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eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.08.2022 um 05.11

... bei der Deutschen Welle auch rückwirkend in die Vergangenheit:

Romam salvete: Seid willkommen im Imperium Romanum. Es erstreckt sich von Britannien bis zum Schwarzen Meer und von Spanien bis Ägypten... Selbst bis in die tiefste Provinz profitieren die Bewohnerinnen und Bewohner des Reichs von ausgebauten Straßen und florierendem Handel ...

Zwischen 429 und 439 eroberten die Vandalen [und Vandalinnen?] dann die wichtigste Provinz des Imperium Romanum: Nordafrika, die Kornkammer Roms. Die Einnahmen aus dieser reichen Provinz fielen weg, die Kaiser mussten ihre hohen Ausgaben anderweitig decken.

Also erhöhte Rom immer wieder die Steuern. Das brachte viele Bürgerinnen und Bürger in Existenznöte. Gleichzeitig lebte die dekadente Oberschicht im Überfluss ...

dw.com 31.07.2022
Aber es gibt Schlimmeres – den Pusch-Pfusch.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.01.2018 um 21.40

Ist die Rechtschreibung am Ende?
Grundschüler fallen bei der Rechtschreibung immer weiter zurück. Auch Erwachsene hätten Probleme, sagt der frühere Deutschlehrer Friedrich Denk. Schuld daran sei die Rechtschreibreform. Der Sprachwissenschaftler Peter Schlobinski hält dagegen: Probleme sieht er an anderer Stelle.

Moderation: Monika Dittrich

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20 Jahre Rechtschreibreform Die Kritik reißt nicht ab

Friedrich Denk ist Studiendirektor im Ruhestand. Er hat früher als Deutsch-Lehrer an einem Gymnasium in Bayern unterrichtet und gehörte zu den schärfsten Kritikern der Rechtschreibreform, was ihm den Zusatznamen "Rechtschreibrebell" eingebracht hat.

"Eine Rechtschreibung ist eine einheitliche, von allen anerkannte Orthografie. Eine solche klassische Rechtschreibung hatten wir bis 1996. Sie war auf hohem Niveau, leserfreundlich und für die Schreibenden kein großes Problem. Diese klassische Rechtschreibung findet sich nach wie vor in den meisten Büchern, in vielen Schullektüren, Bert Brecht, Max Frisch, Dürrenmatt und so weiter. Und sie wird von vielen Schreibenden und von bedeutenden Autoren wie Peter Handke, Thomas Hürlimann, Navid Kermani als die bessere Schreibung bevorzugt. Seit 1996 aber haben wir eine nie dagewesene Verwirrung. Von Michael Endes Momo gibt es beispielsweise inzwischen fünf rechtschreibreformierte Ausgaben. Immer dort, wo die Rechtschreibreform vereinfachen wollte, hat sie Verwirrung verursacht. Wie kann diese Verwirrung beendet oder wenigstens verringert werden. Das ist, scheint mir, die wichtigste Frage."

Peter Schlobinski ist Professor für Germanistik an der Universität Hannover und Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsche Sprache. Zu seinen Forschungsgebieten gehört die Sprache im Netz.

"Nein, die Rechtschreibung ist ebenso wenig am Ende wie leider das ewige Lamento von rotstiftliebenden Oberlehrern und regelungswütigen Besserwissern. Die Diskussion um die Rechtschreibung war und ist extrem emotional und ideologisch aufgeladen und sie ist oft frei von Sach- und Fachargumenten. Es gibt meiner Meinung nach eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Der Großteil der Deutschen kann mit seinen Rechtschreibfähigkeiten in unserer hochliteraten Gesellschaft bestehen und alle Schreibaufgaben meistern. Die meisten können mit den orthografischen Ressourcen unseres Schriftsystems gut umgehen und diese nutzen. Und sie tun das funktional kreativ, wie Studien zum Schreibgebrauch in digitalen Medien zeigen. Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht: Bei einem kleinen Teil der Bevölkerung gibt es echte Probleme im Schreib- und Lesebereich. Allerdings: Die Diskussion um die Rechtschreibung wie sie häufig öffentlich geführt wird, ist absolut kontraproduktiv, um die bestehenden Probleme anzugehen. Kurzum: Ich bin der Meinung, man muss sich um die Rechtschreibung nicht sorgen, aber man muss bestehende Probleme in unserer Gesellschaft im Hinblick auf Schreib- und Lesefähigkeiten offen und sachlich diskutieren. Nur dann wird man sie auch lösen können."

deutschlandfunk.de 20.1.2018

Mein Kommentar: Schlobinski geht in dieser Zusammenfassung auf die Aussage Denks überhaupt nicht ein. In meiner Kindheit konnte ich bis zu 50 Jahre alte, einheitlich geschriebene Bücher lesen, oft eins pro Tag, und so unmerklich meine Schreibfertigkeiten bis zur Fehlerlosigkeit üben.

Heute können die Schüler nicht einmal in zwölf Jahre alten „amtlichen“ Schulbüchern lesen, ohne von „ungültigen“ Schreibweisen verwirrt zu werden. Dazu kommt im richtigen Leben die überwältigende Masse von Literatur in klassischer Rechtschreibung – wenn man etwas von Bildung hält.

Die Medienmafia ist devot den nichtsnutzigen Kulturpolitikern beigesprungen und missioniert die Bevölkerung – auf der sonst unzugänglichen privatrechtlichen Ebene. Daher haben viele Altschreiber ihren Widerstand aufgegeben und lassen sich durch politisch korrekte Schreibprogramme umerziehen. Die Rechtschreib„reform“ ist die heimtückischste Kulturschurkerei seit 1945.
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eingetragen von Sigmar Salzburg am 10.08.2016 um 14.42

Die Kritik reißt nicht ab

Bereits zehn Jahre nach der Rechtschreibreform von 1996 legte der Rat für deutsche Rechtschreibung 2006 eine Reihe von Änderungsempfehlungen vor. Auch heute, 20 Jahre nach der Einführung, ist die Kritik an der Reform nicht verstummt. Experten beobachten eine zunehmende Rechtsschreibschwäche bei Schülern und halten die Reform für einen Flop.

Von Ludger Fittkau

1996 – die umstrittene Reform: Deutschland, Österreich, die Schweiz sowie weitere Länder mit deutschsprachigen Bevölkerungsteilen reformieren gemeinsam die deutsche Rechtschreibung. Eine neue Orthografie soll in einem Zeitraum von zwei Jahren eingeführt werden.

Betroffen sind etwa Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung sowie das Getrennt- und Zusammenschreiben. Auch das "scharfe S" wird oft durch ein Doppel-S ersetzt, etwa beim Wort "dass". Auf der Frankfurter Buchmesse fordern namhafte Wissenschaftler und Schriftsteller den Stopp der Reform. Sie befürchten unter anderem eine "jahrzehntelange Verwirrung".

Die Reform der Reform

1998 – das höchste Gericht zeigt sich reformfreudig: Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Reform für verfassungsgemäß. Die neue Rechtschreibung wird somit offiziell an Schulen und Behörden eingeführt.

2006 – nach der Reform ist vor der Reform: Der Rat für deutsche Rechtschreibung legt eine Reihe von Änderungsempfehlungen für die neuen Reglungen vor. Es geht wieder einmal um das Getrennt- und Zusammenschreiben, um Groß- und Kleinschreibung, aber auch um die Zeichensetzung sowie Worttrennung am Zeilenende.

Erwartungen an Rechtschreibreform haben sich nicht erfüllt

20 Jahre später – Die Kritik ist nicht verstummt: Zwanzig Jahre nach Einführung der Rechtschreibreform beobachten Experten eine zunehmende Rechtschreibschwäche bei Schülern. Der Saarbrücker Bildungsforscher Uwe Grund hält bei vielen Fehlern die Rechtschreibreform für ursächlich.

Ihm zufolge entfallen 75 Prozent der gemachten Fehler "auf die drei wichtigsten Reformbereiche, nämlich Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung und das "Herzstück der Reform" – dem Ersatz des scharfen ß durch das Doppel-S. Die Erwartungen hätten sich "offensichtlich nicht erfüllt", so Grund. Der Forscher bewertet die Rechtschreibreform als "Flop".

deutschlandfunk.de 10.8.2016

Nach dem allgemeinen Pressesturm mußte nun wohl der Staatssender auch was melden.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 02.07.2016 um 06.36

Wenn Sprache auf Beamte trifft

Vor 20 Jahren, am 1. Juli 1996, verpflichteten sich die deutschsprachigen Länder zur Neuregelung der Rechtschreibung. Die Devise hieß: 'Einfacher schreiben', doch stattdessen wurde vieles komplizierter. Nach heftigem Streit folgte 2006 die Teilrücknahme der Reform - was für noch mehr Verwirrung sorgen sollte.

Von Christian Forberg

Seitdem wir reden und das Gesprochene aufschreiben, drucken und lesen, seitdem hat sich bei einem kleinen Teil der Gesellschaft ein Unbehagen entwickelt - und zwar bei Menschen, die professionell mit Sprache zu tun haben. Sie betrachten das Geschriebene wie ein Chirurg, und ab und zu lautet die Diagnose: Hier stimmt was nicht, hier sollte operiert werden. Zum Beispiel am "Boot" mit seinen zwei o, wo es zur "Not" doch auch mit einem Vokal ginge. Das hat Philipp von Zesen, einer der ersten deutschen Berufsschriftsteller, bereits im Barock zu ändern versucht, und zwei Jahrhunderte später auch Jacob Grimm, sagt Horst Haider Munske, emeritierter Professor der Sprachwissenschaft an der Uni Erlangen.

"In seinem kritischen Wörterbuch hat er gesagt: Da mache ich eine moderne Schreibung, nämlich gerade bei den Vokalen. Aber sein Verleger hat das abgelehnt. Er hat gesagt: Dann kannst du das nicht mehr verkaufen, wenn du hier eine eigene Schreibung machst. In einem hat er sich dann leider doch durchgesetzt - er war ja ein Vertreter einer radikalen Kleinschreibung. Er hat es tatsächlich erreicht, dass sein Verleger das akzeptiert hat. Und darunter leiden wir noch heute."

Rechtschreibreform im 19. Jahrhundert

"Wir" meint jene Wissenschaftler, die an Grimms Werk weiterarbeiten, und "leiden" tun alle, die eine sinnvolle Groß-Klein-Schreibung gewohnt sind. Eine radikale oder nur gemäßigte Kleinschreibung wurde immer wieder abgelehnt - so auch im Kompromiss der Rechtschreibreform zwischen 1876 und 1901, festgehalten im Wörterbuch des Konrad Duden.

"Das Ergebnis 1901 war die Vereinheitlichung. Das war ein großer Gewinn, zweifellos. Duden selbst war durchaus reformorientiert, war ein Pragmatiker und hat gesehen: Das ist nicht durchsetzbar. Diese Lager hat es schon damals gegeben: Journalisten, Autoren, Literaturwissenschaftler waren schon immer gegen Reformen; Sprachwissenschaftler, Didaktiker, manchmal auch Schulmänner waren dafür."

Bald aber wurde "Der Duden" selbst Gegenstand von Reformbemühungen. Warum? Neben dem allgemeingültigen, noch recht schmalen Duden wurde ein spezieller Duden für das Druckgewerbe herausgebracht, der Normen in ganz anderer Art und Zahl setzte. Nach Konrad Dudens Tod 1915 wurden beide Werke zusammengeführt - mit üblen Folgen, sagt Horst Haider Munske:

"Der Drucker-Duden wurde zur allgemeinen Richtlinie. Damit war ein Weg einer sehr, sehr engen Reglementierung der Rechtschreibung beschritten, den wir heute bedauern; der auch dazu geführt hat, dass die Kritik an den Duden-Regeln immer stärker anwuchs."

Widerstand gegen Überegulierung

Und es bereits in den 20er- und 30er-Jahren zur Gegenwehr gegen diese Überregulierung kam. Sie richtete sich zum Beispiel gegen das ß als relativ spät hinzugekommener Teil der s-Schreibung. Der Schweizer Peter Gallmann, Sprachwissenschaftler und Professor an der Uni Jena, erinnert sich an Stationsschilder in Berliner U-Bahnhöfen wie "Klosterstrasse".

"Wenn die Schilder noch aus den 20er Jahren stammen, finden Sie häufig in Antiqua geschriebene Schilder mit Doppel-s. Es war also mal ein Trend im ganzen deutschen Sprachraum, und der Unterschied war nur: In der Schweiz hat sich der Trend Richtung mit Doppel-s durchgesetzt. In Deutschland hat man in den 30er-Jahren die Antiquaregel wieder an diejenigen der Fraktur angepasst nach dem Motto: Es sollte nicht je nach Schrift unterschiedliche Rechtschreibregeln geben."

Dann kippte Hitler die Frakturschrift, das ß jedoch blieb.

In der Bundesrepublik der 50er-Jahre scheiterten zwei Reformvorstöße. Es dauerte drei Jahrzehnte für einen erneuten Anlauf. Den Ball ins Rollen habe das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim, kurz: IDS, gebracht, sagt Horst Haider Munske. Gerhard Stickel, Direktor des IDS von 1976 bis 2002, argumentierte gegenüber der Kultusministerkonferenz, der KMK:

"Das Schreiben wird leichter, wird einfacher, sowohl für die Schüler als auch für die Lehrer, und wir machen das - wir von unserem Institut, und es gibt ja noch eine Reformgruppe in der DDR, in Österreich, in der Schweiz; wir arbeiten alle zusammen und machen ihnen einen Vorschlag."

Reform "von oben" erzürnt die Öffentlichkeit

1988 übergab er ihn. In die Öffentlichkeit gelangte zum Beispiel, dass der "Keiser" nun mit e-i statt mit a-i geschrieben werden sollte, was belustigte bis empörte Reaktionen hervorrief. Das eigentliche Problem war jedoch: Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, so hieß das Vorhaben offiziell, war für Schulen und Behörden gedacht. Dem großen Rest der Schreibenden und Verlegenden werde nichts weiter übrig bleiben, als sich anzuschließen, so die Hoffnung. Die folgende Auseinandersetzung war also bereits angelegt, als die Kommissionen der damals noch vier deutschsprachigen Länder ihre Arbeit aufnahmen. Die Fachseite vertraten reformfreudige Sprachwissenschaftler, die administrative Seite vertraten Kultusbeamte. Horst Haider Munske war von Anfang an dabei.

"Die ersten Vorschläge zielten einmal auf die Kleinschreibung und zum anderen auf die Vokallänge und -kürze. Wie das bekannt wurde, gab es einen Aufstand in der Öffentlichkeit."

"Der Erfolg einer Reform liegt auch darin, dass sie möglichst viel ändert"

Die KMK-Rechtschreibkommission reagierte erst, als das Rumoren unüberhörbar wurde, und berief 1993 eine Anhörung ein, auf der Akademien und Verbände ihre Bedenken vortrugen. Sie waren so massiv, dass Kleinschreibungen und Vokallängen von der Neuregelung ausgenommen wurden - wie einst im Kaiserreich. Kann man dann überhaupt noch von Rechtschreibreform reden?

"Der Erfolg einer Reform liegt auch darin, dass sie möglichst viel ändert, denn sonst ist die Wirksamkeit 'Einfacher schreiben' verloren. Je mehr nun davon zurückgenommen wird, umso wirkungsloser ist sie. Und das ist der Zustand, der eigentlich jetzt erreicht ist."

Horst Haider Munske kündigte 1997 seine Mitarbeit auf. Nicht weil die Reform als solche geplatzt war, sondern weil auf Gebieten wie der Getrennt- und Zusammenschreibung weiter "reformiert" wurde, wo es nach seinem Dafürhalten nicht nötig gewesen wäre. Seine Gründe hat er in dem Büchlein "Lob der Rechtschreibung" zusammengefasst.

"Groß- und Kleinschreibung insgesamt und Getrennt- und Zusammenschreibung - das sind Gebiete, wo die Sprache sehr in Bewegung ist, also wo sich relativ schnell etwas verändert. Es entstehen neue Substantive oder Substantive werden zu Adjektiven und so weiter. Die Qualität unserer Rechtschreibung, unserer flexiblen Regeln, liegt eben darin, dass sie dem Sprachwandel folgen kann und gleichzeitig die Abbildung der Sprache verbessert."

Hinzu kam sein Groll auf die Arbeit der KMK, deren mangelnde Transparenz: Man bekomme zwar Entscheidungen präsentiert, aber deren Werden bleibe im Dunkeln.

"Also - im Hintergrund sehen wir immer die Regie von KMK-Kommissionen, aber nie übernehmen die die Verantwortung dafür. Nie kann mit denen einer diskutieren. Das ist ja das Traurige - bei der Bologna-Reform war ja genau das Gleiche -, dass uns hier Dinge aufoktroyiert werden, durch die Politik, ohne dass es in der Politik eine politische Auseinandersetzung gegeben hat zwischen den Parteien, wie das eigentlich im parlamentarischen System vorgesehen ist."

[Symbolbild] Dass die Rechtschreibreform für Verwirrung gesorgt hat, lässt sich kaum von der Hand weisen. (Imago/blickwinkel (53404580))

Von der Reform überrumpelt

Auch Nadine Schimmel bezeichnet den gesamten Reformprozess als politisch geprägt. Sie hat gerade ihre Dissertation zum Prozess der Rechtschreibreform an der Uni Jena eingereicht, eine "Analyse typischer Diskurse zu Rechtschreibreform", wie es im Titel heißt. Die Einführung der Reform im Sommer 1996 ähnelte mehr einer Überrumpelung. Die vorher in Wien abgestimmten Übergangsfristen wurden unterlaufen, was nicht nötig gewesen sei.

"Absolut nicht, hätte man nicht machen müssen, weil: Abstimmungsprozesse waren zwar abgeschlossen erst mal für die Initiierung des Vorhabens, aber noch nicht für die Weiterentwicklung. Man hat Übergangszeiträume ausgemacht, erst mal bis 2005. Bis dahin sollten auch keine gravierenden Veränderungen vorgenommen werden, auch nicht durch die Verlage und Wörterbücher."

Hinzu kam, dass auch die Schulen nicht genügend vorbereitet waren.

"Das war auch zu frühzeitig, zum einen deswegen, weil die Lehrer noch gar nicht didaktisch geschult waren; es gab noch keine Lehrmaterialien, keine Vorbereitungsmaterialien, die Lehrer wurden noch gar nicht umgeschult, das heißt, sie mussten erst mal auf fachlicher Ebene soweit sein, bevor sie erst mal das Material bearbeiten können. Auch das war einfach voreilig."

Klagen wurden vorbereitet, auch von Eltern, die die Zukunft ihrer Kinder in Gefahr sahen. Die Debatte wurde gereizt, ja hysterisch: Kinder würden nie mehr richtig schreiben lernen.

Manche Erwartungen seien völlig überzogen, sagt Peter Gallmann, der auch Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung ist: Wer mit neun Jahren noch nicht fehlerfrei schreiben kann, ist fürs Leben gezeichnet - falsch. Und auch mit der Ansicht, dass nur ein korrektes Schriftbild zu richtigem Schreiben führe, kann er wenig anfangen.

"Wenn man sich so leicht von Schriftbildern beeinflussen ließe ... Vor allem wird immer behauptet, wenn die Kinder mal ein falsches Wort gesehen haben, prägt sich das in die Seelen ein und sie werden das Wort nie mehr richtig schreiben. Wenn das so wäre, dann müssten sich ja auch die richtigen Schriftbilder einprägen und würden nie mehr verloren gehen. Nein, das ist nicht so."

In der Praxis erstaunlich wenig Probleme

Es wurde einige Jahre lang komplizierter, aber nicht katastrophal. Für die sogenannte DESI-Studie ("Deutsch Englisch Schülerleistungen International") wurden in den Jahren 2003/2004 annähernd 11.000 Neuntklässler in Deutsch und Englisch geprüft. Eines der Resultate: Mädchen schneiden besser ab als Jungen, wobei die Geschlechter in Wortschatz und Lesekompetenz dichter beieinander liegen, als in der Textproduktion und Rechtschreibung; da hinken die Jungen hinterher. Das ist jedoch nicht neu. Aktuelle belastbare Zahlen liegen nicht vor.

Wie die Schüler abschneiden, hängt auch vom Fach- und Hintergrundwissen der Lehrer ab. Dabei reicht es nicht aus, den Duden auswendig zu kennen. Wichtiger sei, "dass wenn die Schüler Fehler machen, die Lehrer Diagnosen stellen können, worin genau der Fehler besteht, welches die Hintergründe sind, denn nur dann kann man richtige Therapien machen. Wenn man falsch diagnostiziert, langweilt man die Schüler mit überflüssigen Übungen und sie schreiben genauso gut oder schlecht wie vorher."

Auch in Zeitungsredaktionen mit Hausorthografien, die es allerdings bereits vor der Reform gab, fassten die Änderungen Fuß, stellte Nadine Schimmel fest. Im Prinzip hätte die Reform von 1996 beibehalten werden können und nicht zehn Jahre später teilweise wieder zurückgenommen werden müssen.

"Die Rücknahme der Rücknahme hat ergeben, dass sich die Umstellungsprozesse ganz gut durchgesetzt hatten, dass es in der Schule ganz gut angekommen ist, selbst in den Redaktionen. Da hatte ich ein Interview mit einem Chefredakteur, der mir bestätigt hat, dass die alten Hasen immer auf der alten Rechtschreibung bestanden haben. Aber mit den neuen Redakteuren, mit neuem frischem Blut hat sich die Variantenschreibung halbwegs aufgelöst; Man hat sich entschieden und ist heute auch gut angekommen."

Nach der Rechtschreibreform 2005: Schreibweise von "kennenlernen" im Duden. (picture alliance / dpa / Foto: Franz-Peter Tschauner)

Dem Volk auf den Mund geschaut

Das ist keine Annahme, sondern durch Korpusuntersuchungen bestätigt: Fast alles, was Zeitungs- und Buchverlage drucken, wird stichprobenartig auf Schreibweisen von Worten hin untersucht. In Deutschland existieren drei derartige Sammlungen: die der beiden Wörterbücher Duden und Wahrig sowie jene am Institut für Deutsche Sprache Mannheim. Allein hier stehen 25 Milliarden Wörter zur Auswertung bereit. Mit ihnen arbeitet der Rat für deutsche Rechtschreibung, seit 2004 das wichtigste Gremium für Sprachpflege. Er hat zwar seinen Platz am IDS, ist aber eine Kommission der Kultusministerkonferenz. Zweimal im Jahr treffen sich die 40 Mitglieder aus den drei deutschsprachigen Ländern; je ein Delegierter vertritt die Deutschsprechenden aus Südtirol, Liechtenstein, Luxemburg und Belgien. Sie beraten jene Fälle, die noch nicht zufriedenstellend geregelt sind, sagt Professor Ludwig Eichinger, Direktor des IDS:

"Vor allem in der ersten Zeit hat man versucht, die Stellen, wo entweder der Rat was Neues eingeführt hat - Getrennt-, Zusammenschreibung - oder eine neue Art von Variationen gebildet hat, die Stellen mal systematisch zu überprüfen an häufigen Wörtern, was die Schreiber da machen. Das war jetzt die Hauptaufgabe."

"Auf der jüngsten Sitzung in Liechtenstein vor einer Woche wurde unter anderem der Gebrauch von Fremdwörtern geprüft."

"Niemand will Praliné mit zwei e am Ende schreiben, oder niemand will Buffet mit ü schreiben. Das ist früher auch immer im Vorbeigehen geschehen, dass solche Dinge verändert wurden. Dann sind wir auch etwas Grundsätzliches angegangen: Zum Beispiel fehlt unseren Passämtern der Großbuchstabe ß, weil das bei Eigennamen häufiger eine Rolle spielt. Im Regelwerk steht: Den gibt es nicht. Und wir würden vorschlagen, zu beschließen, es gäbe ihn für diesen Zweck. Man müsse ihn nicht benutzen, aber man könne ihn benutzen, wenn es relevant ist."

Ob es so kommt, liegt in der Hand der Politiker. Auch in diesem Fall:

"Journalisten schreiben gern 'der Große Lauschangriff' groß, obwohl das kein Eigenname ist, und daher ist wie der 'Blaue Brief', der ein Entlassungsbrief ist und normalerweise kleingeschrieben wird, auch kleingeschrieben werden könnte - diese Abstufung etwas besser zu erfassen, war die Idee, und den Journalisten mehr Recht zu geben, so etwas großzuschreiben."

Am einprägsamsten war wohl die Debatte um den "Heiligen Vater", der nach der Reform hätte kleingeschrieben werden müssen. Er wird weiter großgeschrieben, was er letztlich dem Katholiken Hans Zehetmair zu verdanken hat. Als Kultusminister Bayerns führte er 1996 als erster die Reform ein, dann wurde er Kritiker der Reform. Als Vorsitzender des Rechtschreibrates seit Gründung übergibt er am Jahresende sein Amt an Joseph Lange.

Sprache wandelt sich: Der Begriff "Shitstorm" in einer Großansicht im Duden. (dpa / Jens Kalaene)

Renaissance des Schreibens im Netz

Arbeitslos wird der Rat wohl nie; allein die elektronischen Medien verschaffen immer neue Schreibweisen, auch wenn diese oft fern dem "Duden" sind - im privaten Gebrauch von SMS oder E-Mail ist die Orthografie wohl das Letzte, was von Bedeutung ist. In den Forschungskorpus des IDS einfließen werde aber durchaus etwas aus dem Netz, sagt Ludwig Eichinger.

"In der Wikipedia, auch in der Hintergrunddiskussion, wo es informell ein bisschen zugeht, kann man davon ausgehen, dass sich die im Wesentlichen mit Normalschreibung orientieren, aber vielleicht ein bisschen lockerer sind, und dadurch die Ränder vielleicht ein bisschen stärker ausloten bei den seriösen Texten."

Und was passiert mit jenen Fällen, bei denen Mehrfachschreibungen möglich sind - was Horst Haider Munske polemisch als "Variantensalat" bezeichnet hat? Wird Rechtschreibung je eindeutig werden, wo Sprache doch immer im Fluss ist?

"Ich denke, dass es an ein paar Stellen immer Varianz geben wird. Es gibt diese kontextabhängigen Stellen, die die Getrennt- und Zusammenschreibung sehr stark betreffen, ob man etwas für 'schwerer wiegend' hält und ob man dann 'schwerer wiegend' lieber auseinanderschreibt, oder ob es eine andere Bedeutung meint, dass man dann 'schwererwiegend' zusammenschreibt - so was wird es vermutlich immer in irgendeiner Weise geben. Und dann weiß man oft nicht - wir haben ja 'ich schwimme Brust', und jetzt weiß keiner: wie schreibt man 'Brust' - groß oder 'brust' klein, weil ich 'brustschwimme'? Also, solche Übergangsphänomene, wo man nicht ganz sicher ist: ist das nun ein Substantiv, ist das keins? - solche Dinge wird es immer wieder geben. Und dann muss man mal schauen, welche Quelle es betrifft, und dann findet sich im Lauf der Zeit unter den Schreibenden eine Einigung auf eine präferierte Lösung."

deutschlandfunk.de 30.7.2016

Schon frühe deutsche Antiqua-Drucke bemühten sich, das deutsche Fraktur-ß durch ſs wiederzugeben, z.B. in Heinrich von Kleists Werken oder Schulbüchern. Daneben war die ß-lose Lateinschrift üblich, setzte sich aber gegen die noch dominierenden Regeln des Fraktursystems im 20. Jahrhundert nicht durch. Erst die Einführung des „Missstandssystems“ der Rechtschreib„reform“ von 1996 beendete diesen Zustand gewalttätig – zum Nachteil der Lesbarkeit und Ästhetik.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.04.2016 um 10.12

Musik und Fragen zur Person
Der Linguist Peter Eisenberg


Eigentlich ist er examinierter Tonmeister, als Linguist wurde er eine Institution: Peter Eisenberg, Jahrgang 1940, ist der bedeutendste Spezialist für deutsche Grammatik, alle Schulen arbeiten anhand seiner Standardwerke.

Im Gespräch mit Joachim Scholl

Sein entschiedener Protest gegen die nach seiner Meinung unausgereifte Rechtschreibreform von 1996 machte den Wissenschaftler einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
Viele Auszeichnungen zieren seinen Berufsweg. Zuletzt erhielt Peter Eisenberg im Herbst 2015 den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa.

Die komplette Originalfassung der Sendung steht Ihnen sieben Tage zur Verfügung, die Podcast-Fassung zum Herunterladen [AUDIO] - mit ausgeblendeter Musik - sechs Monate lang.
Deutschlandfunk.de 27.3.2016

Wie aus dem Interview hervorgeht, ist Eisenberg, wie mancher andere, ein Späteinsteiger in seinem eigentlichen Fach, das er erst mit 30 Jahren zu studieren begonnen hatte. Dabei ist er in den USA dem berühmten und umstrittenen Linguisten Noam Chomsky begegnet, von dessen Lehren er sich aber abgewandt haben will.

Für uns interessant sind seine Bemerkungen zur Rechtschreib„reform“. Den eigentlichen Anstoß zur Verwirklichung sieht er, wie schon in seinem Vortrag von 2007 erwähnt, in den Annäherungsverhandlungen mit der damaligen DDR. Die dortige Regierung habe sofort eine Kommission eingesetzt (und damit den Westen in Zugzwang gesetzt).

Da die „gemäßigte“ Kleinschreibung aus politischen Gründen ausgeklammert worden sei, habe man buchstäblich „wie nach der Nadel im Heuhaufen“ nach Reformbedarf suchen müssen. Dabei seien den Reformern erhebliche Fehler unterlaufen, vor allem in der Getrennt- und Zusammenschreibung und der Groß- und Kleinschreibung. So sei „im allgemeinen“, das seit dem 19. Jahrhundert kleingeschrieben werde, kein Substantiv, da es nicht erweitert werden könne. Die Ableitung „plazieren“ mit „t“ von „Platz“ sei falsch, weil die Endung „-ieren“ nur an fremdsprachliche Stämme angehängt werde.

Eisenberg kritisierte außerdem das „Gendern“, das einen erheblichen Eingriff in das Gefüge der Sprache bedeute. Dabei verwies er auf einen Aufsatz, den er für die FAZ geschrieben habe, der sich mit dem Wort „Flüchtlinge“ und der für politisch korrekt gehaltenen Form „Geflüchtete“ befaßt.

Daß er eine eigene Grammatik geschrieben habe, sei eine Folge seiner Vorlesungstätigkeit gewesen, bei der er festgestellt habe, daß in der DDR mehrere Grammatiken erschienen seien, aber keine einzige in Westdeutschland, wo man sich mit der alten, unzureichenden Duden-Grammatik begnügen mußte.

Schließlich erwähnte Eisenberg noch seine Tätigkeit im Rat für Rechtschreibung, die letztlich auf eine Rettung der „Reform“ hinauslief.


Nochmal Prof. Eisenberg in der FAZ:
„Haben wir denn nichts aus dem Desaster der Orthographiereform gelernt, die im Kern ja auch nichts anderes als ein unüberlegter Eingriff ins Sprachsystem war?“
faz.net 16.12.2015


eingetragen von Sigmar Salzburg am 17.06.2014 um 16.57

Deutschlanradio Kultur
Ausnahme-Feuilletonist
"Er inspirierte mit einer Sprachgewalt, der niemand gewachsen war"

Hommagen an den verstorbenen Frank Schirrmacher

Von Burkhard Müller-Ullrich

Die Nachrufe füllten am Samstag das gesamte zehnseitige Feuilleton der FAZ. Stefan Aust würdigt im SPIEGEL das Kind in ihm, Kai Diekmann dankt ihm als Ratgeber in der BILD - und sein einstiger Weggefährte Thomas Steinfeld (SZ) schweigt.
[...]
Stefan Aust, langjähriger Chefredakteur des SPIEGEL, der jetzt als Herausgeber der WELT für Döpfner arbeitet, erinnerte an einen Pakt, den die drei – Aust, Döpfner und Schirrmacher, beziehungsweise SPIEGEL, WELT und FAZ – einst gegen die Rechtschreibreform schlossen. Er währte nicht lange, der Pakt, aber er führte doch dazu, dass die Reform reformiert wurde.

"Ohne Frank Schirrmachers Sturheit, seinen Widerwillen gegen die Verhunzung der deutschen Schriftsprache, würde der Duden heute anders aussehen",

zeigte sich Aust überzeugt. Dirk Schümer von der FAZ, der mit Döpfner und Schirrmacher zuletzt noch in Rom gewesen war, beschrieb indessen seinen Chef als einen nicht nur kulturpolitisch agilen, sondern auch künstlerisch kontemplativen Menschen...

Die schiere Anzahl der Hommagen war überwältigend ... Aber auffallend war doch das völlige Schweigen des bis vor kurzem als Literaturchef der SZ agierenden Thomas Steinfeld, der im Streit mit Schirrmacher von der FAZ geschieden war und sich unterdessen als Romanautor in wilden Tötungsphantasien gegenüber Schirrmacher ergangen hatte.

Deutschlandradio Kultur 14.6.14

Ohne Schirrmacher, aber mit Steinfeld würde die FAZ möglicherweise auch heute noch die richtige deutsche Rechtschreibung verwenden. Burkhard Müller-Ullrich tut das übrigens auch noch, wenn er darf, z.B. in der „Achse des Guten“.

PS. Bei faz.net lautet das Zitat:

Wir trafen uns – eher zufällig – in der Paris-Bar mit Mathias Döpfner und regten uns gemeinsam über die Albernheiten der Rechtschreibreform auf. Die F.A.Z. hatte als einzige Publikation¹ den Unsinn bis dahin nicht mitgemacht. Aber Schirrmacher wusste, dass er auf Dauer nicht allein beim „dass mit sz“ bleiben konnte. Wir schmiedeten einen Dreier-Pakt zur Entrümpelung der Rechtschreibreform. Und schafften es am Ende, die größten Absurditäten zu beseitigen. Dann schaltete auch die F.A.Z. um – auf die reformierte Schreibreform. Ohne Frank Schirrmachers Sturheit, seinen Widerwillen gegen die Verhunzung der deutschen Schriftsprache, würde der Duden heute anders aussehen.
faz.net 14.6.2014

Als Aust sich beim Spiegel nicht durchsetzen konnte, Döpfner wohl schon auf höheres Geheiß Unterwerfungssignale sandte und Schirrmacher seine eigenen Werke bereitwillig reformieren ließ, wußten die Kultusminister, daß sie, mit den Schülern als Geiseln, mit ein paar kosmetischen Korrekturen durchkommen konnten.

¹ ... und Junge Freiheit, junge Welt, konkret, Ossietzky, Titanic etc.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 01.08.2013 um 11.39

dradio: 01.08.2013 · 06:50 Uhr

[Bild]
Gisela Beste: Varianten zulassen. (Bild: AP)

Germanistin: Rechtschreibreform in der Schule schwer zu vermitteln
Eine Bilanz aus Sicht der Deutschlehrer 15 Jahre nach Einführung


Gisela Beste im Gespräch mit Ute Welty
Sowohl bei Lehrern als auch bei Schülern herrsche 15 Jahre nach Inkrafttreten der neuen Rechtschreibung noch immer Unsicherheit, was die korrekte Rechtschreibung angeht. Gleichwohl warnt Gisela Beste, Mitglied im Rat für Rechtschreibung, vor einer Überregulierung.

Ute Welty: So viel Skepsis bei einem Bundespräsidenten war selten. Gefragt nach der Sinnhaftigkeit der Rechtschreibreform von 1998 erklärte Roman Herzog ohne das berühmte Blatt vor dem Mund: "Ich habe mich nie mit der Rechtschreibreform befasst - ich befasse mich nur mit wichtigen Dingen!" Das dürften die Deutschlehrer hierzulande anders sehen, und für die zuständig ist Gisela Beste, Vorsitzende des Fachverbandes Deutsch im Deutschen Germanistenverband und Mitglied im Rat für Rechtschreibung. Guten Morgen, Frau Beste!

Gisela Beste: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Jetzt doch mal gleich den Füller ans Herz: Wie schreiben Sie denn mein Lieblingswort, wie schreiben Sie Mayonnaise? Mit -y- und -ai- oder mit -j- und -ä-?

Beste: Ich schreib es mit -y- und -ai-, aber ich finde die andere Schreibweise auch durchaus akzeptabel. Wichtig ist ja hier auch die Verständlichkeit.

Welty: Ja, und beides ist ja richtig!

Beste: Und beides ist richtig, genau.

Welty: Ist das nicht genau die Crux der Reform, die heute vor 15 Jahren in Kraft trat? Denn es gibt eben mehrere Möglichkeiten, es richtig zu machen, und damit auch mehrere Möglichkeiten, Fehler zu machen.

Beste: Ja. Sprache ist ja ein ungeheuer vielfältiges Phänomen, das weiß jeder vom alltäglichen Gebrauch her. Und hier zu stark zu regulieren und bestimmte Schreibweisen zur absoluten Norm zu setzen, das widerstrebt dem Sprachgebrauch. Und deswegen ist es richtig, dass es auch Varianten gibt. Varianten sind ja auch wichtig, um Übergänge zu kennzeichnen. Wir schreiben ja heute auch nicht mehr Kulisse mit "C-o-u-l-i-s-s-e", sondern wir schreiben heute Kulisse anders, zeitweilig waren aber beide Schreibweisen geduldet.

Welty: Wie sehen das die Schüler und die Lehrer, auch mit den Korrekturen von 2004 und 2006?

Beste: Für die Schüler und für die Lehrer sind diese Korrekturen schwierig. Also, dass die Rechtschreibreform erst sehr strikt gewesen ist, sehr formal gewesen ist und dann wiederum sich dem Sprachgebrauch stärker angenähert hat, das ist für viele schwer zu bewältigen. Die Entscheidung war gut, finde ich, zurückzugehen, wieder näher zum Sprachgebrauch, aber die Folgen sind wirklich in der Schule, im Schulalltag schwer zu bewältigen. Es ist einfach eine Verunsicherung eingetreten. Wie Sie schon sagen: Was ist denn jetzt richtig? Und wie wichtig ist die Rechtschreibung. Sie haben ja den Bundespräsidenten damals zitiert. Das tut der Sache nicht gerade gut, wenn solche prominenten Menschen die Dinge da so in Frage stellen.

Welty: Wie gehen denn Schüler und Lehrer dann damit um, mit dieser Problematik?

Beste: Wichtig bleibt ja nach wie vor, dass Schülerinnen und Schüler die Rechtschreibung in ihren Grundregeln gut beherrschen. Das ist ja gar keine Frage, im Berufsalltag braucht man eine korrekte Rechtschreibung. Natürlich braucht man viel Zeit zum Üben, ich glaube, daran mangelt das heute ab und zu, man braucht Zeit, um die Konzepte zu verstehen, die hinter den Rechtschreibregeln stehen. Das ist nicht ganz einfach, ich glaube, hier kann die Ausbildung der Lehrer auch noch dazu beitragen, dass das besser wird. Und im Alltag, ja, sind natürlich wichtig Strategien. Wenn ich nicht weiß, wie es geschrieben wird, wie kann ich mir helfen?

Welty: Welche Strategie hilft denn Ihnen beispielsweise?

Beste: Mir hilft die Ableitungsstrategie, dass ich überlege, woher kommt ein Wort eigentlich. Und dann hilft mir natürlich das Wörterbuch. Das ist ganz klar. Und viele nutzen ja heute auch elektronische Programme, die sind ja in den Computern schon fest installiert, und die helfen natürlich auch. Wenn da ein Wort rot unterschlängelt ist, dann weiß man, da guckt man jetzt besser noch mal hin, das ist möglicherweise nicht ganz korrekt geschrieben. Möglicherweise ist es aber korrekt geschrieben, und es ist falsch rot unterschlängelt, das gibt es ja auch.

Welty: Wo Sie gerade die Korrekturprogramme ansprechen: Ist die Kunst der Rechtschreibung im Zeitalter der Korrekturprogramme nicht überhaupt eine aussterbende, und das vielleicht sogar zu Recht?

Beste: Nein. Schülerinnen und Schüler brauchen ja Rückmeldungen auch zu ihren Schreibweisen. Viele Schreibweisen müssen wirklich gelernt werden. Denken Sie mal daran, wie viele Möglichkeiten es gibt, das Wort "Wal" zu schreiben. Sie können es mit "W-a-h-l" schreiben, Sie können es "W-a-l" schreiben, sie können es mit V am Anfang schreiben. Es gibt tausend Möglichkeiten, und hier geht es darum, die richtige zu lernen, und dazu brauchen Schülerinnen und Schüler Rückmeldungen ihrer Lehrerinnen und Lehrer, dass sie ein Gefühl dafür auch entwickeln, was ist die richtige Schreibweise, und dass sie natürlich auch ein Verständnis der Regeln und eine Sicherheit in den Regeln entwickeln. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, aber das reine Zählen von Fehlern, das halte ich auch nicht für den richtigen Weg. Also, ein Schüler, der 50 rote Zeichen an seinem Text hat, der wird das Gefühl haben, ich lern es nie, und das, denke ich, das ist pädagogisch wirklich der falsche Ansatz. Der braucht vielleicht eine Rückmeldung, in welchen Schwerpunktbereichen er vor allen Dingen Fehler gemacht hat, damit er mal einen Anfang findet. Und das ist auch sehr effektiv, damit habe ich als Lehrerin selbst gute Erfahrungen gemacht.

Welty: Fühlen sich die Lehrer ausreichend unterstützt in ihrem Bemühen um Sicherheit?

Beste: Ich denke, Lehrerinnen und Lehrer brauchen auch klare Signale, was ist wichtig. Wie wichtig ist denn der Gesellschaft heute Rechtschreibung? Macht man sich lustig nach den Reformen und sagt: 'Ja, jetzt weiß man ja gar nicht mehr, wie es geht', oder sagt man, 'Es ist schwierig, gerade die deutsche Rechtschreibung, die hält auch echte Herausforderungen bereit, aber wir stellen uns auch den Schwierigkeiten und wir bemühen uns in allen gesellschaftlichen Bereichen, vielleicht auf eine etwas spielerische Art, aber das richtige Schreiben wirklich als Norm zu verfolgen'. Das finde ich schon wichtig.

Welty: Deutschland tut sich mit Rechtschreibreformen ähnlich schwer wie mit Revolutionen. Drei hat es bislang gegeben, also Reformen. Was müsste bei einer vierten unbedingt anders gemacht werden als bei der jüngsten, eben bei der von vor 15 Jahren?

Beste: Ich glaube, vor allen Dingen sollte es eine vierte nicht geben. Also, ich denke, jetzt muss Ruhe einkehren, also jetzt ist es wichtig, die Regeln, die da gefunden worden sind, auch noch mal verständlicher zu machen. Ich halte es für ein ganz großes Problem, dass die Regeln doch sehr verklausuliert formuliert sind, nicht sehr klar. Sie sind auch nicht völlig widerspruchsfrei formuliert. Und was ich wichtig finde, ist, dass die Regeln in einer verständlichen Weise transportiert werden, sodass auch wirklich Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer im Alltag damit umgehen können. Wenn Sie ins amtliche Regelwerk schauen, da werden Sie staunen, wie schwierig diese sowieso schon komplizierte Materie da auch noch formuliert ist. Das ist aber auch im Rat für Rechtschreibung ein Thema und damit beschäftigt sich dieser Rat auch aktiv.

Welty: Das ist die Empfehlung von Gisela Beste vom Deutschen Germanistenverband nach 15 Jahren Rechtschreibreform. Ich sage danke mit weichem -d- und mit ohne -h-.

Beste: Vielen Dank auch Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.03.2013 um 05.22

Studie vergleicht Schüleraufsätze von 1972 und 2002
Wolfgang Steinig im Gespräch mit Manfred Götzke


Der Germanist Wolfgang Steinig kritisiert, "dass wir so wenig tun an unseren Schulen für Kinder aus sozial schwachen Familien". Beim Vergleich der Qualität von Schüleraufsätzen von 1972 und 2002 zeige sich, dass die Schere zwischen den Schichten weiter auseinander gehe.

Manfred Götzke: Auch früher war früher alles besser. Kulturpessimismus ist ein 1.000 Jahre altes Phänomen, aber es ist nicht wegzukriegen, vor allem, wenn es um die Sprache und deren vermeintlichen Verfall geht. Auch das Institut für deutsche Sprache hat sich heute auf seiner Jahrestagung mit dem Sprachverfall beschäftigt und gefragt: Was ist Verfall, was Dynamik und was natürlicher Wandel? Unter dieser Fragestellung hat sich der Germanist Wolfgang Steinig von der Universität Siegen Texte von Viertklässlern aus vier Jahrzehnten genau angeschaut und untersucht: Schreiben Schüler heute wirklich schlechter als vor 40 Jahren? Herr Steinig, die Frage Ihrer Untersuchung, die ist natürlich provokativ. Was heißt denn schlecht für Sie?

Wolfgang Steinig: Das ist natürlich ein provokativer Einstieg, den ich da gewählt habe. Linguisten haben immer Probleme mit schlechter und besser, nicht? Was man in der Regel feststellen kann, ist, dass sich die Schriftlichkeit von Schülern verändert. Schüler schreiben heute einfach anders als in den 70er-Jahren. Was wir auf jeden Fall sagen können, ist, dass die Rechtschreibung sich wirklich verschlechtert hat. Allerdings - und das muss man dann immer sofort auch dazu sagen -, dieser Effekt ist sehr stark schichtspezifisch, das heißt, Kinder aus der sozialen Unterschicht, die machen enorm viele Fehler, sehr, sehr viel mehr Fehler als in den 70er-Jahren. Das heißt, die soziale Schere ist gerade bei der Rechtschreibung enorm auseinandergegangen.

Götzke: Woran liegt das denn ihrer Meinung nach?

Steinig: Da gibt es sicherlich viele Gründe dafür, auch ökonomisch driftet unsere Gesellschaft immer weiter auseinander. Da ist es dann auch, denke ich, kein Wunder, dass sich das auch in den Leistungen der Schüler spiegelt. Wir haben es mit einer Situation zu tun, wo das Gymnasium, also der Übertritt in das Gymnasium so unglaublich wichtig ist, dass vor allen Dingen Eltern, die den Wert des Gymnasiums richtig einschätzen, gewissermaßen als Eintrittskarte in ein besseres, finanziell abgesichertes Leben, die tun alles für ihre Kinder, damit die das schaffen. Und die Rechtschreibung ist halt ein ganz hartes Faktum, das oft genau eine Empfehlung für das Gymnasium verhindern kann. Wenn einfach zu viele Fehler in einem Text sind, dann sagt die Lehrerin, also das Kind ist vielleicht gerade noch Realschule oder Hauptschule, aber mehr ist nicht drin.

Götzke: Herr Steinig, jetzt haben Sie ja nicht nur Rechtschreibfehler gezählt in Ihrer Studie, Sie haben ja auch im weitesten Sinne die Qualität von Texten untersucht. Wie haben Sie das denn gemacht?

Steinig: Ja, wir haben also beispielsweise mit Computeranalysen den Wortschatzumfang analysiert. Und da hat sich herausgestellt, dass Texte aus 1972 im Vergleich zu Texten von 2002, dass da der Wortschatzumfang sehr stark angestiegen ist. Wiederum auch schichtspezifisch in einer höchst unterschiedlichen Weise, das heißt, die Kinder, die 2002 eine Gymnasialempfehlung bekommen haben und aus der oberen Mittelschicht kommen, die sind die Gewinner des Systems. Deren Texte sind interessanter zu lesen, der Wortschatz ist geradezu explodiert. Aber Kinder, die eine Hauptschulempfehlung haben, Eltern aus der Unterschicht, sozialen Unterschicht, kommen, da hat sich im Wortschatz nichts verbessert, stagniert auf niedrigem Niveau.

Götzke: Kann man grundsätzlich sagen, insgesamt schreiben die Kinder weniger korrekt, was die Rechtschreibung angeht, aber fantasievoller?

Steinig: Ja, vor allen Dingen also die Kinder aus höheren sozialen Schichten. Nicht, also das, die sind selbstbewusster geworden, das zeigen jetzt unsere allerneusten Daten, da haben sich auch die Textsorten teilweise verändert, da finden Sie jetzt also viel stärker kommentierende Texte, nicht? Die Kinder sind irgendwie freier geworden, Texte werden einfach variabler. Und ich denke, da spielt möglicherweise das Internet eine Rolle. Denken Sie an Kommentierungen im Internet, das ist sehr vielfältig geworden, Menschen schreiben klein, fehlerhaft, hauen irgendwelche Meinungen raus. Und das scheint langsam auch schon in die Grundschule einzudringen - langsam.

Götzke: Wir müssen vielleicht noch mal ganz kurz klären, wie Sie das untersucht haben. Sie haben einen Film gezeigt, 1972 den gleichen wie 2012, und dann sollten die Kinder einen Text dazu abliefern.

Steinig: Genau.

Götzke: Was waren so die größten Unterschiede, die Sie festgestellt haben, '72, 2002, 2012, was die Textarten angeht?

Steinig: Ja, also Texte aus dem Jahr 1972, die waren eher in einem nüchtern-berichtenden Modus geschrieben, die waren auch kürzer - nüchterner, kürzer, berichtender. 2002 wurden die Texte fantasievoller, kreativer, erzählerischer, sie bekamen also ... man fand sehr viel häufiger wörtliche Rede in den Texten, Spannungselemente wurden sprachlich gestaltet, also das hat sich enorm verbessert. Und jetzt, 2012, finden wir sehr viele kommentierende Texte. Da schreibt einfach ein Kind, ich fand den Film doof - ein Satz, fertig, ab.

Götzke: Sie haben das ja gerade schon angedeutet, das könnte ja möglicherweise tatsächlich mit Schreibkulturen zusammenhängen, die sich auch irgendwie über Facebook, Twitter, wo man ja vor allem auch kommentiert ...

Steinig: Ja, genau, ja, Kinder, Jugendliche, heute Erwachsene auch, leben heute in einer Zeit, wo wahrscheinlich so viel geschrieben wird wie noch nie zuvor. Man sieht überall Menschen mit allen möglichen Medien irgendwelche Tastaturen bedienen, die irgendetwas von sich geben und ins Netz schicken. Also das Schreibverhalten hat enorm angezogen.

Götzke: Der Titel Ihrer Tagung heißt "Sprachverfall?". Das Fragezeichen könnte man vielleicht streichen, aber vielleicht auch das Wort?

Steinig: Ja, völlig, also Sprachverfall, mit dem Begriff kann man gar nichts anfangen, das ist einfach ein unwissenschaftlicher Begriff, ich finde den einfach nicht passend, so einen Begriff, für eine wissenschaftliche Tagung.

Götzke: Also Kulturpessimismus ist nicht angezeigt?

Steinig: Das bringt uns sowieso nicht weiter. Was uns umtreibt - mich vor allen Dingen als Sprachdidaktiker umtreibt -, dass wir so wenig tun an unseren Schulen für Kinder aus sozial schwachen Familien.

Götzke: Die Schüler schreiben heute oft weniger korrekt, dafür aber spannender und fantasievoller, sagt der Germanist Wolfgang Steinig von der Uni Siegen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
dradio.de 15.3.2013


eingetragen von Sigmar Salzburg am 31.01.2013 um 19.59

Zum Projekt "Straße der deutschen Sprache"
Von Michael Köhler

Eisleben für Luther, Kamenz für Lessing, Weißenfels für Novalis. Das Projekt "Straße der deutschen Sprache" will Orte in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen miteinander verbinden, deren Vergangenheit und Gegenwart wichtig für die deutsche Sprache und Literatur ist.


Thomas Paulwitz ist Chefredakteur der vor zwölf Jahren gegründeten Zeitschrift "Deutsche Sprachwelt". Sie versteht sich als Sammelbecken für Gegner der Rechtschreibreform. Auch andere sprachpflegerische Absichten wie Erhalt der Schreib- und Handschrift in der Schule zählen zu den Zielen. Bewusst knüpft der Verein an barocke Traditionen an, wie die sogenannte "Fruchtbringende Gesellschaft" vom Anfang des 17. Jahrhunderts. Vor sechs Jahren hat sich die "Neue Fruchtbringende Gesellschaft" formiert.

"Die Straße der Deutschen Sprache bildet ihren Kern in den drei Bundesländern, Thüringen, Sachsen - Anhalt und Sachsen. Und da die Idee von Köthen ausgeht, haben wir in Sachsen-Anhalt mehr Orte. Also Köthen als erster Sitz der "Fruchtbringenden Gesellschaft", spielt da eine Rolle. Dann ist in Thüringen zum Beispiel Schleiz dabei. Das ist der erste große Wirkungsort von Konrad Duden. Da hat er seine ersten Aufzeichnungen gemacht für sein Rechtschreibwörterbuch."

Köthen und Schleiz sind dabei, Eisleben für Luther, Gräfenhainichen für den Kirchenlieddichter Paul Gerhardt, Kamenz für Lessing, der dort geboren wurde, Weißenfels steht für den romantischen Dichter Novalis und so weiter. Die Auswahl scheint unsystematisch. Schottelius, der Kopf der "Fruchtbringenden Gesellschaft" stammt aus Einbeck in Südniedersachsen und starb in Wolfenbüttel. Er fehlt in der Aufzählung Johann Christoph Adelung und Kaspar Stieler, die großen Wörterbuchautoren wirkten in Leipzig, Erfurt, Nürnberg. Thomas Paulwitz:

"Das ist nicht willkürlich. Erstens einmal ist dieses mitteldeutsche Gebiet, das sich da auf die drei Bundesländer bezieht, kann man schon so sehen, dass es die Wiege des Hochdeutschen ist. Da haben sich frühzeitig Siedler aus dem ganzen deutschen Sprachraum angesiedelt. Die hatten dann ihren Einfluss auf die Meißner Kanzleisprache, die dann auch Luther zum Vorbild diente für seine Bibelübersetzung und von dort aus hat sich das Deutsch wie es in diesem Gebiet gesprochen wurde in ganz Deutschlands ausgebreitet."

Johan Kaspar Stielers "Teutscher Sprachschatz" erschien 1691 in Nürnberg und war ein großer Schritt auf dem Weg zur geeinten nationalen Hochsprache.

Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutscher Sprachschatz, worinnen alle ... teutsche ... Stammwörter nebst ihrer Abkunft, abgeleiteten ... Redarten mit guter lateinischen Tolmetschung ... befindlich ... in vielen Jahren gesamlet von dem Spaten. Das ist Johan Kaspar Stieler, Nürnberg 1691

Und Luther übersetzte die Bibel auf der Wartburg in Eisenach. Johann Christoph Adelung, der Grimm des 18. Jahrhunderts, wurde in Anklam, Mecklenburg Vorpommern, geboren…

Grimm und Gutenberg, Kassel und Mainz könnten irgendwann dazu stoßen. Als Ziel nennt Thomas Paulwitz eine Ausschilderung am Ortseingang. So wie "Beethoven-" oder "UN - Stadt Bonn" oder "documenta Stadt Kassel". In fünf bis zehn Jahren möchte er soweit sein.

Immerhin haben sich schon zwölf Orte bereit erklärt. Das werden aber nicht alle sein.

Thomas Paulwitz und seine Mitstreiter wollen die deutsche Sprache "schützen, wahren und weiter_entwickeln" wie er sagt. "Da was Deutschtümelndes draus zu machen, sei verkehrt", betont er…

Deutschlandfunk 31.1.2013
(Leicht gekürzt)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 06.08.2011 um 06.19

05.08.2011 • 11:33 Uhr

Naschbär für die Ohren

Harry Rowohlt: "Rumba, Rumba, Rumba ist modern", Kein & Aber Records 2011, 2 CDs

Übersetzer, Sprecher, Kolumnist, Schauspieler. Harry Rowolt ist vielseitig, ein bekennender Genussmensch und eine zottelige Rampensau. Seine Lesungen sind meist schon viele Wochen vorher ausverkauft. Jetzt kann man eine als Doppel-CD nachhören.

Mit "Moin, moin!" begrüßt Harry Rowohlt das Publikum seiner Göttinger Lesung. Die wurde für das Hörbuch "Rumba, Rumba, Rumba ist modern" mitgeschnitten:

"Ich sage Ihnen das, damit Sie wissen, dass, wenn Sie zu laut 'Buh' schreien, das nach dem neuesten Stand der Technik alles wieder rausgefriemelt wird."

Das schickt Harry Rowohlt, der dicke Mann mit weißem Rauschebart und Nickelbrille, vorweg. Und auch, dass er schon länger keinen Alkohol mehr trinkt. Der übermäßige Konsum, besonders gerne auch während seiner Lesungen, hat dazu geführt, dass der 66-Jährige nun eine neurologische Krankheit hat, die seine Bewegungsfähigkeit stark einschränkt. Aber selbst darüber scherzt er. Keinen Spaß versteht der Sohn des Verlagsgründers Ernst Rowohlt allerdings, wenn man meint, er selbst sei Verleger:

"Wenn ich irgendwo reinkomme, sage ich als Allererstes: Nein, ich habe nichts mit dem Rowohlt-Verlag zu tun. Nein, ich habe nicht abgenommen. Ja, ich spiele bei der 'Lindenstraße' mit. Da ist dann was für jeden Geschmack dabei. Und wenn mich jemand fragt, was man denn tun muss, um veröffentlicht zu werden - möglichst in meinem renommierten Verlag - sage ich:

Machen Sie es wie ich: Ich schreibe nur auf Bestellung und brauche mir dann um die Veröffentlichung keine Sorgen zu machen! Darauf erwidern die Autoren einer wie der andere, als hätten sie es untereinander abgesprochen: Dädädädädä!"


Übersetzer, Rezitator, Schriftsteller, Schauspieler ist Harry Rowohlt. Und ein äußerst meinungsfreudiger Kolumnist. Das Hörbuch besteht vor allem aus Kolumnen, die Rowohlt für "Die Zeit" geschrieben hat. Allerdings unterbricht er sich laufend selbst. So auch, als er über die Rechtschreibreform und das Magazin "Focus" spricht:

"Ich find' diesen Untertitel, 'Das moderne Nachrichtenmagazin', so albern. Das letzte Mal, als mir das Wort 'modern' eingeleuchtet hat, war in dem Lied (singt wie Max Raabe): Komm, lass uns einen kleinen Rumba tanzen, denn Rumba, Rumba, Rumba, Rumba ist modern … "

Selbst wenn er schief singt, hört man ihm gerne zu. Und man wartet geradezu darauf, dass ihm beim Lesen eine Assoziation kommt, eine Brücke zum Abschweifen. Denn in seinen Anekdoten ist der gebürtige Hamburger mit der voluminösen, rauchigen Stimme noch erdiger, noch komischer als in seinen ohnehin schon großartigen Kolumnen:

"Ich hab' übrigens gestern wieder einen starken Lokalpatriotismus-Schub verpasst gekriegt. Bei Edeka auf'm Eppendorfer Baum habe ich mir lange vor der Zeit, aber mir war so sommerlich, ein Capri-Eis gekauft. Und die Schlange vor der Kasse war so lang, dass ich dachte: Das Ding schmilzt. Ich ess' es schon mal. Und wenn mich die Kassenfee anschnauzt, dann halte ich ihr den abgelutschten Spatel und die Tüte vor und zahle still. Und dann ging es aber etwas schneller. Und statt mich anzuschnauzen, sagte die Kassenfee zu mir: Oller Naschbär!"

Man sieht sie vor sich, die Kassiererin. Harry Rowohlt zieht bei Lesungen alle Register seiner Stimme, scheint sämtliche deutsche Dialekte zu beherrschen und auch andere Sprachen:

"Im Hotelzimmer sehe ich mir einen der 48.000 fabelhaften Fernsehsender an, die man reinkriegt. Auf dem flämischen Kanal Eén einen britischen Krimi mit niederländischen Untertiteln: Der englische Kommissar sagt: Quite frankly, I've got to admit, I am finding it increasingly difficult to get a grasp on all this. Auf Niederländisch steht drunter: Ik pak dat niet!

Man fasst es nicht, wie Harry Rowohlt es schafft, in keinem einzigen Augenblick seiner Live-Lesung Langeweile aufkommen zu lassen: Egal, ob er einen Witz erzählt oder eine Anekdote, eine uralte Kolumne liest oder einen Nachruf auf seinen Freund Frank McCourt. Wer beim Hörbuch "Rumba, Rumba, Rumba ist modern" nicht lacht, dem ist nicht mehr zu helfen:

"Auf dem Frankfurter Hauptbahnhof fragt mich ein Mann: Haben Sie mal 80 Cent? Ich gebe ihm eine 2-Euro-Münze. Er betrachtet sie und sagt: Na gut."

Besprochen von Tobias Wenzel

Harry Rowohlt: Rumba, Rumba, Rumba ist modern. Live-Lesung in Göttingen
Kein & Aber Records 2011
2 CDs, Gesamtspieldauer: 1 Stunde 52 Minuten, 19,90 Euro

Service:
Wer Harry Rowohlt nicht nur auf einer Live-CD hören, sondern auch live vor Ort sehen und hören möchte, kann das tun: Am 11.8.2011 liest er um 19.30 Uhr in Kampen, danach unter anderem in Freiburg (13.8.) und Hamburg (23.9.). Weitere Termine finden Sie auf seiner Homepage.

dradio.de/dkultur

Zu Harry Rowohlt siehe auch Rechtschreibung.com:
Rowohlt in GreizPooh's CornerRowohlt & Gysi


eingetragen von Sigmar Salzburg am 02.08.2011 um 19.14

Hauptsache keine roten Kringel unterm Wort

Historiker über Sprache und Rechtschreibkorrektur
Reinhard Markner im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich

Die Rechtschreibreform 1996 hatte die Vereinheitlichung der deutschen Sprache im Jahr 1902 zum Vorbild, als der Duden für verbindlich erklärt wurde. Heute verließen sich viele nur noch auf die automatische Rechtschreibkorrektur am Computer, sagt Historiker Reinhard Markner.

Burkhard Müller-Ullrich: Heute vor 100 Jahren starb ein Mann, dem wir so manche Qual zu verdanken haben, weil er die Regeln aufstellte, mit denen wir uns so schwertun: Duden, sein Name, Konrad Duden. Er war ein leidlicher Philologe, aber ein gründlicher Pauker. Er unterrichtete an Gymnasien im westfälischen Soest, im thüringischen Schleiz und dem hessischen Hersfeld, wo er als Direktor offenbar genügend Zeit fand, um jene akribische Fleißarbeit zu vollbringen, die ihn berühmt machen sollte: Die Abfassung eines "Vollständigen Orthografischen Wörterbuchs der deutschen Sprache. Dudens Wörterbuch war und ist ein Herrschaftsinstrument, etwas, das dazu dient, die Menschen zu gängeln, ihr Schreiben zu reglementieren und ihm den Charakter einer messbaren Leistung zu geben. Dudens Wörterbuch beziehungsweise kurz "der Duden" erschien 1880. 1902 wurde er - die großdeutsche Zackigkeit befand sich auf dem Höhepunkt - vom Bundesrat als verbindlich proklamiert. Über Duden und seine Wirkung sprechen wir jetzt mit dem Historiker Reinhard Markner in Berlin. Herr Markner, das war also ein staatlicher Eingriff in den sprachlichen Alltag, was da 1902 passiert ist, und es war insofern ein Novum für deutsche Verhältnisse. Hatten sich die Rechtschreibreformer 100 Jahre später diesen Fall zum Vorbild genommen?

Reinhard Markner: Ja, unbedingt. Sie haben frühzeitig dafür gesorgt, dass ihr Projekt politischen Rückhalt hatte, und auch gerade dadurch, dass sie diesen Rückhalt in allen drei wesentlichen deutschsprachigen Staaten gesucht haben, haben sie dafür gesorgt, dass Widerstand gegen die kommende Rechtschreibreform mit dem Hinweis darauf unterbunden werden konnte, dass ja die Schweizer schon zugestimmt haben oder die Österreicher auch dafür sind und so weiter. Also, man hat sich auf diese Weise abgesichert. Wohingegen 1902 es eigentlich so war, dass das Deutsche Reich in der eigenen Machtvollkommenheit entschieden hat und sich die österreichisch-ungarische Monarchie und auch die Schweiz erst später angeschlossen haben.

Müller-Ullrich: Da stand ja im Hintergrund auch noch die gerade geschaffene Reichseinheit, die sozusagen jetzt durch eine sprachliche Vereinheitlichung noch nachvollzogen werden sollte.

Markner: Richtig, wobei die Reichseinheit ja schon 30 Jahre zurücklag, und tatsächlich gab es schon in den 70er-Jahren genau mit diesem Argument Vorstöße auch zu einer weitergehenden Rechtschreibreform. Die Preußen sind dann ein wenig vorgeprescht und es war eben so, dass Bayern und Württemberg und all die anderen Bundesstaaten jeweils eigene Regelbücher erlassen hatten und sich dann nach langem Ringen schließlich 1902 auf dieses gemeinsame Wörterbuch verständigen konnten.

Müller-Ullrich: Weil Sie sagen Regelbücher: Das ist ja sowieso was sehr Preußisches, also Ordnung, Systematik, Disziplin gelten als die wesentlichen Tugenden. Jetzt kann man natürlich die Frage stellen, wozu braucht man überhaupt solche Normen? Als politisches Projekt, haben wir verstanden, aber jetzt sprachlich betrachtet?

Markner: Im Grunde genommen regelt sich die Sprache von selbst, nur geht das relativ langsam. Es ist wie ein naturhafter Prozess. Und in diesen Prozess ist eben wiederholt eingegriffen worden, um eine Vereinheitlichung gerade im Sinne der Schulorthografie vorzunehmen. 1902 sind aber praktisch keine Schreibungen neu eingeführt worden, die zuvor am grünen Tisch entworfen worden waren, so wie das 1996 folgende passiert ist, sondern man hat sich im Grunde genommen zugunsten der Vereinheitlichung darauf beschränkt, eben eine Vereinheitlichung der Rechtschreibung vorzunehmen und keine wesentlichen Eingriffe im Sinne einer Reform-Orthografie vorzunehmen.

Müller-Ullrich: Hat sich nicht auch das Schreiben als solches historisch verändert? Ich meine, den sozialen Status, den jemand, der überhaupt Zugang zur Schriftkultur hatte, weil er zum Beispiel höhere Schulbildung besaß oder gar ein Gymnasium besucht hatte, der konnte ja möglicherweise die einzelnen Korrekturen den Spezialisten des Druck- und Verlagsgewerbes überlassen, während heutzutage jeder schreibt, jeder in einem permanenten Kommunikationszusammenhang eingebunden ist, aber jetzt sozusagen mit der Orthografie subtile Signale in der anonymen Internetwelt abgegeben werden können. Also, zum Beispiel konsequente und fehlerfreie Verwendung der alten Rechtschreibung ist ja ein klares Indiz für einen bestimmten sozialen und intellektuellen Status.

Markner: Ja, das ist völlig richtig. Früher hat man beispielsweise bei Bewerbungsschreiben sehr darauf achten müssen - also, natürlich ist das heute auch noch der Fall, aber das war eine besonders Situation. Wenn man den Job dann erst hatte, dann hatte man in der Regel die Sekretärin, auf die man sich verlassen konnte und die man im Zweifelsfall auch fragte, wenn man einen Zweifelsfall hatte, und die auch vielleicht besser wusste, wo genau das dann im Duden nachzuschlagen ist, als man selbst. Heutzutage sitzt jeder an seiner eigenen Tastatur und es gibt in der Tat weniger Instanzen, die also hier noch eingreifend ins Spiel kommen - mit Ausnahme natürlich der automatischen Instanz, der Rechtschreibkorrektur der Textverarbeitungsprogramme. Sehr viele Menschen schreiben heute so, dass irgendwie keine Kringel auftauchen, das halten sie dann für richtig, obwohl das keineswegs notwendigerweise der Fall ist, denn diese Rechtschreibkorrektur ist zum Teil sehr ungenau, gerade was das viel umkämpfte Feld der Zusammen- und Getrenntschreibung angeht.

Müller-Ullrich: Und niemand weiß, wer es wirklich gemacht hat bei Word.

Markner: Sehr richtig, ja, es gibt irgendwelche Verhandlungen, die es mal gegeben hat zwischen den Reformkommissionen, aber die sind tatsächlich sehr im Hintergrund abgelaufen.

Müller-Ullrich: Vielen Dank, Reinhard Markner, für diese Auskünfte und Einschätzungen zum 100. Todestag von Konrad Duden!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

dradio.de 1.8.2011


eingetragen von Sigmar Salzburg am 09.05.2011 um 15.26

Nicht nur Schüler haben Probleme mit der Rechtschreibung. (Bild: AP)

"Leerer prauchen wir nicht"

Viele Deutschlehrer tun sich schwer in Sachen Orthographie
Peter Eisenberg im Gespräch mit Manfred Götzke


Deutschlehrer sind nicht auf dem neuesten Stand der Rechtschreibung. Das sagt der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg. Einen PISA-Test für Lehrer lehnt Eisenberg ab - man müsse "die Lehrerausbildung verbessern und nicht die Lehrer öffentlich bloßstellen".

Manfred Götzke: Ja, ja, die Deutschlehrer und die neue Rechtschreibung. Ob sie sie wirklich hätten verhindern können, wie der Kabarettist Sebastian Krämer meint, das können wir heute nicht mehr klären. Viel interessanter ist aber die Frage, wie Deutschlehrer heute damit klarkommen. Tja, und da ist letzte Woche ein etwas peinlicher Fall bekannt geworden: Ein Deutschlehrer aus Baden-Württemberg wollte seine Schüler auf ein Diktat mit einer Wortliste vorbereiten, darauf waren die besonders schwierigen Wörter zusammengefasst, und der gute Mann hat die Liste so betitelt: "Leerer" - Leerer mit Doppel-E - "prauchen wir nicht". Das war lustig gemeint. Das Dumme dabei: Die Liste strotzt auch sonst von Fehlern, die nicht beabsichtigt waren. 36 Fehler auf zwei Seiten. Peter Eisenberg ist emeritierter Sprachwissenschaftler an der Universität Potsdam. Herr Eisenberg, ist der arme Mann, der jetzt wohl zum Gespött der Schule wurde, ein Einzelfall?

Peter Eisenberg: Meiner Meinung nach nicht. Der Lehrer ist sogar im positiven Sinne eine Ausnahme, insofern diese Lehrkraft versucht hat, die Schüler intensiv auf ein Diktat vorzubereiten.

Götzke: Ohne Erfolg!

Eisenberg: Das ist durchaus nicht mehr üblich, sondern viel üblicher ist, dass die Beschäftigung mit Rechtschreibung, zumal noch im Gymnasium wie hier, weitgehend verdrängt wird, jedenfalls einen niedrigeren Status hat als vor der Orthografiereform. Was allerdings dort den Schülern vermittelt wird, das ist, wie Sie richtig gesagt haben, von weitgehender Unkenntnis der gegenwärtigen Situation geprägt und viel verträglicher mit dem, was 1996 galt.

Götzke: Aber sind die Deutschlehrer, was Rechtschreibung angeht, was vor allem die neue Rechtschreibung angeht, nicht auf dem Stand der Dinge?

Eisenberg: Das kann man sagen. Man kann so eine Aussage natürlich nicht vollständig generalisieren, aber man kann schon sagen, dass mit dem teilweisen Rückbau von 2006 die Unkenntnis vieler Deutschlehrer über den aktuellen Stand zugenommen hat.

Götzke: Woran machen Sie die Kritik fest?

Eisenberg: Das liegt vor allen Dingen daran, dass weder die Medien, noch die Kultusministerkonferenz eine intensive Öffentlichkeitsarbeit gemacht haben. Das war ja nach 1996 durchaus der Fall, die Neuregelung ist damals öffentlich sehr intensiv diskutiert worden, aber 2006 eben gar nicht. Die Neuregelung von 2006, die also teilweise den Rückbau betrieben hat und die Rückkehr zur alten Orthografie ...

Götzke: ... also die teilweise Rückkehr zur alten Orthografie ...

Eisenberg: ... die teilweise Rückkehr zur alten Orthografie, ganz recht, war eigentlich nur politisch gewollt. Sie war gewollt, weil man endlich die öffentliche Debatte loswerden wollte. Aber das inhaltliche Interesse an dem, was dort geschehen ist, war sehr gering, und von der KMK ist kaum etwas unternommen worden, um diese neue Schreibweise unter die Leute zu bringen.

Götzke: An den Universitäten in der Lehrerausbildung scheint das Ganze keine besonders große Rolle zu spielen.

Eisenberg: Na ja, das ist verschieden. Im Grunde müsste es in der Ausbildung von Deutschlehrern eine große Rolle spielen, ganz besonders in der Ausbildung von Grundschullehrern, aber auch bei der Ausbildung von Lehrern für die Sekundarstufe. Das ist traditionell nicht hinreichend der Fall und es ist seit 1996 und erst recht seit 2006 noch weniger der Fall.

Götzke: Und heute wird Orthografie nicht mehr so dezidiert gelehrt von den Lehrern in den Schulen, weil sie sich selbst nicht mehr so sicher sind?

Eisenberg: Ja natürlich, sie sind sich nicht mehr so sicher, es hat ein paar Veränderungen gegeben, immer wieder Veränderungen, aber die neue Regelung von 1996 selbst hat Bereiche geregelt, die die Lehrer bisher eigentlich vorher nie so recht zu händeln wussten. Und das war in dem Bereich auch ganz richtig.

Götzke: Woran machen Sie es fest, dass die Deutschlehrer früher besser waren, früher firmer waren in Sachen Orthografie?

Eisenberg: Ob man das so ohne Weiteres so sagen kann, dass sie firmer waren und besser waren, das wollen wir mal dahingestellt sein lassen. Es ist einfach so gewesen, dass die deutsche Orthografie in einem langen Prozess der Aushandlung innerhalb unserer Gesellschaft weit verbreitet war und in dieser Form auch eine ganz gute Rolle in der Deutschlehrerausbildung gespielt hat. Auch damals war ganz besonders bei den Grundschullehrern die Auseinandersetzung mit der Orthografie nicht weit genug betrieben worden, aber es bestand doch ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass die Orthografie wichtig ist, und sie wurde nicht hinreichend, aber doch weitgehend gelehrt in der Schule.

Götzke: Bei PISA und den ganzen anderen jetzt inflationären Bildungstests geht es ja vornehmlich um die Leistung der Schüler. Bräuchten wir eine Art Lehrer-PISA, um solche Katastrophen zu verhindern?

Eisenberg: Nein, man muss die Lehrerausbildung verbessern, und nicht die Lehrer öffentlich bloßstellen.

Götzke: Hätten die Lehrer, die Deutschlehrer die neue Rechtschreibung verhindern müssen, wie Sebastian Krämer es anregt?

Eisenberg: Nein, die Lehrer waren nicht diejenigen, die die neue Orthografie hätten verhindern müssen, das hätten die Kultusminister machen müssen und das hätte auch die Germanistik machen müssen, also das Fach, das ja zuständig ist für die Beschreibung der deutschen Orthografie. Aber ausgerechnet den Deutschlehrern diese Aufgabe zuzuschreiben, das ist ein bisschen blauäugig.

Götzke: Deutschlehrer kennen sich mit der neuen Rechtschreibung nicht ausreichend aus, sagt der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg. Vielen Dank!

Deutschlandfunk 9.5.2011

Eisenberg, einer der schärfsten Kritiker der „Rechtschreibreform“, hat immer auch ihre Unausweichlichkeit betont, wohl um auf jeder Seite im Geschäft zu bleiben. So konnte er denn auch im Rat für Rechtschreibung eine führende Stellung einnehmen und als rechte Hand des Vorsitzenden Zehetmair dessen mangelnden Durchblick ausnutzen, um eigene Marotten durchzubringen. Daß für das herkömmliche „leid tun“ – nach der Reformdeformation „Leid tun“ – nun „leidtun“ erzwungen werden soll, ist Eisenberg zu verdanken. Wie fragwürdig, wenn er jetzt beklagt, daß die Kultusminister das nicht genügend propagieren! Theodor Ickler wies auch eben gerade auf Eisenbergs eigenartiges Wirken hin:

„Noch zwei Zusammenschreibungen, die Brockhaus-Wahrig empfiehlt, obwohl sie sich kaum oder gar nicht belegen lassen: vermissenließ, sprechenläßt. Es sollte noch einmal erwähnt werden, daß diese übertriebenen Zusammenschreibungen auf Peter Eisenberg zurückgehen. Sie wurden in die Empfehlungen 2006 eingearbeitet, großenteils ohne Kenntnis des Rechtschreibrates und ohne Diskussion.“ sprachforschung.org


eingetragen von Sigmar Salzburg am 12.04.2011 um 12.48

Als sie (die Minister) ihre blamable Reform verkündeten, habe ich, der Deutlichkeit halber, von Sesselfurzern gesprochen. Ich bedaure, mich in diesem Fall nicht höflicher ausdrücken zu können.“ (Hans Magnus Enzensberger)

Er scheint inzwischen demonstrativ gegen alle Erwartungen zu verstoßen zu wollen – oder doch nicht? Beim heutigen Zustand der deutschen Orthographie kann man das nicht mehr sicher ausmachen.

Eine Buchbesprechung im Deutschlandfunk:


Vom Größenwahn der Eurokratie

Buch der Woche: Hans Magnus Enzensberger:
Sanftes Monster Brüssel oder Die Entmündigung Europas
Vorgestellt von Burkhard Müller-Ullrich


… Ein "sanftes Monster" nennt Hans Magnus Enzensberger die europäische Zentralverwaltung. Das ist die eine Seite.

Die andere lautet so:

"Der Prozess der europäischen Einigung hat unseren Alltag zum Besseren verändert. Ökonomisch war er lange Zeit derart erfolgreich, dass bis heute alle möglichen und unmöglichen Beitrittskandidaten an seinen Pforten um Einlaß bitten. Ferner muss man es unseren Brüsseler Beschützern danken, dass sie nicht selten wacker vorgegangen sind gegen Kartelle, Oligopole, protektionistische Tricksereien und unerlaubte Subventionen." …

Nach diesem Muster verfährt die Bundesregierung genauso wie die Weltgesundheitsorganisation. Allerdings hat sich auf der europäischen Ebene ein ganz besonderer Machtkomplex herausgebildet: eine Bürokratie, die all das ausagiert, wovon nationale Bürokratien oft nur träumen können, weil sie praktisch niemandem Rechenschaft schuldet.

"Für jede machtbewußte Exekutive ist die Passivität der Bürger ein paradiesischer Zustand. Auch die beteiligten nationalen Regierungen haben daran wenig auszusetzen. Zu Hause behaupten sie achselzuckend, gegen die Brüsseler Beschlüsse hätten sie sich leider nicht durchsetzen können. Umgekehrt kann sich die Kommission darauf berufen, dass sie nur den Absichten der Mitgliedstaaten folgt. Auf diese Weise ist am Ende niemand mehr für die Ergebnisse haftbar zu machen." ...

"Wenig spricht bisher dafür, dass die Europäer dazu neigen, sich gegen ihre politische Enteignung zur Wehr zu setzen. Zwar fehlt es nicht an Äußerungen des Unmuts, an stiller oder offener Sabotage, aber insgesamt führt das berühmte demokratische Defizit bisher nicht zum Aufstand, sondern eher zu Teilnahmslosigkeit und Zynismus, zur Verachtung der politischen Klasse oder - zur kollektiven Depression."

Man spürt diese Depression bei jeder sogenannten Europawahl: nicht nur, weil 88 Zentimeter lange Wahlzettel mit 31 Parteien von vornherein wie eine Persiflage auf den hehren Vorgang einer demokratischen Abstimmung wirken, und auch nicht nur, weil das politische Personal zum größten Teil aus der dritten oder vierten Garnitur stammt: eine ziemlich suspekte Mischung aus Zombies und Paradiesvögeln, aus Bürokraten und Pornostars, aus denen, die aus der Landespolitik herausfallen, und jenen, die dort erst gar nicht hineinkommen würden. …

Es ist in jedem Land dasselbe Spiel, mit ganz wenigen Ausnahmen, die allerdings bezeichnend sind. Gerade die beiden ältesten Demokratien unseres Kontinents: die Schweiz und Großbritannien zögern, sich der Utopie vom neuen Reich zu unterwerfen. Und ausgerechnet die Schweiz, dieser ureuropäische Kleinstaat, der die ureuropäische Kleinstaaterei in einem nochmals verkleinerten Maßstab abbildet, ausgerechnet dieses kulturelle Herz Europas, wo Mentalität und Sprache schon nach ein paar Dutzend Kilometern wechseln, liegt jetzt aus der Brüsseler Zentralperspektive außerhalb Europas, weil die Schweizer ihre bewährten Formen von Volkssouveränität niemals einer unkontrollierbaren, persönlich nicht belangbaren Kamarilla opfern werden.

Diese Haftungslücke zwischen der nationalen und der supranationalen Ebene ist übrigens nichts Neues. Man spricht seit 30 Jahren vom demokratischen Defizit dieser europäischen Konstruktion. ….

Fehlt bloß noch die Kultur. Sie spielt bis jetzt tatsächlich eine marginale Rolle. Der Kulturetat der Europäischen Union beträgt ungefähr die Hälfte dessen, was die Stadt Köln für die Kultur veranschlagt…

Es gibt freilich ein Modell für solche kulturelle Gängelung, das die meisten schon fast vergessen haben [!?], obwohl dieses Buch implizit darauf verweist, nämlich die Rechtschreibreform. Hans Magnus Enzensberger hat sich gegen diesen totalitären Gestus des Staates, der einem Dichter befiehlt, hier und dort auf das scharfe ß zu verzichten, stets verwahrt. Und so ist dieses Buch, obwohl sich der Suhrkamp Verlag sonst der sogenannten Neuen Rechtschreibung beugt, auf Verlangen des Verfassers in der alten gehalten.

(Anmerkung der Onlineredaktion: Wir arbeiten mit der neuen deutschen Rechtschreibung, belassen aber selbstverständlich in Buchzitaten die originäre Schreibweise)

Hans Magnus Enzensberger: "Sanftes Monster Brüssel oder Die Entmündigung Europas," Edition Suhrkamp 2011, 74 S., 7 Euro

Deutschlandfunk 10.04.2011

Dank der Rechtschreibreform und der durch sie verbreiteten Unsicherheit weiß man nun wieder nicht, wie der Enzensbergersche Text wirklich gedruckt ist.

Nachtrag:
Rominte van Thiel hat sich das Buch angeschaut und Klarheit in die Konfusion gebracht (Original bei FDS
sprachforschung.org 28.04.2011):

Das Enzensbergersche Buch ist wirklich in völlig normaler Orthographie verfaßt und nicht nur, was die ss-Schreibung anbetrifft, auf "alt" getrimmt. Wäre es anders, hätte es mich erstens gewundert und zweitens sehr enttäuscht, da man ja weiß, daß Enzensberger Reformgegner war. Nun konnte ich feststellen, daß er es immer noch ist. ("Heraus mit der Sprache" von "A. Thalmayr" ist ja auch "normal" geschrieben.) Was den Text im Deutschlandfunk betrifft, auf den auch YN im "Tagebuch" hingewiesen hat, so kann ich nur vermuten, daß da ein übereifriger Volontär oder Anlernling zum Schluß nicht mehr zwischen Zitat und Text unterscheiden konnte. Interessant ist bei der ganzen Sache, daß Burkhard Müller-Ulrich selbst ebenfalls kein Reformschreiber ist, wie z. B. auf achgut.de zu sehen. Deshalb wohl auch sein Hinweis auf die Staatseinmischung in die Sprache am Ende seines Beitrags.

Burkhard Müller-Ullrich


eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.01.2011 um 09.27

Buchstabenkrieg und kein Ende

Wie ein paar Wörter staatliche Sprachwächter in Atem halten +++ Was Kanaldeckel mit Kultur zu tun haben +++ Warum der Journalismus in Deutschland bedroht ist


Als im Deutschland der 1990er Jahre die Rechtschreibung reformiert wurde, gab es große öffentliche Erregung und erbitterte Kämpfe um ein paar Buchstaben. Später folgte die Reform der Reform der Reform, bis es irgendwann im neuen Jahrtausend still wurde um die leidige Angelegenheit. Aber wer glaubt, die Sache wäre damit ausgestanden, der irrt. Denn noch immer hält die Diskussion um eine Handvoll Wörter die Hüter des staatlichen Schreibwesens in Atem.
10.01.2011 mediacenter.dw-world.de

Günther Birkenstock kommentiert ironisch das bekannte erbärmliche Arbeitsergebnis des Rates für deutsche Rechtschreibung. Er unterschlägt allerdings, wie üblich, daß laut Gerichtsurteil außerhalb der Schulen niemand gehalten ist, die neue Rechtschreibung zu verwenden. Und er schließt, wohl um seine weitere Beschäftigung am Sender zu sichern, mit den Worten:

„Die schmerzhafteste Frage, die man heute stellen kann, ist die, ob eine staatlich diktiertierte Reform der Rechtschreibung denn überhaupt notwendig war. Nur – das läßt sich heute noch nicht beantworten.“

Diese Frage ist bereits eindeutig beanwortet: Von den unabhängigen Schriftstellern, vom abstimmenden Volk, von den über hundert Jahren lesefreundlicher Rechtschreibung – und durch das seit der Reform entstandene Schreibchaos, durch das Ausbleiben der „Erleichterungen“ und die sich weiter vermehrenden Milliarden-Schäden für die Kultur und Volkswirtschaft.


Nachtrag: Jetzt fand Google-News den Text – mit kleinen Abweichungen zum gesprochenen Wort:

Rechtschreibung: Reform ohne "Scharm"

[Bild: Maffia, Scharm, Maläse Mafia, Charme, Malaise]

Es war ein Entschluss, der einen Eklat auslöste. 1996 wurde die deutsche Rechtschreibung reformiert – einfacher sollte sie sein, doch erst mal wurde es richtig kompliziert. Jetzt gibt es erneut Änderungsvorschläge.

"Mafia" soll man demnächst nicht mehr mit zwei f als "Maffia" schreiben können und "Scharm" nicht mehr wie "Schwarm" ohne h, sondern wie es die Franzosen zeigen: Charme. So kennen es die Deutschen und so schreiben sie es auch schon ewig und drei Tage und deshalb ist eine andere Variante zur Auswahl unnötig. Das hat jetzt der Rat für deutsche Rechtschreibung erkannt und empfiehlt, diese zwei Varianten und 14 weitere zu streichen.
Dafür sollen vier neue aufgenommen werden: Caprice, Clementine, Crème und Schmand - der bisher als "Schmant" vorgeschrieben war. Auch diese Wörter werden schon lange von den meisten so geschrieben, wie sie die Sprachwächter jetzt als Variante erlauben und verankern wollen. Die Zwangseindeutschungen aufzuheben ist eine vernünftige Entscheidung, auch wenn man sich fragt, wie man überhaupt auf die Idee kam, das vorher anders haben zu wollen.

Lange Erkenntniswege

[Bild:] Für viele Schulkinder war die Reform verwirrend

Das eigentlich kritikwürdige Detail liegt aber anderswo. Denn für die jetzt veröffentlichten Erkenntnisse haben die rund 40 Ratsmitglieder unter Leitung des ehemaligen Kultusministers von Bayern, Hans Zehetmair, vier Jahre lang geforscht und gearbeitet. Das ist ein bisschen so, als wenn man für die Abitursklausur zwölf Monate nachdenkt, um sie anschließend in zwei Stunden aufzuschreiben.
Für das Ergebnis des jetzigen Berichts haben die Mitglieder zudem einiges an Strecke zurückgelegt. Sie sind zu zehn Tagungen in acht verschiedene Orte in sechs Länder Europas gereist: nach Deutschland, ins deutschsprachige Ostbelgien, in die Schweiz, nach Österreich, Südtirol und Liechtenstein. So richtig viel Lust scheinen einige der Ratsmitglieder allerdings nicht gehabt zu haben, so dass nur ein Durchschnittswert von 6,6 Sitzungen pro Person herauskam. Das hat die Arbeit natürlich nochmals erschwert, vieles musste jedes Mal neu diskutiert werden.

Magere Ausbeute

So wundert es einen im Grund nicht, wenn die Forschungsgruppe "Deutsche Sprache" in Karlsruhe den neuen Bericht als "läppisch" bezeichnet. Die eigentliche Malaise – die Variante "Maläse" will man übrigens jetzt auch streichen – liegt aber darin, dass die heißen Eisen der Rechtschreibreform schön im Feuer liegen gelassen wurden. Das wäre zum Beispiel die viel kritisierte, seit 2004 neu geregelte Groß- und Kleinschreibung sowie die umstrittene Getrennt- und Zusammenschreibung.

Viele beschworen den Kulturverfall

[Bild:] Zeitungen und Verlage waren lange gegen die Reform]

Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen. Im Herbst 2004 hatte die Ständige Konferenz der Kultusminister den "Rat für deutsche Rechtschreibung" ins Leben gerufen und damit die alte Rechtschreibkommission abgeschafft. Statt zwölf zerbrachen sich nun knapp vierzig Menschen den Kopf, was wie zu verbessern sei. Bis dahin hatte es eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über Sinn und Unsinn der Reform gegeben. Ein Kulturverfall wurde beschworen, eine entstellende Verschlichtung der Sprache prognostiziert. Im Jahr 2000 verkündete die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, viele Verlage schlossen sich an.
Der neue Rat für Rechtschreibung sollte die Karre aus dem Dreck ziehen und erfüllte seine Aufgabe in Form einer Überarbeitung, die im Sommer 2006 für gültig erklärt wurde. Dem Hin und Her wurde ein Ende gesetzt, was seitdem vorgeschrieben ist, gilt bis heute. Die Diskussion um die Rechtschreibreform verlor an Hitze und öffentlichem Interesse. Substantielle Anregungen zur Änderung gab es nicht mehr – genau das war politisch so gewollt. Der Rat war von nun an angewiesen, den Sprachwandel zu beobachten und nicht mehr am Regelwerk herumzufummeln. Daher wohl auch das nun hochgradig unspannende Ergebnis seines zweiten Berichtes. Inzwischen schreibt übrigens auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung "aufwändig" und "Stängel" mit "ä" statt mit "e " wie dereinst. Und auch über die "Gämse" mit "ä" regt sich keiner mehr auf.

Hinterher ist man immer klüger

[Bild: Buchstabensuppe] Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Die neue Rechtschreibung schmeckt nicht allen, aber man gewöhnt sich daran ...

Was die Reform gebracht hat, lässt sich derzeit kaum bestimmen. Das liegt nicht nur daran, dass immer noch allgemeine Verwirrung bei Lehrern und Schülern herrscht und die Regelverstöße eher zu- als abgenommen haben. Es liegt schlicht an der Tatsache, dass Reformen, gute wie schlechte, Zeit brauchen, um beurteilt werden zu können. Die schmerzhafteste Frage, die man heute stellen kann, ist die, ob eine staatlich diktierte Reform der Rechtschreibung denn überhaupt notwendig war. Doch auch das lässt sich heute noch nicht beantworten.

Autor: Günther Birkenstock
Redaktion: Petra Lambeck

http://www.dw-world.de/dw/article/0,,6394428,00.html

Günther Birkenstock ist entgangen (und der „beobachtende“ Rechtschreibrat unterschlägt es), daß die FAZ bei einigen Wörtern die neuen Banausenschreibungen verweigert:

behende, einbleuen, verbleuen, greulich, Greuel, leid tun, numerieren, plazieren, rauh, Quentchen, schneuzen, Stengel, Tolpatsch.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.01.2011 um 06.30

Kai Diekmann über zehn Jahre als "Bild"-Chef
Von Michael Meyer

[…]
Die Zeit, als es um die Jahrtausendwende auch für Intellektuelle schick war, die Bild zu lesen, sei jedenfalls lange vorbei, meint [taz-Medienredakteur Steffen] Grimberg:

"Bild hat unglaublich von einem gewissen Zeitgeist profitiert, der auch etwas mit der Berliner Republik, die 'Meute' raunte es über die Journalisten, ganz kollektiv, zusammenhing. Das heißt, dort war dann im Zeitgeist dieser Berliner Republik wo ja auch so ein gewisser 'Anything goes'- von Politik und Unterhaltung. Da war die BILD sicherlich so etwas wie ein Leitmedium, man sah an vielen Blättern, dass sich da aneinander abgearbeitet wurde, man versuchte sich in so einem nicht ganz ernst nehmen des Politikbetriebs … bis hin nachher zu dieser relativ merkwürdigen Koalition, gemeinsame Politik zu machen, ich erinnere nur an diesen rührenden Versuch, die Rechtschreibreform zu kippen, was ja ein großer Schulterschluss von Springer, Spiegel bis hin zur FAZ dann war, was am Ende natürlich nichts genützt hat."

Deutschlandradio Kultur 1.1.2011

… weil Elfriede Springer sich wegen anderer Vorhaben (und beim Merkel-Kaffeekränzchen) „anpassbar“ zeigen wollte, weil die Linkspresse mit Springer nicht „ins Bett gehen“ wollte, weil Stefan Aust seine Macht beim Spiegel überschätzt hatte, weil Focus den Spiegel durch besondere Staatsgefälligkeit ausstechen wollte … kurz: weil die Vernunft anderer Interessen wegen zurückgesetzt wurde und das Volk und die deutsche Kultur dabei nicht achtenswert ist. Damals wurde der Versuch aber nicht als „rührend“ dargestellt, sondern als gemeingefährliche Machtprobe.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.10.2010 um 12.47

Deutsch: keine Weltsprache - aber wieder "in"

Eine Weltsprache ist Deutsch längst nicht mehr. Dennoch: Vor allem in Osteuropa avanciert Deutsch zur beliebtesten Fremdsprache, so Klaus Reichert, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, im Interview.


DW-WORLD.DE: Herr Reichert, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung debattiert derzeit über die Bedeutung der deutschen Sprache. Um welche Themen geht es genau?

Klaus Reichert: Wir haben zum Beispiel zwei Autoren eingeladen, die zwei Bücher über die deutsche Sprache vorgelegt haben, zum einem Günther Grass, der ein Buch geschrieben hat mit dem Titel "Grimms Wörter" mit dem Untertitel "Eine Liebeserklärung". Es ist eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache, an die Brüder Grimm und insbesondere an ihr deutsches Wörterbuch. Der andere Autor ist Thomas Steinfeld, der Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung. Er hat das Buch "Der Sprachverführer" mit dem Untertitel "Die deutsche Sprache – was sie ist, was sie kann" verfasst.

Beide Autoren treibt um, dass die deutsche Sprache ins Gerede gekommen ist: Man würde kein gutes Deutsch beherrschen. … Wir wollen jetzt mal den Spieß umdrehen und von dem Reichtum und der Schönheit der deutschen Sprache sprechen.

Also geht es beim Stichwort "Gutes Deutsch" nicht unbedingt nur um korrekte Schreibweise oder Aussprache?

Nein. Die sogenannte "Rechtschreibreform" ist ja jetzt vom Tisch und einige der unsinnigsten Entscheidungen dort sind mit Hilfe unserer Sprachwissenschaftler von der Deutschen Akademie ohnehin schon korrigiert worden. Aber das ist jetzt kein Thema, das kann man im Grunde auch nicht mehr hören.

Sie tagen sowohl einmal in Deutschland wie jetzt in Darmstadt als auch einmal im Ausland, das war in diesem Jahr Istanbul. Welches Feedback erhalten Sie im Ausland über die Bedeutung der deutschen Sprache im internationalen Vergleich?

Wir haben festgestellt, dass das Interesse an der deutschen Sprache im Allgemeinen, an der deutschen Gegenwartsliteratur im Besonderen, außerordentlich groß ist. … Die Goethe-Institute sind oft überlaufen, zwar in erster Linie wegen des Spracherwerbs, aber auch das Interesse an deutscher Literatur ist sehr groß. Wir kommen immer zurück mit einem Bündel Adressen von Leuten, die regelmäßig informiert werden möchten über das Deutsche.

Ist Deutsch nur eine wichtige Kultursprache oder ist Deutsch auch eine Weltsprache? Was meinen Sie?

Deutsch ist nicht mehr eine Weltsprache, wie sie es im 19. Jahrhundert noch war; damals war Deutsch die wichtigste Wissenschaftssprache. Wir beobachten aber, gerade durch unsere Tagungen im Ausland, dass das Deutsche doch immer mehr an Boden gewinnt und dass es zum Teil von unseren Politikern klein geredet wird, es sei nicht mehr so wichtig…

Es ist ja auch ein interessantes Phänomen, dass von den 20 Autoren, die auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis standen, neun einen anderssprachigen Hintergrund hatten, also fast die Hälfte, und Melinda Nadj Abonji, eine serbische Ungarin, die in der Schweiz lebt, den Buchpreis bekommen hat. Das sind Phänomene, die uns zeigen: Hier tut sich sehr viel und ich glaube sogar, wenn man das als Prognose wagen darf, dass sich langfristig das Deutsche dadurch auch verändern wird, denn diese Autoren bringen natürlich eine andere Sprachkompetenz mit in das Deutsche hinein.

Interview: Klaus Gehrke
Redaktion: Manfred Götzke
Deutsche Welle 21.10.2010

Nachtrag: Th. Ickler erinnert an etwas:

Die Rechtschreibreform ist für Herrn Reichert mit einer peinlichen Erinnerung verbunden (sein schulmeisterliches Auftreten gegenüber Mitgliedern wie Wulf Kirsten), darum will er nicht mehr daran erinnert werden. Anderen geht es ähnlich.

Sprachforschung.org 26.10.2010


eingetragen von Sigmar Salzburg am 12.09.2010 um 20.49

Wo findet man Hilfe bei Rechtschreibproblemen?
...
Rechtschreibreform, Anglizismen, Kommasetzung - nicht nur Schüler haben so ihre Probleme mit der deutschen Sprache. Erste Hilfe bietet da oft das Internet. Wer es seriöser und besser erklärt haben möchte, wählt die Nummer des "Sprachtelefons" der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen.

Montags bis freitags von zehn bis zwölf Uhr sitzt Frank Schilden am Sprachtelefon des Lehr- und Forschungsgebietes Germanistische Sprachwissenschaft der RWTH Aachen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter hilft bei Problemen mit Rechtschreibung, Grammatik, aber auch den Stilfragen der deutschen Sprache. Zwei bis zehn Anrufe kommen täglich bei der Nummer 0241 80-96074 an.

Meist kann ihnen Frank Schilden sehr schnell helfen, die meisten Fragen sind für den 25-Jährigen inzwischen Routine. Manche Schwierigkeiten hat er bemerkt, haben aber in letzter Zeit zugenommen.

"Zum einen ist Kommasetzung ein großes Problem und es tendiert immer mehr dahin, dass die Menschen Angst haben, tatsächlich falsche Kommas zu setzen..."

Oder aber ob man Verben wie liegen lassen zusammen oder getrennt schreibt, was immer auf den Zusammenhang im Satz ankommt. Oder die Groß- und Kleinschreibung.
Und wie ist das eigentlich mit der neuen Rechtschreibung? Die bringt auch heute noch so manchen Schreiber ganz schön Durcheinander, hat der Sprachwissenschaftler Professor Thomas Nier bemerkt.

"Man kann sicherlich feststellen, dass die Rechtschreibreform insgesamt zu Verunsicherung geführt hat und von daher gibt es auch da natürlich viele Nachfragen. Viele Anrufer haben einfach noch nicht erkannt, dass die Rechtschreibreform ja auch neue Freiheiten uns lässt."

Viele der Anrufer beim Aachener Sprachtelefon hätten gern DIE eine richtige Lösung bei einem Rechtschreibproblem. Die gibt es aber manchmal einfach nicht.

"Es gibt zum Beispiel die Frage[,] wie ist es mit der neuen Schreibung eines Wortes wie behände beispielsweise, da gab es ja mal die Regelung, dass man das jetzt mit ä zu schreiben hat, wenn sie aber im aktuellen Duden nachsehen, sehen sie, sie haben jetzt auch wieder die Freiheit, das auch mit e zu schreiben [wirklich?]. Und da kann man jetzt nicht sagen, das ist die richtige Lösung und alles andere ist falsch."

Das macht aber viele Menschen, die etwas Wichtiges verfassen müssen, nicht gerade sicherer im Umgang mit der deutschen Sprache...

Deutschlandfunk 11.9.2010

Nachtrag zu „behende“: Wenn das als zulässig interpretiert wird, ist das sicher lobenswert. Aber mit dem 25. Duden ist keine Änderung eingetreten. Weiterhin steht dort diskriminierend „alte Schreibung für behände“, und das heißt: Verbot für Schüler, Staatsdiener und sonstige zur Anpassung Gezwungene. Ähnliches gilt für „Quentchen“ – ein Kulturskandal.

– geändert durch Sigmar Salzburg am 14.09.2010, 10.25 –


eingetragen von Sigmar Salzburg am 25.07.2010 um 12.10

Die Erben der "Fackel"

Über den derzeitigen Aufschwung von Sprachkritik und Sprachgeschichte in Deutschland

Essay von Rolf Schneider


Was Karl Kraus noch im Alleingang besorgte, erledigen heute Journalisten, Professoren und Vortragsreisende: Das öffentliche Reden über die Irrungen und Wirrungen der deutschen Sprache hat Hochkonjunktur.

Erinnert man sich noch der öffentlichen Auseinandersetzungen um die deutsche Rechtschreibreform? Sie galt vielen als Attacke auf die deutsche Sprache, wiewohl sie mit Sprache nur insofern zu tun hatte, als sie deren Schriftform betraf. Spätestens seither aber vermögen Sprache, Sprachprobleme und Sprachverirrungen auch außerhalb der allenthalben bestehenden Sprachvereine ein Publikum zu bewegen, und so haben, was vor einem Halbjahrhundert noch undenkbar schien und einzig der Zeitschrift "Die Fackel" von Karl Kraus vorbehalten blieb, unsere Medien sich zu mehr oder weniger regelmäßig publizierten Sprachbetrachtungen entschlossen. Außerdem erscheinen Bücher. Darin werden Grammatik und Satzbau behandelt, Stil, Schreibweise und Wortgeschichte. Die Autoren verschmähen nicht wissenschaftliche Anleihen, wollen aber vornehmlich populär sein, zum höheren Nutzen eines erweiterten Sprachbewusstseins.

Da gibt es Bastian Sick. Er brachte es zu förmlichem Bestsellerruhm. Seine Vorträge finden Zuhörer, die ganze Theater und Arenen füllen. Er macht aufmerksam auf Fehler und Irrtümer, stellt falsch und richtig nebeneinander und tut das gelegentlich unterhaltsam. Sein begeistertes Publikum bestätigt ihm, dass es heimlich nach einem gestrengen Schulmeister hungert.

Dann gibt es Wolf Schneider. Von dessen insgesamt 29 Büchern wurde das erste, das sich der Sprache widmet, für angehende Publizisten verfertigt. Die beiden anderen heißen "Wörter machen Leute" und "Deutsch für Kenner". Sie wettern gegen Fehler, Jargon, Tautologien und Modefloskeln, sie tun dies schneidig und unter Verwendung von Metaphern, die manchmal ihrerseits nur schwer verdaulich sind, "Mumienwörter" etwa oder "betrunkene Marionetten".

Judith Macheiner hat mit ihrem "Grammatischen Varieté" einen Dauerseller verfasst. Die Hochschullehrerin im Fach Anglistik formuliert vorsichtig, auch wissenschaftsnahe, was gelegentlich dröge wirken mag oder ein schwer verständliches Fachwelsch erzeugt. Die Tücken von Kasus und Wortstellung, von Konjunktiv und Parenthese, Qual jedes schulischen Deutschunterrichts, sind bei ihr ausführlich und zumeist einsichtig dargetan.

Zwischen Schneider und Macheiner steht Dieter E. Zimmer, mit Titeln wie "Deutsch und anders" und "So kommt der Mensch zur Sprache". Er ist der beste Schreiber unter den bisher genannten und der sensibelste Deuter obendrein. Er will weniger dekretieren als erklären. Er möchte schildern, was Sprache eigentlich ist, was sie vermag, woher sie kommt, welchen Versuchungen, Neigungen, Unarten und Kühnheiten sie folgt.

Die vier Autoren haben gemeinsam, dass sie fast durchweg von Sprache reden, aber hauptsächlich Stilistik meinen. Ihr Ziel ist das vorbildliche Deutsch, demonstrierbar an bewährten Mustern deutscher Dichtung. Dort ist Prosa nicht nur korrekt, sie ist vor allem anmutig und schön, womit sie sich der normierenden Regelhaftigkeit entzieht und jenen ästhetischen Kriterien stellt, die einem ständig wechselnden Geschmack unterliegen.

Die jüngste Buchpublikation zum Thema stammt von Karl-Heinz Göttert. Der Germanistik-Emeritus behandelt die Entwicklung unserer Sprache, beginnend beim Althochdeutschen und endend mit der Gegenwart. Götterts Hauptverdienst ist es, dem verbreiteten Alarmismus wegen vorgeblicher Überfremdung des Deutschen entgegenzutreten. Importe, sagte er richtig, gibt es in lebendigen Sprachen seit jeher und so auch bei uns. Sie gehören einfach zu deren Stoffwechsel.

Dann existieren noch Untersuchungen zu einzelnen Jargons: betreffend Junge-Leute- Floskeln, die kein Erwachsener versteht und die in speziellen Diktionarien erklärt werden müssen. Ähnliches gilt für Spracheigentümlichkeiten der untergegangenen DDR. Ähnliches gilt für Kanaksprach, den Argot türkischstämmiger Immigranten.

Der in Polen gebürtige Kritiker Marcel Reich-Ranicki pflegt auf Befragen mitzuteilen, seine eigentliche Heimat sei die deutsche Sprache. 1998 beschloss der Bundestag: "Die Sprache gehört dem Volk." [Das war vor allem gegen den Politbürokratenangriff auf die Rechtschreibung gerichtet!] Könnte man nicht auch umgekehrt formulieren? Unbestreitbar jedenfalls, dass jenes plötzliche Masseninteresse samt damit verbundenen Sensibilitäten in den Dunstkreis dessen gehört, was manche Politiker als Nationalstolz beschwören. Hier nämlich ist er. Seine Substanz ist die Sprache. Mehr braucht er nicht.

dradio.de 25.7.2010

Ein recht staatsgefälliger Artikel. Zu Ex-Kultusminister Zehetmairs ähnlicher Freude über das infolge „Rechtschreibreform“ zugenommene Interesse an der deutschen Sprache hat der FAZ-Leser Dr. Gerhard Eber in der F.A.Z. v. 6.8.2003 sehr treffend geschrieben:

Die Freude darüber, daß die Rechtschreibreform zu einer intensiveren Beschäftigung mit der deutschen Sprache geführt habe, gleicht der Freude eines Museumswärters darüber, daß ein Verrückter Salzsäure über ein Rubens-Bild geschüttet hat, weil man sich nun doch immerhin intensiver mit Rubens beschäftige.

(Tatsächlich wurde das Rubens-Bild „Höllensturz der Verdammten" 1959 in der Münchener Pinakothek von einem Psychopathen übel zugerichtet. Ich habe es kurz vorher noch unbeschädigt betrachten können.)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 25.01.2010 um 19.46

Weltverständnis auf Deutsch

Deutsche Wissenschaftler sollten auf Deutsch schreiben. Sie riskieren sonst Verfälschungen und verzichten auf den formalen und lexikalischen Reichtum des Deutschen, sagt der Literaturwissenschaftler Klaus Reichert.

[Ausschnitte:]

 Es ist schon lange davon die Rede, dass die Wichtigkeit des Deutschen – in Europa, in der Welt – schwindet. Germanistische Institute im Ausland werden zusammengekürzt oder ganz aufgegeben. Deutsche Unternehmen, Banken, Anwaltskanzleien haben auf Grund ihrer internationalen Verflechtungen auf Englisch als Sprache des täglichen Verkehrs umgeschaltet. Nicht nur Natur-, auch viele Geisteswissenschaftler halten ihre Kongresse auf Englisch ab und publizieren in dieser Sprache, um, wie sie sich einreden, ein größeres Publikum erreichen zu können. An manchen deutschen Schulen werden bestimmte Fächer (Physik, Biologie) sogar nur auf Englisch angeboten, an den Universitäten sowieso. Es ist zu hören, dass dies ein fortschreitender, unumkehrbarer Prozess sei. ...

Jede Sprache hat ihre eigenen Denkformen

Auch wenn die Forschungsergebnisse in den Naturwissenschaften heute vorwiegend auf Englisch veröffentlicht werden, ist es doch etwas ganz anderes, wenn der Naturwissenschaftsunterricht an deutschen Schulen auf Englisch stattfindet. Denn diese Fächer sind zunächst einmal historische Fächer, das heißt sie führen ein in die Entstehung eines bestimmten Weltverständnisses mit seinen Brüchen und Umbrüchen, sie führen ein in die Voraussetzungen und Bedingungen wissenschaftlichen Denkens und seiner Darstellbarkeit. Auch hier werden also Kulturtechniken vermittelt. Dafür hat sich im Deutschen seit dem 18. Jahrhundert eine Sprache entwickelt, die auch noch die Sprache Einsteins, Plancks und Heisenbergs gewesen ist. Diese Sprache und das in ihr zum Ausdruck kommende Weltverständnis zu opfern, bedeutet ein leichtfertiges Verspielen gewachsener Traditionen. ...

Noch fataler ist es, wenn deutsche Geisteswissenschaftler (Philosophen, Literaturwissenschaftler) glauben, die Sprache wechseln zu sollen. Jede Sprache hat ihre eigenen Denkformen und -stile entwickelt – was in einer Sprache denkbar und sagbar ist, ist es nicht in einer anderen, oder nur mit erheblichen Verlusten und Verfälschungen. ...
Es ist wichtig, hierfür ein Bewusstsein zu schaffen: dass die deutschen Forscher in der Regel kein Englisch schreiben können. ...
Gleichzeitig sollten deutsche Forscher sich durchaus stolz und offensiv auf den formalen und lexikalischen Reichtum ihrer Sprache besinnen und sich sagen: Wer des Deutschen unkundig ist, dem entgeht ein Kultur- und Denkraum, ohne den die Philosophie Frankreichs, Italiens, Spaniens, Englands, Amerikas beider Hemisphären sich nie so entwickelt hätte, wie sie es tat. Man sage nicht, das seien tempi passati, und der hier schreibe, verkenne die Zeichen der Zeit, Entwicklung lasse sich eben nicht aufhalten. Solches Meinen entstammt vermutlich Erfahrungen mit der Ministerialbürokratie: Ein Dampfer, ist er erst einmal auf Kurs gebracht, lässt sich nicht stoppen (siehe die Rechtschreib'reform' unseligen Angedenkens).
Entwicklungen, wenn sie einem vorauseilenden Gehorsam entstammen, lassen sich aufhalten. Dafür haben wir uns erst einmal klarzumachen, was alles verloren geht, wenn wir das Deutsche verspielen. Außerdem würde das 'Rest-Deutsche' verkümmern, wenn die Sprache nicht länger 'ausgebaut' wird, wie die Sprachwissenschaftler sagen, das heißt wenn ihr die Zufuhr neuer Wörter und Wendungen aus den Wissenschaften (auch aus der Ökonomie, der Technik, aus der Sprache des Rechts) abhanden käme.

Anglizismen: komisch und knapp oder ärgerlich und dumm

... Das Deutsche, wie jede andere Sprache auch, hat sich immer durch Fremdeinflüsse erweitert, verändert und – bereichert. Sprachen sind im Fluss, sonst versteinern sie oder sterben aus. Natürlich weiß niemand, wohin die Reise geht. Die Anglizismen sind einerseits komisch, witzig, knapp, haben aber mit dem Englischen oft nur den Sound gemein (wie 'Handy', das natürlich kein Engländer versteht), andererseits sind sie ärgerlich, dumm oder bloß gedankenlos ...

[Bild]

Klaus Reichert, geboren 1938 in Fulda, ist emeritierter Professor für Anglistik und Amerikanistik. Er arbeitet als Lyriker und Essayist, außerdem hat er Werke etwa von William Shakespeare, Lewis Carroll und Robert Creeley ins Deutsche übersetzt. Er ist Herausgeber der deutschen Gesamtausgaben von Virginia Woolf und James Joyce. Seit 2002 ist Klaus Reichert Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Seit Herbst 2008 ist er Mitglied des Rundfunkrats der Deutschen Welle.
 
Deutsche Welle 25.01.2010
 


eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.07.2009 um 18.08

Fünf Neue für die deutsche Sprache
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung nimmt fünf neue Mitglieder auf. Sie wacht mit Argus-Augen über die deutsche Sprache und vergibt alljährlich den Georg-Büchner Preis. Doch was macht sie noch?

Sie kommen aus den USA, Polen, Ungarn, Österreich und Deutschland: Die fünf neuen Mitglieder der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Es sind der Berliner Schriftsteller Reinhard Jirgl, die österreichische Übersetzerin Elisabeth Edl, der ungarische Essayist und Literaturhistoriker László F. Földényi sowie die beiden Germanisten David E. Wellbery aus den USA und Leszek Zylinski aus Polen. Bisher hatten sie nur ihre Liebe zur deutschen Sprache gemeinsam, seit neuestem gehören sie zu den 184 Mitgliedern der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Was macht eine Akademie mit einem solch schwerwiegenden Titel? Sie kümmert sich um die deutsche Sprache und Literatur. Ob es der renommierte Georg-Büchner-Preis ist, den die Akademie jährlich vergibt, oder Kleinigkeiten [?] wie diese: Leid tun oder leidtun - zusammen geschrieben, auseinander, groß oder klein?
Die Anarchie in der deutschen Rechtschreibung trieb Klaus Reichert, dem Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, vor ein paar Jahren tiefe Zornesfalten auf die Stirn. Die Rechtschreibreform und den damit einhergehenden Wildwuchs der Schreibweisen schmähte er als Missgeburt. Doch gegen die Macht des Faktischen [d.h. die Geiselnahme von Schulkindern und den Unterwerfungseifer der Medien] kam auch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung nicht an. Die Reform blieb und die Verwirrung bei vielen Deutschen auch.
BSE: Bad Simple English
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung übt trotzdem weiter Kritik und streitet unermüdlich für die Pflege der deutschen Sprache und Literatur. Sie zieht gegen Service Points und Call-Center zu Felde. Wenn auch nur auf sprachlicher Ebene. Denn Anglizismen sind der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ein Gräuel. Da ist von "BSE" - "Bad Simple English" die Rede, das überall auf der Welt die Muttersprachen verdränge. Auch die Wissenschaft nehme dabei Schaden, wenn immer mehr Bürger auf Gebieten wie Gentechnik nichts mehr verstünden. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung - 60 Jahre lang wacht sie mit Argus-Augen über Veränderungen und widrige Einflüsse. […]
Deutsche Welle 16.7.09


eingetragen von Sigmar Salzburg am 20.03.2009 um 18.13

20.03.2009

Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts (Bild: Deutschlandradio / Bettina Straub)

"Deutsche Sprache stärker nutzen"

Goethe-Institutsleiter Lehmann fordert mehr Selbstbewusstsein für die eigene Sprache
Klaus-Dieter Lehmann im Gespräch mit Christoph Heinemann


Der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, hat an die deutschen Europa-Politiker appelliert, die deutsche Sprache in der täglichen Arbeit stärker zu verwenden. Deutsch sei immerhin eine der offiziellen Amtssprachen in der EU-Verwaltung. Das Goethe-Institut gehe mittlerweile selbst mit einem "größeren Selbstverständnis" ins Ausland, um für Deutsch als zweite Fremdsprache zu werben, so Lehmann. […]

Lehmann: … Die deutsche Sprache hat wieder eine Position, die wir deutlich akzentuieren. Wie gesagt, wir gehen ins Ausland jetzt mit einem größeren Selbstverständnis, um die deutsche Sprache wieder attraktiv zu machen, inhaltlich auch zu befördern, nicht als ein Konkurrenzunternehmen zum Englischen - die Lingua Franca brauchen wir sowieso -, aber die zweite Fremdsprache, da sind wir durchaus selbstbewusst in einer Weise, sie wirklich nach vorne zu bringen.

Heinemann: Gestört ist allerdings die Beziehung zur Rechtschreibung, und das spätestens seit der Rechtschreibreform. Viele ältere Menschen schreiben so, wie sie es vor Jahrzehnten in der Schule gelernt haben. Die Jungen lernen die neue Schreibweise heute in den Schulen. Das wäre in unserem Nachbarland vermutlich undenkbar.

Lehmann: Das ist auch wieder ein Punkt, der unterschiedlich ist. Frankreich hat eine Art Regulierungsbehörde für seine Sprache, die Akademie. Man passt genau auf, dass keine Anglizismen in die Sprache wandern, sondern man säubert sie, man übersetzt, man findet Ausdrücke. Die deutsche Sprache hat keine zentrale Regulierungsbehörde und ich bin auch, muss ich ganz offen sagen, sehr froh darüber, weil das das Deutsche letztlich in seiner Vielfältigkeit, auch in seiner Vieldeutigkeit zu einer Sprache gemacht hat, die genau für die Kultur, für die Philosophie, für die Philologie eine deutliche Attraktivität hat. Also wir unterscheiden uns deutlich im Charakter, wie wir mit Sprachen umgehen.

Heinemann: Aber da ist doch die Frage, ob man Schifffahrt jetzt mit zwei oder drei F schreibt, unerheblich, oder?

Lehmann: Die Rechtschreibung ist für meine Begriffe, diese Reform, die da eingeleitet worden ist, eigentlich etwas, was nicht der Tradition der Entwicklung der deutschen Sprache wirklich entsprochen hat. Das war für mich ein Nebenweg - und er ist ja letztlich auch in der Öffentlichkeit so wahrgenommen worden - und im Grunde ist die Reform halbherzig abgeschlossen worden. Man hätte sie gar nicht erst beginnen sollen.

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/937649/


eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.02.2009 um 12.31

Auf dem Rückzug? Deutsch als Muttersprache

Der 21. Februar ist der Internationale Tag der Muttersprache. Wie es um Deutsch als Muttersprache bestellt ist, darüber sprachen wir mit Klaus Reichert, dem Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Jedes Jahr erinnert die Weltkulturorganisation UNESCO mit dem internationalen Tag der Muttersprache an bedrohte Sprachen. Klaus Reichert ist Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt; darüber hinaus arbeitet er als Anglist, Übersetzer und Lyriker.

DW-WORLD.DE: Herr Reichert, was sind Ihre drei Lieblingswörter in Ihrer Muttersprache in Deutsch?

Klaus Reichert: Anmut, Unmut, Schwermut.

So ein Internationaler Tag der Muttersprache lädt immer auch dazu ein, sich Gedanken über den Stand des Deutschen zu machen. Ich frage jetzt ganz bewusst an den Anglisten Reichert: Ist es für Sie ein Problem, an deutschen Bahnhöfen das Schild "Service Point" statt "Auskunft" zu sehen und statt zum "Wiederverwerten" zum "Recyclen" aufgefordert zu werden?

Ich finde es ziemlich blödsinnig, dass man es auf Englisch macht. Wenn man sich ein bisschen in der Geschichte auskennt, dann weiß man, dass die Bahnsprache sich mehrfach umgestellt hat:
Die begann mal deutsch, dann wurde alles französisch, dann wurde alles wieder deutsch, jetzt ist es englisch. Mich regt das nicht weiter auf, das wird sich alles wieder ändern. Das Deutsche hat eine so widerständige Kraft; es wird die Wörter aufnehmen, die es brauchen kann, und es wird die Wörter abstoßen, die es nicht brauchen kann.

Das heißt, die Panik, die von einigen Sprachpflegern in Deutschland verbreitet wird, die teilen Sie nicht?

Nein, die teile ich nicht. Sicherlich ist es ärgerlich, wenn man viele ausländische und besonders englische Wörter dort benutzt, wo es durchaus auch ein schönes deutsches Wort gäbe. Aber auf der anderen Seite kann man auch sagen, dass Sprachen sich ja immer lebendig halten, indem sie sich erneuern durch die Berührung mit anderen Sprachen. Das Deutsche gäbe es nicht ohne das Lateinische, ohne das Französische oder ohne das Englische. Und dann gibt es noch kleinere Einflüsse, die nicht zu unterschätzen sind, wie das Hebräische, das Jiddische, die Zigeunersprache, das Rotwelsch, die alle eingewirkt haben auf das Deutsche. Irgendwann werden wir auch türkische Ausdrücke haben, wie es sie schon in Österreich gibt. Und was uns vielleicht nicht so klar ist: Deutsch ist eine wunderbar konkrete plastische Sprache, um die uns manche große Autoren anderer Sprachen beneiden; Samuel Beckett beispielsweise liebte das Deutsche eben wegen seiner Konkretion. Sein Lieblingswort war "Zwei-fel".

Deutsch hat in der Geschichte als Wissenschaftssprache und als Sprache der Romantik eine große Rolle gespielt; welche Rolle spielt Deutsch Ihrer Meinung nach heute noch als Kultursprache?

Als Kultursprache ist sie unbestritten noch eine der großen Weltsprachen. Die große neuere Philosophie, auf die sich alle anderen Philosophien beziehen, ist nun mal auf Deutsch geschrieben, von Kant und Herder, Hegel und Fichte bis hin zu Benjamin und Heidegger, Adorno, Franz Rosenzweig und so weiter. Und wenn man ein Gespür für Sprachen hat, dann weiß man auch, das funktioniert wirklich nur auf deutsch. Ich kann natürlich nicht verkennen, dass die Wissenschaftssprache aus dem Deutschen ausgewandert ist ins Englische, da gibt es historische Gründe; gleichwohl betone ich immer wieder, wie wichtig es ist, zumindest in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen, weiter deutsch zu schreiben. Und ich glaube sogar, dass wir im Augenblick dabei sind zu beobachten, dass diese Tendenz weg vom Deutschen rückläufig geworden ist.

Wenn man sich anschaut, dass die Verenglischung an deutschen Hochschulen auf dem Vormarsch ist: Ist das nicht der falsche Weg? Muss das unbedingt Englisch sein?

Das muss überhaupt nicht Englisch sein. Ich polemisiere seit langem dagegen, dass man bespielsweise Physik- oder Mathematikunterricht an deutschen Universitäten oder auch Schulen auf englisch macht, denn das Vermitteln des Wissens der Physik an den Schulen ist vor allen Dingen historisches Wissen, und das wiederum verlangt eine Kulturtechnik, das kann man nur auf deutsch unterrichten. Und aus dem Blauen heraus Physikunterricht an deutschen Schulen in gestoppeltem Englisch abzuhalten ist einfach ein Unfug.

Von sprachbewegten Politikern kommt immer wieder der Vorschlag, der Staat müsse sprachschützend auftreten. In anderen Ländern ist das ja auch geschehen, wie beispielsweise in Frankreich; was kann, was soll Politik überhaupt tun?

Die Politik soll um Gottes Willen die Finger von der Sprache lassen. Sie hat es ja auf katastrophale Weise getan im Zusammenhang mit dieser sogenannten "Rechtschreibreform", die eine einzige Zerstörung der Ordnung der Rechtschreibung war, die wir einmal hatten. Kein Land der Welt würde sich trauen, per Regierung einzugreifen in die gewachsene Sprache. Schlimm ist auch, dass man die Absicht hatte, mit dieser Rechtschreibreform das Deutsche so zu versimpeln, dass es anscheinend nicht schwierig ist. Aber das ist der falsche Ansatz; man muss viel verlangen von den Kindern, wenn sie in den Kindergarten und in die Schule kommen, und die werden da schon mitkommen, wenn sie richtig angeleitet, gefordert und gefördert werden. Man darf die Latte nicht auf den Boden legen, man muss sie hoch hängen.

Das Interview führte Ramón Garcia-Ziemsen

Deutsche Welle 20.02.2009
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4043504,00.html


eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.09.2008 um 17.31

FDP-Chef:
"Bürger sind Betrogene, weil sie einem Monopolisten ausgeliefert sind"


[Er meint die Bahn, aber es trifft auch hier zu:]

Wir haben eine Kultusministerkonferenz, die ja eine der mächtigsten Bildungsinstitutionen der Republik ist. Dort wird ja eigentlich alles festgelegt und gemacht und entschieden. Die hat ja die letzten Jahre Deutschland mit der erhebenden Fragen beschäftigt, ob man nach der Rechtschreibreform Schifffahrt mit zwei oder drei "f" schreibt. Eine solche Kultusministerkonferenz, die sich daran abarbeitet, aber die Schicksalsfragen der Kinder vernachlässigt, gehört aufgelöst und ersetzt durch mehr Autonomie der Bildungseinrichtungen.

Deutschlandradio 6.9.2008

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/tacheles/843061/

Und die jüngsten Gerichtsentscheidungen haben für die Vertreter der KMK aus dem Verfassungsgerichtsurteil v. 14.7.1998 sogar jegliche Narrenfreiheit herausgelesen – ein Skandal! .


eingetragen von Norbert Lindenthal am 04.06.2008 um 21.03

Deutschlandradio, 04.06.2008 · 07:20 Uhr

Warum unsere Sprache verschlampt

Von Wolfgang Herles

Die deutsche Sprache verschludere nicht durch Jargon oder Denglisch, sie werde vielmehr von denen vernachlässigt, die Verantwortung für sie trügen, meint Wolfgang Herles, Leiter des ZDF-Kulturmagazins "aspekte". In der ersten Reihe der Politiker - ob Bundespräsident, Kanzlerin oder Oppositionsführer - sei niemand mit Sprachgefühl vertreten.

"Hat Deutsch eine Zukunft?", fragt Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des Goethe-Instituts und des Bundesverfassungsgerichts. Sie belebt mit ihrem kleinen Buch eine große, wenn auch und gewiss nicht neue Debatte. Das ist verdienstvoll. Limbachs politisch überaus korrekte Einerseits-Andererseits-Erörterung reduziert freilich die Problematik auf das Vordringen des Englischen, als ob dies die einzige Bedrohung für das Deutsche sei. Sie wittert "Sprachverrat". Im Übrigen, behauptet Frau Limbach, habe das Deutsche kein Qualitätsproblem. Alles "Verfallsgerede" sei sinnloses Gejammer. Damit aber redet die Autorin schön und lenkt ab von den wahren Feinden unserer Sprache.

Das Englische gehört nicht zu ihnen. Das Deutsche wird auch nicht dadurch zur "Folkloresprache", wie Frau Limbach befürchtet, dass deutsche Wissenschaftler nur noch in Englisch lehren und publizieren.

Der Siegeszug des Englischen als globalem Verständigungsmittel ist nun einmal nicht aufzuhalten. Besser müsste man sagen: Einer Art des Englischen. Davon nimmt übrigens das Hoch-Englisch den größten Schaden. Es wird ihm ergehen wie einst dem Lateinischen, das im Mittelalter verhunzt worden ist. Ohne eine moderne Lingua franca kann auch die Europäische Union auf Dauer nicht zu einer Gesellschaft zusammenwachsen. Das werden am Ende sogar die Franzosen einsehen müssen.

Das Einsickern englischer Wörter und Sprachformen steht auf einem anderen Blatt. Es kann und sollte nicht verboten werden. Sprache entzieht sich staatlicher Reglementierung. Sie ist lebendig, ständig im Fluss, und sie ist frei. Wo sie es nicht ist, sind es auch die Menschen nicht.

Bedeutend größer als die englische Gefahr ist die Geringschätzung, die das Deutsche durch Deutsche selbst erfährt. Unsere Sprache verschlampt. Sie verschludert nicht durch die Jargons der Straße, nicht durch Kanakisch und nicht durch Denglisch. Vernachlässigt wird die Sprache von denen, die Verantwortung für sie tragen, ob sie wollen oder nicht, weil sie Vorbilder sind, im Guten wie im Schlechten.

Besonders grauenhaft ist die Sprache der Politik. Die Kunst der Rede ist verkommen, in den Parlamenten, in den Parteien, in den Talkshows. Vom Bundespräsidenten über die Kanzlerin bis zum Oppositionsführer: Zumindest in der ersten Reihe ist kein Spitzenpolitiker mit Sprachgefühl zu entdecken. (Und offenbar auch kein Ghostwriter.) Von Leidenschaft für Genauigkeit, Anschaulichkeit, Vielfalt, Eleganz, Sprachwitz, Frische keine Spur. Ja, wir müssen uns wehmütig an Helmut Schmidt, Franz Josef Strauß, Herbert Wehner, Richard von Weizsäcker und inzwischen auch an Joschka Fischer erinnern.

Es ist ein schlechter Witz, dass ausgerechnet Politiker glauben wollten, mit einer Rechtschreibreform das Deutsche voranbringen zu können. Sie haben sie versemmelt und ein Chaos in Schülerköpfen angerichtet.

Zugegeben: Ich sitze im Glashaus. Die Sprache der Medien ist kaum ein größerer Genuss als die Sprache der Politik. Die Unkultur der Talkshows führt dazu, dass nur noch unfrisiert dahergeschwafelt und -gequatscht wird. Trotz Akademisierung des Berufsstands ist auch die Sprache des Journalismus nicht besser geworden. Woran das liegt? Längst vorbei sind die Zeiten, in denen in den Rundfunksanstalten professionelle Sprachpfleger und in den Zeitungen Korrektoren beschäftigt worden sind. Selbst in den meisten Buchverlagen sind die Qualitätsstandards für gute Sprache gesunken. Die Verschlampung der Sprache macht auch vor den Kulturproduzenten nicht halt.

Woran das liegt? Es kommt nur noch auf Auflage und Quote an. Schnelligkeit schlägt Schönheit. Der Populismus siegt auch in den Medien. Nicht nur die Boulevardpresse schmeißt sich mit verkommener Sprache dem Publikum an den Hals. Bloß keinen Zuschauer, keinen Leser mit so etwas wie Stil überfordern!

Die Beliebtheit des Sprachkolumnisten Bastian Sick ist mit der Popularität von Fernsehköchen vergleichbar. Sie sind Entertainer. Und selbst die Überdosis von Kochshows hat nicht dazu geführt, dass die Deutschen besser kochen und sich qualitätsbewusster ernähren.

Vergessen wir nicht die Eliten der Wirtschaft. All die Spitzenverdiener! Sie reden, als hätten sie ihre Ausdruckskraft in den Unterrichtsfächern Werken und Technisch Zeichnen erworben. Sie sind gerade noch in der Lage, ihre Power-Point-Präsentationen zu betexten, ob auf Englisch oder Deutsch macht da keinen Unterschied mehr. Nur mitreißend Reden können sie nicht, weil Sprachgefühl offenbar nichts mehr ist, was für eine Karriere zwingend erforderlich scheint. Gutes Deutsch gilt offensichtlich schon an Elitehochschulen als ausgesprochen uncool. Das ist der Kern des Problems.

[Bild]
Wolfgang Herles (Bild: privat)
Wolfgang Herles, Publizist und Journalist, studierte Neuere deutsche Literatur, Geschichte und Psychologie in München. Nach seiner Promotion 1980 und dem Besuch der Deutschen Journalistenschule war er zunächst Korrespondent für den Bayerischen Rundfunk in Bonn und Redakteur des TV-Magazins "Report". Von 1987 an leitete er das ZDF-Studio Bonn und moderierte später auch die ZDF-Talkshow "Live". Er ist jetzt Leiter des ZDF-Kulturmagazins "aspekte".


eingetragen von Detlef Lindenthal am 06.08.2007 um 06.50


Sigmar Salzburg schrieb:
... verdienen in diesem Fall Autor und Sender eher Lob als Kritik.
Zustimmung: Beide verdienen auch Lob.

Nachdenklich: Wenn der DLF nach so vielen Jahren seine innere Gleichschaltung etwas lockert, dann kommt er mir vor wie jemand, der Blumen zum Friedhof trägt und derer gedenkt, die er vorher ermorden geholfen hat.
Der DLF hätte, ebenso wie jeder einzelne KuMi und Ministerpräsident, die Macht gehabt, beim „Reform“spuk die Luft herauszulassen. Jeder von uns weiß, daß sich im Umfeld von Volksentscheid und Rechtschreib-Bewahrung niemand von der gleichgeschalteten Riege der Minister, Lehrer und Zeitungsleute hat blicken lassen.
Und auch Herr Guratzsch veröffentlicht inzwischen mit ss-Schreibung. (Aus Gründen der, nennen wir es mal so, Profilpflege hat er zu große Nähe zum Volk gemieden.)

Viel Verständnis haben wir alle dafür, daß er und Herr Müller-Ullrich vom Schreiben leben müssen. Sie können auch hier bei den Rechtschreibseiten veröffentlichen; Geld gibt es genug, es war ja soviel Geld da, daß der Kassenwart es an manche Spender zurücksenden konnte.
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Sigmar Salzburg am 05.08.2007 um 17.47

Burkhard Müller-Ullrich schreibt auf seiner Homepage:

Mein wundervolles Leben - ein Abriß

[...]
Zweimal war ich als Redakteur festangestellt: Von 1985 bis 1988 beim Schweizer Radio DRS in Zürich und von 1997 bis 2000 beim Deutschlandfunk, wo ich die Redaktion „Kultur heute” leitete. Jetzt arbeite ich für die meisten Kultursendungen der deutschen Rundfunkanstalten und für viele Zeitungen und Zeitschriften.
[...]

http://www.mueller-ullrich.com/

Müller-Ullrich schreibt sozusagen ohne Netz und doppelten Boden. Viele, die von freiberuflicher Mitarbeit leben, wagen solche offenen Worte nicht mehr. Daher verdienen in diesem Fall Autor und Sender eher Lob als Kritik.

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Sigmar Salzburg


eingetragen von Detlef Lindenthal am 04.08.2007 um 18.49

Heute tönt der DLF so, daß mir vor Rührung ganz weich im Gemüt wird bei soviel Bürgernähe, Vernunft und mutiger Mächtigenkritik.

Benimmschwache Köter kläffen heftig, wenn ein Zwinger sie vor Wirksamkeit schützt.
Die vergangenen 11 Jahre kam vom DLF in Sachen Rechtschreibung keinerlei Verteidigung von Demokratie und Vernunft, sondern Häme, Ablenkungen und Lügen, Lügen, Lügen (50 % weniger Fehler usw.).
Neue Medien braucht das Land, dann können deutsche Denker wie Herr Burkhard Müller-Ullrich zeigen, ob sie noch genauso mutig in diesen neuen Medien veröffentlichen wie heute noch im DLF, bei welchem sie wissen, daß nun inzwischen ihre Kommentare genauso wirkungslos verhallen wie jene erwähnte Geräuschentwicklung im Zwinger.
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.08.2007 um 14.01


Eine unendliche Geschichte

Die Rechtschreibreform wurde beschlossen

Von Burkhard Müller-Ullrich


Sie ist mit Sicherheit die meistinkraftgetretene Reform Deutschlands. Jedes Jahr am 1. August wird noch ein bisschen mehr Kraft in sie getreten, und jedes Jahr lernen wir, dass mehr weniger ist und Kleines groß und Getrenntes zusammen sowie alles auch um und um und umgekehrt, denn mit jeder neuen Inkraftsetzung war und ist eine teilweise Außerkrafttretung des vorigen Reformschritts verbunden, weswegen die Verwendung des Wortes "endgültig" in Bezug auf diese ganze Rechtschreibcomedy von besonderer Lachhaftigkeit ist.

Doch in der Tat: Auch diesmal heißt es wieder, die Rechtschreibreform würde nun "endgültig" in Kraft treten, und die Schüler in den Schulen und die Zeitungen und Agenturen hätten nun endlich wieder etwas, woran sie sich zu halten hätten, und sei es im Zweifelsfall die Möglichkeit, zwischen mehreren Varianten auszuwählen. Denn darin besteht das einzige sichere Resultat der sprachlichen Jahrhundertaktion unserer Politiker: Sie haben die Rechtschreibsicherheit im Deutschen faktisch abgeschafft.

Wir übrigen nicht schulisch oder behördlich Deutschschreibenden aber, die wir uns als freie Bürger von diesem linguistischen Kabarett unbetroffen fühlen dürfen, wir beobachten seit einem guten Jahrzehnt, das insofern ein Schlechtes ist, wie der Staat funktioniert, wenn er sich der Kultur bemächtigt: Er regiert und reformiert sie kurz und klein und in Grund und Boden. Da können die renommiertesten Schriftsteller, Wissenschaftler, Dichterakademien und sonstige Experten noch so energisch protestieren; die Ministerialbürokratie zieht durch, was sie sich vorgenommen hat. Allein dies in dieser Brachialität einmal erlebt zu haben, war die Vorstellung doch wert.

Möglich wurde das durch ein Volksnarkotikum namens Kultusministerkonferenz, und wenn es irgendwie mit rechten Dingen zuginge, dann hätte sich bereits vor langer Zeit der Erdboden auftun und eine so nichtsnutzige Organisation verschlingen müssen. Freilich, es ist nicht nur die Organisation als solche, die Kultusminister selbst sind es, die abgeschafft gehören. Wer sich einmal in die Biografien der betreffenden Amtsträger vertieft und ihre kulturellen Kompetenzen kritisch durchprüft, wird unweigerlich von Schwindelgefühlen erfasst, die leicht zu einem Syndrom politischer Gesamtverzweiflung führen können. Das hat der niedersächsische Ministerpräsident Wulff immerhin ganz richtig gesehen, als er vor drei Jahren sagte, die Kultusminister seien nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

Nun hat einer, nämlich der bayerische Hans Zehetmair, öffentlich Abbitte und sogar Buße getan, indem er während der letzten Jahre als Vorsitzender des Rats für Rechtschreibung den behutsamen Rückbau der Rechtschreibreform steuerte. Und eine andere, nämlich die baden-württembergische Annette Schavan, hat gerade in ihrer jetzigen Funktion als Bundesministerin für eine stärkere Normierung des Schulunterrichts in ganz Deutschland plädiert. Dazu gehört schon was - angesichts der endgültig in Kraft getretenen Zerstörung altbewährter Rechtschreibnormen.


DLF 01.08.2007 19.11

http://www.dradio.de/aod/html/?station=1&day=01&month=08&year=2007&page=2

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2007/08/01/dlf_20070801_1911_152d8e04.mp3


eingetragen von Norbert Lindenthal am 30.07.2007 um 20.24

Montag, 30. Juli 2007 15:30 Uhr

Kulturnachrichten

Philologenverband: Rechtschreibreform hat Fehlerquote nicht gesenkt

Die Ergebnisse der überarbeiteten Rechtschreibreform könnte man auch als ernüchternd bezeichnen. Die Fehlerquote sei nicht gesenkt worden, sagte der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger. 95 Prozent würden gar nicht in den Bereichen gemacht, in denen es Änderungen gegeben habe. Hauptfehlerquellen seien dagegen weiter die Groß- und Kleinschreibung sowie die Schreibung von lang und kurz gesprochenen Vokalen. In einigen Bereichen hat die Reform aber offenbar doch etwas gebracht. So soll es mehr Sicherheit bei der so genannten S-Schreibung und bei der Kommata-Setzung geben. Neun Jahre nach ihrer Einführung und diversen Änderungen tritt die Rechtschreibreform am Mittwoch endgültig in Kraft.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 12.02.2007 um 10.24

Das Museum der Woche

Schiffahrtsmuseum Bremerhaven


Von Stefanie Pesch

Das Deutsche Schiffahrtsmuseum Bremerhaven ist ein nationales Forschungsmuseum, das einzige des Landes Bremen. Klein ist es nicht gerade: 8000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, das ist etwa so viel wie ein kleines Einkaufszentrum. Aber die Größe ist nötig, schließlich sind einige Ausstellungsstücke auch ganz stattlich. Ein Schiff passt kaum in eine Vitrine.

Ein langgestreckter Bau, direkt am Weserdeich. Leise leckt das Wasser an den Schiffen im Museumshafen. Ruhe ringsum, nur ein paar Möwen kreischen. Drinnen dagegen: Lärm wie auf einer Schiffswerft. Zumindest hier in der kleinen Halle, in der sie vor Anker liegt. Sie, von der Direktorin Ursula Warnke beinahe ehrfürchtig spricht.

"Die alte Hansekogge aus dem Jahr 1380, gefunden in Bremen, ist unser ältestes Schmuckstück und auch unser Hauptexponat."

Ein monströser Bottich aus dunklem Holz, 23 Meter lang. Der Schiffstorso ist mit Stahlseilen an der Decke befestigt. Drumherum hocken Männer mit Schweißerbrillen und befestigen Metallstützen.

"Da ist gerade einer unserer Auszubildenden dabei, eine Stütze zu schweißen! die Kogge ist durch die Aufhängung etwas aus der Form geraten, und diese Stützen, die passgenau angesetzt werden, werden computergesteuert, millimeterweise, die Kogge wieder in ihre ursprüngliche Form zurückdrücken. Sie müssen sich vorstellen, ein Schiff hat ja normalerweise von außen Druck durch das Wasser und wird so auch zusammengehalten, und durch die Aufhängung war das Ganze nicht mehr gegeben."

Das Prinzip "Zahnspange", manchmal kann eben auch ein Schiff davon profitieren. Das hölzerne Ungetüm soll schließlich noch lange die Blicke der Besucher des Schifffahrtsmuseums auf sich ziehen. […]

Es wird also noch einige Monate andauern, das Klopfen und Hämmern in den Museumsräumen. Wenn dann alles in neuem Glanz erstrahlt, wird nur noch eine Frage bleiben: Schreibt man Schifffahrt nun mit zwei F oder mit dreien? Auch darauf hat Ursula Warnke eine Antwort:

"Es wurde früher, vor der Rechtschreibreform, mit zwei F geschrieben, es wird jetzt mit drei F geschrieben, wir als Schiffahrtsmuseum werden uns allerdings weiterhin mit zwei F schreiben, weil es in unserer Satzung so festgeschrieben ist. Und diese Satzung zu ändern ist ein ganz großer Aufwand, der auch mit Kosten und ganz viel Arbeit verbunden ist. Und so lassen wir es als Eigenname noch, sag ich mal, bestehen."

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/profil/591697/

[„Kostenneutrale“ Reform: Wie viele Schiffahrtsmuseen, Schiffahrtsdirektionen und Schiffahrtsgesellschaften mag es im deutschen Sprachraum geben? Rausgeworfenes Geld für das dritte „f“, das nicht einmal die eifrigste Reformdurchsetzerin einsieht:

Es gibt im neuen Regelwerk auch Rechtschreibung, die schwer nachvollziehbar ist – die dreifachen Konsonanten zum Beispiel.“(Ute Erdsiek-Rave, Bildungsministerin, LN 30.7.99)]

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Sigmar Salzburg


eingetragen von Detlef Lindenthal am 02.01.2007 um 21.36

Zitat:
glasreiniger schrieb:
Zitat:
Langfristig, so der Präsident des Lehrerverbandes, würden sich nur die Regeln zur S-Schreibung als verbindlich durchsetzen.
Damit wird er nicht recht behalten. Die Pseudo-Heyse-Schreibung ist nicht lebensfähig und wird durch die Schweizer Orthographie (kein ß mehr) verdrängt werden.

Das stimmt zwar, diese Möglichkeit liegt auf der Hand.

Andererseits ist jedoch der Bedarf an gutverständlicher Sprache keineswegs beendet, und weil
a. die Wörterverbote völlig unsystematisch waren und inzwischen fast vollständig zurückgenommen wurden,
b. in den Schulen der Kommasetzungsunterricht zwar praktisch verboten wurde, aber alle Zeitungen und Zeitschriften ohne Ausnahme die lesefreundliche bewährte Kommasetzung wollen und auch weitgehend bringen, die Schulen aber keine angehenden Jungredakteure mehr darin ausbildet,
hat die Deutschlehrer-Revolte auf die Dauer einen ganz schweren Stand.

Man könnte vielleicht durch entsprechende Umstellung der Fertigung und der Lehrlinge-Ausbildung dafür sorgen, daß jede dreißigste Autopolsterungsfeder nach oben rausschaut und den Fahrgast in die Sitzfläche piekst, aber man kann nicht garantieren, daß alle Autobauer diese Gütemängel beibehalten.

In der Rechtschreibung hat das bisher jedenfalls nicht geklappt: Mercedes hat 2005 seine Weihnachtswerbung mit „daß“ geschrieben, und auch unsere Zeitungen werden wieder ans Nachdenken kommen, wenn sie Konkurrenz von den neuen Medien bekommen.

Darauf kommt es nach meiner Meinung strategisch an: Neue Medien braucht unser Land.
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von glasreiniger am 02.01.2007 um 10.54

Zitat:
Langfristig, so der Präsident des Lehrerverbandes, würden sich nur die Regeln zur S-Schreibung als verbindlich durchsetzen.

Damit wird er nicht recht behalten. Die Pseudo-Heyse-Schreibung ist nicht lebensfähig und wird durch die Schweizer Orthographie (kein ß mehr) verdrängt werden.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 01.01.2007 um 21.57

Deutschlandradio 29.12.2006 18.00 Uhr

Lehrervebandspräsident Kraus: Von Rechtschreibreform setzt sich nur S-Schreibung durch - Lehrer korrigieren "relativ liberal"

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Kraus, sieht rund fünf Monate nach Einführung der Rechtschreibreform eine gewisse Resignation in den Schulen. Man habe sich eingerichtet in diesen Unsicherheiten, sagte Kraus dem Deutschen Depeschendienst. Die Resignation werde irgendwann in Beliebigkeit münden. Daher, so Kraus, würden die Lehrer künftig auch relativ liberal an Korrekturen herangehen. Langfristig, so der Präsident des Lehrerverbandes, würden sich nur die Regeln zur S-Schreibung als verbindlich durchsetzen.


eingetragen von PL am 25.09.2006 um 07.48

Früher wurden die Brunnenvergifter hingerichtet. – Seit langer Zeit ist die Todesstrafe bei uns abgeschafft. Und das ist gut so. Aber irgendeine Strafe sollten sie doch bekommen, die Sprachverwirrer und Sprachverderber! Z.B. zwangsweise ein paar Hundert Nachhilfestunden im extra für sie zu schaffenden Pflichtfach Sinnstiftung.


eingetragen von PL am 24.09.2006 um 13.38

[Mit Peter Lübers Nutzerdaten habe ich mich gut einwählen können.
Gruß vom Techniker]


eingetragen von Detlef Lindenthal am 23.09.2006 um 20.28

Das gemeinte Pyramidenbild kenne ich nicht, oder aber ich bin begriffsstutzig. Bei Google habe ich nur das Kapitalismus-Bild gefunden:
WE RULE YOU
WE FOOL YOU
WE SHOOT AT YOU
WE EAT FOR YOU
WE WORK FOR ALL
WE FEED ALL

– aber das war nicht gemeint. Wie auch immer.

Du schriebst:


Die von Dir genannten Herren würdest Du dann dort erblicken, wo sie sich heute schon befinden: In der Gosse der Historia des menschlichen Geistes.
Ein Mensch mit viel Kultur und Charakter wird die „Reform“bürokraten mit ganz viel Verachtung strafen; mangels Kultur und Charakter werden sie das nit amoal ignorieren.

Die Sichtweise mit der Pyramide ist schon richtig; und so gesehen habe ich fortschreitenden Lustmangel, mich von solchen Versagern regieren zu lassen. Eine Pyramide umzudrehen ist mit Arbeit verbunden. Deshalb muß ich jetzt noch viele Monate fleißig sein.

Grüße,
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von PL am 23.09.2006 um 19.10

Lieber Detlef!

Ich nehme an, Du kennst die Abbildung, die ich meine. Denn an Bildung mangelt es Dir nicht. – Also: Wenn ich die Aufgabe hätte, eine Pyramide zu zeichnen, um die heutige gesellschaftliche Hierarchie bildlich darzustellen, dann würde ich ein weltbekanntes Bild auf den Kopf stellen und meine Arbeit wäre getan. Das Schwein zum Gott erhoben, knapp über „dem Juden“: Ein solches Bild würde selbst in mir, einem Agnostiker, religiöse Gefühle erwecken. Die von Dir genannten Herren würdest Du dann dort erblicken, wo sie sich heute schon befinden: In der Gosse der Historia des menschlichen Geistes.


eingetragen von Detlef Lindenthal am 23.09.2006 um 15.12

Nachrichten.ch:
>>Freitag, 22. September 2006 / 16:54 h

Neue Rechtschreibung: Schreibvarianten möglich

München - Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich bei der Getrennt- oder Zusammenschreibung für ein Festhalten an den zugelassenen Varianten ausgesprochen.
In manchen Fällen müsse das wegen des unterschiedlichen Sinnes offenbleiben, sagte der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair nach einer Sitzung des Gremiums in München. Als Beispiele nannte er «eine Suppe kalt stellen» im Gegensatz zu «einen Politiker kaltstellen» sowie «in der Schule sitzenbleiben» gegenüber «auf einem Stuhl sitzen bleiben». Mit dem Votum für die Varianten bezog sich der Rat auf die neue Wörterbuchausgabe des Duden, der - im Gegensatz zum Wahrig-Wörterbuch - vor allem im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung bestimmte Varianten empfiehlt. Dies hat nach den Worten von Zehetmair zu Irritationen geführt. In einem förmlichen Beschluss des Rates dazu heisst es: «Es ist nicht Intention des Rates für deutsche Rechtschreibung, dass vom Rat beschlossene Varianten in den allgemeinen Rechtschreibungswörterbüchern durch Empfehlung nur einer Variante eingeschränkt werden.» Es gebe aber auch Varianten, die keinen unterschiedlichen Sinn ausdrückten - wie «blankputzen» oder «blank putzen», betonte Prof. Ludwig Eichinger vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. In diesen Fällen müsse man abwarten, wohin sich der allgemeine Sprachgebrauch entwickele.
Erbitterte Debatten
Nach jahrelangen erbitterten Debatten war die Rechtschreibreform nach erneuten Korrekturen am 1. August im gesamten deutschsprachigen Raum in Kraft getreten. Allerdings gelten an den Schulen unterschiedliche Übergangsfristen - in Deutschland ein Jahr, in Österreich seien es zwei und in der Schweiz sogar drei Jahre. Der Rat will am 22. Juni 2007 zu seiner nächsten Sitzung in Mannheim zusammenkommen und sich dabei unter anderem mit der Schreibweise von Anglizismen wie «Feedback» (auch: «Feed-back») und von Worten auch aus anderen Sprachen wie «Spaghetti» oder «Spagetti» befassen. <<

http://www.nachrichten.ch/detail/252940.htm

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Ja, das stelle man sich vor:
Das englische Wort feedback hat bei Google.de 1,76 Mia. Fundstellen; die andere Schreibung feed-back gibt es dort auch, allerdings nur mit verschwindend geringen ungefähr 5 Mio. Fundstellen, also winzigen 2,8 Vomtausend. Nun geht also der hochbezahlte Rechtschreibungsrat Hans Zehetmair daran, mit seinem Rat am 22. Juni 2007 in Mannheim eine Sitzung einzuberufen, um darüber zu befinden, ob das englische Wort feedback, sobald es denn innerhalb der deutschen Sprache verwendet wird, aus wichtig-zwingenden Gründen Feedback, Feed-Back oder Feed-back geschrieben werden sollte??!! Von Ministerpräsident Oettinger (der forderte, “English” sei die Sprache der Arbeit) habe ich auch noch keinen Protest vernommen, daß nun aus feedback Feed-Back werden soll. – Es kann durchaus auch sein, daß diese Männer auch mit der Führung eines Obstbetriebes überfordert gewesen wären.
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Detlef Lindenthal am 23.09.2006 um 15.06


Peter Lüber schrieb:
Da ich selbst ein ehemaliges Bauernkind bin, bitte ich Dich, lieber Detlef Lindenthal, in aller Form, diesen unglücklichen Vergleich zurückzunehmen. Bauern, zumal Bergbauern, sind liebevolle Menschen, allesamt, auch wenn sie einem auf den ersten Blick etwas rauh und zurückhaltend erscheinen mögen; aber, wenn man mit Respekt vor ihrer Skepsis den Zugang zu ihren Herzen sucht, dann wird man von ihnen herzlich aufgenommen. Sie würden Dich „Dätläf“ nennen und meinten es gut mit Dir. Bei Schnaps, Brot und Geißechäs könntest Du Dich mit ihnen über die Welt unterhalten, welche von den „oberen Zehntausend“ noch heute regiert wird. Ach! Erst jetzt bemerke ich, daß ich Du zu Dir sagte. Dafür bitte ich Sie um Entschuldigung.
Lieber Peter,
versuchsweise möchte ich den Vergleich nicht zurücknehmen. Die Bauern stehen in meiner Wertschätzung bei den Männerberufen ganz an der Spitze; deswegen muß es aber trotzdem erlaubt sein, die Maßstäbe der jeweiligen Eignung von z.B. Kraftfahrern, Piloten, Ärzten und Kultusministern zu erörtern: Jemand, der wegen einer dicken Brille als Pilot durchfällt, kann dennoch ein guter Arzt sein, und Charles Lindbergh, der als Maschinenbaustudent durchgefallen ist, wurde weltbester Pilot. Die Herren Kraus und Zehetmair halte ich nicht für rundherum mißglückt, sondern nur an dieser Stelle als Verbandspräsident, Kultusminister und Rechtschreibrat falsch am Platz. Ich würde es durchaus auf einen Versuch ankommen lassen, sie mir in einem Obstbaubetrieb vorzustellen; ich kenne Leute von dieser Art, die da gute Arbeit leisten. Freilich, es wäre ein Versuch. – Wenn sie dort gute Arbeit leisten, so glaube ich nicht, daß damit der Stand der anderen Obstbauern oder Bergbauern entwürdigt würde. Vielleicht würde Hans Zehetmair sogar als Dorfbürgermeister die Dinge im Griff haben. Aber nicht als Rechtschreibrat. – Nachdem ich nun die nächste Meldung (siehe oben) vorbereitet habe, kommen mir vermehrte Zweifel über Hans Zehetmair; als Bauer oder Bürgermeister müßte er eine tüchtige und kluge Frau haben, mit der er die wichtigen Dinge bespricht.

– Dies soll nicht abschließend beurteilt sein, es sind nur Gedanken. Und nun erstmal die nächste Meldung mit dem feed-back berücksichtigen.
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Detlef Lindenthal


eingetragen von PL am 23.09.2006 um 13.07

Da ich selbst ein ehemaliges Bauernkind bin, bitte ich Dich, lieber Detlef Lindenthal, in aller Form, diesen unglücklichen Vergleich zurückzunehmen. Bauern, zumal Bergbauern, sind liebevolle Menschen, allesamt, auch wenn sie einem auf den ersten Blick etwas rauh und zurückhaltend erscheinen mögen; aber, wenn man mit Respekt vor ihrer Skepsis den Zugang zu ihren Herzen sucht, dann wird man von ihnen herzlich aufgenommen. Sie würden Dich „Dätläf“ nennen und meinten es gut mit Dir. Bei Schnaps, Brot und Geißechäs könntest Du Dich mit ihnen über die Welt unterhalten, welche von den „oberen Zehntausend“ noch heute regiert wird. Ach! Erst jetzt bemerke ich, daß ich Du zu Dir sagte. Dafür bitte ich Sie um Entschuldigung.


eingetragen von Detlef Lindenthal am 23.09.2006 um 05.03

Herr Kraus tut fast so, als wenn er mit dem „Reform“-Driß fast nichts zu tun hätte. So ist es aber nicht:
Josef Kraus ist immer wieder einer gewesen, der zwar versuchte, gegen die Rechtschreibänderung etwas Gegenwind herbeizuwedeln, in der wirkenden Wirklichkeit aber sein Mäntelchen nach dem von Kultusministern und gleichgeschalteten Medien zuverlässig geschalteten Hauptströmungswind hängte.

Natürlich hätte Herr Kraus sich an der Sacherörterung beteiligen können, und dann wäre eine Verbesserung der Begründungen und Argumente das Ergebnis und ein Schulterschluß mit den Rechtschreibschützern zu erwarten gewesen. Statt dessen war Herr Kraus ein Funktionär, wie es sie damals in der DDR gegeben hat: Beim Abstimmen Nachdenkfalten auf die Stirne legen, den Arm erst halbhoch heben, dann sich umschauen, und wenn kein anderer sich meldet, den Arm schnell wieder herunternehmen.
Soviel Anpassungsfähigkeit ist beim Erdbeerenpflücken und Spargelstechen gut, aber nicht in der voll verantwortlichen Führung eines zentralwichtigen Verbandes. Dort hätte Herr Kraus eine kluge Sacherörterung herbeiarbeiten müssen, und die wäre ein Genuß gewesen.

Neue Erdbeerpflücker braucht das Land. Wenn ich die Gesichter von Hans Zehetmair und Josef Kraus sehe, kann ich mir gut vorstellen, daß sie tüchtige Bauern sein könnten.
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Norbert Lindenthal am 22.09.2006 um 17.50

Deutschlandfunk Kultur heute 22.09.2006 · 17:35 Uhr


Josef Kraus, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes (Bild: privat)

Lehrerverband bemängelt Rechtschreibleistungen der Schüler

Verbandschef Kraus beklagt eine anhaltende Verunsicherung an den Schulen nach der Rechtschreibreform

Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, hat nach den ersten Wochen im neuen Schuljahr beklagt, dass die Reform der deutschen Rechtschreibung nicht zu einer Vereinfachung für die Schüler geführt hat. Angesichts der vielen Nachbesserungen "hat man in der Schule resigniert", sagte Kraus im Deutschlandfunk.

"Die Versprechungen wurden nicht eingelöst. Unter dem Strich sind die Rechtschreibleistungen der deutschen Schüler nicht besser geworden."

Zwar seien die Regelungen zur s-Schreibung in sich stimmig, aber nicht leichter geworden. Als nach wie vor problematisch bewertete der Pädagoge die Groß- und Kleinschreibung sowie die Zusammen- und Getrenntschreibung. In diesen Bereichen gebe es "keinen Konsens mehr". Darum würden Lehrer solche Fehler auch großzügig behandeln.

Gleichzeitig kritisierte Kraus die für die Schulen entstehenden hohen Kosten durch ständig aktualisierte Wörterbücher. Ausgehend von deutschlandweit 42.000 Schulen kämen bei nur einem einzigen Klassensatz von 25 Exemplaren schnell Kosten von gut 20 Millionen Euro zusammen, die sinnvoller investiert werden könnten, so Kraus.

Aus Gründen der Finanzknappheit aber "weigern sich viele Schulen die neuesten Wörterbuchausgaben von 2006 zu kaufen". Man arbeite mit den veralteten Ausgaben der Jahre 2000 und 2004 weiter.

Außerdem seien viele Schulen verärgert und hätten nicht zu Unrecht den Eindruck, beim Reformprozess handele es sich um eine "schöne Geschäftemacherei".


eingetragen von Verkehrswacht Köln-Mitte am 24.07.2006 um 20.10

Also, wenn die Frau Gütherth genauso verantwortlich und treffsicher Auto färt, wie sie argumentiert, dann müssen wir sie zu einer psychiatrischen Verkehrseignungsüberprüfung (im Volksmund Idiotentest genannt) einbestellen. Denn wegen des nötigen Schutzes der Allgemeinheit müssen für Verantwortungsträger ein Mindestmaß an beherrschten Fähigkeiten überprüfbar nachgewiesen werden können.

Kann jemand die ladungsfähige Anschrift der Frau Gütert miteilen?

Danke für die Amtshilfe!

i.A. Verkehrswacht


eingetragen von Norbert Lindenthal am 24.07.2006 um 19.14

RADIOFEUILLETON:
THEMA
Deutschlandradio, 24.07.2006

Durch eine Lupe gesehen ist in der aktuellen Duden-Ausgabe das Wort "Kopf stehen" zu lesen. (Bild: AP)

"Von Manipulation der Sprache kann keine Rede sein"

Geschäftsführerin des Rates für deutsche Rechtschreibung sieht keine Probleme beim neuen Duden
Moderation: Holger Hettinger

Ab dem 1. August sind die Regelungen zur Rechtschreibreform endgültig in Kraft. Doch Kritiker monieren, dass von einer einheitlichen Rechtschreibung keine Rede sein könne, da unterschiedliche Schreibvarianten empfohlen werden, so auch im jetzt neu erschienen Duden. Die Geschäftsführerin des Rates für Deutsche Rechtschreibung, Kerstin Güthert, mahnte im Deutschlandradio Kultur hingegen zu mehr Gelassenheit.

Hettinger: Seit dem Wochenende ist der neue Duden im Handel: 130.000 Stichwörter sind hier gelistet, mitsamt Angaben zur Worttrennung - das Standardwerk zur deutschen Rechtschreibung, wie sie ab dem 1. August verbindlich sein wird. Jetzt ist alles wieder gut, mag man meinen, die langen, quälenden Auseinandersetzungen der letzten Jahre sind passé. Allerdings ist die neue Regelung ein Kompromiss, der auf Kosten der Einheitlichkeit erlangt wurde. Es gibt etliche Fälle, da muss der Schreibende selbst entscheiden, welche von zwei zulässigen Schreibungen er wählt. Die aktuelle Auflage des Duden gibt Empfehlungen, indem er die favorisierte Variante gelb unterlegt. Oft betrifft das die Frage Getrennt- oder Zusammenschreibung, ebenso Groß- und Kleinschreibung.

Alles paletti? Keineswegs. Der Erlanger Sprachwissenschaftler Theodor Ickler hat die Empfehlungen von Duden und dem Konkurrenzwörterbuch "Wahrig" verglichen und kommt zu dem Schluss: Statt klarer Antworten bietet das Wörterbuch zahllose Varianten und Widersprüche. Klärung oder Verwirrung - was leistet der neue Rechtschreibduden? Darüber sprechen wir nun mit Kerstin Güthert, der Geschäftsführerin des Rates für deutsche Rechtschreibung. Ich grüße Sie.

Güthert: Ich grüße Sie auch.

Hettinger: Frau Güthert, Theodor Ickler schreibt in der "FAZ", dass die mühevolle Arbeit Ihrer Institution umsonst gewesen sei, weil der neue Duden mit zweifelhaften Empfehlungen keine Klarheit schafft, sondern zur Verwirrung beiträgt. Hat er Recht?

Güthert: Nein, überhaupt nicht. Denn man muss zum einen sehen, dass der Duden nicht das einzige Wörterbuch ist. Es gibt daneben zum Beispiel den "Wahrig", der mindestens genauso groß ist. Und zum anderen muss man sagen, dass die Menschen nach gut zehn Jahren Reformdebatte doch sehr stark sensibilisiert sind und auch nicht einfach das nehmen, was einem geboten wird, sondern das kritisch hinterfragen. Das hat man zum Beispiel schon gesehen am Wochenende, wie die "SZ" sagt in einer Rezension: Ja, in manchen Fällen könnte man dem Duden folgen, aber in anderen, gerade im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung, würde man das nicht machen. Also insofern ist alles offen.

Hettinger: Aber dass "alles offen" ist, ist ja anscheinend auch das Problem. Man kann einfach mal ein bisschen ins Detail gehen. Die Rechtschreibung lässt Varianten zu. Das Wort zum Beispiel "allgemeinverständlich" kann man getrennt oder zusammen schreiben, beides richtig. Theodor Ickler hat den neuen Duden ebenso wie den neuen "Wahrig" auf Inkonsequenzen hin untersucht und sein Ergebnis ist: Der Duden bevorzugt oft andere Varianten als der "Wahrig" - "allgemeinverständlich" zusammen, "Wahrig" sagt "allgemein verständlich" getrennt. Und Theodor Ickler hat in seinem Artikel eine ganz lange Liste von Wörtern erstellt, bei denen die Empfehlungen von Duden und "Wahrig" voneinander abweichen. Von Einheit der deutschen Rechtschreibung kann man doch da nicht mehr reden?

Güthert: Doch, kann man allerdings. Denn diese Liste ist stark missverständlich. Also zum einen sprechen wir hier davon, dass hier die Empfehlungen anders sind. Es sind also keine Widersprüche in der Auslegung der Regeln. In beiden Wörterbüchern bekommt der Benutzer beide Schreibweisen auch dargestellt - einmal empfiehlt der "Wahrig" das eine, einmal der Duden das andere. Nun ist aber Folgendes - Theodor Ickler müsste es selbst am besten wissen: Der "Wahrig" bringt nur in sehr wenigen Fällen überhaupt Empfehlungen, nämlich insgesamt in 18 Fällen von gut 120.000 Stichwörtern weicht das überhaupt ab. Also es sind - ich habe das geschaut -, also 52 Fälle bringt er insgesamt von 120.000 Stichwörtern und wenn man die abgleicht mit dem Duden, merkt man: In 18 Fällen unterscheidet der sich dann. Das heißt, das ist hier absolut zu hoch gehängt.

Hettinger: Theodor Ickler geht noch weiter. Er behauptet, der Duden sei für die Schule ungeeignet. Das Argument, das er bringt, ist: Die Kultusministerkonferenz hat beschlossen, dass Lehrer ihren Schülern ein Jahr lang keine Fehler dafür anrechnen dürfen, wenn sie die Rechtschreibung verwenden, die sie seit zehn Jahren, also seit der Reform von '96, in der Schule vermittelt bekommen. Nun klammert aber der Duden eben die Schreibung der Reform von 1996 aus. Zum Beispiel "Leid tun": Schreibt ein Schüler ab dem 1. August "Leid tun" auseinander und "Leid" groß oder "abwärts fahren" auseinander - was in den letzten zehn Jahren korrekt war -, dann müsste er ab dem 1. August einen Fehler angestrichen bekommen. Hat Theodor Ickler Recht? Ist der neue Duden ungeeignet für die Schule?

Güthert: Lassen Sie mich eine Gegenfrage stellen: Was wäre denn passiert, wenn die Wörterbücher diese alten, überholten Schreibweisen wirklich verzeichnet hätten? Hätten sie einen Vermerk machen sollen: "Nur gültig bis zum 31.7.07"? Da hätten doch die Gegner jubiliert und hätten gesagt: "Das Wörterbuch gilt nur ein Jahr, das könnt ihr dann wegschmeißen", nicht wahr? Nein ...

Hettinger: So war es aber doch bis jetzt?

Güthert: ... es ist vollkommen richtig, dass die Wörterbücher diese Schreibweisen, die überholt sind, nicht verzeichnet haben. Denn wir dürfen die Lehrer ja auch nicht unterschätzen. Die Lehrer sind ja wirklich ein vorderster Front, wenn Sie so wollen, mit ihren Doppelkorrekturen. Die Reform in ihrer Ursprungsversion gilt seit 1996, wurde zum Teil auch schon zum Schuljahr 96/97 eingeführt, spätestens aber zum Schuljahr 98/99, so dass die Lehrer mit am besten überhaupt informiert sind. Und sollten die wirklich mal einen Zweifelsfall haben, dann muss man doch davon ausgehen, dass in den letzten acht Jahren irgendeiner der Kollegen doch ein Wörterbuch angeschafft hat, so dass man diesen Zweifelsfall auch ausräumen kann.

Hettinger: Der neue Duden, so heißt es weiter, muss für den Rat für deutsche Rechtschreibung, muss für Ihre Institution, Frau Güthert, eine große Enttäuschung sein, denn die Duden-Redaktion, die ja selbst ein Mitglied im Rat hat, habe die Vermittlungsbemühungen des Rates unterlaufen, eigenmächtig empfehle die Duden-Redaktion fast durchgehend die ursprüngliche Reformschreibung - also den Zustand vor 2004. Hat der Duden hier durch die Hintertür etwas etabliert? Hat er seine, ja, Deutungsmacht missbraucht?

Güthert: Sagen wir so: Also eine Variantenführung war von Seiten des Rats nicht vorgesehen. Und gewiss mag es auch eine recht eigene Interpretation einiger Regelungen sein. Aber das wird ihm nicht gelingen. Ich habe es ja vorhin schon angedeutet: Die Menschen übernehmen das nicht einfach so. Und etliche, die auch schon gesagt haben: Ja, das eine mag ja ganz sinnvoll sein, aber wir entscheiden eben auch selber. Also es wird ihm nicht gelingen.

Hettinger: Also dieser Dualismus - kann man so machen, kann man aber auch so machen -, wird der ein bisschen unterlaufen dadurch, dass die Duden-Redaktion sagt: "Hm, das hier ist aber schöner, ist besser"?

Güthert: Na ja, man muss auch ganz stark schauen: Wo gibt sie überhaupt Empfehlungen? Manchmal ist es auch so, dass gezeigt wird: Na ja, in gewissen Kontexten ist vielleicht ein Wort austauschbar - nehmen Sie so etwas wie "Schmutz abweisend" -, aber dann in bestimmten Kontexten musst du das getrennt- oder zusammenschreiben. Also zum Beispiel "groben Schmutz abweisend" muss man zwingend getrennt schreiben, wohingegen "sehr schmutzabweisend" dann eben auch zusammen. Oder nehmen Sie so etwas mit Bedeutungen wie "sitzen bleiben": Nur "in der Schule sitzenbleiben" darf man auch zusammenschreiben. Und genau hier werden die Unterschiede in der Darstellung ja auch deutlich. Und dann ist wirklich die große Frage, ob die Menschen, die ja auch für die Getrennt- und Zusammenschreibung, für die vermehrte Zusammenschreibung wieder gekämpft haben, hier der Getrenntschreibung einfach folgen - ich glaube es nicht.

Hettinger: Das hat ja noch Hans Zehetmair verkündet, dass es hier einen schriftlichen Unterschied geben wird im Duden. Also "sitzenbleiben", nicht versetzt werden, schreibt man zusammen und "sitzen bleiben", auf dem Stuhl, schreibt man getrennt. Der Duden führt hier in beiden Fällen die Getrenntschreibung an. Ist das oft Minderheitenmeinung?

Güthert: Nein. Also der Duden führt an: "sitzen bleiben" ist die reguläre Schreibung, wie er es dann nennt, wie man es herauslesen möchte, aber wenn du das übertragen meinst, das heißt im Sinne von "nicht versetzt werden", kannst du auch zusammenschreiben, wir empfehlen dir aber immer die Getrenntschreibung. So ist die Duden-Argumenationslinie. Aber wie gesagt, es wird an keinerlei Schreibvariante irgendwie verschwiegen.

Hettinger: Orientierung schaffen wollen, das ist ja eigentlich ein gutes Anliegen. Aber was ist, wenn der Duden selbst so verwirrt ist durch seine eigene Vorgehensweise, dass er sich im eigenen Empfehlungsdickicht verstrickt? Theodor Ickler behauptet, nicht einmal der Duden hält sich an den Duden. Klingt jetzt sehr forsch, aber er spielt damit an, dass der Duden eine Regel formuliert - Ickler sagt sogar: "frei erfindet" -, nach der "sich bloß strampeln" in drei getrennten Wörtern geschrieben werden muss, dann jedoch beim Ausdruck "sich wund liegen" die Schreibung mit "wundliegen" in einem Wort und eben nicht in zwei getrennten - "wund liegen" - zulässt. Was sagen Sie dazu?

Güthert: Bei "wund liegen", das ist wirklich ein Sonderfall, weil man hier denkt an "sich den Rücken wund liegen". Das heißt, das ist doch wieder so ein Ergebnis. Denn wenn ich da zu lange liege, dann ist der Rücken irgendwann wund, ja? Das zeichnet hier ja das Ergebnis aus, so dass hier diese Regel quer läuft. Im Übrigen ist der Duden natürlich selbst verantwortlich und als Privatverlag als solcher steht er auch dafür, wie er die Regeln dann allgemein verständlicher formuliert, wie er meint.

Hettinger: Mit Blick auf den neuen Duden, aber auch auf die älteren Ausgaben sagt Theodor Ickler in der FAZ: Die Rechtschreibwörterbücher "stellen nicht mehr Tatsachen dar, sondern sie manipulieren die Sprache und versuchen, den Wörterbuchbenutzer in eine bestimmte, politisch gewollte Richtung zu drängen". Das ist ja ein richtig schweres Geschütz. Manipuliert der neue Duden unsere Sprache und uns selbst?

Güthert: Also die Sprache kann er schon mal überhaupt nicht manipulieren. Die kann durch keine Reform manipuliert werden, denn Sie sind ja in Ihrer Ausdrucksfähigkeit nicht eingeschränkt. Wo er hier Empfehlungen ausspricht, ist im Bereich der Doppelschreibungen. Und hier kann man sich ja darüber streiten, ob das jetzt sinnvoll und vernünftig war. Aber eine Manipulation der Sprache, davon kann keine Rede sein.

Hettinger: Theodor Ickler schreibt weiterhin, dass nun den "Hausorthographien" Tor und Tür geöffnet wird. Jeder Verlag, jede Zeitung muss da eine Regelung finden und diese "Hausorthographie", wo jeder Verlag seinen Weg findet - Was schreiben wir groß, was klein, was zusammen, was getrennt? -, das sei ein Rückfall ins 19. Jahrhundert. Ist die Einheitlichkeit auf der Strecke geblieben?

Güthert: Das ist kein Rückfall ins 19. Jahrhundert, sondern es ist gängiger Usus. Ich habe mir mal die Mühe gemacht am Wochenende, mal die Buchstabenstrecke S und N mir angeschaut im Duden - das sind so knapp 200 Seiten - und muss sagen: Ja, da gibt es einige Varianten, die Anzahl wurde ja schon genannt, aber nur ungefähr jede sechste geht jetzt wirklich auf die Revision von 2006 zurück. Das heißt aber auch, es gab sehr viele Varianten schon vorher, zum Beispiel im Bereich von S: Da gibt es 418 Doppelschreibungen, unter anderem 31, die das Wort "Ski" betreffen, also mit "k" oder mit "ch" geschrieben, das ist eine Variante, die im Vorreform-Duden auch schon drin war, und da hat man so was wie "Skiakrobatik", "Skibob", "Skifahrer", "Skifahrerin" und so weiter und so fort. Das zählt jeweils einzeln. Und da sieht man auch, wie man überhaupt auf diese Zahl kommt. Das heißt aber auch, die Variantenproblematik gab es schon immer, die wird es immer geben. Die ist jetzt vielleicht, sind paar hinzugekommen - wie gesagt: ungefähr jede sechste, nach meiner Auszählung. Aber das bringt die Einheitlichkeit auf gar keinen Fall auf die Strecke. Denn Sie müssen ja auch sehen, wenn man einen Stichwortschatz von 130.000 hat und dann ist ungefähr, sind 500 Varianten hinzugekommen, ich denke, damit kann man leben.

Hettinger: Vielen Dank, Kerstin Güthert. Sie ist die Geschäftsführerin des Rates für deutsche Rechtschreibung. Was leistet der neue Rechtschreibduden - Klärung oder Verwirrung? Das war unser Thema.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 24.07.2006 um 14.35

Deutschlandradio

URL: http://www.dradio.de/kulturnachrichten/20060724150000/drucken/

KULTURNACHRICHTEN

Montag, 24. Juli 2006 15:30 Uhr

FDP-Politiker Otto kritisiert wiederholt Rechtschreibreform

Die Rechtschreibreform sorgt weiterhin für schlechte Stimmung. Wenige Tage vor ihrem Inkrafttreten am 1. August hat der FDP-Kulturpolitiker Hans-Joachim Otto erneut Kritik an dem Regelwerk geübt. Die Unterschiede der neuen Wörterbücher des Duden- und des Wahrig-Verlages dokumentierten, dass das Ziel der Reform, die Schreibung in Deutschland zu vereinheitlichen, in immer weitere Ferne rücke. Mittlerweile sei die Variantenvielfalt so groß, dass fast jede Schreibweise nach irgendeinem Regelwerk richtig sei, sagte Otto. Zugleich monierte der FDP-Politiker, dass man sich nicht an die Beschlüsse des Rates für deutsche Rechtschreibung gehalten habe.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 30.05.2006 um 10.55

deutschlandradio 30.5.2006 11.30 Uhr

>>Verfassungsklage gegen Rechtschreibreform gescheitert

Jetzt ist auch der letzte Versuch gescheitert, die Rechtschreibreform zu verhindern. Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde eines Klägers gegen das neue Regelwerk als unzulässig ab, der sein Grundrecht auf Persönlichkeitsentfaltung eingeschränkt sah. Immerhin könne der Mann ja weiterhin so schreiben, wie er wolle, argumentierten die Karlsruher Richter. Betroffen seien von dem Beschluss der Kultusminister schließlich nur Schüler und Behörden. Die neuen Regeln treten am ersten August in Kraft. (Az.:1 BvR 698/06)<<


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.10.2004 um 09.20

Fazit • Kultur vom Tage
Samstag bis Donnerstag • 23:05

6.10.2004

Eine Kindheit im Iran


Noch nicht zusammen gekommen sind bis jetzt die Gegner und Befürworter der Rechtschreibreform. Heute wurde auf der Messe ein "Frankfurter Appell" verabschiedet, in dem die Kultusminister zur Rücknahme der neuen Regeln aufgerufen werde. Unterzeichnet haben zahlreiche Wissenschaftler und Schriftsteller: Günter Grass und Günter Wallraff, Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser und Marcel Reich-Ranicki - beim Kampf gegen die Reform sind sich auch literarische Widersacher einig.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 31.08.2004 um 16.05


Karl Blüml, Vorsitzender der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung

Der Karl heißt Blüml.


eingetragen von Dominik Schumacher am 31.08.2004 um 15.39

Deutschlandfunk Interview
Montag bis Sonntag

26.8.2004

Kommissionsvorsitzender verteidigt Rechtsschreibreform

Interview mit Karl Blümel, Vorsitzender der zwischenstaatlichen Rechtschreib-Kommission

Moderation: Peter Lange

[Bild Duden in braungrau]
Der Duden (Foto: AP)

Peter Lange: In diesem Sommer gab und gibt es in der öffentlichen politischen Debatte im Grunde zwei Fronten. An der einen kämpfen die, die um ihre finanziell Existenzgrundlage besorgt sind, Stichwort Hartz IV, an der anderen kämpfen die, bei denen es nicht so aufs Geld ankommt, Stichwort Rechtschreibreform. Am Montag traf sich in Wien die zwischenstaatliche Kommission, die für die Rechtschreibreform verantwortlich ist. Dieser Tage kommt der neue Duden in den Buchhandel, und da klagen nun Reformgegner, anders als mal von den Kultusbürokraten versprochen gibt es bei vielen kritisierten Regelungen doch keine Wahl zwischen Neu und Alt, sondern die neuen Regelungen werden nun auch noch verbindlich. Also die nächste Runde im Streit um die Rechtschreibung ist programmiert. Am Telefon in Wien begrüße ich nun Karl Blümel. Er ist zur Zeit der Vorsitzende der zwischenstaatlichen Kommission, die diese Rechtschreibreform auf dem Weg gebracht hat und weiter begleitet. Herr Blümel, Sie sind also, wenn ich der Frankfurter Allgemeinen Zeitung folgen darf, der Chef dieses Geheimbundes, der ständig unsere Rechtschreibung verschlimmbessert. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?

Karl Blümel: Also zunächst einmal muss ich Sie ein bisschen korrigieren. Es gab in Wien keine Sitzung der zwischenstaatlichen Kommission. Das war nie vorgesehen, ich weiß nicht, wer das erfunden hat. Auf jeden Fall gab es ein Treffen der Beamten, die sich mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob es nach dem Ende der Übergangsfrist auch so ein Gremium wie der Rat für deutsche Rechtschreibung oder so etwas geben soll. Das Zweite, was sage ich nun zu meiner Verteidigung? Wir haben, als wir vor acht Jahren die Reform gemacht haben, auf jeden Fall in vielen Bereichen eine bessere Rechtschreibung erzeugt als sie vorher war, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Es ist das erklärte Ziel gewesen, dass man die Zahl der unendlichen Ausnahmen schlicht und einfach reduziert, so dass deutsche Schreibung wieder stärker den Regeln folgt, was seit 1901 nicht geschehen war. Das ist gelungen, das ist überhaupt keine Frage. Dass es nicht einfach geworden ist, das ist eine andere Sache. Eine Schreibung, die seit vielen Jahrhunderten besteht, kann nicht einfach werden, aber sie ist einfacher und besser lehrbar geworden, und das ist der wesentliche Punkt, nämlich für die Kinder besser lehrbar.

Lange: Aber trotzdem wirkt das Ganze immer noch wie eine Baustelle. Alle Jahre wieder gibt es da einen neuen Duden, da sind wieder neue Schreibungen drin. Jetzt haben wir einen neuen, da sind auch wieder einige Merkwürdigkeiten drin. Nehmen wir mal das Beispiel Getrennt- und Zusammenschreibung von Partikel und Verb. Also hier bleiben schreibt man auseinander, dableiben zusammen, dort bleiben wieder auseinander, wegbleiben wieder zusammen. Wer soll das kapieren?

Blümel: So darf man das nicht sehen. Normalerweise hat man ja nicht eine Liste von Partikeln vor sich - das ist ja nur in einem Regelwerk so -, sondern üblicherweise richtet sich Getrennt- und Zusammenschreibung danach, welche Bedeutung hier zum Tragen kommt. Was wir dazugetan haben, ist ja nur, grammatische Hilfen zu geben. Es wurden hier die Partikel aufgelistet, was normalerweise kein Mensch macht, dass er eine Liste von Partikeln anschaut. Das ist ja nur für die Wörterbuchmacher, dass sie nachschauen können. Es gibt nicht alle Augenblicke Änderungen, muss ich sagen, sondern es hat eine Einführung gegeben im Jahre 1996, und jetzt kommt mit dem vierten Bericht der Kommission eine Änderung, die eigentlich erst ab 2005 gültig sein wird, aber der Duden hat sie jetzt schon zum allergrößten Teil übernommen, weil sie sagen, sie haben jetzt die Jubiläumsausgabe. Dazwischen gab es keine einzige Änderung. Es wurde nur viel diskutiert, das ist richtig.

Lange: Meinen Sie denn wirklich, dass das jetzt die letzten Änderungen waren? Gehen Sie wirklich davon aus, dass das Ganze ab 2005 verbindlich wird und ich dann nicht alle paar Jahre einen neuen brauche?

Blümel: Ich gehe davon aus, dass sich in bestimmten Bereichen die Schreibung natürlich weiterentwickeln wird. Das geht gar nicht anders, das war immer so und wird auch in Zukunft so sein. Sie erinnern sich vielleicht, durch die Medien ist diese Sage von Marcel Reich-Ranicki mit dem "wohlverdient". Es war falsch, was er gesagt hatte. Sowohl nach der alten Rechtschreibung als auch nach der neuen schreibt man es zusammen. Da hätte er ohne Weiteres nachschauen können, und er hätte es in jedem Wörterbuch gefunden, aber das erst seit zehn Jahren, denn zum Beispiel im Duden von 1968 gab es das Wort "wohlverdient" noch überhaupt nicht. Das ist erst dann entstanden. Und so gibt es immer wieder neue Wörter, neue Zusammensetzung, weil eben die Notwendigkeit besteht, bestimmte Dinge neu auszudrücken.

Lange: Diese zwischenstaatliche Kommission sitzt ja nun seit vielen Jahren zusammen. Dieses nicht sehr schmeichelhafte Porträt der FAZ, auf das ich am Anfang eingegangen bin, beschreibt dieses Gremium, gelinde gesagt, als einen abgehobenen, eitlen, intellektuellen Zirkel. Müssen Sie nicht inzwischen zugeben, dass es da doch eine gewisse Unfähigkeit der Kommission gab, vielleicht auch noch gibt, diese Reform zu vermitteln, eine Unfähigkeit zur öffentlichen Kommunikation?

Blümel: Sehen Sie, das ist eine gewisse Schwierigkeit. Die Kommission wurde überhaupt erst 1997 geschaffen mit der expliziten Aufgabe, sie soll die Reform begleiten, also sehen, wie sie umgesetzt wird, und dann den zuständigen Behörden Rückmeldungen geben, ob etwas geändert werden soll. Es ist nie gesagt worden, dass die Kommission in die Öffentlichkeit treten soll. Sie hat eine ganz bestimmte Aufgabe bekommen. Die verantwortlichen staatlichen Stellen haben sie eingesetzt. Das war in Deutschland die KMK, in Österreich das Bildungsministerium und in der Schweiz die EDK, und sie haben gesagt, ihr beobachtet, wie die Reform angenommen wird, und dann sagt ihr bis 2005, soll etwas geändert werden oder nicht geändert werden. Die Leute, die jetzt in dieser Kommission sitzen, sind nicht dieselben, die die Reform gemacht haben.

Lange: Nicht nur in Deutschland, auch bei Ihnen in Österreich kehren ja jetzt die ersten Zeitungen zur alten Rechtschreibung zurück.

Blümel: Nein, bei uns kehrt keiner zurück.

Lange: Die Kronenzeitung las ich gestern.

Blümel: Nein, nein. Da gab es einige Änderungen, das sind sogenannte Hausorthografien, das geschieht auch bei Ihnen. Also fast alle Zeitungen haben Hausorthografien.

Lange: Aber ist es wirklich der Weisheit letzter Schluss, wenn jeder seine eigene Hausorthografie hat? Frühe konnte man Schülern sagen, lies die Zeitung, und dann hast du die Grammatik, die Schreibweise intus. Das geht ja jetzt gar nicht mehr.

Blümel: Na ja, es wird nicht jede Zeitung eine haben, aber Hausorthografien hatten immer schon alle großen Verlagshäuser und alle Zeitungen, und Hausorthografien heißt im Wesentlichen, man bestimmt dort, wo es zwei Möglichkeiten gibt, eine als die, die in dem Hause immer verwendet wird. In dem Sinne habe ich nicht so große Angst. Natürlich wäre es pädagogisch sinnvoller, wenn die Zeitungen ganz genau die Rechtschreibung verfolgten, wie sie im Duden steht, aber das taten sie nie.

Lange: Vielen Dank für das Gespräch.


eingetragen von Dominik Schumacher am 31.08.2004 um 15.30

Kultur heute
Montag bis Freitag • 17:35 Samstag und Sonntag • 17:30

25.8.2004

Zwischen allen Stühlen - In Mannheim wird heute der neue Duden vorgestellt

Gespräch mit dem Leiter der Duden-Redaktion Dr. Matthias Wermke

Moderation: Rainer Bertold Schossig


[Bild Schüler und Schülerin an Schultafel]
Schüler üben die neue Rechtschreibung (Foto: AP)

Schossig: Die Dudenredaktion lässt sich von der neuentfachten Diskussion um die Rechtschreibreform nicht erschüttern. In Mannheim wurde heute die 23. Auflage des Duden vorgestellt. Das Nachschlagewerk umfasst nicht nur 5000 neue Wörter, im Zeichen des umstrittenen Wandels der Orthographie ist der Duden darüber hinaus durchaus eine umstrittene Publikation. Vor knapp 125 Jahren gab der preußische Lehrer Konrad Duden sein erstes, wie es hieß, orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache heraus. Der Duden galt seither als Bibel der deutschen Rechtschreibung. Frage an Matthias Wermke, den Leiter der Dudenredaktion in Mannheim: Heute in Zeiten von zwischenstaatlichen Kommissionen und Vorlagen von Kultusministerkonferenzen zur Rechtschreibung, kann der Duden diese, seine alte Bedeutung heute noch reklamieren?

Wermke: Aber selbstverständlich, der Duden hat heute keine andere Bedeutung als seinerzeit 1880, als Konrad Duden den ersten Duden veröffentlicht hat. Damals schon hat Duden nicht seine eigenen Vorstellungen davon, wie das Deutsche eigentlich zu verschriften sei, im Wörterbuch umgesetzt, sondern er hat sich, wie Sie es erwähnt haben, auf die preußische Schulorthographie gestützt. Das tut der Duden bis heute, das heißt, für uns ist maßgeblich, welche Rechtschreibung an den Schulen gelehrt wird, die wird ins Wörterbuch übertragen, wenn ich so sagen darf, dann ist das letztendlich auch diejenige Rechtschreibung, die sich im allgemeinen Schreibgebrauch durchsetzen wird.

Schossig: Für den neuen Duden gelten die vereinfachten Regeln der Reform, so heißt es in Ihrer Vorankündigung. Glaubt man nun den Kritikern, Herr Wermke, dann sind diese Regeln nicht nur umstritten sondern auch sehr dehnbar, sie sind sehr unklar bisher, inkonsequent, wie viele sagen. Wie sind Sie also jetzt vorgegangen?

Wermke: Insgesamt kommt mir das vor wie eine Diskussion über die herkömmliche Rechtschreibung, denn das, was Sie gerade aufgeführt haben, waren genau diejenigen Argumente, mit denen man sich seinerzeit gegen die alte Rechtschreibung geäußert hat. Letztendlich ist die Neuregelung von 1996 nicht sehr viel mehr als eine Fortentwicklung dieser alten Rechtschreibung, die 98 Prozent des Herkömmlichen bewahrt und nur lediglich zwei Prozent Veränderungen herbeiführt und die meisten gehen auch noch auf die Neuregelung zurück, dass nach kurzem Vokale ein "SZ" durch Doppel-S ersetzt werden muss. Also insgesamt ist das Ganze gar nicht so viel und längst nicht so gravierend in seinen Auswirkungen, wie es in der Kritik heute dargestellt wird.

Schossig: Ein Erlanger Wissenschaftler rechnet dem neuen Duden im Internet vor, dass darin mehr als 3000 Schreibweisen neu zugelassen, beziehungsweise verbindlich festgelegt würden, insbesondere was Verbzusätze und deren Zusammenschreibung betrifft. Ist das übertrieben?

Wermke: Ich würde gerne mal diese Liste dieses Herren sehen, damit ich überprüfen kann, wie er zu diesen Zahlen kommt. Aus der Sicht der Dudenredaktion ist das jedenfalls nicht zu halten.

Schossig: Heute in der Tageszeitung Die Welt nachzulesen, da wird der neue Duden als ein Buch der Verwirrung gescholten, irgendwo im Niemandsland zwischen klassischer und neuer Rechtschreibung. Was sagen Sie dazu?

Wermke: Die Diskussion, die heute geführt wird, ähnelt zu 100 Prozent der Diskussion, die im Jahr 1996 geführt wurde und die erinnert sehr stark an die Diskussion, die 1876 bereits geführt wurde. Die selben Argumente, die selbe Kritik, ohne aber dass brauchbare Gegenvorschläge präsentiert worden sind. Übrigens haben wir in der Duden-Sprachberatung, die tagtäglich an die 200 Anfragen zur deutschen Sprache beantwortet, keinerlei Hinweis darauf, dass die Erregung über die neue Rechtschreibung, wie sie heute in den Medien geführt wird, auch die Allgemeinheit so bewegt.

Schossig: Herr Wermke, die deutsche Kultusministerkonferenz wird voraussichtlich im September jetzt einen Entwurf vorlegen, in dem die künftigen Funktionen und die Zusammensetzung dieses geplanten Rates für deutsche Rechtschreibung festgehalten sind. Stichdatum für die Reform ist der Sommer 2005, könnte es dann möglicherweise schon wieder einen neuen Duden geben müssen?

Wermke: Das bleibt abzuwarten. Ich gehe mal davon aus, dass das neue Regelwert in seiner im Juli 2004 ergänzten Fassung erst einmal Bestand haben wird. Rechtschreibung eignet sich nicht zum Dauerexperiment und kann auch nicht behandelt werden wie die Echternacher Springprozession nach dem Motto zwei Schritte vor, ein Schritt zurück. Die Schülerinnen und Schüler und die Lehrerinnen und Lehrer brauchen Verlässlichkeit, deswegen denke ich, ist es vernünftig, bei der Neuregelung zu bleiben, diese in ihrer weiteren Entwicklung durchaus zu beobachten, auch zu vergleichen, wie sich der allgemeine Sprachgebrauch und das Regelwerk zueinander verhalten und dann behutsam an denjenigen Stellen nachzujustieren, für die es als wichtig erkannt wird.

Schossig: Genau hier liegt ja eigentlich das Problem, wie man mit dem labilen Verhältnis von gesprochenem und geschriebenem Wort umgeht, sage ich mal, staatlich. Man kann ja nicht bürokratisch umgehen, sondern sollte es flexibel tun und eher bescheiden und nicht rechthaberisch?

Wermke: Das ist wahr, aber die Neuregelung ist eine bescheidene Fortführung der herkömmlichen Rechtschreibung, sehr weitgehende, sehr progressive Reformvorschläge, wie sie noch in den neunziger Jahren gemacht wurden und die zu Kaiser mit "EI" und Boot mit einem "O" geführt hätten, die wurden ja von vorneherein abgelehnt, sodass das, was übrigbleibt eigentlich nicht vielmehr ist als ein kleines Reförmchen, wenn man dieses Wort überhaupt in den Mund nehmen will.


eingetragen von DS am 29.08.2004 um 07.28

28.08.2004

Rechtschreibregeln weltweit
 
[Bild Schultafel]
Schreiben will gelernt sein - aber was ist richtig?

Die deutsche Rechtschreibreform bewegt die Sprachhüter. Doch auch andere Länder haben mit veränderten Schreibregeln zu ringen. Zum Teil - wie bei Englisch, Spanisch oder Portugiesisch - über Staatsgrenzen hinweg.

In China gibt es seit 1954, fünf Jahre nach der kommunistischen Machtübernahme, ein Problem der Rechtschreibung. Damals veröffentlichte der Staatsrat die erste Liste der vereinfachten Schriftzeichen (Kurzzeichen), die dann auch in Schulen und im öffentlichen Leben statt der Langzeichen verwendet werden sollten. 

Heute können nur noch wenige Chinesen traditionelle Langzeichen schreiben. Die meisten können sie aber aus dem Textzusammenhang lesen und verstehen. Durch das wirtschaftliche Zusammenwachsen von China, Hongkong und Taiwan werden seit einigen Jahren immer mehr Langzeichen reimportiert. Viele Hotelschilder sind damit geschrieben, was die Regierung in Peking nicht gern sieht. In Singapur werden dagegen die gleichen Kurzzeichen wie auf dem chinesischen Festland verwendet. Auch bei den Sinologen weltweit haben sich die Kurzzeichen durchgesetzt.


21 Staaten im spanischsprachigen Raum

Für die spanische Sprache wird die Rechtschreibung durch die Akademie der spanischen Sprache ("Real Academia Espanol" - RAE) geregelt. Das Wörterbuch der RAE wird in Zusammenarbeit mit 21 nationalen Sprachakademien herausgegeben und ist verbindlich für den ganzen spanischsprachigen Raum (Argentinien, Bolivien, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Honduras, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Philippinen, Puerto Rico, Uruguay, die USA und Venezuela).
  
Eine allgemeine Rechtschreibreform hat es in den vergangenen Jahren weder gegeben, noch ist sie geplant. Einzelne Wörter werden laufend angepasst, zum Beipiel "carné" statt des französischen Wortes "carnet" oder "güisqui" statt "Whiskey".

"Gemeinschaft der Portugiesischsprachigen Länder"

Portugiesisch ist in acht Ländern die offizielle Sprache (Angola, Brasilien, Guinea-Bissau, Kap Verde, Mosambik, Osttimor, Portugal, São Tomé und Príncipe) und somit - mit rund 220 Millionen Sprechern -  eine der meistverbreiteten Sprachen der Welt. Portugiesisch verfügt nicht über eine einheitliche Orthographie, so veröffentlichen beispielsweise die Vereinten Nationen ihre Unterlagen in zwei Versionen.

Seit 1986 gibt es Bemühungen um eine Vereinheitlichung. Ein entsprechendes Rechtschreibungsabkommen wurde bereits im Dezember 1990 von der Gemeinschaft der Portugiesischsprachigen Länder (CPLP) verabschiedet. Seitdem harrt es der offiziellen Einführung – wegen fehlender Ratifizierung in einigen der Länder. Beim jüngsten Gipfeltreffen der CPLP-Länder Ende Juli 2004 sind die Staatschefs zu einer Übereinkunft gekommen, wonach das Rechtschreibungsabkommen nach einer noch festzulegenden Übergangszeit in allen CPLP-Ländern in Kraft treten soll. Das Abkommen lässt jedoch bei gewissen eingeführten Vokabeln weiterhin zwei verschiedene Schreibweisen zu.


Umfassendes russisches Regelwerk

Die russische Rechtschreibung wird von einem hohen akademischen Gremium behütet. Nach der Vereinfachung des russischen Alphabets 1918 wurde in den 1930er-Jahren eine akademische Kommission gegründet, die 1956 ein umfassendes Regelwerk herausgegeben hat. Seitdem beschäftigt sich eine Rechtschreibkommission am Institut für Russische Sprache der Akademie der Wissenschaften mit allen Änderungen und der Klärung von Streitfällen. Die Webseite www.gramota.ru ist die wichtigste Adresse für Fragen zur russischen Rechtschreibung. Allerdings entwickelt sich, wie auch in den anderen Sprachen, im Internet ein eigener russischer Sprachritus.


Neue Regeln? Im Englischen kein Thema

Weder die USA noch Großbritannien haben offizielle, staatliche Behörden, die mit der "Deutschen Gesellschaft für Sprache" oder der "Académie Française" vergleichbar wären. Generell werden Debatten über die Entwicklung der englischen Sprache nur unter Fachleuten geführt. Die Öffentlichkeit zeigt an solchen Diskussionen wenig Interesse. Rechtschreib-Reformen gibt es nicht.

Was es gibt, sind natürlich auch im Englischen Standardwerke, die mit dem deutschen Duden vergleichbar sind. In den USA blättern Studenten und andere Schreibwütige in erster Linie im "Columbia Guide to Standard American English" oder im "Chicago Manual of Style". Engländer schlagen häufig in "The New Fowler's Modern English" nach. Antworten auf sehr knifflige Fragen zur englischen Rechtschreibung sind allerdings eher im "Oxford English Dictionary" oder in "Webster's Dictionary" zu finden.

In der Vergangenheit gab es durchaus Versuche, eine Gesellschaft zu gründen, die sich offiziell mit der Entwicklung - und Bewahrung - der englischen Sprache befassen sollte. Jedoch schlugen sämtliche Versuche fehl. Selbst die berühmten Dichter Daniel Defoe und Jonathan Swift wollten eine "English Academy" ins Leben rufen - vergeblich. Heute wird Englisch in so vielen, auf der ganzen Welt verteilten Ländern gesprochen, dass wahrscheinlich niemand von neu-aufgestellten Regeln einer "Academy" Notiz nehmen würde.

Es gibt allerdings vereinzelte Organisationen, denen die reine, englische Sprache sehr am Herzen liegt. So zum Beispiel die "Plain English Campaign". Ihr geht es hauptsächlich darum, die englischsprachige Bevölkerung aufzurufen, Umgangssprache zu vermeiden. Viel Einfluss hat diese Organisation allerdings nicht. (kap)



Ruck zurück
Die Debatte um die Rechtschreibung zeigt, wie schwer den Deutschen Veränderungen fallen. Es gibt handfestere Beispiele, aber keines passt besser zum Land der Dichter und Denker, meint die US-Amerikanerin Kristin Zeier. (9.8.2004)
So ist's recht
Niemand, der mit der deutschen Sprache zu tun hat, kommt am Duden vorbei. Pünktlich zum 175. Geburtstag seines Namensgebers, Konrad Duden, am 3. Januar 2004 flammt eine alte Debatte wieder auf: Wie schreibt man richtig? (3.1.2004)


eingetragen von Fritz Koch am 19.08.2004 um 15.16

Durch die neuen Sozialgesetze und das Festhalten an der neuen Rechtschreibung:
Bekanntlich bilden die Mehrheit der gymnasialen Oberstufe die Kinder von Besserverdienern, die von Hartz IV weniger betroffen werden.
Die Schüler der gymnasialen Oberstufe, besonders die sprachlich begabten, können ganz locker mit zwei deutschen Rechtschreibungen umgehen, sofern diese gleichberechtigt sind, denn sie sind verschiedene Schreibweisen einer Sprache z.B. vom Englischen und Amerikanischen und vom Altgriechischen gewöhnt. Falls man sie läßt, werden sie sich für die für sie geeignetste Schreibweise entscheiden. Deshalb ist gar nicht sicher, daß die nächste Generation bei Bild, Spiegel und F.A.Z. wieder die neue Rechtschreibung einführen wird. In den sogenannten "Gebildetenkreisen" wird sich die alte Rechtschreibung etablieren, schon als Markenzeichen gegenüber dem "übrigen Volk".
Problematisch sind die weniger begabten Schüler, die mit Mühe eine Schreibweise erlernen können und z.B. gar nicht bis zum Unterschied zwischen Englisch und Amerikanisch vordringen. Man wird sie an ihrer neuen Rechtschreibung erkennen. Diese Bevölkerungsschicht liest selten den Spiegel oder die F.A.Z., sondern eher die Bild-Zeitung. Deshalb bietet die Bild-Zeitung die einzige Chance, diese Schicht an gutes Schriftdeutsch heranzuführen, mit dem sie in die "besseren Kreise" aufsteigen können, wenn die Schulen es nicht mehr lehren. Dank an Bild!


eingetragen von Norbert Lindenthal am 19.08.2004 um 11.06



Fazit • Kultur vom Tage
Samstag bis Donnerstag • 23:05

18.8.2004

Eine Seerose brach ihr das Rückgrat

Der gescheiterte Versuch einer französischen Rechtschreibreform

Von Tobias Wenzel


Der Eiffelturm in Paris (Foto: AP)

Es gibt kein Zurück von der neuen Rechtschreibung, verkündet die Mehrheit der deutschen Kultusminister. Bei so viel Streit um geschriebene Worte lohnt sich ein Blick über die Grenze nach Frankreich. Dort startete man vor 15 Jahren einen Reformversuch. Er scheiterte - vor allem wegen des Wortes "nénufar", das "Seerose" bedeutet.

Laut einer Umfrage aus dem Frühjahr 1989 halten 70 Prozent der Franzosen ihre Rechtschreibung für schwierig. Drei Monate nach der Umfrage gründet Premierminister Michel Rocard einen "Rat für die französische Sprache". Noch im selben Jahr beauftragt er diesen Rat damit, Vorschläge zu einer Rechtschreibreform vorzulegen. Eine Expertengruppe aus Sprachwissenschaftlern und Wörterbuchexperten macht sich an die Arbeit. Der Pariser Sprachwissenschaftler Bernard Cerquiglini leitete damals diese Gruppe und erklärt die Motivation:

Bernard Cerquiglini: Die französische Rechtschreibung ist eine Art Religion. Die Schreibung, die man in der Schule lernt und die sehr schwierig ist, kommt einem Ritus nahe: einer heiligen, obskuren Sache. Man muss sie befolgen. Andernfalls ist das Sünde. Dem Premierminister ging es nicht nur um die Reform selbst. Im Grunde wollte er der französischen Rechtschreibung ihren religiösen Charakter nehmen.

Anfangs läuft alles glatt. Die linguistische Expertengruppe berät die Orthographie-Arbeitsgruppe des Rats, in der auch Schriftsteller, vor allem Mitglieder der Académie française, vertreten sind. Denn in Frankreich ist die Académie und das von ihr herausgegebene Wörterbuch die Instanz für die Rechtschreibung - nicht, wie in Deutschland, die Kultusministerkonferenz. Im Mai 1990 stimmt die sonst eher konservative Académie den Vorschlägen zu. (Wohl auch, weil die Gewerkschaft der Lehrer eine radikalere Rechtschreibreform einfordert.)

Als jedoch im Dezember die Rechtschreibänderungen im Amtsblatt veröffentlicht sind, regt sich plötzlich Widerstand. Der konservative Politiker François Bayrou gründet gar eine Organisation zur Rettung der alten Orthographie: "Le français libre" - "Das freie Französisch". Bekannte Schriftsteller wie Michel Tournier treten bei. Auch die Tageszeitung "Figaro" ergreift Partei gegen die neue Schreibung. Der Streit eskaliert. Vor allem wegen des Wortes "nénufar", das "Seerose" bedeutet.

Bernard Cerquiglini: Die deutsche "Majonäse" entspricht unserem "nénufar". Die Gegner greifen immer ein Wort heraus, um die Reform ins Lächerliche zu ziehen. Das Wort "nénufar" kommt aus dem Persischen. Im Französischen wurde es immer mit einem "f" geschrieben. Als aber die Académie française 1932 ihr neues Wörterbuch veröffentlichte, hatte sie wohl geschlafen: Sie dachte, "nénufar" komme aus dem Griechischen, und hat deshalb das "f" durch ein "ph" ersetzt. Wir Reformer wollten diesen Fehler der Académie nur korrigieren. Der Dank: Alle haben uns, Entschuldigung, angeschnauzt.

Doch solch vernünftige Erklärungen finden kein Gehör mehr. Dafür aber das Buch mit dem bezeichnenden Titel "Gegen die Rechtschreibreform". Darin schreibt das Autorenkollektiv, dem vor allem Schriftsteller angehören, über die Reformer:

SIE haben sich eine anonyme Maske aufgesetzt, um zu verkünden, dass die Kinder, von September 1991 an, nicht mehr dasselbe Französisch lernen wie ihre Eltern.

Die Rechtschreibung wird einfach mit der Sprache gleichgesetzt. Für Jürgen Trabant liegt hier der Denkfehler. Der Professor für romanische Sprachwissenschaft an der FU Berlin hat die französische mit der deutschen Rechtschreibreform verglichen:

Ich glaube, diese französische Reform war so, dass sie eigentlich nur in der Schrift etwas nachvollzog, was schon in der gesprochenen Sprache vorhanden war, sodass hier keine Gefahr bestand, dass diese Veränderungen die gesprochene Sprache verändert hätten. (...) Aber im Deutschen ist es anders. Da glaube ich schon, dass die Veränderungen (...)das Verständnis (...) behindern oder verändern.

So zum Beispiel bei dem Wort "belämmert", das nach der neuen Orthographie nicht mehr mit etymologisch korrektem "e", sondern mit "ä" geschrieben wird. Durch die neu geschaffene Analogie zum Lamm, verändert sich, so Jürgen Trabant, auch das Wissen über die Sprache.

Bei der französischen Reform hat es jedoch solche Eingriffe nicht gegeben. So sollten zum Beispiel überflüssige Akzente getilgt und die Benutzung des Bindestrichs vereinheitlicht werden. Eine behutsame Reform, die ordentlich Gegenwind bekam.

Bernard Cerquiglini: Die Heftigkeit der Debatte hat mich doch sehr überrascht. Wir haben nur 400 Wörter korrigiert und zwar im Einklang mit Fachleuten (mit Linguisten und Académie-Mitgliedern). Und damit sollen wir Frankreich in Schutt und Asche gelegt haben!? Die bisherige Rechtschreibung ist doch nahezu erstarrt. Ich habe Zweifel, ob eine neue Reform jemals gelingen wird.

Denn seine französische Reform landet in einer Sackgasse. Die Académie française entscheidet zwar im Januar 1991 abschließend, dass die Reform nicht zurückgenommen wird. Aber die Académie kneift und bezeichnet die Reform als "nicht verbindlich". Der vermeintlich ungeregelte "Gebrauch" solle zeigen, ob sich die neuen Schreibungen durchsetzen. So begegnet man in Frankreich auch 15 Jahre nach dem Reformbeginn, abgesehen von ein, zwei Wörtern, keiner neuen Schreibung: weder in der Schule noch in der Zeitung noch in den gängigen Wörterbüchern. Wenigstens ein einheitliches Ignorieren, meint Jürgen Trabant mit Blick auf die deutsche Reform:

Hier, glaube ich, wird es im Gegensatz zu Frankreich nicht so glimpflich ausgehen bzw. es wird jetzt wahrscheinlich sagen wir 20 Jahre alt und neu nebeneinander existieren. Der Staat wird nichts zurückdrehen. Er kann es nicht. Es ist viel zu viel geschehen: Millionen von Kindern schreiben neu. Und ich denke dann, wenn diese Kinder dann ihrerseits Chefredakteure von "Spiegel", "FAZ" und Suhrkamp und so weiter sind, dann werden sie wahrscheinlich die neue Rechtschreibung in diesen Verlagen einführen.

Denn für die meisten Menschen, ob Deutsche oder Franzosen, gilt: Was man mühsam in der Schule gelernt hat, wird einem früher oder später heilig.


eingetragen von Dominik Schumacher am 14.08.2004 um 20.09



14.08.2004

Stichwort: Rechtschreibreform

Planmäßig in Kraft getreten ist die neue Rechtschreibung am 1. August 1998. Seitdem gilt das neue Regelwerk für Schulen und die öffentliche Verwaltung.

Erklärtes Ziel der Rechtschreibreform war es, die Regeln der Schriftsprache klarer und systematischer zu gestalten. Schülern sollte es leichter gemacht werden, das komplizierte Regelwerk des Deutschen zu erlernen. Kritiker bemängeln, Teile der Reform seien willkürlich, auch führe sie zu einer Verarmung an sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten und produziere Wortungetüme.

Das neue Regelwerk gilt seit dem 1. August 1998 - für Schulen und für die öffentliche Verwaltung. Grünes Licht dafür hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 14. Juli 1998 gegeben. Eine Übergangsphase, während der in den Schulen die alte Rechtschreibung noch nicht als falsch gilt, endet am 1. August 2005.

Erst am 4. Juni 2004 hatten die Kultusminister dafür endgültig grünes Licht gegeben, und zugleich einige Änderungen beschlossen, die mit Ende der Übergangsphase in Kraft treten. Sie betreffen überwiegend die Getrennt- und Zusammenschreibung von Wörtern.

Demnach wird unter anderem die Liste der Adverbien und Präpositionen, die mit einem Verb zusammen geschrieben werden dürfen, um 13 Wörter ergänzt. Neben "dahinter stehen" tritt nun auch wieder die Variante "dahinterstehen". Auch übernommene Fremdwörter können künftig so geschrieben werden wie in der Ursprungssprache. Neben "Bluejeans" tritt "Blue Jeans". Der Bindestrich wird ab 1.8.2005 auch wieder in Zusammenhang mit Zahlen zugelassen. Beispielsweise muss es nicht "20fach" heißen, auch "20-fach" ist richtig. Auch bei der Groß- und Kleinschreibung wird es zusätzliche Varianten geben. (ap)


eingetragen von Norbert Lindenthal am 09.08.2004 um 12.52

09.08.2004   07:00 UTC

Streit um Rechtschreibreform dauert an
 
In der wieder aufgeflammten heftigen Debatte über die Rechtschreibreform hat sich die Präsidentin der Kultusminister- Konferenz, Doris Ahnen, gegen eine Volksabstimmung über die Änderungen bei der deutschen Schriftsprache ausgesprochen. Die Mehrzahl der Bürger habe ganz andere Sorgen, sagte Ahnen im deutschen Fernsehen. Sie verwies auf den einstimmigen Beschluss der Kultusminister zur Einführung der neuen Schreibweisen. Zur Demokratie gehöre auch Verlässlichkeit. Wir können nicht alle drei Tage die Pferde wechseln, betonte die rheinland-pfälzische Kultusministerin. Auslöser der neuen Debatte war die Ankündigung großer Zeitungen und Verlage wie Spiegel und Springer, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 06.08.2004 um 21.19

DeutschlandRadio - Aktuell

6.8.2004 16.28

"Bild" und "Spiegel" wieder in alter Rechtschreibung

Kultusministerkonferenz kritisiert Entscheidung der Verlage


Spiegel-Verlag und Axel Springer AG kehren zur alten Rechtschreibung zurück. (Foto: AP)
Die Axel Springer AG und der Spiegel-Verlag kehren zur alten Rechtschreibung zurück. Das teilten die beiden Unternehmen in einer gemeinsamen Erklärung mit. Anlass der Initiative sei die mangelnde Akzeptanz des neuen Regelwerks und die zunehmende Verunsicherung darüber, hieß es zur Begründung.

Vermischungen von alter und neuer Rechtschreibung seien an der Tagesordnung. Die Umstellung solle schnellstmöglich erfolgen. Ziel sei die Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung.

Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, und der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", Stefan Aust, betonten, sie befürworteten dringend notwendige und sinnvolle Reformen in der Gesellschaft. Die Rechtschreibreform sei jedoch keine Reform, sondern ein Rückschritt.


Duden (Foto: AP)
Zugleich appellierten die Verlage an andere Medienunternehmen und an die Nachrichtenagenturen, sich diesem Schritt anzuschließen und damit dem Beispiel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu folgen. "Aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen empfehlen wir auch anderen die Beendigung der staatlich verordneten Legasthenie und die Rückkehr zur klassischen deutschen Rechtschreibung", schrieben Döpfner und Aust in der Erklärung.

"Süddeutsche Zeitung" beteiligt sich auch an Initiative

Auch die "Süddeutsche Zeitung" unterstützt die Initiative des Spiegel- und des Springer-Verlags. Intern werde aber noch über Details gesprochen, teilte ein Sprecher des Süddeutschen Verlags mit. Offen sei noch, welche Regelungen beibehalten und von welchen Regelungen man abrücken wolle. Der Zeitpunkt für die Umstellung stehe noch nicht fest.

"Focus" bleibt bei der neuen Rechtschreibung


Schüler lernen die alte und die neue Rechtschreibung. (Foto: AP)
Das Nachrichtenmagazin "Focus" wird sich der Initiative nicht anschließen. Das Magazin werde weiterhin so schreiben, wie es in den Schulen gelehrt werde, teilte ein Focus-Sprecher mit. Zur Begründung sagte er, die Magazin-Macher wollten nicht, dass Schüler noch mehr verwirrt würden.

Die FAZ hatte als einziges Blatt die Umstellung auf die neue Rechtschreibung nach kurzer Zeit wieder rückgängig gemacht. Die meisten deutschen Medien hatten die Reform im Sommer 1999 übernommen.

Ahnen befürwortet einheitliche Regelung


Doris Ahnen (SPD), Präsidentin der Kultusministerkonferenz (Foto: T. W. Klein - photography)
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen, kritisierte den Entschluss. Damit würden die Menschen mehr denn je verunsichert, sagte die rheinland-pfälzische Bildungsministerin der Nachrichtenagentur dpa. Nötig sei zudem eine einheitliche Lösung für den gesamten deutschen Sprachraum, zu dem auch Österreich, die Schweiz und Liechtenstein gehörten, fügte die SPD-Politikerin hinzu.

Die Rückkehr zur alten Rechtschreibung führe in hohem Maße zu Verunsicherung bei Schülern und Jugendlichen, erklärte das Sekretariat der Kultusministerkonferenz in Bonn. Seit 1998 lernten rund 12,5 Millionen Heranwachsende weitgehend ohne Probleme nach dem reformierten Regelwerk, hieß es.

Wulff: Teilerfolg gegen die Reform

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hingegen wertete die Entscheidung der beiden Verlage als wichtigen Teilerfolg im Kampf gegen die Reform. Wulff kündigte an, er werde auf der nächsten Konferenz der Ministerpräsidenten versuchen, eine Mehrheit für die Rücknahme der Reform durchzusetzen.

Letzte Änderung: 16:28


eingetragen von murmel am 26.07.2004 um 16.37

sind noch viel ärmer dran, weil die Buchstaben K und W nur in englischen Fremdwörtern vorkommen.


eingetragen von Klaus Malorny am 26.07.2004 um 16.26

Tatsächlich, was für ein Schwachsinn! Wieso soll denn für die Kinder das ß fremder sein als alle anderen Buchstaben? Außerdem, wenn ich recht informiert bin, kannten die alten Römer noch gar keine Kleinbuchstaben und auch nicht alle Großbuchstaben, die wir heute dem lateinischen Alphabet zurechnen.

Mich stört, daß die Schüler und andere Nutzer der Rechtschreibung einerseits als saudoof klassifiziert werden (wie bei der Begründung für Trennung wie hi-nein, vol-lenden), auf der anderen Seite als Leser so superintelligent, die Bandwurmsätze ohne Kommas und mit nun doppeldeutigen Begriffen problemlos verstehen können. Das zeigt, daß die Argumentationen der Reformer nur dummes Bla-Bla sind.


eingetragen von Karsten Bolz am 26.07.2004 um 15.52

Zitat:
Also solche Anfangsfehler werden vor allem in der Grundschule immer gemacht, denn dieser Buchstabe „ß“ ist ja in der Tat ein fremder Buchstabe, der nicht im normalen lateinischen Alphabet vorkommt.

Demnach müßten alle Kinder in der westlichen Welt, die das lateinische Alphabet nutzen, Schwierigkeiten mit "unnormalen" Buchstaben haben. Nicht nur die dänischen Kinder sind zu bedauern (Ø), sondern auch die türkischen (ı vs. i), die polnischen (ł ), die tschechischen (č ) und besonders die französischen mit den verschiedenen Formen des Accent. Fast jede Sprache mit lateinischem Alphabet - beim kyrillischen Alphabet ist es meines Wissens nicht anders - kennt irgendwelche Sonderzeichen. Welche Qual für die armen Kinder!

Merkwürdig nur, daß heute auch von Erwachsenen Fehler gemacht werden, die früher so zahlreich nie beobachtet wurden (Strasse, mit freundlichen Grüssen usw.).
__________________
Karsten Bolz


eingetragen von Christian Dörner am 26.07.2004 um 12.51

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Lindenthal
Meurer: Das würde bedeuten, dass wir nach einer Übergangsfrist doch alle "Ketchup" mit "sch" oder "Joghurt" mit einfachem "g" schreiben werden.

Augst: Das ist ja kein griechisches "gh", sondern das Wort kommt ja aus dem Ungarischen und das ist einfach eine reine Gewöhnungssache.
Seit wann kommt eigentlich Joghurt aus dem Ungarischen? Das Wort ist türkischen Ursprungs, was Augst als selbsternannter »Fachexperte« hätte wissen müssen.
Aber auch sonst ist das Interview so schwach, daß es sich kaum lohnt, weiter darauf einzugehen.
__________________
Christian Dörner


eingetragen von Norbert Lindenthal am 26.07.2004 um 12.11

Deutschlandfunk Interview
Montag bis Sonntag

26.7.2004

Rechtschreibreform in der Kritik
Interview mit Gerhard Augst, stellvertretender Vorsitzender der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung
Moderation: Friedbert Meurer

Schultafel mit alter und neuer Rechstschreibung (Foto: AP)
Schultafel mit alter und neuer Rechstschreibung (Foto: AP)
Meurer: Dreiviertel der Deutschen sind laut einer Umfrage gegen die neue Rechtschreibreform. Trotzdem soll sie ab dem 1. August 2005 verbindlich in Schulen und Ämtern eingeführt werden. Dann läuft die derzeit gültige Übergangsfrist aus. Wir Erwachsenen tun uns schwer, uns mit der Reform anzufreunden. Und weil sie so unpopulär ist, wollen immer mehr Ministerpräsidenten - vier oder je nach Zählweise fünf sind es jetzt, alle aus der Union übrigens - die Reform wieder rückgängig machen. Dazu müssen sie aber ihren Kulturministern in die Parade fahren. Zuständig für die Reform ist die so genannte Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung, in der Vertreter aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein sitzen. Ihr stellvertretender Vorsitzender ist der Germanistikprofessor Gerhard Augst. Guten Morgen Herr Augst.

Augst: Guten Morgen Herr Meurer.

Meurer: Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Rechtschreibreform doch noch gekippt wird?

Augst: Also ich glaube, dass es unverantwortlich wäre, die Rechtschreibreform noch zu kippen und ich glaube auch nicht, dass sie gekippt wird, wir müssen das eben durchstehen, was zur Zeit politisch passiert.

Meurer: Aber wenn jetzt noch einige Ministerpräsidenten dazukommen, könnte es doch in der Tat einen Beschluss geben, die Reform wieder abzublasen.

Augst: Immerhin ist es ja so gewesen, dass diese Reform, wie sie 1996 eingeführt worden ist, auch den Ministerpräsidenten damals zur Genehmigung vorgelegen hat und sie haben diese Rechtschreibreform genehmigt und wir haben jetzt ja auch noch einige kleinere Nachbesserungen vorgenommen, so dass ich eigentlich glaube, dass dieser ganze Kampf gar nicht gegen die Rechtschreibreform selbst geht, sondern dass da eine Unzufriedenheitswelle ausgenützt wird, die sich gegen Reformen generell wendet. Und wenn wir in Deutschland alle Reformen abschaffen wollten, gegen die zur Zeit die Mehrheit der Bevölkerung ist, dann könnten wir das glatte politische Programm, das derzeit gefahren wird, abschaffen.

Meurer: Warum, Herr Augst, wollen so viele Deutsche die Rechtschreibreform nicht?

Augst: Ich glaube das liegt daran, dass sie eine Unzufriedenheit generell mit Reformen haben. Wenn die Leute heute das Wort Reform hören, dann stellen sich ihnen schon die Haare auf, weil sie immer denken, irgendetwas wird ihnen dann aus der Tasche genommen. Zweitens verstehen sie diese Reformen nicht und das konzentriert sich jetzt auf die Rechtschreibreform, weil da die Leute durch die Schule und durch ihre eigene Erfahrung ja auch einiges über Rechtschreibung wissen. Interessanterweise wissen die meisten Leute überhaupt gar nicht, was sich durch die Reform ändert und es ist ja nun so, dass schon seit 1999 alle Zeitungen und Zeitschriften und Illustrierten in der neuen Rechtschreibung erscheinen und die Leute lesen diese neue Rechtschreibung ohne anzustoßen, sind aber trotzdem, wenn man sie fragt, gegen die Reform und wissen auch oft gar nicht, was sich denn nun eigentlich geändert hat. Vielleicht muss man da auch noch ein bisschen mehr aufklären.

Meurer: Um mal ins Detail zu gehen, Herr Augst, werden Sie in Zukunft oder schreiben sie jetzt schon "Ketchup" mit "sch"?

Augst: Also da haben wir ja die Variante und man kann es so schreiben und so schreiben und es hängt im wesentlichen davon ab, wie man es gewöhnt ist. 1915 schrieben die Leute "Büro" B-u-r-e-a-u und es wäre sehr merkwürdig gewesen, wenn es einer mit ü und ö geschrieben hätte. In der heutigen Zeit jetzt, sagen wir mal 2000, kommt uns das umgekehrt ganz, ganz seltsam vor.

Meurer: Das würde bedeuten, dass wir nach einer Übergangsfrist doch alle "Ketchup" mit "sch" oder "Joghurt" mit einfachem "g" schreiben werden.

Augst: Das ist ja kein griechisches "gh", sondern das Wort kommt ja aus dem Ungarischen und das ist einfach eine reine Gewöhnungssache. Also das Wort "Streik" kommt ja aus dem Englischen, das wird ja im Englischen mit "i-k-e" geschrieben und schon um 1900 herum hat man sich die andere Schreibung angewöhnt. Ich denke es zuckt immer etwas in uns zusammen. Um mal ein konkretes Beispiel der Rechtschreibreform zu nehmen: Wenn wir den Fluss plötzlich mit Doppel-s geschrieben finden, obwohl wir Flüsse immer ganz normal mit Doppel-s geschrieben haben. Diese Gewöhnung, die muss eben auf die Dauer der Zeit eintreten. Ich denke die jungen Generationen, die jetzt in der Schule heranwachsen, die werden sicher ihren Eltern und Großeltern irgendwann sagen: "Das sieht aber ganz merkwürdig aus, wenn ich Fluss mit "ß" schreibe oder wenn ich Ketschup nur mit "ch" schreibe."

Meurer: Der Lehrerverband sagt, jetzt schreiben die Schüler "Straße" mit Doppel-s, was ja nicht richtig ist, weil Doppel-s nur nach kurzem Vokal angesagt ist. Ist das ein Beispiel dafür, dass es für die Schüler doch nicht einfacher geworden ist?

Augst: Also solche Anfangsfehler werden vor allem in der Grundschule immer gemacht, denn dieser Buchstabe "ß" ist ja in der Tat ein fremder Buchstabe, der nicht im normalen lateinischen Alphabet vorkommt. Wir haben ihn in den deutschsprachigen Länder auch als einzige, den gibt es nicht in England, Frankreich, Spanien und so weiter. Die Kinder müssen sich eben erst mal daran gewöhnen, dass es neben dem "s" und Doppel-s eben noch einen Buchstaben "ß" gibt und das führt dann am Anfang auch zu Fehlern. Das hat es vorher genauso gegeben. Die Kinder haben auch vor 1996 gerade mit diesen Problemen noch viel mehr Schwierigkeiten gehabt.

Meurer: Aber dann ist es ja nicht besser geworden, Herr Augst.

Augst: Doch, es ist schon besser geworden, weil eben mit Fluss/Flüsse keine Fehler mehr gemacht werden und Kuss/Küsse und Fass/Fässer und so weiter und du fasst, er fasst, wir fassen. Dieser Fehlerbereich ist abgeschafft worden und es bleiben eben die Wörter, wo nach langem Vokal oder Diphthong ein "ß" steht und diese Wörter müssen in der Schule eben gelernt werden.

Meurer: Gibt es irgendwo Nachbesserungsbedarf, sind Sie irgendwo bereit zu sagen, da und dort, an dieser und jener Stelle, meinetwegen bei der Kommaregel, da nehmen wir doch noch Änderungen vor.

Augst: Also wir haben ja einen Änderungsvorschlag gemacht voriges Jahr, also Kleinigkeiten nachgearbeitet oder auch unsere Regeln etwas präzisiert und diese Änderungen haben wir ja der KMK, wir haben sie auch einem Beirat für Rechtschreibung, in dem also die Zeitschriftenverlage vertreten sind und die Dichterverbände und so weiter, vorgelegt und alle haben diese Veränderungen gebilligt, auch in Österreich und in der Schweiz. Sie sind dann von der KMK gebilligt worden und ich denke damit haben wir in den Bereichen, in denen es noch Unklarheiten gab, Klarheit geschaffen.

Meurer: Die KMK ist die Kulturministerkonferenz, um das noch kurz hinzuzufügen. Das war Professor Gerhard Augst, er ist der stellvertretende Vorsitzende der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung. Herr Augst, besten Dank und auf Wiederhören.


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