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Sigmar Salzburg
09.08.2016 10.39
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20 Jahre Rechtschreibreform

„Die Rechtschreibreform war stümperhaftׅ“
08. August 2016

„Eis laufen“ oder „eislaufen? Die Rechtschreibreform wurde nach ihrer Einführung 1996 schon drei Mal überarbeitet: 2004, 2006 und 2011.

von Katja Köllen

„s“, „ß“ oder „ss“? Zusammen oder auseinander? Kritiker wussten es schon immer, jetzt belegt eine Studie: Die Rechtschreibreform hat vor allem Verwirrung gestiftet. War sie ein einziger großer Fehler?

„Im wesentlichen“ schreibt der Germanist Uwe Grund in seinem Buch klein und nicht groß. Und „Neuntklässler“ sind für ihn noch immer „Neuntkläßler.“ So wie es eben vor 1996 geschrieben wurde. Vor der Rechtschreibreform. Denn die ist dem Germanisten und Buchautor ein Dorn im Auge. Nicht erst seit heute, aber jetzt hat Uwe Grund erstmals mit einer Studie den wissenschaftlich fundierten Beweis geliefert, dass die Rechtschreibreform nicht nur Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung und einiges mehr veränderte, sondern die deutsche Sprache in vielen deutschen Schulheften ins Chaos stürzte.

Grund ist nicht alleine mit seiner Kritik an der Rechtschreibreform...

… weiter in Wirtschaftswoche

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Sigmar Salzburg
15.04.2016 05.09
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Werner knallhart

Wegen WhatsApp wird Rechtschreibung langsam Wurscht
...
Wenn heute etwas falsch geschrieben abgeschickt wird, ist eben die eingebaute Fehlerkorrektur schuld.

Macht ja nix, denken viele. Denn mittlerweile wurden wir durch einen drei stufiges Verfahren längst von der Rechtschreibpedanterie entwöhnt:

Stufe 1: Die Rechtschreibreform machte Ahnungslosigkeit salonfähig

Sie war die Ursünde oder der Befriunngsschlag. Je nachdem , auf welcher Seite man steht. Eins ist unbestritten: Plötzlich wurde alles so schön logisch:

Im wesentlichen wurde zu im Wesentlichen, weil es ja „das Wesentliche“ ist.
Die Nuß mit ihrem kurzen Vokalt wurde endlich zur Nuss.
Selbständig wurde selbstverständlich zu selbstständig, weil es ja auch nie selbverständlich hieß.
Und heute abend wurde zu heute Abend. Herrlch.

Aber manchmal ist nun die alte und neue Variante erlaubt (Spaghetti/Spagetti), manches wurde in einer Reform der Reform wieder zurückgenommen (oder zurück genommen?): erst Radfahrende, dann Rad Fahrende, dann wieder Radfahrende. Heute kann jeder Legastheniker triumphieren: „ich schreib halt nach der alten Fassung.“ Und kaum eeiner kann aus dem Stehgreif das Gegenteil bewiesen. Der Duden? Oje, der hat seit dem Reform-Hickhack ohnehin an Autorität eingebüßt.
...
wiwo.de 13.4.2016

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Detlef Lindenthal
07.09.2006 18.22
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Sprachpanscherei

Die Wirtschaftswoche

Ob-la-di, ob-la-da!

Politikersprache. Politiker reden unverständliches Kauderwelsch, weil sie gar nicht verstanden werden wollen. Abgeschaut haben sie sich das bei vielen Managern. Eine Handelsblatt-Reportage über die sprachlichen Meisterleistungen deutscher Staatsmänner.

BERLIN. Die Antwort war Schweigen. Als der Verein Deutsche Sprache (VDS) Ende August den Preis für den „Sprachpanscher des Jahres“ verlieh, blieb der Preisträger stumm. „Englisch wird die Arbeitssprache“, hatte Günther Oettinger einst gesagt, „Deutsch bleibt die Sprache der Familie und der Freizeit, die Sprache, in der man Privates liest.“

Das war zwar klar formuliert, in der Sache aber völlig daneben, befanden die 27 000 Mitglieder des VDS, und sie stellten dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg die Preisträger-Urkunde zu – per Einschreiben. Ein Dankeswort des Gepriesenen ist nicht überliefert. Und auch die träge Öffentlichkeit nahm im sich nur langsam verabschiedenden Sommerloch kaum Notiz.

Eigentlich schade. Denn nicht nur ist Günther Oettinger der erste Politiker, den die Tugendwächter vom VDS zum „Sprachpanscher des Jahres“ ausrufen. Seit 1997 schickte der VDS seine Einschreiben zumeist an Manager wie Bahn-Chef Johannes Ludewig, Telekom-Boß Ron Sommer oder Klaus Zumwinkel, den Vorstandsvorsitzenden der Post.

Oettingers preisgekrönter Satz ist auch beinahe visionär, denkt er doch einen Mechanismus zu Ende, der die Sprache des Politischen hierzulande fest im Griff hat. Da Tatsachen nicht ausreichen, das Publikum anzuziehen, müssen wilde Formulierungen her. Und sind die Tatsachen eine Zumutung, werden sie in besser verträgliche Hüllen gewickelt. Als beredtes Vorbild dienen die sprachpanschenden Manager. Warum dann nicht gleich nur noch Englisch sprechen, etwa im Bundestag, der ab dieser Woche wieder in Plenum und Ausschüssen die Probleme des Landes sprachlich wälzt? Statt zu entblättern, verschleiert die Politsprache im „Sanierungsfall“ Deutschland mehr denn. In Deutschlands Politik regiert die LOI – die Lingua Oeconomici Imperii.

So beim Übel Massenarbeitslosigkeit. Damit wird jede Regierung nolens volens identifiziert. Konsequenterweise entfalten Redner mit Parteibüchern jeglicher Couleur die meiste Phantasie bei der Kreation einer Sprachwelt, die nichts anderes im Schilde führt, als die üble Wirklichkeit vor dem Wähler zu kaschieren.

Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Franz Müntefering haben jüngst bei der Vorstellung ihrer „Vorhabenplanung“ erneut die Linie vorgegeben und ordentlich Sprach-Blasen abgelassen. Konfrontiert mit dem absoluten Tiefpunkt ihrer persönlichen wie der Koalitions-Umfragewerte, zwitscherte die Kanzlerin: „Wir haben sehr offen darüber gesprochen, daß bei all den günstigen Daten die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger noch nicht da ist, daß Zweifel bestehen, daß Fragen gestellt werden und daß ein großes Maß an Skepsis da ist.“ Zukünftig aber – „Die Richtung stimmt in unserer Regierungsarbeit!“ – werde man arbeiten: „Wir als Regierung verstehen uns als treibende Kraft, die die Dinge in die Hand nehmen will.“

Lesen Sie weiter auf Seite 2:
Politiker finden hübsche Begriffe für häßliche Realitäten.

Ganz euphorisch beteuerte darauf Sprachapparatschik Müntefering: „Selbstbewußtsein ist möglich und angebracht!“ Aber: „Die Regierung zu messen an dem, was im Wahlkampf gesagt worden ist, ist unfair.“ Wohl denn: Take ist [it?] easy!

Ins allseitig Englische driften vor allem die Haushalts- und Finanzexperten der Koalition. Gerne sprechen sie von „downsizing“ und „case management“, und auch das euphemistische „outsourcing“, was oft den Abbau von Arbeitsplätzen verhüllt, sowie die „lean production“ (dito) kommen in diesem Double-Speak nie zu kurz. Die Berliner Politikexperten scheinen ihren Oettinger längst verinnerlicht zu haben.

Es ginge zu weit, in dieser Welt des verklärenden Jargons und sinnentkernter Phrasen alle jene kleinen Wortschweinereien aufzuführen, die immer nur das eine wollen: hübsche Begriffe für häßliche Wirklichkeiten finden. Ein paar kleinere Schmankerln dennoch: „stabilitätsgerechte Lohnabschlüsse“ bedeuten Lohndrückerei, „zeitgemäße Aufsichtsratsvergütung“ meinen Gehaltseskalation für Führungskräfte, „freisetzen“ heißt entlassen. Begriffe, die für das Gegenteil dessen stehen, das sie eigentlich benennen – die aber netter klingen.

Würde nicht jeder von uns gerne „freigesetzt“, ahnte er nicht, daß er so in die absolute Unfreiheit der Arbeitslosigkeit gesperrt würde? „Set me free!“ und „Born to be free!“ Wie naiv klingen da die Parolen der – freigesetzten – Beatnicks, der Flowerpower-Generation, ja der ganzen Pop-Hemisphäre. Tempi passati.

Der Amerikanistik-Professor Gert Raeithel aus München: „Man müsse so einfach und direkt schreiben, wie ein Stein zu Boden fällt, sagte einst Thoreau. Das wäre heute ein Rezept für Erfolglosigkeit und wirtschaftlichen Ruin. Der Stein darf nicht auftreffen: Oder warum sonst schwebt einem Automobilhersteller eine Modellreihe im oberen Bereich der unteren Mittelklasse vor?“

Tatsächlich bezeichnet schon der Wandel der politischen Bedeutung von „freisetzen“, wie sich unsere Welt – falsch: wie sich unsere Bilder von der Welt – verändern. Im Zentrum aller Versuche, sich der Welt per Sprachbilder zu bemächtigen, steht seit jeher der Bedeutungswandel des Wortes „Reform“. Denn Reformen können ohne mühselige Vermittlungsarbeit nicht an den Mann gebracht werden. Deswegen geht die Politik gerade hier „ökonomisch mit der Wahrheit um“, was nichts anderes heißt als: lügen.

In der Politik, doch selbst in der Wirtschaft stand das Wort Reform zwei Jahrzehnte lang – zwischen den sechziger und achtziger Jahren – für Gleichberechtigung, Strafrechtsreform, kulturelle Liberalisierung, Enttabuisierung, Arbeitnehmervertretung, für eine offene Gesellschaft. Reform stand für eine Ausweitung des politischen Horizonts.

Noch nicht gefesselt vom ökonomischen Abstieg, versuchte die Gesellschaft zumindest mehr libertäre Demokratie und mehr sittliche Freiheit. Doch schon damals tobte hinter der bunten Kulisse der Horizonterweiterung der Krieg der Weltanschauungen, der sich prompt in den Begrifflichkeiten der Politik niederschlagen sollte. Es war Kurt Biedenkopf, der 1973 auf dem Bundesparteitag seiner CDU nach verlorener Wahlschlacht gegen Willy Brandts SPD das Gefecht der Begriffe eröffnete: „Was sich heute in unserem Lande vollzieht, ist eine Revolution neuer Art. Revolutionen finden heute auf andere Weise statt. Statt der Gebäude der Regierungen werden die Begriffe besetzt, mit denen sie regiert.“

Lesen Sie weiter auf Seite 3:
Wer Begriffe und Gedanken bestimmt, hat auch Macht über die Menschen.

Durch die SPD würden, so der damalige Generalsekretär der Konservativen, „die Begriffe besetzt, um der CDU den Zugang zu den politischen Schlüsselbegriffen zu versperren.“ Höhepunkt der apokalyptischen Vision des Kurt Biedenkopf: „Die SPD versucht systematisch, Sprachbarrieren gegen die Kommunikation der CDU mit der Bevölkerung zu errichten. Sie schließt so einen möglichen Wechsel des Wählers zur politischen Alternative CDU sprachlich aus.“

Als gebildeter Professor wußte Biedenkopf, daß er nur in den Polit-Speak übersetzte, was der italienische Kommunist Antonio Gramsci ein halbes Jahrhundert vorher in Kerkerhaft niedergeschrieben hatte: Die politische Macht müsse nicht über politische Taten, sondern über „kulturelle Hegemonie“ erkämpft werden. Erster Schritt: der Bourgeoisie die Begriffe klauen und mit neuen, eigenen Inhalten füllen.

Bemerkenswert bei Biedenkopfs Hegemonieklage war vor allem der kategorische Wortgebrauch: „systematisch“ und „schließt aus.“ Er weist der Sprache radikalste Macht zu: als Bedeutungsentferner und Blockademacht gegenüber dem Gegner. Verwöhnt von einer damals vielen Konservativen schon naturgegeben scheinenden Pacht auf die Macht, fanden die Christdemokraten großen Gefallen an Biedenkopfs Tiraden gegen die roten Wahlgewinnler.

Besonders Heiner Geißler, dem zwölf Jahre später, in Biedenkopfs Fußspuren getreten, beim Wort Revolution prompt Lenin einfällt: „Das Blabla mancher Politiker und Journalisten ist nicht meine Sache. Die Wahrheit muß deutlich gesagt werden: Politische Entwicklungen oder Revolutionen werden heute nicht dadurch in Gang gesetzt, daß man Bahnhöfe oder Telegrafenämter besetzt, sondern Begriffe.“

Geißlers Konzept als Chef-Programmatiker der CDU: „Allemal gilt, daß, wer Begriffe und Gedanken bestimmt, auch Macht über die Menschen hat. Denn nicht die Taten sind es, die die Menschen bewegen, sondern die Worte über die Taten.“ Hegel hätte das nicht klarer ausdrücken können. Die Worte des deutschen Philosophen sind plötzlich Leitmotiv der deutschen Politik. Naivität beim manipulativen Umgang mit Begriffen konnte jedenfalls fortan keiner mehr vortäuschen. Das gilt bis heute.

In der Politik forderte diese Erkenntnis fortan allzu häufig: Worte statt Taten! Helmut Kohl erkannte das früh in seiner Karriere und schalt die „Flucht in politische Sprachspiele“. Wenn er selber zum Sprachhammer griff, hatte er fast blindwütig stets die Apo im Sinn, wenn er den Umgang der Fälscherwerkstatt Politik mit Begriffen schalt: „Da werden Begriffe besetzt, umgedeutet, instruiert, aufgebläht, demontiert. Der Kampf der Worte gerät zum Machtkampf.“

Lesen Sie weiter auf Seite 4:
Die Ära Kohl ist ein Paradebeispiel für sprachpanschende Traurigkeit.

Kohl selbst, der gern den Naiven gab, war selbst kein Kind von sprachpanschender Traurigkeit. Und tat so, als wäre das Aufblähen und Verblenden von Tatsachen nicht das Hauptinstrument der Politik. Mit kalkulierendem Zynismus sprach er beispielsweise – wie vor ihm Helmut Schmidt, Rudolf Augstein und die „Bild“-Zeitung – stets von „Anarchisten“, wenn er die Terroristen der „Baader-Meinhof-Bande“ oder wechselweise die maoistische „Rote-Armee-Fraktion“ und polizeilich gesuchte Kriminelle der KPD/ML ins Visier nahm. Drei Fliegen mit einem Wort.

Der Kanzler, selbst ein großer Blähmeister von Begriffen („geistig-moralische Wende“), hat eine neue Phase des Kriegs der Sprachknöpfe eingeleitet: die permanente Revolution der Worte an Stelle des Machtkampfs, die Herrschaft der Sprechblasen über politische Entscheidungen.

Während kaum einer Regierungszeit wurde soviel leeres Stroh gedroschen wie in den letzten Kohl-Jahren, als die tatsächliche Macht längst den Worten davongelaufen und zu Rot-Grün übergelaufen war. Entsprechend hohl klang damals – in trauter Kollaboration mit Norbert Blüm – Kohls gedrechselte Rhetorik wie „Die Renten sind sicher!“

In der Schröder-Zeit tauchten in der politisch korrekten Schaumsprache Euphemismen wie Vorwärtsverteidigung, Menschenpark, Gesundschrumpfung oder Geringverdiener auf. Krisen-Politik und Krisen-Wirtschaft sowie heikle neue Technologien hinterließen deutliche Spuren in den Versuchen der Politik, mit diesen Entwicklungen so zu Rande zu kommen, daß sie dem grübelnden Bürger zumutbar erscheinen sollten. Folglich mußten die sich durch einen unverdaulichen Mix aus McKinsey-Slang, Manager-Lingo und 68er-Jargon beißen.

Dieser andauernde double speak war und ist Politik, er ist Hegemonialkampf in Gramscis Sinn. In seinem Roman „1984“, geschrieben 1946/47, prägte George Orwell dafür die Bezeichnung „newspeak“: „Solche Phraseologie ist notwendig, wenn man Dinge benennen möchte, ohne die dazugehörigen mentalen Bilder von ihnen hervorrufen zu wollen.“ Frage: Steckt hinter dieser Umdeutung der Begriffe System? George Orwell hätte glatt mit Ja geantwortet.

Worte sind wertegeladene Träger von Realitäten, die sie dadurch verändern. Sie erschaffen neue Wirklichkeiten – Worte sind Politik. Als Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen ist das konsequent, so wie die coole Alltagssprache der Kids, aber auch die der Baseball-Kappen tragenden Väter die Eingewöhnung des Amerikanischen versinnbildlichen.

Das Systematische daran ist nicht gesteuert, hat aber System – und ist kein Zufall. Kein Wunder also, daß es in der Wirtschafts- und Finanzpolitik nur so wimmelt von „BSE“ – von „bad simple english“ : von Grandfathering Facility Management, Gender Budgeting, Inhouse-Schulung und Event-Sponsoring im Non-Profit-Bereich. Wie nebenbei erfüllen solche Verballhornungen trefflich alle Bedingungen Gramscis, Biedenkopfs, Geißlers: Politische und auch wirtschaftliche Entwicklungen werden durch Begriffe in Gang gesetzt. Die Politik hat gelernt – von der Wirtschaft.

Lesen Sie weiter auf Seite 5:
Wer Goethe folgt, der ist verraten und verkauft.

Bezeichnenderweise kamen in den vergangenen Jahren die von einer Jury erkorenen „Unwörter des Jahres“ vornehmlich aus dem Reich der Wirtschaft: Smartsourcing, „unternehmerische Hygiene“, „Entlassungsproduktivität“ und „beschäftigungsorientierte Entlassungspolitik“ sind nur eine kleine Auswahl jener schön-schrecklichen Euphemismen, mit denen die Wirtschaft und Politik die brutalen Seiten des Konkurrenzkampfes verschleiern und so verhüllen, was sie selber anrichten.

Man stelle sich vor, alle Amerikanismen würden aus der Sprache getilgt, und die Politiker offenbaren, was sie meinen! Vizekanzler Müntefering pirscht sich schon mal an die Verständnisklippe heran – so letzte Woche: „Wenn sich Spielräume ergeben, dann geben wir das den Menschen in Form geringerer Zinszahlungen in der Zukunft zurück!“ Ein einziges Ob-la-di, ob-la-da.

Doch wer außer Handelsblatt-Lesern weiß schon, was hinter Steuersubstrat, Kooperationsverbot und Grandfathering steckt? Welcher Journalist, der nicht Fachgelehrter in Sachen Steuer und Gesundheit ist, kann das treffsicher dem Publikum übersetzen? Schwammigkeit ist der Preis, wenn berufliche Vermittler zu Übersetzern avancieren. Genau deshalb aber, weil sie Eindeutigkeit scheuen, weil sie nicht festgelegt werden wollen, wählen Politiker diesen vieldeutigen Slang. Festnageln gilt nicht!

Wen stört noch die Invasion widersinniger Euphemismen wie „sozial Schwache“, wo doch „Arme“ einfacher, genauer, treffender und ehrlicher wäre? Hier offenbart sich aber auch ein gebrochenes Versprechen der deutschen Politik, die vor 15 Jahren aus dem „Raumschiff“ Bonn auszog, um in der Hauptstadt eine neue „Bürgernähe“ zu pflegen. Das Gegenteil, die fortgesetzte Raumpatrouille im Orbit sprachlicher Abstraktion, ist der Fall und schafft eine weit stärkere Distanzierung – durch den politischen Lingo des Nixverstans.

Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn, seit langem in Sorge über die wachsende Distanz zwischen Politik und Bürger, sagt es so: „Die Terminologie, der sich Wirtschaft und Politik bedienen, stammt immer seltener aus der Alltagssprache. Politiker bedienen sich einer abstrakten Terminologie, um damit eine oft nur scheinbar vorhandene Kompetenz auszudrücken. Sie kokettieren mit Kompetenz.“ Und umgekehrt „spiegelt die Sprache der Politiker oft den Umgang, den sie pflegen, wider. Man kann an unverständlicher Sprache, voll gespickt mit Fachterminologie, erkennen, daß sie nur noch wenig mit der Alltagswelt der Menschen zu tun haben und statt dessen zunehmend in Fachforen, Fachseminaren und der Wissenschaft leben.“

Wie „strange“ klingen da heute die Worte Goethes: „Haltet euch an Worte! Dann geht ihr durch die sichere Pforte zum Tempel der Gewißheit ein.“ Doch angesichts des double speak hat Goethe samt aller Gewißheiten abgedankt. Wer heute seinem Rat folgt, ist verraten und verkauft. Gezielte Mehrdeutigkeit und Verschwommenheit kennzeichnen die Sprache in der Politik. Dadurch aber, so Fritz Kuhn, „untergräbt die Politik ihre Glaubwürdigkeit“.


[04.09.2006] Von Rüdiger Scheidges
Quelle:
http://www.wiwo.de/pswiwo/fn/ww2/sfn/buildww/id/125/id/211095/SH/0/depot/0/index.html

(Rechtschreibung etwas überarbeitet, DL)

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Norbert Lindenthal
27.09.2004 06.03
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WIWO Wirtschaftswoche

27.9.2004

Bildungspolitiker befürchten das Ende des Länder-Gremiums

Wulff will den Kultusministern kündigen

Der angekündigte Ausstieg des Landes Niedersachsen aus der Kultusministerkonferenz (KMK) hat eine heftige Debatte über die deutsche Bildungslandschaft ausgelöst. Die bildungs- und forschungspolitische Sprecherin der CDU, Katharina Reiche, begrüßte den Schritt im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Christian Wulff hat die Probleme der KMK zu Recht offen gelegt. Das Gremium ist in seiner jetzigen Form verbraucht.“

BERLIN. Wulff hatte den Ausstieg seines Landes aus dem Bildungsgremium mit zu hohen Kosten und zu großer Inflexibilität begründet. Viele in der KMK seien „überfordert, alten Vorstellungen verhaftet und nicht aufgeschlossen“. Die Konferenz ist für die Koordination der Bildungspolitik in Deutschland zuständig. Als aktuellen Anlass für die Kündigung nannte Wulff die überhöhten Kosten. Mit 50 Millionen Euro pro Jahr würde „zu viel Bürokratie finanziert statt die Bildung selber“. Die Kritik zielt auch auf den Umstand, dass die rund 170 KMK-Beschäftigten nach den Tarif- und Besoldungsregeln des Bundes bezahlt werden.

Reiche bekräftigte gegenüber dem Handelsblatt die „Notwendigkeit eines Neuanfangs“: „Jahrelang hat die SPD ihre Mehrheit in dem Gremium nicht dazu genutzt, Reformen anzupacken. Erst Pisa hat sie aufgeweckt.“ Ein neuer Staatsvertrag müsse nunmehr Strukturen und Effektivität „völlig neu regeln“. Zentral sei dabei, das Prinzip der Einstimmigkeit bei Entscheidungen aufzugeben. „Bisher bestimmt immer der Langsamste im Geleitzug das Tempo.“ Wulffs Vorstoß sei für sie keine Überraschung. Vielmehr hätten seine Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform und die intensive Diskussion in der Union diese Konsequenz nahe gelegt.

Zur „Riesenchance für die Bildungspolitik“ erklärten die Grünen-Politiker Grietje Bettin und Karl-Martin Wulffs Vorstoß: Die Länder könnten das Ende des dreigliedrigen Schulsystems einläuten.

Innerhalb der Union hat Wulff indes viel Widerspruch ausgelöst. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) kritisierte seinen Kollegen mit den Worten, es sei „unklar“, was Wulff überhaupt bewirken wolle. Die Länder bräuchten das Gremium, das vergleichbare und einheitliche Standards in der Bildungspolitik festlege, sagte Althaus am Wochenende. Andere Ministerpräsidenten der Union hielten sich offiziell zurück. Doch halten nach Informationen des Handelsblatts mehrere den Zeitpunkt für die Aufkündigung des Staatsvertrages für „äußerst gefährlich“, da die Bundesregierung versuche, mehr Kompetenzen auf dem Bildungssektor an sich zu ziehen. Wenn Wulff beteuere, er wolle keine Auflösung der KMK, so sei diese Konsequenz aber unweigerlich und liefe auf eine Schwächung der Länder hinaus. Tatsächlich verlöre der Vertrag auch für die anderen 15 Länder binnen eines Jahres seine Bindekraft.

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Norbert Lindenthal
23.08.2004 17.31
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WIWO Wirtschaftswoche

23.08.2004

Treffen von Spitzenbeamten

Vorbereitungen für künftigen Rat für Rechtschreibung angelaufen

Für den künftigen für deutsche Rechtschreibung sind am Montag in Wien die Vorbereitungen angelaufen.

HB WIEN/HANNOVER. Bei einem Treffen von Spitzenbeamten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde ein Vorstoß der deutschen Mitglieder der „Zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung“ bekannt. Sie wollen einen Entwurf vorlegen, wie die Arbeit und Gestaltung des Rechtschreib-Rates aussehen soll. Das Gremium soll nach Abschluss der Übergangsphase der Rechtschreibreform im Sommer 2005 künftig die Entwicklung der Sprache begleiten. Die Kompetenzen des Rates für eventuelle Änderungen von Schreibweisen sind noch nicht festgelegt. Bisher begleitet die Zwischenstaatliche Kommission die Schreibreform. An der Sitzung in Wien nahm auch der Generalsekretär der deutschen Kultusministerkonferenz, Erich Thies, teil.

Inzwischen haben Gegner der Rechtschreibreform in Niedersachsen eine Volksinitiative gestartet. Die Reformgegner wollen den Landtag mit einer Unterschriftensammlung auffordern, dafür zu sorgen, dass in den Schulen baldmöglichst wieder nach den Regeln der alten Rechtschreibung unterrichtet wird. Eine große Autorenlesung gegen die Rechtschreibreform ist in München geplant. Veranstalter ist ein am Wochenende gegründeter Verein, der sich wie das geplante offizielle Gremium „Rat für deutsche Rechtschreibung“ nennt. Der Verein wird nach eigenen Angaben inzwischen unter anderem auch von Günter Grass, Siegfried Lenz, Hans Magnus Enzensberger, Marcel Reich-Ranicki und Vicco von Bülow (Loriot), als Ehrenmitgliedern unterstützt.

Bei dem knapp dreistündigen Treffen der Zwischenstaatlichen Kommission in Wien wurde trotz der kontroversen Debatte nicht über die Zukunft der Rechtschreibreform gesprochen worden, betonte am Montag die österreichische Delegationsleiterin, Heidrun Strohmeyer, nach dem Treffen. Österreich werde weiter an den neuen Schreibregeln festhalten. Dazu gebe es eine politische Entscheidung, an der festgehalten werde.

Nach Angaben Strohmeyers diskutierte die Expertenrunde den deutschen Vorschlag, die bisherige Zwischenstaatliche Kommission im Sommer 2005 durch einen Rat für deutsche Rechtschreibung zu ersetzen. Die Experten berieten dabei auch über die künftige Zusammensetzung des Rates, in dem Berichten zufolge auch Kritiker der neuen Rechtschreibung sitzen sollen. Außerdem habe man über den künftigen Geltungsbereich der Rechtschreibregeln in Schule und Verwaltung gesprochen.

Der Vorsitzende der Zwischenstaatlichen Kommission, Karl Blüml, bezeichnete die vor allem von deutschen Medien geforderte Rücknahme der Reform gegenüber den Schülern als „absolut unverantwortlich“. Zum Ausmaß der Diskussion in Deutschland meinte er: „Man soll das Ganze nicht so tiefernst nehmen. Es geht doch nur um die Schreibung, nicht um die Sprache.“ In Zukunft werde es weitere Änderungen geben. Die Rechtschreibung entwickle sich ständig weiter, meinte Blüml mit Blick auf die Aufgaben des künftigen Rates. Es habe schließlich auch schon Änderungen der ursprünglichen Reform gegeben.

23.08.2004

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Norbert Lindenthal
09.08.2004 05.07
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WIWO Wirtschaftswoche



8.8.2004

Wahlkampfthema in NRW

Rechtschreibung spaltet die Nation

Die Fronten im erbitterten Streit um die Rechtschreibreform in Deutschland haben sich am Wochenende verhärtet. Dabei geht der Riss quer durch Bundesländer und Medien.

HB HAMBURG. Nordrhein-Westfalens CDU-Chef Jürgen Rüttgers will im Fall eines Wahlsiegs in dem bevölkerungsreichsten Bundesland die Rückkehr zu den alten Regeln herbeiführen. Die Mehrheit der Länder lehnt ein Kippen der Reform ein Jahr vor der geplanten verbindlichen Einführung jedoch weiter ab. Bildungsverbände warnen vor einem Chaos bei einer Rücknahme der Reform, Buchverlage befürchten Millionenkosten auch für die Kommunen.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) appellierte an die anderen Länderchefs, bei ihrem Treffen im Oktober „das Scheitern der Rechtschreibreform“ einzugestehen. „Jetzt können wir es wirklich schaffen, mit einem mutigen Sprung zur alten Rechtschreibung zurückzukehren“, sagte Wulff der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Die Axel Springer AG und der Spiegel-Verlag hatten am Freitag die „schnellstmögliche“ Umstellung auf die alten Schreibweisen angekündigt, die „Süddeutsche Zeitung“ will folgen.

„Die CDU wird nach einem Wahlsieg bei der Landtagswahl im Mai 2005 dafür sorgen, dass man zu den bewährten Regeln zurückkehrt“, kündigte Rüttgers in Düsseldorf an. Auch Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) wandte sich gegen die Reform. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle kritisierte die neue Rechtschreibung als „so überflüssig wie ein Kropf“.

Dagegen wollen die meisten Ministerpräsidenten, darunter alle SPD- Länderchefs, an der Reform festhalten. Der Vorstoß der beiden Verlage habe „viel mit Kampagne und Public Relations, wenig mit Inhalt zu tun“, kritisierte der rheinland-pfälzische Regierungschef Kurt Beck (SPD). Sein sächsischer Amtskollege Georg Milbradt (CDU) befürchtet, eine Rückkehr zu den alten Regeln würde „die Verwirrung komplett“ machen.

„Handlungsbedarf“ sieht der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU). Möglich sei auch, nur Teile der Reform zu ändern. Die Beschränkung auf Teilkorrekturen befürwortete auch Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), während Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) das Ergebnis der Reform „ein Chaos“ nannte.

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