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eingetragen von Henning Upmeyer am 26.02.2003 um 17.52
Zu: Christa Dürscheid, Einführung in die Schriftlinguistik:
Seite 166 - 168:
Günthersche "Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung
a) Wo keine syntaktische "Sollbruchstelle" vorliegt, wird zusammengeschrieben.
b) Innerhalb von syntaktischen Wörtern gibt es keine Leerzeichen.
Nach Maas (1992) sind syntaktische Sollbruchstellen solche Stellen, an denen die Möglichkeit besteht, die Planung im Satz zu verändern, "im gleichen oder in einem anderen Muster fortzufahren". An diesen Stellen sind a) Einschübe möglich, kann b) eine Substitution vorgenommen werden und c) das Muster durch Umstellung revidiert werden."
Christa Dürscheid (2002): "Das Substantiv 'Eis' stellt in der Konstruktion 'Eis laufen' keine selbständige Ergänzung dar, es rückt in die Nähe eines Verbzusatzes. Dies sieht man daran, daß es nicht in den Plural gesetzt und weder einen Artikel noch ein Adjektiv zu sich nehmen kann."
Meine Meinung (H.U.) dazu:
Viele bisherige Univerbierungen haben sich gebildet, weil dadurch die für das Verständnis nicht zwingend nötigen Wörter eingespart worden sind und die so entstandenen Verbzusätze eine Wortgruppe ersetzt haben.
Die Rechtschreibreformer ignorieren, daß eine syntaktische Sollbruchstelle nur in den ursprünglichen Wortgruppen bei den Substantiven vorhanden ist, aber bei diesen jetzt getrennt zu schreibenden Rest-Substantiven nicht mehr vorhanden ist.
Bei den folgenden zusammengesetzten Verben steht der erste Bestandteil für eine Wortgruppe. Nach Maas und Günther sind sie mit dem Verb zusammenzuschreiben, weil in der verkürzten Form keine syntaktische Sollbruchstelle mehr vorhanden ist.
Ersatz für den Instrumental
mit der Bahn, dem Bus, dem Auto, dem Rad, dem Schlitten fahren - bahn-, bus-, auto-, rad-, schlittenfahren, mit Karten spielen - kartenspielen, mit Lob preisen - lobpreisen;
Ersatz für den Lokativ
am Reck turnen - reckturnen;
auf dem Eis laufen - eislaufen, auf dem Kopf stehen - kopfstehen, auf dem Seil tanzen - seiltanzen, auf dem Klavier spielen - klavierspielen, auf dem Rücken, auf der Brust, auf der Seite schwimmen - rücken-, brust-, seitenschwimmen, auf der Maschine schreiben - maschineschreiben, auf dem Posten stehen - postenstehen, auf Skiern, auf Schlittschuhen laufen - skilaufen, schlittschuhlaufen;
in der Schlange stehen - schlangestehen, in die Pleite gehen - pleitegehen, im Schlaf wandeln - schlafwandeln, im Schritt fahren - schrittfahren;
über den Bock springen - bockspringen;
eingetragen von Theodor Ickler am 24.02.2003 um 08.12
Utz Maas hat von Schülern und Freunden eine Festschrift bekommen. Sie kann ihm nicht viel Freude gemacht haben.
Bommes, Michael/Christina Noack/Doris Tophinke (Hg.): Sprache als Form. Festschrift für Utz Maas zum 60. Geburtstag. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002.
Die Orthographie scheint den Beiträgern überlassen worden zu sein. Die bedeutenderen Autoren wie Peter Eisenberg und Dieter Wunderlich schreiben herkömmlich, die anderen versuchen sich in Neuschrieb, aber mit wenig Erfolg.
Der erste Beitrag ist von Siegfried Kanngießer. Er ist in einer chaotischen Orthographie gehalten, grundsätzlich reformiert, aber gewissermassen, Grössen (nur so), heisst, erschliesst usw.; aber auch mehrmals daß, im übrigen. In den Fußnoten scheint jedes ß durch ss ersetzt worden zu sein. Zwischendurch wird auch das Relativpronomen mit ss geschrieben: ein Problemfeld, dass bis in die Leib/Seele-Problematik reicht. Anderswo hat dafür die Konjunktion nur ein s: Das Experiment zeigt, das die Hypothese, dass ... (167).
das in Frage Stellen (153) ist auch nicht richtig.
Viele Druckfehler: Ges-talten, handschritflich, Comsky
Trennungen wie Le-ga-sthenie sind widersinng, weil eine Asthenie ja gerade das Gegenteil einer Sthenie ist.
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Th. Ickler
eingetragen von Henning Upmeyer am 23.02.2003 um 22.32
Zu: Christa Dürscheid, Einführung in die Schriftlinguistik
Seite 160:
"Maas'sche Regel zur Groß- und Kleinschreibung
Der Kern jeder nominalen Gruppe im Satz wird mit einem initialen Großbuchstaben markiert."
"Allerdings ist das nur gültig, wenn die Regel auf Wörter bezogen wird, die in expandierbaren Nominalgruppen stehen. Pronomen z.B. sind nicht expandierbar."
Seite 161:
"Maas'sche Definition von 'Kern'
Ein nominales Element ist in syntaktischer Hinsicht nur dann Kern einer nominalen Gruppe, wenn es expandierbar ist."
"Maas legt die Großschreibung im Satzinnern nicht auf eine Wortart fest. Es können auch andere Wortarten diese Position einnehmen.
Günther (1998): Ein solcher Kern wird ein sprachlicher Ausdruck nicht durch Geburt, sondern durch die syntaktische Struktur, in der er vorkommt."
Meine Meinung (H.U.) dazu:
Der Begriff "expandierbar" muß auf jeden Fall genauer erklärt werden:
Der "Kern" einer nominalen Gruppe (Namenwortgruppe im Satz) kann nur mit solchen Wörtern "expandiert" (erweitert) sein oder werden, die mit Substantiven (Namenwörtern) verbunden werden dürfen: mit Artikeln (Begleitern), Demonstrativpronomen (hinweisenden Fürwörtern), Adjektiven (Eigenschaftswörtern) oder (bestimmten oder unbestimmten) Zahlwörtern. Nur dann ist das erweiterte oder erweiterbare Wort ein "Kern" und großzuschreiben.
Er kann nicht mit Wörtern "expandiert" (erweitert) sein oder werden, die nur mit Adjektiven (Eigenschaftswörtern) und Adverbien (Umstanswörtern) verbunden werden dürfen: nicht mit Vergleichs-, Verstärkungs- oder Steigerungspartikeln (-wörtern). Dann ist das erweiterte oder erweiterbare Wort kein "Kern" und kleinzuschreiben. Andernfalls wäre es ein schwerer Grammatikfehler wie "Es tut mir sehr Leid".
Dann ist es eine sehr große Erleichterung für die Schreiber, weil sie nicht mehr überlegen müssen, ob ein Wort hier als Substantiv (Namenwort) gebraucht (also "substantiviert") wird und folglich großgeschrieben werden muß oder ob ein Substantiv hier nicht als Substantiv gebraucht (also "desubstantiviert") wird und folglich kleingeschrieben werden muß. Für die Grundschüler, die am meisten mit der Groß- und Kleinschreibung geärgert werden, sind "substantiviert" und "desubstantiviert" sowieso unzumutbare Bezeichnungen.
– geändert durch Henning Upmeyer am 27.02.2003, 13.04 –
eingetragen von Henning Upmeyer am 17.02.2003 um 23.29
Zitiert aus: Studienbücher zur Linguistik: Christa Dürscheid, Einführung in die Schriftlinguistik, Westdeutscher Verlag, 1. Auflage September 2002; 24,90 Eur:
Seite 158 ff:
4.5 Wortgruppenschreibung
4.5.1 Schreibung von Wörtern innerhalb syntaktischer Einheiten
Seite 159 ff:
4.5.2 Die Groß- und Kleinschreibung
"Wie Lutz Maas (1992) eindrucksvoll gezeigt hat, geht es bei der satzinternen Großschreibung überhaupt nicht darum, eine Wortart zu kennzeichnen. Gekennzeichnet wird vielmehr das Wort, das im Satz als Kern einer nominalen Gruppe fungiert.
Jeder Kern ist expandierbar, kann also um weitere Konstituenten ergänzt werden. Maas (1992) bezieht seine Grundregel zur Großschreibung im Satzinnern auf diesen Begriff des Kerns. Er formuliert folgendermaßen:
Maas'sche Regel zur Groß- und Kleinschreibung
Der Kern jeder nominalen Gruppe im Satz wird mit einem initialen Großbuchstaben markiert.
Allerdings ist das nur gültig, wenn die Regel auf Wörter bezogen wird, die in expandierbaren Nominalgruppen stehen. Pronomen z.B. sind nicht expandierbar.
Definition von 'Kern'
Ein nominales Element ist in syntaktischer Hinsicht nur dann Kern einer nominalen Gruppe, wenn es expandierbar ist.
Maas legt die Großschreibung im Satzinnern nicht auf eine Wortart fest. Es können auch andere Wortarten diese Position einnehmen.
Günther (1998): Ein solcher Kern wird ein sprachlicher Ausdruck nicht durch Geburt, sondern durch die syntaktische Struktur, in der er vorkommt."
Seite 163 ff:
4.5.3 Getrennt- und Zusammenschreibung
"Die Getrennt- und Zusammenschreibung steht im Dienst der grammatischen Strukturierung des Satzes und damit vorrangig im Interesse des Lesers.
Unsicherheiten treten dann auf, wenn sich die Wörter in einem Univerbierungs- oder Inkoporierungsprozeß befinden. Unter Univerbierung versteht man den Prozeß des Zusammenwachsens einer zwei- oder mehrgliedrigen syntaktische Konstruktion zu einem Wort. Eine Inkoporierung liegt vor, wenn das Objekt eines transitiven Verbs zum Erstglied eines komplexen Verbs wird.
An dieser Stelle möchte ich (d.i. Christa Dürscheid) einen alternativen Ansatz zur Unterscheidung von Wortgruppe/Wort vorstellen. Dabei nehme ich auf Maas (1992) Bezug. Wie auch bei der Analyse der Großschreibung im Satzinnern rückt Maas die Tatsache in den Vordergrund, daß dem Leser mit der Getrennt- und Zusammenschreibung Instruktionen zur Strukturierung des Textes gegeben werden sollen. Der Text wird durch die Leerstellen untergliedert. Ein Spatium wird jeweils an einer syntaktischen "Sollbruchstelle" gesetzt (vgl. Maas 1992). Eine Regel, die Günther (1997) im Anschluß an Maas (1992) aufstellt:
Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung
a) Wo keine syntaktische "Sollbruchstelle" vorliegt, wird zusammengeschrieben (vgl. Maas 1992).
b) Innerhalb von syntaktischen Wörtern gibt es keine Leerzeichen (vgl. Günther 1997).
Nach Maas (1992) sind syntaktische Sollbruchstellen solche Stellen, an denen die Möglichkeit besteht, die Planung im Satz zu verändern, "im gleichen oder in einem anderen Muster fortzufahren". An diesen Stellen sind a) Einschübe möglich, kann b) eine Substitution vorgenommen werden und c) das Muster durch Umstellung revidiert werden. Sieht man von der Umstellung ab, werden die im Satz vorhandenen Wörter von diesen Operationen nicht tangiert. Betroffen ist die Leerstelle zwischen den Wörtern, nicht das Wort selbst.
Das Wort existiert also nicht per se, es erscheint nur im Text. Damit ist der Wortbegriff an Leerzeichen gekoppelt, doch nicht über Leerzeichen definiert. Es resultiert aus den syntaktischen Operationen, die an bestimmten Stellen in der scriptio continua möglich sind.
Kommen wir nun abschließend zu der von Günther (1997) formulierten Regel, nach der innerhalb von syntaktischen Wörtern keine Leerstellen auftreten. Formuliert man diese Regel als Schreibanweisung um, dann lautet sie: Da, wo "syntaktisch nichts passiert" (Günther 1997), schreiben wir zusammen. Eben dies ist, so Günther, der Grund dafür, daß im Deutschen Wörter wie 'Haustür', 'Fernsehdirektübertragung' etc. zusammengeschrieben werden. Zwischen den Teilen besteht keine syntaktisch definierte Beziehung, es 'passiert nichts'. Wenn hingegen von der Tür des Hauses die Rede ist oder von porte de la maison, dann liegen die Dinge anders. Hier gibt es Stellen, an denen syntaktische Operationen vorgenommen werden können. Dabei geht es nicht darum, ob eine solche durchgeführt wird; wichtig ist, ob sie durchgeführt werden kann. Liegt keine Inkoporation vor, wird man getrennt schreiben.
Allerdings ist anzumerken, daß diese Überlegungen in der Neuregelung zur deutschen Rechtschreibung nicht berücksichtigt wurden. Man schreibt solche Verbindungen in allen Kontexten getrennt.
Hartmut Günther (1997) stellt hierzu mit Blick auf Schreibungen wie 'Eis laufen' fest: "Das neue Schriftbild, in dem immer getrennt wird, signalisiert durch das Spatium syntaktische Analysierbarkeit, wo keine vorhanden ist; dies wird verschärft durch die Vorschrift, den nominalen Teil stets groß zu schreiben." In der Tat sind die beiden Syntagmen 'Eis laufen' und 'Eis essen' nur an der Oberfläche parallel. Das Substantiv 'Eis' stellt in der Konstruktion 'Eis laufen' keine selbständige Ergänzung dar, es rückt in die Nähe eines Verbzusatzes. Dies sieht man daran, daß es nicht in den Plural gesetzt werden und weder einen Artikel noch ein Adjektiv zu sich nehmen kann (vs. 'das Eis essen'). Die nunmehr obligatorische Getrenntschreibung steht damit, so Günther (1997), "im Gegensatz zum wohldokumentierten Trend zur Univerbierung in der gesprochenen und der geschriebenen deutschen Sprache in den letzten 500 Jahren." Deutlicher noch sagt es Eisenberg (1998a): "Ein klarer Systemverstoß"."
Seite 258
7. Wiederholungsfragen
Seite 261 ff.
Fragen zu Kap. 4
19. "Hartmut Günther schreibt in Bezug auf Beispielsätze wie 'Hans möchte gern mit seinen Kindern Eis laufen' bzw. 'Hans möchte gern mit seinen Kindern Eis kaufen': "Die Schreibung signalisiert (jedenfalls dem heutigen Leser), daß 'Eis' in allen Sätzen ein Substantiv ist, das eine syntaktische Beziehung zum Verb hat. Eine solche Beziehung gibt es beim 'Eislaufen' natürlich nicht" (1997).
Erläutern Sie, worin der syntaktische Unterschied zwischen 'Eis laufen' und 'Eis kaufen' besteht und diskutieren Sie vor diesem Hintergrund die Tatsache, daß beide Konstruktionen nach der Neuregelung getrennt geschrieben werden."
Seit 268 ff.
Lösungsvorschläge zu Kap. 4
19. "In der Konstruktion 'Eis kaufen' stellt 'Eis' ein Objekt zu dem Verb 'kaufen' dar, es tritt also in eine syntaktische Beziehung zum Verb. In 'Eis laufen' hingegen handelt es sich nicht um eine selbständige Ergänzung. 'Eis' kann hier weder einen Artikel noch ein Adjektiv zu sich nehmen. Das Substantiv ist hier in das Verb inkorporiert. Mit anderen Worten: Eine Beziehung zwischen 'Eis' und 'laufen' existiert nur auf lexikalischer, nicht auf syntaktischer Ebene. In solchen Fällen sollte man die Substantiv-Verb-Verbindung zusammenschreiben. In der Neuregelung wurde dem nicht Rechnung getragen, alle trennbaren Bildungen vom Typ 'Substantiv + Verb' werden getrennt geschrieben. Somit werden syntaktisch unterschiedliche Fälle orthographisch gleich behandelt."
Eine persönliche (d.i. H.U.) Bemerkung zu diesem Buch:
Ich finde es vorbildlich, daß alle darin enthaltenen Zitate in ihrer originalen Rechtschreibung abgedruckt sind und dadurch keine Geschichtsfälschung begangen wird.
– geändert durch Henning Upmeyer am 20.02.2003, 20.36 –
eingetragen von Theodor Ickler am 14.11.2002 um 08.14
Christa Dürscheid: Einführung in die Schriftlinguistik. Westdeutscher Verlag Wiesbaden 2002. (Studienbücher zur Linguistik 8)
Das Werk besteht aus zwei deutlich verschiedenen Teilen. In der ersten Hälfte bietet es einen Überblick über die Schriftsystem und deren Geschichte, in der zweiten eine Darstellung der deutschen Orthographie und ihrer Reform, abschließend auch etwas zur Schreibdidaktik in der Grundschule.
Das Buch ist, wie die ganze Reihe, in einer Version der Reformorthographie verfaßt. Dabei unterlaufen die üblichen Fehler:
bustrofedon (nur so)
weiter getragen wird die Schriftkritik (17)
einer der meist zitierten Autoren (18)
tiefgreifend (nur so)
auch ist es falsch anzunehmen ...
es wäre sicher interessant zu prüfen ...
folgendes (neben überwiegendem Folgendes)
zeitsparend und platzsparend (S. 72; vgl. die neuesten Wörterbücher!)
ein rückwärtsgerichteter Pfeil (75)
dieses Wort ist gleichlautend mit ... (120)
Außerdem wäre zu korrigieren:
der amerikanische Strukturalismus, zu dessen Hauptvertreter Leonhard Bloomfield zählt (18)
nach Bloomfields berühmten Diktum (18)
stellt dieses Merkmal eines der zentralen Unterschiede dar (42)
spelling pronounciation (44)
die Koch/Oesterreich'sche (statt Oesterreicher'sche) (48)
der vollständig-expliziter Satz (64)
(fehlendes "auf", S. 168 u.)
Sachliches:
"Was die Ontogenese betrifft, so gilt, dass der Mensch zwar über die genetische Disposition verfügt, eine Sprache zu erwerben, nicht aber über die Dispositon, schreiben und lesen zu lernen. Die Schriftkompetenz zählt zu den Fertigkeiten, die dem Kind vermittelt werden müssen." (S. 40) - Offensichtlich muß dem Kind auch die gesprochene Sprache vermittelt werden. Jeder gesunde Mensch kann schreiben und lesen lernen, aber kein Tier kann es, folglich muß es dazu eine genetische Disposition geben.
"Zu Recht stellen Leiss/Leiss (1997) fest, dass (...) die Dekodierungsleistung des Hörers weitaus größer ist als die des Lesers." (S. 41) - Was heißt hier "Leistung"? Ist Hören anstrengender als Lesen? Lernt man nicht viel früher Hörverstehen als Leseverstehen? Wenn man müde ist - fällt Lesen dann nicht schwerer als Hören?
Bei der ganzen Diskussion um mündliche und schriftliche Texte müßte die indische Kultur stärker (bzw. überhaupt) berücksichtigt werden. Wer die gewaltigen mündlich überlieferten Textmassen, Lehrwerke und Kommentare kennt (zum Beispiel der Panini-Schule), revidiert sein Urteil über diese Dinge.
S. 68: Die mündliche Rede hat kein "Produkt", sondern ist reine Tätigkeit.
S. 128: Der Diskos von Phaistos wird zuerst als "längster Linear-B-Text" bezeichnet, wenige Zeilen später heißt es, er sei in Linear A abgefaßt. In einer Fußnote behauptet D., "dass die Zeichen ohne Zwischenräume aneinander gereiht wurden. Die richtige Segmentierung stellt also die erste große Hürde dar." - Aber gerade beim Diskos von Phaistos fällt die überdeutliche Markierung der Wort- oder Satzgrenzen durch senkrechte Striche auf. Das andere auffällige Merkmal wird gar nicht erwähnt: die Zeichen sind nicht geschrieben, sondern "gedruckt" (gestempelt). (s. Abb. etwa unter http://titus.fkidg1.uni-frankfurt.de/didact/idg/grie/mykkypr.htm)
S. 198: (zum dritten Bericht der Kommission:) "In diesem Bericht findet sich eine gut durchdachte Auseinandersetzung mit der Kritik, die von verschiedenen Seiten gegen die Reform vorgetragen wurde."
Der dritte Bericht ist vielleicht raffiniert, aber nicht gut durchdacht, vgl. meinen Kommentar.
S. 191: "Maßgeblich in allen Zweifelsfällen ist nun nicht mehr der Duden, sondern eine staatlich eingesetzte Kommission."
Die Kommission erarbeitet auftragsgemäß nur "Vorschläge", entscheiden kann sie nichts. Auch die Maßgeblichkeit des Dudens beruhte auf staatlicher Ermächtigung; damals war wenigstens klar, wer auskunftsberechtigt ist. Gegenwärtig ist das nicht klar, und die Kommision selbst ist auch gar nicht in der Lage, die Einzelanfragen zu beantwortern, die bisher der Dudenredaktion unterbreitet und von ihr immer wieder in kodifizierten Werken zusammengefaßt wurden.
S. 199: "Das Wörterverzeichnis schließlich umfasst ca. 20.000 Einträge."
Es umfaßt nach eigener Zählung sowie nach Äußerungen der Reformkommission ca. 12.500 Einträge.
S. 221: "Ickler kritisiert die neue Trennregel zumit den folgenden Worten: 'Diese Trennung widerspricht aber nun der Grundregel, da es in echten deutschen Wörtern keine offenen Silben mit kurzem Vokal gibt.' Dazu ist kritisch anzumerken: Ickler bezieht sich mit dieser Äußerung auf die Sprechsilbe. Bei den Trennregeln geht es aber um die Schreibsilbe."
Abgesehen von der Problematik der "Schreibsilbe": Das Regelwerk selbst bezieht die Silbentrennung - wie seit je üblich - eindeutig auf die Sprechsilbe: "Geschriebene Wörter trennt man am Zeilenende so, wie sie sich bei langsamem Sprechen in Silben zerlegen lassen." (§ 107) Mein Einwand hält sich genau an diese Vorgabe.
Sonstiges:
Die Schriftproben sind zum Teil nicht sehr deutlich wiedergegeben, die japanische Bedienungsanleitung S. 90 läßt sich kaum entziffern. Der Verfasserin wäre das wohl aufgefallen, wenn sie die betreffenden Schriften selbst lesen könnte.
Das Buch besteht fast ganz aus einer Kompilation aus den Werken anderer Autoren; eigene Forschung ist nicht erkennbar, die Quellen werden auch stets angegeben. Manchmal wird sogar um Ecken herum zitiert ("Friedrich 1966 nach Schmitt 1980").
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Th. Ickler
Alle angegebenen Zeiten sind MEZ
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