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-- Dritter Bericht (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=389)
eingetragen von Pedro Schwenzer am 17.02.2003 um 17.18
Ich meinte das ja auch mehr scherzhaft und habe micht nicht extra bemüht, nachzusehen, ob das jetzt wirklich alles getrennt wird oder nicht. Mir ging es um die Sinnentstellung an sich und die Übertreibung der Worttrennung, die so gar keine feste Regel mehr befolgt. Es ist ja nicht das gleiche, etwas "zusammen zu bringen" oder "zusammenzubringen", usw. Die Entfremdung der Wortherkunft geht mit der Entfremdung der Gesellschaft einher.
Ein Beispiel am Rande: In London fiel mir kürzlich auf, daß dort - soweit ich das so wahrnehmen konnte - noch kultureller Halt vorhanden ist, wie auch in Spanien, die Sprache wird ja z.B. auch nicht durch "Germanismen" oder "Latinismen" aufgeweicht. Man spúrt noch eine natürlich und historisch gewachsene Gesellschaft. Selbst die Zuwanderer sind ja eigentlich englischsprachig und weichen die gesellschaft sprachlich nicht auf.
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Pedro Schwenzer
eingetragen von Wolfgang Wrase am 17.02.2003 um 16.13
Auch nach den neuen Regeln schreibt man "zusammenkommen" usw. zusammen. Aber Ihr Beispiel, Herr Schwenzer, ist dennoch berechtigt, weil plötzlich alle Welt meint, ebensolche Wörter getrennt schreiben zu müssen. Überall in Zeitungen und Zeitschriften begegnet man diesem über die neuartige Regel hinausschießenden Getrenntschreibungswahn. Und wenn wir die Reform kritisieren, dann meinen wir genau dies: nicht, was die Reformväter sich dabei ursprünglich Schönes und Edles dabei gedacht haben mögen, sondern was konkret dabei herauskommt. Dazu gehört ohne Zweifel die von Ihnen aufgegriffene Getrenntschreibung auch bei der Verbzusatzkonstruktion "zusammen + Verb". Aktuelles Beispiel aus "Spiegel Online", und zwar unter
http://www.spiegel.de/politik/europa/0,1518,236644,00.html
Brüssel war der Versuch, zusammen zu bringen, was eigentlich gar nicht zusammen zu bringen ist ...
eingetragen von Pedro Schwenzer am 17.02.2003 um 14.46
tief greifend
Ich halte das für eine wirklich sehr zeitgemäße Wortschöpfung:
"Tief greift die Regierung den Bürgern in dieTasche"
Also sind Reformen tief greifend.
Und angesichts der Lage in Deutschland wird sie wohl immer tiefer greifen müssen, aber tiefgreifende Reformen gibt es nicht, geht ja "worttechnisch" nicht mehr. Da versteht man doch, warum es keine umfassenden Reformen gibt, die in die Tiefe versunken sind und nach etwas zu greifen versuchen, das es gar nicht gibt.
Vielleicht ein Beispiel, wohin uns die Zerstörung der sprachlichen Struktur bringen kann. Eine amputierte Sprache hindert die Menschen am Begreifen komplexer Strukturen oder Problemstellungen.
Wenn wir jetzt nur noch zusammen kommen (wohin oder woher?), ist sowieso nichts mehr zu machen, wir verstehen uns nicht mehr, jeder geht seinen Weg. Wir werden nur noch Worte zusammen bringen (iregndwohin), aber zusammen passen sie nicht mehr. Das ist wie das Lösen der Schrauben an einer Maschine, und hier haben die Reformer so ziemlich alle gelöst. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die Maschine auseinanderfällt.
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Pedro Schwenzer
eingetragen von Theodor Ickler am 23.02.2002 um 18.32
Brief von A. K. (Auszug):
"In der SZ vom Freitag las ich mit Vergnügen und unter mehrfachem Kopfnicken Ihren Artikel zur aktuellen Rechtschreibreform.
Als Lehrer (Volksschule, Hauptschule) bin ich von den Auswirkungen der Reform natürlich betroffen und als Buchautor war ich noch früher von deren Wehen und Wirren erfasst.
Ihre Ausführungen über die Geheimniskrämerei bei der Gestaltung der Reform und vor allem die weniger bekannten
Hintergrundinformationen über den Zeitdruck bei der plötzlichen Einführung haben mich beeindruckt.
Ich unterrichte in diesem Schuljahr erstmals Kinder, die von Anfang an nach der neuen Rechtschreibung zu schreiben
gelernt haben (6. Klasse). Mein Eindruck ist nicht, dass deren Rechtschreibung schlechter wäre als die ihrer Vor-Schüler - aber auch nicht besser. Dies bestätigt natürlich Ihre Aussage, dass die Reform unnötig war/ist.
Die Verlage (hier ein Schulbuchverlag) hatten m. E. gar keine Wahl, da sich das Inkrafttreten der Reform als unausweichlich am Horizont abzeichnete.
Auf alle Fälle wünsche ich Ihnen die Kraft und die Lust, weiterhin gegen die Deform anzukämpfen."
Brief von Dr. M. G. zu "Rückbau" (Auszug):
"Na, das is'n Ding. Einigen Leuten dämmert es, daß die deutsche Orthographie nicht grundlos so ist, wie sie war. Daß die Kultusminister das nicht wußten, mag ich noch glauben; daß die Sprachsachverständigen, die hinter der vermaledeiten sog. Rechtschreibreform stehen, überrascht sind, daß häufig Getrennt- und Zusammenschreibung mit gravierenden Bedeutungsunterschieden einhergeht, will mir nicht in den Kopf. Es erhärtet sich mir der Verdacht, daß die gesamte Rechtschreib-Änderung allei wirtschaftlichen Interessen dient; und zwar weit raffinierter, als der kleine Mann sich das vorstellen konnte.
Nicht nur, daß Millionen von neuen Wörterbüchern gedruckt und unter die Leute gebracht werden mußten; nein, jetzt stellt sich heraus, daß es künftig zwei Ausgaben geben muß - Deutsch für die Denker und Deutsch für die Dummen.
Wer zieht denn endlich mal einen Schlußstrich unter diese Miß-Reform? Ist es denn so schwierig, einen Fehler zuzugeben?"
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Th. Ickler
eingetragen von Theodor Ickler am 23.02.2002 um 11.07
Zuerst möchte ich darauf hinweisen, daß ich die dritte Fortsetzung meines Kommentars (hier weiter unten) noch um einige Beobachtungen ergänzt habe. Jetzt geht es hier weiter.
Auf S. 15 lassen die Reformer durchblicken, daß sie nach wie vor an ihrem eigentlichen Hauptziel aus den siebziger Jahren, der Substantivkleinschreibung, festhalten. Selbstverständlich haben sie dafür vor allem von Grundschullehrern Zustimmung erhalten, denen die Reform "nicht weit genug geht". (Sie geht, genauer gesagt, gerade in die entgegengesetzte Richtung.)
DIESE Reformer werden jedenfalls ihr Ziel "Kleinschreibung" niemals aufgeben, und man konnte ja schon früh vermuten, daß die exzessive Großschreibung nur ein besonders raffiniertes Mittel ist, um schließlich die Kleinschreibung als Erlösung anpreisen zu können. Denn von der weitergehenden Großschreibung war ugst ja nie überzeugt, vgl.
"Ein anderer Versuch von Erich (sic! Eugen) Wüster lief darauf hinaus, durch vermehrte Großschreibung eine weniger problematische und einsichtigere Grenzziehung zwischen Groß- und Kleinschreibung zu erreichen. Eine seiner Regeln lautete: entweder groß und auseinander oder klein und zusammen. Hugo Moser hat jedoch in einer umfangreichen Studie - wiederum mit großen Wortlisten - nachgewiesen, daß auch diese Grenzziehung Ungereimtheiten in Kauf nehmen muß, daß eine Grenzziehung grundsätzlich nicht möglich, da die Wortart 'Hauptwort' nicht zu fixieren ist." (Augst in Augst, Gerhard (Hg.): Rechtschreibung mangelhaft? Heidelberg 1974:44)
Wie hieß es doch in der Dudenbroschüre von 1994?
"Es ist ein Anfang gemacht worden, weitere Vereinfachungen und Verbesserungen können sich zu einem späteren Zeitpunkt anschließen." (S. 7)
Und schon in der Abschlußerklärung von 1986 sagten dieselben Verfasser: "Erst in einem zweiten Schritt soll die umstrittene Groß- und Kleinschreibung in Angriff genommen werden."
Aufschlußreich ist, wie im 4. Abschnitt des ersten Teils die Nachrichtenagenturen abgehandelt werden. Einzelne Kommissionmitglieder und besonders Heller haben versucht, die Agenturen auf Vordermann zu bringen, weil natürlich die dezidierte Abweichung besonders bei der Groß- und Kleinschreibung von Nominationsstereotypen ein ständiges Ärgernis bleibt. dpa-Chef Herlyn und sein Mitarbeiter Nürnberger wurden kräftig bearbeitet (wovon mir übrigens Herr Nürnberger einmal stöhnend erzählte). Am Schluß rühmt sich die Kommission, die Agenturen schon fast in die Knie gezwungen zu haben: nur noch zwei Dutzend fester Begriffe wollen sie groß schreiben. Daraus wird natürlich nichts werden, weil die Tendenz zur Großschreibung von Nominationsstereotypen eine der stärksten und begründetsten ist.
Aber abschließend sprechen die Kommissionäre die Erwartung aus, daß die Agenturen sich noch vollständig unterwerfen werden. Absurderweise weicht die Kommission ja gleichzeitig diese verordnete Kleinschreibung unter dem Deckmantel der "Fachsprachlichkeit" wieder auf.
Mit den Anhängen des Berichtes wollte ich mich eigentlich gar nicht befassen. Sie haben so etwas Eklig-Klebriges. Wenn ich einen anderen beim Schummeln erwische, fühle ich mich irgendwie mitbesudelt. Aber es ist wohl nicht ganz zu vermeiden.
Als Anlage 1 ist dem Bericht der schon bekannte Text "Immer wieder falsche Beispiele" angefügt, der seit 2000 auch auf der Internetseite der Kommission steht. Zur Kennzeichnung der Vorgehensweise will ich einmal drei aufeinander folgende Beispiele herausgreifen. Ich füge der Gegenüberstellung von "Falschmeldung" und "Richtigstellung" jeweils meinen Kommentar hinzu:
Falschmeldung:
"[...] der Staat [...] überschreitet seine Kompetenz, [...] indem er meint, diktieren zu können, [...] daß Schneuzen von Schnauze kommt." (Appell der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, FAZ vom 4.8.2000)
Richtigstellung:
Ein Blick in die einschlägigen etymologischen Wörterbücher belegt die Verwandtschaft von Schnauze und schnäuzen. Vgl. Kluge, 23. Aufl. 1995, S. 735 ff. und Pfeifer (Hrsg.), München
1997, S. 1228 ff.
Kommentar: Die Wörterbücher sagen sachlich richtig, daß die beiden Wörter verwandt sind, nicht aber, daß schneuzen (mhd. sniuzen) von Schnauze abgeleitet ist. Mehr hatte auch die Akademie nicht behauptet.
Falschmeldung:
"Und verbläuen ist nicht mit blau verwandt." (K. Reumann, FAZ vom 10.8.2000; S. 3)
Richtigstellung:
"Zerbläut ihn! Schlagt! / Sein Maul soll jedes Wort entgelten!" (aus einem Gedicht Friedrich von Hagedorns, 1757, in der FAZ vom 9.8.2000 (!); S. N 6)
Kommentar: Es ist nichts Neues, daß manche Menschen verbleuen, einbleuen usw. mit blau in Verbindung bringen. Das mag auch Hagedorn so empfunden haben - dessen Text allerdings aus einer orthographisch ungefestigten Frühzeit stammt und nur begrenzt solche Rückschlüsse zuläßt. Dennoch ist es nicht damit verwandt, und die von der Reform verordnete, nunmehr allein gültige volksetymologische Schreibweise ist damit nicht zu rechtfertigen.
Falschmeldung:
"Die Kultusminister haben ... gesagt, die Neuerung schaffe kein einziges Wort ab. Aber das ist nicht die Wahrheit; denn so dumm sind die Minister nicht, daß sie nicht wüßten, welch ein Bedeutungsunterschied zwischen schwer fallen und schwerfallen besteht." (K. Reumann, FAZ vom 10.8.2000)
Richtigstellung:
Er ist schwer gefallen und es ist ihm schwer gefallen sind syntaktisch ganz unterschiedliche Konstruktionen. Auch wenn schwer fallen jetzt - wegen der Steigerbarkeit des Adjektivs - in beiden Fällen getrennt geschrieben wird, geht keine Bedeutung verloren, sondern allenfalls ein Wörterbucheintrag. Im Kontext ist schwer fallen immer eindeutig. Das Gleiche gilt für leicht fallen, heilig sprechen usw.
Kommentar: "Bedeutungen" gehen freilich nie verloren, denn man kann sie in jeder beliebigen Sprache und Schrift ausdrücken. Verloren geht durch die obligatorische Getrenntschreibung eine Unterscheidungsschreibung, die bisher gegeben war und hier sogar durch unterschiedliche Betonung gestützt wurde. Durch die Reform gehen Wörter insofern verloren, als sie aus den Wörterbüchern verschwinden, z. B. sogenannt.
In allen Fällen "widerlegen" die Reformer etwas, was gar nicht behauptet worden ist, und "beweisen" etwas, was niemand bestritten hat. Was ist von Wissenschaftlern zu halten, die sich einer solchen eristischen Dialektik bedienen?
– geändert durch Theodor Ickler am 25.02.2002, 04.43 –
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Th. Ickler
eingetragen von Jörg Metes am 22.02.2002 um 12.30
Ich sehe die Dämme nun wirklich brechen. Der dritte Bericht gibt die neue Getrenntschreibung verloren. Um die Wiederzulassung von Zusammenschreibungen wie zufriedenstellend zu begründen, führt er - Herr Ickler hat die Stelle bereits zitiert - ein Kriterium an, das in diesem Zusammenhang im Regelwerk einfach nicht vorkommt:
Die Variantenschreibungen zufriedenstellend und nichtssagend entsprechen zwar der amtlichen Regelung, sind im amtlichen Wörterverzeichnis aber nicht ausdrücklich genannt. Entsprechend der unter 1. gegebenen Begründung (Steigerbarkeit) wäre es richtig, die zusammengeschriebenen Formen bei einer Neuauflage des Duden (der jetzt schon ein zufriedenstellenderes Ergebnis verzeichnet) zu berücksichtigen.
Im Regelwerk wird Steigerbarkeit aber ausschließlich als Begründung für Getrenntschreibung (von Verbindungen aus Adjektiv und Verb) herangezogen (§34 E3(3)).
In der Ausgabe des Duden von 1996 waren nur die getrennten Schreibungen aufgeführt, allerdings stets mit dem Verweis auf R 40 (= Richtlinie 40), die - in Ubereinstimmung mit dem amtlichen Regelwerk - Zusammenschreibung fordert, wenn der zweite Bestandteil gesteigert ist.
Im Regelwerk werden Richtlinien gleich welcher Nummer nirgends auch nur erwähnt.
Vor drei Monaten noch hat mir die Bertelsmann-Sprachberatung ausdrücklich geschrieben, daß etwa tief greifend nur so und nicht anders zu schreiben sei, der Komparativ tiefgreifender dagegen zusammen (siehe Strang Radio und Fernsehen).
Man kann ja wohl davon ausgehen, daß ich nicht der einzige war, der sich speziell mit dieser Fragestellung an die Bertelsmann-Sprachberatung gewandt hat. Man kann davon ausgehen, daß es sich hier nicht um die Privatmeinung einer einzelnen Mitarbeiterin handelte. Noch im November 2001 war den Rechtschreibungsexperten von Bertelsmann von einem Kriterium der Steigerbarkeit, das hier anzuwenden wäre, nichts bekannt.
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Jörg Metes
eingetragen von Theodor Ickler am 19.02.2002 um 14.49
Der dritte Bericht hat am 31. Januar/1. Februar 2002 der Amtschefskonferenz der Kultusministerien vorgelegen. Sie hat ihn zustimmend zur Kenntnis genommen. Die nächste KMK-Sitzung ist am 28. Februar/1. März, aber der Bericht steht nicht auf der Tagesordnung. Der Beirat wird erst 2003 wieder zusammentreten, um den nächsten Bericht der Kommission zu beraten. Es ist also nicht zu erwarten, daß sich in der nächsten Zeit offiziell noch etwas bewegt. Genau wie nach der Mannheimer Anhörung werden heimlich beschlossene Änderungen in die nächsten Auflagen der Rechtschreibwörterbücher, die im Laufe des Sommers erscheinen werden, eingeschleust werden. Keiner der verantwortlichen Auftraggeber ist fähig oder auch nur willens, die Vereinbarkeit der Veränderungen mit dem amtlichen Regelwerk zu überprüfen.
Das ganze Verfahren ist darum so dubios, weil niemals Kritiker eingeladen werden, die den Bericht doch in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen könnten. Der Bericht hat das Hauptziel, die politischen Auftraggeber zu beruhigen. Es ist grotesk, wie sehr er die Wirklichkeit verfälscht. Zum Beispiel im Kapitel über Deutsch als Fremdsprache. Kein Wort zum elenden Zustand der umgestellten Lehrwerke. Von den Auslandsgermanisten kommt ein ungarischer Kollege zu Wort, der die Reform nicht ablehnt. Die vielen Kritiker erwähnt der Bericht natürlich nicht, auch nicht die sonstigen üblen Folgen der Reform. - Die linguistischen Erörterungen kann kein Politiker oder Amtschef durchschauen, wenn sie ihm nicht von einem Fachmann erläutert werden; aber als Experten waren immer nur hundertprozentige Reformbetreiber beteiligt.
Es ist also unsere Aufgabe, alle diese schäbigen Tricks der Reihe nach zu entlarven.
Warum tagt die Kommission, tagt der Beirat nicht öffentlich? Aber dann besteht die Gefahr, daß die Betroffenen selbst sich melden und die tödliche Frage stellen, warum man eine solche Reform nicht einfach beendet. Aus diesem Grunde wurde schon die Mannheimer Anhörung unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgeführt und die Handvoll dennoch erschienener Journalisten kurzerhand des Saales verwiesen, obwohl Platz genug für eine ganze Reihe zweifelhafter Gestalten war.
Intolerables aus dem Bericht:
"In den Schulen und darüber hinaus sollte stärker als bisher die Einsicht in die Dynamik der Sprache deutlich gemacht werden. Diese Dynamik erscheint synchron als Varianz und diachron als Sprachgeschichte. Die Veränderung der Rechtschreibung könnte damit trotz (amtlicher) Normierung als etwas der Rechtschreibung Wesengemäßes verstanden und toleriert werden. Damit könnten Varianten akzeptabler und Veränderungen tolerabler werden." (S. 112)
Ein schönes Beispiel für die rhetorischen Verschleierungsversuche der Kommission. Dem Wort Veränderung sieht man nicht an, ob es von verändern oder sich verändern kommt. Mit dieser Zweideutigkeit spielen die Reformer hier und an vielen anderen Stellen. Es ist aber ein Riesenunterschied, ob die Sprache sich (im Gebrauch) verändert, oder ob man sie durch einen machtbewehrten Eingriff verändert. Das Ganze verbunden mit der Aufforderung, die arglosen Schüler durch solche Wortspiele zu verwirren. Solche Schamlosigkeit ist nicht tolerabel.
Oben auf der Nachrichtenseite ist gerade noch einmal die Frage aufgeworfen worden, wer der Neuregelung folgen "muß". Wie Horst H.Munske schon vor einigen Jahren dargelegt hat, sind das sehr viele Menschen. Also außer den Schülern zum Beispiel der gesamte öffentliche Dienst. Aber auch Journalisten können zwar wie gewohnt schreiben (und tun es), aber sie müssen dulden, daß ihre Texte in die möglicherweise von ihnen abgelehnte Neuschreibung überführt werden. Auf längere Sicht kann sich kein Journalist widersetzen.
Es trifft sich, daß im dritten Bericht folgende aufschlußreiche Stelle zu finden ist:
"In sehr kleinem Umfang machen manche Schreibende, die nicht durch die Regelungsvollmacht des Staates gezwungen sind, der neuen Rechtschreibung zu folgen, von ihrer Freiheit Gebrauch, Teile der Neuregelung nicht zu vollziehen oder partiell Änderungen vorzunehmen." (S. 108)
Regelungsvollmacht - Zwang - Freiheit ...
Hier noch etwas anderes, unter dem Titel "Verunsicherungen":
Nachdem die Kommission erwähnt hat, daß auch unter Sprachwissenschaftlern unterschiedliche Meinungen über die RSR bestehen, geht sie sogleich zu den "Verunglimpfungen" über, denen sie ausgesetzt sei, verunglimpft aber ihrerseits Birken-Bertsch und Markner, indem sie deren Buch wahrheitswidrig als "Auftragsarbeit" für den Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung bezeichnet. Anschließend kriegen diese Akademie und besonders ich etwas ab, und nur Dieter E. Zimmer findet ein wenig Gnade. Die eigentlich sprachwissenschaftliche Kritik, also mein wissenschaftlicher Kommentar, die vielen kritischen Beiträge von Bierwisch, Suchsland, Munske usw. kommen überhaupt nicht in den Blick.
Natürlich ist den Amtschefs, die dieses Papier "zustimmend zur Kenntnis" genommen haben, ein völlig verzerrtes Bild der wirklichen Lage vermittelt worden. Aber etwas anderes wollten sie wohl auch gar nicht.
In der Einleitung heißt es:
"Beiden Beiräten wurde der vorläufige Bericht Anfang August 2001 zugesandt. Der bundesrepublikanische Beirat hat am 25. und 26. September über diesen Bericht mündlich verhandelt. Am ersten Tag haben der Vorsitzende und der Geschäftsführer der Zwischenstaatlichen Kommission beobachtend an der Beratung teilgenommen, am zweiten Tag auch die übrigen Mitglieder der Kommission. Als Gäste nahmen auch einige österreichische und Schweizer Mitglieder der Zwischenstaatlichen Kommission sowie der Vorsitzende des österreichischen Beirats, Ministerialrat Dr. Fritz Rosenberger, Leiter der Gruppe V/E. BMBWK (Wien) teil."
Diese Angaben haben etwas Verwirrendes. Zuerst heißt es, auch "die übrigen" Mitglieder der Kommission hätten an der Beratung teilgenommen, also insgesamt alle zwölf, aber dann ist plötzlich davon die Rede, einige österreichische und Schweizer Mitglieder seien "als Gäste" dabeigewesen. Dahinter verbirgt sich also wieder der peinliche Umstand, daß nur die sechs deutschen Mitglieder der Kommission sich überhaupt von dem selbstausgesuchten deutschen "Beirat" beraten lassen. Die österreichischenhaben ihren eigenen Beirat, und die Schweizer sind freischwebend dabei, wenn es ihnen paßt.
Übrigens wird der deutsche Beirat ständig als "bundesrepublikanischer" bezeichnet, obwohl Österreich ebenfalls eine Bundesrepublik ist. Manchmal heißt es auch "bundesdeutsch", als ob die DDR noch existierte, der die deutschen Reformer allerdings innerlich immer noch sehr verbunden sind. So etwas schleift sich natürlich ein, zumal die Ostdeutschen Nerius, Heller und Herberg ja immer noch der Kommission angehören.
"Wenn die Übergangszeit und die Fehlertoleranz beendet sind, wird sich auch ein stärkerer Anreiz zur Fehlervermeidung ergeben." (S. 8)
Das klingt ziemlich bedrohlich. Anscheinend soll dss Ende der Spaßpädagogik eingeleitet werden. "Mut zur Erziehung" ist gar nichts dagegen. Interessant, wo die GEW-Genossen inzwischen angelangt sind.
– geändert durch Theodor Ickler am 24.02.2002, 12.02 –
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Th. Ickler
eingetragen von Theodor Ickler am 19.02.2002 um 13.42
Herr Wagner, aber wenn man seit Jahren fast täglich solche Ermunterungen zu lesen und zu hören bekommt, dann wird man wohl ein bißchen überempfindlich und fragt sich: Warum machen die Leute es nicht erst einmal selbst und berichten dann über den Erfolg? Freut mich zu hören, daß Sie schon aktiv sind. Nichts für ungut (demnächst wohl Ungut - wegen der noch weiter gehenden "Systematisierung")!
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Th. Ickler
eingetragen von J.-M. Wagner am 19.02.2002 um 09.51
Zitat:Hiermit möchte ich um Entschuldigung für meine Wortwahl bitten; dies war lediglich als ein Vorschlag gedacht und nicht als dringende Mahnung. Was wissen Sie darüber, Herr Ickler, was ich mache und was nicht? Halten Sie meinen Vorschlag für hilfreich bzw. brauchbar oder nicht? Und wenn irgend jemand ihn für sinnvoll hält, dann kann er/sie doch immer noch selber entscheiden, ob und wie er/sie das wirklich macht. Oder man hält meinen Vorschlag für dummes Geschwätz und macht dann das damit, was man mit allen Diskusionsbeiträgen dieser Art macht (solange das ungefährlich ist): man ignoriert's.
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Entweder man tut es, oder man läßt es bleiben. Aber solche Absichten hier öffentlich zu verkünden, damit andere sich an die Arbeit machen, ist wohl nicht sonderlich geschickt.
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von J.-M. Wagner am 19.02.2002 um 09.40
(genauer: "Vechtaer Variantenempfehlung [VVE]"):
http://www.orthografiereform.de/buch/auszuege/auszuege.html
– geändert durch J.-M. Wagner am 22.02.2002, 10.55 –
eingetragen von Reinhard Markner am 19.02.2002 um 02.09
Die Reformer spielen auf Zeit. Das ist nicht neu, aber selten war es so deutlich zu sehen wie in dem zitierten Anschreiben.
eingetragen von Matthias Dräger am 18.02.2002 um 19.23
Würde ein Ingenieur in leitender Stellung für ein von ihm zu verantwortendes Projekt vom Kaliber der Rechtschreibreform nach geraumer Zeit hierüber das sagen, was die Herrn Gerhard Augst und Klaus Heller in ihrem Bericht schreiben:
„(...) und da unter (2) belegt wird, dass bisher vorgeschlagene Alternativen a l l e* ihr Für und Wider haben, (...)“
dann würden in einem gesunden Unternehmen diese Leute, noch bevor der kleine Zeiger auf der Uhr einmal rum ist, ein Schriftstück in der Hand halten mit etwa dem folgenden Wortlaut:
„Sehr geehrter Herr Augst,
(und ein gleichlautendes Schreiben erhielte auch ein Herr Heller)
wegen Ihrer Leistungen bei der Vorbereitung und dem Versuch der Durchführung des Projektes xy sehen wir uns leider gezwungen, Sie mit sofortiger Wirkung von Ihren Aufgaben zu entbinden. Wir möchten Sie bitten, Ihren Schreibtisch bis 14:00 zu räumen und alle weiteren Fragen schriftlich mit Herrn ... über unsere Personalabteilung abzuwickeln. Wir danken für Ihr Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Deutschland GmbH“
Da die Leistungen der Herren Augst, Heller & Co in den einschlägigen Kreisen längst bekannt sind, sagt die Tatsache, daß diese Leute ungestört weiterwurschteln dürfen, eigentlich nicht mehr viel über sie selbst als vielmehr über das Management der Deutschland GmbH aus.
* Hervorhebung durch md
eingetragen von Theodor Ickler am 18.02.2002 um 19.18
Entweder man tut es, oder man läßt es bleiben. Aber solche Absichten hier öffentlich zu verkünden, damit andere sich an die Arbeit machen, ist wohl nicht sonderlich geschickt.
Übrigens ist der Befund für zufriedenstellend eindeutig: Duden 2000 hat die Zusammenschreibung noch nicht wieder eingeführt, wohl aber Duden Universalwörterbuch 2001. Die "Beratung" durch die Kommission hat also schon gewirkt. Der neue Rechtschreibduden von 2002 wird nachziehen.
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Th. Ickler
eingetragen von J.-M. Wagner am 18.02.2002 um 18.23
Da der 3. Bericht offiziell noch nicht offiziell ist, sich aber abzeichnet, was an "Korrekturen" vorgenommen werden wird, sollte man die Gelegenheit nutzen und sich - ganz im Sinne des Ausrufs von Herrn Ickler: »Wer hätte nach den ersten Jahren des Umgangs mit der Reform gedacht, daß zufriedenstellend dem Regelwerk entspricht!« - jetzt noch (auf geschickte Weise!) bei den Sprachberatungen von Bertelsman, Duden und dem IDS darüber vergewissern, daß diese Schreibungen nicht regelkonform sind! Wie schön man sie dann wohl in ein paar Monaten in's eigene Messer wird laufen lassen können ... denn die Regeln sollen ja nicht geändert werden!
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von Theodor Ickler am 18.02.2002 um 14.00
Von jetzt an beziehen sich meine Kommentare, wenn nicht anders vermerkt, auf die endgültige Fassung des dritten Berichts, die mir seit heute vorliegt. Übrigens ist diese Fassung, wie ich auf dem Nachrichtenbrett schon gesagt habe, als VERTRAULICH gekennzeichnet. Der erste Bericht trug den Vermerk "Nicht zur Veröffentlichung bestimmt". So ist das heute in Deutschland: Die Rechtschreibreform ist geheime Verschlußsache, ja Staatsgeheimnis. Das Volk, das sich ja immerhin dieser Neuregelung und allen weiteren orthographischen Entscheidungen der Kommission unterwerfen soll, bekommt nur die letzten Ergebnisse vorgesetzt, aber auch nur dann, wenn es die jeweils neuesten Wörterbücher der Großmächte Bertelsmann und Duden kauft.
Hier nun das Wichtigste aus dem Anschreiben der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung an das KMK-Sekretariat (15. 12. 2001):
(...)
"Dieser Bericht hat in einer Entwurfsfassung den nationalen Beiräten Deutschlands und Österreichs vorgelegen. Die Stellungnahmen sind im Anhang des Berichts abgedruckt, ferner sind Vorschläge, Hinweise und Bewertungen in die Endfassung des Berichts mit eingegangen.
Gerade die Einschätzung der beiden Beiräte hat die Kommission in ihrer Grundeinsicht bestärkt, in diesem Bericht
(1) die Einführung der neuen Rechtschreibung in allen Schreibbereichen genau zu untersuchen und darzulegen (Teil 1) und
(2) die inhaltlichen Hauptkritikpunkte ausführlich zu erörtern und in einem Pro und Kontra vorgeschlagene Alternativlösungen zu diskutieren (Teil 2).
Da der Befund unter (1) zeigt, dass die Einführung der neuen Rechtschreibung noch nicht abgeschlossen ist, und da unter (2) belegt wird, dass bisher vorgeschlagene Alternativen alle ihr Für und Wider haben, hat die Kommission sich entschlossen in diesem Bericht keine Vorschläge zur Veränderung zu machen.
Sie möchte
(1) die Entwicklung weiter beobachten und
(2) die möglichen Veränderungen sorgfältig mit den Beiräten und der Fachwissenschaft wie der Fachdidaktik diskutieren.
Der nächste Bericht Ende 2003 wird dann, falls notwendig, explizite Vorschläge enthalten. Den staatlichen Instanzen bleiben damit bis zum Ende der Übergangszeit (31. Juli 2005) eineinhalb Jahre Zeit, um sich mit den Vorschlägen der Kommission zu befassen und sie ggf. rechtzeitig in Verordnungen umzusetzen.
Bezogen auf den jetzt eingereichten Bericht möchten wir Ihnen noch die Empfehlung des deutschen Beirats weitergeben, den Bericht öffentlich zu machen. Wir möchten unsererseits dazu raten
- dies im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Deutschland, Liechtenstein, Österreich und Schweiz zu tun und
- eine eigene bewertende Einschätzung bzw. mögliche Konsequenzen hinzuzufügen, um so die zu erwartende öffentliche Diskussion zumindest am Anfang zu steuern."
(...)
(Unterzeichnet von Augst und Heller)
Man achte hier besonders auf den latenten Kampf zwischen dem Beirat, der den Bericht veröffentlichen will, und der Kommission, die das am liebsten verhindern möchte, aber wenigstens die zu erwartende Diskussion "steuern" (d. h. in gewohnter Weise manipulieren) will. Ein abgekartetes Spiel der Reformer mit der Staatsmacht, wie seinerzeit von Leo Weisgerber ins Auge gefaßt. Mit "gesteuerten Diskussionen" haben ja auch die Reformer Nerius und Heller aus DDR-Zeiten beste Erfahrungen. Das ist nicht demokratisch und steht auch in krassem Gegensatz zum Votum des Bundestages: "Die Sprache gehört dem Volk."
Aus der "Stellungnahme" des deutschen Beirats zum Entwurf des 3. Berichts (Anlage 5):
"Der Beirat versteht sich als beratendes Gremium, das vom Standpunkt der Praxis aus die Vorschläge der Kommission im Hinblick auf Praktikabilität und Akzenptanz überprüft.
Auf der Basis einer fünfstündigen Diskussion des Berichtsentwurfs und unter Einbeziehung zweier schriftlicher Voten gelangt der bundesrepublikanische Beirat zu nachstehender Stellungnahme:
Der bundesrepublikanische Beirat setzt sich mit Nachdruck dafür ein,
1. dass keine grundlegende alternative Regelung von zentralen Komplexen des amtlichen Regelwerks vorgenommen wird, sondern dass die vorhandenen Regeln präzisiert werden.
Diese Präzisierungen sollen ausschließlich auf der Basis des amtlichen Regelwerks erfolgen. Eine 'Reform der Reform' ist weder sachlich begründet noch aus der Sicht der Schreibenden sinnvoll. Trotz der in einigen Punkten divergierenden linguistischen Ansichten darf nicht übersehen werden, dass das Regelwerk in weiten Bereichen eine deutliche Systematisierung vornimmt (z. B. generelle Getrenntschreibung von Infinitiv und Verb). Aufgabe kann es daher nur sein, die vorhandenen Regeln erforderlichenfalls zu präzisieren.
2. dass vor dem Ablauf der Übergangszeit aufgrund unzureichender Erfahrungen keine Präzisierungen am amtlichen Regelwerk vorgenommen werden.
(...)
3. dass langfristig eine behutsame Weiterentwicklung in Richtung auf eine noch stärkere Systematisierung der Regln anzustreben ist.
Ausnahmen erschweren die Erlernbarkeit der Rechtschreibung. Insofern die Sprachgemeinschaft die interiorisierten Regeln per Analogiebildung auf bestehende Ausnahmen ausweitet, ist das Regelwerk an den beobachteten Sprachgebrauch anzupassen. Entsprechende Tendenzen zeichnen sich z. B. bei der Schreibung von Zahladjektiven wie *der Eine, *der Andere und *die Meisten ab."
Anmerkungen von Th. I.:
Der Beirat ist hauptsächlichen mit denen besetzt, die aus wirtschaftlichem Interesse an der Durchsetzung und Beibehaltung der Reform interessiert sind. Wie schon bei der Mannheimer Anhörung dürften die Statisten vom Deutschen Institut für Normung usw. kaum den Mund aufmachen. Bertelsmann und Duden zeigen, wo es langgeht. So erklärt es sich, daß der Beirat auf jeden Fall verhindern möchte, daß die gesamte Neuregelung noch einmal überdacht und gegebenenfalls zur Disposition gestellt wird. Auch brauchen die Verlage die Zeit bis 2005, damit die gewaltigen Kosten der Umstellung sich amortisieren. Unter diesem Aspekt wird die grotesk anmutende Fiktion aufrechterhalten, es habe bisher noch keine "Präzisierungen", d. h. Veränderungen gegeben.
Von linguistischem Unverstand zeugt zum ersten der Hinweis auf die Getrenntschreibung von Infinitiv und Verb, denn gerade diese Festlegung beruht auf der unsinnigen Behauptung, zwischen kennenlernen und schwimmen lernen gebe es keinerlei grammatischen Unterschied. Vom selben Schlag ist die Behauptung, die bisherige Kleinschreibung der Zahladjektive sei eine "Ausnahme". Hier wird in längst überholter, gerade auch vom Reformarbeitskreis zurückgewiesener Weise die Artikelfähigkeit als Kriterium der Wortart Substantiv und damit der Großschreibung zugrunde gelegt.
Der Beirat regt ferner an, den Begriff der Fachsprachlichkeit so auszuweiten, daß es der Sprachgemeinschaft freigestellt ist, die Rote Karte usw. auch wieder groß zu schreiben, ohne daß die Regeln geändert werden müßten.
In dieselbe Richtung zielt der Vorschlag des österreichischen Beirats für Sprachentwicklung (Anlage 6). Er sieht
"in der Frage der Groß- und Kleinschreibung von Nominationsstereotypen nach der Art S/schwarzes Brett die praktikabelste Lösung darin, dass grundsätzlich Kleinschreibung des ersten Bestandteils (Adjektiv) vorgesehen wird, dass es aber keinerlei 'Fehler' sein soll, wenn betroffene Personen (etwa Mitglieder bestimmter Vereine, Interessensvertretungen) ihre jeweiligen Anliegen (z. B. Offenes Lernen, Lebensbegleitendes Lernen, Gelbe Karte) durch Großschreibung kennzeichnen wollen. Das Regelwerk muss sich dazu nicht unbedingt äußern."
Ebenso möchte der österreichische Beirat "dem Toleranzgedanken, namentlich im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung, mehr Raum geben".
Dies kann man wohl als typisch österreichische Lösung bezeichnen, die den Kenner und Freund unseres Nachbarlandes mit nicht geringer Heiterkeit erfüllen dürfte.
Fazit: Man schreibt in diesen umstrittenen Bereichen wieder so wie früher, tut aber so, als sei alles mit der Neuregelung verträglich. (Wenn bloß die Sternchen - für "neu" - im amtlichen Wörterverzeichnis nicht wären!)
– geändert durch Theodor Ickler am 20.02.2002, 06.26 –
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Th. Ickler
eingetragen von J.-M. Wagner am 16.02.2002 um 17.56
Gibt es dazu irgend etwas in dem Bericht, oder ist das ein völlig unbedeutendes "Problem"? In Ihrem »Kritischen Kommentar« wird das ja auf den Punkt gebracht. - Es scheint sich also eine gewisse Strategie herausgebildet zu haben, die "(un)echten Änderungen" dadurch zu vertuschen, daß man entsprechende Einträge im Wörterverzeichnis macht und gleichzeitig dessen Bedeutung herunterspielt. Wenn das gelingt, könnte man es ja irgendwann offiziell ändern (um dann z. B. auch nochmal* einzufügen) und weiterhin behaupten, an "den amtlichen Regeln" an sich hätte sich nichts geändert.
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von Theodor Ickler am 16.02.2002 um 05.08
"Th. Ickler, der als einer der schärfsten Kritiker der Neuregelung in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, hat in der Zwischenzeit ein eigenes Wörterbuch publiziert, das weder die Regeln der alten DUDEN-Rechtschreibung noch die Neureglung befolgt. Im völligen Widerspruch zu seiner heftigen Kritik an vielen neuen Getrenntschreibungen (z. B. des Typs sitzen bleiben in allen Bedeutungen) lässt er diese in seinem Wörterbuch nun selbst als fakultative Varianten zu. Auch Wissenschaftler und Rezensenten" (Fußnote verweist auf Kürschner und Schoebe) "außerhalb der Kommission sehen darin eine eklatante Diskreditierung Icklers als Kritiker der Neuregelung". (110)
Ich habe kritisiert, daß die Neuregelung bei sitzen bleiben usw. Getrenntschreibung obligatorisch vorschreibt. Die tatsächlich zu beobachtenden Tendenz zur Unterscheidungsschreibung bei den sog. Positionsverben mit bleiben ist in meinem Wörterbuch sehr wohl berücksichtigt, bei gleichzeitiger Anerkennung der noch herrschenden Nichtunterscheidung. Ferner habe ich kritisiert, daß die Kommission behauptet, zwischen kennenlernen und schwimmen lernen gebe es keine strukturellen Unterschiede, weshalb die unterschiedliche Schreibweise nicht begründet sei. Solche Unterschiede gibt es sehr wohl (wie auch Peter Eisenberg schon früh feststellte); aber sie berechtigen nicht dazu, über die fakultative Gleichbehandlung hinwegzugehen, wie es einerseits der alte Duden, andererseits (mit anderem Ergebnis) die Neuregelung tun.
In Wirklichkeit ist mein Standpunkt in allen meinen Arbeiten völlig klar und widerspruchsfrei durchgehalten. Daß ich die Einzelheiten des geltenden Schreibbrauchs noch nicht vollständig überblicken konnte, bevor ich mit der empirischen Erhebung überhaupt angefangen hatte, versteht sich ja wohl von selbst und spricht für die Ernsthaftigkeit meines Unternehmens. Übrigens haben die Reformer noch niemals meinen "Kritischen Kommentar" erwähnt; eine Auseinandersetzung mit den darin auf über 200 Seiten vorgetragenen Argumenten vermisse ich bis heute.
Die Kommission unterschlägt die erklärte Absicht meines Rechtschreibwörterbuchs: die bisherige Rechtschreibung so darzustellen, wie sie wirklich war und ist. Daß ich dabei weder die Dudenregeln noch die Neuregelung abschreiben konnte, liegt auf der Hand.
Was das Wörterverzeichnis betrifft, so versuchen die Reformer an mehreren Stellen, es aus der Schußlinie der Kritik zu nehmen, indem sie ihm nur eine untergeordnete Bedeutung zuweisen:
"Bei der derzeit geltenden Regelung kann sich der Schreibende darauf verlassen, dass in Zweifelsfällen die amtlichen Regeln und nicht das Wörterverzeichnis (...) den Ausschlag geben. Abgesehen von den Laut-Buchstaben-Beziehungen hat das Wörterverzeichnis nur exemplarischen, also nicht normsetzenden Charakter." (S. 83; ähnlich des öfteren)
Das steht nun in krassem Gegensatz zum amtlichen Regelwerk selbst und zu den früheren Verlautbarungen. Im Vorwort zur amtlichen Neuregelung heißt es:
"Auf der Basis dieser grundlegenden Beziehungen wird durch den Regelteil und das Wörterverzeichnis die geltende Norm der deutschen Schreibung festgelegt. Dabei ergänzen sie einander."
Auch in den einschlägigen Beiträgen zum Sammelband "Zur Neuregelung der deutschen Orthographie" (hg. v. Augst u. a., 1996; darin besonders Augst/Schaeder und Heller/Scharnhorst) ist keine Rede von einer untergeordneten Funktion des Wörterverzeichnisses. Regeln und Wörterverzeichnis werden vielmehr als "komplementär" bezeichnet.
Es ist erstaunlich, wieviele Revisionsmaßnahmen bereits ins Auge gefaßt werden. Nachdem die Wiederherstellung von sogenannt überhaupt einmal erwogen worden ist (S. 68), dürfte sie nicht mehr länger aufzuhalten sein. Hier noch ein Leckerbissen aus dem mir gewidmeten Teil des Anhangs:
"Ickler kritisiert [später geändert zu: "Kritisiert wird"] die inkonsequente Handhabung der Fälle zufrieden stellend und nichts sagend.
Die Variantenschreibungen zufriedenstellend und nichtssagend entsprechen zwar der amtlichen Regelung, sind im amtlichen Wörterverzeichnis aber nicht ausdrücklich genannt. Entsprechend der unter 1. gegebenen Begründung (Steigerbarkeit) wäre es richtig, die zusammengeschriebenen Formen bei einer Neuauflage des Duden (der jetzt schon ein zufriedenstellenderes Ergebnis verzeichnet) zu berücksichtigen."
Wer hätte nach den ersten Jahren des Umgangs mit der Reform gedacht, daß zufriedenstellend dem Regelwerk entspricht! Jedenfalls nicht jener oberbayerische Oberstudiendirektor, der eine Kollegin rügte, weil sie zufriedenstellend unter eine Schülerarbeit geschrieben hatte. Nachdem die Wörterbücher, eines meiner Argumente aufgreifend, entgegen dem Wortlaut des amtlichen Regelwerks zunächst die zusammengesetzten Komparative wiederaufgenommen haben (wenn auch noch nicht konsequent genug), werden sie nun angehalten, auch die entsprechenden Positive hinzuzufügen. Dem wird sich der Dudenverlag nicht widersetzen können, zumal Bertelsmann noch im laufenden Jahr eine entsprechend korrigierte Neubearbeitung herausbringen wird.
Sehr aufschlußreich auch folgende Rechtfertigung:
"Als regelwidrig kritisiert Ickler [später geändert zu: "werden ... bezeichnet"] die Schreibungen Hohelied und Hohenpriester.
Die Angaben des Duden sind korrekt. Die neu aufgenommenen Schreibungen sind fachsprachlich. Die Aufnahme fachsprachlicher Schreibungen ist den Wörterbüchern unbenommen."
Nach derselben Argumentation sind ja auch schwerbehindert und andere Wörter wieder zugelassen worden, aber wohin soll das führen?
– geändert durch Theodor Ickler am 18.02.2002, 18.19 –
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Th. Ickler
eingetragen von Theodor Ickler am 15.02.2002 um 16.05
Dritter Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung (Vorläufige Fassung vom 30. 10. 2001)
An dieser Stelle werde ich nun nach und nach den dritten Bericht der Rechtschreibkommission kommentieren. Wahrscheinlich wird unter den "Dokumenten" bald der gesamte Text (in der endgültigen Fassung, die zur Zeit den Auftraggebern vorliegt) dargeboten werden; er ist noch nicht eingescannt, und die vorläufige Fassung eignet sich dazu gar nicht.
Die unkorrigierte vorläufige Fassung des Berichts hat den Vorteil, daß man noch die Spuren der Bearbeitung erkennen kann. So hatte Augst gegen Ende der Zusammenfassung hineingeschrieben: "Die Neuregelung ist weder ein 'menschenverachtendes Massenexperiment' noch gehört sie auf den 'Müllhaufen der Gechichte'." (Das erste ist ein Zitat aus einem Brief von mir, das zweite stammt von Peter Eisenberg.) Diesen Satz haben die Kollegen jedoch herausgestrichen. Gelassen hat man Augst das übliche Lamento über die "Verunglimpfungen", denen die Reformer von seiten einiger Kritiker ausgesetzt waren:
"Auffällig ist, dass manche Reformgegner, auch wenn ihr Beruf die Wissenschaft ist, äußerst emotional und teilweise in höchstem Maße verunglimpfend arbeiten. Besonders sticht hier die Auftragsarbeit des Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung hervor, in der schon im Titel ein Zusammenhang zwischen 'Rechtschreibreform und Nationalsozialismus' hergestellt wird."
Ich selbst bekomme ein eigenes Kapitel im Anhang: "Stellungnahme zu den Vorwürfen Th. Icklers, die 22. Auflage des Duden würde vom amtlichen Regelwerk abweichen (30. August 2000)". Auf den Inhalt gehe ich später ein, hier sei nur schon einmal bemerkt, daß der Titel irreführend ist, denn ich mache dem Duden keinen Vorwurf, sondern stelle in meiner Rezension schlicht fest, daß die Neubearbeitung in vielen wichtigen Punkten von der früheren Auflage und vom amtlichen Regelwerk abweicht - durchaus in Absprache mit der Kommission. Daß die als "Empfehlungen" getarnten Beschlüsse der Kommission seit der Mannheimer Anhörung 1998 es waren, die eine Neubearbeitung der Wörterbücher 1999 bzw. 2000 erforderlich machten, haben Duden und Bertelsmann seither mehr oder weniger klar bestätigt.
In der Zusammenfassung wird unter Hinweis auf mein Wörterbuch behauptet, ich sei als Kritiker der Neuregelung "diskreditiert" - und zwar in den Augen der Herren Schoebe und Kürschner. (Beide sind in die Vermarktung der Reform verwickelt. Andere "Wissenschaftler und Rezensenten außerhalb der Kommission" werden nicht erwähnt.)
Aus der Einleitung erfährt man, daß die Kommission im Berichtszeitraum neunmal zu zwei- bis dreitägigen Sitzungen zusammengetreten ist, sechsmal in Mannheim und je einmal in Salzburg, Eupen und Berlin. Mitglieder der Kommission haben auch an Sitzungen des Beirats für deutsche Rechtschreibung teilgenommen, und zwar am 8. 2. 2001 in Mannheim und am 25./26. 9. 2001 in Berlin.
Die erste Hälfte des 138 Seiten starken Berichts enthält Darstellungen zur Umsetzung der Reform, die, wie man erfährt an den Schulen problemlos und insgesamt sehr gut und mit viel Zustimmung verlaufen sei.
Die zweite Hälfte diskutiert Einzelprobleme, die sich bei der Umsetzung oder in der öffentlichen Kritik herausgestellt haben.
Die Diskussion der Einzelpunkte endet jeweils mit einem "Pro" und "Kontra", vorläufig ohne Entscheidung. Trotzdem zeichnet sich in vielen Fällen ab, mit welchen Änderungen mittel- und langfristig gerechnet werden muß.
Unter 1.2 wird der Fall Leid tun, Recht haben Not tun erörtert. Stillschweigend setzen die Verfasser - wie auch an anderen Stellen - eine Maxime voraus, die im amtlichen Regelwerk nicht ausgesprochen , aber trotzdem wirksam ist und aus einer früheren Diskussion stammt: "Entweder klein und zusammen oder groß und getrennt!" Demnach wird als Alternative zu Leid tun lediglich leidtun ins Auge gefaßt, nicht aber die bisher allein gebräuchliche Schreibweise leid tun. (Dies hat der Reformer Gallmann bereits vorgeschlagen, vgl. Zeitschrift f. Sprachwissenschaft 18, 1999. Ähnlich soll ja laut Neuregelung die bisher übliche Schreibweise von seiten verboten und durch zwei bisher weniger übliche Schreibweisen, vonseiten und von Seiten ersetzt werden.)
Die Diskussion über die Wortart ist verhältnismäßig breit, geht aber leider nicht auf das zwingende Hauptargument ein, das den Reformern seit mindestens sechs Jahren bekannt ist, also die Intensivierbarkeit: so Leid es mir tut und wie Recht du hast sind schlicht grammatisch falsch.
Bei Not tun behaupten sie, die Wortart von Not (besser not) sei unklar und der adjektivische Gebrauch wie in not sein, Schiffahrt ist not sei "obsolet"; aber sie erwägen immerhin, neben der Großschreibung auch nottun zuzulassenund in die geschlossene Liste § 34 (3) aufzunehmen. Jedoch: "Die frühere Schreibung not tun (getrennt und klein) sollte nicht wiederbelebt werden." - Warum nicht, wenn sie doch bisher üblich war? Die Anwort ist wieder in der genannten, niemals ausgesprochenen Superregel zu suchen.
Bei Pleite gehen und Bankrott gehen wird zunächst die Behauptung wiederholt, dies könne "als Verkürzung einer Präpositionalphrase interpretiert werden: in die Pleite gehen > Pleite gehen (bzw. in den Bankrott gehen usw.). Das ist absurd. Es handelt sich jeweils um die Adjektive, und die Konstruktion ist genauso zu deuten wie bei kaputt, verloren und anderen Adjektiven, die sich - im Gegensatz zu Substantiven - mit gehen verbinden lassen. Auch auf dieses ihnen bekannte Argument gehen die Verfasser nicht ein. Sie schlagen weitere Variantenschreibung vor: pleitegehen oder Pleite gehen. Als Vorzug dieser Lösung wird in diesen und ähnlichen Fällen jeweils angegeben, sie verhindere, "dass Wörterbücher plötzlich 'falsche' Einträge enthalten". Die Rücksichtnahme auf die bereits reformierten Wörterbücher wird also ganz offen in Anschlag gebracht, eine direkte Rücknahme des gequält zugegebenen Mißgriffs aus diesem Grunde für untunlich gehalten. Noch krasser kommt die Interessenverflechtung mit den Wörterbuchverlagen in der folgenden zynischen Bemerkung zum Ausdruck:
"Die Sprachgemeinschaft hat sich nach anfänglichem Zögern an die Schreibung Leid tun mit substantivischer Interpretation von Leid gewöhnt. Eine neuerliche Änderung verunsichert unnötig und bringt die Wörterbuchverlage in Schwierigkeiten."
Die Problemerörterung wird naturgemäß eröffnet mit dem mißlungensten Teil der Neuregelung, der von Schaeder ausgearbeiteten Getrennt- und Zusammenschreibung.
Zunächst wird behauptet, der Komparativ gewinnbringender müsse laut Neuregelung ohnehin zusammengeschrieben werden, weil es keinen zugehörigen einfachen Komparativ bringender gebe. Der Hinwies auf den Komparativ (und Superlativ) stammt eigentlich von den Kritikern und wird seit einiger Zeit von den Reformern als eigene Einsicht beansprucht. Aus dem Regelwerk geht keineswegs hervor, daß erst das Nichtvorkommen der Steigerungsform die Getrenntschreibung ausschließen soll. Vielmehr handelte es sich bei § 36 (2) um solche Fälle wie großspurig, kleinmütig usw. Auch ist das Beispiel gewinnbringend denkbar ungeeignet, denn es bildet zusammen mit grauenerregend die erratischen Einzelfälle des amtlichen Wörterverzeichnisses, deren Herleitung aus den Regeln immer unklar war. Neuerdings weiten die Reformer diese Beispiel so aus, daß man annehmen soll, alle vergleichbaren Fälle würden selbstverständlich im Falle der Steigerung zusammengeschrieben. (Allerdings fehlt dann der Positiv, es ergibt sich die befremdliche Reihe Besorgnis erregend, sehr besorgniserregend, noch besorgniserregender ...; s. u. zu 1.1.2. Auf S. 110 wird in widersprüchlicher Weise behauptet, aus dem Regelwerk ließen sich zwei Formen des Positivs ableiten: Gewinn bringend und gewinnbringend, schwer wiegend und schwerwiegend; nach dem Kriterium des selbständigen Vorkommens ist das jedoch ausgeschlossen.) Daß die Reformurheber das gedacht haben, läßt sich nicht widerlegen, gesagt haben sie es jedenfalls nicht. Das geben sie auch zu:
"Die genannten Möglichkeiten werden im Regelteil nirgends explizit vorgeführt. Es lässt sich höchstens aus ein paar Einträgen im Wörterverzeichnis rekonstruieren, dass beide logisch denkbaren Schreibungen tatsächlich zugelassen sind. Dies widerspricht aber der Grundintention der Neuregelung, außerhalb bestimmter Teile der Wortschreibung keine Regelung über das Wörterverzeichnis vorzunehmen."
(Die endgültige Fassung des Berichts hat hier noch einige abmildernde Änderungen vorgenommen.)
Unter 1.1.2 wird erstmals - soweit ich weiß - das Argument des prädikativen Gebrauchs berücksichtigt, also jenes unter meinen vier Arguemten gegen die neue Getrenntschreibung, das die Reformer noch bei der Mannheimer Anhörung überhaupt nicht beantwortet hatten. Erstmals sehen sie nun ein, daß Diese Investition ist Gewinn bringend "kaum akzeptierbar" ist. Folglich trete hier "Univerbierung" zum "komplexen Adjektiv" ein. Deshalb wird die Wiederzulassung von gewinnbringend auch im Positiv und nicht erst bei tatsächlicher Steigerung erwogen. Dies wird zweifellos kommen und erfaßt dann mehrere Dutzend ganz geläufige Wörter (zum Teil in den neuesten Wörterbüchern schon so geschrieben.)
Wenn es aber (wie der Text stellenweise nahelegt) seit je so gemeint war - was bedeuten dann die Sternchen (für "Neuschreibung") im amtlichen Wörterverzeichnis? (großen) Gewinn bringend, sehr gewinnbringend, noch gewinnbringender usw. - das ist doch genau die bisherige Schreibweise! Auf diese Frage sind die Reformer bisher jede Antwort. Stattdessen verkleiden sie den sich abzeichnenden Umsturz mit folgenden wohlgesetzten Worten:
"Im hier diskutierten Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung ist in Fällen wie Gewinn bringend oder gewinnbringend also eine Toleranz-Metaregel anzusetzen. Dieser komplizierte Sachverhalt muss im amtlichen Regelwerk so nicht explizit aufgezeigt werden, er sollte aber wenigsten indirekt in einer passenden Erläuterung ein Äquivalent haben."
Wie steht es aber mit der kritisierten Getrenntschreibung bei Fällen, die überhaupt nicht gesteigert werden können: allein stehend usw.?
"Während die Komparierbarkeit zu Schreibvarianten wie gewinnbringend vs. Gewinn bringend und schwerwiegend vs. schwer wiegend führt, lässt sich für nichtkomparierbare Fügungen aus dem amtlichen Regelwerk nur eine einzige Schreibung ableiten, also beispielsweise nur allein stehend (und nicht auch alleinstehend). Aus grammatischer Sicht ist allerdings zu vermuten, dass auch in solchen Verbindungen eine Varianz zwischen zwei Arten von Lexikalisierung vorliegt, nämlich Lexikalisierung mit und ohne Univerbierung (im ersten Fall liegt ein einzelnes, morphologisch komplexes syntaktisches Wort vor, im zweiten Fall handelt es sich um eine lexikalisierte Phrase, um einen Phraseologismus aus mehreren syntaktisch selbstständigen Wörtern.)" (S. 65)
Die hier eingeführte ominöse "grammatische Sicht" ist etwas völlig Neues, dem amtlichen Regelwerk Fremdes. Neu ist, daß der Verfasser - es ist offensichtlich Peter Gallmann - die Sprachwirklichkeit gegen die Neuregelung in Stellung bringt. In der für ihn typischen Art (vgl. den ersten Bericht!) erzeugt er einen terminologischen Nebel, der die schlichte Tatsache verhüllt, daß es im Deutschen eben beide Schreibweisen gibt und daß sie in scharfem Gegensatz zum Regelwerk beide ihre Berechtigung haben. Damit ist aber das Tor geöffnet, durch das auch die Zusammenschreibung, d. h. die Zusammensetzung (alleinstehend) wieder hereinspazieren wird.
Zur Groß- und Kleinschreibung:
Im Protokoll zur gemeinsamen Sitzung mit dem Beirat vom September 2001 wird "eine behutsame Weiterentwicklung in Richtung auf eine noch stärkere Systematisierung der Regeln" ins Auge gefaßt. "Ausnahmen erschweren die Erlernbarkeit der Rechtschreibung. Insofern die Sprachgemeinschaft die interiorisierten Regeln per Analogiebildung auf bestehende Ausnahmen ausweitet, istdas Regelwerk an den beobachtbaren Schreibgebrauch anzupassen. Entsprechende Tendenzen zeichnen sich z. . bei der Schreibung von Zahladjektiven wie *der Eine, *der Andere und *die Meisten ab."
In der Tat kommen solche Übergeneralisierungen der neuen Regeln vor. Besonders der Schweizer Reformer Gallmann ist dafür bekannt, daß er einem reinen formalen Begriff von "Substantivierung" zuneigt und daher am liebsten zu den genannten Schreibweisen zurückkehren möchte, die schon im 19. Jahrhundert als "übertrieben" empfunden und nach und nach durch die modernere, textsemantisch motivierte Kleinschreibung verdrängt wurden. Solche Erwägungen kommen jedoch in den Schriften der Reformer nie vor und fehlen auch im vorliegenden dritten Bericht. Er hält strikt am Begriff der "Substantivgroßschreibung" fest.
Zu Acht geben schreiben die Verfasser u. a.:
"Die Rückkehr zur früheren Zusammenschreibung achtgeben ist nur dann sinnvoll, wenn für die anderen Wendungen (außer derjenigen mit dem Indefinitum aller) zumindest fakultativ auch die Zusammenschreibung nach § 39 E3 (1) vorgesehen wird: achtgeben (ich gebe acht), sich inacht nehmen, (ich nehme mich inacht), außeracht lassen (ich lasse außeracht); vgl. Verbindungen wie infrage stellen, instand setzen (neben: in Frage stellen, in Stand setzen). Die Rückkehr zu den alten Schreibungen sich in acht nehmen, außer acht lassen ist abzulehnen, da bei ursprünglich substantivischen Bestandteilen die zwitterhafte Kombination von Getrennt- und Kleinschreibung in der Neuregelung systematisch beseitigt worden ist." (S. 74)
Gerade dies war ein Kardinalfehler der Neuregelung, geboren aus jenem früh gefaßten Vorurteil von der "zwitterhaften" Kombination, die gerade die im Deutschen seit langem übliche war. Die Reformer erweisen sich hier als Gefangene ihrer willkürlichen, den Schreibgebrauch mißachtenden Festlegung, die niemals mehr zur Disposition gestellt wurde. In dieser selbstverschuldeten Zwangslage sehen sie sich dann genötigt, die völlig unerhörten Zusammenschreibungen inacht, außeracht usw. als Alternative zu erwägen.
Sehr sonderbar beginnen die Ausführungen zu Recht haben:
"Die französische Entsprechung avoir raison legt es nahe, dass in dieser Verbindung das Substantiv (das) Recht und nicht das Adjektiv recht vorliegt."
Wozu dieser Ausflug ins Französische, wo doch das Deutsche selbst klar zeigt, daß es sich nicht (mehr) um das Substantiv handeln kann: wie recht du damit hast usw.?
Unter 1.1.3 wird endlich mit der falschen Behauptung aufgeräumt, daß Substantivierung von erweiterten Partizipien zur Zusammenschreibung führe. Schaeder hat jahrelang diese These vertreten: Wie die Wortgruppe Bus fahren durch Substantivierung zu Busfahren werde, so werde aus Arbeit suchend der Arbeitsuchende, aus oben genannt das Obengenannte. Die Schweizer Mitreformer Gallmann und Sitta haben seit 1996 (Handbuch Rechtschreiben; Duden-Taschenbuch) darauf hingewiesen, daß dies nicht zutrifft: substantiviert wird stets nur das Partizip: der Arbeit Suchende, das oben Genannte usw. - eigentlich eine grammatische Trivialität. Nun scheinen sich die Schweizer Grammatiker endlich durchgesetzt zu haben, denn der Bericht räumt mit der falschen Ansicht auf und stellt kühl fest:
"Dass in Verbindungen wie die Alleinstehenden oder das Kleingedruckte [hier ist im Original die Kursivierung vergessen worden] eine Neigung zur Zusammenschreibung besteht, hat also nichts mit Substantivierung zu tun, es ist vielmehr Univerbierung schon im zugrunde liegenden attributiven Gebrauch anzunehmen." (S. 66)
(Sind sich die Reformer darüber im klaren, daß sie damit entgegen der Neuregelung auch Komposita wie kleingedruckt wiedereinführen? An dieser Stelle ist das nicht ganz deutlich.)
Hat man die neuen Einsichten der Kommission über die Regeln der Substantivierung vor Augen, dann ist es geradezu erheiternd, in jenem mir gewidmeten Anhang folgendes zu lesen:
"Ickler behauptet [später geändert zu: "Es wird behauptet"], dass Schreibungen wie der Schwerverletzte, die Schwerbewaffneten durch das Regelwerk nicht gedeckt sind und dass 'einige Reformer eine abenteuerliche grammatische Regel erfunden (hätten): Bei Substantivierung tritt fakultativ Großschreibung ein'.
Einen Gegensatz zum amtlichen Regelwerk gibt es nicht."
Aber genau diesen Gegensatz hat die Kommission weiter oben eingeräumt! Freilich waren das wohl die Reformer Sitta und Gallmann, während Augst und sein Gefolgsmann Schaeder, die mich zu widerlegen versuchen, den wahren Sachverhalt immer noch nicht verstanden haben.
Leider bleibt im Folgenden der Komplex eisenverarbeitend, fleischfressend usw. ausgespart, aber es kann für den Einsichtigen nicht zweifelhaft sein, daß auch diese jetzt "verbotenen" Wörter sehr bald wiederauferstehen werden.
Im übrigen schlagen sich die Reformer in dem erstaunlich umfangreichen Kapitel über die Groß- und Kleinschreibung wie bisher mit den Begriffen "Eigenname", "eigennamenähnlich", "feste Fügung" usw. herum, weil sie die Tatsache ("offensichtliche Tendenz", S. 79) nicht bestreiten können, daß die Sprachgemeinschaft mehr und mehr Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv groß schreibt und auch die Nachrichtenagenturen sich von der neuerdings verordneten Kleinschreibung ausdrücklich distanziert haben. Es scheint ihnen bisher nicht gelungen zu sein, die Agenturen und Zeitungen zur Kleinschreibung fester Begriffe (Nominationsstereotype) zu überreden, und so bleibt diese Abweichung von der amtlichen Neuregelung ein ständiges Ärgernis.
Der Grund der Misere liegt darin, daß die Reformer nicht imstande sind oder sich schlicht weigern, den wahren Grund der Großschreibung zu erkennen. Zuerst versuchen sie es mit dem Begriff der festen, d. h. phraseologischen Verbindung und wundern sich dann, daß komischer Vogel, direkte Verbindung oder schöne Bescherung nicht ebenfalls groß geschrieben werden. (S. 79) In Wirklichkeit hat die Großschreibung von Erste Hilfe, Schwarzes Brett, Schneller Brüter usw. mit Phraseologie gar nichts zu tun. Vielmehr geht es darum, nomenklatorische von rein beschreibenden Ausdrücken zu unterscheiden. Das Schwarze Brett ist nicht unbedingt schwarz, sondern heißt nur so, und die Erste Hilfe muß nicht die erste sein, sondern heißt nur so. Der Unterschied von Sein und Heißen ist der gemeinsame Nenner, der Eigennamen mit diesen Nominationsstereotypen verbindet. Daß Fachsprachen dieselben Begriffe oft nicht durch Großschreibung eigens kennzeichnen, wird richtig beobachtet (S. 83), läßt sich aber leicht erklären: Fachsprachen sind ohnehin nomenklatorisch, können also leicht auf solche Kennzeichnung verzichten, während ihre Anführung in einem allgemeinsprachlichen, also fremden Kontext die Kennzeichnung provoziert.
Diese Erklärung ist den Reformern bekannt, sie gehen aber zu ihrem Schaden nicht darauf ein. Grotesk wird es, wenn sie erwägen, bei der Roten Karte usw. handele es sich um eine "Aufmerksamkeitsgroßschreibung" und damit um eine typographische (!) Angelegenheit wie "Kursiv- oder Fettdruck", die vom amtlichen Regelwerk nicht behandelt werden müsse. (S. 84) Diese offensichtlich fruchtlose Erörterung wird dann ergebnislos abgebrochen.
Die Tendenz, immer mehr Varianten zuzulassen - aber nicht als Anpassung an beobachtete Schreibgewohnheiten, sondern aus Verlegenheit: damit keine offene Revision des amtlichen Regelwerks erforderlich wird -, steht im Widerspruch zu der andernorts hervorgehobenen Einsicht, daß "staatliche Normierung der Rechtschreibung stets mit einer Reduktion von Variantenschreibungen einher(ging)". Gegen den Ausweg, die Fehler der Reform durch Einführung immer neuer Varianten zu mildern, wendet sich insbesondere der Beirat: "Variantenschreibungen setzen den Schreiber unter Entscheidungszwang und tragen in Ermangelung einer konsistenten Variantenführung häufig zur Verunsicherung bei. Deshalb sollen auch im zweiten Teil des Berichts die Vorschläge nicht berücksichtigt werden, die zu wesentlich mehr Varianten führen." (Protokoll der Septembersitzung; diese Ablehnung von Varianten entspricht der Meinung vieler Teilnehmer der Mannheimer Anhörung, die ja zum Teil mit den Mitgliedern des Beirates identisch sind und dieselben Interessen vertreten wie vor vier Jahren.)
Nimmt jedoch das Wörterbuch dem Schreibenden die Entscheidung ab, so ist er gezwungen, ständig nachzuschlagen. Damit wird der vielbeklagte alte Zustand wiederhergestellt ("Den Duden braucht jeder").
(Fortsetzung folgt)
– geändert durch Theodor Ickler am 19.02.2002, 09.16 –
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Th. Ickler
eingetragen von Theodor Ickler am 10.02.2002 um 14.44
Der Ort Vechta war bisher fast nur als Mittelpunkt einer umweltschädlichen Massentierhaltung bekannt, vornehmlich Schweinemastbetriebe, die enorme Mengen von Gülle und Schwefelwasserstoff bzw. Methan produzierten. In Zukunft dürfte er historische Berühmtheit erlangen als Ort der epochalen "Vechtaer Konvention". Aber mal im Ernst: Das kann nur ein Vertrag sein, den Kürschner mit sich selbst abgeschlossen hat, denn von einer Zusammenkunft maßgebender Orthographen in Vechta müßte man doch etwas mitbekommen haben.
Ich gebe zu, daß ich Kürschners neues Buch nicht gelesen habe, aber aus seiner Korrekturseite entnehme ich, daß er Pleite gehen für grammatisch korrekt hält, ja sogar eine Parallele zu Pleite machen zu erkennen meint. Sollte man ihm die Wahrheit darüber mitteilen? Oder lieber warten, bis er sie von der Mannheimer Kommission zu hören bekommt?
Übrigens scheint sich Kürschners unentbehrlicher Ratgeber trotz des großen Aufwandes nicht sonderlich gut zu verkaufen, bei Amazon liegt er auf Rang 231.563.
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Th. Ickler
eingetragen von Jörg Metes am 10.02.2002 um 12.09
Zitat:- Auf Wilfried Kürschners Internetseiten findet sich eine Liste von Korrekturen zu seinem Buch "Neue Rechtschreibung kompakt".
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Der dritte Bericht der Rechtschreibkommission liegt mir zwar noch nicht vor. Von Personen, die ihn schon kennen, ist mir jedoch einiges angedeutet worden. So sollen leid tun, recht haben, sogenannt auch wieder zulässig sein.
Unter der Überschrift "Redaktionelle Korrekturen" heißt es dort u.a.:
"S. 12, Z. 4
Ersetze 'so genannten' gemäß der Vechtaer Konvention (s. S. 12-14) durch 'sogenannten'."
Was ist denn nun wieder die 'Vechtaer Konvention'? Ein bei Kürschner vorab veröffentlichter Auszug aus dem 3. Bericht? Oder ein eigenmächtiger, mit der Kommission nicht abgesprochener Vorgriff?
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Jörg Metes
eingetragen von Theodor Ickler am 13.01.2002 um 04.20
Die Wiener Absichtserklärung steht ebenfalls unter den Dokumenten der Rechtschreibkommission.
Das "Vorliegen" des dritten Berichts ist so zu verstehen, daß der Bericht den Auftraggebern vorliegt. Die Öffentlichkeit ist in dem ganzen Verfahren nicht vorgesehen, sondern auf die Gnade der Reformer angewiesen.
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Th. Ickler
eingetragen von J.-M. Wagner am 12.01.2002 um 20.52
Zitat:Das ist ein recht interessanter Aspekt. Mir war die Existenz dieser Berichte erst durch die Erwähnung hier im Diskussionsforum bewußt geworden. Auf den offiziellen Informationsseiten der Zwischenstaatlichen Kommission (http://www.ids-mannheim.de/reform, quasi identisch mit http://www.rechtschreibkommission.de/) fehlt meiner Erfahrung nach jeder Hinweis darauf - es sei denn, diese Berichte fallen unter die »wissenschaftlich begründeten Vorschläge zur Weiterentwicklung des Regelwerkes«, welche sie »auf längere Sicht zu erarbeiten« hat (s. Menüpunkt "Kommission für deutsche Rechtschreibung"). Dagegen hat mir Herr Dr. Heller auf eine Mailanfrage, was es mit dem Beschluß der Kultusministerkonferenz, die Erfahrungen der Schreibenden mit der neuen Rechtschreibung bis Ende 2001 sammeln und bewerten zu lassen, auf sich habe und ob die Kommission daran beteiligt sei, am 13.09.2001 geantwortet:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Man sollte es einfach versuchen. Dazu muß man allerdings wissen, daß es einen solchen Bericht überhaupt gibt, und eben dies erfährt man nur inoffiziell.Zitat:Na bitte, es geht doch. Für mich bleibt noch die Frage, ob das Anfertigen der Berichte auf die Wiener Erklärung zurückgeht; deren Text habe ich aber noch nicht gelesen. - Sind die Kommissionsberichte damit »offiziell« bekanntgemacht? Sicherlich habe ich die Information zwar von keiner inoffiziellen Stelle, jedoch eher nebenbei erhalten. Für mich bleibt auf jeden Fall der Eindruck, daß vermieden wird, die Existenz dieser Berichte an die Große Glocke zu hängen. Und was Herr Heller mit »wird vorliegen« meint, habe ich ihn auch noch nicht gefragt.
Die Aufgaben der Zwischenstaatlichen Kommission finden Sie im Internet beschrieben. Sie ergeben sich aus der Wiener Erklärung, deren Wortlaut sie ebenfalls im Internet finden. Zurzeit arbeitet die Kommission an ihrem turnusgemäßen dritten Bericht für die Kultusminister Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, der zum Jahresende vorliegen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Heller
Geschäftsführer der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von J.-M. Wagner am 12.01.2002 um 19.51
(Diesen Beitrag habe ich vor wenigen Tagen im Strang "de Gruyter" eingetragen. Er scheint mir aber besser in die Diskussion zu dem hiesigen Leitthema zu passen, deshalb wiederhole ich ihn hier. J.-M. Wagner)
Zitat:Solange sich an den offiziellen Regeln nichts ändert, wird kaum einer glauben, daß die Kommissionsberichte einer Reform (oder zumindest einer Reform der Reform) gleichkommen. Es ist doch viel zu wenig bekannt, daß es diese »Nachbesserungen« gibt; wenn ich das in meinem Bekanntenkreis (alles fleißige Zeitungsleser: FR, Zeit, Tagesspiegel) erwähne, nimmt das keiner ernst.
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler im Strang "de Gruyter"
Vielleicht kommt mancher zur Besinnung, wenn demnächst bekannt wird, daß mit dem dritten Bericht der Kommission die dritte Rechtschreibreform innerhalb von vier Jahren durchgeführt wird.
Mag die F.A.Z. etwas detaillierter darüber berichten - selbst wenn so ein Beitrag nicht mit »Ickler« unterzeichnet ist (der ja schon als »notorischer« Reformgegner bekannt ist ), wird die breite Masse annehmen, daß die F.A.Z. es nötig habe, für die eigene Marschrichtung Propaganda zu machen. Spätestens mit dem Hinweis auf die Kosten, die eine Rückumstellung verursachen würde, wäre dieses Strohfeuer wieder gelöscht. Im Gegenteil, die Unterstützer und Befürworter der Reform könnten sich darüber freuen, daß es diese Nachbesserungen gibt, welche die (ach so fortschrittliche) Reform nur noch besser machen (denn es ist ja klar, daß die bei so einem großen Wurf unvermeidlichen kleinen Fehler irgendwann korrigiert werden müssen), und welche vor allem den Gegnern in konkreten inhaltlichen Aspekten den Wind aus den Segeln nehmen - »was wollt ihr denn noch, jetzt sind die Macken doch beseitigt?« könnte es dann heißen, und wieder wäre die Diskussion beendet.
So gut diese Besinnung wäre - ich glaube nicht daran. Vielleicht, wenn ein ehemaliger Reformer/Reformbefürworter (z. B. Herr Munske) selbstkritisch in aller Öffentlichkeit (Fernsehen: ARD/ZDF - aber wie bekannt ist Herr Munske und seine Funktion bezgl. der Rechtschreibreform in der Öffentlichkeit?) dazu Stellung nimmt und etwas lauter kundtut, was bislang nur den interessierten Lesern mancher Zeitung (bzw. Fachzeitschrift) bekannt ist, und wenn er dies rückhaltlos tun kann, in dem Bewußtsein, daß er keinen Nachteil davon hätte, wenn er eventuell sich oder Kollegen bloßstellt - ja, dann vielleicht...
(Um nicht mißverstanden zu werden: Mir geht es nicht um die Bloßstellung von Personen, sondern darum, daß sich jemand trauen kann, Klartext zu reden.)
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Jan-Martin Wagner
eingetragen von Theodor Ickler am 09.01.2002 um 14.08
Man sollte es einfach versuchen. Dazu muß man allerdings wissen, daß es einen solchen Bericht überhaupt gibt, und eben dies erfährt man nur inoffiziell. Das ganze Verfahren ist natürlich indiskutabel und das genaue Gegenteil der versprochenen Transparenz, die sich ja von den früheren Praktiken der Dudenredaktion vorteilhaft abheben sollte.
Ich habe schon bei der KMK angeregt, daß die Berichte, deren Inhalt doch jeden angeht, wenigstens ins Internet gestellt werden. Bisher keine Antwort.
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Th. Ickler
eingetragen von Gerd Weder am 09.01.2002 um 07.08
Frage eines interessierten Laien:
Was heißt "Freigabe"? Für wen werden die Berichte denn überhaupt freigegeben? Ich war der Meinung, daß die Öffentlichkeit den Wortlaut der bisherigen Berichte nicht zur Kenntnis erhalten hat, sondern sich nur darüber freuen dufte, in welcher Weise die jeweiligen Neuauflagen bestimmter Wörterbücher die im Wortlaut unveränderten Regeln der Reformrechtschreibung neu interpretierten (z. T. gegen den Wortlaut, aber naja, das ist ein anderes Thema).
Gibt es für den schlichten Laien, der keine Kontakte zu Wörterbuchverlagen hat und auch sonst keine "Kanäle", eine Möglichkeit, den Text der Berichte zu bekommen?
Ich gebe gerne zu, daß ich von Berufs wegen gewöhnt bin, mit dem Text einer Regelung zu arbeiten, und es lästig finde, mir aus den Kommentierungen einen zwar existierenden, aber nicht veröffentlichten Text mittelbar erschließen zu müssen.
eingetragen von Theodor Ickler am 08.01.2002 um 13.54
Wie ich gerade erfahre, wird der dritte "Bericht der Rechtschreibkommission und des Beirats" erst im Frühjahr von der KMK diskutiert werden. Vorher ist mit einer Freigabe nicht zu rechnen.
Da kann man wohl nichts machen. Um so größer wird die Freude bei denjenigen sein, die sich dann mit der dritten Rechtschreibreform innerhalb von vier Jahren auseinandersetzen müssen.
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Th. Ickler
eingetragen von Theodor Ickler am 05.01.2002 um 17.22
Der dritte Bericht der Rechtschreibkommission liegt mir zwar noch nicht vor. Von Personen, die ihn schon kennen, ist mir jedoch einiges angedeutet worden. So sollen leid tun, recht haben, sogenannt auch wieder zulässig sein. Die Kommission nimmt also, wie im ersten Bericht und bei der Mannheimer Anhörung, ihre falschen oder sinnlosen Neuschreibungen nicht direkt zurück, sondern sucht ihr Heil in weiteren Varianten, mit denen sie sich auch noch ihrer Liberalität brüsten kann. Das scheint nur auf den ersten Blick harmlos zu sein, denn die Lehrer müssen nun aufs neue erkennen, daß sie Schreibweisen als falsch angestrichen haben, die gar nicht falsch sind. Es sind Änderungen gewesen, um derentwillen Tausende von Kinderbüchern usw. überarbeitet worden sind und die Nachrichtenagenturen sich entsetzlich blamiert haben. Was sagen unsere Journalisten dazu?
Bald werden wir mehr wissen, und dann müssen solche Fragen gestellt werden. Vielleicht nimmt die Öffentlichkeit dann auch besser wahr, was bisher schon alles an heimlichen Revisionen vorgenommen worden ist.
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Th. Ickler
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