle ich den Idealfall des Lehrers und Pädagogen, der sich gleichermaßen für das Wissen, die humanen Ideale und für seine Aufgabe, diese seinen Schülern zu vermitteln, begeistern kann. Das heißt, die Lehrer werden die Stoffe der Lehrpläne so vermitteln müssen, wie sie vorgeschrieben sind. Dann liegt es am Lehrer, den Kindern wahrheitsgemäß zu sagen, daß es im Leben aber auch noch anders zugeht. Leicht ist das sicherlich nicht, aber das behauptet ja auch keiner.
Und außerhalb der Schule kann man, als Nicht-Lehrer, vielleicht nichts anderes tun, als versuchen, die generelle Verbreitung der sprachzerstörerischen neuen Regeln zu verhindern, indem man möglichst wirksam und wo auch immer dafür wirbt, diese nicht anzuwenden.
Und wo ist dann die Norm, der »Fetisch«? Das hat Herr Ickler eigentlich oft und allgemeinverständlich dargelegt: es ist die Praxis.
Fast hätte ich die wichtigste Frage für einen Lehrer in der Situation Norbert Schäblers vergessen: Wo finde ich für mich und meinen Unterricht eine Darstellung der Praxis? Normalerweise in einem Rechtschreibwörterbuch, und wenn wir ehrlich sind, gab es zwischen dem Duden, der schließlich als verbindlich galt, und den anderen Rechtschreibwörterbüchern keine so gravierenden Unterschiede, als daß darüber jemals eine große Staatskrise hätte ausbrechen können. Nun ist es eben leider so, daß keine Darstellung der Praxis verbindliche Referenz ist, sondern Vorschriften für die Praxis, die dort erst vorkommen, seit es eben Vorschriften sind. Damit ist die wissenschaftliche Grundlage der Rechtschreibung erst einmal zerstört, und der Lehrer muß sehen, wie er damit zurechtkommt. Vorläufig ist ihm wohl wirklich nicht zu helfen, es kommt auf seine Persönlichkeit und seine Phantasie an, wie er in dieser vertrackten Situation seiner Verantwortung, die ihm anvertrauten Kinder mit der Wirklichkeit vertraut zu machen, umgeht. Diese Antwort kann dem armen Schulmeisterlein niemand geben, außer er selber. Und wenn er schlau ist, hat er einen alten Duden im Regal stehen, damit er sich über die Bögchen nicht den Kopf zerbrechen muß.
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Walter Lachenmann
eingetragen von Manfred Riebe am 12.01.2002 um 20.48
Die Abschaffung des Dudenprivilegs hat zur Folge, daß Deutschlehrer gezwungen sind, in mehreren Wörterbüchern nachzuschlagen, egal ob der Schüler in der herkömmlichen oder in der neuen Rechtschreibung schreibt. Schüler können mit einem Widerspruch bei der Schulleitung gegen einzelne Noten vorgehen. Gegen den Widerspruchsbescheid der Schulleitung können sie Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben.
Bis Mitte 2005 können die Schüler auch die herkömmliche Rechtschreibung anwenden. Ein Verstoß gegen die kultusministerielle Schreibweise muß also von den Lehrern hingenommen werden. Erst ab dem Jahr 2005 sollen die Schüler gezwungen werden, den Neuschrieb anzuwenden. Außerhalb der Schule können sie jedoch laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1998 weiterhin - auch über das Jahr 2005 hinaus - die herkömmliche Rechtschreibung anwenden. Bis zum Jahr 2005 werden die meisten Deutsch- und Textverarbeitungslehrer bei den Korrekturen relativ großzügig sein und im Zweifelsfall nicht nachschlagen, sondern die Schreibweise im Zweifelsfall als richtig gelten lassen. Da sie den Neuschrieb nicht beherrschen und im Amtlichen Regelwerk mit rund 12.000 Wörtern nur ein kleiner Bruchteil des Wortschatzes enthalten ist, müßten sie im Regelwerk selbst und in mehreren Wörterbüchern nachschlagen. Bei Prüfungs- und Examensarbeiten werden die Korrektoren jedenfalls nachschlagen müssen. Ob sie es aber in allen Fällen richtig und erfolgreich tun, darf man auf Grund der inzwischen in den Zeitungen eingerissenen Beliebigkeitsschreibung bezweifeln. Unter Beliebigkeitsschreibung ist eine Mischung aus dem grammatisch oft fehlerhaften und häßlichen Neuschrieb, herkömmlicher Rechtschreibung und eigenen Schreibweisen zu verstehen. Durch die neue Rechtschreibung wird die Einheitlichkeit der bisherigen Rechtschreibung zerstört, und die Zahl der Rechtschreibfehler ist signifikant gestiegen.
Extemporalien und Schulaufgaben werden den Schülern zurückgegeben und besprochen, später aber wieder eingesammelt. Aber man kann sich Kopien anfertigen, so daß eine exakte Nachprüfung möglich ist. Deshalb gibt es dann auch hin und wieder Proteste.
Aber auf die Möglichkeit, Prüfungs- und Examensarbeiten einzusehen und sogar den Rechtsweg beschreiten zu können, machen Lehrer selten aufmerksam. Die meisten Prüflinge nehmen daher keinen Einblick in ihre korrigierten Prüfungsarbeiten und nehmen ihre Prüfungsergebnisse schicksalsergeben hin. Sie wissen nicht, daß schon in der Aufgabenstellung Fehler enthalten sein können oder daß Aufgaben so unverständlich gestellt sein können, daß auch Fachlehrer die Aufgaben nicht lösen können. Außerdem können Korrekturfehler vorkommen. Selbst bei der Auswertung von Multiple-Choice-Aufgaben durch Computer kann der Computer Fehler machen. Auf Grund der Rechtschreibreform ist zu erwarten, daß bei einer Nachprüfung korrigierter Extemporalien, Schulaufgaben und Prüfungsarbeiten in Deutsch und Textverarbeitung Falschkorrekturen in größerem Maß als bisher festzustellen sein werden.
Diese Arbeiten wären daher nicht verwaltungsgerichtsfest. Schüler und Studenten werden aber aus Unwissenheit oder weil sie die Prüfer nicht verärgern wollen, im Regelfall den Rechtsweg vermeiden.
eingetragen von J.-M. Wagner am 12.01.2002 um 19.34
Zitat:Und wie funktioniert es beispielsweise in England? Was gibt es dort für Erfahrungen im Englischunterricht (oder analog im muttersprachlichen Unterricht anderer Länder)? Können wir daraus etwas für die Perspektive in Deutschland lernen?
Ursprünglich eingetragen von Christian Melsa
Wie sieht denn das eigentlich im Fremdsprachenunterricht aus? Wir durften in der Oberstufe in Englisch bei Arbeiten auch Dictionaries benutzen. Welches, konnten wir uns dabei aber selber aussuchen. Und diese Dictionaries konnten wir auch nach der Rückgabe der Arbeiten heranziehen, wenn wir Einspruch gegen Fehleranstreichungen einlegen wollten. Es funktioniert also eigentlich doch ganz einfach.
Und: Welche Konsequenzen (etwa in puncto Verwaltungsgerichtsfestigkeit von Entscheidungen des Lehrers) hat eigentlich die Abschaffung des Dudenprivilegs? Sind wir damit nicht schon - im Prinzip; modulo weiterhin vorhandener Dudenhörigkeit - in einer Situation, die der des (im Zitat erwähnten) Englischunterrichts entspricht? Dieser Aspekt ist in der Diskussion bisher nur erwähnt, aber nicht näher beleuchtet worden. Einen brauchbaren Dudenersatz stellt das Wörterverzeichnis der amtlichen Neuregelung ja nicht dar - welche Chancen hätte ein Schüler, wenn er sich auf eines der von Herrn Riebe aufgelisteten Wörterbücher beriefe (sofern es nicht um einen offensichtlichen Verstoß gegen die amtliche Schreibweise geht)? Oder ist der Sittenverfall bezüglich der Rechtschreibung - d. h. die Beliebigkeitsschreibung - schon so weit fortgeschritten, daß sich diese Frage in der Praxis gar nicht erst (bzw. nicht mehr) stellt?
Nebenthema: Geht der Satz über das Wissen um das Nichts-Wissen (- oder sollte man hier eine Substantivierung gänzlich vermeiden?) auf jemand speziellen zurück, oder stammt er von Karl persönlich? Oder ist das als »Spruch« ein Alter Hut? Über eine entsprechende Mitteilung würde ich mich freuen.
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von Manfred Riebe am 12.01.2002 um 16.39
Sehr geehrter Herr Karl!
Sie haben sich in die Nutzerliste eingetragen mit dem Satz: "Wer weiß, daß er nichts weiß, weiß mehr als jemand, der nicht weiß, daß er nichts weiß."
Dieser Spruch gefällt mir, weil er zur Bescheidenheit mahnt. Das Wissen des Menschen ist Stückwerk. Deshalb werden Normen auch so selten "hinterfragt".
Roman Herzog wagte es sogar einmal im Hinblick auf den begrenzten menschlichen Horizont zu sagen: "Kultusminister sind aufgrund ihres geistigen Zuschnitts nicht in der Lage, über die Grenzen ihres Bundeslandes hinaus zu denken." Vgl. Schöttes, H. J.; Rossler-Kreuzer, H.: In Schanghai fühlte sich Herzog 'pudelwohl' - und teilte aus. In: Nürnberger Nachrichten 23.11.96, S. 3.
eingetragen von Norbert Schäbler am 12.01.2002 um 15.07
Wenn ich mich immer wieder in diese Diskussion einmische, dann mag man mich als „Schulmeister“ oder als „Senfdoktor“ benennen. Mir aber geht es um Aufklärung sowohl für mich selbst als auch um die Weitergabe des erworbenen Wissens.
Meine Position ist die des Unterrichtspraktikers – meinetwegen auch die des „Schulmeisters“.
Das ist eine äußerst zwiespältige Position, denn zum einen fordert das Lehrerdasein pädagogische und fachspezifische Qualitäten, zum anderen Fähigkeiten auf dem Gebiet der Verwaltung. Daß Lehrer nicht nur Lebens- und Berufschancen eröffnen sondern auch selbige verbauen, ist ein alter Hut.
Lehrer sind keine autonomen Persönlichkeiten, obwohl man dies von einem Pädagogen erwarten sollte.
Lehrer unterliegen der Loyalitätspflicht (wie viele andere Berufspraktiker auch). Das hat positive und negative Auswirkungen. Loyale Handlungen werden von der Behörde (Schulamt, Regierung, Kultusministerium) verteidigt. Mündigkeit wird nicht gerne gesehen, obwohl das angeblich das oberste Bildungsziel ist.
Wenn Lehreraspiranten nach dreijährigem Studium an der Universität in die Schulwirklichkeit hineingeworfen werden, dann landen sie im kalten Wasser der Verwaltungsbürokratie und genießen eine zweite dreijährige Ausbildung, die sich vorwiegend mit Unterrichtseffektivität und Rechtswesen beschäftigt. Inhalte der ersten Ausbildungsphase geraten da sehr schnell in den Hintergrund.
Man macht, um der Macht zu entsprechen ...
Mein Anliegen wird offensichtlich nicht richtig verstanden. Der Themenbezug wird vermißt. Doch das Thema lautet: „Der Fetisch Norm“
Und meine Grundfrage ist die: „Wie will denn ein Genormter – ein Gestanzter – etwas anderes weitergeben als gerade jene Norm, die er nie hinterfragt hat, aus welchen Gründen auch immer?“
Ich vermisse die Pädagogen, angefangen von Humboldt bis Montessori und verteufele die jeweils ideologisch eingefärbten Ausbildungsmoden, die bald Abziehbildchen des einen, bald des anderen Idols schaffen.
Selbständigkeit, Mündigkeit, verantwortete Freiheit; das sind meine Ziele, und ich unterscheide mich absolut nicht von den Zielen Professor Icklers.
Ich weise lediglich darauf hin, an welchen Stellen ich aus meiner Sicht Hürden erkenne und bringe jene Gesichtspunkte ein, die mit der erweiterten Dimension des Themas „Norm“ und „Normierung“ etwas zu tun haben.
„Warum ist es in Deutschland nicht möglich, was in England, Frankreich etc. möglich ist?“ Diese Frage stammt aus der Feder von Professor Ickler.
Vielleicht habe ich oben Teilantworten gegeben. Man muß sie nur herauslesen ...
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nos
eingetragen von Walter Lachenmann am 12.01.2002 um 13.39
Keine Sorge, lieber Herr Karl. Das Christentum nehme ich sehr ernst. Drum bin ich auf gewisse Äußerungen, die sich darauf meinen beziehen zu müssen, um andere damit zu belehren, vielleicht besonders allergisch. Einen Christen erkenne ich nicht an seinem Reden, sondern an seinem Handeln.
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Walter Lachenmann
eingetragen von Karl am 12.01.2002 um 13.29
Kein Grund, das Christentum zu verhöhnen, Herr Lachenmann!
eingetragen von Theodor Ickler am 12.01.2002 um 04.52
Die von Herrn Melsa mit Recht betonte Autorität des Dudens (= Wörterbuch schlechthin) wird in unseren Tagen durch die Rechtschreibprogramme in Frage gestellt. Die sind zwar auch wieder am Duden orientiert, aber nicht nur. Man müßte mal untersuchen, was diese Entwicklung bedeutet.
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Th. Ickler
eingetragen von Walter Lachenmann am 11.01.2002 um 19.44
Jetzt, wo es so dargestellt wird, erkenne ich sehr wohl den zutiefst christlichen, der puren Nächstenliebe einerseits und der Verantwortung des Historikers für unbedingte Genauigkeit andererseits entsprungenen Gehalt der von mir völlig zu Unrecht beargwöhnten permanenten Titulierung mit »Verleger« ausgerechnet in meinem Falle. Wie leicht hätten mich die Millionen Teilnehmer dieser Diskussionsrunde immer wieder etwa mit dem berühmten Reutlinger Juwelier oder sonst einem Träger dieses so oft in der Öffentlichkeit genannten Namens verwechseln können! Das wäre wahrhaftig verhängnisvoll gewesen. Auch die Präzisierung »Waakirchen bei Bad Tölz« ist dringend geboten, denn es gibt kein anderes Waakirchen, da hätte sich mancher vielleicht dumme Gedanken gemacht. (Matth. 26,48: Welchen ich küssen werde, der ist's; den greifet.)
Bliebe noch zu untersuchen, inwieweit zum Beispiel Hans Maier, der ehemalige Kultusminister Bayerns, zu den Alt-68ern in der Kultusbürokratie gehörte. Oder Hans Zehetmair, den immerhin bei der Vorstellung, er müsse den Heiligen Vater bei der nächsten Audienz mit einem kleinen hl. ansprechen, Sorge um sein Seelenheil beschlich, von der Hotelfachfrau ganz zu schweigen, die die Reform gemäß ihrem eigenen Bildungsstande ganz prima findet und Ickler für einen vertrottelten und weltfremden, außerdem »umstrittenen« Professor hält, auf den man nichts geben muß. Sicherlich wurde sie vom gerissenen Undercover-68er FJS in den damaligen leidenschaftlichen Nächten nur zu dem Zwecke gezeugt, der Reform nach seinem Ableben zum Durchbruch zu verhelfen. Über die engen Verbindungen zwischen ihm und dem angeblichen sozialistischen Erzfeind weiß man inzwischen ja Bescheid, nur ein verkappter Linker, der sich Amt und Würden auf dem Marsch durch die Institutionen erschlichen hat, schiebt so wie er unser anständig verdientes Geld in Form hoffnungslos verlorener Kredite in Milliardenhöhe über den Eisernen Vorhang! Den Historikern und ermittelnden Privatforschern bleibt noch viel zu tun, da sollte es sich keiner leisten, seine Zeit zu verplempern, indem er auf Telekom-CDs herumsurft, um nach Namensvettern von harmlosen Mitchristen zu suchen.
– geändert durch Walter Lachenmann am 13.01.2002, 05.01 –
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Walter Lachenmann
eingetragen von Manfred Riebe am 11.01.2002 um 18.22
Großer Dienst eines Verlegers für die deutsche Sprachkultur
Gütesiegel »Lesen ohne Verdruß! - Reformfreie Rechtschreibung«
Warum lenken Sie bescheiden vom Thema "Das Menschenbild der Rechtschreibreform" ab, Herr Lachenmann? Sie haben doch so manchen Leserbrief gegen die Rechtschreibreform geschrieben, in dem Ihre Beurteilung des Menschenbildes der Reformer schlaglichtartig beleuchtet wird. Ein Beispiel:
Sehr geehrte Redaktion,
ich bin ein mikroskopisch kleiner Verleger, aber diese Dummheit [der Neuen Rechtschreibung] soll mir keiner jemals nachsagen. In meinem Verlag werden Bücher in Reformdeutsch nicht erscheinen, und bisher hat mich jeder für diese Absicht gelobt. Bringen doch auch Sie das bißchen Mut auf und bleiben Sie bei der bisherigen Rechtschreibung. Millionen von Lesern werden Ihnen zujubeln, und Ihre Bücher werden Auflagenzuwächse erleben, von denen Ihre Konkurrenten nur träumen können, die in thumber Devotion oder Zeitgeistheischerei einem ausgerechnet von Staatsdienern ausbaldowerten und in jeglicher Hinsicht dilettantischen, ja katastrophal dümmlichem Vorschriftenwerk für die deutsche Sprache nacheifern. Und sich damit laufend lächerlich machen.
Versehen Sie Ihre Bücher mit einem deutlich sichtbaren Gütesiegel, etwa mit dem Wortlaut »Lesen ohne Verdruß! - Reformfreie Rechtschreibung« Viele Buchkäufer werden sich dann spontan für Ihre Bücher entscheiden, selbst wenn es inhaltlich ähnlich interessante oder aus Sicht des Lesers vielleicht interessantere Bücher aus andern Verlagen in Neuschrieb gibt.
Bei Ihrem Publikum, kultivierten Lesern mit Sinn für Sprache, ist die Abneigung gegen die neuen Regeln größer, als Sie vielleicht vermuten. Eine Welle der Zustimmung und der Sympathie wird Ihnen entgegenschlagen. Und Sie werden der deutschen Sprachkultur einen großen Dienst erweisen, durch Ihr Vorbild vielleicht dazu beitragen, daß auch andere Verlage sich von den neuen Regeln abwenden. Und dieser Spuk, eine der größten Peinlichkeiten in der Geschichte der deutschen Intelligenz, bald wieder in den Aktenschränken der Kultusministerien verschwindet.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Mut, Entschlußkraft - und Klugheit!
Walter Lachenmann
[Man wird bemerkt haben, daß Die Gazette orthographisch eher traditionell verfährt.]
DIE GAZETTE, Nr. 30, November 2000
Richtig: Dieses Vorschriftenwerk für die deutsche Sprache (Der Fetisch "Norm") wurde "von Staatsdienern ausbaldowert". Für diese klare Stellungnahme gegen die Alt-68er in der Kultusbürokratie, die nach ihrem Marsch durch die Institutionen zu Amt und Würden gelangten, muß man Herrn Lachenmann als Verleger loben; denn es gibt nur wenige Verleger, die so mutig sind, gegen den Strom zu schwimmen. Daß das Konzept der Rechtschreibreform von Alt-68ern stammt und daß sie in den meisten Bundesländern dahinterstecken, braucht Ihnen nicht peinlich zu sein. OStR Günter Loew hat die Urheberschaft der Alt-68er in einer Dokumentation von 21 Initiativen gegen die Rechtschreibreform nachgewiesen (vgl. Riebe, Manfred; Schäbler, Norbert; Loew, Tobias (Hrsg.): Der "stille" Protest. Widerstand gegen die Rechtschreibreform im Schatten der Öffentlichkeit, St. Goar: Leibniz-Verlag, 1997, S. 152 ff., 173 ff.).
Ich meine daher nicht Herrn Juwelier Lachenmann oder Herrn Walter Lachenmann aus Reutlingen, sondern Herrn Verleger Walter Lachenmann aus Waakirchen bei Bad Tölz. Ich hätte auch "Büchermacher" schreiben können oder Leiter des OREOS-Verlages, um Verwechslungen mit Namensvettern vorzubeugen. Bundestagsabgeordnete setzen häufig ihren Wohnort hinzu: Müller (Berlin), Müller (Düsseldorf); in Ihrem Fall hieße es Walter Lachenmann (Waakirchen). Hier scheint mir jedoch der Zusatz "Verleger" sachdienlich zu sein, da Sie gegen den Fetisch "Rechtschreibreform" kämpfen, die Idee eines Gütesiegels »Lesen ohne Verdruß! - Reformfreie Rechtschreibung« hatten und dies auch in die Tat umsetzten.
eingetragen von Christian Melsa am 11.01.2002 um 15.17
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Das sind deutsche Fehlentwicklungen. Sie sind so fest etabliert, daß manchem (auch und gerade manchem Lehrer) die Phantasie fehlt, sich andere, liberalere Lösungen vorzustellen. Ohne das vertraute Gängelband glaubt man hilflos und verlassen zu sein. Kleingläubigkeit nenne ich das.
Natürlich bin ich realistisch genug, um die Kirche im Dorf zu lassen. Nicht jeder Lehrer kann den vollen Überblick haben, "wie man schreibt". Dazu gibt es dann die deskriptiven Hilfsmittel zum Nachschlagen. Die besseren kann man als Unterrichtsmittel zulassen, wie andere Schulbücher auch. Mehr sollte der Staat sich aber nicht zutrauen.
Ich weiß wirklich nicht, warum das in Deutschland nicht funktionieren sollte.
Weil die Deutschen immer noch dudenhörig sind. Wenn man einen Gebrauchtwagen verhökern möchte und nicht weiß, wieviel man für ihn verlangen soll, schaut man in die Schwacke-Liste, bei Fragen zur Sprache eben in den Duden. Wie Manfred Riebe erzählt, viele Leute wissen nicht einmal, daß es überhaupt auch noch andere Wörterbücher als den Duden gibt. Und selbst wenn doch, dann greifen sie meistens nur deswegen zu einem anderen Werk, weil es billiger angeboten wird. Das wird dann immer noch als Duden-Ersatz begriffen. "Duden" ist doch praktisch ein Synonym für Wörterbuch. Stellen wir uns folgende Situation vor: Eine WG spielt Scrabble. Es entsteht zwischen zwei Mitspielern Streit darüber, ob es ein bestimmtes Wort überhaupt gibt bzw. so wie gelegt richtig buchstabiert ist. Die beiden Spieler eilen in ihre Zimmer und holen schnell ihre Wörterbücher herbei, um ihre Auffassung zu belegen. Doch die Wörterbücher unterscheiden sich bei dieser Frage. Welchem von beiden soll man denn nun trauen? Es wird gestritten und argumentiert, bis ein Dritter aufsteht und aus seinem Zimmer den Duden holt. Der Duden soll entscheiden! Warum ausgerechnet der Duden? Nun, das war doch "immer schon" so, warum soll es auf einmal anders sein? Wegen der Reform? Aber auch nach der Reform, gerade jetzt, wird doch ein allgemeiner Nenner gebraucht. Warum also der Einfachheit halber nicht beim Duden bleiben? Warum zu einem anderen wechseln? Und wie sollte das überhaupt gehen, zu welchem denn, da müßten sich ja alle einig sein? So sieht es der Durchschnittsbürger.
Ähnlich ist die Situation in der Schule, nur daß es da um mehr als ein Spiel geht, nämlich um Noten, von denen möglicherweise eine Menge abhängt. Hier sind in der Praxis die von Herrn Riebe erwähnten Probleme zu erwarten, wenn man kein absolutes Richtwerk mehr hat und andererseits trotzdem die grundsätzliche Bewertung bzw. Auffassung von Rechtschreibung in der Schule beibehalten wird.
Ließe sich das Problem lösen, wenn nicht ein einziges Wörterbuch, nur der Duden, in der Schule als maßgebend gälte, sondern vielmehr ein breiter Kanon von zugelassenen Werken? Schließlich gibt es auch unterschiedliche Mathematikbücher, und bei der Bewertung einer Mathearbeit heißt es nicht etwa: "Maßgebend ist der Schülerduden Mathematik." Das Zulassungsverfahren müßte transparent ablaufen, um Günstlingswirtschaft auszuschließen. Leider ist es sehr schwer, hier präzise Kriterien aufzustellen. Jedes seriöse Wörterbuch, dessen Erarbeitung wissenschaftlichen Anforderungen genügt, müßte zugelassen werden. Zu enge inhaltliche Anforderungen kämen am Ende doch wieder auf dasselbe hinaus, wie zu sagen: muß der amtlichen Neuregelung entsprechen! Genau diese staatliche Sprachkontrolle wollen wir ja gerade nicht.
Auch ein noch so gut ausgebildeter Deutschlehrer wird hin und wieder ein Nachschlagewerk brauchen, und auch die Schüler müssen wissen können, wo sie selber nachgucken sollen. Eine totale Lehrerautonomie in dieser Frage wäre nicht ganz unproblematisch. Dazu müßte man sich erst einmal darauf verlassen können, daß jeder Lehrer auf jeden Fall über die angemessene Kompetenz verfügt. Das dürfte jedoch gegenwärtig und bis auf weiteres eher Wunschdenken sein, also höchstens ein fernes Ziel, auf das man hinarbeiten kann.
Wie sieht denn das eigentlich im Fremdsprachenunterricht aus? Wir durften in der Oberstufe in Englisch bei Arbeiten auch Dictionaries benutzen. Welches, konnten wir uns dabei aber selber aussuchen. Und diese Dictionaries konnten wir auch nach der Rückgabe der Arbeiten heranziehen, wenn wir Einspruch gegen Fehleranstreichungen einlegen wollten. Es funktioniert also eigentlich doch ganz einfach.
Wenn man erreichen könnte, daß die Kultusminister sich auf den Kompromiß einlassen, daß einfach alles, was in irgendeinem Wörterbuch der letzten Jahrzehnte steht (auch wenn es von Ickler oder Paul kommt), in einer Schularbeit nicht falsch sein kann und auch nicht gesondert nach Obrigkeitstreuegrad markiert wird, dann liefe das zwar auf einen gewissen Toleranzraum zu "Beliebigkeitsschreibung" hinaus, aber keine Medienpublikation könnte mehr behaupten, die unpopulären und unseriösen Schreibweisen verwenden zu müssen, weil sie es nicht mit ihrem sensiblen Gewissen (und dem Gedanken an künftige Abonnenten) vereinbaren könne, daß die Kinderchen ihnen entfremdet bzw. sie den Kinderchen entfremdet werde. So ein Kompromiß, in der Schule die "alte" Rechtschreibung nicht dümmlich-diktatorisch zu verbieten (bzw. als unattraktiv zu verkaufen), die "neue" aber angesichts der geschaffenen Fakten dennoch zu dulden, das könnte die goldene Brücke sein, die es allen erst einmal ohne Gesichtsverlust gestattet, wieder zur Vernunft zurückzukehren. Es wäre zur aktuellen Praxis ein feiner, aber wichtiger Unterschied. Weil er so fein ist, dürfte er um so einfacher durchsetzbar sein. Wie es weitergeht, hinge dann wohl realistisch betrachtet vom Verhalten des Dudenverlags ab, denn darauf werden sich dann alle Blicke richten. Würde er künftige Auflagen seines Rechtschreibwörterbuchs nach dem von mir zuletzt vorgeschlagenen Muster erscheinen lassen, könnten die Reformer und ihre Sympathisanten nicht behaupten, daß ihr Projekt böswillig abgewürgt worden sei, es gäbe aber trotzdem gute Aussichten auf eine Gesundung der Orthographie, auf eine Heilung vom gegenwärtigen Wahn.
eingetragen von Walter Lachenmann am 11.01.2002 um 13.50
Alois Glück habe es zwar nicht gesagt, aber zwischen den Zeilen anklingen lassen. Also war die Stoßrichtung des Stiers schon richtig. Bekanntlich wäre die Rechtschreibreform ohne Betreiben namhafter CSU-Politiker nicht zustande gekommen. Diese waren sicherlich waschechte 68er. Aber ich sage ja: auf diesem Niveau kommt es zu keiner vernünftigen Auseinandersetzung, da helfen auch Bibelsprüche nicht weiter. Besonders im Sinne der Bergpredigt ist es vermutlich gemeint, meinem Namen regelmäßig den Zusatz »Verleger« hinzufügen. Nicht daß mir mein Beruf peinlich wäre, im Gegenteil, aber was soll der Blödsinn?
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Walter Lachenmann
eingetragen von Manfred Riebe am 11.01.2002 um 13.37
Wenn der Torero dem Stier ein rotes Tuch vor die Nase hält, geht der Stier blindlings drauflos. So ein rotes - bzw. in diesem Fall ein schwarzes - Tuch ist offenbar manchmal der Name Alois Glück oder der seiner Partei, der CSU, offensichtlich besonders das "C" darin. Da ist wohl bei Herrn Verleger Walter Lachenmann eine Sicherung durchgebrannt; denn wer das Zitat aus der Nürnberger Zeitung (NZ) genau liest, erkennt, daß nicht Alois Glück, sondern ein Mitarbeiter der NZ, Philipp Roser, von der "Zopf-ab"-Haltung der 68er Generation schrieb, die das heutige Menschenbild präge.
Ist nicht auch die sogenannte Rechtschreibreform ein Beispiel für die "Zopf-ab"-Haltung der 68er Generation, zu der u.a. auch der Vorsitzende der Rechtschreibkommission, Professor Gerhard Augst, gehört? Welches Menschenbild steht wohl hinter der Rechtschreibreform?
Philipp Roser schrieb in seinem NZ-Kommentar über die Pisa-Studie auch:
"Aber eine ‚Kultur der Verantwortung' auch an den Schulen, wie Alois Glück anmahnt, kann nur praktizieren, wer Grenzen und Respekt anderen gegenüber kennt. Dies wieder zu erlernen, ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft." Die Erziehungspflicht der Eltern beginnt bei der Selbsterziehung der Eltern.
Herr Verleger Walter Lachenmann schrieb auch: "Und fromme Verweise auf die Bergpredigt sind in aller Regel eine Geschmacklosigkeit, da wir alle sehr wohl wissen, daß kaum jemand von uns diesem präskriptiven »Menschenbild« auch nur annähernd bereit ist zu entsprechen." Ganz offensichtlich wirkt die Bergpredigt als ein Stein des Anstoßes. Ich bin trotzdem so "geschmacklos", aus der Bergpredigt zu zitieren, um Herrn Lachenmann wenigstens zum Teil zu bestätigen: "Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind ihrer, die ihn finden." (Matth. 7, 14).
eingetragen von Walter Lachenmann am 11.01.2002 um 12.22
Das Menschenbild, das hinter dem heutigen Bildungs- und Erziehungssystem und der sie gestaltenden Politik steht, sei geprägt durch die »Zopf-ab«-Haltung der 68er Generation, usw.
Da macht es sich einer wieder einmal sehr einfach: »die 68er« sind an dem Schlamassel schuld. Als ob »die 68er« die deutsche Politik der letzten dreißig Jahre definiert hätten! Ausgerechnet ein Politiker der 68er-feindlichen Partei, die praktisch seit Kriegsende in ihrem Land ohne nennenswerte Opposition regiert, kommt zu dieser scharfsinnigen Erkenntnis, mit der er natürlich wieder den Schwarzen Peter den verhaßten »Linken« zuschieben kann. Über das »Menschenbild«, das hinter einer solchen Diskussionsethik und einem solchen Demokratieverständnis steht, sollte man wirklich einmal allen Ernstes nachdenken. »Leistungsschwach und nicht mehr im Stande, komplexe Zusammenhänge zu begreifen« - das trifft auf einen, der so etwas von sich gibt, genau zu. Solange die politische Kultur sich auf diesem Niveau bewegt, das auf gesellschaftspolitischer Ebene absolut dem der PISA-Studie entspricht, wird sich nichts zum Guten verändern, dies ist gewiß, und genauso gewiß ist, daß sich das Niveau der Auseinandersetzung nicht heben wird.
Die »Zopf-ab«-Haltung ging in den 68er Jahren bekanntlich durch alle gesellschaftlichen Schichten, von den konservativen Parteien über die Kirchen bis hin ins linke Spektrum, wo es zu ganz besonders absurden Auswüchsen gekommen ist - es war eine Generationserscheinung. Wenn man sich an gewisse Verhältnisse der Zeit vor dieser »Kulturrevolution« erinnert, so war sie auch eine der segensreichsten Phänomene der Nachkriegszeit, und beschränkte sich bekanntlich nicht auf die Bundesrepublik. Da Aufklärung und Intelligenz nie eine Chance haben, sich in gesellschaftlichen Strukturen (Parteien, Ministerien, Regierungen, Gesetzgebungen, Behörden, Vereinen, Familien usw.) und unter uns Menschen überhaupt nachhaltig durchzusetzen, wurde aus »Zopf-ab« erwartungsgemäß »Kopf-ab«, mit anderen Worten: unter Verweis auf mehr oder weniger ideologisch gerechtfertigte Theorien, wurde die schon immer praktizierte Gedankenlosigkeit weiterbetrieben: Respekt vor der Würde des Kindes wurde praktiziert als weitgehender Verzicht auf erzieherische Einwirkung (eine Erziehungspraxis, die man auch bei durchaus konservativen jungen Eltern beobachten kann), die Forderung nach Recht auf Bildung für alle wurde so fehlinterpretiert, als ob alle Menschen in gleicher Weise zu jeglichem Bildungsgrad befähigt seien, aus der »sexuellen Befreiung«, die zu den wichtigsten Errungenschaften der 68er Jahre gehört, wurde die Sanktionierung jeglicher mit diesem Thema verbundenen Dummheit und Geschmacklosigkeit gemacht.
Ich bin aber überzeugt davon, daß diese Erscheinungen nichts mit dem eigentlichen Geist, der zu dem Phänomen der 68er geführt hat, zu tun haben, sondern mit dessen genauem Gegenteil, seiner Pervertierung.
Das »Menschenbild«: Auch hier müßte man unterscheiden zwischen präskriptivem und deskriptivem Ansatz. Einander um die Ohren zu schlagen, man habe ein verwerfliches »Menschenbild« ist ganz besonders blöde. Und fromme Verweise auf die Bergpredigt sind in aller Regel eine Geschmacklosigkeit, da wir alle sehr wohl wissen, daß kaum jemand von uns diesem präskriptiven »Menschenbild« auch nur annähernd bereit ist zu entsprechen.
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Walter Lachenmann
eingetragen von Manfred Riebe am 11.01.2002 um 12.12
Professor Ickler schrieb: "Es ist sonderbar, daß in Deutschland der Glaube verbreitet ist, ohne ein staatlich approbiertes Rechtschreibbuch würde alles drunter und drüber gehen. (...) Ohne das vertraute Gängelband glaubt man hilflos und verlassen zu sein. Kleingläubigkeit nenne ich das.
Natürlich bin ich realistisch genug, um die Kirche im Dorf zu lassen. Nicht jeder Lehrer kann den vollen Überblick haben, "wie man schreibt". Dazu gibt es dann die deskriptiven Hilfsmittel zum Nachschlagen."
Bis 1996 wußte ich als Deutschlehrer an einer Berufsschule, aber dennoch - wie fast alle Berufsschullehrer - als Nichtgermanist, nicht, daß es neben dem Duden auch noch andere konkurrierende Rechtschreibwörterbücher gab. In den Deutsch-Lehrplänen hieß es, daß man sich nach dem Duden zu richten habe. Ich gehe deshalb davon aus, daß nur sehr wenige Lehrer, auch Germanisten, alternative Wörterbücher kannten und für den Deutschunterricht benutzten. Nachdem die Kultusminister 1996 das Duden-Privileg aufhoben und die sogenannte Rechtschreibreform einführten, erschienen eine Reihe neuer Rechtschreibwörterbücher auf dem Markt. Im März 1997 verglich die FAZ neun neue Wörterbücher miteinander: Bertelsmann von Juli 1996, Bertelsmann vom November 1996, Wahrig, Duden, Duden: Universal-Wörterbuch, Bünting (Aldi), Bedürftig (bei Eduscho), Trautwein und Deutsches Wörterbuch (Uni Essen). Die FAZ stellte eine lexikalische Konfusion fest. Erst dadurch wurde ich allmählich darauf aufmerksam, daß es auch schon vor 1996 Wörterbücher gab, die trotz des Duden-Privilegs mit dem Duden konkurrierten. Ich nenne eine Auswahl:
- Hermann, Ursula / Leisering, Horst / Hellerer, Heinz: Knaurs Großes Wörterbuch der deutschen Sprache. Der große Störig. München, 1985
- Kempcke, Günter et al. (eds.): Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (HDG). In zwei Bänden. Berlin (1984)
- Klappenbach, Ruth / Steinitz, Wolfgang (eds.): Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (WDG). Berlin. (1961 - 1977)
- Knaurs Rechtschreibung, München/Zürich 1973
- Kraemer, Rolf (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch, Mit Silbentrennung und Phonetik. Unter Mitarbeit von Helga Hahn, Jürgen R. Brandt und J. Reichberg, Wiesbaden: R. Löwit GmbH, 1980
- Küpper, Heinz: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, Stuttgart 1997 (= Nachdruck der Auflage von 1987)
- Lexikon der deutschen Sprache, Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin 1969
- Mackensen, Lutz: Deutsches Wörterbuch, 12. Auflage, Bindlach: Gondrom-Verlag, 1991
- Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. 9., vollständig neu bearbeitete Auflage von Helmut Henne und Georg Objartel unter Mitarbeit von Heidrun Kämper-Jensen. Tübingen, Niemeyer-Verlag, 1992
- Pekrun, Richard: Das deutsche Wort, bearbeitet von Franz Planatscher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gesellschaft für deutsche Sprache, Wiesbaden, 12. Auflage, Bayreuth: Gondrom Verlag, (1985)
- Störig, Hans Joachim: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1990
- Ullstein Lexikon der deutschen Sprache. Wörterbuch für Rechtschreibung, Silbentrennung, Aussprache, Bedeutungen, Synonyme, Phraseologie, Etymologie, (1969)
- Wahrig, Gerhard: Deutsches Wörterbuch, Gütersloh 1971
Der "Glaube" bzw. der Kleinglaube oder die angebliche "Kleingläubigkeit" beruhte bei näherer Betrachtung früher folglich oft auf Unwissenheit, und das "Gängelband" war die Folge staatlicher Reglementierung durch die Kultusminister, d.h. des bisherigen Duden-Privilegs.
Im Gegensatz zu damals wären aber heute alle Schreiber, Lehrer und Germanistikprofessoren, die sich - trotz eines infolge der Aufklärung über die sogenannte Rechtschreibreform viel besseren Wissensstandes - an das mangelhafte "Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung" der Kultusminister halten, viel eher als gegängelte "Kleingläubige" zu bezeichnen, sofern sie sich kritik- und widerstandslos dieser politisch korrekten, aber als äußerst mangelhaft erkannten "Reform" bedingungslos unterwerfen.
Aber wie wäre es wohl gewesen, wenn vor 1996 wenigstens den Deutschlehrern die oben genannten "deskriptiven Hilfsmittel zum Nachschlagen" alle bekannt gewesen wären? Hätten sie zur Korrektur von Deutschaufsätzen mehrere Wörterbücher herangezogen oder hätten sie sich auf ein einziges Wörterbuch verlassen? Auf welches Wörterbuch hätten sie sich stützen sollen? Die Entscheidung der Kultusminister, den Lehrern den Duden als maßgebende Rechtschreibinstanz vorzuschreiben, wurde sicherlich aus der Unterrichts-, Korrektur- und Prüfungspraxis heraus geboren, um eine gewisse Einheitlichkeit herbeizuführen und Korrekturen möglichst verwaltungsgerichtsfest zu machen. Damit ist es aber nun vorbei; denn das seit 1996 geltende "Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung" der Kultusminister ist eine staatliche Reglementierung anderer Art. Es hat infolge seiner mangelnden Logik, Widersprüchlichkeit und Praxisferne zu einer Beliebigkeitsschreibung geführt, die wohl fast alle Schreiber, insbesondere die Lehrer, ablehnen.
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Manfred Riebe, OStR, Dipl.-Kfm.
Beisitzer des VRS - Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.
- Initiative gegen die Rechtschreibreform -
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg
Netzbrief: Manfred.Riebe@raytec.de
Netzseiten: http://www.vrs-ev.de
http://www.deutsche-sprachwelt.de
http://Gutes-Deutsch.de/
http://www.rechtschreibreform.com
http://www.raytec.de/rechtschreibreform/
http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Cricetus/SOzuC1/VsRSR.htm
Vergleiche insbesondere meinen Aufsatz "Was bedeuten "Wahrung" und "Förderung" der Sprache und der Sprachkultur?" in der Netzseite
http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Cricetus/SOzuC1/SOVsRSR/ArchivSO/MRiebe1.htm,
den Professor Christian Gizewski, Berlin, dort veröffentlicht hat. Es handelt sich um einen aufschlußreichen Kommentar über das von der "Gesellschaft für deutsche Sprache" (GfdS), Wiesbaden, und vom "Institut für Deutsche Sprache" (IDS), Mannheim, herausgegebene Handbuch: "Förderung der Sprachkultur in Deutschland. Sprachvereine im deutschen Sprachraum" (1999) und über den Aufsatz von Silke Wiechers: "Wir sind das Sprachvolk" - aktuelle Bestrebungen von Sprachvereinen und -initiativen. In: Muttersprache, Vierteljahresschrift für deutsche Sprache, Hrsg.: Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), Wiesbaden, Jahrgang 111, Heft 2, Juni 2001, S. 147 - 162.
"Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!" (VRS)
eingetragen von Theodor Ickler am 11.01.2002 um 05.01
Was Herr Schäbler sagt, ist mir zu hoch. Herr Riebe hat meine Bemerkungen besser verstanden. Ich hatte doch - nicht zum erstenmal - etwas ziemlich Einfaches gesagt. Es ist sonderbar, daß in Deutschland der Glaube verbreitet ist, ohne ein staatlich approbiertes Rechtschreibbuch würde alles drunter und drüber gehen. Auch schon vor dem Einheitsduden konvergierten, wie K. Duden 1876 feststellte, die Schreibweisen zu einer sehr einheitlichen Norm (im Sinne inhärenter Norm, also des Gebrauchs). Die Einheitsorthographie war nur der Schlußstein auf dieser Entwicklung, die genauso ablief wie in anderen Ländern. Leider ist dann der Staat zum Verwalter der Norm geworden. Anderswo geht es aber ohne Staat, und das ist in vieler Hinsicht besser.
Ferner hatte ich angedeutet, daß die anderen Ebenen der Sprache seit je ohne staatlich autorisierte Norm beurteilt und gepflegt werden. Allerdings hat der Dudenverlag einen Teil jener ihm zugeschobenen oder von ihm erschlichenen Autorität auf die anderen Werke seines Hauses abzuleiten verstanden, so daß zum Beispiel die Dudengrammatik und Band 9 ein Ansehen genießen, das ihnen in keiner Hinsicht zusteht.
Das sind deutsche Fehlentwicklungen. Sie sind so fest etabliert, daß manchem (auch und gerade manchem Lehrer) die Phantasie fehlt, sich andere, liberalere Lösungen vorzustellen. Ohne das vertraute Gängelband glaubt man hilflos und verlassen zu sein. Kleingläubigkeit nenne ich das.
Natürlich bin ich realistisch genug, um die Kirche im Dorf zu lassen. Nicht jeder Lehrer kann den vollen Überblick haben, "wie man schreibt". Dazu gibt es dann die deskriptiven Hilfsmittel zum Nachschlagen. Die besseren kann man als Unterrichtsmittel zulassen, wie andere Schulbücher auch. Mehr sollte der Staat sich aber nicht zutrauen.
Ich weiß wirklich nicht, warum das in Deutschland nicht funktionieren sollte.
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Th. Ickler
eingetragen von Norbert Schäbler am 10.01.2002 um 23.46
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Gerade hatte ich mein o mit Glück um sein ursprüngliches h gebracht - da kommt der Schulmeister und belehrt mich, daß es besser doch mit h geschrieben würde. Mitnichten! Ich habe nämlich nicht die Interjektion oh gemeint, von der die Dudenliteratur mit Recht sagt, sie werde überwiegend so geschrieben, wenn sie allein steht, sondern die Vokativpartikel o, die zusammen mit anderen Wörtern steht und daher auch mit den bekannten biblischen Kleingläubigen, auf die ich mir anzuspielen erlaubte in diesem frommen Kreis.
Eigentlich habe ich ja gar nicht belehren wollen – das kam vielleicht so an – weil so viele Zuschauer außen rum waren, aber jetzt wird Belehrung nötig, denn was ich unter keinen Umständen ausstehen kann, ist, daß ich jemandem einen sanften Rat gebe, von dem ich dann in den Hintern getreten bekomme. Dann dringt bei mir die „Paukersau“ durch, und auch die ist verteidigungswürdig!
Sehr geehrter Herr Professor Ickler!
Wenn wir uns über Liberalität unterhalten, dann meinen wir doch wohl die größtmögliche Freiheit für alle Beteiligten. Dann werden doch insbesondere diejenigen, die den Intellekt gepachtet zu haben scheinen oder ihn besitzen, von ihrem Intellekt insofern Gebrauch machen, daß sie denjenigen, die sie als intellektlos einschätzen, zumindest Gnade gewähren, indem sie sanfte Aufklärung betreiben statt schulmeisterlichen Rapport abzuhalten. Ihre Worte empfinde ich wie ein Geschütz!
Jene Zeiten der Liberalität, von denen Sie schwärmen, können nur dann Realität werden, wenn wir aufhören damit, Werte zu vermitteln und stattdessen den einzelnen Menschen Wert verleihen. Dann wäre der paradiesische Zustand erreicht, daß jedes Individuum Autorität wäre.
In einer Gesellschaft, in der sich jeder über den anderen erhebt, in der Imponiergehabe und Neid an der Tagesordnung sind, geht das nicht!
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nos
eingetragen von Manfred Riebe am 10.01.2002 um 21.18
Norbert Schäbler schreibt an Herrn Professor Ickler: "Würden Sie meine Lehren annehmen - sie unterscheiden sich von früheren Belehrungen erheblich - oder würden Sie, so wie es 90 Prozent unserer Hauptschüler tun, selbst den wohlgemeinten Vorschlag ignorieren? (Das nämlich ist die Kehrseite der Medaille: Wir Hauptschullehrer schreiben uns oft die Finger wund ohne jegliche Reaktion.)" Warum reagieren Schüler nicht? Es ist klar, daß begründete "Lehren" eher akzeptiert werden als ein "wohlgemeinter Vorschlag" oder gar unbegründete "Belehrungen". Lehrer Schäbler macht den Fehler, sich nicht in seinen "Schüler", Professor Ickler, hineinzuversetzen.
Jan-Martin Wagner verwendete in seinem Beitrag "Nicht amtlich, dennoch einheitlich" vom 10.01.2002 den Begriff der "Kleingläubigen". Diesen Begriff griff Professor Ickler auf, indem er aus der Bergpredigt, in der auch das "Vaterunser" enthalten ist, zitiert: "O ihr Kleingläubigen!" (Matth. 6, 30). Man könnte daher als Pädagoge auf die lehrreiche Bergpredigt und das hinter ihm stehende Menschenbild zurückgreifen. Es ist bekannt, daß sich das Volk über die Lehre Jesu entsetzte.
Meint Professor Ickler mit dem Ausruf: "O ihr Kleingläubigen!", daß bei künftigen Deutschlehrern bzw. Germanisten nach fünf Jahren sprachwissenschaftlicher Bildung an einer Universität eigentlich genügend Grammatikkenntnisse vorhanden sein sollten? Bemerkenswert ist, daß er eine solche Behauptung nicht aufstellt, sondern anschließend nur vier Fragen stellt, z.B. "Wozu in aller Welt bilden wir den Deutschlehrer fünf Jahre lang sprachwissenschaftlich aus?" Ickler hat nicht behauptet, "daß die Universität in der Lage sei, ein Richtmaß zu schaffen". Ganz offensichtlich bezweifelt er, daß alle Deutschlehrer an der Universität die nötige Sprachkompetenz erwerben. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Studenten studierfähig sind oder nicht. Allerdings schwingt in dem Ausruf "O ihr Kleingläubigen!" mit, daß Studenten mit entsprechender Qualifikation durchaus in der Lage sein sollten, sich die nötigen Grammatikkenntnisse zu erwerben. Dabei sind Studentinnen, die "während der Vorlesung stricken" (Schäbler), noch wesentlich höher einzuschätzen als Studenten, die entweder die falschen Vorlesungen besuchen oder die Liberalität ausnützen und die Vorlesungen schwänzen.
Die Pisa-Studie scheint darauf hinzudeuten, daß es tatsächlich eine gewisse Orientierungslosigkeit und Verwahrlosungstendenzen gibt. Dazu schreibt die Nürnberger Zeitung:
"Was Glück (Alois Glück, M.R.) nicht sagt, aber zwischen den Zeilen zum Ausdruck bringt, ist die dringende Notwendigkeit, über das Menschenbild nachzudenken, das hinter dem heutigen Bildungs- und Erziehungssystem und der sie gestaltenden Politik steht. Geprägt ist es durch die "Zopf-ab"-Haltung der 68er Generation. Alles ist erlaubt; Selbstverwirklichung sei das Wichtigste im Leben; Kindern deutliche Grenzen setzen - igitt, welch verwerflicher, Menschenrechte verletzender Gedanke! Auf Gleichmacherei hatten damals viele derer gesetzt, die sich jetzt so bitter darüber beklagen, dass die heutige Jugend leistungsschwach und nicht mehr im Stande sei, komplexe Zusammenhänge zu begreifen."
(Philipp Roser: Diskussion über die Schulstudie "Pisa" greift noch zu kurz - Frage des Menschenbilds. In: NÜRNBERGER ZEITUNG Nr. 6 vom 08.01.2001, S. 2)
Norbert Schäblers Bemerkung, daß "die Funktion des Lehrers seit Beginn der Kulturrevolution bis zum heutigen Tage zunehmend ausgehöhlt wurde", deute ich so, daß es auch in der Lehrerausbildung eine gewisse Orientierungslosigkeit gibt und daß die Lehrerausbildung immer noch unzureichend ist. Wie sonst ist die Forderung des Bundespräsidenten Johannes Rau vor dem "Forum Bildung" zu verstehen: "Bildung müsse auch Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen vermitteln." Ich bezweifle, daß die Ausbildung der Volks- und Berufsschullehrer im Fach Deutsch ausreichend ist. Wie wurden und werden z.B. Volks- und Berufsschullehrer im Fach Deutsch ausgebildet? Wenn ich aber sehe, daß die Arbeitnehmer im "Forum Bildung" durch den DGB und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vertreten sind, befürchte ich, daß sich auch in Zukunft auf Grund ideologischer Blindheit nicht sehr viel ändern wird, vor der Johannes Rau warnt ("weniger Ideologie und weniger falsche Idylle").
eingetragen von Theodor Ickler am 10.01.2002 um 19.58
Herr Melsa hat ein ernstes Problem erkannt. Ich werde natürlich bei der weiteren Arbeit am Wörterbuch grundsätzlich nur vorreformatorische Texte heranziehen. Allerdings kommen seither neue Wörter auf, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen.
In der Praxis ist das nicht so problematisch. Grammatischer Unsinn scheidet natürlich aus. In anderen Fällen ist reformgemäße Schreibung nur Zufall und kann hingenommen werden. Ich habe ja auch bisher keine Schreibweise nur deshalb ausgeschlossen, weil sie auch der Reform entspricht (nochmal usw.).
sogenannt zum Beispiel kommt getrennt geschrieben nicht in Frage, auch wenn es alle Welt so schreiben sollte (aber es geht schon wieder zurück).
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Th. Ickler
eingetragen von Theodor Ickler am 10.01.2002 um 19.50
Gerade hatte ich mein o mit Glück um sein ursprüngliches h gebracht - da kommt der Schulmeister und belehrt mich, daß es besser doch mit h geschrieben würde. Mitnichten! Ich habe nämlich nicht die Interjektion oh gemeint, von der die Dudenliteratur mit Recht sagt, sie werde überwiegend so geschrieben, wenn sie allein steht, sondern die Vokativpartikel o, die zusammen mit anderen Wörtern steht und daher auch mit den bekannten biblischen Kleingläubigen, auf die ich mir anzuspielen erlaubte in diesem frommen Kreis.
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Th. Ickler
eingetragen von Norbert Schäbler am 10.01.2002 um 16.30
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Wonach richtet sich der Lehrer, wenn er Grammatik unterrichtet? Was sagt er zur Hauptsatzstellung nach weil, zur Nebensatzstellung nach trotzdem? Aufgrund welcher Autorität bemängelt er Wiederholungsfehler und andere stilistische Schwächen - mit Folgen für die Notengebung?
Wozu in aller Welt bilden wir den Deutschlehrer fünf Jahre lang sprachwissenschaftlich aus?
Lieber Herr Professor!
Stellen Sie sich vor, ich sei so ein Schriftsprachenästhetikfreak – das gibt es ja im breiten Spektrum der Liberalität – und Sie hätten mich als Lehrer ...
Dann würde ich Ihnen als überzeugter Friedrich-Roemheld-Anhänger Ihre Überschrift rot einfärben und folgendes hinein- und darunterschreiben.
O (A: besser „oh“) ihr Kleingläubigen (A: wirkt leicht überheblich).
Zu „oh“: Einbuchstabige Wörter sind nicht sehr geschmackvoll. Sie werden leicht überlesen, haben andererseits aber auch eine gewisse Auffälligkeit, weil sie sich von der Norm abheben. Überdenke die Funktion der wortgewichtenden Buchstaben! (Möglichkeiten: „oh“, „oo“)
Zu „Kleingläubigen“: Die Ausführungen passen nicht ganz zum Rahmenthema, denn das letzte Maß und die Konsequenz der totalen Liberalität ist noch nicht erkannt und wird nicht explizit erörtert.
Zurück zum Gedankenspiel: Meine Einmischung in Ihren persönlichen Schreibstil sollte Ihnen nicht wehtun, zumal sie im Regelfalle verdeckt gehalten sind und einzig Ihnen als Adressat zukommen.
Doch die Frage sei mir erlaubt:
Wie würden Sie (als Schüler) reagieren - und dies insbesondere im gegenwärtigen gesellschaftlichen Umfeld, in dem die Funktion des Lehrers seit Beginn der Kulturrevolution bis zum heutigen Tage zunehmend ausgehöhlt wurde.
Würden Sie meine Lehren annehmen – sie unterscheiden sich von früheren Belehrungen erheblich – oder würden Sie, so wie es 90 Prozent unserer Hauptschüler tun, selbst den wohlgemeinten Vorschlag ignorieren? (Das nämlich ist die Kehrseite der Medaille: Wir Hauptschullehrer schreiben uns oft die Finger wund ohne jegliche Reaktion.)
Ich kann aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen die Liberalität nicht glorifizieren. Ich sehe ebenfalls Verwahrlosungstendenzen, Orientierungslosigkeit und Autoritätsverluste.
Und daß die Universität in der Lage sei, ein Richtmaß zu schaffen, streite ich völlig ab.
Ich habe zu viele StudentInnen in dünn besetzten Hörsälen während der Vorlesung stricken gesehen.
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nos
eingetragen von Christian Melsa am 10.01.2002 um 11.53
Die Zweifel von denjenigen als Kleingläubigkeit zu sehen, die doch lieber ein überall zugrundegelegtes Referenzwerk als Maßstab hätten, wäre vor 1996 noch völlig richtig gewesen. Unter heutigen Umständen ist das aber anders zu bewerten. Bis dahin gab es eine gesunde Orthographie, bei der sich seit beinahe hundert Jahren die Wogen gelegt hatten und die nur aus sich heraus dort, wo es wirklich allgemein ganz selbstverständlich als nötig und nützlich empfunden wird, weiterentwickelte. Es war nicht weiter schwierig, sich ein Bild von den üblichen Schreibweisen zu machen, denn der Gebrauch war überall so gut wie einheitlich.
Das sieht jetzt leider ganz anders aus. Selbst die, die vorgeben, in den sauren Apfel gebissen zu haben, um die ach so wichtige Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung weiterhin zu gewährleisten, indem sie dieselbe verwenden, die ja nun mal auch an den Schulen unterrichtet würde - na ja, jedenfalls so eine ähnliche, jedenfalls eine neue, Hauptsache neu, schließlich ist jetzt auch ein neues Jahrtausend angebrochen und so - selbst die wissen ja gar nicht so recht, was denn nun neuerdings tatsächlich falsch und was richtig sein soll. Ist die Neuregelung ohnehin schon in ihrer Urform schwer zu durchschauen, was ist dann mit den Revisionen, die in den jüngeren Wörterbuchauflagen zu beobachten und mit den ursprünglichen neuen Regeln nicht in Einklang zu bringen sind? Welche amtlich gesegneten neuen neuen Regeln soll man dahinter vermuten? Und wenn man lieber die Urform der Reform anwenden möchte, welches Wörterbuch ist dann das "richtige"? Da sind ja diverse Unterschiede vorhanden? Und die "Hausorthographien", nun ja. Die von der dpa wirkt schon wie abends in der Kneipe bei einem Bier zusammengekritzelt (Achtung, Holzhammerpolemik!), aber das macht nichts, besonders strikt halten sich die dpa-Meldungen ja sowieso nicht an sie, das heißt, man schreibt einfach viel ss und getrennt und selbstständig, Potenzial, Delfin, Tipp, Gräuel. Am saubersten scheint sich noch die ZEIT ans eigene Reformderivat zu halten, über das sie sich mit elitärem Stolz vom Rest abhebt, glücklich darüber, einen Dieter E. Zimmer für vorsichtige Reparaturen zu haben (eigentlich doch merkwürdig, daß im Gegensatz zum Kursumschwung der FAZ sich darüber keine GEW und KuMis aufgeregt haben, so würde die Verwirrung noch vergrößert).
In dieser Lage darauf zu vertrauen, daß sich auch ohne ein neues Referenzwerk die frühere Einheitlichkeit bald wieder einpendeln dürfte, scheint mir doch etwas unrealistisch eingeschätzt. Im Prinzip ist der Duden doch auch immer noch der Leithammel. Einige haben sich zwar entgeistert ob der unfaßbaren Entgleisungen, die das Mitmachen bei so einer Pseudoreform mit sich brachte, von ihm abgewandt, aber dennoch oder gerade wegen der neuen Verwirrung - den Duden gibt es ja immer noch, also schaut man eben dort hinein. Daß es auch noch eine Rolle spielen könnte, in welchen Duden - Rechtschreibduden, großes Wörterbuch, Praxiswörterbuch -, das ist ja schon Insiderwissen. Die Geborgenheitsformel "Im Zweifelsfall siehe Duden" ist inoffiziell immer noch gemeinhin gültig. Ein Anzeichen dafür ist die Tatsache, daß ein Rechtschreibkorrektor für den Computer in der Presse als Ereignis gemeldet wird, nur weil er vom Dudenverlag kommt. Wäre das Programm, mit völlig identischen Leistungsmerkmalen, z.B. von Data Becker, würde keine Zeitung die geringste Notiz davon nehmen. Was Microsoft für die Computerwelt, ist Duden für die deutsche Sprache. Von Microsofts fragwürdigen Geschäftspraktiken hat auch jeder schon mal gehört, aber sogar in Behörden wird dessen Betriebsystem eingesetzt, und alle EDV-Schulungen beziehen sich auf die Office-Programme von Microsoft. An irgendwas muß man sich ja orientieren, und dann orientiert man sich eben an dem, woran sich auch die anderen orientieren, und die machen dasselbe.
Hätte der Duden einfach die Reform sozusagen links liegen lassen, ich wette, es hätte so gut wie keine Zeitung etwas an ihrer Rechtschreibung geändert, und wäre in den Schulen noch so sehr etwas anderes unterrichtet worden.
Es stellt sich heute auch die Frage, ob die Methode der Erstellung des Ickler-Wörterbuchs überhaupt weiterhin betrieben werden kann, solange es eine grundsätzliche Alternative zur Wörterbuch-Hauptströmung (seit wann ist "Mainstream" nicht übersetzbar?) darstellt. Wenn die Auswahl des Pressekorpus so bleiben würde, würde man ja in Schwierigkeiten geraten, denn die Süddeutsche Zeitung kann als Richtschnur für akzeptable allgemeine Schreibweisen wohl kaum noch in Frage kommen. Der offene, deskriptive Ansatz würde sich auf die Dauer zwangsläufig doch wieder zu einem präskriptiven wandeln, denn man müßte, wenn man überhaupt künftig auch Texte neueren Datums in den Korpus einfließen läßt, sich auf eine Art FAZ-und-seriöse-Literatur-Orthographie beschränken. Neue Begriffe tauchen jedoch zuerst in der Presse auf, die dummerweise aber nicht mehr als Vorbild taugt. Die Präskription bestünde in der Maßgabe, Einflüsse, die von der Reform herrühren, einfach nicht zuzulassen. Man dürfte also stattdessen nur schreiben, weil das schon vor der Reform häufig so geschrieben wurde, obwohl damals schon eigentlich normwidrig. Wie soll man in Zukunft die von der abgelehnten Reform ausgelösten Normwidrigkeiten (bzw. neuen Entwicklungen) von denen unterscheiden, die man ruhig hin- und in ein deskriptives Wörterbuch aufnehmen kann?
Wenn man das Markengewicht des Dudens bedenkt, wäre ein Kompromißkurs dort schon sehr wünschenswert, in dem der Duden die Reformschreibweisen nach wie vor rot druckt und als "Amtsdeutsch" kennzeichnet, die wirklich üblichen und bewährten dagegen aber nicht wahrheitswidrig als "überholt" bzw. "veraltet". Die eigenen, begleitenden Texte müßten auch wieder in normaler Rechtschreibung erscheinen. So könnte man den Duden weiterhin als absolutes Referenzwerk akzeptieren (wenn außerdem auch noch mehr Nähe zum echten Gebrauch vorhanden wäre, wie es das Ickler-Wörterbuch vormacht). Das wäre sowieso von vornherein die einzig korrekte Darstellung gewesen. Wären die neuen Schreibweisen von sich aus überzeugend genug, daß sie auf diese Weise als Vorbild wirken könnten, hätte die Veränderung auch so stattfinden können - dann aber mit Einwilligung der und durch die Sprachgemeinschaft. Die derzeitige Dudenpraxis jedoch, dieser völlig unseriöse Fälschungsversuch, der Sprachgemeinschaft von oben herab neue Sprachkonventionen unterjubeln zu wollen - und das im Namen eines "demokratischen" Staates! - macht ja das ganze Schauspiel so ekelhaft.
eingetragen von Manfred Riebe am 09.01.2002 um 19.37
Einheitsorthographie Konrad Dudens contra neue Beliebigkeitsschreibung
Natürlich fehlt den Schreibern, insbesondere den Lehrern und Schülern, soweit sie glauben, sich an den Neuschrieb halten zu müssen, ein zuverlässiger Unterrichts- und Rechtschreibmaßstab. Heute ist es so ähnlich wie zur Zeit Konrad Dudens in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, als die Rechtschreibung in den einzelnen deutschen Ländern durch Uneinheitlichkeit, Willkür und Verwirrung gekennzeichnet war. Damals schrieb jeder Lehrer seine eigene Rechtschreibung.
Auch heute ist die Wirrnis infolge der willkürlichen Schriftänderung so groß, daß niemand genau sagen kann, wieviel verschiedene Rechtschreibungen des Deutschen gegenwärtig existieren. Mit Sicherheit sind es mehr als zwanzig. Heute sind sich (wie damals) oft zwei Lehrer derselben Schule und zwei Journalisten der gleichen Zeitung nicht mehr in allen Stücken über die Rechtschreibung einig, selbst Konvertierungsprogramme können uns nicht helfen. Kein Schulleiter und Kultusminister kann uns Lehrern heute ein fehlerfreies Rechtschreibwörterbuch in Neuschrieb als Unterrichts- und Korrekturmaßstab nennen.
Es gibt keine Autorität mehr, die man anrufen könnte, denn alle mehr als 20 Wörterbücher weichen in ihren Schreibweisen voneinander ab. Dieser Zustand ist ein schwerwiegendes Problem für die Schulen, sowohl im Unterricht als auch bei der Rechtschreibkorrektur. Obendrein hat dies auch negative Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. (Vgl. Wurzel, Wolfgang Ullrich: Konrad Duden, 2. Auflage, Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1985, S. 51). Doch außerhalb der Schulen hält man sich weitaus überwiegend an die herkömmliche Rechtschreibung des Duden bis zu seiner 20. Auflage 1991. Dazu rät auch der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. (VRS) in seiner Satzung, denn das angebliche "amtliche" Regelwerk gilt ja ohnehin nur für die Schulen, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 14. Juli 1998 festgestellt hat.
Außerdem hat der Duden die neue Beliebigkeitschreibung rot gekennzeichnet, so daß der kluge Schreiber sie vermeiden kann. Dazu schreibt einer der Reformer, Professor Horst Haider Munske, Erlangen, der im September 1997 unter Protest aus der Reformkommission ausschied: "Immerhin kann man ihn (den neuen Duden, M.R.) jetzt, dank der Wiederaufnahme der bisherigen Schreibung, auch gegen den Strich benutzen. Nach dem Motto: alles Rotgedruckte ist falsch! Man vermeide die roten Giftpilze im Duden! - Wer einen Schritt weitergehen will, kann sich von Anfang an oder zusätzlich an Icklers Rechtschreibwörterbuch orientieren. Denn die Einheit der deutschen Orthographie ist nur im Rückgriff auf die Schrifttradition wiederherzustellen. Das hatte schon Konrad Duden erkannt, als er von eigenen Reformentwürfen Abstand nahm und zu der seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert allgemein üblichen Rechtschreibung zurückkehrte. Dies ist auch heute kein Konservatismus, sondern eine Entscheidung, die den Bedingungen schriftlicher Kommunikation entspricht. Denn diese ist auf Kontinuität der Schriftnormen angewiesen. Selbst geringen Änderungen, die man als Kleinigkeiten bewerten muß, erhebt sich vielstimmiger Widerspruch. Das haben auch die Planer einer sehr vorsichtigen Rechtschreibreform in Frankreich erleben müssen." (Horst Haider Munske: "Meidet die roten Giftpilze im Duden!" In: Schule in Frankfurt, Nr. 44, Juni 2001. "Schule in Frankfurt" ist eine Lehrerzeitschrift!)
Nach Munske schied im Februar 1998 ein weiterer Rechtschreibreformer, Professor Peter Eisenberg, Potsdam, ebenfalls unter Protest aus der Rechtschreibkommission aus. Er arbeitet im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt, im Widerspruch zur sogenannten Rechtschreibreform an einer Wörterliste.
Ist in der Praxis "alles nicht so wild"? Dabei kommt es auf den Standpunkt an. Ein guter Pädagoge legt Wert auf eindeutige, grammatisch und semantisch korrekte Schreibweisen. Doch antiautoritär geschulte Alt-68er setzen beim Schreiben mehr auf eine Laisser-faire-Beliebigkeit. Und weil die meisten Lehrer den Neuschrieb ohnehin selber nicht beherrschen, weil er nicht beherrschbar ist, praktizieren sie ihn nicht, abgesehen ansatzweise von der ss-Schreibung. Aus diesen Gründen sehen sie "großzügig" über die neue Beliebigkeitsschreibung hinweg, sofern sie keine Deutschlehrer sind.
Übrigens kann man den herkömmlichen Duden in der 20. Auflage von 1991 für 5,- DM bzw. etwa 2,50 Euro günstig antiquarisch erwerben. Aber es gibt auch andere Wörterbücher, die auf Grund der erkannten Mängel des Neuschriebs weiterhin in der traditionellen bzw. richtigen Rechtschreibung erscheinen:
Theodor Ickler: Das Rechtschreibwörterbuch. Die bewährte deutsche Rechtschreibung in neuer Darstellung. Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen. St. Goar: Leibniz Verlag 2000, ISBN 3-931155-14-5, DM 29,80
Hermann Paul: Deutsches Wörterbuch. 10. Auflage, Tübingen, Niemeyer-Verlag, 2002,
Wolfgang Pfeifer: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen 5. Taschenbuchauflage, dtv, Juli 2000.
Der VRS hat außerdem bisher über 250 reformfreie Medien zusammengestellt, die nicht auf den Neuschrieb umgestellt haben oder wie die FAZ zur traditionellen Rechtschreibung zurückgekehrt sind (vgl. die Liste der reformfreien Zeitungen und Zeitschriften http://gutes.deutsch.de), darunter auch über 40 juristische Zeitschriften.
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Manfred Riebe, OStR, Dipl.-Kfm.
Beisitzer des VRS - Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.
- Initiative gegen die Rechtschreibreform -
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg
Netzbrief: Manfred.Riebe@raytec.de
Netzseiten: http://www.vrs-ev.de
http://www.deutsche-sprachwelt.de
http://Gutes-Deutsch.de/
http://www.rechtschreibreform.com
http://www.raytec.de/rechtschreibreform/
http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW/Cricetus/SOzuC1/VsRSR.htm
"Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen!" (VRS)
– geändert durch Manfred Riebe am 11.01.2002, 10.06 –
eingetragen von Theodor Ickler am 09.01.2002 um 19.29
Wonach richtet sich der Lehrer, wenn er Grammatik unterrichtet? Was sagt er zur Hauptsatzstellung nach weil, zur Nebensatzstellung nach trotzdem? Aufgrund welcher Autorität bemängelt er Wiederholungsfehler und andere stilistische Schwächen - mit Folgen für die Notengebung?
Wozu in aller Welt bilden wir den Deutschlehrer fünf Jahre lang sprachwissenschaftlich aus?
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Th. Ickler
eingetragen von J.-M. Wagner am 09.01.2002 um 14.29
Zitat:»Ja, aber« regt sich da bei mir der noch verbliebene Zweifel - und der Kleinglaube: Wie soll das dann in der Praxis aussehen, wenn es keine Norm mehr gibt, welche »die a priori richtige Schreibung« festlegt? Wenn es mehrere »Standardwerke« für die Rechtschreibung gibt, auf welcher Grundlage lehrt ein Lehrer dann, und vor allem, wonach bewertet er dann Fehler, und dies auf eine für die Schüler nachvollziehbare Weise (Stichwort: Gerechtigkeit)? Wie funktioniert das in anderen Ländern? Gibt es da Diskussionen mit den Schülern über die Schreibvarianten, die sie in anderen Nachschlagewerken finden (oder bei Schülern der Nachbarklasse, die von einem anderen Lehrer unterrichtet werden) und als richtig anerkannt bekommen wollen? Gibt es irgend welche Anzeichen dafür, daß den Schülern dabei etwas fehlt, woran sie sich halten können (im Sinne der »Geborgenheit schaffenden Norm«)?
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Die Schüler lernen auf jeden Fall eine einigermaßen einheitliche Rechtschreibung, ob mit oder ohne staatliche Privilegierung eines bestimmten Unternehmens. In anderen Ländern hat es solche Privilegierung ja auch nie gegeben: England, Frankreich zum Beispiel - Länder mit sehr intensiver Orthographiepflege.
Ich vermute, daß das in der Praxis alles nicht so wild ist. Nichtsdestotrotz könnte es aber bei den Zweiflern (und den Kleingläubigen) die größten Bedenken hervorrufen.
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von Norbert Schäbler am 09.01.2002 um 01.33
Ich erinnere einen Satz, den mein Schulrat sprach, als ich - (Lehrer) - mich als Rechtschreibreformkritiker outete.
„Intelligenz kommt bei unterschiedlichen Sachverhalten zu unterschiedlichen Ergebnissen“, sagte er.
Und ich erinnere auch die Worte des Regierungsschulrates, der mich zu einem Führungsgespräch einlud, mir eine Vorlesung hielt und seine Rede wie folgt einkleidete: „Über die Sache selbst werden wir nicht reden, hier wissen Sie vermutlich besser Bescheid als ich. Ich werde Sie lediglich über Ihre Rechte und Pflichten als Beamter unterrichten.“
(Er unterrichtete mich ausschließlich über meine Pflichten.)
Für den Staat war schon damals die Rechtschreibreform in trockenen Tüchern.
Sachkundige Kritik wurde mit bürokratischen Mitteln ausgehebelt.
Während des Volksbegehrens in Schleswig-Holstein lernte ich die inzwischen ausgediente SLH-Kultusministerin, Gisela Böhrk, kennen. Sie richtete an meine Adresse den Ratschlag, ich solle mein Demokratieverständnis überprüfen. Meine Anschauung von einer „unmittelbaren“ Volksherrschaft sei veraltet. Der Staat hingegen könne nur handlungsfähig bleiben, wenn Beschlüsse der gewählten Politiker befolgt und eingehalten würden.
(Daher mußte dort auch das Volksbegehren revidiert werden, weil sonst das Demokratieverständnis à la Gisela Böhrk Schaden gelitten hätte.)
Und genau das hätte ich jetzt gerne einmal gewußt:
Wie ist es möglich, daß in einer Demokratie das Proporz- und Wirtschaftsdenken das Handeln regieren (siehe: Stoiber/Merkel, siehe Rechtschreibreform)?
Darf man sich denn diese Norm überstülpen lassen?
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nos
eingetragen von Theodor Ickler am 07.01.2002 um 04.15
Wenn die Aufgabe lautet: Wer stellt die übliche Schreibweise am besten dar? - dann kann wirtschaftliches Denken (Konkurrenzdruck) der Sache nur dienlich sein. Zur Zeit geht es nur darum, die staatliche Vorgabe so wirksam wie möglich zu vermarkten. De facto und widerrechtlich werden Bertelsmann und Duden bevorzugt, denn die Kommission hat in eigener Machtvollkommenheit entschieden, exklusiv nur diese beiden (also die Geschäftspartner einiger Kommissionsmitglieder) zu den Beratungsgesprächen einzuladen. Gastgeber war das Haus Duden.
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Th. Ickler
eingetragen von Norbert Schäbler am 06.01.2002 um 19.30
Zitat:Steckt aber nicht gerade hinter den gegenwärtigen Zuständen der Versuch, die Schriftsprache zu einer Ware zu machen? Bertelsmann und der Dudenverlag profitieren doch von der engen Zusammenarbeit mit dem IDS Mannheim, während andere Wörterbuchverlage nur im zweiten Glied stehen, obwohl das Monopol angeblich beseitigt wurde.
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Ich glaube sogar, daß die Aufhebung der Amtlichkeit die Rechtschreibung noch einheitlicher machen könnte. Nämlich deshalb, weil in einer Kommunikationsgemeinschaft von dieser Dichte das natürliche Konvergieren auf die Einheitsschreibung hin nicht durch künstlich retardierende Normwerke gehemmt würde ...
Die Aussage von Herrn Professor Ickler möchte ich voll unterstreichen. Auch ich glaube an das natürliche Konvergieren und sehe ebenfalls Hemmnisse in künstlich retardierenden Normwerken.
Die Frage ist aber, ob Professor Ickler mit seiner Wörterbuchkonzeption dieses "Warendenken" erschüttern kann, denn es handelt sich ja nicht einfach nur um ein x-beliebiges Macht- sondern um ein Meinungsmonopol eines Medienriesen.
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nos
eingetragen von Theodor Ickler am 06.01.2002 um 18.51
Die Schüler lernen auf jeden Fall eine einigermaßen einheitliche Rechtschreibung, ob mit oder ohne staatliche Privilegierung eines bestimmten Unternehmens. In anderen Ländern hat es solche Privilegierung ja auch nie gegeben: England, Frankreich zum Beispiel - Länder mit sehr intensiver Orthographiepflege. Wer viel liest, schreibt besser als die Wenigleser. Professionelle Schreiber schlagen nach, ob in einem amtlichen oder einem nichtamtlichen Wörterbuch, ist ohne Belang.
Die Amtlichkeit hat sich aber, wie dargestellt, sehr nachteilig ausgewirkt. Das wußten die Dudenchefs auch schon immer, und mir haben sie einmal gesagt, daß sie sich die ganze Zeit in einem goldenen Käfig befunden hätten.
Ich glaube sogar, daß die Aufhebung der Amtlichkeit die Rechtschreibung noch einheitlicher machen könnte. Nämlich deshalb, weil in einer Kommunikationsgemeinschaft von dieser Dichte das natürliche Konvergieren auf die Einheitsschreibung hin nicht durch künstlich retardierende Normwerke gehemmt würde. Vielleicht wäre also ernstnehmen schon längst einheitlich zusammengeschrieben worden, hätten nicht die Dudenhörigen es immer wieder getrennt geschrieben ...
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Th. Ickler
eingetragen von J.-M. Wagner am 06.01.2002 um 18.12
Zitat:An welches Ende denken Sie dabei: den Verzicht auf die bzw. die Abschaffung der einheitlichen Rechtschreibregelung an den staatlichen Schulen? Warum wäre das wirklich sinnvoll bzw. für die Schüler besser als das, was wir jetzt haben? Aus prinzipiellen Gesichtspunkten heraus verstehe ich dieses Anliegen inzwischen recht gut; die Rechtschreibregeln hätten dann wieder die Funktion, die ihnen eigentlich zukommt (darzustellen, »was die Regel ist«). Aber wie wäre es dann mit der Einheitlichkeit (und entsprechend mit der »Gerechtigkeit«), deren Bedeutung von Herrn Melsa im Strang "Brockhaus" hervorgehoben wurde (unter "Egal ist Geschmackssache"; lang, aber lesenswert - finde ich)?
Ursprünglich eingetragen von Norbert Schäbler
Veranlaßt durch folgenden Eintrag von Professor Ickler [im Strang "Lug, Trug und andere Reize"; threadid=372] soll ein weiterer Leitfaden entstehen. [...]
Mir war immer viel daran gelegen, die Idee einer staatlichen Rechtschreibregelung grundsätzlich anzufechten.
Also noch einmal:
1. In der Schule wird die allgemein übliche Sprache (Schriftsprache ebenso wie mündliche Rede) gelehrt.
2. Wie andere Teile der Sprache, so wird auch die Rechtschreibung aufgrund der muttersprachlichen, durchs Studium veredelten Kompetenz des Deutschlehrer (usw.) vermittelt.
3. Dabei helfen Wörterbücher, Grammatiken usw., die den üblichen Sprachgebrauch dokumentieren.
Diese Ordnung der Dinge engt die Sprachgemeinschaft nicht ein und gibt dem Lehrer wieder, was des Lehrers ist.
Leider habe ich bisher selten jemanden gefunden (auch unter den Mitstreitern), der diese einfache und schlicht menschenwürdige Konzeption zu Ende zu denken bereit wäre.
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Th. Ickler
[...]
Das ist die Hemmschwelle, die ich bislang noch nicht zu überschreiten bereit bin: Ich finde, einmal sollte man es »richtig« gelernt haben, und es sollten alle das gleiche lernen. Vielleicht bin ich ja bloß zu kleingläubig und traue dem Prinzip, daß sich das allgemein übliche durchsetzen wird, an dieser Stelle zu wenig zu. Ich sehe auch, daß den Schülern auf die bisherige Weise eine »Regelhörigkeit« anerzogen wird, die nicht gerechtfertigt ist, und die nur nachträglich (zumeist mühsam) korrigiert werden kann. Der Lehrer kann das nur schwer von Anfang an mit vermitteln: einerseits muß er streng nach den Rechtschreibregeln vorgehen, andererseits soll er auf ihren deskriptiven Charakter hinweisen - wer führt sich schon selbst gern ad absurdum? In dieser Zwickmühle müßte man den Lehrer lassen, wenn man das einheitliche Erlernen der Rechtschreibung an der Schule mittels verordneter Regeln aufrechterhalten will - oder man unterdrückt den Aspekt des deskriptiven Charakters der Regeln... So ist das alles natürlich nicht »menschenwürdig«, und solange ich mich bei meinen Voraussetzungen nicht geirrt habe, scheint mir nun umsomehr der Vorschlag von Herrn Ickler sehr sinnvoll...
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von Norbert Schäbler am 01.01.2002 um 11.28
Das ist eine unterfränkische Etymogelei (vgl.: "nicht kleckern sondern klotzen" - "Klotz am Bein" - "Bauklötze staunen").
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nos
eingetragen von Reinhard Markner am 01.01.2002 um 11.07
Was ist das für eine Tätigkeit ? Glotzen und kotzen gleichzeitig ?
Oder sehen wir hier ein orthographisches Problem ähnlich gucken vs. kucken ?
eingetragen von Norbert Schäbler am 31.12.2001 um 23.32
Ich bin einverstanden damit, daß mich die Leute blöd anklotzen, wenn ich am FKK-Strand eine Badehose trage, aber ich bestehe darauf, meine Badehose ausziehen zu dürfen, wenn, wann und wo ich es will.
Ich bin aber nicht einverstanden damit, wenn sich die Leute in der Fußgängerzone vor aller Augen ihrer Hüllen entledigen, obwohl das eine ähnliche Provokation ist, wie ich sie oben andeutete.
Vermutlich brauche ich Erziehung und Belehrung, damit ich der Freiheit gerecht werden kann.
Könnte mich jemand darüber aufklären, was wahre Freiheit ist, ohne mich gleichzeitig mit einem Psychoprofil einschüchtern zu müssen.
So nebenbei noch: Was hat Schriftsprache mit Nudismus zu tun?
Für die 68er besteht da offensichtlich ein enger Zusammenhang. Obwohl die sogar in der Fußgängerzone blitzten, hatten die große Schwierigkeiten, ihre geistige Nacktheit einzugestehen.
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nos
eingetragen von Elke Philburn am 22.12.2001 um 21.38
eingetragen von Walter Lachenmann am 22.12.2001 um 20.00
Diese Geschichte macht mich außerordentlich wirsch. Nicht weil sie wirr wäre, nein, ist sie das etwa? Wirsch ist ja das Gegenteil von unwirsch. Die Geschichte ist so schön verblümt. Sie ist ja auch von Norbert. Blüm müßte er heißen, der Norbert. Das Anliegen ist deutlich. Die Fische müssen schwimmen lernen, sonst taugt das Wasser nichts. Sagt barsch der Barsch.
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Walter Lachenmann
eingetragen von Norbert Schäbler am 22.12.2001 um 18.25
Es gilt als ziemlich sicher, daß damals, als man die Lederhose erfand, ein Schlächter (und das muß kein schlechter gewesen sein), ein Gerber und ein Schneider mitgewirkt haben. Vielleicht waren alle zusammen auch nur eine einzige Person, aber das spielt im engeren Sinne eigentlich gar keine Rolle. Im Speziellen jedenfalls konnte der Erfinder der Lederhose keinesfalls zu gleicher Zeit schlachten, gerben und schneidern.
Vielleicht - und das ist gar keine so dumme Vermutung - gab es auch einen, den man im neuzeitlichen Sprachgebrauch als Konsumenten bezeichnen würde, dessen Erfindungsanteil lediglich darin bestand, daß er eine "nicht herkömmliche" Hose bestellte, weil es zum Beispiel die Frau dessen, den ich nur vermute, satt hatte, ständig die Hosen zu waschen, zu bügeln, zusammenzulegen und sauber in den Schrank zu packen.
Dabei spielt der Mann, den ich nur vermute, der aber doch wesentlichen Anteil an der Erfindung hat, eine nicht unwesentliche Rolle. Denn ihm mußte ja die Hose angemessen werden, weil es schlicht unmöglich ist, daß man sich selbst eine Hose anmißt, denn nach alter Bauernregel kann man sich drehen und wenden wie man will; der Arsch ist immer hinten.
Insofern wären bei der Erfindung der Lederhose schon fünf Leute beteiligt gewesen, wobei man wieder zwei abziehen müßte, weil frühere Schneider sowohl des Gerbens und Schlachtens, wie auch frühere Schlächter und Gerber meist auch der anderen Tätigkeiten mächtig waren, wohingegen man keinesfalls die Frau abziehen könnte, weil sonst wäre der Mann nicht darauf gekommen, daß er eine andere Hose oder überhaupt eine Hose tragen hätte sollen müssen.
All das aber hätte noch keineswegs ausgereicht, daß eine zweite Lederhose hätte geschneidert worden sein sollen, denn was sollte ein einziger Konsument mit einer zweiten Lederhose, die doch schon allein deshalb den vorherigen Hosen überlegen war, weil man diese ja nicht waschen brauchte, und weil selbige nahezu als unverwüstlich galt.
Es muß also - sonst wird die Hypothese nicht erhärtet - noch einen weiteren Konsumenten gegeben haben, der noch vor Ablauf der Zeit, in der die erste Lederhose hätte ausrangiert worden sein müssen, einem Schneider einen Auftrag zum Fertigen einer Lederhose gab, wobei der Schneider durchaus nicht identisch sein brauchte mit dem Schneider der ersten Lederhose, denn gelernte Schneider können unabhängig von ihrer Ortsansässigkeit durchaus beliebige Materialien zurechtschneidern.
Günstigstenfalls hätten wir nun die Zahl von sieben verschiedenen Leuten erreicht, eine Zahl, die in deutschen Landen - und dazu gehört auch der Freistaat Bayern - ausreichen würde zur Gründung eines Vereins, und damit wäre hinreichend erklärt, warum die Lederhose ein Brauchtum geworden ist.
Vereine, Verbände und Kultusministerien gelten schließlich als Sprachrohr des Brauchtums!
Zufriedenstellend ist das jedoch nicht, weil ja doch nach wie vor ein Gerber zugleich Schneider oder Schlächter sein könnte, und weil die Lederhose des Konsumenten 1 ja durchaus das Zeitliche hätte segnen können, bevor ein Konsument 2 auf den Gedanken hätte kommen können, sich ebenfalls eine Lederhose schneidern zu lassen.
Und damit steht die Gründung eines Lederhosenvereins auf äußerst wackeligen Füßen.
Das aber hinwiederum heißt, daß es einfach nicht nachvollziehbar ist, warum im besonderen die Bayern und insbesondere diejenigen, die tatsächlich Lederhosen besitzen, Lederhosen besitzen. (Das mit dem Doppellatz wäre im übrigen eine eigene Geschichte.)
Genug geschwafelt. Fragen stelle ich heute keine, weder zur Lederhose noch zur Muttersprache und schon gar nicht zu X-mas, denn ich bin so verwirrt, daß ich mich in meinem Zustand sogar für Weihnachten entschuldigen würde.
Trotzdem schöne Fete
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nos
eingetragen von Theodor Ickler am 20.12.2001 um 03.34
vor Kunstfehlern ist niemand sicher.
Aber mal im Ernst: Man sollte den Begriff "durchgehen lassen " ein bißchen differenzieren. Kommentieren heißt ja noch nicht bestrafen. Bißchen flexibler! Stil!
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Th. Ickler
eingetragen von Elke Philburn am 20.12.2001 um 02.58
Zitat:
Der Lehrer muß natürlich wissen, was auf einem gewissen Niveau als korrekt gilt (das eigene Sprachgefühl genügt nicht, wie gesagt). Folglich wird er "schonmal" nicht unkommentiert lassen
Wirklich? Was spricht dagegen? Ich würde das glatt durchgehen lassen.
eingetragen von Norbert Schäbler am 19.12.2001 um 17.30
Wie darf ich denn künftig die Heysesche S-Regelung einschätzen? Ist das eine regionale Besonderheit, eine Norm, oder ein Brauch?
Zusatzfrage: Kann man diese Regelung - die in der Schule bis 1996 Gültigkeit hatte - nicht mit Fug und Recht als die besser durchdachte, ökonomischere und ästhetischere Lösung bezeichnen?
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nos
eingetragen von Theodor Ickler am 19.12.2001 um 13.44
Das ist das ganze Problem, d. h. es ist eigentlich gar keins. Der Rest interessiert die Soziologen.
Jedenfalls ist die Angst vor der Anarchie unbegründet.
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Th. Ickler
eingetragen von Reinhard Markner am 19.12.2001 um 10.25
Daß die Sache mit der inhärenten Norm nicht ganz einfach zu begreifen ist, zeigte sich schon im 19. Jahrhundert, als ein Linguist auf den schlauen Gedanken kam, als Leitsatz der Orthographie »Schreib wie die andern !« zu formulieren -- um im nächsten Moment eine radikale Reform der deutschen Rechtschreibung zu entwerfen, die dem Usus völlig zuwiderlief.
eingetragen von J.-M. Wagner am 19.12.2001 um 10.17
Ich möchte gern das, was mir in diesen Diskussionen - im wesentlichen durch die Beiträge von Herrn Ickler - klargeworden ist, mit meinen eigenen Worten beschreiben. (Keine Angst, ich denke nicht ständig so aufwendig und kompliziert; es reizt mich bloß das Thema dazu.) Auch ich hatte anfangs Schwierigkeiten mit der Vorstellung, mich ganz und gar von einer Norm zu verabschieden. Aber nüchtern betracht stellt man fest, daß es per se keine Rechtschreibnorm gibt, sondern daß sie nur gemacht werden kann. Jetzt wird es spannend, denn man könnte in einen Zirkelschluß verfallen: Um eine Norm - genauer: ein deskriptives Regelwerk; diese Gleichsetzung halte ich bezüglich der Rechtschreibung sowohl für zulässig wie für einzig sinnvoll - aufzustellen, muß man sich an dem vorherrschenden Schreibgebrauch orientieren und diesen in Form von mehr oder weniger allgemein gültigen (!) bzw. speziellen Aussagen beschreiben. Wenn man nun fragt, wodurch der allgemeine Schreibgebrauch bedingt ist, und man darauf stößt, daß es lange Zeit eine relativ strenge Norm dafür gegeben hat, ist man geneigt, das »Phänomen« einer weitgehend einheitlichen Schreibung von der Existenz einer Norm abhängig zu machen. - Aber warum eigentlich?
Denn dieser Zirkel ist, etwas verkürzt, von dem Kaliber: Wir stellen die richtige Norm auf, weil alle bereits nach einer Norm schreiben, und diese stellen wir wiederum auf. Oder noch kürzer: »Diese Aussage ist wahr« - was nach den Regeln der Aussagenlogik keine Ausage mehr ist; damit ist eine Einordnung in die Kategorien »wahr« oder »falsch« unmöglich. Dieser selbstbezügliche Satz ist schlichtweg bedeutungslos, denn wenn man annimmt, er sei eine falsche Aussage, ergibt sich ebensowenig ein Widerspruch wie in dem Fall, daß man annimmt, er sei wahr. Für die normierte Rechtschreibung kann dies bedeuten: Die Existenz einer Norm ist dann und nur dann wichtig, wenn ihre Existenz für wichtig gehalten wird. (Bijunktion im Sinne der Aussagenlogik) - Ich hoffe, daß ich mich bei diesen Überlegungen und mit der Parallele nicht geirrt bzw. selbst getäuscht habe; dies prüfe bitte jeder auf das schärfste!
Wie kommt man nun ohne das Vorhandensein einer Norm zu einer solchen? Das entspricht bereits der Frage: Wie kommt man ohne das Vorhandensein einer Norm zu einer weitgehend einheitlichen Schreibung? (Wenn man das für unmöglich hält, hat man m. E. die Flinte zu früh ins Korn geworfen.) Warum funktioniert das? Mit scheint, daß Rechtschreibung viel mit Gewohnheit und mit Zweckmäßigkeit zu tun hat: Gewohnheit in dem Sinn, daß man eine irgendwann einmal antrainierte Schreibung relativ unverändert beibehält, wenn man nicht aus eigener Kreativität oder einem besonderen Bedürfnis heraus (z. B. BinnenGroßschreibung oder konsequente kleinschreibung) bzw. durch Ideen anderer darauf gebracht wird, sie zu ändern; Zweckmäßigkeit in dem Sinn, daß andere das lesen können sollen, was ich schreibe, und sofern ich das wirklich beabsichtige, klappt das umso besser, je mehr ich mich an das halte, was allgemein üblich ist. Dazu muß ich danach schauen, wie andere schreiben. Das bedeutet, daß Rechtschreibung sehr viel mit Lesen zu tun hat, und zwar mit häufigem. (Damit wären wir bei der PISA-Studie...) Lesen geht dem Schreiben voraus, denn das, was ich schreiben soll, muß ich vorher gesehen und (in welcher Weise auch immer) begriffen haben.
Prinzipiell entsteht die Norm (im oben angegebenen Sinn) durch die genaue Beobachtung und die Untersuchung von Regelmäßigkeiten und Ausnahmen der Schreibgewohnheiten und die anschließende »Protokollierung« dieser Beobachtungen in Form von Aussagen über den Ist-Zustand, welche dann Regeln genannt werden, wenn es durch ihre Anwendung möglich ist, die übliche Schreibung eines Wortes zu rekonstruieren - das bedeutet es, ein deskriptives (beschreibendes) Regelwerk zu sein. (Das ist meine persönliche Definition; wenn in der Germanistik eine andere üblich ist, möge man mich korrigieren.)
Diese schriftlich fixierte Norm hat in meinen Augen mindestens eine sehr wichtige Funktion und kann eine weitere haben. Sie dient in jedem Fall dazu, daß die Kinder eben diese übliche Schreibung genau kennenlernen. Ich halte schriftlich fixierte Regeln für die Schule daher aus diesem Grund - und nur zu diesem Zweck - für sehr sinnvoll. Die fakultative Funktion besteht darin - wenn darüber Einigkeit unter den Schreibenden besteht, daß die Norm diese Aufgabe haben soll -, in unklaren Fällen, bei denen sich keine einheitliche Schreibung feststellen ließ, eine Empfehlung für eine solche abzugeben. Es ist aber auch möglich, daß in den Regeln festgehalten wird, daß es für diesen Fall keine einheitliche Schreibung gibt, und daß die am häufigsten vertretenen angegeben werden. Aber Vorsicht: An diesem Punkt ist eine Qualitätsveränderung von einem deskriptiven zu einem präskriptiven Regelwerk möglich, wenn man an solche Empfehlungen mit der gleichen Einstellung herangeht, wie einem die Rechtschreibung in der Schule beigebracht wird: »Das muß so gemacht werden.« Auch hier gilt: Die Regeln schreiben nur demjenigen etwas vor, der sich etwas vorschreiben läßt. Man kann an die Regeln aber auch mit der Einstellung herangehen, erfahren zu wollen, was sich als allgemein üblich und sinnvoll erwiesen hat.
Denn die Rechtschreibregeln bedeuten nicht, daß alle so schreiben müssen, wie es die Norm verlangt. Die Rechtschreibnorm sagt: Mache Du es bitte auch so, weil man es allgemein so macht und Du damit unnötige Leseprobleme vermeidest. Ich denke, daß es strenggenommen keine falsche Schreibung gibt, sondern eine graduelle Abstufung: normkonform - »eigenwillig« - sinnverstellend (d. h. unklar) - sinnentstellt (d. h. eine andere Bedeutung tragend). Man kann also beim Schreiben nur etwas in dem Sinn verkehrt machen, daß andere es nicht mehr oder nur mit großen Schwierigkeiten lesen können bzw. einen völlig anderen Sinn entnehmen, oder der Text hinterläßt beim Leser einen schlechten Eindruck, der einem zum Nachteil gereichen kann (siehe Bewerbungsschreiben). In der Schule sieht das etwas anders aus, dort gilt bereits als »falsch geschrieben«, was von der Norm abweicht. Das ist m. E. nur eine Methode, denen die Norm bekanntzumachen, die sie nicht kennen. Die Schüler befinden sich beim Schreibenlernen genau in der Position des Beobachters, der der Norm auf die Schliche kommen will. Und das Erlernen der Norm geht schneller, wenn sie korrigiert werden, sobald sie von derselben abweichen.
Fazit: Die Regeln sind Regeln, weil das darin enthaltene die Regel (d. h. der »Normalfall«) ist. Daß diese Regeln möglicherweise nicht eindeutig sind, weil verschiedene Beobachter zu unterschiedlichen Ergebnissen darüber kommen können, was das Allgemeinübliche ist, sollte niemanden wundern. Bislang galten die von der Duden-Redaktion in solchen Zweifelsfällen getroffenen Entscheidungen als maßgeblich dafür, was dann am sinnvollsten ist. Diese Entscheidung ist nun an die Allgemeinheit zurückverwiesen worden; es gibt keinen universellen Anker mehr. Na und? Braucht man den wirklich?
Ich bevorzuge weiterhin die Schreibungen »radfahren« und »Auto fahren«, weil ich ersteres als körperliche Betätigung (wie wandern, rennen etc.) auffasse, das zweite dagegen im Sinne von »sich einer Sache bedienen«, »sich mit einem Gegenstand beschäftigen« (wie bei »Kahn fahren«, »Holz hacken« etc.). Aber ich kann nicht erwarten, daß das alle so sehen und es deswegen genauso machen wollen; mir ist klar, daß es Leute gibt, die nicht in erster Linie zur körperlichen Betätitgung mit dem Fahrrad unterwegs sind. Was die machen, ist ganz klar: Rad fahren. Solche Feinsinnigkeiten (und das war ja nur ein ganz simples Beispiel) sind aber nur umsetzbar, wenn es eben keine »normierte« Schreibung (im strengen Sinn) gibt und es akzeptiert wird, daß jeder, der sich etwas bestimmtes dabei gedacht hat, das so schreiben darf, wie er will. Ich will damit keinesfalls der Anarchie das Wort reden, nur der Großzügigkeit in Geschmacksfragen.
Wie gesagt, das ist lediglich der momentane Stand meiner Auffassung von der Materie. Ich stelle das hiermit zur Diskussion; für alle Ergänzungen und Berichtigungen bin ich dankbar.
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von Theodor Ickler am 19.12.2001 um 04.22
Der Lehrer muß natürlich wissen, was auf einem gewissen Niveau als korrekt gilt (das eigene Sprachgefühl genügt nicht, wie gesagt). Folglich wird er "schonmal" nicht unkommentiert lassen, "weil" mit Hauptsatzstellung auch nicht. Es könnte im Bewerbungsschreiben schaden.
Usw. - es ist nicht einfach, aber auch nicht allzu schwer.
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Th. Ickler
eingetragen von Elke Philburn am 19.12.2001 um 00.00
Zitat:
Was aber ist die Norm? Schafft sie nicht auch Geborgenheit?
Nunja, ich würde sagen, sie gibt demjenigen, der sich seines eigenen Urteils nicht sicher ist, etwas, an dem er sich festhalten kann. Jemand, der im Schreiben noch sehr unsicher ist, braucht natürlich Regeln, nach denen er sich richten kann. Insofern sollte ein Deutschlehrer in der Lage sein, die Grundregeln der Rechtschreibung schülergerecht zu vermitteln.
Im Gegensatz zum Schüler sollte der Lehrer aber auch mit Schwankungen im Sprachgebrauch umgehen können und das Selbstvertrauen besitzen, sich auf sein eigenes begründetes Urteil zu stützen. Wenn also Lehrer X meint, daß man schonmal zusammenschreiben kann, weil es in Google soundsoviele Tausende Belege dafür gibt, dann sollte das gelten. Egal, ob das im Wörterbuch steht oder nicht.
Zitat:
Was ist davon zu halten, wenn z.B. Ernst Jandl und Rolf Landolt mit bewußtpraktizierter Kleinschreibung der Norm die Zunge herausstrecken?
Solange sie nicht erwarten, daß das irgend jemand als Norm auffaßt, können die selbstverständlich machen, was sie wollen.
Zitat:
Was ist davon zu halten, wenn die Werbung mit BinnenGroßschreibung aufwartet?
Dürfte kaum Einfluß haben. Werbung kommt und geht wie die Hosenmode. Heute Schlag, morgen Karotte, übermorgen Röhre. Links rein, rechts wieder raus.
Dieser Satz
Zitat:
Der Usus, der Gebrauch also, IST die Norm.
gefällt mir. Man würde doch einem Schüler auch keine Rüge erteilen, wenn er in einem mündlichen Beitrag "weil" als nebenordnende Konjunktion gebraucht, selbst wenn das laut Duden ungrammatisch ist. (Vermutlich würde es den wenigsten auffallen, weil es schon völlig geläufig ist.)
Man hat mit der Reform eine Veränderung im Schreibverhalten der Leute erzwungen, anstatt sich ihnen anzupassen, und so wurde - wen wundert's - die Reformierung zur Deformierung.
eingetragen von Norbert Schäbler am 18.12.2001 um 21.55
Für wen?
"Die Grundlage des Fundaments ist die Basis", war mindestens genausogut.
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nos
eingetragen von Theodor Ickler am 18.12.2001 um 21.28
Am 1. April ist im Gästebuch schon einmal - mit gebotenem Humor, aber doch ernst gemeint - auf das treffliche Wort des Altmeisters hingewiesen worden: Der Usus, der Gebrauch also, IST die Norm. Die inhärente Norm, an die weder die staatsfrommen Professoren links (Nerius) und rechts (Weisgerber) glauben wollen noch das Bundesverfassungsgericht.
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Th. Ickler
eingetragen von Norbert Schäbler am 18.12.2001 um 20.42
Ich hatte eigentlich nicht vor, ein Selbsttor zu schießen, denn das, was ich gemacht habe, war lediglich so etwas wie eine Mannschaftssitzung - so eine Art Beratung in der Kabine und eine taktische Einstellung auf das Spiel.
Einen Feind habe ich nicht ausgemacht. Stattdessen habe ich auf einen großen Spielpartner, Herrn Professor Ickler, eingeschworen, den ich außerordentlich schätze.
Jener behauptet, daß es ihm noch nicht gelungen sei (und dies selbst im Kreise der Mitstreiter), seine Auffassung und Überzeugung von rechtschriftlicher Norm (oder auch Normlosigkeit) zu Ende zu denken. Also braucht er die Herausforderung, braucht den Widerspruch, benötigt den Schweiß.
Ich bin bereit, diesen Weg zu gehen, auch wenn ich als Lehrer, "ABC-Thorschütze" (und was auch immer an Schimpf über mich hereinprasselt) eigentlich schlechte Karten habe.
Einschüchterung gilt nicht. "Fair-play" bitteschön! Die Allgemeinheit soll etwas davon haben. Ich strebe ein pädagogisch wertvolles Remis an.
Das mag man mir vorwerfen. Es ist die Lauheit, die dem Lehrer anhaftet.
Aber! an dem Bild vom "Anker" halte ich fest.
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nos
eingetragen von Walter Lachenmann am 18.12.2001 um 19.12
1. Was aber ist die Norm? Schafft sie nicht auch Geborgenheit?
Vielleicht schafft sie Regelgefüge, auf die man sich im Falle von Unsicherheit berufen kann, aber den Begriff der Geborgenheit verbinde ich nicht mit dem Begriff der Norm.
2. Birgt sie nicht ambivalente Möglichkeiten? (... sowohl die der Anpassung als auch die des Widerstandes?)
Klar. Das muß auch so sein.
3. Was ist davon zu halten, wenn z.B. Ernst Jandl und Rolf Landolt mit bewußtpraktizierter Kleinschreibung der Norm die Zunge herausstrecken?
Bei Jandl ist es oft in Verbindung mit den Inhalten seiner Texte ein reizvoller künstlerischer Effekt, der aber nur deshalb funktioniert, weil Kleinschreibung die Ausnahme ist. Bei Landolt sieht es nach Pedanterie und Klugscheißerei aus, bei den RAF-Leuten war es außerdem noch Arroganz, das ist es nach meiner Einschätzung in den meisten Fällen.
4. Was ist davon zu halten, wenn die Werbung mit BinnenGroßschreibung aufwartet?
Harmlose Gags, die bald so fad sind, daß ihnen neue Gags folgen werden. Vielleicht auf den Kopf gestellte Fragezeichen¿
5.Was ist, wenn "fakultative Zusammenschreibung" plötzlich "obligatorische X-Schreibung" wird?
Weiß ich nicht, die Frage verstehe ich nicht.
: Irgendwie hänge ich an der Norm. Sie ist so etwas wie ein Anker. Ich kann ja nicht permanent auf dem großen Meer herumschiffen. :
Vielleicht ist der Begriff »Norm« hier das Problem. Sagen wir doch »Ordnung«. Die ist da, man muß sie nur beobachten und versuchen, sie kennenzulernen, auch mit ihren Widersprüchen. Dann ertrinkt man nicht in ihr, sondern navigiert vergnügt darin herum.
: Das kann ein "Nachfolge-Napoleon", der nur wenige Minuten Schlaf pro Tag benötigt, wahrscheinlich gar nicht verstehen. :
[Alberbildchen: fragendes Stirnrunzeln]
: Was will ich sagen? Laßt uns ein Schachspiel beginnen. "Kasparov gegen Big-Blue" bzw. andersrum: "Alle gegen Ickler". :
Der »Feind« ist nicht gut gewählt. Man schießt nur als Tor ins eigene. Und nur im Training darf man das.
Und laßt uns nicht die DFB-Losung vergessen: Fair play (Hauptsache: alle gewinnen)!
Na, dann streng Dich ein bißchen an, Du ABC-Torschütze!
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Walter Lachenmann
eingetragen von Norbert Schäbler am 18.12.2001 um 16.40
Veranlaßt durch folgenden Eintrag von Professor Ickler soll ein weiterer Leitfaden entstehen.
Der Faden: "Der Fetisch: Norm" oder auch "Die Bitte der Schafe um den Pferch"
Zitat:
Einspruch!
Lieber Herr Schäbler,
es gibt keine geltende Normierung der Rechtschreibung.
Ich sollte vielleicht sagen "nicht mehr", denn das Dudenprivileg ist aufgehoben (und das ist auch gut so). Aber schon vorher bestand an der Legitimität dieser staatlichen Maßnahme ein gewisser Zweifel. Außerdem war niemand außer der Schule daran gebunden. Das ist jetzt genauso.
Mir war immer viel daran gelegen, die Idee einer staatlichen Rechtschreibregelung grundsätzlich anzufechten.
Also noch einmal:
1. In der Schule wird die allgemein übliche Sprache (Schriftsprache ebenso wie mündliche Rede) gelehrt.
2. Wie andere Teile der Sprache, so wird auch die Rechtschreibung aufgrund der muttersprachlichen, durchs Studium veredelten Kompetenz des Deutschlehrer (usw.) vermittelt.
3. Dabei helfen Wörterbücher, Grammatiken usw., die den üblichen Sprachgebrauch dokumentieren.
Diese Ordnung der Dinge engt die Sprachgemeinschaft nicht ein und gibt dem Lehrer wieder, was des Lehrers ist.
Leider habe ich bisher selten jemanden gefunden (auch unter den Mitstreitern), der diese einfache und schlicht menschenwürdige Konzeption zu Ende zu denken bereit wäre.
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Th. Ickler
Herr Professor Ickler bittet darum, den Horizont zu erweitern.
So lasset uns denken - "kanzelfrei"!
Es ist mir ein Anliegen, frei zu denken. Das ist auch das Anliegen von Professor Ickler.
Doch wenn Professor Ickler etwas zu Ende denken will, so darf dieses Ende auch nicht eingegrenzt sein durch jedwede Sache oder Person.
Es geht um Normen. Dabei unterstelle ich (ähnlich wie er), daß es eine typisch deutsche Eigenart zu sein scheint, "norm- bzw. befehlsgerecht" zu denken (man empfinde das als Provokation - schließlich beginnt der Strang auch mit einer icklerschen Provokation).
Was aber ist die Norm? Schafft sie nicht auch Geborgenheit?
Birgt sie nicht ambivalente Möglichkeiten? (... sowohl die der Anpassung als auch die des Widerstandes?)
Was ist davon zu halten, wenn z.B. Ernst Jandl und Rolf Landolt mit bewußtpraktizierter Kleinschreibung der Norm die Zunge herausstrecken?
Was ist davon zu halten, wenn die Werbung mit BinnenGroßschreibung aufwartet?
Was ist, wenn "fakultative Zusammenschreibung" plötzlich "obligatorische X-Schreibung" wird?
Irgendwie hänge ich an der Norm. Sie ist so etwas wie ein Anker. Ich kann ja nicht permanent auf dem großen Meer herumschiffen.
Das kann ein "Nachfolge-Napoleon", der nur wenige Minuten Schlaf pro Tag benötigt, wahrscheinlich gar nicht verstehen.
Was will ich sagen? Laßt uns ein Schachspiel beginnen. "Kasparov gegen Big-Blue" bzw. andersrum: "Alle gegen Ickler".
Und laßt uns nicht die DFB-Losung vergessen: Fair play (Hauptsache: alle gewinnen)!
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nos
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