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eingetragen von Theodor Ickler am 16.03.2001 um 16.30

Also ganz verstehe ich Ihr Problem immer noch nicht. Ich sehe ja erhebliche Spielräume bei der Zeichensetzung vor, also viele Kann-Regeln, aber ich glaube nicht, daß man das zwei Modellen zuordnen kann, einem für den Alltag und einem für die "dichterische Hochsprache". Stilistische Freiräume gib tes überall, zum Beispipel können Sie - um noch einen anderen Bereich zu erwähnen - alle nichtnotwendigen Satzglieder in Parenthesenkommas einschließen, wahlweise auch in Gedankenstriche. So verwendet zum Beispiel Christa Wolf die Kommas sehr gern (Beispiele in "Regelungsgewalt"), aber es ist keine Besonderheit der dichterischen Sprache.

Insofern sehe ich nicht, daß ich die Zeichensetzung rigider als die Wortschreibung behandelt hätte, obwohl ich hier nicht auf besondere Recherchen an Textkorpora zurückgreifen konnte.


eingetragen von Norbert Schäbler am 16.03.2001 um 15.29

Lieber Herr Professor Ickler!

Meine zuletzt gestellte Frage ist noch offen.
Zwar haben Sie mir klargemacht, daß ich falsche Fachausdrücke verwendete, doch dürfte aus dem Kontext der gesamten Wortmeldung das Problem durchaus ersichtlich geworden sein (siehe Beitrag vom 16.03. auf dieser Netzseite).
Zur Richtigstellung: Fälschlicherweise verstand ich unter dem Begriff "syntaktifziert" die schriftgetreue Nachzeichnung dessen, was die gesprochene Sprache tatsächlich durch Gestik, Mimik, Tonhöhe, Sprechgeschwindigkeit u.dgl. vorgibt. Eine so verstandene Zeichensetzung ist ein höchst sensibles, feindifferenzierendes Instrument, das genaueste Beobachtung des Sprechers und normgetreue Nachzeichnung des Gesprochenen verlangt. Letztlich ist diese Form den Dichtern, Denkern und ggf. Feuilletonisten vorbehalten.
Davon abgehoben ist die alltägliche, pragmatische Sprache - oder wie ich es an anderer Stelle ausdrückte - die Sprachökonomie. Hier wird bei der Niederschrift fast ausschließlich der Inhalt eingefangen. Das "Wie wurde es dargeboten?" spielt hier eine völlig untergeordnete Rolle. Hier geschehen auch, einsehbar, die meisten Fehler. Schreibfluß, Zeitdruck - innere und äußere Motive - sorgen gerade bei der Zeichensetzung für Nachlässigkeiten.
Im Falle der Zeichensetzung in Gebrauchstexten strebt man nach Redundanz mit sparsamster Federführung. (Sie selbst haben in Ihrer Antwort ein Beispiel einer Einsparmöglichkeit genannt.)
Das heißt: Ich sehe hier zwei verschiedene "Kommunikationsmodelle" und folgerichtig zwei verschiedene Darstellungsweisen. Hier der Dichter und Künstler, dort der Pragmatiker.

Was ich wissen wollte - mit anderen Worten formuliert:
Inwieweit können Sie durch die Untersuchung von Gebrauchstexten alternative Zeichensetzung erkennen?
Inwieweit können Sie folgerichtig in Ihrem Wörterbuch auch hier Alternativen anbieten?

Ich bitte Sie, den wahrscheinlich feststellbaren Unterschied in ihrem Wörterbuch als Vorwort zu Artikel 4 (Zeichensetzung) einzubringen und ggf. zwischen dichterischer Hochsprache und allgemein üblicher Darstellungsweise zu unterscheiden..
Es kann keinen Grund geben, hier (z.B. bei der GZS) Schreibvariationen zu sichten und dort (z.B. bei der Zeichensetzung) die Augen zu verschließen.


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nos


eingetragen von Theodor Ickler am 15.03.2001 um 13.41

Lieber Herr Schäbler,
zunächst muß ich widersprechen. Die Syntaktifizierung der Zeichensetzung ist nicht besonders fein nuancierend, sondern im Gegenteil mechanisch und grobschlächtig, wie alles Syntaktische. Bedenken Sie doch bitte die Sache mit dem Komma vor erweiterten Infinitiven: total mechanisch!
Mein Eindruck ist, daß die syntaktischen Satzzeichen im großen und ganzen eingehalten werden. Man findet vielleicht am ehesten ein Komma zuviel (zum Beispiel nach Subjektsinfinitiv, wo die Reform ja nun auch eins vorsieht und ich selbst es zumindest "zulasse"). Gerade heute habe ich in der Zeitung ein Komma gefunden, das ich für überflüssig halte: "Nicht, daß er etwas dagegen hätte .." usw. (ich konstruiere dieses Beispiel mal selbst). Ich weiß im Augenblick gar nicht, was der alte Duden dazu sagt. Es gibt verschiedene Arten, Konjunktionen und andere Partikeln zu erweitern. Wenn kein Korrelat dabeisteht ("nicht etwa so, als ob er etwas dagegen hätte .."), würde ich das Komma in der Regel weglassen. Das arbeite ich zur Zeit noch etwas genauer aus.
Schwankend ist der Kommagebrauch auch in folgender Konstruktion, der ich einen eigenen unveröffentlichten Aufsatz gewidmet habe: "Er kam, nackt(,) wie er war, aus dem Badezimmer." Hier gibt es verschiedene Umstände, die ein Komma begünstigen bzw. verhindern.
Solche Sachen sollte man auf keinen Fall regeln wollen. In einer Stilistik könnte man allerdings Hinweise geben.


eingetragen von Norbert Schäbler am 15.03.2001 um 12.01

Lieber Herr Professor Ickler!
Sie antworteten auf meine Anfrage bezüglich der Satzzeichen (in: "Was soll ins Wörterbuch?"), daß es einen Unterschied gebe zwischen "rhetorischen" Satzzeichen und "syntaktifizierten" Satzzeichen. Den Unterschied kann ich einsehen, und ich erkenne auch an, daß das Setzen der Zeichen - getreu der darzustellenden Syntax - sehr wohl feinste Sprachdifferenzierungen ausdrücken und verstehen läßt.
Allerdings möchte ich unterstellen, daß insbesondere in Texten des alltäglichen Sprachgebrauches diverser Journalisten - z.B. bei in Text eingebrachten Zitaten oder Interviewaussagen; bei Buchbesprechungen sowie Berichten von Konzert- und Theaterveranstaltungen - eine nicht immer dudengetreue Zeichensetzung erfolgt, sondern daß hier häufig eine sparsame Zeichensetzung betrieben wird.
Anhand von Satzbeispielen der alten Dudenregeln R 15, R 56 und R 57 möchte ich das Problem spezifizieren. Es handelt sich bei allen Beispielen um syntaktifizierte Satzzeichen, somit um feinste Sprachnuancen.
R 15 (Anführungszeichen): Laß doch dieses ewige "Ich will nicht!"! Kennst du den Roman "Quo vadis?" ?
R 56 (Gedankenstrich): Sei still du - !" schrie er ihn an.
R 57 (Gedankenstrich): Er weigert sich - leider! -, nach Frankfurt zu kommen.

Meine Fragen: Inwieweit können Sie durch Ihre Untersuchungen umfangreicher Textcorpora bestätigen, ob der allgemeine Sprachusus sich mehr an der rhetorischen oder mehr an der syntaktifizierten Zeichensetzung ausrichtet?
Und zweitens: Müßten nicht, falls hier tatsächlich ein alternativer Sprachgebrauch zu Tage treten würde, genau diese Alternativen im Wörterbuch beschrieben und freigestellt werden?

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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 11.03.2001 um 17.04

Lieber Herr Markner!
Der Tip mit der Million war gut. Ich weiß auch, wie man die Zahl schreibt. Aber ich habe sie nicht gegenständlich vor mir liegen. Allerdings weiß ich auch, daß die Million mit dem Einsammeln der ersten Mark beginnt. Jeder Millionär - so sagt der Volksmund - hat klein angefangen und zuerst Pfennige mehrmals herumgedreht.
Ihr Tip war aber deshalb gut, weil er erstmals den Gedanken des Vertriebs ernstgenommen hat. Das wurde seither abgewimmelt. Und das kann ich in alle Ewigkeit nicht verstehen!
Jeder vernünftige Kaufmann muß doch, wenn eine Erfindung bis in dieses Stadium gediehen ist, allmählich an den Absatz denken, Werbung in Gang bringen, sich Klinkenputzer besorgen!
Im übrigen habe ich meine Fragen am heutigen Morgen vor allem an das Management gestellt. Damit meine ich u.a. den von Ihnen ins Spiel gebrachten Herrn Dräger.
Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir keine Antwort. Ein neuer Faden "Zielbringende Handlungsideen" (das war natürlich wieder so ein zynischer Flop) wurde nicht aufgemacht. Ich meine aber, daß ganz unbedingt ein neuer Strang eröffnet werden müßte, in dem sich einmal die Kaufmännerchen unterhalten könnten, diejenigen, die trotz fehlender wissenschaftlicher Ausbildung ihr Leben meistern - und das nicht schlecht.
Ich unterstelle, daß die Vertriebsabteilung schläft!

Und aus diesem Grunde hänge ich an dieser Stelle noch einige höchstnotpeinliche Fragen an:
Hat man denn überhaupt schon ein Spendenkonto eingerichtet, auf das ausschließlich Gelder für das Ickler'sche Wörterbuch fließen?
Hat man sich denn schon rückversichert, ob einige Personen aus der angeblich so riesigen Armee der Reformgegner sich ehrenamtlich einspannen lassen würden als "Klinkenputzer"?
Schätzt man im hiesigen Management das unternehmerische Risiko höher ein als die Möglichkeit des Gewinns?
Hat man denn schon irgendeinen Werbefeldzug geplant?
Ich persönlich vermisse einen permanent sichtbaren Spendenaufruf auf dieser Internetseite! Auch auf der Seite der Deutschen Sprachwelt, wäre sicher ein kostenloser Hinweis möglich, u., u., u...
Fragen hätte ich genug! Antworten auch! Und auch an Bereitschaft sollte es nicht mangeln.
Nur!! Ich habe das dumpfe Gefühl: Hier wird tiefgestapelt, tief geschlafen, und wertvolles geistiges sowie anderes Kapital im Sande verbuddelt.
Deshalb meine Bitte - nein Nötigung - an das Management! Strang eröffnen oder Strick kaufen!


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nos


eingetragen von Theodor Ickler am 11.03.2001 um 12.51

Lieber Herr Schäbler,
Ihr Überschwang ist mir ein wenig unheimlich und auch peinlich. Da können ja Enttäuschungen nicht ausbleiben. Ich habe mein Wörterbuch weder für etwas Großes gehalten noch angenommen, es sei der Sprengsatz, der die RR in die Luft jagt. Wenn wir es mit den guten Gründen nicht geschafft haben, die wird doch bei den richtigen Stellen und Gelegenheiten vorzutragen hatten, dann wird es ein Wörterbuch auch nicht schaffen, gleich in welcher Auflage. Ich bin also auch nicht im mindesten enttäuscht über die Wirkung. Den einigermaßen Kundigen dient das Wörterbuch als Anschauungsmaterial für eine Idee, die ich nach wie vor für gut und richtig halte (deskriptiv, offene Norm, Sie wissen schon), aus der aber manche nicht das machen, was drinsteckt. "Rechtschreibung für freie Menschen" war der Titel meiner schwungvollsten Darstellung dieser Dinge (gehalten in der Bayerischen Akademie der schönen Künste, Albert von Schirnding hat ein unglaublich schneidendes Einleitungswort dazu gesprochen).
Also das Wörterbuch ist ein Mosaiksteinchen, mehr nicht. Für die Kundigen war es allerdings notwendig, damit die Idee anschaulich wird. Ich denke, damit ist bewiesen, daß es geht. Jetzt wollen wir es noch besser machen.
Gerade eben habe ich übrigens "freigiebig" aufgenommen, nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß es ungefähr ebensooft gebraucht wird wie "freigebig". Im Duden stand und steht es nicht, zweifellos ein Fehler (Bd. 9 gibt einen kritischen Kommentar dazu). So geht es immer weiter, in Trippelschrittten. Was übrigens auch ein Grund ist, warum ich mir eine Millionenauflage jetzt noch gar nicht wünschen kann. Für den sprachinteressierten Liebhaber ist es offenbar ein ganz interessanter Versuch.
Die Dynamik, die die Rechtschreibreform zerstört, spielt sich anderswo ab, das habe ich doch immer gesagt, auch zum Trost der Mitstreiter, die nach der Umstellung der Zeitungen ganz geknickt waren. Was können wir schon ausrichten im Vergleich mit der Macht der Sprache selbst, die sich einfach nicht so mißhandeln läßt? Die Änderungen sind im Gange und werden weitergehen, und damit ist die Reform praktisch schon gescheitert. Daß jetzt 1 Million Dudenbände verramscht werden müssen, ist doch eine Katastrophe.
In einem Blatt, das jedem Rezensionsexemplar des neuesten Duden beigelegt war, schrieben die Dudenredakteure u.a.:

"Theodor Ickler erweckt in seinem genannten Beitrag (FAZ 11.8.2000) den Eindruck, als würden in der neuesten Auflage des Rechtschreibdudens amtliche Regeln stillschweigend revidiert. Das ist nicht der Fall. Das amtliche Regelwerk wird nur noch konsequenter umgesetzt als in der 21. Auflage von 1996. Außerdem wurden Interpretationshilfen berücksichtigt, die die Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung mittlerweile zum Regelwerk gegeben hat. Das ist auch schon alles."

Das war gelogen. Dudenredakteur Scholze-Stubenrecht, der Mitunterzeichner dieser "Presseinformation", hat in seinem von mir bereits zitierten Aufsatz bzw. Vortrag dargelegt, daß sehr wohl amtliche Regeln geändert worden sind. Die Besucher dieser Seite wissen das. Nicht der Warmduscher und der Maschendrahtzaun, sondern die Revision der Regeln war der Grund für die Neuauflage und die Verramschung der vorigen. Dieser Prozeß geht weiter und wird gewiß noch in diesem Jahr zu "schönen" Ergebnissen führen.

Enttäuscht? Warum eigentlich?


eingetragen von Reinhard Markner am 11.03.2001 um 11.49

Lieber Herr Schäbler,

ich bin mir sicher, daß Herr Ickler sehr gerne zündelt, und als echter Pyromane hat er geradezu eine Vorliebe für Flächenbrände. Besorgen Sie doch ihm und Herrn Dräger ein paar Millionen Mark, und das Wörterbuch wird als Postwurfsendung an alle Haushalte gehen.


eingetragen von Norbert Schäbler am 11.03.2001 um 11.37

Nun weiß ich es sicher. Ich bin auf der falschen Veranstaltung gelandet.
Ich trage in mir kindliche Illusionen, schwenke zwischen "Hosianna" und "Kreuziget ihn" und trage nichts bei zu dem, was dieser Gemeinschaft wesentlich ist.
Ich habe in der Tat andere Motive: Kampf gegen Unrecht, Einsatz für Werte der Demokratie, Eintritt für die freie Lehre gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Ickler, Peil und Roemheld (alphabetische Reihenfolge), zahllosen Leserbriefen, Interviews, und Buchpublikationen verdanke ich mein Wissen auf diesem Sachgebiet. Jede zusätzliche Information - und dabei habe ich auch Argumente der Befürworter studiert - hat es unerträglicher gemacht, den Staatsstreich der Kultusminister hinzunehmen.
Auch die hier auferlegte Selbstbeschränkung ist mir unerträglich.
Icklers Wörterbuch habe ich immer für etwas Großes gehalten, die letzte Offensive, auf die man sich konzentrieren könnte, die möglicherweise das Schwungrad der Kultusminister umlenken kann.
Wenn nun der Autor selbst berichtet, daß er zufrieden damit ist, lediglich ein Kerzlein anzuzünden, statt einen Flächenbrand zu legen, dann weiß ich, daß mein allerletztes Hoffnungsfünkchen ausgeblasen ist.
Oder habe ich da vielleicht etwas falsch verstanden?


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nos


eingetragen von Walter Lachenmann am 10.03.2001 um 08.49

Sachichja!

Aber immer auf gleicher Augenhöhe!
Nicht von unten rauf.
So wie Friedrich Merz den Schröder anguckt!
Auge in Auge, Zahn in Zahn!

Wersimmerdenn!

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Walter Lachenmann


eingetragen von Norbert Schäbler am 10.03.2001 um 01.38

So nicht, mein Freund.
Freiheit ist mir lieber als Brüderlichkeit!
Und Gleichheit ist eine noch viel größere Lüge!
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nos


eingetragen von Walter Lachenmann am 09.03.2001 um 23.23

Schnäbler, bist Du jetzt vollends durchgeknallt?

Nimm sofort die wahnsinnigen Kühe vom Eis, die vertreiben den kostbaren Vogel ja gleich wieder mit ihrem Muh, Muh, wo der eh schon wieder am Abfliegen ist.

Mutig kommt nämlich nicht von Muh!

Wo hast denn Du gedient? Im Marinemuseum wie der Kuddel? Oder kommt bei Euch heidnischen Katholen so ein Rictus* in der Liturgie vor? Schauerlich!

Das ist ja eine Unterwerfungs- und Huldigungsorgie wie sie der gute alte Duden in über hundert Jahren nicht erlebt hat. Sowas mögen wir nicht.

Sooo kriegst Du den nicht rum.

Also, zurück ins Glied! Du Prostchinese.

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* Jetzt weiß wieder keiner außer uns Schlaules was ein Rictus ist. Kommt nicht mal im Duden-Fremdwörterbuch, von Ickler ganz zu schweigen. Aber im Larousse de Poche (1954):
Contraction donnant à la bouche l'aspect du rire.
Wußt' ich ehrlich selber nicht. Paßt aber wie gerufen. Sehen Sie Herr Ickler, das ist sprachliche Genialität!

.[Geändert durch Walter Lachenmann am 11.03.2001, 00:38]
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Walter Lachenmann


eingetragen von Walter Lachenmann am 09.03.2001 um 21.55

Wie verhält sich nun in der Icklerschen Sprachwirklichkeit die Sekretärin, der Schreiner, der ins Wörterbuch geguckt Habende? Zum Beispiel der Verlagslektor.

Nimmt er einfach eine der Möglichkeiten, nach welchen Kriterien? Nach seinem momentanen Gestaltungswillen?

Der Verlagslektor wird dann klugerweise sich gleich ein Vokabelheft anlegen, in dem er notiert, welche Variante er gewählt hat. Denn wenn dasselbe Wort nochmals vorkommt, sollte er sich wieder für dieselbe Variante entscheiden, sonst wird man ihm vorwerfen, er würde völlig uneinheitliche Texte veröffentlichen, schludern. Und mit diesem Vokabelheft beginnen die neuen Hausorthographien. Na, was für ein Gewinn!

Und wie beantwortet man die Kritik der Beliebigkeit?

Vielleicht ist das ja alles sonnenklar. Aber wenn unsereins schon so begriffsstutzig ist? Wir sind noch nichtmal das Volk!

Also, bitte sind Sie so freundlich (eine häufig anzutreffende Formulierung, die Sie auch berücksichtigen sollten) und beantworten Sie unsere naiven Fragen.

Offenbar fällt es dem Wörterbuchautor nicht leicht, sich in die Lage seiner Zielgruppe zu versetzen. Oder hat er gar keine? Geht es nur um die Darstellung?

Es ist manchmal schon schwer, Antworten zu bekommen. Manche kommen einfach nicht. War dann die Frage zu blöd? Hat man ins Fettnäpfchen getreten? Oder ist das Verhaltenstherapie? Einfach nicht antworten, der Patient lernt so, auf eigenen Beinen zu gehen. Naja, das tun wir eigentlich sowieso.

Wenn das als »geniale« Überheblichkeit empfunden wird - vielleicht ja wirklich unberechtigterweise - ist das nicht erstaunlich.


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Walter Lachenmann


eingetragen von Norbert Schäbler am 09.03.2001 um 21.46

Lieber Herr Professor Ickler!

Der vor mir liegende offene Brief wird wohl der schwerste, den ich je geschrieben habe. Im direkten Gespräch - egal mit wem - habe ich schon so manches Tischtuch zerschnitten und
unmittelbar wiederherstellen können. Mut, Tolpatschigkeit, Engagement, Nachgiebigkeit - all das liegt so unheimlich nahe beieinander. Im "Auge in Auge" ist das postwendend zu reparieren. Selbst von "Ohr zu Ohr" funktioniert das. Nur, wenn Idealismus und Kampfbereitschaft zusammenkommen, dann bleiben die Tischtücher zerschnitten.

Das Schreiben ist ohnehin eine ureigene Sache. Da kann man werten, zurechtzimmern, taxieren, abrunden, und doch wird der Leser exzerpieren, Angriffspunkte suchen, den Schreiber festnageln, ihn hängen und darben lassen. Es ist so: Ausschließlich der Adressat ist derjenige, der auswählt. Die Mächte sind hier völlig widersinnig verteilt. Der Schreiber kann sich abmühen, so viel er will. Ist der Adressat nicht wohlgesonnen, dann geht selbst die Perfektion in die Hose.

Ich will mich bedanken für Ihre Rückmeldung. Sie ehrt mich. Doch um Ehre geht es nicht. Ziel ist und bleibt, Verbündete zu suchen mit ehrlichen Argumenten und sich zu verwahren gegen sämtliche Formen des Zynismus, der Besänftigung und der Selbstherrlichkeit.

Ich weiß, wovon ich spreche: Ich war und bin unfähig, im eigenen Kollegium - von gerade mal 34 Personen - Verbündete zu finden, und doch ist die Sache, für die ich eintrete, anerkannt.

Sie, Herr Professor Ickler, verfügen über eine völlig andere Ausgangslage. Sie haben den nötigen Charme, das nötige Wissen, die notwendigen Beziehungen, den Mut, alle erforderlichen Notwendigkeiten - mit einer Ausnahme: Sie sind eine Einzelperson, verehrenswert, aber nicht gottgleich.

Lassen Sie sich doch bitte helfen. Nutzen Sie doch die Hebel der Machthaber - Sie sind doch in Reichweite. Sehen Sie doch bitte die hier vorgetragene konstruktive Kritik nicht als Blasphemie an. Führen Sie bitte, bitte! einige mutige Lehrer, Eltern, Journalisten, Verleger... in diesen Kreis ein, und ich garantiere Ihnen, daß der Mut über die Hinterlist und die Borniertheit siegen werden.



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nos


eingetragen von Theodor Ickler am 09.03.2001 um 19.57

Fast fühle ich mich gedrängt, Sitta in Schutz zu nehmen. Immerhin ist er seit Jahrzehnten in der Lehrerausbildung der Schweiz tätig, wo er überhaupt der einflußreichste Germanist sein dürfte.
Seine Bemerkungen haben übrigens keinen Bezug zur Rechtschreibreform. Er hat sich eigentlich auch nicht geringschätzig über die Lehrer geäußert. Daß Sie, lieber Herr Schäbler, sowieso ein mutiger Mann sind, ist mir bekannt.
Andererseits läßt sich nicht leugnen, daß Lehrer im allgemeinen und aufgrund ihrer praktischen Ausbildung, auch wohl Erfahrung, mehr zu geschlossenen als zu offenen Normen neigen. Wir haben hier schon mehrere Beispiele erlebt. Als ich selbst Referendar war, wurde uns im schulpraktischen Seminar wieder und wieder eingeschärft, alles zu vergessen, was wir an der Universität an Theorie gelernt hatten.
Man kann theoretisch an den traditionellen Wortarten zweifeln, aber man muß es sich dreimal überlegen, bevor man durch solche Zweifel die Schüler verunsichert usw.
Ich denke, das sind Tatsachen.
Der Grundkonflikt, der sich auf diesen Seiten zeigte, läßt sich immer noch kurz so darstellen: Ich beabsichtige, "gut tun" und "guttun" als gleichberechtigte Varianten anzuführen (habe es ja auch schon getan), und zwar aufgrund von Beobachtungen (und auch gewissen Überlegungen). Mir wird entgegengehalten, in der Schule, im Büro und in der Schreinerei interessiere sich nienmand dafür, wie man es schreiben könne, sondern man wolle wissen, wie es denn nun wirklich (oder "richtig") geschrieben werde.
Habe ich die Sache zutreffend dargestellt, oder habe ich da etwas falsch verstanden?
Wenn ich es aber richtig dargestellt habe, dann ist in der Tat hier die Diskussion für mich beendet. Sie mag noch weitergehen, denn "abwürgen" kann und will ich sie ja nicht, aber ich bin so frei, mich daran nicht mehr zu beteiligen.


eingetragen von Norbert Schäbler am 09.03.2001 um 13.07

Sehr geehrter Herr Professor Ickler!

In gewisser Weise hat mich jenes schlitzohrige Zitat von Horst Sitta bestürzt. Als Mitglied des von ihm auf die Schippe genommenen Berufsstandes, fühlte ich mich zutiefst betroffen.
Sitta führt allerdings Scheinargumente an. Es ist nämlich nicht die fehlende Lernfähigkeit, es ist keinesfalls die fehlende Ausrichtung an der Wissenschaft, und es ist auch nicht die u.a. von Kanzler Schröder zur Sprache gebrachte Bequemlichkeit der Lehrer, mit der man spielen könnte - die den Lehrer zu einem willfährigen Instrument machen.
Nein! Das, worauf es tatsächlich ankommt, hat Sitta verschwiegen, obwohl er davon Kenntnis hat. Sitta lügt vorsätzlich!!
Denn, anfällig ist der Lehrer vor allem aufgrund seines Dienstverhältnisses, aufgrund seiner Obrigkeitshörigkeit, aufgrund seiner Pflicht zur Loyalität! Das ist die Wahrheit, und alles andere ist "Kackolores"!
Sitta liefert ausschließlich ein Zusatzargument, einen Deckmantel für dieses schäbige und hinterhältige Vorgehen der Kultusministerkonferenz. Diese Rechtschreibreform hat nicht ihre Kraft entfaltet wegen angeblicher Bildungsmängel der Lehrer, sondern diese Revolution basierte auf einem Machtinstrument, dessen sich die Kultusminister bedienten. Sie haben sich die Abhängigkeit der Lehrer zunutze gemacht.

Es gibt kein besseres Mittel, der Obrigkeit die Larve vom Gesicht zu reißen, als das Mittel der Glosse, denn niemandem ist es erlaubt, seinen Dienstherren als Lügner, als Deppen oder Sklaventreiber zu bezeichnen. Das würde zur sofortigen Entlassung führen. Für niedere Dienstgrade ist es daher empfehlenswert, einen Aggressionsstau ausschließlich durch die Blume - glossierend - mitzuteilen, gemäß der lateinischen Regel: "Quod licet jovi, non licet bovi."
Damit wären wir bei den Ochsen, sprich kastrierten Rindviechern.
Das nämlich sind die Lehrer. Menschen, die Mündigkeit lehren sollen, obwohl sie diese nicht einmal am eigenen Leibe tragen.
Das Beispiel ist deutlich genug, und wenn ich in der Überschrift meiner Glosse nach "Zucht"bullen suche, oder am Ende nach Stieren Ausschau halte, dann dürfte sich auf der Gehirnplatine ein deutliches Bild entwerfen. Lehrer haben doch etwas mit Zucht zu tun. Allerdings suche ich nach Rindviechern, die noch im Besitz ihres Zeugungsapparates sind, und die keine Blausäure verspritzen.
Nennen wir dieses Genital wegen mir "Mut", "Wissen", "Aufrichtigkeit" oder "Selbständigkeit". Nennen wir das Erbgut meinetwegen "Mündigkeit", "Wertekategorie", "Eintreten für alles Wahre, Gute und Schöne..."
Nennen wir, wie wir wollen! Schreiben wir darum herum in blauer Theorie. Blausäure!
Meine Geschichte, die den Rahmen bildet, ist übrigens tatsächlich passiert. Und die Geschichte hat zudem einen erschreckenden Hintergrund. Sie war nämlich ein abgekartetes Spiel zwischen zwei Vereinsmanagern - der eine hieß Zondler, der andere Zengel - die auf diese Weise ihre Handballarenen füllten. Die beiden haben in aller Öffentlichkeit Betroffenheit gemimt, sich feindlich bekämpft - sich aber im privaten Partykeller gegenseitig unter den Tisch gesoffen - und die Öffentlichkeit in einer Form manipuliert, wie es schlimmer nicht mehr geht. Selbst nachdem die Wahrheit an die Öffentlichkeit gedrungen war, hat sich niemand besonders aufgeregt. Im Gegenteil, man war stolz, damals dabei gewesen zu sein.
"Panem et circenses!", seit Rom hat sich nichts geändert.

Was kann man gemeinsam tun?
Ich glaube nicht, daß wir völlig schwarz sehen müssen, denn es gibt eine Reihe von Lehrern und Studenten, die nicht an Zirkusspielen, sondern an Arbeit, Leistung und Wertevermittlung interessiert sind und zudem Mut besitzen, sich der Willkür zu widersetzen.
Allen voran gilt es den Namen "Denk" zu nennen. Wo ist er?
Könnten Sie, lieber Herr Professor Ickler, nicht Ihre Beziehungen geltend machen? Könnten Sie nicht die Ihnen bekannten mutigen Kollegen dieser Diskussion zuführen?
Es kann doch wohl nicht sein, daß Sie das Argument von Herrn Sitta teilen, daß Lehrer geistig unterbelichtete Personen seien?
Es muß doch - selbst wenn dies so wäre - ein Meinungsaustausch stattfinden, Aufklärung betrieben werden, nach Multiplikatoren gesucht werden, der Hebel Schule eingesetzt werden!

Auf eines will ich noch hinweisen: Das hier stattfindende Scharmützel wird keinen Krieg entscheiden. Gegenwärtig befinden sich 32 eingetragene Nutzer im Forum.
Will sagen: Wir machen uns doch selbst etwas vor. Das ist doch wie auf dem Bauernhof, wo man neuerdings drei bis vier Hähne einstellt zur Betreuung von 15 Hennen.
Ich denke, Sie kennen die Hackordnung unter dieser Kategorie von Viechern.


[Geändert durch Norbert Schäbler am 10.03.2001, 19:12]
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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 09.03.2001 um 10.02

"Wovon die Rede ist" - oder worüber man reden müßte, wenn man wollte.

Folgenden Text setzte Herr Professor Ickler am 09.03.01 ins Netz (Rubrik: "Was gehört ins Wörterbuch"):

Bei unserem alten Freund Horst Sitta habe ich ein paar hübsche Sätze gefunden, die ich mal hierhersetzen möchte: "Der Lehrer, der in einem konkreten Fall die Grammatik konsultiert (z. B. mit der Frage, ob brauchen mit oder ohne zu zu konstruieren sei), verlangt eine eindeutige Aussage und ist, wenn die Grammatik als ganze bei ihm Kredit hat, auch bereit, diese Aussage als wissenschaftliche Entscheidung zu akzeptieren. Weder schätzt er offene Normen noch grammatiktheoretische Hinweise (hier etwa die mögliche Überlegung, daß brauchen auf dem Weg in das Paradigma der Modalverben sei und daß unter den gegebenen Bedingungen eine eindeutige Antwort auf die gestellte Frage wissenschaftlich nicht möglich sei), noch verlangt er nach wissenschaftstheoretischer Begründung für eine Aussage." (in: Linguistische und didaktische Grammatik, Fs für Gerhard Helbig, Leipzip 1989)
Der Aufsatz enthält noch weitere gute Überlegungen und Formulierungen (Sitta ist ja nicht dumm, bloß eben ein Schlitzohr, wenn es um die Vermarktung der Rechtschreibreform geht).
Mir scheint, daß hier ein grundsätzlicher Unterschied in der Herangehensweise gut dargestellt ist. Kann es aber die Aufgabe der Wissenschaft sein, hier nachzugeben und die Abneigung des Lehrers gegen "offene Normen" auch noch zu unterstützen? Tun solches nicht auch die Zöllner und Pharisäer?
Vielmehr sollte es doch wohl die vornehmste Aufgabe der Schule sein, ein allgemeines Bewußtsein von der Natur der Sprache zu verbreiten und damit eben von "offenen Normen".
(Dies ist ein Glaubensbekenntnis, Bekehrungsversuche sind also zwecklos!)

Nach meiner Entgegnung (s.u. "Zuchtbullen gesucht!") herrschte allerorten Verärgerung, hervorgerufen durch Mißverständnisse und Desinteresse. Die Diskussion wurde beendet per ordre de mufti, obwohl eigentlich von dieser Seite begonnen.
Ich aber möchte erneut das Gespräch suchen, mit klaren, ungeschminkten Worten - ohne Aphorismen, ohne Bilderchen, ohne Zitätchen, hinter denen man sich verstecken könnte, und ich bitte zunächst Herrn Professor Ickler um ehrliche Antworten auf meine Fragen, die vor allem eines erreichen wollen: "Die Herstellung einer Basis für gemeinsames Handeln!"
Wen (welche Adressaten) wollten Sie mit dem oben angeführten Bericht ansprechen?
Aus welchem Grunde haben Sie den obigen Bericht eingebracht?
Welche Absichten verfolgte der Bericht und welche Reaktionen wollten Sie auslösen?
Warum haben Sie das Mittel des Zitierens gewählt?
Inwieweit distanzieren Sie sich von den Worten des Herrn Sitta?

Ich darf hoffen, daß die Mißverständnisse ausgeräumt werden, sitzen wir als Reformkritiker doch alle im gleichen Boot. Auch ich werde in einem Folgebericht angeben, wie ich das oben Angeführte verstanden habe, und was mich zu meiner Reaktion in glossierter Form bewegte.



[Geändert durch Norbert Schäbler am 10.03.2001, 19:02]
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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 08.03.2001 um 13.52

Muh!
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nos


eingetragen von Theodor Ickler am 08.03.2001 um 12.28

Verstehe ich nicht, interessiert mich auch nicht.
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Th. Ickler


eingetragen von Norbert Schäbler am 08.03.2001 um 11.15

Oho, Monsignore Ickler!
Ich erkenne sie wieder, die Technik des Sportjournalisten mit der rosaroten Vereinsbrille, der dem Lokalpatrioten die Zuschauer in Scharen zutreibt. In Ihrer "Stadionzeitung" (was soll ins Wörterbuch) haben Sie schön abgelästert. Prächtig gemalt - das "Feindbildchen".
Ein schönes Geschichtchen fällt mir dazu ein, vor Jahren passiert in München, dort wo der Handball neben dem Fußball absolut keine Chance hat, wo fast niemand den MTSV Schwabing kennt, aber jeder die 60er oder gar den FC Bayern.
Meist haben die Handballer vom MTSV Schwabing nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit gespielt. In der Rudi-Sedlmayer-Halle herrschte stets gähnende Leere. Bis auf das eine Mal! Da nämlich hatte der damalige Vereinspräsident, Urs Zondler, eine glänzende Idee, basierend auf ein paar kleinen Vorurteilen.
Da hat doch der Urs - unmittelbar vor dem Gastspiel der unterfränkischen Handballdörfler vom TV Großwallstadt gegen die oberbayerischen Handballgroßstädter aus München - ein paar Kühe in die Rudi-Sedlmayer-Halle hineinführen lassen. Schön gemuht haben die Kühe, haben auch ein paar Fladen auf dem schönen Hallenboden hinterlassen, und das Fernsehen hat alles gefilmt und ausgestrahlt, selbstverständlich mit dem freundlichen, versteckten Hinweis, daß am kommenden Samstag die vom Kuhdorf ihre Visitenkarte in München abgeben würden.
Das war ein Werbegag. Doppelt hat er gewirkt, denn als die von der Großstadt München nach Großwallstadt gekommen sind, war die Halle auch proppenvoll, und statt "Buh" hat das Publikum "Muh" geschrieen.
Nun gut, Monsignore! Sie haben einen Haufen kastrierter Rindviecher - Ochsen - aufmarschieren lassen.
Ich wollte, ich könnte dann, wenn Sie wieder einmal bei uns gastieren, mit ein paar Stieren aufwarten. Aber mir scheint es tatsächlich so, als sei nach der RSR und BSE nicht mehr viel übrig von den kräftigen Zuchtbullen.

Erklärung: Da habe ich wohl irrtümlich vorausgesetzt, daß der Name TV Großwallstadt allgemein bekannt ist, denn schließlich handelt es sich um den mehrmaligen bundesdeutschen Handballmeister und Europapokalsieger.
Seit Gründung der Bundesliga gehört der TVG zur Elite des Handball-Oberhauses, und den Großstadtvereinen war es von jeher ein Dorn im Auge, daß Dorfvereine in der high society so kräftig mitmischen. Der geschätzte Jahresetat einzelner Handball-Bundesligamannschaften beziffert sich übrigens auf 3 000 000 bis 8 000 000 DM.

[Geändert durch Norbert Schäbler am 11.03.2001, 14:07]
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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 07.03.2001 um 19.11

Ich bin es Herrn Professor Ickler wohl schuldig, zumindest einen Teil seiner Argumente, auf die er sich querverweisend bezog, an dieser Stelle einzubauen.
Meine Zweifel, die sich insbesondere durch Diskussionen über Einzelworte entzündeten, sind ausgeräumt. Die Übertragung bzw. Generalisierung, die ich betrieb, war nicht statthaft. Das haben intensive Lektüre des Ickler'schen Vorwortes und auch das überfliegende Lesen des Wörterverzeichnisses klargemacht.
Ich habe mich geirrt, war einer Blendwirkung verfallen.
Zur Buße will ich Teile des Vorwortes hier wiedergeben.

Auszüge aus S. 11: "...Wie aus einem Zeitungsinterview mit Günther Drosdowski (Spiegel 8.7.1996) hervorgeht, war sich der langjährige Leiter der Dudenredaktion wohl bewußt, daß der Duden etwas versäumt hatte, doch scheint er die Lösung des Problems genau wie die amtliche Reform in einer ebenso starren und wirklichkeitsfremden Festlegung in umgekehrter Richtung gesehen zu haben: nur noch Rad fahren usw. zuzulassen.
In dieser Situation liegt folgende Lösung nahe: Solange niemand eine sowohl stimmige als auch allgemeiner Zustimmung gewisse Rechtschreibreform vorzuschlagen vermag, sollte man bei der herkömmlichen Orthographie bleiben. Sie funktioniert ausgezeichnet, findet breiteste Anerkennung und ist anpassungsfähig genug, um sprachliche Neuentwicklungen aufzunehmen...."

Auszüge aus S. 12: "Zusammen mit dem Wörterverzeichnis wird hier eine neue Fassung der Regeln zur Diskussion gestellt, und zwar zunächst in einer vereinfachten, allgemeinverständlichen Form, die ungefähr das enthält, was ein gebildeter Erwachsener über die deutsche Rechtschreibung weiß. Daran schließt sich eine anspruchsvollere, mehr in die Einzelheiten gehende Darstellung an. Die "alten Schreibweisen bis zur 20. Auflage des Duden (1991) bleiben in jedem Fall "richtig" - soweit man in orthographischen Dingen überhaupt von Richtigkeit sprechen will und nicht von Üblichkeit und Zweckmäßigkeit.
Es wird nicht übersehen, daß die Texte, die es zu durchforsten gilt, bereits mehr oder weniger durch die bisherige Duden-Norm geprägt sind. Die Entwicklung der Schreibweisen im Wechselspiel von Schreibenden und Lesenden ist also nicht ganz frei, sondern gewissermaßen systematisch verzerrt, meist im Sinne des Beharrens auf einzelnen, im Grunde schon halb überlebten Schreibungen. Die so entstandenen Schreibvarianten sind einstweilen hinzunehmen. Auf der anderen Seite ist der Lexikograph nicht verpflichtet, jede vorgefundene Schreibweise aufzunehmen, und zwar auch dann nicht, wenn sie des öfteren angetroffen wurde. Ein orthographisches Wörterbuch ist keine wissenschaftliche Dokumentation, sondern ein Vorschlag zum sprachgerechten und vor allem leserfreundlichen Schreiben. Es ist jedem unbenommen, andere Vorschläge zu machen und als (noch) besser zu verteidigen. Die Sprachgemeinschaft wird entscheiden, wie sie es letzten Endes immer getan hat..."

Auszüge aus S. 13: "...Zu den Varianten ist noch folgendes zu sagen: Aus dem Kreise wohlwollender Kritiker ist vorgeschlagen worden, die Getrennt- und Zusammenschreibung "eindeutiger" zu regeln. Dagegen sprechen zwei Gründe. Erstens berechtigt das Material nicht zu Festlegungen, wie sie der Duden in zahllosen Einzeleinträgen getroffen hatte. Noch wichtiger ist aber der zweite Grund: Entschiede der Lexikograph im Sinne der "Eindeutigkeit" bei jedem Wort, ob es getrennt oder zusammenzuschreiben sei, dann wüßte der Benutzer zwar, daß eine Festlegung existiert, er müßte aber jedesmal nachschlagen, um herauszubekommen, wie sie aussieht. Diese geradezu monströse Erschwerung würde zum vielbeklagten früheren Zustand zurückführen, der allmählich eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der Duden-Norm erzeugt hatte..."

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nos


eingetragen von Theodor Ickler am 07.03.2001 um 14.40

Lieber Herr Schäbler,
auf das Wort "Artenschutz" habe ich nicht empfindlich reagiert, sondern ich habe überhaupt nicht reagiert, weil ich es nämlich gar nicht verstanden habe. Inzwischen glaube ich zu verstehen, daß Sie damit so etwas wie Bestandsschutz für jede vorfindliche Schreibweise gemeint haben könnten.
Sie unterstellen mir nun den Grundsatz, alles sei zulässig, was irgendwo geschrieben steht. Abgesehen davon, daß ich ungern von "zulässig" spreche (wer bin ich denn, daß ich darüber zu befinden hätte?), habe ich wohl schon mehr als einmal darauf hingewiesen, daß diese Unterstellung schlicht und einfach falsch ist. Das Gegenteil steht ausdrücklich im Vorwort meines Wörterbuchs (S. 12), und so habe ich es auch gehalten. Was glauben Sie, wie viele Varianten ich außerdem noch gefunden und dennoch nicht ins Wörterbuch aufgenommen habe! Lesen Sie dort bitte auch die Fortsetzung. Damit ist ein Großteil der Diskussion erledigt.
Praktisch folgt daraus, daß in meinem Wörterbuch jederzeit die Wortbildungsvarianten "selbstständig" und "selbständig" zu finden sein werden, weil ich beide für gut und richtig halte (und mich gewissermaßen sogar für die Germanistenzunft für jenen historischen Sündenfall entschuldigen zu müssen glaube), in einem anderen Wörterbuch aber nur "selbständig" und wieder anderswo nur "selbstständig". Das sind dann eben verschiedene Angebote, und dann wollen wir mal sehen, was überzeugender wirkt. Ich höre schon ein großes Geschrei: "Beliebigkeitsschreibung!" Keine Sorge, kein einziges Wörterbuch wird "selbschdändig" anzuführen wagen, auch "Bäbi" statt "Baby" ist vorläufig nicht zu erwarten.


eingetragen von Norbert Schäbler am 07.03.2001 um 10.18

Dieser Faden "Rechtschreibung = Artenschutz" war ursprünglich an anderer Stelle eingewirkt. Dort war er nicht unbedingt zierlich.
Von allem Anfang an, versuchte dieser Faden (das angeschnittene Thema) Eigeninteressen der Schule zu vertreten - manchmal wohl zu provokativ, aber doch auch begründet, weil die Interessen der Schule und der Lehrer oft mit Füßen getreten oder vernachlässigt wurden.
Das geschah durch die übergestülpte Rechtschreibreform, der man wohl eher wirtschaftliche Interessen denn eine positive Wirkung auf der Ebene der Bildung unterstellen kann.
Und das geschieht auch durch das Ickler'sche Wörterbuch, das in der Regelformulierung allemal leichter verständlich ist als das Bürokratendeutsch der Rechtschreibreformer, sich jedoch nicht versteht als Regelwerk für die Schule, sondern als Gegenkonzeption zur Rechtschreibreform (RSR) mit noch nicht genau ausgelotetem Adressatenkreis.

Icklers Konzeption, den tatsächlichen Schreibusus aufzuzeichnen, ist wohl die einzig legitime Untersuchungsmethode. Sie unterscheidet sich - wie Tag und Nacht - vom Konzept der Rechtschreibreformkommission, die dem Sprachgebrauch zuwiderhandelte und am Reißbrett eine neue Schriftsprache zurechtzimmerte (ß für ss, eigenwillige Lizenzierungen auf den Gebieten der GZS und GKS, Fremdworteindeutschungen, Auflösung und Schaffung von Ligaturen, Scheinliberalisierung bei Satzzeichen...).
Doch auch Icklers Konzeption - sie läuft auf "echte" Liberalisierung hinaus - beinhaltet "Schwachstellen", die in breiter Diskussion ausgemerzt werden sollen und können. Ickler stellt sich der Diskussion, auch wenn er sehr empfindlich auf das Reizwort "Artenschutz" reagiert.
Das nämlich ist der wunde Punkt der Ickler'schen Methode. Alles ist zulässig, was an Varianten geschrieben steht und stand. Als Beweis werden umfangreiche Textcorpora angeführt, erstellt von Menschen der schreibenden Zunft (Dichtern und Journalisten).
Vor Lizenzvergabe schreckt Ickler zurück. Er maßt sich nicht an, etwas zurechtzustutzen, was Wachstumswillen hat. Er vertraut dem Selbstreinigungsprozeß, dem sprachimmanenten Gewissen und Gefühl, das Modewörter und Trends nach einiger Zeit ausschließt. Und gerade deshalb schließt er Fremdeingriffe aus.
Nur! die mehr oder weniger stark abgelehnten Wörter führt Ickler ebenso auf, wie diejenigen, die sich durchgesetzt haben.

Der Vergleich mit der Botanik drängt sich auf - der eines ökologischen Gartens, in dem Naturbelassenheit oberstes Gebot ist. Oder noch schärfer formuliert: das Bild einer Sozialbrache mitten in einem Industriegebiet.
Das ließe sich herrlich weiterspinnen, bis hin zu Eingriffen des Staates und der Zwangsenteignung des Grundstücksbesitzers. Verdeckt geht es hier um ähnliche Zusammenhänge. Die Bilder mag verstehen, wer will.

Hauptanliegen des Fadens "Artenschutz" ist es, die Wirklichkeit des Rechtschreibunterrichts in der Schule offenzulegen. Was versteht man vier Jahre nach dem Rechtschreiberlaß unter "sinnvollem Rechtschreibunterricht"? Was empfinden die Lehrer als lehrreich an der RSR?
Was lehnen sie ab an der RSR und praktizieren es infolgedessen auch nicht? Welchen Erkenntnissen von Professor Ickler schließt man sich an und möchte sie auch in den Lerninhalten verwirklicht sehen?

Oder ist es jetzt gar so, daß man die Kreativität der Kinder zum Maß aller Dinge erhebt?
Dann sollte man aber schnell Herrn Professor Ickler verständigen, daß in den Protokollen der heranwachsenden Zunft der Schreiber "Bäbi für Baby" und "Kitts für Kinder" geschrieben steht.







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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 04.03.2001 um 18.48

Zahlen tut der, der den Möbelwagen bestellt hat, lieber Professor!
Aber, das kann teuer werden, und jetzt, "wo" wir Heimrecht haben, werden wir Ihnen schon noch die Lederhosen ausziehen.
Danke übrigens für den Tip mit der Benotung. Da ließe sich was konstruieren, und möglicherweise spielt auch das ein oder andere Elternpärchen mit.
Es wäre zu schön, wenn man diesen Sprachkanaillen einmal an die Kandare (wieso heißt das eigentlich nicht "Kandarre") fahren könnte.
Ein Diktat würde ich ja erstellen, in dem möglichst viele Zweifelsfälle vorkommen, so daß auch richtige Notenquantensprünge gewährleistet wären, denn früher habe ich nebenberuflich Sportjournalismus betrieben, und Sport interessiert unsere Schüler unheimlich. Die träumen davon, Bundesligaprofis zu werden, und falls das Thema stimmt, lernen die sogar "recht Schreiben" (egal ob getrennt, groß oder klein). Fußball ist deren Leben.

Nun gut, da habe ich kürzlich einen interessanten Handballbericht gelesen. Das ist zwar nicht ganz im Sinne der Schüler, aber im Handball fallen immer reichlich Tore, und deswegen können die Journalisten auch immer mehr schreiben, als z.B. beim Fußball. Im Handball gibt es nämlich kein 0:0.
Der Bericht, den ich damals las, war recht tragisch zugespitzt, denn er schilderte das erschreckende Schicksal einer Mannschaft, die "hinterher laufen" mußte.
Zunächst habe ich mir gar nichts dabei gedacht, als ich aber im Atlas die Wegstrecke ausgerechnet habe, da fand ich das ganz schön gemein von dem Trainer, denn der Spielbericht handelte von der Begegnung TV Großwallstadt gegen THW Kiel.
Da muß man schon eine ganze Ecke joggen!

Jetzt komme ich noch am Ende mit meinem Artenschutz. Das Wörtchen "hinterher" ist ja schon in die Liste aufgenommen, doch wie ich weiß, mögen Sie diese "geschlossenen Listen" nicht. Der § 34 "dörnt" Ihnen im Auge, findet man doch dort den "Partikel" "hintenüber", während das "Partikelchen" "vornüber" fehlt. Das war Ihnen schon manche Glosse wert.


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eingetragen von Theodor Ickler am 04.03.2001 um 14.28

"Ohren betäubend" ist falsch, "Eisen verarbeitend" war immer richtig, wenn auch oft schlechter als "eisenverarbeitend". Da die Reformer inzwischen die Hälfte der vernichteten Adjektive vom Typ "aufsehenerregend" wiederhergestellt haben, ist zu erwarten, daß von der GZS nichts übrigbleibt. Ich empfehle daher jedem Lehrer, sie schon jetzt zu ignorieren.
Vorsicht ist bei der Korrektur von Schülerarbeiten geboten. Denn man darf nichts als falsch anstreichen, was nach der deutschen Grammatik möglich ist. Wohl aber sollte man als falsch anstreichen, was objektiv falsch ist und dennoch von der KMK-Regelung vorgeschrieben oder für richtig erklärt wird. Hier wäre sehr zu wünschen, daß es einmal zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommt. Ich stehe als Gutachter bereit. Also meine Aufforderung an die Lehrer: Streichen Sie einmal "tut mir sehr Leid" an und geben Sie, wenn es sich sonst verantworten läßt, deshalb eine schlechtere, womöglich versetzungsgefährdende Note!

Die letzten beiden Beiträge gehören übrigens nicht zum Thema Icklers Wörterbuch und sollten vielleicht einen neuen Faden "Schule" eröffnen.


eingetragen von Norbert Schäbler am 04.03.2001 um 12.15

Ich las heute in der Zeitung von einem "Ohren betäubenden" Pfeifkonzert. Die einst gängige Partizipialkonstruktion hat dem Journalisten offensichtlich nicht ausgereicht, um einen "Jahrhundertraub" (ein annulliertes Tor des FC Barcelona gegen die Königlichen aus Madrid/Endstand: 2:2) zu beschreiben.
Vielleicht wollte der Journalist ja auch nur klarmachen, daß die Barcelona-Anhänger nichts mehr hören und sehen wollten, als sie das Stadion verließen, nachdem man sie in der 92. Minute um das Siegtor betrogen hatte. Insofern hätte er sich sogar der präzisesten aller möglichen Darstellungen bedient.
Andererseits neige ich dazu, dem Journalisten eine gewisse Neuregel-Konformität vorzuwerfen und unterstelle, daß er die von den Rechtschreibreformern geschaffene Regel § 36 E1(1.2) anwenden wollte. Dort findet man u.a. die neuartigen Partizipien "Rat suchend, Not leidend, Rad fahrend, Eisen verarbeitend..."

Meine Frage an die hier versammelten Kritiker: Sehen Sie einen Handlungsbedarf, daß diese Regel in der Schule explizit behandelt wird? Sollte beispielsweise im Rahmen des Grammatikunterrichts diese Art von Wortbildung der herkömmlichen Konstruktion gleichgestellt, bzw. zur Seite gestellt werden?

Schärfer formuliert: Sollte man für die Regel 36 E1 (1.2) Artenschutz beantragen ? Oder sollte man dies lieber vorsorglich für die normalen Partizipialkonstruktionen tun, denen man durch die kultusministerielle Anordnung ganz schön übel mitspielt?

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nos


eingetragen von Manfred Riebe am 01.03.2001 um 21.52

Norbert Schäbler macht darauf aufmerksam, daß Aktionen gegen die Rechtschreibreform den Multiplikator Schule einbeziehen sollten. Er schreibt:
"Wohlüberlegt haben die Rechtschreibreformer den Weg über die Schule gewählt. In den heiligen Hallen der Kultusminister hat diese Sprachrevolution stattgefunden, dort wo die Schaffung des mündigen Bürgers oberste Richtschnur ist."

Aber an den Schulen macht man aus Lehrern und Schülern Untertanen. Wie aber sollen Lehrer mit gebrochenem Rückgrat die Schüler zu mündigen Staatsbürgern erziehen? Auf dieses demokratische Defizit gilt es, aufmerksam zu machen.


eingetragen von Norbert Schäbler am 01.03.2001 um 13.22

Lieber Herr Professor Ickler!

Sie haben recht deutlich geantwortet auf der Stammseite von http://www.rechtschreibreform.com.

Vermutlich aber verkennen Sie meine Motive, die mich an dieser Diskussion teilhaben lassen.
Mir geht es zum einen darum, die Diskussion verstehen zu lernen, was ich nur durch Hinterfragen erreichen kann, und es geht zum anderen darum, die neuen Definitionen und Erkenntnisse auf ihre Anwendbarkeit im Schulbereich zu überprüfen. Es müssen doch einerseits Transparenz andererseits Transfermöglichkeiten geschaffen werden.

Sie sind gegenwärtig dabei, ein übergeordnetes Ganzes zu schaffen. Sie suchen eine Leitidee, einen Rahmen, der wirklich alles unter sich vereint, was einsammelbar ist - sozusagen einen Superkollektor.
Sie haben recht, wenn Sie in diesem Zusammenhang meine Wortmeldung zurückweisen: Eine Faustregel ist keine alles bestimmende Rahmenrichtlinie. (Aber, sie ist eine praktische Anleitung für Schulkinder, mit der man doch in den meisten Fällen zum Ziel gelangt.)
Sie haben auch recht, wenn Sie sagen, daß eine Faustregel nicht (unbedingt) ins Wörterbuch gehört. (Aber die Faustformel gehört dann in irgendein Didaktikbuch hinein. Jene Faustregel zu zerfleddern oder zu verhöhnen, ist wohl nicht ganz richtig.)

An einem Beispiel will ich mein Verständnis des Begriffes "Faustregel" (Krücke, Geländer, Brückenschlag, Gehhilfe...) erhellen. Ich mache eine Anleihe im Fachbereich Mathematik/Geometrie:
Wenn ich meinen Schülern Einsichten vermittle in den Bereich der Volumen- und Oberflächenberechnung von Säulen, dann lasse ich sie zunächst den jeweiligen Körper erkennen. Sie dürfen handeln (basteln), Handlungsvorgänge versprachlichen und letztlich abstrahieren. Höchstes Ziel des Unterrichts ist selbstverständlich die kürzestmögliche Berechnung mit spezieller Formel. Hauptziel jedoch ist es, die Fähigkeit anzubahnen, daß Schüler die Säulen überhaupt berechnen können.
Den Weg hin zu dieser Fähigkeit macht jederzeit meine Faustformel klar, und umgedreht, die Faustformel macht weitere Erkenntnisse möglich, denn im Vergleich aller beliebigen Säulen ist von der Handlungsschiene bis zur Schiene der Abstraktion folgende Faustformel der Volumenberechnung zu finden: Volumen = Grundfläche mal Körperhöhe.
Ebenso ist für die Berechnung der Oberfläche folgende Faustformel zu entdecken.
Oberfläche = zweimal Grundfläche plus Mantelfläche.
Ich weiß: Jeder Techniker würde mir unmittelbar widersprechen und mir einen Würfel an den Kopf schleudern, denn hier ist die Berechnung wesentlich kürzer zu fassen.
(V = a³, O = G mal 6).
Gleichwohl würde ich unbeirrt meinen Weg des Lehrens weitergehen, denn ich schaffe mit meiner Methode Übertragungsmöglichkeiten auf andere Körper, während der Techniker den Blick auf spezifische Körper einengt. Im übrigen habe ich in der Schule die Möglichkeit der Differenzierung.

Vielleicht läßt sich aus diesem Beispiel der Konflikt unserer sehr unterschiedlichen Positionen ableiten. Sie finden meine Faustformel zu dünn: "Groß schreibt man das sinnlich Wahrnehmbare". Es ist für mich eine Arbeitshypothese oder besser eine schülergerechte und altersgemäße Arbeitsanleitung, die allerdings nicht das Namenwort in seiner Besonderheit legitimiert, sondern sich lediglich als Entscheidungshilfe beim Schreiben versteht.

Außerdem: Ich bilde keine Ingenieure, Journalisten und Dichter aus. Ich packe den später in irgendeinem Wirtschaftszweig Integrierten lediglich einen Rucksack, dessen Inhalt aufgrund unterschiedlicher Kapazität unterschiedlich ausfällt. Nur manche wollen - was das Sprachliche angeht - feinste Differenzierungsmöglichkeiten, Etymologien, grammatische Besonderheiten mitnehmen. Das bekommen sie. Alle aber müssen mit einem einfachen, zweckdienlichen Handwerkszeug ausgerüstet sein.

Eine Provokation zum Schluß: Wohlüberlegt haben die Rechtschreibreformer den Weg über die Schule gewählt. In den heiligen Hallen der Kultusminister hat diese Sprachrevolution stattgefunden, dort wo die Schaffung des mündigen Bürgers oberste Richtschnur ist. Welch eine paradoxe Handlungsweise.
Sie Herr Professor Ickler versuchen den Weg über die aufgeklärte, mündige Gesellschaft.
Meinen Sie, ohne den "Hebel Schule" zurechtkommen zu können. Und wo bitte und zu welchem Prozentsatz ist denn die Gesellschaft mündig - sprachmündig? Dann wären ja auch Wille und Engagement zu erkennen!

Die eigentliche Frage dieses Strangs soll aber nicht vergessen werden. Rechtschreibung = Artenschutz?? Wie schütze ich denn nun die Großschreibung vor dem Aussterben. Die ersten Übergriffe wurden ja nun abgewehrt, doch wer den Hebel besitzt, der braucht ja nur die Verjährungsfrist abzuwarten. Haben Sie denn ein Argument für die Großschreibung, das unsere Schüler mit ihrer noch wenig geschulten Zunge in die Welt hinausposaunen können?


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nos


eingetragen von Reinhard Markner am 01.03.2001 um 12.37

Angaben wie »in übertragener Bedeutung meist zusammen« wären okay, das wurde an anderer Stelle ja schon diskutiert. Mit dem Hinweis auf den Überprüfungsaufwand meinte ich die Prozentangaben, die Herr Schäbler ins Spiel brachte. So genau kann es keiner machen.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 01.03.2001 um 10.17

Auch das Weglassen von Bögen müßte "alle paar Jahre" überprüftwerden - und nicht nur dies. Was ist mit allen anderen Einträgen? Natürlich, bestimmte Bereiche der Rechtschreibung sind besonders im Fluß. Aber darum geht es nicht. Herr Ickler meinte einmal, daß er sich noch auf zuwenig Textmengen stützt, als das er statistische Aussagen machen könnte. Ich selbst finde Angaben wie "meist" oder "selten" recht hilfreich .(Diese könnten in den Benutzungshinweisen durch Prozentangaben definiert werden.) Man muß auch noch bedenken, daß manche Reihenbildungen (z.B. auseinander_...) dann in Einzelstichworten aufgeführt werden müßten.


eingetragen von Reinhard Markner am 28.02.2001 um 23.38

Thumbs down

Schon allein wegen der bei Zweifarbdruck erheblich steigenden Herstellungskosten dürfte Ihr Vorschlag chancenlos sein, lieber Herr Peil. Im übrigen müßte eine solche überaus aufwendige statistische Erhebung ja alle paar Jahre wieder überprüft werden. Einzig das Weglassen des Bogens in besonders eindeutigen Fällen (wie jetzt schon im letztens angesprochenen »gutschreiben«) ist eine realistische Option.


eingetragen von Stephanus Peil am 28.02.2001 um 22.02

Schon oft wurde von Rechtschreibreformgegnern, die dem Icklerschen Wörterbuch wohlgesonnenen gegenüberstehen, gefordert, Herr Prof. Ickler möge bei der GZS klarere Aussagen machen und sich nicht hinter seinem Bögelchen verstecken.

Es ist zwar vom Ansatz her richtig, daß da keine klaren Vorschriften erteilt werden können, wo es Grenzbereiche in der GZS gibt, die wohl dadurch entstehen, daß das Sprachgefühl der Menschen unterschiedlich ist und dasselbe sich im Gebrauch ständig verändert, deshalb haben die Icklerschen Verbindungsbögen sicher ihre Berechtigung.

Auf der anderen Seite aber bin ich wie Norbert Schäbler und andere der Meinung, daß der Rechtschreibunsichere von einem Wörterbuch (egal ob von Duden, Bertelsmann, Wahrig oder Ickler) Hilfsangebote erwartet, wie er sich denn entscheiden solle. Um mit Herrn Schäbler einen gangbaren Weg zwischen „dem ehemaligen Prinzip der Ausschließlichkeit und dem Prinzip echter Liberalität" zu finden, schlage ich deshalb Herrn Ickler folgenden laienhaften Kompromiß vor:

Wenn ein Wort in der Schreibgemeinschaft zu 75 oder mehr Prozent zusammengeschrieben wird, sollte Herr Ickler den Bogen einfach (guten Gewissens) weglassen. Bei einem so klaren Bild der Mehrheitsverhältnisse stünde für mich die bevorzugte Zusammenschreibung fest. Das Bestehenlassen des Bogens hätte für mich nur dort seine Berechtigung, wo das Vorkommen von Getrennt- und Zusammenschreibung im Gebrauch des Schreibvolkes sich etwa die Waage hält (also bei einem Verhältnis von 40:60 oder gar 50:50).
Eine weitere Differenzierung ergäbe sich durch eine farbliche Unterscheidung des Bogens: Ein grüner Bogen könnte bedeuten: mehr als 60 Prozent der Schreibenden bevorzugen die Zusammenschreibung, also deutliche Tendenz zur Zusammenschreibung. Ein roter Bogen könnte bedeuten: weniger als 40 Prozent schreiben zusammen, also erkennbare Tendenz zur Getrenntschreibung.

Durch diesen Vorschlag würde der Ratsuchende im Icklerschen Wörterbuch einen deutlicheren, differenzierteren Hinweis als bisher erhalten, wie die Schreibwirklichkeit wirklich aussieht; er könnte seine Entscheidung dann sicherer als bisher treffen. Herr Ickler hat zwar im alten Gästebuch den (für mich entscheidenden) Hinweis, wie mit dem Bogen umzugehen sei, bereits gegeben: im Zweifelsfall den Bogen weglassen. Aber vielleicht könnte er zusätzlich durch stärkere Gewichtung die Schreibwirklichkeit noch transparenter darstellen.

Ich bin mir darüber im klaren, mit welch großem Zeitaufwand ein derartiges Vorhaben verbunden wäre. Aber es wäre Herrn Ickler hoch anzurechnen, wenn er Krücken, Geländer, Brücken u. dgl. für diejenigen bauen könnte, denen die Liberalität in seinem Wörterbuch zu weit geht.


eingetragen von Norbert Schäbler am 28.02.2001 um 15.04

Lieber Herr Professor Ickler!

Mit den Methoden der Verniedlichung, Übertreibung und Verzerrung habe ich einen neuen Leitfaden eröffnet und eine Auseinandersetzung provoziert. Meine Unart, entstammt der Schulpraxis. Ich will dies erklären und mich für Unsachlichkeit entschuldigen:
Seit rund 25 Jahren wird uns Lehrern die Motivation als das Maß aller Dinge gepredigt. Zugleich werden Wissen und Übung vernachlässigt. Das ist an Sprachbüchern und Lesebüchern, die in den zurückliegenden 25 Jahren geliefert wurden, direkt abzulesen. Fehlt noch nachzutragen, daß Motivation zwischenzeitlich die scharfe Form der Provokation angenommen hat. Schüler lernen und antworten fast nur noch bei persönlicher Betroffenheit.

Ich warf Ihnen vor, daß Ihr deskriptiver Ansatz Alternativen bis ins Unermeßliche schaffe. "Unermeßlichkeit" ist sicherlich ein Affront. In dieser Form nehme ich dies zurück, doch gebe ich zu bedenken, daß Ihr Ansatz einen wesentlich größeren Fundus an geschriebenenen Varianten in sich birgt, als ihn die Rechtschreibreformkommission zulassen möchte.
Es ist doch so, daß Sie Fakultativschreibung fordern: vor allem dort, wo Schreibalternativen nachweisbar sind; und vor allem deshalb, um der Rechtschreibreformkommission ihre bestußten Lizenzvergaben abzuringen. Im Ergebnis werden, wenn Ihre Überlegungen in die Tat umgesetzt werden sollten, mehr Varianten zu unterschiedlichsten Einzelworten und Begriffen entstehen, als je in der deutschen Rechtschreiblandschaft gleichzeitig gesichtet und zudem als gleichermaßen zulässig befunden wurden bzw. gesichtet worden sein werden.

Sie rennen bei mir offene Türen ein, aber als Vertreter meines Berufsstandes muß ich daran appellieren, daß uns die Wissenschaft bitte den Weg ebnen möge.
Es ist doch so - und das habe ich dargestellt - daß zwischen dem ehemaligen Prinzip der Ausschließlichkeit und dem Prinzip echter Liberalität ein himmelweiter Unterschied besteht.
Und, damit wir diesen Weg meistern können, habe ich oft genug um Krücken, um Geländer, um Brücken, um Marschverpflegung u.dgl. gebeten. Einen Wegweiser habe ich nie eingefordert, genausowenig wie jenen faulen Kompromiß, den die Rechtschreibreformer boten, als sie hier Liberalität einlösten und gleichzeitig dort Gängelung verteilten.

Zum Thema Etymologien und "Artenschutz"
Klar: Aufgrund meiner Beschäftigung mit Etymologien könnte ich die Schüler sowohl im geschichtlichen als auch im sprachkundlichen Unterricht "infizieren" mit Ehrfurcht und Respekt, doch weiß ich, daß für all die vielen - wenn auch wichtigen - Details gar keine Zeit bliebe. Wir Lehrer müssen pragmatisch denken, schon jetzt den Fächerkanon mit all seinem zugeordneten Lehrstoff und dazugehörenden Lehrinhalten durchforsten, und auf Inselstunden (sprich: Angerissen-Komprimiertes) zurechtstutzen.
Oft fehlen bei der Behandlung beliebigen Lehrstoffs gehaltvolle, vorgefertigte Informationstexte, die sowohl dem Sprachlichen als auch dem Sachlichen dienen, und ich sehe auf diesem Gebiet eine äußerst wichtige Bastion für die Wissenschaft. Sie sollte sich schon zum Zwecke der Multiplikation ihrer Gedanken verstärkt der Schulbucherstellung annehmen.

Es geht um den Weg, wie man von der einen Methode zur anderen gelangen kann.
Es geht aber auch darum, das Ziel attraktiv zu umschreiben, und herauszufinden, ob Schreibberufler und Lehrberufler aller Couleur und Güteklassen (?!) mit diesem Ziel übereinstimmen können und wollen. Hier scheint noch viel Überzeugungsarbeit nötig.
Doch auch der Weg ist wichtig - was die Schöpfer der Rechtschreibreform bewiesen haben.
Die haben ganz einfach etwas faktisch gemacht in Ignoranz sämtlicher Widerstände.
Ich denke, daß Sie, als Vertreter echter Liberalität, so nicht denken möchten!


[Geändert durch Norbert Schäbler am 02.03.2001, 06:19]
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eingetragen von Theodor Ickler am 28.02.2001 um 10.21

Daß ich die Varianten ins Unermeßliche steigere, ist - mit Verlaub - absoluter Quatsch. Dieser Eindruck kann nur bei jemandem aufkommen, der anstelle der Sprache, wie sie wirklich ist, immer nur den Duden anstarrt.
Ich habe auch nicht "zugegeben", daß "Zeitlang" ungrammatisch ist, sondern daß die Schulgrammatik des gegenwärtigen Deutsch so etwas nicht zu konstruieren erlaubt. Die Sprache ist ein System aus jeweils produktiven Regeln (Analogien) und überlieferten Formen, die früheren Regeln gehorchen oder auch singulär sind; das ist das geschichtliche Wesen der Sprache. Wollen wir den antiken Streit der Analogisten und Anomalisten aufs neue beginnen?

Zusammenrückungen wie "Zeitlang" oder "Armvoll" sind natürlich sehr leicht zu erklären, und dabei wird auch die Eigentümlichkeit verständlich, daß die Reihenfolge von Bestimmungswort und Grundwort hier umgekehrt ist. Es sind aber historische Vorgänge, daher der Vorbehalt mit der Schulgrammatik.

Ich bin nicht begeistert vom zwanghaften Hervorkehren der angeblich unterstellten Zweitrangigkeit des Schullehrers; Minderwertigkeitskomplexe stören jede Diskussion. Ich bin aber noch weniger bereit, die wirklichen oder vermeintlichen Bedürfnisse (oder sind es nur Gewohnheiten?) der Lehrer zur Richtschnur einer angemessenen Darstellung der deutschen Orthographie machen zu lassen. - Weiteres auf dem Nachrichtenbrett.


eingetragen von Norbert Schäbler am 28.02.2001 um 09.16

Vielleicht fehlt uns Lehrberuflern der Güteklasse B die letzte Einsicht in das Wesen und den Sinn der Rechtschreibung, haben wir doch immer nach dem Prinzip der Ausschließlichkeit unterrichtet und uns das Lizenzverfahren des Duden überstülpen lassen. Für Liberalisierung war da wenig Platz.
Nun aber ist sie da, diese Liberalisierung. Als Wolf im Schafspelz - unter dem Decknamen RSR - hat sie sich eingeschlichen. Sie hat Herrn Professor Icklers deskriptiven Ansatz ins Leben gerufen, der zum einen die RSR als Gängelung entlarvte, zum anderen aber die Freiheiten ins Unermeßliche steigerte. Es werden plötzlich Alternativen und Schreibvarianten ins Leben gerufen, die nebeneinander existieren sollen, was dem bisherigen Ausschließlichkeitsprinzip völlig entgegengelagert ist.
Da haben wir Lehrberufler absolute Schwierigkeiten zu folgen. Es ist schwer, von einem in das nächste Extrem zu verfallen.
Wir suchen in dieser Übergangszeit nach Krücken, nach einem Geländer, an dem wir uns festhalten können, möglicherweise nach einem Kompromiß.

Zwei Beispiele: Auf dieser Netzseite und auf http://www.rechtschreibreform.com wurden Fragen gestellt bzgl. der Wortdarstellung von "eine Viertelstunde" und "eine Zeitlang".
Alternative Schreibmöglichkeiten erspare ich mir an dieser Stelle, habe auch keine Einwände gegen den Sprachusus.
Eine sprachwissenschaftliche Beurteilung von Prof. Ickler zum Wort "Zeitlang" hat mich allerdings verunsichert. Er gibt zu, daß dieses Wort im Grunde ungrammatisch ist, da der Wortteil "lang" niemals Bestimmungswort sein kann, während der Wortteil "Zeit", der in dieser Zusammensetzung die Rolle des Grundwortes übernimmt, den Artikel bestimmt und regiert.
Die Existenz dieses Wortes sei allerdings gerechtfertigt aufgrund der Etymologie und nicht zuletzt des regionalen Bezuges.

Meine abschließende provokative Frage: Sollen wir Lehrer künftig Artenschutz betreiben?


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