Forum (http://Rechtschreibung.com/Forum/index.php)
- Rechtschreibforum (http://Rechtschreibung.com/Forum/forumdisplay.php?forumid=8)
-- Was kommt 2005? (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=676)


eingetragen von J.-M. Wagner am 16.09.2003 um 16.02

Wenn ich mir vorstelle, daß es bei dem mit der Reform eingeschlagenen Weg bliebe, müßte es weiterhin die (bzw. eine gleichwertige) Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung geben, die alle paar Jahre kleine Änderungen der Orthographie veranlaßt, denn schließlich wird sich die Sprache und die Schreibung weiterhin auch von selbst verändern (und eben nicht nur durch so einen dirigistischen Eingriff wie die Reform von 1996). Sprich, wir wären dann in etwa in der gleichen Situation wie vor der Reform, als es die Dudenredaktion war, die über entsprechende Anpassungen befunden hat. Was also hätte man vom Prinzip her gewonnen, tauschte man letztlich nur das eine Gremium (Dudenredaktion) durch ein anderes (zwischenstaatliche Kommission) aus? Aber ist nicht gerade diese Situation, daß eine Kommission willkürliche Festlegungen getroffen hat, einer der Hauptgründe für den Korrekturbedarf bei der Rechtschreibung? Mit anderen Worten: Auf dem mit der Reform eingeschlagenen Weg wird man den gleichen selbstgemachten Problemen wie zuvor entgegengehen!

Mehr noch: Da die alte Dudenorthographie nicht hauptsächlich auf den Regeln beruhte, sondern (was konkrete Schreibweisen betrifft) auf den Einträgen im Wörterverzeichnis, war es relativ leicht möglich, einzelne erforderlich erscheinenden Veränderungen vorzunehmen. Mit Ausnahme der Laut-Buchstaben-Zuordnung gehen in der Reformschreibung aber die Regeln vor den Einzelwortschreibungen! Das bedeutet, daß es schwieriger ist, etwas zu ändern, das nur über eine Regeländerung möglich ist, denn dann müssen alle Fälle, die sich nicht ändern sollen, anhand des (dann) neuen Regeltextes überprüft werden.
Viel Spaß dabei!
__________________
Jan-Martin Wagner


eingetragen von Jörg Metes am 13.08.2003 um 08.26

Vielleicht der Elternverein Nordrhein-Westfalen (von dem ich freilich nicht mehr weiß, als daß er unreformiert schreibt)?
__________________
Jörg Metes


eingetragen von Martin Reimers am 13.08.2003 um 08.16

Viele hier im Forum versuchen sich auszumalen, wie es nach 2005 werden könnte, wenn Schüler für ihre Vertrautheit mit der modernen deutschen Literatur im Zeugnis abgestraft werden sollen. Seit geraumer Zeit ist auch die Rede davon, daß die voraussehbare Prozeßwelle den Kultusministern einiges Kopfzerbrechen bereiten könnte. Ich denke, hier sollte man schon jetzt die Initiative ergreifen.

Wäre es nicht möglich, eine Erklärung zu verfassen, in der sich Eltern durch ihre Unterschrift verpflichten, gegen die Wertung von "Altschreibungen" als Fehler in den Klassenarbeiten ihrer Kinder gerichtlich vorzugehen? Vielleicht könnte das die Kultusminister in einige Erklärungsnot bringen.

Gibt es derzeit eine Elterninitiative, die so etwas in die Hand nehmen könnte?
__________________
Martin Reimers


eingetragen von J.-M. Wagner am 11.08.2003 um 20.55

(Lieber Herr Fleischhauer, falls Sie sich hier vorgeführt vorkommen, bedauere ich das, stelle aber trotzdem die Frage danach, was an den zuvor genannten Anforderungen auffällig ist, noch einmal - und zwar so: Was steht da, und was steht da nicht?)

Ihre Frage nach dem Grund für die Ablehnung der Reform will ich etwas ausweichend beantworten: Diese Reform hat keine Verbesserung, sondern im wesentlichen eine Verschlechterung der Orthographie bewirkt, denn sie nimmt auf sprachliche Strukturen zu wenig Rücksicht. Diese Strukturen können nun orthographisch nicht nur nicht mehr befriedigend wiedergegeben werden, sondern sie müssen zum Teil sogar verzerrt bzw. falsch wiedergegeben werden. Eine Reform wie die von 1996, in deren Gefolge sich Wortschatz, Wortbedeutungen und Grammatik ändern, ist zudem für meine Begriffe keine (reine) Rechtschreibreform. Weil also das Ziel dieser Reform in mehrfacher Hinsicht verfehlt wurde und ich die Verschlechterungen für intolerabel halte, lehne ich die Reform ab.
__________________
Jan-Martin Wagner


eingetragen von Norbert Schäbler am 11.08.2003 um 15.30

(Nacktestens)

An dieser Stelle einmal etwas ganz Ernstes:
Ich hatte einen Vater, und der hatte auch einen.
Mein Vater, dessen Vater nicht im Krieg, sondern im Krankenbett mit 36 Jahren an Lungenkrebs krepierte, hat früh Fürsorgepflichten entwickelt.

Mein Vater hat sich u. a. Gedanken gemacht über Kosten – auch über Kosten der zweiten Generation, sog. Folgekosten. Er war schon als Kind – damals ging das nicht so schnell mit dem Kinderkriegen und Kinderzeugen – verantwortlich dafür, in die Zukunft hineinzudenken, und er war gezwungen, durch ein von außen eindringendes Ereignis seine Egoismen niederzuhalten.

Was ich als Sohn daraus ableiten kann, ist mit zwei Worten zu sagen: „Idealismus“ contra
„Ideologie“.
Ersteres ist ein beständiger Einsatz und eine Bewährung innerhalb der Realität. Das zweite läuft darauf hinaus, das verlorene Paradies zurückzugewinnen.

__________________
nos


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 11.08.2003 um 14.34

Eine Gegenfrage, lieber Herr Wagner, warum lehnen Sie die Reform ab?
Herr Ickler macht Andeutungen, daß die Schweizer Schreibung die Schreibung der Zukunft sein könnte. Die „Trägheit“, die er darin sieht, kann ich nicht nachvollziehen. Meiner Meinung nach geht es um eine Abwägung. Ich habe auch die Nachteile der Schweizer Schreibung genannt. (Ich glaube aber ernsthaft, daß es trotz dieser Nachteile, eine breite Zustimmung geben könnte.) Mir persönlich fällt die Entscheidung gar nicht leicht. Ich lese ja auch selten Schweizer Texte. Vielleicht sollte ich mal eine Zeitlang so schreiben.


eingetragen von J.-M. Wagner am 11.08.2003 um 13.10

Na, Herr Fleischhauer, fällt Ihnen in Anbetracht des Beitrages von Herrn Schäbler etwas an den Anforderungen auf?
Auch unabhängig davon noch einmal die Frage: Warum lehnen Sie die (bzw. Teile der) Reform ab?

(Auch ich finde die Anforderungen nicht verwerflich – aber ob etwas daran verwerflich ist oder nicht, ist nicht der entscheidende Punkt!)
__________________
Jan-Martin Wagner


eingetragen von margel am 11.08.2003 um 12.18

Es gehört nun wirklich nicht hierher, aber da Sie, lieber Herr Schäbler, gerade den Qualitätsbegriff und "Made in Germany" ins Spiel gebracht haben (völlig zu Recht kann man diese Kategorien auch auf die Rechtschreibung und ihre sog. Reform anwenden,der Qualitätsbegriff trägt hier sehr weit), möchte ich erwähnen, daß ich kürzlich eine Kamera der legendären Marke "Rolleiflex" von 1955 erwoben habe. Ein Wunderwerk an (immer noch!) voll funktionsfähiger Feinmechanik. - Beweist nicht auch die mit heißer Nadel genähte RR, daß der Qualitätsbegriff bzw. -standard, für den Deutschland einmal weltweit höchstes Ansehen genoß, vor die Hunde gegangen ist? Sie müßten einmal die Amerikaner von diesen Apparaten schwärmen hören. So etwas haben sie eben selbst nie hervorgebracht. Deutschland hat viel Unheil in der Welt angerichtet, aber deutsche Wertarbeit war immer ein Begriff.- Und nun ist es so weit gekommen, daß die Deutschen sogar ihre eigene Rechtschreibung und Sprache Pfuschern ausgeliefert haben. Das traurigste ist, daß viele Halb- bis Unwissende dies auch noch als Fortschritt, Modernisierung verkennen.(Damit´s doch noch hierher paßt:Ein Ami schreibt "Frankie & Heideche" (Franke & Heidecke)- macht das was?


eingetragen von Norbert Schäbler am 11.08.2003 um 11.59

In meinem vorhergehenden Beitrag stellte ich die Frage nach der Identität; heute will ich die Frage nach der Qualität nachreichen.

Erneut steige ich ein mit emotionalen Gesichtspunkten; mit der Parole „made in Germany“, und der daraus entspringenden Assoziation „Wertarbeit“ bzw. „wertvolle Arbeit“.
Unbedingt will ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Wirtschaft – auch die deutsche Wirtschaft – ihre Wertorientierung und ihre Arbeitsbedingungen geändert hat. Früher galten noch die wirtschaftlichen Wertekategorien: 1. Qualität, 2. Schnelligkeit, 3. Sicherheit, 4. Menge. Der Qualitätsbegriff hat seine Position nicht halten können!

Wenn ich ganz speziell das Adelungische mit dem Heyseschen Rechtschreibprinzip vergleiche, stelle ich (persönlich) einen eindeutigen Qualitätsvorsprung zugunsten des Systems von Adelung fest.
Die Schreibung mit „ß“ birgt größere Lesefreundlichkeit. Das liegt u. a. in der Struktur des außergewöhnlichen Zeichens. Die Schreibung mit „ß“ erleichtert das schnelle Erfassen und die Sinnentnahme.
Die Schreibung mit „ß“ erleichtert den Schreiblernprozeß. Wörter mit "ß" sind bei der Verwendung spezieller Rechtschreibmethodiken leicht zu automatisieren, und sie sind durch die Überlagerung der Regel: „ss am Schluß, bringt Verdruß“ mengenhaft abzusichern, ohne daß jedes Wort einzeln programmiert werden müßte ...
Die weitere Vorteilssuche überlasse ich den Spezialisten.

Für mich persönlich gibt es keinen Grund, das qualitativ Hochwertigere einzutauschen gegen mindere Qualität.
Einem Zwangsumtausch der wahren Rechtschreibung gegen die Ware Rechtschreibung verweigere ich mich.

__________________
nos


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 11.08.2003 um 07.01

Ich finde an den genannten Anforderungen überhaupt nichts verwerflich.


eingetragen von J.-M. Wagner am 09.08.2003 um 19.48

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
1. Sie ist superleicht zu vermitteln, zu lernen, anzuwenden. Sie ist auf keinen Fall fehlerträchtig.
2. Sie ist "Fremdwort-kompatibel", vor allem, was das Englische betrifft. (Aber vgl. auch "Fasson": in Schweizer Schreibung darf man hier die erste Silbe als offen interpretieren.)
3. Sie ist modern (und seit langem beliebt!), weil sie den Ligaturschnörkel abwirft. Die Systematik der bisherigen Regelung bleibt dabei unangetastet.
4. Das Problem des fehlenden ß-Großbuchstabens gehört der Vergangenheit an.

Hab noch was vergessen; in der Schweizer Schreibung sehen verwandte Stämme auch ähnlich aus: schiessen, schoss, Schuss
Ich bin nicht der Meinung, daß es NUR darauf ankommt, wie gut lesbar eine Schreibweise ist. (Wenn es so wäre, warum haben die Schweizer nicht ein anderes Zeichen der Tastatur geopfert?)
Es ist doch so, daß diejenigen, die die Reform verbreiten, sie nicht wirklich gut finden. Vielleicht wäre das bei einer bloßen Umstellung auf Schweizer Schreibweise ganz anders gewesen. Mir ging es auch eigentlich um die Frage, ob man, die Adelungsche Schreibung opfernd, eine Rücknahme der Reform eher erreichen könnte.
Lieber Herr Reimers,
ich weiß nicht, ob mein Vorschlag auf breite Zustimmung stoßen würde. Darum ja habe ich das Thema in die Runde geworfen. Versuchsweise.
Ich zitiere das jetzt alles auf einen Schlag, weil es für meine Begriffe zusammengehört, gleichzeitig aber quasi neu sortiert werden muß. Es fällt nämlich alles unter folgende Frage: Was wollen wir eigentlich, und warum wollen wir das? Mit dem wir sind alle diejenigen gemeint, die die Reform ablehnen und eine grundlegende Änderung befürworten – was auch die Frage schon zum Teil beantwortet. Der unbeantwortete Teil ist der nach dem Warum. Warum, lieber Herr Fleischhauer, lehnen Sie die (bzw. Teile der) Reform ab? Worauf läßt sich letztlich jede diesbezügliche Begründung zurückführen?

Ich möchte erst einmal nur andeuten, worauf ich mit dieser Grundsatzfrage hinauswill: Mit Ihren oben zitierten vier Punkten (plus dem einen nachgereichten) liegen Sie im wesentlichen auf der Linie der Reformer und ihrer Ideologie, welche Anforderungen an Rechtschreibregeln zu stellen sind. Ich tippe hier einmal ab, was Prof. Gallmann im letzten Semester in seiner Orthographie-Vorlesung verteilt hat. Zum Thema „Das Komma bei Infinitivgruppen“ enthält sein Skript folgende Vorbemerkung:
Anforderung an orthographische Regeln:
Ausführlicher findet man das in seinem Aufsatz „Zum Komma bei Infinitivgruppen“. Darin bezieht sich Gallmann zwar explizit auf die Kommasetzung, er betont aber, daß er die wichtigsten Aspekte nennt, und im Vorlesungsskript kommen die Anforderungen ganz allgemein daher.

Fällt Ihnen an diesen Anforderungen etwas auf?
__________________
Jan-Martin Wagner


eingetragen von Norbert Schäbler am 07.08.2003 um 10.16

Vor geraumer Zeit wurde auf diesen Netzseiten einmal der „Staatsbegriff“ definiert. Dabei spielten Argumente wie „Identitätsfindung“ und „Verdrängungsmechanismen“ eine Rolle. U. a. brachte ich Zitate von Ralph Giordano ein, der meines Wissens der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt war, der aber gleichwohl für die altbewährte deutsche Schriftsprache eintritt und unermüdlich das immer noch zu schwach keimende Pflänzchen „Demokratie in Deutschland“ hegt und pflegt. Ihn hat man erst kürzlich um eine Stellungnahme gebeten zum fünften Jahrestag der Rechtschreibreform (siehe Nachrichtenbrett). Der hier nachgereichte geschichtliche Kontext verleiht Giordanos Worten Tiefendimension.

Die ausschweifende Einleitung ist deshalb nötig, weil es hierzulande äußerst schwierig ist, als Deutscher für beliebige Identitätsmerkmale (der Sprache, des Volkes …) einzutreten. Definitionen, Muß-, Soll- und Kannbestimmungen überläßt man deshalb lieber den neutralen Gutachtern, bevor man sich in die Nesseln setzt, wobei es auch den Sonderfall gibt, daß sich gebürtige Deutsche mit Regelungen beschäftigen. Das geschieht dann aber so, daß nicht im entferntesten der Ruch aufkommen könnte, ein Deutscher sei hier in eigener Sache am Werke gewesen. Das heißt: Die Deutschen regeln Deutsches undeutsch oder antideutsch. Anstatt Identität zu definieren und zu erhalten, verwischen sie die Besonderheiten. Man lese dazu die staatstheoretischen Betrachtungen der 68er!

Wenn ich gefragt werde, ob ich mich einem Kompromiß anschließen würde, dahingehend, daß wir die Schweizer Schreibweise übernehmen, lege ich ein Veto ein.
Es ist mir zwar bekannt, daß Schweizer keine Probleme mit ihrer Schreibweise haben, daß sie unsere Aufregung bzgl. der S-Laute-Darstellung nicht annähernd verstehen ...
Es ist mir aber ebenso bekannt, daß deutschstämmige Schweizer, hauptsächlich und wesentlich Schweizer sind, Bürger eines eigenständigen Landes, in dem außerdem noch französisch- und italienischstämmige Menschen wohnen. Da sind doch der Verzicht auf Besonderheiten und die Kompromißfähigkeit vorprogrammiert.
Bliebe die logische Schlußfolgerung: Sind wir Deutsche etwa nicht kompromißfähig, sollten wir nicht mit Blick auf die Völkergemeinschaft, das eine oder andere Stück unserer Identität abgeben?
Die Frage ist frei!


__________________
nos


eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.08.2003 um 10.02

Die ß-lose Schreibung war bis 1945 weit verbreitet.(Ob schulmäßig gefördert, weiß ich nicht. Mein antiquarisches Schulbuch, Schleswig 1877, zeigt auch in der Antiqua den gewohnten Gebrauch.) Wieder ein Beispiel sind die letzten Briefe von Cato Bontjes van Beek („Rote Kapelle") – heute nacht im Kulturjournal kurz eingeblendet. Andere habe ich schon einmal erwähnt.

Die meisten, denen die „Reform" nicht weit genug geht, meinen als erstes die Kleinschreibung und als zweites die Abschaffung des („deutschen") ß. Alles andere ist ihnen meist gleichgültig.

__________________
Sigmar Salzburg


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 07.08.2003 um 08.41

die kullern dann hinterher, sobald eine Richtung erkennbar wird. Hart bleiben!
(Ich habe die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, daß letztlich überzeugende - und überzeugend vorgebrachte - Argumente nicht ohne Wirkung bleiben werden. Strategisch denken müssen wir aber natürlich auch.)
__________________
Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 07.08.2003 um 07.57

Daß wir von lauter Weicheiern umgeben sind, können wir Harten in unsere taktischen Überlegungen ja ruhig einbeziehen.


eingetragen von Theodor Ickler am 07.08.2003 um 07.49

Möglicherweise wird es ohnehin so kommen, aus Trägheit usw. Deshalb ist es auch nicht sehr sinnvoll, hier ein "Opfer" anzubieten. Dazu sind allzu viele Weicheier sowieso bereit.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 07.08.2003 um 07.44

Hab noch was vergessen; in der Schweizer Schreibung sehen verwandte Stämme auch ähnlich aus: schiessen, schoss, Schuss
Ich bin nicht der Meinung, daß es NUR darauf ankommt, wie gut lesbar eine Schreibweise ist. (Wenn es so wäre, warum haben die Schweizer nicht ein anderes Zeichen der Tastatur geopfert?)
Es ist doch so, daß diejenigen, die die Reform verbreiten, sie nicht wirklich gut finden. Vielleicht wäre das bei einer bloßen Umstellung auf Schweizer Schreibweise ganz anders gewesen. Mir ging es auch eigentlich um die Frage, ob man, die Adelungsche Schreibung opfernd, eine Rücknahme der Reform eher erreichen könnte.
Lieber Herr Reimers,
ich weiß nicht, ob mein Vorschlag auf breite Zustimmung stoßen würde. Darum ja habe ich das Thema in die Runde geworfen. Versuchsweise.


eingetragen von Theodor Ickler am 07.08.2003 um 03.24

Auch die Schweizer s-Schreibung ist eine Behelfsschreibung, wie alle anderen. Vor allem aber: Es kommt doch nicht darauf an, ob eine Schreibweise leicht zu vermitteln und mehr oder weniger "fehlerträchtig" ist, sondern auf die Lesbarkeit. Alles andere ist nachgeordnet.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Martin Reimers am 06.08.2003 um 20.44

Herr Fleischhauer, wollen Sie dann mir der Darmstädter Akademie darüber streiten, ob Ihr oder deren Vorschlag der zweit- und welcher der drittbeste ist? Und glauben Sie wirklich im Ernst, daß auf diesem Wege eine allgemein akzeptierte Orthographie erreicht werden kann?
__________________
Martin Reimers


eingetragen von Norbert Lindenthal am 06.08.2003 um 18.27

Können wir nicht erst den Schulbuchverlagen das Geschäft gönnen, Schulen mit neuen, in Volksentscheidschreibung gehaltenen Schulbüchern auszustatten, dann Unterricht auf schweizer Schreibmaschinen anregen, wo beispielsweise neue Variationen zur Worttrennung besungen werden können (Stras-senfest, statt STRA-SSENSCHMUTZ), und dann doch kurz vor den Handschellen durch TCPA moderne Rechner kaufen, die wie selbstverständlich Russisch und Norwegisch (reformbewährt) und Japanisch in einer email ankommen lassen und für reformiertes, dudenfreies, schweizer und plattes Deutsch die Rechtschreibkorrektur auf die Reihe kriegen? Wir könnten es. Jeden Falls. Und auf dem Weg dahin gehen Lichter auf. Der Weg nach innen kostet mehr Geld, als bisher zugegeben; aber er spart die Konfusion durch Sperrmüll. Normalfilter und unser elektronisches Volkswörterbuch sind näher gerückt. Es könnte eine Taste »Grimm« geben (alles klein) und den englischen Skript, der mein Ich zur Größe wandelt. Bin ich erst groß, so ruf ich: Denk.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 06.08.2003 um 16.16

1. Sie ist superleicht zu vermitteln, zu lernen, anzuwenden. Sie ist auf keinen Fall fehlerträchtig.
2. Sie ist "Fremdwort-kompatibel", vor allem, was das Englische betrifft. (Aber vgl. auch "Fasson": in Schweizer Schreibung darf man hier die erste Silbe als offen interpretieren.)
3. Sie ist modern (und seit langem beliebt!), weil sie den Ligaturschnörkel abwirft. Die Systematik der bisherigen Regelung bleibt dabei unangetastet.
4. Das Problem des fehlenden ß-Großbuchstabens gehört der Vergangenheit an.
– geändert durch Stephan Fleischhauer am 07.08.2003, 09.59 –


eingetragen von Karl Eichholz am 06.08.2003 um 16.03

Sehr geehrter Herr Fleischhauer!

Zitat:
Wäre eine Rückkehr zur bisherigen Schreibweise, jedoch mit Schweizer s-Schreibung denkbar?

ein wenig Hintergrund liefert dazu der folgende Beitrag

„von ß, von st, lang-s und Wortstammfugen“ von gestern, momentan auf der Adresse:

http://rechtschreibreform.de/Forum/showthread.php?threadid=64&pagenumber=2


Die Schweiz war ja in der Breduille, mit der Schreibmaschine damals 4 Sprachen erschlagen zu müssen; so wurde halt überall abgeschminckt, wo es irgendwie ging.

Mit dem Computer heute hätte man ALLE die Probleme NICHT mehr, was zu einem Umorientieren aufmuntern sollte. Aber nein, man will den Weg in die Sackgasse scheinbar erstmal bis zum Ende ausloten?
Doch vorsicht, vor der Dicken Mauer kann es passieren, daß der Rückwärtsgang nicht mehr reingeht, und unser Gefährt hat bekanntlich viele Anhänger.

Schweizer Verlage, die für Deutschland drucken, haben nicht das geringste Problem mit korrekter ß-Schreibung, es ist also alles nur Massenhysterese.


__________________

mit herzlichen Grüßen
Karl Eichholz


eingetragen von Theodor Ickler am 06.08.2003 um 15.56

Aber warum sollten wir ihre Schreibweise übernehmen? Welche Vorteile hat sie denn? Die Einsparung einer Tastenbelegung fällt doch heutzutage nicht mehr ins Gewicht.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 06.08.2003 um 15.35

Wäre eine Rückkehr zur bisherigen Schreibweise, jedoch mit Schweizer s-Schreibung denkbar?

Diese hat natürlich die bekannten Nachteile ("Masse", "sss"), dafür aber einige, nicht unerhebliche Vorzüge. Und sie hat Tradition. Vielleicht liessen sich diejenigen damit gewinnen, die meinen, dass das Rad auf keinen Fall zurückgedreht werden dürfe. Das Argument der alten Knacker würde auch nicht mehr ziehen. Man könnte es zudem als einen Schritt zur Vereinheitlichung anpreisen, denn die Schweiz schreibt ja immer noch schweizerisch.
Es wäre allerdings eine Spaltung unter den Reformgegnern absehbar. Aber diskutieren kann man es ja mal.


eingetragen von Christoph Kukulies am 05.08.2003 um 07.29

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Mir hat Ihr Schreiben, lieber Herr Ickler, auch sehr gut gefallen.
...

Lieber Herr Kukulies,
der Satzbau stimmt, es nur drei Spiegelstriche verschwunden, die wohl vorgesehen waren.


Ach so, das konnte ich ja nicht ahnen. Man muß wohl damit leben, mit dem schleichenden Satzzeichen- und Wörterschwund, wie gerade oben wieder geschehen.

Wer liefert denn nun den Satz in der Endfassung - mit Spiegelstrichen?

__________________
Christoph Kukulies


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 04.08.2003 um 12.17

Mir hat Ihr Schreiben, lieber Herr Ickler, auch sehr gut gefallen.
Man könnte noch damit argumentieren, daß die Umgewöhnungsphase längst nicht vorüber ist und die Fehlerquoten immer noch hoch sind. Und daß der Zeitraum der Umgewöhnung viel zu optimistisch eingeschätzt wurde. Rückumstellungsschwierigkeiten wären nicht in diesem Maße zu erwarten. Vielleicht könnte man auch ein paar hübsche Beispiele geben für typische Neuschreib-Fehler.
Ihr Schreiben enthält auch einige komplizierte Sachverhalte. Was z.B. mit den Einzelfallfestlegungen und dem Unterschied zwischen Dudennorm und Schreibwirklichkeit gemeint ist, versteht vielleicht nicht jeder. Einige Beispiele wären nicht schlecht, zu viele würden das ganze natürlich aufblähen.
Daß im "Dreierbund" Englisch-Französisch-Deutsch andere Schriftprinzipien gelten, wird nicht näher erläutert und dürfte auch nicht so leicht zu verstehen sein. Vielleicht sollte auf den Aspekt verzichtet werden.

Lieber Herr Kukulies,
der Satzbau stimmt, es nur drei Spiegelstriche verschwunden, die wohl vorgesehen waren.


eingetragen von Christoph Kukulies am 03.08.2003 um 20.29

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Christoph Kukulies
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Den folgenden Text hatte ich in den vergangenen Tagen ein bißchen herumgeschickt, auch an die FAZ.


...

Dieses Argument übersieht jedoch, daß die zur Zeit unterrichtete Schulorthographie, die nicht mit der Orthographie der Zeitungen usw. übereinstimmt, ohnehin revidiert werden muß, da sie objektiv fehlerhaft ist und bei weitem nicht die Verbreitung hat, die ihr unterstellt wird; sie ist eigentlich auf die Schule beschränkt, sonst herrschen Hausorthographien oder die "alte" Rechtschreibung.
...



Mit dem letzten Satz aus dem Abschnitt "Augen zu und durch" habe ich ein kleines Problem. Im übrigen kann ich Herrn Reimers nur zustimmen. Wieder ein Text aus Prof. Icklers Feder, messerscharf, aber dennoch in höchsten Maße treffend und gleichzeitig integrierend.


Der Satzbau war es, mit dem ich Probleme hatte, nicht der Stil.
__________________
Christoph Kukulies


eingetragen von Theodor Ickler am 03.08.2003 um 18.02

Vielen Dank für anerkennende Worte! Ich erhoffe mir natürlich auch Hinweise zur Verbesserung des Textes. Auch vergessene Argumente sind willkommen.
Im vorliegenden Fall sollte ich wohl meinen Gebrauch von "sonst" ändern: "anderswo" o. ä.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Christoph Kukulies am 03.08.2003 um 09.04

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Den folgenden Text hatte ich in den vergangenen Tagen ein bißchen herumgeschickt, auch an die FAZ.


...

Dieses Argument übersieht jedoch, daß die zur Zeit unterrichtete Schulorthographie nicht mit der Orthographie der Zeitungen usw. übereinstimmt ohnehin revidiert werden muß, da sie objektiv fehlerhaft ist bei weitem nicht die Verbreitung hat, die ihr unterstellt wird; sie ist eigentlich auf die Schule beschränkt, sonst herrschen Hausorthographien oder die "alte" Rechtschreibung.
...



Mit dem letzten Satz aus dem Abschnitt "Augen zu und durch" habe ich ein kleines Problem. Im übrigen kann ich Herrn Reimers nur zustimmen. Wieder ein Text aus Prof. Icklers Feder, messerscharf, aber dennoch in höchsten Maße treffend und gleichzeitig integrierend.
__________________
Christoph Kukulies


eingetragen von Martin Reimers am 02.08.2003 um 16.47

Das richtige Wort zur richtigen Stunde. Es zeigt sich einmal mehr, daß wir an Professor Ickler nicht nur seinen Sachverstand und die Schärfe seiner Feder schätzen können, sondern auch das redliche Bemühen um einen Ausweg aus der verfahrenen Situation.
Wir alle kennen das verbreitete Argument: "Schon richtig, aber wie soll man denn jetzt alles wieder umschmeißen?" Wie, das hat Theodor Ickler einleuchtend gezeigt. Man sollte einen Weg finden, den Text an alle Kultusministerien gehen zu lassen. Das bringt jetzt mehr als alle noch so verständliche Polemik.
__________________
Martin Reimers


eingetragen von Theodor Ickler am 02.08.2003 um 13.30

Den folgenden Text hatte ich in den letzten Tagen ein wenig herumgeschickt, auch an die FAZ:

Orthographische Optionen
Zum fünften Jahrestag der Rechtschreibreform
von Theodor Ickler

"Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen dürfen." Das sagte kein Geringerer als der bayerische Kultusminister Hans Zehetmair (Bayerische Staatszeitung vom 11.7.2003) Seine Äußerung traf zufällig mit einem dreifachen Jahrestag der Reform zusammen: Vor sieben Jahren wurde die Rechtschreibrefom an den meisten Schulen eingeführt, vor fünf Jahren trat sie offiziell in Kraft, vor vier Jahren wurde sie in modifizierter Form von den Nachrichtenagenturen und den meisten Zeitungen übernommen. Das dreifache Jubiläum ist für die verantwortlichen Kultusministerien - Zehetmair deutet es an - kein Grund zum Feiern; doch soll hier weder die Misere aufs neue ausgebreitet noch die Frage nach den Schuldigen gestellt werden. Richten wir den Blick in die Zukunft: Welche Möglichkeiten gibt es, den Schaden möglichst glimpflich zu beheben?

Augen zu und durch?
Bisher haben die Kultusminister versucht, die Neuregelung unverändert durchzusetzen und lediglich auf stärker vereinheitlichte Umsetzung in Wörterbüchern, Schulbüchern und Medien hinzuwirken. Für die Wörterbücher ist das weitgehend gelungen; die Unternehmen Duden und Bertelsmann haben in zahlreichen Beratungsgesprächen mit der zwischenstaatlichen Kommission einheitliche Schreibweisen vereinbart. Dadurch werden jedoch die objektiv vorhandenen Fehler der Reform nicht beseitigt.
Für die Beibehaltung der reformierten Schreibung scheint zu sprechen, daß den Schülern nicht schon wieder eine Entwertung des gerade erst Gelernten zugemutet werden könne. Dieses Argument übersieht jedoch, daß die zur Zeit unterrichtete Schulorthographie
nicht mit der Orthographie der Presse übereinstimmt
ohnehin revidiert werden muß, da sie objektiv fehlerhaft ist
bei weitem nicht die Verbreitung hat, die ihr unterstellt wird; sie ist eigentlich auf die Schule beschränkt, anderswo herrschen Hausorthographien oder die "alte" Rechtschreibung.

Reparatur der Neuregelung?
Der erste Versuch, die Neuregelung zu korrigieren, stammt von der zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission, die sich mehrheitlich aus den Urhebern des Reformwerkes zusammensetzt. Vorgelegt wurde er bereits Ende 1997; nach einer ergebnislosen Diskussion ("Mannheimer Anhörung" am 23. Januar 1998) untersagten die Kultusminister und das damals stark engagierte Bundesinnenministerium sämtliche Änderungen, auch die von den Reformern selbst als "unumgänglich notwendig" bezeichneten. Seither sind keine neuen Tatsachen bekannt geworden, die ein anderes Votum der Politiker erwarten lassen.
Damit erledigt sich wohl auch ein umfassender Reparaturversuch, den die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zuerst 1999 und dann in Buchform im Frühjahr 2003 vorgelegt hat. Er stammt im wesentlichen von Peter Eisenberg, der parallel dazu im Wahrig Universalwörterbuch (dtv 2002) detaillierte neue Schreibweisen angegeben hat. All diese Vorschläge lassen, obwohl sie von der Neuregelung ausgehen, praktisch keinen Stein auf dem anderen, sind aber darüber hinaus widersprüchlich und fehlerhaft, so daß die zwischenstaatliche Kommission mit ihrer schroffen Zurückweisung des Akademie-Vorschlags als "völlig untauglich" (Pressemitteilung vom 22. Mai 2003) nicht ganz unrecht hat.
Nicht wenige Kritiker, so auch die Deutsche Akademie, sind bereit, den Reformern die neue ss-Schreibung zuzugestehen, weil sie nun einmal das Signal ist, daß man die Reform nicht in Bausch und Bogen ablehnt. Das wäre allerdings paradox, denn diese "Heysesche s-Schreibung" gehörte eigentlich gar nicht zum jahrzehntelang verfolgten Reformplan. Sie ist, nach wenig ermutigenden Versuchen Ende des neunzehnten Jahrhunderts, erst in letzter Minute und gegen die Überzeugung der Reformer erneut aufgegriffen worden (ebenso wie die vermehrte Großschreibung). Sollte ausgerechnet etwas, was wirklich niemand wollte, als einziges Reform-Überbleibsel Bestand haben?

Rückkehr zum alten Duden?
Der Duden hatte die tatsächlich praktizierte, historisch gewachsene Rechtschreibung leidlich korrekt dokumentiert, doch war die Redaktion durch die vielen Anfragen der Benutzer dazu verleitet worden, Einzelfallschreibungen auch dort festzulegen, wo es sich in der Sprache selbst um objektive Übergangsphänomene handelt (getrennt oder zusammen? klein oder groß?). In Verbindung mit dem "Dudenprivileg", das die deutsche Rechtschreibung mit ihrer Darstellung im Duden identifizierte, kam es zu dem unersprießlichen Zustand, daß "genau genommen" praktisch niemand die deutsche Rechtschreibung vollkommen beherrschte. Nur weil man es eben nicht so genau nahm, konnte man damit recht gut leben. Die Dudenredaktion selbst sprach übrigens gelegentlich von einem "goldenen Käfig", in dem sie sich jahrzehntelang befunden habe, und kann sich eine andere Konstruktion, etwa wie in Großbritannien, durchaus vorstellen. Es ist daher nicht wünschenswert, den alten Zustand umstandslos wiederherzustellen.

Einheitsorthographie
Die tatsächlich im deutschen Sprachraum verwendete Rechtschreibung, die sich niemals mit der Dudennorm deckte, war und ist anerkannt leserfreundlich und bei richtiger Darstellung keineswegs besonders schwierig. Vergleichspunkte müssen die französische und die englische Orthographie sein, mit denen die deutsche einen Dreierbund bildet, der völlig anders geartete Schriftprinzipien zugrunde legt als die meisten anderen europäischen Sprachen. Ungeachtet einer gewissen Flexibilität erwies sich die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts übliche deutsche Rechtschreibung als hinreichend einheitlich; die vorhandenen Unterschiede fielen dem Leser so gut wie nie auf. Sie war in keinem Punkt grammatisch fehlerhaft; andererseits nahm sie auf textsemantische Bedürfnisse und damit auf die schnelle Sinnentnahme in beinahe unübertrefflicher Weise Rücksicht. Allerdings hatte die erwähnte Duden-Privilegierung die Lexikographie daran gehindert, den herrschenden Usus zunächst einmal deskriptiv zu erfassen - ein Versäumnis, dessen Behebung auch den Reformvorschlägen hätte vorausgehen müssen. Es wäre dann nicht zu der undurchschaubaren Mischung von geänderter Schreibweise und geänderter Darstellung gekommen.
Steht die sachliche Überlegenheit der bisherigen Rechtschreibung außer Frage, so ist zu überlegen, wie man ihr zu tatsächlicher Anerkennung verhelfen kann, ohne den bereits angerichteten Schaden zu vergrößern. Die Deutsche Akademie bezeichnete ihren Kompromißvorschlag, der um die Beibehaltung der eigentlich abgelehnten (und im Kompromißvorschlag selbst desavouierten) reformierten s-Schreibung zentriert ist, als "zweitbeste Lösung"; ihr Plädoyer setzt voraus, daß die beste Lösung - nämlich ein "ausgekämmter Duden" im oben dargestellten Sinne - nicht mehr erreichbar sei. Zu solcher Resignation besteht kein Anlaß. Folgende Schritte sind denkbar und ohne weiteres möglich:
Erstens. Die bisherige Rechtschreibung bleibt ohne zeitliche Begrenzung gültig. Ihre identifikatorische Bindung an den Duden ("Dudenprivileg") wird jedoch aufgehoben.
Diese Rechtschreibung ist nicht nur in Millionen Druckwerken dokumentiert, die zu einem beträchtlichen Teil weiterhin gelesen und genutzt werden, sondern wird auch von Schriftstellern und anderen Autoren auf absehbare Zeit benutzt und keinesfalls durch die (ohnehin de facto bereits überholte) Neuregelung von 1996 ersetzt werden. Eine Schulorthographie, die namhafte zeitgenössische Autoren und seriöse Werke verschiedener Verlage als "falsch geschrieben" erscheinen läßt, erledigt sich selbst.
Zweitens. Die bisherige Rechtschreibung wird von den einschlägigen Verlagen und Instituten empirisch erforscht und mit ihren sinnvollen Spielräumen deskriptiv dargestellt. Im freien Wettbewerb um die beste Darstellung werden sich die besten orthographischen Hilfsmittel herausbilden, wie es zum Beispiel in England und Frankreich seit je üblich ist, übrigens auch in Deutschland, sobald es um andere Fragen als die orthographischen geht (Aussprache, Grammatik, Wortbedeutung, Stil).
Drittens. Für den Schulgebrauch werden Rechtschreibwörterbücher wie andere Schulbücher einem Zulassungsverfahren unterworfen. Fachgutachtern darf man die Kompetenz zutrauen, die Übereinstimmung einer orthographischen Darstellung mit dem allgemein Üblichen zu beurteilen. Dadurch ist die Mitwirkung und Oberaufsicht der Schulbehörden gewährleistet, ohne daß sich der Staat selbst gestaltend in den Sprachgebrauch einmischen muß.
Viertens. Die Schreibweisen gemäß der Rechtschreibreform in ihren verschiedenen Auslegungen werden für einen Übergangszeitraum von zehn Jahren nicht als fehlerhaft gewertet, auch wenn sie grammatisch fehlerhaft sind ("so Leid es mir tut, sehr Aufsehen erregend"). Die orthographischen und grammatischen Tatsachen werden jedoch, soweit erforderlich, im Deutschunterricht thematisiert. So könnte aus dem Schaden letzten Endes sogar noch ein pädagogischer Nutzen erwachsen.

– geändert durch Theodor Ickler am 04.08.2003, 06.24 –
__________________
Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 23.07.2003 um 17.53

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Jan Smejkal
Leider ist meine Magisterarbeit – in der ich zu einem insgesamt negativen Urteil über den Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung komme – schon so gut wie fertig, so daß mir keine Zeit bleibt, Auskünfte der (politisch) Verantwortlichen noch mit einzubeziehen. Ich werde aber die weitere Entwicklung interessiert verfolgen und dann ggf. in einer Doktorarbeit o.ä. verwerten.
Warum „leider“? Im Gegenteil, ich würde mich freuen, sobald Ihre Arbeit abgeschlossen und begutachtet worden ist, ein Exemplar davon zu erhalten; falls das nicht elektronisch geht (etwa als PDF), würde ich die Kosten für Kopien und Porto natürlich übernehmen.

Mein Eindruck ist, daß Auskünfte der politisch Verantwortlichen – genau wie ihre Entscheidungen – im wesentlichen politischen und keinen wissenschaftlichen Charakter haben (siehe etwa die aus der Mannheimer Anhörung gezogenen Konsequenzen), und also würde ich mir davon generell nicht allzuviel versprechen.

Wenn Sie zu einem insgesamt negativen Urteil über den Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung gekommen sind – wollen Sie es damit auf sich beruhen lassen und einfach abwarten, was sich weiter tut, oder erscheint es Ihnen sinnvoll, Ihre Ergebnisse der Rechtschreibkommission zu unterbreiten (und parallel dazu die Fazite der KMK mitzuteilen), damit sie – entsprechend ihrem Auftrag – Vorschläge zur Anpassung des Regelwerkes erarbeiten kann (und die KMK Bescheid weiß, daß es Anpassungsbedarf gibt)?
Was meint Ihr Betreuer dazu?
__________________
Jan-Martin Wagner


eingetragen von Theo Grunden am 22.07.2003 um 23.52

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Bewährt hat sich zum Beispiel, übrigbleiben oder übrig bleiben zu schreiben, d. h. sich hier nach den inneren Gesetzmäßigkeiten der Sprache und nicht nach dem Duden-Wörterverzeichnis zu richten.
(...)
Die Reformschreibung verdient ja an sich keinerlei Anerkennung, bloß ihre schiere Verbreitung und - allerdings teilweise erzwungene und daher nicht sehr lebenskräftige - "Blüte" macht eine gewisse großzügige Duldung ratsam, sei es taktisch, sei es humanitär motiviert.


Wie der Zufall es wollte, kam das Wort "übrigbleiben" gerade vor ein paar Tagen in einem Diktat der Grundschulklasse meines Sohnes vor. Ihm, der es zusammengeschrieben hatte, wurde es nicht angestrichen, auch nicht als überholt gekennzeichnet. Dabei hätte es sich ja noch um ein reines Übersehen handeln können.
Ein solches war es aber dann wohl doch nicht, denn seinem Freund wurde die Getrenntschreibung "übrig bleiben" tatsächlich als Fehler angekreidet. (Leider hatte er noch einen zweiten gemacht, sodaß sich ein nachträglicher Kampf um die "Eins" nicht mehr lohnte.)


eingetragen von J. Smejkal am 21.07.2003 um 11.12

Leider ist meine Magisterarbeit - in der ich zu einem insgesamt negativen Urteil über den Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung komme - schon so gut wie fertig, so daß mir keine Zeit bleibt, Auskünfte der (politisch) Verantwortlichen noch mit einzubeziehen. Ich werde aber die weitere Entwicklung interessiert verfolgen und dann ggf. in einer Doktorarbeit o.ä. verwerten.

Jan Smejkal


eingetragen von J.-M. Wagner am 20.07.2003 um 22.17

Herr Ickler sagte: »Was wir gar nicht wissen: Wie ernst nehmen die Kultusminister ihre Kommission noch?«

Dazu möchte ich anmerken, daß es ja – soweit ich es verfolgt habe – seitens der Kultusministerkonferenz bislang keine Stellungnahme bzw. Reaktion auf den 3. Bericht der Rechtschreibkommission gab, obwohl es das Gerangel um seine Veröffentlichung gab. Frau Prof. Schipanski war nach eigener Auskunft heilfroh, daß sie sich in ihrer Zeit als KMK-Präsidentin nicht mit dem Thema beschäftigen mußte (ich fragte sie zur Rechtschreibreform, als ich sie Anfang April hier in Jena in einem anderen Zusammenhang traf). Prof. Gallmann hat in seiner letzten Vorlesung zur Orthographie ganz klar gesagt, die Kommission habe von der Politik das Signal bekommen, daß sie von dem Thema Rechtschreibung nichts hören will (ich habe diese Vorlesung auszugsweise besucht). Daß die Kommission Änderungen der GZS erwägt, hatte ich bereits an anderer Stelle erwähnt – und auch, daß sie schon eine Ausrede parat hat, falls nichts aus den Änderungen wird (so interpretiere ich den Hinweis auf die mit einer Freigabe verbundenen Probleme).
      Ich will nun einen Schritt weiter gehen und fragen: Wie ernst nehmen die Kultusminister das Thema Rechtschreibreform überhaupt noch? Auch das wissen wir nicht.

Zu Ihrer Frage, Frau/Herr Smejkal, was 2005 kommt: Wie weit ist denn Ihre Magisterarbeit gediehen, und zu welchem Schluß kommen Sie bezüglich des jetzigen Standes der Reform: Halten Sie sie unter den Gesichtspunkten der Morphosyntax und des Schriftsystems für brauchbar, oder können Sie einen gewissen Revisionsbedarf ausmachen? Was halten Sie (und was halten andere Mitstreiter) von der Idee, Ihre entsprechenden Fazite direkt an die Präsidentin der KMK, Karin Wolff, zu schicken und sie danach zu fragen, ob 2005 etwas in dieser Richtung passieren wird?
      Natürlich wird die Antwort lauten, daß für wissenschaftliche Fragen die Rechtschreibkommission zuständig sei und Sie sich also an jene wenden sollten. Das erwidern Sie dann mit dem Hinweis, daß Sie die Fazite nur angeführt haben, um zu unterstreichen, daß dieses Thema einer Entscheidung harrt und Sie ausdrücklich an einer entsprechenden Antwort seitens der KMK interessiert sind...
__________________
Jan-Martin Wagner


eingetragen von Theodor Ickler am 20.07.2003 um 14.47

Um die Diskussion vielleicht doch noch vom Nachrichtenbrett wegzubugsieren, möchte ich zu bedenken geben: Die bewährte Rechtschreibung ist sicher nicht einfach mit dem Duden von 1991 gleichzusetzen. Bewährt hat sich zum Beispiel, übrigbleiben oder übrig bleiben zu schreiben, d. h. sich hier nach den inneren Gesetzmäßigkeiten der Sprache und nicht nach dem Duden-Wörterverzeichnis zu richten. Wenn dies so ist, ergibt sich zwingend die Aufgabe, den bewährten Schreibbrauch umfassend empirisch zu ermitteln, damit man etwas hat, wovon man ausgehen kann. Das ist, in aller Bescheidenheit, wenigstens grundsätzlich und sicher verbesserungsbedürftig in meinem Rechtschreibwörterbuch geschehen.
Der vorgeschlagene zweite Schritt, nämlich Reformschreibungen "auch" zuzulassen, setzt eine gehörige Arbeit voraus, nämlich das Aussondern des grammatisch Falschen. Die Reformschreibung verdient ja an sich keinerlei Anerkennung, bloß ihre schiere Verbreitung und - allerdings teilweise erzwungene und daher nicht sehr lebenskräftige - "Blüte" macht eine gewisse großzügige Duldung ratsam, sei es taktisch, sei es humanitär motiviert.
Was die Trennung betrifft, hätte ich nichts gegen eine Ausweitung der auch bisher schon "erlaubten" populären Trennweisen einzuwenden, zumal ich kein Vertreter humanistischer Bildungsideale bin. Es ist aber damit nicht so einfach. Pä-da-go-ge ist ein verbreitetes Wort der Allgemeinsprache, aber viele andere Trennungen dieser Art werden nicht als harmlos verbucht werden, nur weil in irgendeinem Dudenbuch steht, daß sie zulässig sind. Ich denke an Pros-pekt u. ä. - Eine einfache Lösung habe ich hier nicht zu bieten, würde das Ganze gern einer natürlichen Entwicklung überlassen.
Wo Toleranz wirklich geboten erscheint, also bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, zeigt mein Rechtschreibwörterbuch doch eigentlich den richtigen Weg, oder? Manchen Mitstreitern bin ich zu weit gegangen, aber inzwischen haben viele sich davon überzeugt, daß die ausufernde Einzelwortfestlegung weltfremd und nutzlos wäre.
Was das ss betrifft, so steht keineswegs fest, daß wir es nie wieder loswerden. Immerhin sind wir es schon früher einmal wieder losgeworden. Eher werden wir das ß los.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 18.07.2003 um 19.36

Am wahrscheinlichsten ist, daß die Reformkomission versuchen wird, sich wie bisher durchzuwurschteln, d. h. unauffällige (aber doch folgenreiche) Änderungen als bloße Präzisierungen auszugeben. So sind ja auch die Wiederherstellung von erfolgversprechend usw., und die Öffnung geschlossener Listen verharmlost worden. (Aber die Wörterbücher mußten doch alle neu gedruckt werden.) Was wir gar nicht wissen: Wie ernst nehmen die Kultusminister ihre Kommission noch?
__________________
Th. Ickler


eingetragen von J. Smejkal am 18.07.2003 um 19.25

Lieber Herr Ickler,
mir ist klar, daß es in dieser Frage keine Gewißheit gibt. Aber vielleicht können Sie mir ja mitteilen, was Sie für wahrscheinlich halten.
Ist es überhaupt beschlossene Sache, daß das Regelwerk 2005 geändert wird? Ich habe hier einige Nachrichten gelesen, die von einer "Totalrevision" ausgehen.


eingetragen von Theodor Ickler am 18.07.2003 um 15.46

gibt es hier nicht. Ihren Wunsch kann daher niemand erfüllen, wir müssen alle zusammen abwarten.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von J. Smejkal am 18.07.2003 um 13.11

In meiner Magisterarbeit zum Thema "Morphosyntax und Schriftsystem - die Reform der Getrennt- und Zusammenschreibung im Deutschen" möchte ich abschließend auf die für 2005 geplante "offizielle" Revision der Neuregelung eingehen. Ich wäre daher sehr dankbar, wenn mich ein Experte auf den neuesten Stand bringen und mir mitteilen könnte, was tatsächlich von dieser Korrektur zu erwarten ist.


Alle angegebenen Zeiten sind MEZ   

Rechtschreibung.com – Nachrichten zur Rechtschreibfrage