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-- Vom Federnlassen der Didaktik (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=801)


eingetragen von Karsten Bolz am 24.10.2004 um 13.37

es ändert nichts, rein gar nichts an der Sache. ;-)
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Karsten Bolz


eingetragen von Fritz Koch am 22.10.2004 um 20.12

Deutsche Variante: Man wechselt nicht mitten im Fluß die Pferde.


eingetragen von Ursula Morin am 22.10.2004 um 17.45

Da hatten Sie ganz recht, Herr Bolz, und sind mir etwas zuvorgekommen, wollte nämlich gerade noch eine Korrektur dazu anbringen. Das ändert aber nichts an der Sache, denke ich ... oder?


eingetragen von Karsten Bolz am 22.10.2004 um 08.20

Zitat:
wie der Amerikaner auch sagt -
"If it aint broke, don't fix it!", and "never touch a running system, never ever!" ;-)
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Karsten Bolz


eingetragen von Ursula Morin am 21.10.2004 um 20.44

oder - wie der Amerikaner auch sagt - don't touch a working system. Was in dem Fall geschieht, können wir nun betrachten. Die vermehrte Großschreibung "verblaßter Substantive" im Zuge der RSR ist meiner Meinung nach ein strategischer Schachzug der Reformer, um die Leute in diesem Bereich so zu verwirren, daß sie schließlich nicht mehr wissen, was denn nun eigentlich ein Substantiv ist (manche wissen das schon nicht mehr, siehe den Strang mit "Meister Proppa").

Wenn dies dann erreicht ist, werden die Reformer, die uns sicher auch in Zukunft mit ihren Einfällen quälen werden (denn diese sind ja sozusagen ihre Existenzberechtigung), dann die Kleinschreibung als wichtige "Erleichterung" präsentieren.

Wie so häufig, werden solche "Problemlösungen" völlig ohne Rücksicht auf die "Spätfolgen" erdacht, die in diesem Fall
u.a. darin bestehen würden, daß man dem freien Satzbau - einem der großen Vorzüge des Deutschen - Adieu sagen müßte.











eingetragen von Stephan Fleischhauer am 21.10.2004 um 09.50

Lieber Herr Schäbler,
zu Ihrer Beruhigung sei gesagt, daß ich weder die Kleinschreibung noch das Heyse-s favorisiere. Sie können sich in allen meinen Beiträgen davon überzeugen. Allerdings bin ich der Meinung, daß falsche Argumentationen uns auf Dauer schaden.


eingetragen von Fritz Koch am 20.10.2004 um 21.55

ist jetzt schon schwierig genug einzuhalten, wenn man wie ich bemüht ist, mehrfach geschachtelte Nebensätze durch Ausklammern zu vermeiden und trotzdem eindeutige Satz-Bezugspunkte einzuhalten. Schon jetzt muß man dann seine Sätze daraufhin überprüfen, ob die Anschlüsse vielleicht mißverstanden werden können. (Tief geschachtelte Sätze sind leichter zu schreiben, aber schwerer zu lesen, darüber hat Mark Twain seinen berühmten Satz vom literarischen Deutschen geschrieben.)
Wenn die großgeschriebenen echten Substantive als Leuchttürme wegfielen, müßte man seine Sätze noch kritischer auf Eindeutigkeit prüfen. Es gibt eine Menge Adjektiv- und Verbformen, die mit kleingeschriebenen Substantivformen identisch sind und mit ihnen verwechselt werden können, wenn der Schreiber sich nicht ausdrücklich bemüht, das zu vermeiden, besonders wenn Texte in andere Sprachen übersetzt werden sollen. Das Schreiben würde dadurch insgesamt zeitaufwendiger, und das wäre eine Schreib-Erschwerung.


eingetragen von Norbert Schäbler am 20.10.2004 um 18.44

Zuletzt wurde hier das Wunder der Sprache, insbesondere die wundersame Deutsche Schriftsprache mit ihrer Großschreibung gewürdigt. Wenig später allerdings brachte Herr Fleischhauer Zweifel an. Sinngemäß drückte er aus, daß man bis auf wenige Zweifelsfälle auf die Großschreibung verzichten könne. Beweise und Praktiken wurden aufgeführt.

In diesem Zusammenhang stelle ich fest, daß Herr Fleischhauer in Bezug auf das Buckel-ß ähnlich argumentierte. Mit Ausblick auf die Schreibpraxis der Schweiz argumentierte er, daß es ja auch anders gehe.

„Klar geht es anders“, aber das ist doch gar nicht die Frage!
Schließlich gibt es zu jedem beliebigen Ding Alternativen; selbst zur eigenen Frau.
Das hat uns nicht zuletzt die Politprominenz (Fischer, Schröder, Scharping) bewiesen.
Der Wechsel ist Mode – in doppelter Wortbedeutung.

Deutsch-Didaktiker sind für mich ähnlich charakterlos wie die Politiker. Sie sind unfähig zum Staunen über den eigenen Lehr- und Lerngegenstand; sind lieblos gegen ihr Arbeitsobjekt; sind unwürdig einer solchen Aufgabe.
Unbegreiflich ist es für mich, daß sie zwar einen Sinn in den Grundgegebenheiten der Sprache erkennen, diesen aber stetig herunterspielen und negieren.

„Vom Federnlassen der Didaktik“ habe ich diesen Faden genannt.
Viel zu harmlos!
Deutsch-Didaktiker gibt es nämlich gar nicht mehr.
Die sind doch schon längst bei einem anderen attraktiven „Sprachmütterchen“ gelandet.
Sollen sie mit jenem herumhuren.
Hier in unserer Muttersprache haben sie jedoch absolut nichts verloren

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nos


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 20.10.2004 um 08.02

Sie sagten es doch selbst: Der Kontext sorgt für die richtige Interpretation. Der Spruch "Bist du gut zu Vögeln?" kursiert in diesem Lande schon seit längerem. Er ist - wie man es auch immer schreibt - anstößig. Offenbar leben wir in einer Art sexistischen Dauerkontext. Herr Salzburg schrieb: "Gerne wollte er die weichen stellen ..." - man spürt doch recht deutlich die Mühe, die er sich gemacht hat, damit "weichen stellen" mehrdeutig wird. (Und am Schluß kommentiert er selbst: "Verbesserungsvorschläge willkommen".)


eingetragen von Bernhard Schühly am 19.10.2004 um 17.02

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer

Das meiste ist auch im Mündlichen mißverständlich (wird also gleich oder sehr ähnlich ausgesprochen. Vieles kann gleich ausgesprochen werden
Das ist bei Mehrdeutigkeiten immer so: der richtige Sinn ergibt sich für den Hörer erst aus der Betonung - und natürlich dem Kontext. Aber darum geht es ja gerade: Was ist, wenn derjenige, der den Text rezitiert, selber mangels Satzzeichen und Groß/Kleinschreibung ihn nicht richtig vortragen kann? Hier fängt doch das eigentliche Stolpern an, nicht beim Schreiben!!!
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Bernhard Schühly


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 19.10.2004 um 15.15

Er steckte in eisen und stahl in einem fort ... Die alte sucht nach frischem blut! ... Die spinnen! ... Sie haben einen kleinen weg ... Warum sind füllige frauen gut zu vögeln? ... Er hatte liebe genossen ... nach den alten trachten ... den kleinen reizen und verheissungen entgegensehen ... Wäre er doch nur dichter! ... Sie mögen die weichen stellen ... sich brüsten und anderem zuwenden ... bis die begehrte rast und ruhe eintritt ... die nackte sucht zu quälen ... Sie konnte geschickt blasen und glieder behandeln. ... bloss reifen und sonst nichts überziehen. ... Sie war bereit und der schwarze schoss (Schoß?) ein tor (Tor?). ... wagen mochte er um nichts in der welt ... den schwachen rädern ... Er eilte aus dem dunklen fort ... die verlassenen fluchten ... der gefangene floh.

Hübsche Beispiele! Einige kannte ich schon. Aber wenn ich nun Texte in Kleinschreibung lese, kann ich das alles nicht finden. Das meiste ist auch im Mündlichen mißverständlich (wird also gleich oder sehr ähnlich ausgesprochen): er steckte in eisen und stahl in einem fort/ die spinnen!/ gut zu vögeln/ den kleinen reizen und verheissungen/ wäre er nur dichter/ sich brüsten und anderem zuwenden/ blasen und glieder behandeln/ bloss reifen und sonst nichts überziehen/ wagen mochter er um nichts in der welt/ er eilte aus dem dunklen fort/ der gefangene floh. Vieles kann gleich ausgesprochen werden (Betonung kursiv): er hatte Liebe genossen/ nach den alten Trachten, die Weichen stellen/ den Schwachen rädern


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 19.10.2004 um 12.23

Ach ja, hier sind die Gehörlosen im Vorteil. Sie müssen nicht so lange rätseln über unvollkommende Schallgestalten wie: "wirhatteninmoskaunichtnurliebesondernklassegenossen."


eingetragen von Sigmar Salzburg am 19.10.2004 um 12.11

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Daß Kleinschreibung nicht möglich sein sollte, scheint mir aber weit übertrieben.

s. Forum > Rechtschreibforum >
Gibt es eigentlich einen nobelpreis für rechtschreibung? >
Präzision der Sprache ist keine Glaubenssache
(v. 30.01.2004)
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Sigmar Salzburg


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 19.10.2004 um 11.37

So frei ist die Wortstellung im Deutschen gar nicht. Als die taz jüngst eine Ausgabe in gemäßigter Kleinschreibung herausbrachte, habe ich sie genau daraufhin durchgelesen: Führt die Kleinschreibung zu Mißverständnissen? Ausgerechnet in einem Artikel über die Rechtschreibreform gab es eine Stelle, die in einem anderem Zusammenhang mißverständlich hätte sein können. Sie war es nicht wirklich, aber ich bin zumindest kurz "gestolpert" - darüber ob würde Substantiv oder Verb sein sollte. Ich kann es nochmal heraussuchen. Daß Kleinschreibung nicht möglich sein sollte, scheint mir aber weit übertrieben. Bekanntlich verwendet auch das Grimmsche Wörterbuch die Kleischreibeung. Ebenso einer der genialsten Sprachwissenschaftler, Gunnar Bech.


eingetragen von Ursula Morin am 18.10.2004 um 20.44

Vielen Dank, Herr Koch, für diese Klarstellung. Man sollte alle, die aus mißverstandender Progressivität die Kleinschreibung fordern, diesen Text täglich hundertmal abschreiben lassen.


eingetragen von Fritz Koch am 18.10.2004 um 19.21

ist die freie Wortstellung im Satz. Sie ist nur möglich durch die Großschreibung der wirklichen Substantive (und nur dieser).
Deshalb ist Deutsch die einzige Sprache mit Substantiv-Großschreibung.
Nur Sprachen mit fester Wortstellung können sich Kleinschreibung leisten.
Wer trotzdem Kleinschreibung fordert, hat vom Wesen der deutschen Sprache nichts verstanden. Das scheint bei vielen Grundschullehrern der Fall zu sein.


eingetragen von Georg Zemanek am 18.10.2004 um 13.49

Wie schön und poetisch! Die Wörter ranken sich um Grundelemente, um die herum sie durch ihre Valenzen den Freiraum ausfüllen. So könnte Grammatik bestimmt Spaß machen!
Und deshalb ist das die Art, wie ich mir eine Sprachbeschreibung vorstelle: Die Grundelemente sind vielleicht einigermaßen treffsicher beschreibbar. Aber dazwischen entsteht Freiraum, Entwicklungsraum, Spielraum für Mehrdeutigkeiten, Platz für Poesie und Sprachwitz. Muß alles eindeutig einem bestimmten Sprachkonstrukt zugeordnet werden?
Die Antwort ist nur dann "ja", wenn der Adressat ein Computer ist. Der ist dumm genug, nur straffe Konstruktionen zu verstehen.


eingetragen von Norbert Schäbler am 18.10.2004 um 13.17

Herr Fleischhauer hat an anderer Stelle dieses Forums behauptet, daß es „eigentlich gar keine Wortarten“ gebe.

Hier das Zitat: „Man sollte sich nicht so sehr an die Wortarten klammern. gut kann Adjektiv und Adverb sein. Eigentlich gibt es überhaupt keine Wortarten. Es gibt nur Wortfunktionen. Man kann aber immerhin sagen, daß bestimmte Wörter für bestimmte Funktionen prädestiniert sind. In einem gegebenen Zusammenhang sind sie das eine oder das andere. Die Unterscheidung Adverb/Prädikativ erscheint mir höchst problematisch (er spricht gut - seine Sprache ist gut - seine Sprache finde ich gut). Ich halte eine andere Darstellung für möglich.“

Das kann so nicht stehenbleiben, zumal auch der Begriff „Wortfunktionen“ sehr verwaschen wirkt.
Mir scheint es manchmal so, daß selbst bei Spitzengrammatikern die eindeutigen Definitionsräume (auf der einen Seite „das Wort“; auf der anderen Seite „der Satz“) immer seltener auseinandergehalten werden

Als eindeutige Wortarten bezeichne ich:
- das Substantiv (Nomen, Namenwort, Dingwort)
- das Verb (Tunwort, Zeitwort)
- das Adjektiv (Eigenschaftswort, Wiewort)
Den großen drei Wortarten ist eines gemeinsam. Sie verändern sich und passen sich dem Satzbauplan an. Sie beugen sich in ihrer Vielseitigkeit einem größeren Zusammenhang und sind somit äußerst vielgestaltig, dienstbar aber auch problematisch:
- denn das Namenwort verlangt den richtig zugeordneten Begleiter (für Ausländer oft ein mühseliges Unterfangen) und die richtige Deklination.
- denn das Tunwort fordert seine Personalform (ebenfalls ein Problem für Ausländer) und die Einbettung in die richtige Zeitstufe.
- denn das Wiewort strebt den Vergleich an (Grundstufe, Vergleichsstufe, Höchststufe) und hängt sich bald konjugiert an das Namenwort an oder fügt sich ungebeugt dem Tunwort hinzu.
- zudem neigen diese drei Wortarten zu stetigen Verbindungen untereinander.
Obigen Wortarten sind also gewaltige Fähigkeiten in die Wiege gelegt, die ihnen bei der Verwendung im Satz zugute kommen.
Diese „Mitgift“ gilt es unter der Prämisse „das Wort“ gesondert im Unterricht einzuüben.

Selbstverständlich sind die Worte an ihrer Funktion im Satz zu messen.
Mir wäre hier allerdings lieber der Begriff „Valenz“ (Wertigkeit, Abhängigkeit), denn dieser Begriff trifft (man denke hierbei an Molekülmodelle in der Chemie) annähernd und anschaulich das, was mit den Wörtern im Satz passiert. Sie ranken sich um ein Grundelement herum, haben bestimmte Nachbarstellungen und Affinitäten und bilden als Ganzes eine Einheit, die schon bei der Einbringung fehlerhafter Wortbildungen gestört wird, da ein falsch gewähltes Element keine Verbindung eingehen kann.

Im Hinblick auf die hiesige Diskussion wage ich zu bezweifeln, daß man in der allgemeinbildenden Schule das Geheimnis der Satzbaupläne durch endloses Definieren lüften kann. Definitionen sind lediglich bei der didaktischen Zurüstung des Lehrgegenstandes von Belang. Wichtig für den Unterricht erscheint dagegen, daß die Heranwachsenden staunend, vergleichend – vor allem lesend - an Sprache herangeführt werden. Man muß das Wunder be“greifen“ lassen aber nicht totreden. Gleichwohl gilt bei der Sicherung der Lerninhalte wieder die säuberliche Trennung nach den zwei Grundkategorien: „Das Wort“ und „der Satz“.

Für die Rechtschreibreformer habe ich abschließend lediglich Abscheu und Spott übrig. Sie sind weder des Staunens fähig – (das ist die Einstiegsstufe für sinnvollen und verantwortlichen Sprachgebrauch) – noch können sie saubere Trennungen durchführen.
„Die Schreibung von Wörtern haben sie ändern gesollt. Entstanden sind holprige Sätze und brüchige Satzbaumuster.“


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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 17.10.2004 um 13.59

Beim Streifzug durch all die feinsinnigen Gedanken im Forum – insbesondere beim Begutachten der Ausführungen zum Thema „Adverbien“ – regt sich in mir die pädagogische Leidenschaft.
Immerhin führen die geistigen Exkursionen zu zahlreichen Beispielen und Analogien, sind reich an neuen Definitionen und Differenzierungen, und sie schieben sich bis an die Grenzen der Erkenntnis, ohne Halt zu machen vor den verschlossenen Türen des Nicht-Mehr-Machbaren, weil nicht Gewollten ...

Meine Leidenschaft erwacht in mir:
als Didaktiker und letzter Zubereiter für eine Zuhörerschaft, die es seit Jahr und Tag gewohnt war und ist, ihre Häppchen vorgekaut serviert zu bekommen;
als einfacher Dorfschullehrer, dessen Aufgabe es war, die schwierigen Dinge möglichst einfach zu sagen;
als Vermittler (nicht Übermittler!!) hoher wissenschaftlicher Kunst an Heranwachsende und Lernende;
letztlich als ein in Freiheit lebender, denkender und zugunsten der Demokratie handelnder Mensch ...
Und ich melde entschiedensten Protest an:
nicht etwa gegen die geäußerten Gedanken,
sondern gegen das von anderer Stelle her errichtete Denkverbot!

Es kann nicht sein:
daß Lehrer am Ende einer sorgfältigen, nach bestem Wissen und Gewissen getätigten didaktischen Analyse zu dem Schluß kommen müssen,
daß zwar die Erkenntnis richtig und durch zahllose Beispiele zu untermauern ist,
daß der reiche Fundus eigenen Sprachgefühls diese Einsicht und Erkenntnis bestärkt,
daß letztlich genau dieses Wissen einen über alle Zweifel erhabenen objektiven Zugewinn beim Zögling ausmachen würde ...
... daß es aber auf der anderen Seite Schranken und Mächte gibt,
die verhindern, daß all diese Erkenntnisse in Praxis und Lehre umgesetzt werden.

Es kann nicht sein:
daß Freiheit von Forschung, Lehre und Wissenschaft zu einem Spielball der Macht werden.
(siehe dazu auch Rolf Genzmanns Kommentar im Strang „Rechtschreiforum - Adverbien“).

Genzmanns Aussagen vermitteln den Eindruck, daß sich Forschung und Lehre schon seit ewiglanger Zeit verschiedenster Angriffe erwehren müssen.
Die sogenannte Rechtschreibreform ist da nur ein Glied in der Kette.
Sie ist lediglich ein Indikator für die zwischenzeitliche Dekadenz derjenigen, die man Politiker nennt, denn jene kerkern schon alleine deshalb das Wissen ein, weil es ihrer persönlichen Macht-und Raffgier im Wege steht.



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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 04.09.2004 um 21.01

Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner:
"Im Icklerſchen Rechtſchreibwörterbuch ſteht folgender Eintrag (wobei der Unterſtrich den kleinen Bogen erſetzt):
schief_gehen (mißlingen) § 10
Hmm... Fällt damit konſequenterweiſe auch Herr Ickler als Kommentator der deutſchen Orthographie aus? "

Um Himmels Willen. Immerhin hat Herr Ickler ja das Bögelchen, und er deutet damit an, daß es sehr wohl unterschiedliche nuancierte Schreibungen gibt, hat er doch auch einmal betont, daß die jeweils treffende Schreibung einer didaktischen Analyse und dem speziellen Unterrichten in der Schule vorbehalten bleiben muß.

Hervorragend und didaktisch äußerst interessant ist im übrigen Ihre neuerdings praktizierte Lang-S-Schreibung, Herr Wagner!

Da ich mich nebenbei mit Sütterlin-Schrift und Uraltdokumenten beschäftige (mein Leitfaden „Nein, zu Heyse“ wird irgendwann weitergeführt), halte ich diese Darstellungsweise für äußerst lehrreich.

Sicher würde ich nicht zurückkehren wollen zur „altdeutschen“ teilweise sehr spitz und eckig wirkenden, aber in der Horizontale auch platzsparenden Schreibweise (zumal die lateinische Ausgangsschrift mit ihren Girlanden und Arkaden wesentlich zügiger zu schreiben und gefälliger für das Auge ist), doch halte ich es durchaus für angebracht, in deutschen Schulstuben die Schreibgewohnheiten der Altvorderen als Wissensgrundlage einzubringen.

Zusätzlich besteht ja ein außerordentlicher Lerngewinn in der Auswertung dieser Schrift, denn nirgends kommt man den von Ökonomie und Ästhetik getragenen Gedanken des Johann Christoph Adelung (8.8.1732 bis 10..09.1806, verfaßte u.a. ein dt. Wörterbuch, 1774-86) so nahe, wie beim Schreiben und Lesen dieser durch Nazibeschluß nahezu ausradierten Schreibgewohnheit. Da muß man normalerweise schon ins Archiv gehen, wenn man derartig Gehalt- und Stilvolles erleben will.

Apropos 10.09.! Das ist der Sterbetag des oben benannten deutschen Sprachforschers. Am selben Tage läuft in Aschaffenburg die Großveranstaltung „Wege aus der Rechtschreibkrise“. Das Datum gäbe Anlaß, den guten alten Adelung wiederzubeleben.






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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 01.09.2004 um 20.46

Im Strang „Vom Federnlassen der Didaktik“ finden sich einige Pamphlete – zugegeben.
Es finden sich darin Verworrenheiten, Aggressionen und Sticheleien – aber es finden sich darin ganz wenige Fremdantworten und Reaktionen.

Dabei ist es für einen einfachen – vom vorauseilenden Gehorsam weitestgehend freien – Dorfschulzen (sprich: „Volksschullehrer“, „faulen Sack“ oder „Pädagogen“) ein wichtiges Anliegen, daß er das, was er kann, auch tun und ausüben darf.

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die langjährige Diskussion über die sog. „Lehrerpersönlichkeit“, die irgendwann abebbte, als man gerade mit Hilfe dieser Diskussion, der letzten Persönlichkeit den Zahn gezogen hatte.
„Lehrerpersönlichkeit“ ist schlichtweg eine Utopie!
Mit Lehrern muß man sich ohnehin nicht meinungsaustauschen!
Bürokratur – vor allem deren Hörige – ersticken Persönlichkeit!

Damit mein Pamphlet auch wirklich ein Pamphlet wird, frage ich danach, wie man das Wort trennt: „Pamph-let, oder „Pam-phlet.
Man schaue nach unter R 130 im Duden auf S. 61 (Juli 1996) und daselbst in der Wörterliste S. 546!
Bliebe letzlich die Frage, warum man das Wort nicht "Pamflet" schreibt.





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eingetragen von Norbert Schäbler am 31.08.2004 um 19.46

In den allgemeinbildenden Schulen lehren wir innerhalb der Grammatik (Sprachbetrachtung) verschiedene Wortarten. Davon sind die gebräuchlichsten: das Tunwort (Zeitwort, Verb – Hilfszeitwort, Modalverb), das Wiewort (Eigenschaftswort, Adjektiv) und das Namenwort (Dingwort, Substantiv, Nomen). Daneben treten vereinzelt in Erscheinung: das Verhältniswort (Lagewort, Präposition), das Bindewort (Konjunktion), das Zahlwort (Numerale), Fürwort (Pronomen), der Begleiter (Artikel) ...
Rechtschreibreformer und moderne Sprachwissenschaftler (z.B. Glinz) sprechen in Bezug auf die Nebenwortarten gerne von Partikeln.

Als für die Wortbildung bedeutsam lehren wir die Vorsilbe (Präfix), die Nachsilbe (Suffix), und wir bezeichnen die Einzelwortteile als Grund- und Bestimmungswort.
Wortschatzarbeit wird betrieben innerhalb von Wortfeldern und Wortfamilien. Wir untersuchen z.B. den „Hof“ von Wörtern. Dazu gehören z.B. auch Gegensatzwörter (ich berichtete darüber an anderem Ort).

Vorwiegend untersuchen wir allerdings Sätze und vermitteln Satzbautechniken. Dabei unterscheiden wir Haupt- und Nebensätze, und wir benennen folgende Satzglieder: „Satzgegenstand (Satztäter, Subjekt), Satzaussage (Prädikat), Satzergänzung (Objekt).“
Weniger gebräuchlich ist in der allgemeinbildenden Schule die zusätzliche Untergliederung in sog. Umstandsbestimmungen (Adverbiale), da jene ebenfalls als Ergänzungen des Satzes zu definieren sind.

Für die Satzbildung bedeutsam sind die Umstellprobe, die Ersatzprobe und die Weglaßprobe. Mit der sog. Umstellprobe läßt sich die Anzahl der Satzglieder im normalen Erzählsatz (meist) eindeutig bestimmen. Zudem schafft die Umstellung der Satzglieder Abwechslung und Variation in der „Satzführung“.
Die Ersatzprobe ist geeignet, eine Satzstruktur zu erkennen, vorhandene Sätze sprachlich zu verfeinern, Unsinnssätze zu produzieren, Sprachspiele zu tätigen.
Die Weglaßprobe schließlich zeigt auf, was am Satz wesentlich ist. Ebenso schafft sie in Umkehrung Erkenntnisse, in welcher Art der Satz angereichert, verlängert und informationsreicher gestaltet werden kann.

In der allgemeinbildenden Schule lehren und lernen wir Deutsch; unsere Muttersprache. Wir weisen dabei auch auf typisch deutsche Ausdruckstechniken hin, w. z. B. die sog. Satzklammer. Eine solche Satzklammer entsteht, wenn sich Hilfszeitwörter (Modalverben) in den Satz einschleichen (Bsp. „Ich konnte heute abend nicht einschlafen.“), oder wenn sich ein in der Grundform (Infinitiv) zusammengesetztes Verb durch die Verwendung in der Persönlichkeitsform (Personalform) aufspaltet (Bsp. „Die Rechtschreibreform legte die Satzlehre lahm.“)

Am Ende dieser kleinen Grammatiklehre erneuere ich meinen Vorwurf:
Rechtschreibreformer haben Einzelwörter untersucht und haben diese nach ihrer äußerst kurzsichtigen und arroganten persönlichen Sichtweise einzeln lizenziert.
Sie haben völlig die Funktionalität der Wörter im Satz unterschlagen. Sie haben schulisches Lernen und Lehren sowie den sinnvollen und zweckgerichteten Gebrauch der Muttersprache erschwert, ja unmöglich gemacht.

PS: Diesen Beitrag widme ich insbesondere Herrn Fleischhauer, der wahrscheinlich mehr Fremdwörter weiß als ich, der aber dafür vermutlich beim Unterrichten größere Schwierigkeiten bekäme.




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eingetragen von Norbert Schäbler am 24.05.2004 um 12.47

Bildung schadet nicht, egal wie hoch sie reicht; und wenn überhaupt ein Bildungsschaden eintreten könnte, dann doch wohl ganz hoch oben – auf dem Rücken der Pferde – dort, wo die Einbildung ... die Bildung verpfuscht.
Offensichtlich bin ich nur ein Bildungsesel oder gar ein Esel der Bildung. Jahrelang habe ich versucht, das, was von oben kommt – oder besser das, was gießkannenprinzipientreu ausgegossen wird – nach unten weiterzuwässern, und ich habe so lange gegossen, bis ich gemerkt habe, daß dort oben mit Pestiziden und schädlichen Chemikalien gearbeitet wird, sodaß wir Esel nur noch Faulwasser verspritzen.
Kann wer dort oben mit diesem Bild etwas anfangen?

Dann anders: Als in den Bildungsprozeß eingespannte nützliche Idioten sollten wir danach trachten, daß diese Brühe, die uns zum Düngen und Bewässern angeboten wird, für die Setzlinge zumindest nicht schädlich ist. Das gilt für die Großlieferanten wie auch für die Einzelhändler, wobei das Maß der Verantwortung nicht mit einem proportionalen oder antiproportionalen Dreisatz zu lösen wäre, weil diejenigen, die das höchste Maß der Verantwortung ausüben sollten, verantwortungsscheu sind und ihre Aufgaben an die nächstuntere Stelle delegieren.
Verdammter Delegationsmechanismus! Am Ende wird ein Esel geprügelt, weil der von Natur aus ein dickes Fell hat und Schläge wegstecken kann.

Und ganz konkret: Ich kann nichts anfangen damit, wenn Herr Ickler in der Passiv- und Leideform daherredet, wenn er behauptet, daß es (die Grammatik) in der Schule falsch unterrichtet werde, daß wer (wer auch immer!) einen falschen Analyse- oder Diagnoseweg eingeschlagen habe, und daß "wir" – (offensichtlich einer, im Alleingang gegen die Mafia) - daran (woran auch immer!) arbeiteten.

Klare Fakten müssen genannt werden – oder, wie man im Volksmund sagt: Roß und Reiter gilt es zu nennen/auch die Namen der Eselsschänder –, und die Delegationsfachleute kann man ohnehin ausklammern, sowohl, was ihren Charakter, als auch, was ihr Verantwortungsgefühl betrifft.
Das sind lediglich "Sonntagsreiter", die sich nur im Sattel halten können, so lange sie einer an der Longe hält.


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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 17.05.2004 um 12.41

Die Diskussion über die Vergleichswörter „als“ und „wie“ bestätigt im wesentlichen das Vorurteil, daß in deutschen Schulstuben allzu kleingläubig und kleinkrämerisch unterrichtet wird. Doch nicht alle Argumente dienen der sachlichen Auseinandersetzung.

Auch ist es meiner Meinung nach nicht richtig, daß Umgangssprache (volkstümlicher Sprachgebrauch, Volkssprache) der Maßstab für sprachliche Richtigkeit sei, denn nach meiner Einschätzung ist es eher umgedreht. Die Hochsprache (bzw. Standardsprache) ist es, die u.a. zwischen regional verschiedenen Dialekten ausgleicht, sie ist es, die z.B. dem Ausländer die Chance eröffnet, sich in fremder Sprache allgemein verständlich zu machen.
Ich denke, daß mit der Gleichsetzung „Hochsprache = Kläranlage unterschiedlichster Sprachtendenzen“ ein treffendes Bild gezeichnet ist.

Seit dem Ende der 60er Jahre (bis zum heutigen Tag) stellte und stellt man die Funktion der Hochsprache falsch dar. Man sprach 1968 vom „elaborated code“, der insbesondere für die Unterschicht eine Kommunikationshürde darstelle.
Gleichzeitig untersuchte man die Sprache des Naziregimes, mit dem Befund, daß die Deutsche Sprache besudelt und befleckt sei.
Man verbannte schließlich in falscher Verknüpfung obiger Einsichten das geschriebene Wort – und insbesondere hochklassige Literatur – per Schulgesetz (hessische Rahmenrichtlinien) aus den Lehrplänen.

Seit geraumer Zeit laufen meine Appelle darauf hinaus, der Grammatik und der Hochsprache mehr Zeit zu widmen, beides wieder wertschätzen zu lernen.

Nun aber frage ich mich, ob das gewollt ist – es paßt schließlich nicht in die Tendenz!
Ich muß allerdings gleichzeitig mein einstiges Lehrverfahren hinterfragen. Offensichtlich war mein damaliges Unterrichten mit dem speziellen Feinziel: „Die Schüler sollen den Unterschied erkennen zwischen Vergleichswörtern (wie und als)" eine solche Banalität,
„s o d a ß“
ich mich allmählich dafür zu schämen beginne.




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nos


eingetragen von gestur am 04.05.2004 um 06.01

Die Grundsatzfrage bleibt:
Soll die Schule für die deutsche Sprache bedeutende deutsche Dichter als Vorbild nehmen und deren Texte möglichst unverfälscht als Muster vorstellen
oder
kann und darf die Schule eine andere deutsche Sprache lehren als sie die Mehrheit der Bevölkerung schreibt, und darf sie zu diesem Zweck die Werke der bedeutenden deutschen Dichter verfälschen?

Das Bundesverfassungsgericht hat das Letztere erlaubt. Seitdem halte ich nicht mehr viel von ihm. Es hat sein Ansehen selbst beschädigt.


eingetragen von Norbert Schäbler am 03.05.2004 um 21.29

Es ist natürlich eine Frage, ob sich alles so schnell wandeln würde, wenn ein Gegengewicht da wäre.
Die Vermittlung von Traditionen, Sitten, Gebräuchen, Regeln und Normen wäre z.B. ein solches Gegengewicht, wobei auch dies wieder auf die Frage der Moral und der Wertschätzung hinausläuft.

Braucht man noch den Wessenfall (Genitiv), die Möglichkeitsform (Konjunktiv), die Tatform (Aktiv), das Geschlechtswort (Genus), das satzbestimmende Tunwort (satzregierendes Verb) nebst Satzklammer ...?
Offensichtlich ja, denn diese Wesenheiten deutscher Sprache zeigen sich widerstandsfähig. Sie sind zwar – möglicherweise umfeldbedingt – rückläufig, doch sind sie nicht auszurotten; erscheinen gleichwohl in Gebrauchstexten und in der Literatur.

Es müßte aber doch möglich sein, diese Wesenheiten besser, früher und beständiger in der Schule zu vermitteln, um der Eigenlebigkeit dieser zweifelsfrei schwierigen Wort- und Satzbildungen den angemessenen Stellenwert zu verleihen.

Was die Wortbildungen angeht: Es gibt kaum einen größeren Wortpool als den der deutschen Sprache. Wortbildungen kann man tätigen mit allen Zusammensetzungen von Wie-, Tun-, Namen-, Zahl- und Verhältniswörtern, sowie Vor- und Nachsilben. Herrliche Schulstunden kann man damit gestalten.
Hinzukommen Lehn- und Fremdwörter, und es kann im Zuge der Verweltlichung ja gar nichts eingewendet werden gegen deren Gebrauch und deren Lehre.

Ist es aber für das Unterrichtsfach Deutsch nicht eine wesensgemäße Aufgabe, jeden Schüler zunächst anzuleiten, daß er sich wortreich deutsch und in zweiter Linie wortreich international ausdrückt?

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nos


eingetragen von gestur am 03.05.2004 um 20.13

Normen und Bewertungen als "richtig" oder "falsch" kann es nur in der Grammatik geben, obwohl in meiner 50 Jahre alten Schulgrammatik vieles als "umgangssprachlich" bezeichnet wird, was in heutigen Grammatiken hochsprachlich geworden ist. Und niemand kann z.B. den Gebrauch des Genitivs erzwingen, wenn die Mehrheit ihn durch Präpositionen plus Dativ ersetzt.

Was die Rechtschreibung deutscher Wörter betrifft, so soll sie die Grammatik abbilden; bei der Schreibung von Fremdwörtern kann die Mehrheit durchaus bestehende Normen unterlaufen; auch hier verweise ich auf meine 50 Jahre alte Schulgrammatik, in der manche Fremdwörter noch viel "fremder" geschrieben sind.

Die Wortbildung jedoch unterliegt dauernder Weiterentwicklung, allein schon die Technik braucht immer wieder für neue Tätigkeiten neue Begriffe, wenn sie nicht englische verwenden will. Deutsche Wörter für Fremdworte verlangen kreative Wortschöpfungen. Und stetig verfeinerte und präzisierte Ausdrucksweisen auf allen Gebieten verlangen genauere Bezeichnungen, was sich besonders durch mehr Zusammenschreibungen ausdrückt. Auf diesem Gebiet bestimmen die Mehrheitsentscheidungen der Anwender, ob sich neue Wortbildungen stabilisieren und schließlich lexikalisiert werden.

Im Satzbau hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel verändert: Die mehrstufig geschachtelten Nebensätze wurden durch nebengeordnete ersetzt, und das Verb des Hauptsatzes muß durchaus nicht mehr am Ende der ganzen Satzkonstruktion stehen, was Mark Twain als Grundübel der deutschen Sprache charakterisierte, sondern wird immer häufiger vorgezogen.


eingetragen von Norbert Schäbler am 03.05.2004 um 19.47

(Anmerkung zum Beitrag von Gast/03.05.04 im Gästebuch)

Lieber Gast!

Den Beitrag mit dem Zitat von W. Betz habe ich in erster Linie deshalb eingestellt, damit eine Diskussion zustande kommt, über das, was ich als „Federnlassen der Didaktik“ bezeichnet habe.
W. Betz ist nach meinem Textverständnis der Ansicht, daß sich die Wissenschaft nahezu ausschließlich dem Sachverhalt (in diesem Falle der Sprache) zuwenden sollte, und er empfindet bei diesem Bemühen gesellschaftliche Fragen, Moral oder gar Ideologien als zweitrangig.

Gegenwärtig bin ich noch am Lesen des Buches „Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache“, allerdings erlaube ich mir schon vor Abschluß der „Studien“ die Aussage, daß die Hochsprache – bei P. Braun wird sie Standardsprache genannt – ein Verständigungsmittel ist, das der gesamten Sprachgemeinschaft dient. Sie muß am strengsten geregelt sein und duldet meiner Meinung nach nur geringe Normabweichungen, dient sie doch der Kommunikation zwischen allen Bevölkerungsschichten und den Bürgern sämtlicher Regionen des Sprachraumes.
Sie erfüllt die Funktion des
G l e i c h r i c h t e n s!

Genau über diese Standardsprache wäre zu reden und über deren zwei Erscheinungsformen: die mündliche und die schriftliche.
Dabei bin ich genau wie Sie, lieber Gast, der Meinung, daß Hochsprache bzw. Standardsprache aufgrund ihrer Funktion unter allen „Sprachvarietäten“ diejenige sein muß, welche die strengsten Normen erfüllen muß und folgerichtig nur geringfügigem Wandel unterliegen darf!
Hierbei spielt im übrigen die Frage der allgemeinen Akzeptanz eine äußerst gewichtige Rolle.

Vielleicht könnte man dieses Thema hier in diesem Strang ausdiskutieren, denn das Gästebuch ist allzu umfangreich, und manches treffende Argument geht dort allzu leicht verloren.


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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 01.05.2004 um 13.00

Ich zitiere im folgenden P. Braun, Uni Essen, „Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache – Sprachvarietäten“, S. 236 ff.

„Nicht wenige Sprachwissenschaftler unserer Zeit halten es für überflüssig, sich mit den Argumenten der Sprachkritiker auseinanderzusetzen; sie halten sie von vornherein für uninteressant, abwegig, unwissenschaftlich. Es ist allerdings zu fragen, ob eine zeitgemäße und gesellschaftsorientierte Sprachwissenschaft das tun kann.“ ...

„Die Sprachkritik versteht Sprache als gesellschaftliches Ereignis, aber sie behandelt die in diesem Zusammenhang aktuellen Probleme oftmals vorwissenschaftlich und intuitiv; die Sprachwissenschaft stellt ihre Beobachtungen und Beschreibungen zwar unter die Behandlung wissenschaftlicher Methoden, aber ihre Themen berücksichtigen nicht immer den gesellschaftlich notwendigen Frage- und Aufgabenbedarf.“ ...

„Gewiß kann man die Sprache, wie alles, moralisch betrachten. Aber das sind dann eben auch moralische Betrachtungen, Argumente, Bewertungen, keine sprachlichen. Wie der Arzt den Patienten in erster Linie medizinisch betrachten und behandeln muß, so der Linguist die Sprache linguistisch. Damit soll gar nichts gegen die Berechtigung, u.U. sogar höhere Berechtigung der moralischen Betrachtungsweise gesagt sein. Es soll nur auf die notwendige Scheidung hingewiesen werden, davor gewarnt werden, moralische Argumente als sprachliche Argumente auszugeben. So glaube ich auch nicht, daß die Frage des sprachlichen Niveaus und der sprachlichen Gestalt eine moralische Frage ist.“... (ebd. S. 238, Fremdzitat W. Betz, 1967, S. 133)

„Hinter allem, was Sprachpflege und Sprachkritik als `Modeerscheinung`, `Sprachverderb` (...) werten, sucht der Sprachwissenschaftler zunächst einmal `Entwicklungstendenzen` zu erkennen, denn er hat bei seinen sprachgeschichtlichen Studien die Erfahrung gemacht, daß sprachliche Neuerungen eine Sprache nicht zerstören, sondern meist nur Anzeichen eines allgemeinen Strukturwandels sind (...).“ (ebd. S. 238, Fremdzitat P. von Polenz, 1970, S. 181 f.)

Es gibt genügend Widersprüchliches in obigen Zeilen, doch finde ich in W. Betz immerhin auch einen Schirmherren für meine unwesentliche Meinung.




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eingetragen von Norbert Schäbler am 28.04.2004 um 11.33

„Die Sprachbarrieren-Diskussion ist in der heutigen Sprachwissenschaft und Sprachpädagogik leider nur noch ein Randthema, obwohl Ursachen und Folgen der Sprachbarrieren nach wie vor gegeben sind.“
(Zitat: Peter Braun: „Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache – Sprachvarietäten“, 4. Auflage, Kohlhammer Urban-Taschenbücher, S. 18).

Ich bitte, diejenigen, die mir das Buch empfohlen haben, und diejenigen, die sich der Sprachwissenschaft und Sprachpädagogik zugehörig fühlen, eine Aussage zu tätigen, bzgl. des Wortes „leider“.
Zwischenzeitlich werde ich weiterlesen, persönlich aufgeschreckt durch ein falsches Wort zur Unzeit und durch Vokabelsalven.

„Leider“ oder „gottseidank“, das ist hier die Frage!

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eingetragen von Norbert Schäbler am 19.04.2004 um 13.15

„Dialektik“, so heißt es im Duden, „ist die Erforschung der Wahrheit durch die Aufweisung u. Überwindung von Widersprüchen; Gegensätzlichkeiten.“

In diesem Zusammenhang zwei Aufweisungen:
In den neueren Lehrplänen Bayerns wird dem Recht auf Kind-sein-dürfen (LP 2000): und dem „Recht auf Kind-sein-Dürfen“ (LP 2003) angemessener Raum gewährt ...
„Vom anderen Ende her gedacht“, wird damit allerdings durch staatliche Verfügungsgewalt die Chance des „Erwachsen-Werdens“ verschleppt.

Vielfach wird in den bayerischen Lehrplänen auch der Begriff „Wortbild“ genannt, wobei neuerdings das „Wortbild“ vorzugsweise als „Klangbild“ verstanden wird.
Jene "begriffliche Unsauberkeit" ist höchst bemerkenswert.
Ich meine: In letzter Konsequenz müßten die Phonetiker in den Einschulungsklassen eine fünfzeilige Ausgangslineatur einsetzen, mittels derer die Tonhöhen und –tiefen (u.a. mit #en und bs) sowie die rhythmischen Werte (z.B. mit Punktierung einzelner Buchstaben) besser dargestellt werden könnten.

Wo aber würden wir landen? Erneut beim visuellen Prinzip!
Denn jegliche Schrift ist augenfälliges Bild, und die bestehende Schrift ist ein ausgeklügeltes formschönes System, das nicht neu erfunden werden muß.
Sie bietet gerade den Kindern endlose Lernanreize bzgl. der Individualisierung und der sozialen Integration.



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eingetragen von Norbert Schäbler am 17.04.2004 um 17.35

Als ich anfing, als Lehrer zu praktizieren, prägte die Didaktik den Begriff „stummer Impuls“.
Man machte uns Junglehrern klar, daß Fragen etwas Hölzernes, Flaches, Gewöhnliches und Unmotivierendes seien.

Seinerzeit habe ich auf einen Pappkarton einen Pfeil aufgemalt und ihn ausgeschnitten;
und falls die Schüler zum Thema etwas Aufbauendes beigetragen haben, habe ich den Pfeil mit der Spitze nach oben mit Tesafilm an die Tafel geklebt.

Oft hatte ich den Pfeil zehn Minuten in der Hand, und das Thema holperte in Seitwärtsbewegung (Pfeilrichtung waagerecht, nach links oder rechts) dahin.
Und verschiedentlich ging es auch schroff nach unten, z.B. wenn eine/r vom Stuhl gefallen war.

Während der Seminarzeit hatte ich zahlreiche „pfeilkritische“ Gedanken. Erst später ist mir die Idee gekommen, daß es wahrscheinlich so ist, daß die Didaktiker das „Kind“ nicht so recht begriffen haben.



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eingetragen von Norbert Schäbler am 14.04.2004 um 14.15

Im Anschluß an die beiläufige Beichte von Herrn Dr. Scheuermann erteile ich als einst praktizierender Lehrer sofortige Absolution.
Den fruchtbaren Moment eines pädagogischen Aktes hat er hervorragend geschildert.

Allerdings fühle ich mich im Anschluß an das Geständnis genötigt, über die hinter den Kulissen erfolgte „pädagogische Sterilisation“ zu reden.
Dazu auch eine kleine Beichte:

Bis zu meiner Versetzung in den Vorruhestand im Jahre 2002 gab es in Bayern selbst für die Fachlehrer allgemeinbildender Schulen die Verordnung, sämtliche Facharbeiten nicht nur auf Inhalt und Gehalt, sondern auch auf Rechtschreibung zu korrigieren.
Ich gestehe, dieser Verordnung am Ende nicht mehr entsprochen zu haben.

Warum?
Weil plötzlich Rechtschreiben aus einer ganz linken Richtung definiert wurde - was für mich keinen Sinn mehr ergab.


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eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 14.04.2004 um 08.30

Die von Herrn Schäbler unter "Quellentexte" dankenswerterweise eingestellten bayerischen Grundsätze zum fächerübergreifenden Deutschunterricht veranlassen mich zu einem (beiläufigen) Geständnis:
Weil es sich irgendwie ergeben hatte, daß ich in dem neusprachlichen Zweig eines bayerischen Gymnasiums, das ich etliche Jahre lang besucht habe, als "naturwissenschaftlich begabt" galt, war ich (im Sinne einer »self-fulfilling prophecy«) im Fach Chemie auf eine "1" geradezu abonniert.
Als ich eines Tages eine Chemiearbeit mit einer "3" zurückerhielt, war das deshalb zunächst überraschend. Mein Chemielehrer hatte die zahlreichen Interpunktionsfehler (ich hatte mir wohl eingebildet, in einer Chemiearbeit könne das Setzen von Kommas nicht verlangt werden) zum Anlaß genommen, die Arbeit um zwei Notenstufen abzuwerten.
Für den pädagogischen Effekt dieser Maßnahme bin ich Herrn Dr. Z. nach wie vor dankbar.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Norbert Schäbler am 29.03.2004 um 11.39

Ich untersuche gegenwärtig die bayerischen Lehrpläne der Jahre 1950/51, 1955, 1966, 1971, 2000 und 2003.
Dabei stelle ich fest, daß wissenschaftliche Erkenntnisse im Fachbereich Deutsch zunehmend seltener werden, während sich eine bestimmte Wissenschaft zum Moderator des gesamten Schullebens aufschwingt.
Einzig die Phonetik versteht es, auf den fahrenden Zug aufzuspringen.

Grenzenlose Verarmung ist das, denn ausgerechnet mit dem phonetischen Prinzip kann man in der allgemeinbildenden Schule äußerst wenig anfangen.
Zum wiederholten Male formuliere ich, daß wir in unseren Schulen mehrheitlich visuell gesteuerte Zöglinge sitzen haben. Daneben muß auf den Umstand hingewiesen werden, daß selbst bestgemeinte Appelle „Zuhören und das Gehörte verstehen lernen“ immer häufiger am disziplinären Rahmen scheitern.

Zitate aus obigen Lehrplänen werden demnächst im Strang „Quellentexte und Statistiken“ veröffentlicht.

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eingetragen von Norbert Schäbler am 27.03.2004 um 20.28

Das Konzept von Harald Marx (vom 03.09.00)

Anläßlich der Jahrestagung des VRS am 01.10.00 in Aschaffenburg trat Harald Marx (Professor für Pädagogische Psychologie, Uni Bielefeld bzw. Leipzig/seit 1.10.1999) als einer von vier Gastrednern auf. Daneben referierten Stefan Hinrichs (Professor für Pädagogik, Uni Siegen), Wolfgang Wrase (Lektor, München) und Wolfgang Illauer (Studiendirekter an einem Humanistischen Gymnasium in Augsburg).

Im folgenden zitiere ich aus dem Konzept von Harald Marx, das den Teilnehmern der Versammlung an die Hand gegeben wurde. Es trägt den Vermerk „011 MarxBielefeld.html“; umfaßt 3 Seiten; trägt das Datum „03.09.00, 18:12“.
Es ist gehalten in altbewährter Rechtschreibung.
Allerdings stellte Harald Marx in Aschaffenburg seine Erkenntnisse via Overhead-Projektor in neuer Rechtschreibung vor. Meines Wissens publiziert der Wissenschaftler seine Erkenntnisse generell in Heysescher Schreibung. .
Motive für dieses Verhalten konnten auf der Sitzung vom 01.10.00 nicht geklärt werden, doch immerhin wurde die Diskrepanz zwischen den Untersuchungsergebnissen und dem Verhalten des Wissenschaftlers bei seinen Publikationen zum kurzfristigen Gesprächsgegenstand.

Der Text:
Rechtschreibleistung vor und nach der Rechtschreibreform: Was ändert sich bei Grundschulkindern?
(Harald Marx)

Mit der Rechtschreibreform ist das Ziel verbunden, das Rechtschreibsystem der deutschen Sprache benutzerfreundlicher, logischer und leichter erlernbar zu machen. Eine der grundlegenden Änderungen betrifft die s-Laut-Schreibung. Während bislang die Schreibungen der Buchstaben s, ss oder ß für den s-Laut (/s/) größtenteils wortspezifisch waren, gibt es jetzt zumindest eindeutigere Vorschriften (vgl. Duden, 1996)

„Nach betontem Kurzvokal wird (sofern die Grundform ein ss enthält) immer ss und nach Langvokal immer ein ß geschrieben.“

Auf dem Weg vom phonetischen Schreiben zum orthographischen bereitet gerade die Dehnung und Dopplung von Konsonanten, mit denen die Länge oder Kürze eines Vokals visualisiert wird, eines der Hauptprobleme der Rechtschreibung. Deshalb kommt der Neuerung in der s-Laut-Schreibung eine besondere Bedeutung zu. Denn die verschiedenen Verschriftungen (ss,ß) eines Phonems (/s/) erscheinen sehr gut dazu geeignet, die für viele Kinder akustisch nur schwer zu treffende Unterscheidung von Lang- und Kurzvokal durch Visualisierung zu unterstützen und somit zu erleichtern. So kann etwa mit Hilfe eines Schaubildes (s. Vierfelderschaubild im Vortrag) die Eindeutigkeit in der Zuordnung von Kurz- und Langvokal zu den zwei unterschiedlichen Schreibweisen des gleichen s-Lautes wechselseitig dazu genutzt werden, Grundschulkindern zunächst das Prinzip der Konsonantenverdopplung bei betontem Kurzvokal zu vermitteln. Danach gilt es mit Hilfe der Visualisierung die Prinzipien von Dehnung und Schärfung zu üben und somit über die vorgegebene Schreibung in den neuen Schulbüchern die korrekte Lesung von Lang- und Kurzvokal gerade auf der Wortebene zu steuern.

Annahmen
Berücksichtigt man die Schwere und die Auswirkungen des Fehlerbereichs der s-Laut-Schreibungen und stellt diesen die angedeuteten spezifischen Lerngelegenheiten als didaktische Hilfen beiseite, so müßten sich eigentlich die Rechtschreibleistungen bei konsequenter Anwendung der Reform gerade im Bereich der s-Schreibungen bereits kurzfristig verbessern. Darüber hinaus müßten sich längerfristig im Bereich der Wortschreibungen mit Dopplung und Dehnung ebenfalls Verbesserungen einstellen. Soweit die erwünschten Effekte der Rechtschreibreform.

Aber andere, unerwünschte Effekte sind durchaus ebenfalls in Betracht zu ziehen. Zumindest in qualitativer Hinsicht ist gerade bei den s-Schreibungen auch eine Zunahme von unterschiedlichen Schreibweisen, Übergeneralisierungen oder auch inkonsistenten Realisierungen von Schreibungen denkbar (s. Leselernmodell nach Adams im Vortrag).
Denn nach wie vor ist nahezu alles Schriftmaterial, das die Kinder außerhalb des schulischen Settings zu sehen und zu lesen bekommen, nach den alten Rechtschreibregeln verfaßt, so daß es in Abhängigkeit von der Nutzung außerschulischen Schriftmaterials zu Konfusionen bzw. zur Ausbildung gleichrangiger Assoziationen von Graphem-Phonemkorrespondenzen (vgl. Adams 1993; Marx, 1997, Perfetti, 1992) kommen dürfte. Insofern sollten diese Probleme eher bei den besseren Rechtschreiber/innen und Viellesern als bei den schwächeren Lesern bzw. Kindern, die wenig lesen, auftreten (vgl. die eigenen Ausländerbefunde als Gruppe der weniger deutsch Texte lesenden Kinder im Vortrag). Außerdem gilt es zu beachten, daß alle Kinder, die vor dem Stichtag der Einführung der neuen Rechtschreibung eingeschult wurden, zunächst nach den alten Rechtschreibregeln unterrichtet worden sind.

Methode
Zur Überprüfung dieser Annahmen wurden zur Schuljahresmitte des Schuljahres 1997/1998 111 Zweit, 111 Dritt- und 107 Viertkläßler, die (auf Empfehlung der Kultusministerien nach Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“ in Wien) seit Beginn des Schuljahres 1996/97 bereits nach den neuen Rechtschreibregeln unterrichtet werden, mit einem neuen Rechtschreibtest (Knuspels Schreibaufgaben, Marx, in Vorb.) untersucht. Deren Ergebnisse wurden denen von 110 Zweit-, 110 Dritt- und 98 Viertkläßlern gegenübergestellt, die genau zwei Jahre vorher mit dem gleichen Verfahren getestet worden waren. Ausgewertet wurden die Schreibungen getrennt für 34 Wörter ohne und 10 Wörter mit s-Laut, wobei sich bei fünf s-Laut-Wörtern reformbedingt die Schreibweise verändert hat.

Ausgewählte Ergebnisse
Es zeigt sich, daß die älteren Klassenstufen der 98iger Stichproben die von der Rechtschreibreform nicht betroffenen Wörter nicht besser schreiben können als diejenigen der 96iger Stichproben. Deutlich wird aber auch, daß die Rechtschreibreform wirkt.
Allerdings ist das Ergebnis bezüglich der s-Laut-Schreibung genau entgegengesetzt der erwünschten Richtung. Zum einen machen die Kinder aller Klassenstufen bei den von der Reform betroffenen s-Laut-Wörtern signifikant mehr Fehler, zum anderen übergeneralisieren sie, indem sie offensichtlich die neuen Schreibweisen auch bei den s-Laut Wörtern anwenden, die nicht von der Reform betroffen sind. Diese Befunde gelten mit Ausnahme der Übergeneralisierungen sowohl für deutsche Kinder als auch für Ausländer- und Aussiedlerkinder. Letztere schreiben zwar in allen drei Klassenstufen signifikant weniger Wörter richtig als deutsche Kinder, sie produzieren aber keine Übergeneralisierungen.

Diskussion
Insgesamt bestätigen sich nicht die erwünschten, sondern die unerwünschten Reformwirkungen. Es gibt nach anderthalb Jahren Unterricht nach neuer Rechtschreibung (noch?) keinen allgemeinen Erleichterungseffekt. Die Rechtschreibleistungen zwischen den Klassenstufen vor und nach der Rechtschreibreform unterscheiden sich nämlich nicht in den reformunkritischen Wörtern. Aber es gibt Unterschiede bei den von der Reform betroffenen s-Laut-Wörtern. Diese fallen jedoch zuungunsten der Rechtschreibreform aus. D.h., die reformkritischen s-Laut-Wörter werden nach der Reform nicht seltener, sondern häufiger falsch geschrieben. Zusätzlich gibt es noch ein weiteres Problem. Offensichtlich führen die reformbedingten Andersschreibungen beim ß und ss auch bei s-Laut-Wörtern, die nicht von der Reform betroffen sind, zu unzulässigen Verallgemeinerungen bzw. Unsicherheiten und somit zu einer höheren Fehlerquote.

Schlußfolgerungen
Die Ergebnisse lassen wenigstens drei Handlungsmöglichkeiten zu:
1. Gegner wie Befürworter tauschen weiterhin Meinungen aus, geben Ratschläge für weitere Reformen oder benutzen diese Befunde in unkritischer Weise, z.B. als Argument für eine Abschaffung der Reform.
2. Die Reform wird von allen ernst genommen. Damit einher geht eine aktive Suche und effektive Nutzung von neuen Vermittlungsmöglichkeiten (wie z.B. das Vierfelderschaubild), statt einer halbherzigen Kurzschulung.
3. Die Reform läutet eine Liberalisierung der Rechtschreibbewertung ein. Es werden auf Dauer Alternativschreibungen (alte und neue Rechtschreibung) zugelassen, die Rechtschreibung verliert ihre Bedeutung als Ausleseinstrument für Schule und Beruf.

Prognose
Angesichts der ständigen Konfrontation mit zwei Schreibweisen, nämlich der alten im alten Buchbestand und der neuen in Schule bzw. seit 1. August 1999 in den Printmedien, ist zumindest bei den reformbedingten Veränderungen auf längere Sicht eher mit einer Verschlechterung der Rechtschreibung, vor allem aber auch mit unzulässigen Generalisierungen von Schreibweisen und Gewohnheitsbildungen bei Jung und Alt zu rechnen. Wenn hiergegen nicht ernsthaft durch gezielte didaktische Maßnahmen für Jung und Alt entgegengesteuert wird, wird wohl die dritte genannte Möglichkeit eintreten.

Ergänzende Grafik
Finden Sie unter:
http://www.rechtschreibreform.com/Seiten2/Wissenschaft/012MarxBielefeldGrafik.html

Literaturbezug
Marx, H.(1999). Rechtschreibleistung vor und nach der Rechtschreibreform: Was ändert sich bei Grundschulkindern? Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und pädagogische Psychologie, 31(4), S. 180-189, Verlag Hogrefe, Göttingen, Tel. 0551 49609-0



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eingetragen von Norbert Schäbler am 24.03.2004 um 15.54

Mit Anhängern der „phonetischen Richtung“ wurden in diesem Forum schon etliche ergebnislose Diskussionen geführt.
Dies ist Grund genug, Lehrmeinungen und Lehrgegenstand der „Phonetiker“ zu studieren.

Fragen vorab:
1. Welche Veröffentlichungen geben einen guten Überblick über die Thematik und die geistige Ausrichtung?
2. Welche Autoren (gedankliche Väter und derzeit praktizierende Professoren) sind zu nennen?
3. Welchen prozentualen Anteil hat die „phonetische Richtung“ innerhalb des Gesamtbereichs „Rechtschreibdidaktik“?

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eingetragen von Norbert Schäbler am 17.03.2004 um 13.39

Der Beitrag Prof. Icklers vom 12.03.04, 11.41 Uhr, im Leitfaden „Helden der Rechtschreibung“ bestätigt meine Meinung über den aktuellen Zustand von Forschung und Lehre.

Freiheit der Wissenschaft scheint es nicht mehr zu geben.
Nicht mehr die Richtigkeit, sondern Zweckdienlichkeit und Nützlichkeit stehen in der Wertekategorie ganz oben.


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eingetragen von margel am 09.03.2004 um 09.22

Nicht genug würdigen kann man das vergebliche Bemühen Herrn Wagners, auch das Thema "Rechtschreibreform" in die Forum-Pisa-Sendung des Deutschlandfunks einzubringen. Und doch: Ich fand es höchst interessant, daß die Experten im Studio durchaus seriös und für mich auch informativ diskutierten und Auskunft gaben. Ja, ich empfand (horribile dictu!) es geradezu als wohltuend, daß hier zwar selbstverständlich das Reformproblem als stummer Gast immer im Raum stand und trotzdem über Orthographieunterricht und die dabei auftauchenden Schwierigkeiten fundiert und tiefschürfend gesprochen wurde, ohne das Thema RSR "schon wieder" in den Mittelpunkt zu stellen. Es gibt eben ganz unabhängig von der Reformmisere noch einen ganzen Komplex der Orthographiedidaktik, der sozusagen weniger zeitgebunden ist und wohl auch bleiben wird. Prof. Balhorn erledigte eigentlich die Reform durch Mißachtung, indem er z.B. gleich zu Beginn klarstellte, daß Kinder Rechtschreibung nicht anhand von Regeln erlernen, also das fundamentale Paradigma der Reformer kurz und knapp beiseite wischte.


eingetragen von J.-M. Wagner am 08.03.2004 um 21.35

(Zuvor: Meine im Forum PISA des Deutschlandfunks eingestellten Beiträge hatte ich als Leserbrief an die Forum-PISA-Redaktion geschickt. Als Antwort teilte mir Frau Bajohr mit, daß die "neue Rechtschreibung" bei der Sendung vom 05.03.2004 nicht im Vorderund stünde und daß keine Rechtschreibreformdebatte geführt werden würde, u. a. weil die eingeladenen Gesprächspartner dafür nicht zuständig seien. Daraufhin schrieb ich ihr die folgenden Anmerkungen.)


Sehr geehrte Frau Bajohr,

gerade wegen der Ausrichtung der Sendung auf die Didaktik der Rechtschreibung werden Sie um das Thema "Rechtschreibreform" nicht herumkommen. Das folgt daraus, daß die Reform an mehreren didaktikrelevanten Punkten Paradigmenwechsel vornimmt:

1.) Mit der Reform wechselt die Grundlage der Rechtschreibung von einer deskriptiven (= beschreibenden) zu einer präskriptiven (= vorschreibenden) Regelung. Wie sich an der kritischen Haltung mancher literarischer Verlage (z. B. Suhrkamp, Diogenes) zeigt, die auch über den Sommer 2005 hinaus die herkömmlichen Schreibungen verwenden werden, wurde dabei die "natürliche" Sprachentwicklung nicht hinreichend berücksichtigt – die Neuerungen werden nicht allgemein akzeptiert. Die Didaktik kann sich also nicht mehr durchgängig auf im allgemeinen Sprachgefühl verankerte Schreibungen beziehen. Stattdessen müssen willkürlich neu eingeführte Varianten vermittelt werden – was eine didaktisch ganz andere Herangehensweise erforderlich macht.

2.) Rechtschreibung ist kein Selbstzweck, sondern soll dem Leser helfen, den Sinn eines Textes schnell und reibungslos zu erfassen. Die herkömmliche Regelung hat sich weitgehend an diesem Verständnis orientiert und die Leserfreundlichkeit in den Vordergrund gestellt. Die Neuregelung ist dagegen unter dem Gesichtspunkt der Vermittelbarkeit konzipiert worden; sie sollte für den Schreiber einfacher, eindeutig, nachvollziehbar sowie lern- und handhabbar sein (vgl. die vom Reformer Gallmann genannten Kriterien: http://www.personal.uni-jena.de/~x1gape/Pub/Infinitiv_1997.pdf).
Wurde dieses Ziel wirklich erreicht?

3.) Wie wirken sich die folgenden grundlegenden Strukturveränderungen auf die Vermittlung der Rechtschreibung und der Grammatik der deutschen Sprache aus:

a) Wechsel von inhaltlichen zu formalen Kriterien bei der Getrennt- und Zusammenschreibung. (Speziell: Für wie vermittelbar halten Sie geschlossene Listen mit rund 100 Einträgen [siehe Paragraph 34]?)

b) Wechsel von syntaktischer (d. h. strukturell geregelter) zu semantischer (d. h. auf inhaltliche Gliederung zielende) Kommasetzung, verbunden mit vielen fakultativen Regelungen.

c) Die Reform rückt davon ab, immer grammatikalisch richtige Schreibungen vorzuschreiben. (Daß die Reform von der Grammatik abweicht, hat der damalige Vorsitzende der Rechtschreibkommission, Augst, in einem Interview mit der Märkischen Allgemeinen Zeitung Anfang Mai 2002 zugegeben.)

4.) Vor der Reform kündigte mancher Kultusminister einen drastischen Fehlerrückgang an; die versprochenen Zahlen schwankten stark, lagen aber bei ca. 50%. Wird die reformierte Rechtschreibung diesem Anspruch wirklich gerecht? Welche Abstriche in der Qualität sind dabei zu erwarten? Ist so ein Ziel überhaupt realistisch?

Wenn die Didaktik glaubt, sich nicht mit diesen Punkten auseinandersetzen zu müssen – mit Punkten, die tief in die Grundlagen der Schreibung (und auch der Sprache an sich) eingreifen und sich auch auf die Art des Erlernens der Schriftsprache auswirken –, dann irrt sie in gefährlicher Weise: Sie nähme weder ihre eigene Rolle noch ihren Lehrstoff ernst.

Deshalb gehören alle diese Punkte in die Sendung. Außerdem wäre es ein Fehler, darauf zu verzichten, aus didaktischer Sicht notwendige Nachbesserungen der reformierten Rechtschreibung (die es sowieso geben wird; vgl. Pressemitteilung der KMK: http://www.kmk.org/aktuell/pm040205.htm) zu benennen. Nur noch kurze Zeit wird es möglich sein, Fehler zu korrigieren.

Ich wünsche Ihnen eine in diesem Sinne erfolgreiche Sendung.

Mit freundlichen Grüßen,

Jan-Martin Wagner

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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Norbert Schäbler am 05.03.2004 um 20.23

Ich stelle fest, daß sich am heutigen Tage im Rechtschreibforum eine Diskussion über Grammatik entsponnen hat (im Leitfaden: „kurze Frage“).
Das war die Tagesattraktion.

Hierzu ein Sonderlob an Herrn/Frau salz, der/die zu Tagesbeginn auf der Abschußliste stand. Durch seine/ihre „Störmanöver“ kam gleichwohl etwas Ordentliches zusammen.
Bemerkenswertestens unter allen Wortmeldungen war die von Herrn/Frau gestur, welche an frühere eindeutige Regelungen im Bereich der Grammatik erinnerte.
Gerade diese Bemerkung las ich mit Freuden, denn im hiesigen Leitfaden „Vom Federnlassen der Didaktiker“ will ich darauf hinaus, unseren gegenwärtigen Sprachwissenschaftlern Versäumnisse vorzuhalten.

Meine Not als ehemaliger Dorfschullehrer bestand nämlich darin, Entscheidungen stets selbst zurechtzimmern zu müssen, weil mich die da oben im Regen stehen lassen; denn diejenigen, die etwas wissen, geben mir keine Anleitungen mehr, w.z.B. eine aktualisierte Schulgrammatik von 1952, die „gestur“ zitierte.

Freuen würde ich mich, wenn in diesem Leitfaden eine Diskussion aufkäme, an der ich allerdings in den nächsten zehn Tagen mangels Anwesenheit nicht teilnehmen kann.



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eingetragen von Norbert Schäbler am 01.03.2004 um 15.58

„Es ist schwer, keine Satire zu schreiben“, formulierte Professor Ickler in einem gestrigen Beitrag, den er im Laufe der Nachbesinnung leicht abgeändert hatte.
Icklers Bemerkung ist vollauf zu unterstreichen.

In der Tat ist es nämlich auch in meinem Seelenhaushalt so, daß Ironie und Selbstironie stetig zunehmen, während gleichzeitig die Selbstdisziplin und Sachlichkeit entschwinden. Unsereins kämpft nämlich gegen eine Wand an, die keinen Zentimeter zurückweicht; und hinter dieser Wand befindet sich ein „Haufen“, der an Disziplinlosigkeit, Arroganz und charakterlicher Verbogenheit kaum noch zu überbieten ist.
Allzuleicht verkrümmt sich da das Visier, und am Ende schießt man sich ins eigene Knie!
Amerikaner nennen das „friendly fire“!

Vor kurzem habe ich den hiesigen Leitfaden eröffnet, weil ich u.a. ein Problem darin erkenne, daß sich kompetente Sprachwissenschaftler einer bestimmten Denkrichtung angeschlossen haben.
Als Argument für meine Vermutung benenne ich die sog. „Hessischen Rahmenrichtlinien“ die in den 70er Jahren in der bundesdeutschen Bildungspolitik für Furore sorgten, dabei zunächst auf Landespolitik begrenzt waren und neuerdings in Gestalt der sog. „Rechtschreibreform“ Auferstehung feiern.
Ich betreibe sozusagen „Dekadenzforschung“.

Sachlich wäre es angebracht, der Hoch- und der Schriftsprache ihren verlorengegangenen Rang zurückzugeben; der Literatur und dem Schrifttum wieder jenen Wert zu verleihen, der ihnen vor diesem unglaublichen Angriff (durch die hessischen Rahmenlehrpläne) zustand.

Findet sich da noch ein Sprachwissenschaftler, der diese Denkrichtung vertritt?
Oder finden sich Sprachwissenschaftler, die hier ihre Geisteshaltung plausibel machen können?
Ansonsten wäre - angesichts der Unkontrollierbarkeit meiner groben Geschütze -"friendly fire" nicht ausgeschlossen.


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eingetragen von Norbert Schäbler am 25.02.2004 um 12.53

Was versteht Ihr vom Sender unter dem Begriff:
"W o r t b i l d" ?
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eingetragen von Norbert Schäbler am 21.02.2004 um 19.58

Auf Herrn Dörners Eintrag hin, habe ich den Beitrag von Hans Glinz (in Eroms/Munske) nachgelesen. Zwei Zitate will ich daraus bringen: Die einleitenden Worte und die abschließende Betrachtung.
Den Mittelteil (immerhin neun Seiten) will ich lediglich kommentieren: Respektlos; Ehrung ist andernorts angesagt.

H.-W. Eroms, H.H. Munske (Hgg.) „Pro und Contra – Die Rechtschreibreform“, S. 59:
„Ich fragte mich lange Jahre: Wird diese Rechtschreibreform, an der wir so lange gearbeitet haben, überhaupt je Wirklichkeit werden? Und werde ich das noch erleben?
Nun bin ich glücklich, dass ich es erlebt habe, denn ich glaube nicht, dass das Ganze noch gestoppt werden kann ...“
S. 68:
„Daher kann ich die ablehnende Haltung so vieler Schriftsteller überhaupt nicht verstehen – ganz abgesehen von der Tatsache, dass die ganze Regelung nur den Gebrauch in den Amtsstellen und den Schulen bindet und alle Privatleute und auch alle Verlag (sic!) weiterhin nach alter Regelung schreiben können, wenn sie das für richtig halten. Denn der freie Ausdruck in Wort und Schrift, in selbstgewählter Form und damit in selbstgewählter Rechtschreibung, gehört zu den Grundrechten autonomer Staatsbürger.“

Im Mittelteil referiert Hans Glinz darüber, daß er ab 1950 maßgeblich beteiligt war an der Rechtschreibreform, daß er bald dies, bald jenes befürwortet oder mit Zweifeln bedacht habe, daß er durch die Presse verunglimpft worden sei, nachdem er sich für undankbare Aufgaben als Referent, Befürworter und Sachleiter hergegeben hatte.

Auf mich wirkt all das, wie etwa die Reflektion eines Atomphysikers, der anläßlich des Bombenabwurfs über Hiroshima mindestens zum zweiten Male ordentlich ins Grübeln gerät, jedoch einige Tatsachen völlig verdrängt und seine Verdachtsmomente lediglich mittels Freud’scher Fehlleistung durchs Ventil schlüpfen läßt.

Bei der großen Feierlichkeit für Hans Glinz wird davon natürlich nichts zu spüren sein. Dezent wie bei einer Grabrede wird man in der Laudatio über Fehl und Tadel selbstverständlich generös hinwegsehen, zumal die Ehrung ja von denen abgestattet wird, für die Hans Glinz ein Vorbild an Willigkeit war.

Den verbliebenen und den nachfolgenden Grammatikern jedoch ins Stammbuch: Das, was Hans Glinz mitgeschaffen hat, hatte die Wirkung einer Bombe. Wenn sich einer dafür ehren lassen will, ist das seine Sache.
Und sollten sich die Herrschaften z.B. Hans Glinz oder auch diejenigen, die seine Stelle inzwischen eingenommen haben, darauf berufen, daß man das Geschaffene von der Basis her verlangt habe, und daß das Geschaffene an der Basis gut angekommen sei, dann möge man ihnen antworten:
„Zur Sache, Maestros! Die Basis geht Euch einen Scheißdreck an!“


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eingetragen von Christian Dörner am 20.02.2004 um 20.52

Prof. Glinz hat in dem bekannten Sammelband von Eroms/Munske 1997 auch einen ganz interessanten Aufsatz zur Rechtschreibreform verfaßt, in dem er sich unter anderem darüber ärgert, daß man die Konjunktion solange immer noch nicht getrennt schreiben muß, und beschreibt die Entwicklung der GKS bei dienstags/Dienstags und noch ein paar andere relativ unerhebliche Dinge.
Ansonsten redet er viel über sich selbst und betet die IDS-Reformpropaganda 1:1 herunter, wobei nicht eindeutig klar wird, ob er auch von dem, was er schreibt, vollends überzeugt ist.
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Christian Dörner


eingetragen von Norbert Schäbler am 20.02.2004 um 18.27

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Ich bin auch einer, bemühe mich wenigstens. Wovon sprechen Sie, lieber Herr Schäbler? Wollen Sie dem Deutschen eine Consecutio temporum schneidern? Da bin ich aber neugierig.

Gut zu wissen, Herr Ickler!
Das könnte dafür sorgen, daß ich wieder ein wenig Vertrauen schöpfe ...

Es gibt aber auch andere, z.B. Hans Glinz, der dieser Tage geehrt wird - der meines Wissens bis 1988 am IDS Mannheim eine Funktion innehatte.
Mit dem Namen Glinz verbinde ich eine neue Sprachbuchgeneration, in der (gegensätzlich zu Ibler) die notwendige sprachliche Übung (teilweise der Drill) gegen die Motivation eingetauscht wurde (Anfangsbegeisterung war das Maß aller Dinge).

Ich meine, daß es insbesondere in diesem fachwissenschaftlichen Zweig sehr viel Modisches und Trendiges gibt, und daß gerade jene Wissenschaftler den Ton angeben, die sich an der Oberfläche bewegen und dem Volke stets nach dem Mund reden, anstatt Kulturgut unverfälscht weiterzugeben.

Tonangebend sind Sie, lieber Herr Ickler, derzeit auf rechtschriftlichem Gebiet. Man nennt Sie einen profunden Kenner der Materie.
Sie sind aber kein Macher, keiner, den das Kultusministerium berufen würde, damit dieser Stall endlich einmal ausgemistet würde.
Das meine ich: Es gibt viele, die sich ernsthaft um die Pflege der Sprache in jeglicher Hinsicht bemühen, doch nur diejenigen, die protektioniert werden von Staat und Wirtschaft, die gehören tatsächlich zur Elite und dürfen sich am Grünen Tisch über die finanzielle Beute hermachen!
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nos


eingetragen von Theodor Ickler am 20.02.2004 um 14.43

Ich bin auch einer, bemühe mich wenigtens. Wovon sprechen Sie, lieber Herr Schäbler? Wollen Sie dem Deutschen eine Consecutio temporum schneidern? Da bin ich aber neugierig.
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Th. Ickler


eingetragen von Norbert Schäbler am 20.02.2004 um 12.04

Ein besserer Vergleich mit unseren Deutschdidaktikern fällt mir derzeit nicht ein, denn sie sind glitschig wie ein solch schlangenähnlicher Fisch und zudem fähig, vernichtende elektrische Ladungen auszusenden, so daß ein nicht ganz fachkundiger Hobbyangler wie vom Blitz getroffen zu Boden sinkt.

Um im Bild zu bleiben, möchte ich ein wenig im trüben See der Grammatik fischen, und an einem gerade aktuellen Beispiel meine tiefgründigen Zweifel erläutern.

Dieser Tage wurde an verschiedenen Stellen dieses Forums (im alten „Gästebuch“, und im Bereich „FDS“) über die "Tempora" gesprochen.
Ein namentlich nicht näher bezeichneter Gast machte dazu die Bemerkung, daß bis 1952 in der Schulgrammatik über die sog. "Zeitenfolge" sinngemäß folgender Eintrag gestanden habe: „Präsens zu Perfekt“, „Imperfekt zu Plusquamperfekt“. Der Eintrag war versehen mit Beispielsätzen.

Einem Lehrer hätten diese Beispiele hervorragend als Unterrichtsmaterial gedient, denn Schüler wären schon nach kurzer Zeit zu der entscheidenden Einsicht gelangt, daß man in der Hochsprache gewisse Stilmerkmale beachten muß, die in der gesprochenen Sprache von Region zu Region vernachlässigt oder aber auch übertrieben werden. Eine wahrlich schöne Angelstunde wäre das geworden. Sowohl in die Isar (Fluß durch München) als auch in den Maschsee (See in Hannover) hätte man die Leine auswerfen können und daselbst die dicksten Fische gezogen.

Und damit zu den Grammatikern, die sich irgendwo in den Flußgrund vergraben haben und dort regungslos und abwehrbereit verharren.
Unsere Deutschgrammatiker bieten den oben beispielhaft zitierten Lehrstoff nämlich gar nicht erst an. Für sie ist das Thema umstritten, und was umstritten und problematisch ist, gehört offensichtlich nicht in die Schulstube, wiewohl – das zeigt die Eigenerfahrung – gerade die konfliktreichsten Themen besonders lerneffektiv sind.

Mein Vorwurf: Grammatiker sind offensichtlich nicht mehr fähig und willig, in den Bereich von Schrift- und Hochsprache zu investieren. Was sie bieten, ist ein sprunghaftes und jeglicher Entscheidung entbehrendes Geschwätz, das sich irgendwo zwischen „entweder - oder“, bzw. „sowohl als auch“ bewegt.
Rückgrat und Bekenntnisfreude haben die längst verloren!

Zitteraale halt!




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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 18.02.2004 um 18.00

Meine Provokation ist offensichtlich zu grob. Außerdem ist sie generalisierend.
Wenn ich schreibe: „Deutschdidaktiker sind Versager!“, dann ist das offensichtlich ein Schuß ins Leere. Niemand braucht sich angegriffen zu fühlen:
- weil man weiß, wer da schreibt,
- und weil man weiß, daß dem nicht so ist.
Zudem stehen Versager der mittleren Funktionärsebene unter staatlichem Schutz. Man braucht sie u.a., um den Abstand zur höchsten Ebene deutlich zu machen.

Ich werde in diesem Leitfaden den Didaktikern weiterhin einheizen, werde sie konfrontieren mit einstigen Richtlinien, Prioritäten und (einst unumstößlichen, gesetzesähnlichen) Leitideen.
Das Eröffnen eines Disputes – gar einer Diskussion – wäre mir recht.

Gleichzeitig werde ich versuchen, Entschuldigungen für das Verhalten der mittleren Funktionärsebene zu formulieren. Dafür könnte sich der Leitfaden „BayBG“ eignen.
Hier wäre die Trostlosigkeit und Abhängigkeit der Didaktiker darzustellen. Den Betroffenen könnte ein handfestes Alibi präsentiert werden.
Sie kämen dabei wesentlich besser weg als die Kriegsjahrgänge. Während die – teilweise zurecht - sagen durften: „Wir haben es nicht gewußt“, können unsere Didaktiker sagen: „Wir haben nicht anders gekonnt, bzw. nichts anderes gekonnt“, oder: „Wir waren zwar unwissend, aber auf Geldverdienen aus!“

Einen dritten Faden habe ich eröffnet, in dem es um Quellentexte und Statistiken geht. Sollte jemand Schuld, Schuldigkeit oder Betroffenheit trotz (oder wegen) seiner gehobenen Stellung empfinden, dann könnte er ja daselbst „anonym“ sein Gewissen entlasten.

Andererseits: Wer nichts tut zur Herstellung der inneren Harmonie, der ist (und bleibt) ein Totalversager!



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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 17.02.2004 um 18.13

Didaktik versucht, das gesellschaftlich Anerkannte und als wichtig Empfundene zu vermitteln. Sie wählt aus der Vielzahl des Wissenswerten und Notwendigen aus, baut (notwendigerweise selektierend) Inselstunden, entwickelt Methoden und zielt darauf ab, autonome, selbständige und mündige Bürger zu schaffen, die – mit allgemeiner Wissensbasis, Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgestattet - den Weg zum Spezialwissen antreten können.

Didaktik hat sich zu beschäftigen mit unterschiedlichen Reifephasen sowie mit psychischen und sozialen Befindlichkeiten, denen der gesamte Lehr- und Lernprozeß unterliegt.
Von großer Bedeutung für die Effektivität des Lernens ist dabei die altersgemäße, schüler- und gesellschaftsspezifische Motivation.
Dabei scheint der folgende Grundsatz nahezuliegen: Je jünger ein Schüler ist, desto größer ist der Anteil der sog. Sekundärmotivation, während der Anteil der Primärmotivation erst mit zunehmender Reifezeit anzuwachsen beginnt.
Eine Bestätigung dieser These steht allerdings aus!

Sekundärmotivation ist zu definieren als Motivationsform, die insbesondere durch Personen (Eltern, Lehrer, Freunde ...) ausgelöst und gestärkt wird; Primärmotivation und intrinsische Motivation dagegen generieren sich aus der Sache, dem Lehrstoff oder den ureigenen Trieben selbst.
...

Zum oben ausgesprochenen Vorwurf:

Die Didaktiker im Fachbereich Deutsch gehen von fälschlichen Annahmen aus. Sie unterstellen:
- daß Rechtschreibung im Vergleich zu anderen innerfachlichen Disziplinen einen geringen Stellenwert einnehme,
- daß innerhalb der Gesellschaft eine Ablehnung gegen die Disziplin Rechtschreibung gewachsen sei,
- daß die Rechtschreibregeln einem veralteten und überholten Normensystem entsprächen,
- daß die heutige Schülergeneration andere Lehrmethoden benötigte,
- daß der heutigen Schülergeneration andere Schlüsselqualifikationen zugedacht werden müßten,
- ...

Zusammengefaßt heißt das aber:
Die Deutschdidaktiker von heute nehmen ihren Lehrstoff nicht mehr ernst, was einer doppelten Sinnlosigkeit entspricht: Denn wenn man das eine nicht mehr braucht, dann braucht man das andere (den Deutschdidaktiker selbst) um so weniger.

Noch eine rückbesinnliche Frage zum Thema Motivation:
Wie sollte man als untertäniger Deutschlehrer jemals eine Primärmotivation für die Rechtschreibung aufbauen können, wenn Staat und Obrigkeit diesem Fachbereich faktisch das Todesurteil zustellen?



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nos


eingetragen von Norbert Schäbler am 17.02.2004 um 15.46

Bei „Schulversagen“ muß man sich immer wieder fragen, wer versagt hat: Der Schüler oder die Schule.“
Dieser Satz steht über allem, doch müßte man ihn erweitern auf das berühmte pädagogische Pestalozzi-Dreieck: Kind – Stoff – Gesellschaft.

Der Stoff nämlich ist von großer Bedeutung.
Ist der Stoff unwesentlich, dann braucht man ihm den Kind nicht aufzubürden, ist er jedoch wesentlich, dann hat die Gesellschaft das Recht und die Pflicht der Tradierung.

Hier in diesem Forum sind Rechtschreibung und die Vermittlung von Sprachkompetenz wesentlich. Rechtschreibung und Sprachkompetenz haben jedoch nicht überall einen so großen Stellenwert wie hier. Fast scheint es so, als hätten sogar die Kultusminister – die eigentlich Verantwortlichen für das Tradieren und Konservieren zwischenmenschlich bedeutender Errungenschaften – eine geringere Einschätzung bzgl. sprachlicher Kommunikation als hier versammelte Diskutanten.

Fragen, die in diesem Leitthema zu klären wären, sind die folgenden:
Wer hat in Sachen Rechtschreibung versagt:
a) das Kind,
b) der Stoff,
c) die Gesellschaft?

Den neuen Leitfaden habe ich benannt: „Vom Federnlassen der Didaktik“. Das wird sich im Folgebeitrag klären.

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nos


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