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eingetragen von Walter Lachenmann am 23.03.2002 um 12.37

(Fundsache aus: »Christen heute«, 2. August 1998)

Wir fahren wieder Rad statt rad
von Bodo Volkmann

Als im 19. Jahrhundert die ersten Eisenbahnen gebaut wurden, protestierte eine Gruppe von Ärzten. Eine so hohe Geschwindigkeit verträgt der menschliche Körper nicht, erklärten sie. Ähnliche Proteste gab es vor 25 Jahren, als im Schulunterricht ein wenig Mengenlehre eingeführt wurde. Sie schade der kindlichen Gesundheit, hieß es diesmal vom Deutschen Ärztebund.
Von ähnlichem Kaliber, aber viel schärfer und massiver sind die Widerstände gegen einige Änderungen der deutschen Rechtschreibung, die jetzt offiziell zum 1. August in Kraft treten. So wurde sogar das Bundesverfassungsgericht bemüht, weil angeblich Elternrechte oder andere Grundrechte verletzt werden. Schriftsteller erklärten allen Ernstes, durch die Anwendung der neuen Rechtschreibung würden ihre Werke an internationalem Ansehen verlieren. In Schleswig-Holstein soll die Landesregierung durch eine Volksabstimmung gezwungen werden, an den Schulen auf die Reform zu verzichten. In Kiel würde man dann weiterhin »Schifffracht«, aber »Schiffahrt« schreiben, während es in Hamburg oder Wien nunmehr »Schifffahrt« heißt, was zweifellos konsequenter ist.
Über zwanzig Jahre lang wurde in einer Kommission aller deutschsprachigen Länder über diese Reform verhandelt; doch konnte man sich schließlich am 1. Juli 1996 nur auf ein mageres Ergebnis einigen. Am wichtigsten für die Praxis ist die neue Regel, wonach jedes »ß« durch »ss« ersetzt wird, falls es auf einen kurzen Vokal folgt (also Kuss, Hass, Kongress, aber weiterhin Gruß, Maß, Gefäß). Viele Wörter wie »ohrenbetäubend« oder »länderverbindend« werden ab jetzt als »Ohren betäubend« und »Länder verbindend« geschrieben, jedoch leider nicht alle. Es bleibt z.B. beim »besitzanzeigenden« Fürwort. Zu den Neuerungen gehört auch, dass bei der Großschreibung der Substantive viele bisherige Ausnahmen entfallen, wie etwa »du fährst rad«, »sie hat recht«, »im großen und ganzen«. Hier war die bisherige Kleinschreibung recht merkwürdig.
Manche Fremdwörter werden eingedeutscht. So wie vor langer Zeit aus »strike« bekanntlich »Streik« wurde, so vereinfacht sich jetzt z.B. »Phon« zu »Fon«. Aber während im Niederländischen und im Italienischen schon seit langem z.B. »filosofie« bezw. »filosofia« geschrieben wird, bleibt es im Deutschen weiterhin beim doppelten ph.
Damit ist bereits meine Kritik an dieser Mini-Reform angedeutet. Ich meine nicht ein paar Ungereimtheiten; denn diese würden sich ja beheben lassen. Vielmehr ist diese Reform zu schwach und halbherzig. Da sie ohnehin nicht allgemein verbindlich ist, hebt sie mit ihren Übergangsfristen, Wahlmöglichkeiten und der Ablehnung in so vielen Kreisen die bisherige Einheitlichkeit der Rechtschreibung zunächst einmal ungewollt auf. Schade, dass mehr zur Zeit nicht durchzusetzen ist!
Wir sollten bedenken: Die letzte Reform trat 1901 in Kraft, und die nächste ist bei diesem Rhythmus kaum vor dem Jahr 2100 zu erwarten. So könnte aber sein, dass bis dahin die deutsche Sprache wegen Überfremdung und Mangel an kreativer Weiterentwicklung schon durch ein HGCW (Half-German-Cowder-Welsh) abgelöst ist.
Was uns als Christen dies angeht? Zumindest soviel: Wir können aus dem jetzigen Streit lernen, in welche klein karierten Zänkereien sich eine Gesellschaft verstricken kann, wenn sie die großen Aufgaben aus den Augen verliert, die Gott ihr stellt.

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Walter Lachenmann


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