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eingetragen von Theodor Ickler am 06.10.2002 um 03.34
Ich habe natürlich nur an die "moderne" amerikanische Linguistik gedacht, also an die Chomsky-Welle und ihre Ausläufer. Gedankenlosigkeit bei der Formulierung, weiter nichts.
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Th. Ickler
eingetragen von Reinhard Markner am 05.10.2002 um 19.58
Ein Franz Boas hat gewiß auch noch anderssprachige Veröffentlichungen berücksichtigt . . .
eingetragen von Theodor Ickler am 05.10.2002 um 06.36
Wenn ich es recht bedenke: Das "Lexikon der Sprachwissenschaft" bringt tatsächlich fast ausschließlich Literaturangaben in englischer Sprache, selten Deutsch und so gut wie nie andere Sprachen. Zu vielen Themen wie "Sprachverstehen" oder "Zweitspracherwerb" scheint es nur Arbeiten auf englisch zu geben; oder alles andere ist eben nicht erwähnenswert. Andererseits wird in verschiedenen Beiträgen der "Sprachentod" beklagt und das Recht auf die Muttersprache auch für Minderheiten eingefordert. Wie verträgt sich das? Das Werk arbeitet mehr als jedes andere mir bekannte auf die Alleinherrschaft des Englischen hin. Auch im Hinblick auf meine Studenten finde ich die implizite Anweisung, ausschließlich englische Fachliteratur für lesenswert zu halten, sehr bedenklich. Zumal vieles vom Zitieren gar keine weiteren Vorzüge hat, außer eben, daß es englisch geschrieben ist.
Man kann sagen, daß das Lexikon seit dem Erscheinen der amerikanischen Bearbeitung auf den Weltmarkt gerichtet ist; aber muß es sich deshalb die bekannte Sicht vieler amerikanischer Linguisten zu eigen machen, die ja seit je nichts in anderen Sprachen Verfaßtes lesen und zitieren?
Nachtrag: Sogar Ricoeurs Buch "Die lebendige Metapher" wird nicht im französischen Original und auch nicht in der deutschen Übersetzung angegeben, sondern nur in der englischen!
– geändert durch Theodor Ickler am 10.10.2002, 15.57 –
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Th. Ickler
eingetragen von Rolf Genzmann am 26.09.2002 um 20.26
Habt guten Abend Alt u. Jung
Bin allen wohl bekannt genung.
.....
Stecken sie die Nas auch tüchtig ins Buch,
Lesen und schreiben und rechnen genug?
Leider nein, lieber Theodor Woldsen, dreimal nein.
Rechnen, was war das eigentlich, wurde von unseren Kultusministern ganz abgeschafft. Man verfügte seit 1969/73 „Mathematik“, „Moderne Mathematik“, „Neue Mathematik“ und „Mengenlehre in der Grundschule“.
Gymnasien und Volksschulen gibt es auch nicht mehr. Deren Abschaffung nennt man Bildungsreform. Man hat jetzt Sek 1, Sek 2, deformierte Oberstufen, Gesamtschulen, Mittelpunktschulen, Ganztagsschulen und allerlei verschiedene neumodische Gebilde wie Hauptschulen und Grundschulen.
Die Lehrpläne und Stoffpläne der Grundschulen, die einmal 30 Seiten umfaßten, sind jetzt dicke Wälzer von über 400 Seiten. Es steht so „modernes“ Zeug darin, 400 Seiten voller Schrott, daß man überall Fortbildungkurse für Lehrer abhalten mußte.
Leere Wortmacherei und Kauderwelsch wie Kommunikation, Innovation, Evaluation, Lehrverhalten, Lern-verhalten und -verhalten und -verhalten und -ation und -ation stehen da in sogenannten Curricula. Von solchem pseudowissenschaftlichen Betrugsvokabular werden Lehrer, Kinder und Eltern seit dreißig Jahren geplagt, beekelt und zum Nachplappern gezwungen.
Es mangelte den Reformern, Plan- und Richtlinienkonstrukteuren an jeder pädagogischen Reformkonzeption in irgendeinem Sinne. Besonders deutlich sah man das an der „Neuen Mathematik“. Die KMK-Richtlinien redeten von „wirtschaftlichem Wachstum“, vom „Fortschritt der Mathematik“, von einer „Annäherung der Schulmathematik an die Hochschulmathematik“ und tatsächlich von einer „Behebung des Lehrermangels“ (durch „Mengenlehre“ in der Grundschule). Kein Wort aber über pädagogische Aspekte, kein Wort über die unmittelbar betroffenen Kinder.
Man führte in den ersten beiden Schuljahren 78 neue „mathematische Begriffe“ ein und 22 neue Zeichen, - in Bayern waren es gar 80 Begriffe und 25 Zeichen. In der ganzen Grundschulzeit aller Bundesländer waren es 218 verschiedene neue „mathematische Begriffe“. Von diesen 218 verschiedenen führte jedes Bundesland aber nur 55% ein, also rund 120 Stück. 11 der für Bayern gültigen Begriffe wurden in keinem anderen Bundesland eingeführt. Trotz dieses Irrsinns redeten manche von einem „einheitlichen“ und großen Wurf.
Die Mengenlehre, eines der großen Verbrechen der O.E.C.D. und der KMK, erhielt ihre Durchschlagskraft nicht zum geringen Teil durch ihre Verkäuflichkeit. Jede Grundschule in der Bundesrepublik sollte ein Arsenal von Hilfsmitteln anschaffen im Werte von 1 500 DM. Bei rund 30 000 Grundschulen konnte die Mengenlehre ihren Mann schon ernähren. 30 000 mal 1 500 DM waren 45 000 000 DM. Hinzu kamen überall die Kosten für die Fortbildung der Lehrer und der Eltern, schätzungsweise noch einmal 45 Millionen.
Über Jahre hinweg wurden beispielsweise mit sogenannten logischen Blöcken die absurdesten Benennungs-exerzitien betrieben, die man fälschlicherweise als Spiele ausgab. Eins davon hieß das „Nichtspiel“. Den Kindern wurde z. B. ein großer, roter, rauher Kreis gezeigt, die mußten dann sagen, daß er nicht klein ist, daß er nicht viereckig ist, daß er nicht gelb ist u. dgl. - Solcherlei Schwachsinn nannte man Einführung in logisches Denken. Da hieß ein Dreieck ein Nichtquadrat und ein Quadrat hieß Nichtkreis. Da gab es Mengen mit nur einem Stück darin oder sogar solche mit gar keinem Stück darin. Da wurde ein logisches „Oder“ gebraucht, wo man „und“ zu sagen pflegt. Da redete man von „Schneiden“ und von Schnittmengen“, obwohl weder mit dem Messer noch mit einer Schere geschnitten wurde. Kurz, man ruinierte die Eigensprache der Kinder, man ruinierte die mit der Sprache untrennbar verbundene Vernunft.
Dies war wohl das größte Verbrechen, das man Grundschulkindern antat.
In Frankreich wählten, nach einem Bericht der „Zeit“ vom 1. 9. 1972, sieben Lehrer statt der „Mengenlehre“ den Freitod.
Als die Mengenlehre wieder abgeschafft wurde, nach ungefähr sieben Jahren, da waren sämtliche Kosten, hier wahrscheinlich viel zu gering geschätzte 90 Millionen DM, in den Sand gesetzt. - Doch wen scherte es, der Steuerzahler hatte alles bezahlt.
Lernten die Kinder nach der Abschaffung der „Mengenlehre“ nun wieder „rechnen genug“? Keineswegs, denn man benutzt an den Schulen weiterhin „Mathematikbücher“ für das erste Schuljahr, deren Inhalt katastrophal apädagogisch und adidaktisch ist. Man weiß nicht mehr, was Rechnen war und sein könnte. Alle bewährten Rechendidaktiken waren verboten worden, alle sind vergessen oder werden totgeschwiegen, man hat nichts mehr. Ein richtiges Rechenbuch, das fürchtet man wie die Pest. Deshalb lernen die Kinder nicht mehr rechnen.
Ganz ähnlich wird das Experiment Rechtschreibreform mit diesmal Milliardenkosten in den Sand gesetzt werden, denn idiotische Regeln lassen sich auf Dauer nicht durchsetzen. Dieses letzte ungeheuerliche Verbrechen der KMK liegt hoffentlich in den letzten Zügen. Da helfen auch keine Pisa-Studien der O.E.C.D. mehr, die den Steuerzahler erschrecken sollen, um ihm dann noch mehr Geld abzunehmen, das in den Sand gesetzt werden wird. Die O.E.C.D. und die KMK setzten mit der sogenannten Mengenlehre und mit der sogenannten Bildungsreform nicht nur in Deutschland Milliarden in den Sand, sondern in allen angeschlossenen Ländern. Die Pisa-Tests im Auftrag der O.E.C.D. nimmt kein Mensch mehr ernst. Es sind Reklamegags, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für notleidende Medienkonzerne. Man will bis in alle Ewigkeit den Müll unter dem Deckmantel Bildung produzieren und vom Steuerzahler bezahlen lassen. Vielleicht in einigen Jahren werden die europäischen Steuerzahler es gründlich leid sein, die ständigen Umsatzsteigerungen mit Müll auf dem Gebiet einer sogenannten Bildung, die nur zu lächerlichem Murks führen.
Verglichen mit den Schulbüchern aus Zeiten vor der „Bildungsreform“ sind die heutigen Schulbücher derart primitiv, daß man nur noch von einem riesigen Volksbetrug sprechen kann. Da werden seit 1969 Jahr um Jahr von Schulbuchgenehmigungskommissionen die absurdesten Bücher und überflüssigsten Lehr- und Lernmittel genehmigt. Der Steuerzahler bezahlt im Rahmen der sogenannten Lehrmittelfreiheit jeden schwachsinnigen Müll, ein jahrzehntelang betriebener Betrug an Kindern und Eltern.
2002 sind alle Parteien für Ganztagsschulen: Der Betrug mit Schulbüchern und Lehrmitteln soll quasi verdoppelt werden. Auch die vorschulische Betreuung in Kindergärten und -krippen soll offenbar ausgeweitet werden: Ein Riesengeschäft für die Lehrmittelfabriken, die ihr lächerliches genehmigtes Müllzeug flächendeckend verscherbeln werden, zu welchem die Lehrplankonstrukteure schon ihre leeren Wortmachereien und Rüpelstücke beisteuern werden.
Der nächste Pisa-Test kommt bestimmt. Das Ergebnis läßt sich vorhersagen: Die Kinder sind schon wieder dümmer geworden, noch mehr Geld wird in untaugliche „moderne Unterrichtsmethoden“ und neueste, wieder mal „wissenschaftlich erforschte“, und in von den Kultusministern empfohlene und zugleich genehmigte Lehrmittel gesteckt werden, damit der bestens eingefahrene Riesenbetrug weitergehen kann.
Lesen und schreiben genug?
Richtiges Lesen wurde verboten von den „Kultusministerien“, die sich zu Institutionen der Bildungsabschaffung profilierten. Die Kinder finden nur noch verballhornte Texte in den Lesebüchern. Alle zeitgenössischen Schriftsteller von Rang lehnen eine Verschandelung ihrer Werke ab, mit dem Ergebnis, daß ihre Texte für den Gebrauch in Schulbüchern nicht mehr genehmigt werden von dubiosen Genehmigungskommissionen der Kultusbürokratie. Selbst der verstorbene Brecht, dessen Verleger und Rechteinhaber die Verfälschung zu Mülldeutsch abgelehnt hat, darf nicht mehr in Schulbüchern stehen.
Stattdessen wird ein unsäglich sprachverhunztes, dysgrammatisches Zeug den Kindern aufgezwungen. Dosdrowski: „Einige Reformer hatten von der Verschriftung der Sprache und der Funktion der Rechtschreibung für die Sprachgemeinschaft keine Ahnung, von der Grammatik, ohne die es bei Regelungen der Orthographie nun einmal nicht geht, sowieso nicht.“
Reiner Kunze schreibt in „Die Aura der Wörter“: „Zu dekretieren, die zusammengeschriebenen Wörter wieder getrennt zu schreiben, hieße zu ignorieren, was eine Gemeinschaft von fast hundert Millionen Menschen in hundert Jahren an Sprachgefühl entwickelt und an Sprachintelligenz investiert hat.“
„Ununterschwimmbar“ nennt er eine Prodeformschmiererei der CSU/CDU -nahen Zeitschrift, des Deutschlandmagazins, das noch von Adenauer mitbegründet wurde, das bis 1996 vehement die Reform bekämpft hatte, das indes 1999 plötzlich umkippte mit der ununterschwimmbaren Logik: „Wir unterstützen die Rechtschreibreform und lehnen die Abtreibung ab.“
Und weil Brechts „Mutter Courage“ als Schullektüre nicht mehr tragbar sei, da meint er: „Sie übertrumpfen die Taliban: Um der reinen Lehre willen bringen sie sich um die Statuen des eigenen Glaubens.“
Keiner weiß mehr, was Bildung eigentlich war. So überschüttet man die Schulkinder weiter mit genehmigtem Müll, Chaos und Murks. Unbildung und Idiotenkram haben seit über dreißig Jahren Hochkonjunktur. Das neueste Modewort dafür lautet Bildungsstandards, Bildungsstandards. Womöglich ist diese unglaublich riesige Betrugsspirale gar nicht mehr abschaffbar.
Lieber Theodor Woldsen, noch etwas ganz Bedauerliches: Kurz nach Deinem Tode haben die Preußen und Deutschland um 1902 herum eine erste Rechtschreibreform gemacht. Deine Zeile „Das Himmelsthor ist aufgethan“ wurde verhunzt zu „Das Himmelstor ist aufgetan“. Ebenso erging es entsprechenden Zeilen Deines Freundes Theodor Fontane, und selbst vor Goethe machte man da nicht halt. Am Anfang war die That, - seit 1902 lernen wir „Tat“. Thräne folgt den Thränen wurde zu Träne folgt den Tränen. Du als größter Lyriker nach Goethe weißt, was es bedeutet, wenn einem Dichter einzelne Buchstaben aus einem Wort weggestrichen werden. Oder hinzugefügt werden: Ein Schauer faßt mich: fasst.
Einen kleinen Lichtblick will ich Dir nicht verschweigen: Deinem langjährigen Brieffreunde Gottfried Keller allein ergeht es heute ein wenig besser, denn die Schweiz bringt eine neue Gesamtausgabe seiner Werke heraus, da schreibt man die Wörter wieder wie Keller selbst, also „zuthulich“ mit th und „daß“ mit ß. Schweizer Kinder und Erwachsene vor allem können wieder originale Sätze von Keller lesen. Aber unsere deutschen „Taliban“ werden das als nicht tragbar für genehmigte Schulbücher verbieten.
Goethes Weimarer Ausgabe und Schillers Werke befinden sich inzwischen im Internet, aber der normale Bürger kann nicht darauf zugreifen, sie sind ausgebürgert aus den Schulbüchern und abgeschoben ins Netz. Kellers Briefe an Dich und Deine an ihn, die sind immerhin zugänglich im Netz, aber in ein deutsches Lesebuch, da dürfen sie nicht hinein, wegen „muß“ und „Nuß“, das zensieren die Kultus-Taliban. Was sagt denn Dein und Kellers Freund Paul Heyse dazu, unser erster Literaturnobelpreisträger, und was meint Heinrich Heine? Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, da s s ich so traurig bin, - springt Heine da nicht an die Decke, hält er es für Nazideutsch oder für neuantisemitisch? Und der der alte Goethe, der muß vielleicht sauer sein, nicht wahr?
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Rolf Genzmann
eingetragen von Theodor Ickler am 26.09.2002 um 10.00
Ich möchte nicht mißverstanden werden: das Buch ist trotzdem unersetzlich und im allgemeinen sehr gut gelungen. Ich habe es noch nicht ganz durchgelesen (es kam ja gestern erst an), aber die ersten 200 Seiten beweisen schon die Qualität. Was mir persönlich etwas gegen den Strich geht, ist das Übergewicht der Chomskyschen Linguistik, die sozusagen die selbstverständliche Grundlage bildet, so daß bei Begriffserklärungen gar nicht mehr darauf hingewiesen wird, im Gegensatz zu anderen Schulen der Linguistik. Aber vielleicht ist das immer noch das vorherrschende Paradigma. Außerdem wird noch Dependenz/Valenz stark berücksichtigt, aber einen so aufregenden Ansatz wie den von Anna Wierzbicka muß man mit der Lupe suchen.
Die angegebene Literatur stammt zu 90 Prozent aus den USA, was ja wohl auch nicht unbedingt wirklichkeitsnah ist.
Die Literatur zur Rechtschreibreform ist ganz orthodox ausgewählt: nur Augst und seine Freunde. Und unter "Duden" wird im Indikativ Präsens referiert, daß der Rechtschreibduden verbindlich sei.
Nachtrag: Unter "Rechtschreibung" heißt es zwar: "Zur Neuregelung der R. seit 1996 vgl. > Rechtschreibreform."
Aber unter diesem Stichwort wir die jüngste RSR mit keiner Silbe erwähnt, und auch die Literatur stammt ausnahmslos aus vorreformatorischer Zeit.
Das Lexikon ist insgesamt gekennzeichnet durch den Glauben an die unbedingte Überlegenheit der angloamerikanischen Sprachwissenschaft, so daß auch noch der winzigste Einfall irgendeines Amerikaners einen Eintrag erhält ("Relativierte Minimalität" usw.). Ferner durch den Glauben an die unbedingte Überlegenheit der Gegenwart über die Vergangenheit. Was zum Beispiel Hermann Paul vor hundert Jahren als "Gliederungsverschiebung" abhandelte, ist offenbar nicht der Erwähnung wert, aber unter "Reanalyse" tritt es mit großem Pomp wieder auf.
– geändert durch Theodor Ickler am 04.10.2002, 11.11 –
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Th. Ickler
eingetragen von Elke Philburn am 26.09.2002 um 09.30
Das Bußmann-Lexikon gehörte immer zu meinen Favoriten, wenn es darum ging, linguistische Fachtermini nachzuschlagen.
Sollen wir jetzt alle daran erinnert werden, daß das, was uns in der Sprache völlig normal erscheint, in Wirklichkeit von patriarchalischen, frauenfeindlichen Strukturen geprägt ist?
Im Grunde müßte man ja beim Sprechen und Schreiben ständig ein schlechtes Gefühl haben...
eingetragen von Theodor Ickler am 25.09.2002 um 14.28
Soeben ist bei Kröner die Neubearbeitung von Hadumod Bußmanns "Lexikon der Sprachwissenschaft" erschienen. Ich hatte meine Mitarbeit aufgekündigt, weil mir die Rechtschreibreform dafür keine Zeit mehr ließ. Nachträglich bin ich doppelt froh über meinen Entschluß, denn das Buch leidet an zwei Schönheitsfehlern: der neuen Rechtschreibung und der politischen Korrektheit.
Zum ersten Punkt:
"Gegen meine fachliche Überzeugung, wiewohl mit meiner pragmatisch motivierten Zustimmung, wurde die deutsche Rechtschreibung ebenso maßvoll wie systematisch den wichtigsten Neuregelungen vom 1. 8. 1998 angepasst." (S. 22)
Wie finden u. a.: klein schreiben, groß schreiben, auf deutsch und auf englisch.
Außerdem: Historische Beispiele sind ... wieder gegeben.
Zwischen selbständig und selbstständig wird manchmal innerhalb weniger Zeilen mehrmals gewechselt (S. 53)
Zum zweiten Punkt:
SprecherInnen - Hierzu sagt Frau Bußmann, die auch feministische Arbeiten veröffentlicht hat: "Um Zweifeln an dem angeblich geschlechtsunspezifischen Verständnis maskuliner Personenbezeichnung in linguistischen Beschreibungen vorzubeugen, wurde das - für schriftliche Texte äußerst handliche - "große I" verwendet. Zu erwartende Kritik an diesem Verfahren vermag die Notwendigkeit solcher Bemühungen um political correctness nur zu unterstreichen." (S. 8)
Das ist die bekannte Logik der heiligen Inquisition: Gesteht die Hexe, wird sie verbrannt. Leugnet sie, ist sie vom Teufel besessen und wird erst recht verbrannt.
An sachlichen Fehlern ist erwähnenswert:
Unter "Deutsch" wird behauptet, nach der "SprecherInnenzahl" nehme Deutsch den sechsten Platz ein, nach Chinesisch, English (sic), Hindi/Urdu, Spanisch und Russisch. Unter den betreffenden Stichwörtern erfährt man jedoch, daß Arabisch, Bengali ("die SprecherInnenreichste indo-arische Sprache"), Japanisch und Portugiesisch mehr Sprecher haben; daraus ergibt sich Rang 10 fürs Deutsche.
Der Behaviorismus wird wieder mal völlig falsch dagestellt: "Assoziation" als Erklärungsprinzip bei Skinner usw.
Für chinesische Alltagskommunikation soll man 6000 bis 8000 Zeichen benötigen, für Wissenschaft das Zehnfache! Das ist um eine Zehnerpotenz zu hoch gegriffen; unter "Chinesisch" stehen bessere Zahlen.
– geändert durch Theodor Ickler am 27.09.2002, 05.38 –
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Th. Ickler
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