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-- Wie wär's mit einem Kompromiß? (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=817)


eingetragen von Fritz Koch am 02.09.2004 um 14.25

In "Der Palast und die Galgenfrist" in der Südd. Zeitg. v. 2.9.04, Feuilleton, steht:
"Die eindeutige jüngste Trotzreaktion von Kulturstaatsministerin Christina Weiss:
'Der Abriß des Palastes der Republik ist beschlossen und wird termingerecht durchgeführt, unabhängig davon, was die Berliner wollen.'"

Die Parallele:
Die eindeutige jüngste Trotzreaktion der Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen:
"Die Einführung der reformierten Rechtschreibung zum 1.8.05 ist beschlossen und wird durchgeführt, unabhängig davon, was die Deutschen, Österreicher und Schweizer wollen."

Der Kommentar der SZ: "Je öfter die Politik zu solchen apotropäischen Aussagen gezwungen wird, desto wahrscheinlicher ist es, daß die Drohung termingerecht wahrgemacht wird."

(apotropäisch. altgriechisch apotropaios = Unglück abwendend; eigentlich bedeutet apotrepein abwenden, vereiteln, verhindern; apotropä = Abwendung, Ablehnung)


eingetragen von Christian Dörner am 31.08.2004 um 12.47

Ist schon bekannt, wie man an die 2. Auflage des Kompromißvorschlages gelangen kann? Leider bieten amazon.de und buecher.de bis heute nur die 1. Auflage an.
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Christian Dörner


eingetragen von Reinhard Markner am 31.08.2004 um 11.05

Bei der gestrigen Pressekonferenz der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung waren anwesend Friedrich Dieckmann als Vertreter Adolf Muschgs für die gastgebende Berliner Akademie der Künste, Klaus Reichert, Hartmut von Hentig, Peter Eisenberg, Uwe Pörksen und Hans-Martin Gauger. Die beiden Letztgenannten beteiligten sich nur kurz an der Diskussion.

Damit sie der Nachwelt enthalten bleiben, seien drei bemerkenswerte Äußerungen Peter Eisenbergs hier dokumentiert.

1. Der Kompromißvorschlag der DASD sei im wesentlichen deckungsgleich mit denen der ZK im 1. Bericht. Dessen Billigung durch die Kultusminister sei seinerzeit (1998) am Einspruch der Schweiz gescheitert.

2. Eisenberg äußerte sich kritisch auch zur ss-Schreibung. Durch die Wiederbelebung der Heyseschen Regel sei das ß so randständig geworden, daß es binnen einer Generation verschwinden könne. Dies sei womöglich auch die Strategie der in der Schweiz mit der Reform befaßten Stellen.

3. Befragt nach den Schwierigkeiten einer vollständigen Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung, behauptete Eisenberg, ein Regelwerk dieser Rechtschreibung gebe es überhaupt nicht mehr. Das von 1901 sei passé, und der Duden habe schon in den 80er Jahren das Regelwerk durch ein Schlagwortregister ersetzt.

Dieses Argument ist natürlich völlig abwegig. Es gibt nicht nur die Regeln im Ickler, es gibt auch die Regeln in älteren Duden-Auflagen, die auf ihre Tauglichkeit zur Beschreibung der herkömmlichen deutschen Orthographie zu untersuchen wären. Statt einzelne Paragraphen neu zu formulieren oder irgendwelche an wenigen Stellen zaghaft vom amtlichen Regelwerk abweichende "Prinzipien der deutschen Orthografie" zu ersinnen (wie im dtv-Wahrig geschehen), hätte im übrigen Eisenberg selbst längst ein alternatives Regelwerk ausarbeiten und zur Diskussion stellen können. Bekanntlich fehlt es im Kompromißvorschlag der Akademie, so daß dessen Einzelwortfestlegungen zum Teil sehr schwer nachzuvollziehen sind. Daß im übrigen der Duden selbst einen "Regelteil" an die Stelle eines systematischen Regelwerks gesetzt hat, zeigt zur Genüge, daß Wörterbuchnutzer und Deutschlehrende in aller Regel auf die Regeln pfeifen. Das hat auch die ZK im 3. Bericht anerkannt.


eingetragen von Joseph Terner am 18.08.2004 um 16.00

Meine derzeit größte Befürchtung ist, daß wir unsere bewährte Einheitsorthographie zurückbekommen, uns allerdings die vorsintflutliche ss-Schreibung dabei erhalten bleibt.

Deshalb sollte man die Aufklärung insbesondere auf diesen angeblichen »Vorteil« konzentrieren. Die Heysesche s-Schreibung sorgt außerdem für eine gute Unterscheidbarkeit reformierter und klassischer Texte, letztere sollte erhalten bleiben.
– geändert durch Joseph Terner am 21.08.2004, 04.18 –
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Joseph Terner


eingetragen von Fritz Koch am 17.08.2004 um 18.03

können sich in Schulaufsätzen nur dann als die bessere und genauere Ausdrucksweise erweisen und durchsetzen, wenn sie nicht mehr als "veraltet" angestrichen werden. Es ist durchaus denkbar, daß sprach- und selbstbewußte Schüler von ihnen Gebrauch machen. Noch besser wäre natürlich, wenn im Unterricht auf diese Ausdrucksmöglichkeiten hingewiesen würde. Fristverlängerung heißt also, daß beide Schreibweisen gleichberechtigt zugelassen werden, damit sich zeigen kann, welche die bessere ist. Während der Fristverlängerung sollten in der Öffentlichkeit die bei der neuen Schreibweise abgeschafften Wörter bekanntgemacht und für ihren Gebrauch geworben werden.
Aufhören muß aber die Anweisung an die Lehrer: "Gelehrt wird ausschließlich die neue Schreibweise, die alte wird nur als nicht fehlerhaft geduldet."
Wenn die Kultusminister es hinnehmen, daß es in Zukunft zwei deutsche Schriftsprachen gibt, müssen auch beide gelehrt werden, darauf haben die Schüler einen Rechtsanspruch.


eingetragen von J.-M. Wagner am 17.08.2004 um 16.32

Kompromissvorschlag im Streit um Rechtschreibung

Frankfurt/Main (AP) Mit einem Kompromissvorschlag will das Saarland den Streit um die Rechtschreibreform beilegen. Der saarländische Bildungsminister Jürgen Schreier kündigte für die Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) Mitte Oktober einen Antrag an, mit dem der bislang geplante Stichtag 1. August 2005 für den endgültigen Übergang von der alten zur neuen Schreibweise aufgehoben werden soll. «Die alte Schreibweise muss auf unbestimmte Zeit weiter gelten. Ich schlage vor, dass wir den bisherigen Beschluss der KMK in dieser Weise korrigieren», sagte der CDU-Politiker der Tageszeitung «Die Welt».
Das erscheint auf den ersten Blick verlockend und vernünftig, wäre aber, bei Lichte betrachtet, eine Katastrophe: Es würden dann ja nicht nur die grammatisch bzw. inhaltlich falschen Schreibweisen weiterhin als richtig gelten, als Konsequenz ergäbe sich, daß die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Schreibweisen und damit auch dem, was sie (eigentlich) bedeuten, aufgehoben wäre. Ein solcher Kompromiß wäre letztlich zum Schaden der Funktionalität der Schriftsprache und muß daher abgelehnt werden.

Um nicht mißverstanden zu werden: Das Problem dieses Kompromißvorschlags ist die Absicht, das Nebeneinander von herkömmlicher und reformierter Orthographie "auf unbestimmte Zeit" bestehen bleiben zu lassen. Ich hätte nichts dagegen, die Übergangsfrist um einen festgelegten Zeitraum zu verlängern und diese Verlängerung mit einer bestimmten Zielstellung zu verbinden – sei es die Rückumstellung auf die herkömmliche Rechtschreibung (was ja das einfachste, klarste, kostengünstigste und daher derzeit beste wäre), die Ausarbeitung einer um die (wenigen) sinnvollen Elemente der Reform erweiterten herkömmlichen Rechtschreibung (der sinnvollste Kompromiß) oder die offizielle gründliche Überprüfung der gesamten reformierten Regelung (der mühsamste Weg zu einer wirklich brauchbaren Rechtschreibung).
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 11.03.2004 um 10.03

Bevor es um einen Kompromiß gehen kann, muß es um die Wahrheit gehen. Da der notwendige erste Schritt (Wahrheitsfindung) bezüglich der Reform noch nicht getan ist, ist es völlig sinnlos, jetzt schon den zweiten (Kompromißfindung) anzugehen.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Theodor Ickler am 11.03.2004 um 04.14

Das Flambieren ist nicht so einfach, vor allem mit dem volksetymologischen "Flammbier"-Gerät, das Karstadt gerade anbietet. Sieht aus wie von Augst erfunden.
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Th. Ickler


eingetragen von Wolfgang Wrase am 10.03.2004 um 23.43

Herbert und Regine versuchen nach einem Ratschlag ihres Ehetherapeuten, alle Meinungsverschiedenheiten mit dem Ziel eines Kompromisses gütlich zu regulieren. Der Therapeut hat gesagt, das würde immer zu optimalen Ergebnissen führen, wie zum Beispiel bei der Rechtschreibreform.

Als erstes stellt sich die Frage, was es zu essen geben soll. Herbert schlägt sein Leibgericht vor: Sauerbraten mit Blaukraut und Klößen. Regine sagt, sie wolle zur Feier des Tages gern mal etwas Exotisches ausprobieren - gebackene Bananen mit Honig und Vanilleeis, flambiert mit Orangenlikör.

Bei der Suche nach dem richtigen Kompromiß weist Herbert darauf hin, daß sich das Eis zu schnell in der Bratensoße auflösen würde. Regine solle auf das Eis verzichten. Regine wagt nicht, den Sauerbraten grundsätzlich in Frage zu stellen, bittet aber darum, Bananen und Honig einbringen zu dürfen und das Ganze zu flambieren. Herbert solle außerdem auf die Klöße verzichten, die nicht mit den Bananen harmonieren würden. Das ist ihm recht. Hauptsache, er bekommt seinen Braten.

Also gibt es Sauerbraten mit Blaukraut und Bananen-Honig-Sauce, flambiert mit Orangenlikör.

Guten Appetit.


eingetragen von Wolfgang Wrase am 10.03.2004 um 16.25

Hier ein kürzerer Vergleich zur universellen Nützlichkeit des Kompromisses.

Vor Gericht behauptet Frau A, Herr B habe sie geschlagen und vergewaltigt. Es liegen Atteste vor, die diese Beschuldigungen bestätigen.

Herr B behauptet, er sei unschuldig. Frau A sei rachsüchtig und müsse wegen Rufschädigung belangt werden, sie habe Schadensersatz zu leisten. Frau A lehnt dies als vollkommen unbegründet ab.

Das Gericht sieht die demokratische Kompromißfindung als Leitprinzip an und entscheidet deshalb routinemäßig, daß die Atteste nicht verwertet werden. Von den Vorwürfen von Frau A wird im Sinne des Kompromisses einer fallengelassen und einer anerkannt. Mit einem Münzwurf wird entschieden, daß Herr B Frau A geschlagen, aber nicht vergewaltigt habe.

Die Aussagen von Herrn B werden ebenso behandelt: Zurückgewiesen wird die Meinung, Frau A sei rachsüchtig; anerkannt wird zum Ausgleich die Position, daß Frau A wegen Rufschädigung belangt werden müsse.

In der Frage des Schadensersatzes wird die Hälfte des von Herrn B geforderten Betrages als berechtigt angesetzt. Frau A wird beschieden, daß ihre Position, sie habe nichts zu zahlen, ebenfalls zur Hälfte berechtigt ist. Somit können sich beide Seiten gerecht und ebenbürtig behandelt fühlen.

Im Namen des Volkes!


eingetragen von Matthias Draeger am 10.03.2004 um 12.02

Ja, auch ich bin wie die Kultusminister auf jeden Fall fuer einen Kompromiss. Allerdings nur unter der einzigen einschraenkenden Bedingung, dass sich nachweisen laesst, dass die, die Rechtschreibung lernen, mit Fluszet Probleme gehabt haben, die durch die Regelung Fluss jetzt beseitigt waeren, d.h. dass die Fehlerhaeufigkeit in diesem Bereich deutlich zurueckgegangen waere.
Ist sie das? Zur Beantwortung dieser Frage gibt es in Deutschland einen Experten (und nicht nur diesen), Herrn Prof. Marx, der entsprechende Untersuchungen an Grundschuelern mit Schwerpunkt Fehlerhaeufigkeit bei der ss-szet-Regelung vornahm. Von Prof. Marx will die Mannheimer Kommission aber nichts mehr wissen.
Komisch.

Vielleicht fragen die Amtschefs mal Herrn Prof. Marx, was da vorgefallen war.



ps. Bin derzeit auf der Krim, daher nur ss, ae, etc.
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Matthias Draeger


eingetragen von gestur am 10.03.2004 um 11.34

Die Umstellung der Niedervolt-Netzspannung von 220 auf 230 Volt (ich habe nie eine Begründung dafür gelesen) bewirkte, daß viele Glühbirnen, die für 220 Volt gefertigt waren, entweder gleich oder nach verkürzter Lebensdauer durchgebrannt sind. Wieviele sonstige Elektrogeräte dadurch eine Lebensdauerverkürzung erlitten, ist nie erfaßt worden, weil es wohl nicht so einfach möglich ist. Die Geräte- und Leuchtmittelhersteller haben davon profitiert. Es ist denkbar, daß sie nochmal eine Netzspannungserhöhung durchsetzen werden. Eine Erniedrigung der Netzspannung z.B. auf 200 Volt würde dagegen die Lebensdauer von Geräten und Leuchtmitteln sehr verlängern, zum Schaden der Hersteller.


eingetragen von Wolfgang Wrase am 10.03.2004 um 09.42

Ein Land hat seit rund hundert Jahren die Netzspannung 220 Volt. (Zuvor hatte es eine regionale Aufspaltung in Versorgungsgebiete mit verschiedenen Netzspannungen und dauernde Anpassungsprobleme gegeben.) Nun kommen Reformer und wollen die Netzspannung reformieren, weil sie schon so lange gültig sei. Hinweise darauf, daß dadurch Investitionen in neue Leitungen, neue Geräte, neue Beleuchtungsanlagen notwendig werden, dringen bei den Reformern nicht durch. Denn sie sind überzeugt: Reformen sind immer gut, und hier ist jedenfalls mal eine fällig. Ohne Reformen keine Zukunft. Sie sagen, daß Investitionen dem Land immer genutzt haben, und pauschal gesehen könne man deswegen von Kostenneutralität ausgehen. Sie führen die Netzspannung 80 Volt ein. Das Ganze wird als Programm zur Innovation des Landes verkauft.

Daraufhin werden eine Menge neuer Geräte im ganzen Land angeschafft, neue Leitungen werden installiert, selbst die technischen Angaben in allen möglichen Bedienungsanleitungen und auf Verpackungen müssen geändert werden. Die meisten Haushalte greifen zu der einfachen Lösung, einen Transformator vor die eigene Stromversorgung zu schalten, und kommen damit relativ glimpflich davon. (Freilich gibt es immer wieder Berichte von Kaffeemaschinen und Staubsaugern, die nach einem Kurzschluß durchgeschmort sind.) Alle Gebäude von Behörden und Schulen werden - zwecks schnellerer Umsetzung der Reform und im Sinne der angestrebten Einheitlichkeit - mit neuen Geräten ausgestattet, die mit 80 Volt arbeiten. In den Kaufhäusern stehen alte Geräte neben neuen Geräten. Die Verkaufsflächen werden überall erweitert. Die Käufer sind verunsichert.

Politiker und Presse sprechen von mehrheitlicher Akzeptanz. Es gebe dort, wo 80 Volt eingeführt worden ist, keinerlei Probleme. Die Reform stoße überall zwar nicht auf Begeisterung, aber auf Verständnis. Die Stromversorgung sei nach wie vor gesichert. Außerdem gebe es wichtigere Probleme. Man solle sich nicht so aufregen, sondern für Neuerungen aufgeschlossen sein. Man werde das Ziel 80 Volt niemals aufgeben.

Nach sieben Jahren lassen sich die Proteste und Probleme, die stets geäußert worden sind, von den Reformern nicht mehr abstreiten. In ihrem vierten Rechenschaftsbericht schlagen sie vor, noch mehr Transformatoren einzuführen. Es sei auch möglich, innerhalb desselben Gebäudes sowohl Geräte mit 220 Volt als auch mit 80 Volt zu betreiben. Das sei alles unproblematisch, kein Gerät müsse entsorgt werden. Man müsse sich nur an die neuen Wahlmöglichkeiten gewöhnen. In einer freien Wirtschaft gebe es immer Freiheit und damit Varianten. Natürlich müsse man das Ziel der Einheitlichkeit wahren, und das laute nun einmal 80 Volt.

Die nationale Akademie für Energie- und Wasserversorgung schließt sich nach jahrelangem Protest überraschend dem Vorschlag eines einzelnen Wissenschaftlers an, der ursprünglich der "Arbeitsgruppe 80 Volt" angehörte, aber nach einigen Jahren die Reform als Irrweg erkannt hat. Er äußert mittlerweile, die Rückkehr zu 220 Volt sei zwar die beste Lösung, diese sei aber angesichts der politischen Situation nicht durchsetzbar. Deshalb sei als Kompromiß die zweitbeste Lösung zu wählen, die ungefähr bei 170 Volt liegen dürfte.

Das Energieministerium sieht konstruktive Möglichkeiten auf der Basis dieses Kompromißvorschlags und ordnet Gespräche zwischen der "Kommission für 80 Volt" und jener Akademie an, die seit kurzem nicht mehr für 220 Volt, sondern für ungefähr 170 Volt plädiert.

Die Mehrheit der Fachleute und die Mehrheit der Bevölkerung sind zwar jeweils für eine Rückkehr zu der Einheitsspannung 220 Volt. Die meisten Geräte sind nach wie vor auf 220 Volt ausgelegt; viele 80-Volt-Geräte lassen sich zudem ohne Probleme mit Hilfe eines Schalters auf 220 Volt umprogrammieren. Dennoch wird die beste Lösung - 220 Volt - vom Ministerien als hoffnungslos veraltet hingestellt. Es verweist darauf - mit Unterstützung der Massenmedien -, daß in einem Jahr laut einem Erlaß von vor acht Jahren nur noch 80 Volt gelten soll. Es würde Planungsunsicherheit bedeuten, wenn dieser acht Jahre alte Erlaß plötzlich nicht mehr gelten würde.

Die "Kommission 80 Volt" einigt sich nach zähen, engagierten Verhandlungen mit der Akademie auf einen neuen Kompromiß. Für 170 Volt, den Vorschlag der Akademie, würde zwar vieles sprechen, heißt es; aber im Sinne eines Kompromisses habe man sich darauf geeinigt, fair aufeinander zuzugehen. Die Spannung der Zukunft ist nunmehr: 120 Volt.

Das Ministerium freut sich über die vorbildliche demokratische Zusammenarbeit der Experten und den gelungenen Kompromiß. Damit sei nun das Thema endgültig einer befriedigenden Lösung zugeführt, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Man müsse sich daran gewöhnen, daß der technische Fortschritt unaufhaltsam sei und Veränderungen mit sich bringe. Nur wer sich ihm anpaßt, sei gerüstet für die Zukunft.


eingetragen von Wolfgang Wrase am 09.03.2004 um 16.45

Ist es ein Problem, wenn man gar keinen Kompromiß braucht, sondern die Lösung einfach ist? In der Politik schon, ist doch Demokratie das oberste aller Gebote. Demokratie ist Interessenausgleich, und Interessenausgleich heißt, daß jede Seite etwas bekommt, aber auch etwas abgeben muß.

Deshalb sehe ich eine Schwierigkeit für die Kultusminister darin, daß sie in unserer restlos demokratie- und kompromißgläubigen Kultur Probleme damit haben könnten, eine Lösung zu präsentieren, die zwar eindeutig die beste ist, aber nicht nach einem Kompromiß aussieht. Und ich meine - das war die Idee für diesen neuen Leitfaden -, daß es nützlich und für unseren Erfolg wichtig sein könnte, das Bewußtsein dafür zu schärfen, daß ein Kompromiß, ein Mittelweg zwischen Lösung A und Lösung B, manchmal eben NICHT funktioniert. Gar nicht funktionieren kann. Oder nur Murks bringt.

Es folgen einige Beispiele und Vergleiche. Wer mag, kann weitere beisteuern!


eingetragen von Wolfgang Wrase am 09.03.2004 um 14.42

So weit, so kompliziert. Wenn die Reform nicht so sagenhaft fehlkonstruiert wäre, wären natürlich auch nicht so viele Kompromisse und so viele Vorschläge für Kompromisse zwischen den Kompromissen nötig. Umgekehrt zeigt die vierte Dimension des Kompromisses, auf die wir bereits zusteuern, daß dabei nichts Gescheites herauskommen kann.

Etwas einfacher stellt sich die Sache dar, wenn der Vorschlag formuliert wird: Wieso nehmen wir nicht einfach das aus der alten Regelung und das aus der neuen, was jeweils besser ist? Dann haben wir den idealen Kompromiß. Es ist auch tatsächlich viel besser, wenn man sich daran orientiert, was jeweils am besten ist, weil sich das nämlich größtenteils früher oder später sowieso wieder etablieren würde. (Und das tut Peter Eisenberg nicht, denn sein Kompromißvorschlag duckt sich vor Erwägungen der Machtverhältnisse und präsentiert sich als "zweitbeste" Lösung, schon vor irgendwelchen Verhandlungen!)

Also, wie wär's mit einem solchen Kompromiß? Das Problem ist - wenn es denn eines ist -, daß das fast vollständig eine Wiedereinführung der Einheitsschreibung des 20. Jahrhunderts wäre. Also gar kein Kompromiß! Auch kein Kompromiß zweiter oder dritter Ordnung, sondern "nur" einfach die bessere Schreibung - mit höchstens minimalen Anleihen bei der Neuregelung. Aber alles, was besser ist, hätte sich in dem System ohne die autoritäre Reform sowieso irgendwann durchgesetzt, so daß es ganz egal ist, ob etwas davon in der Neuregelung angestrebt wurde oder nicht. Die bisherige Regelung sah und sieht dasjenige vor, was sich aufgrund seiner natürlichen Überlegenheit sowieso durchsetzt und somit automatisch zur Schreibweise der Mehrheit wird, zum Standard wird. Somit ist der bestmögliche Kompromiß - der Kompromiß aus dem jeweils Besten des neuen Systems und des "alten" Systems - das "alte" System selbst. Einfach nur das Beste. Jedenfalls im Prinzip.

Fortsetzung folgt


eingetragen von Wolfgang Wrase am 09.03.2004 um 14.23

Die Reformer wollten selbst ursprünglich ganz andere Schreibweisen einführen als diejenigen, welche die Neuregelung von 1996 tatsächlich vorsieht. Teils war die Durchsetzung nicht möglich (Kleinschreibung von Substantiven, keine Dehnungszeichen wie etwa jar, bot statt Jahr, Boot usw.), teils mußten die Reformer sich untereinander einigen und dabei jeweils ihre eigenen Ideen aufgeben. Die Schweizer Reformer Gallmann und Sitta haben die Reform wie folgt kommentiert: "Auch hier verderben viele Köche den Brei." Die Reform war also schon von den Reformern aus gesehen ein fauler Kompromiß: ein Kompromiß I oder Kompromiß erster Ordnung.

Nach dem Erscheinen der ersten reformierten Wörterbücher 1996 stellte sich bald heraus, daß die Reform eine Menge Widersprüche enthielt und viele unbrauchbare Schreibweisen nach sich zog, die früher oder später revidiert werden mußten. Das gaben die Reformer auch sogleich in ihrem ersten Bericht zu, die Rede war von "unumgänglich notwendigen Korrekturen" (die jedoch von den Kultusministern zunächst, das heißt bis vor kurzem, untersagt wurden). Das bedeutet: Es würde einen Kompromiß zwischen originaler Neuregelung und den Erfordernissen einer vernünftigen Rechtschreibung geben müssen.

So weit sind wir nun auch offiziell: Der vierte Bericht der Reformkommission von Ende 2003 sieht die Neuformulierung von Reformregeln vor, viele hundert häufige Schreibweisen sind betroffen. Also eine Reform der Reform, ein Kompromiß zwischen Abschaffung der Kompromiß-Reform und Beibehaltung der Kompromiß-Reform. Teilweise wurde dieser Kompromiß auch schon durch heimliche Änderungen in den neueren Auflagen der reformierten Wörterbücher umgesetzt. Somit haben wir als Status quo: Kompromiß II oder Kompromiß zweiter Ordnung.

Aber nicht genug: Die Kultusminister haben zur weiteren Klärung Gespräche zwischen der Reformerkommission und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vorgesehen. Dabei soll der Vorschlag von Peter Eisenberg berücksichtigt werden, der sich "Kompromiß" nennt und weit über die Vorschläge des vierten Berichts hinausgeht. Ein Kompromiß zwischen dem, was die Reformer mittlerweile zu reparieren bereit sind, und einer wirklich sinnvollen Rechtschreibung, die Peter Eisenberg "angesichts der Machtverhältnisse" nicht durchzusetzen können glaubt und deshalb von vornherein nur die "zweitbeste Lösung" vorschlagen will. (Ungelogen!) Dieser Kompromißvorschlag von Peter Eisenberg zwischen der besten möglichen Regelung und der Reform (fast alles soll rückgängig gemacht werden außer der Neuregelung der ss/ß-Schreibung, aber diese soll auch ein bißchen modifiziert werden) ist also an sich schon ein Kompromiß III oder Kompromiß dritter Ordnung.

Wenn sich nun die Kommission mit diesem Kompromißvorschlag auseinandersetzen soll, um zwischen ihrer eigenen Revisionsbereitschaft und den Reparaturvorschlägen von Peter Eisenberg eine Schnittmenge zu finden, wird folglich ein Kompromiß IV herauskommen, ein Kompromiß vierter Ordnung. Das ist es, was die Kultusminister im Moment von diesen "konstruktiven Gesprächen" als Lösung der Rechtschreibkrise erhoffen.

Fortsetzung im nächsten Beitrag
– geändert durch Wolfgang Wrase am 10.03.2004, 09.46 –


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