Maßimo geht eßen
Werte Freunde und Feinde der Rechtschreibreform,
RRM: Es ist nicht sehr schwer für Sprachpraktiker und Schüler, die Regeln des "ß" zu lernen. Es stellt eine Erleichterung für alle dar.
... sofern es sich um dass und das handelt sowie um alles, was vom gesprochenen Laut her geklärt werden kann, ist es tatsächlich eine Erleichterung. Vielleicht sollte man dies als den einzigen wirklichen Fortschritt der Reform für sich stehenlassen.
RRM: Es ist nur schade, dass es das "ß" noch gibt.
Es gab es ja nie wirklich. Es ist eine Ligatur aus einem langen und einem kurzen kleinen s, also einem Schluss-S. Zum ersten Mal tauchte diese Ligatur in italienischen Frühdrucken auf, wo man maßima e serenißima und dergleichen Merkwürdiges lesen konnte.
(Hat ein ß innerhalb einer Versalreihe inzwischen den Segen? Das wäre grauenhaft.)
RRM: Mir gefallen, wie beschrieben, die Wörter mit ss- und ich habe Schwierigkeiten Kindern zu erklären, warum ein Bus mit einem s geschrieben wird und nicht wie bei Kuss mit zwei.
Weil es vom lateinischen omnibus, für alle kommt.
RRM: Meines Erachtens und auch nach meinem ästhetischen Gefühl wäre es schöner alles in ss oder in s zu schreiben.
Die Ligatur des langen und des kurzen s wurde in der Renaissance geschaffen, weil sich das ästhetische Gefühl der Typografen gegen das ss sträubte.
(Wer weiß, ob das in den Runen vielleicht schon damals eine schlimme Bedeutung hatte? Schweres Gewitter? Viele Blitze? Ich fantasiere jetzt mal.)
RRM: Das scharfe "ß" ist zwar einzeln hübsch anzusehen, aber ich würde doch lieber ganz darauf verzichten. Mir gefallen Wörter wie Fantasie, Delfin und Jogurt.
Das türkische yag~urt also, die Tilde soll ein Bogen über dem g sein wird ja-urt gesprochen, das h war eine Andeutung des gehauchten stummen g, eine phonetisch ganz gute Ersetzung. Das ph zu ersetzen finde ich keine so gute Idee, denn es hat vorher das Verständnis für die Herkunft von Wörtern erleichtert, nämlich den griechischen Ursprung sichtbar gemacht. In der Reform ist viel Historisches verlorengegangen. Die Sprache verliert an Tiefe. Ein rauer Wind ist nicht dasselbe wie ein rauher Wind, der wirklich noch geweht hat im Klang. Ein rauer Wind ist ein lauer Wind, und wie ist es mit roh? Verzehrt man jetzt Rofleisch in der Arktis? Roes Robbenfett? Und wenn nicht warum nicht?
RRM: Wenn es eine weitere Vereinfachung geben würde und weniger Ausnahmen wäre ich mehr zufrieden, aber so wie die Sachlage ist, kann man noch nicht ganz zufrieden sein.
d'accord, d'accord!! Die Reform hat bisher zu Komplikationen geführt. Daher muss die Reform reformiert werden. Vielleicht schütten wir dennoch nicht das Kind mit dem Bade aus, sondern behalten einzig die neue Behandlung von ss und ß.
Aber die Dreifach-S sind grausam.
Es sind tatsächlich neue Komplikationen entstanden.
Der Lesefluss stoppt an Stellen, die man nicht nur aus Gewohnheit früher flüssig las, sondern man zögert, um Unklarheiten auszuräumen! Bei meiner Arbeit als Schriftstellerin leide ich wie ein Tier, wenn ich mir einige Begriffe getrennt geschrieben ansehe. Hier hat man versucht, eine unersetzliche Differenzierungsmöglichkeit zu beseitigen, was nicht für das Sprachgefühl der Verantwortlichen aussagt. Wie anders kann man den Sachverhalt ausdrücken, wenn der Unterschied nun fortfallen soll? Eine Information des Zusammenschreibens: Einen Prozess bis ans Ende führen: gesundpflegen, vorbeilaufen, gefriertrocknen, zusammenhalten, zusammenreimen, es gibt anderwo vollständige Listen, die auch verdeutlichen, dass es um die Darstellung eines übertragenen Sinnes geht. Das Argument der Reformer, dies seien hergesuchte Beispiele ohne Wirklichkeitsbezug, greift nicht. Ich stolpere täglich in den neuen Texten über dergleichen, und ich entscheide mich bei eigenen Texten täglich für die zusammengeschriebene Form.
Der größte Schaden ist die Anstiftung zur sprachlichen Selbstjustiz. Grobe Fehler nehmen zu, die Selbstkritik der Schreibenden scheint abgenommen zu haben. Ganz andere Unsitten machen sich plötzlich breit:
Relativsätze werden grundsätzlich falsch angeschlossen, wenn sie eine Teilmenge beschreiben:
Du bist der Letzte, der das noch falsch macht. okay.
Du bist einer der Letzten, der das noch falsch macht. falsch! Aber bis in die Nachrichten vorgedrungen.
Du bist einer der Letzten, die das noch falsch machen.
Warum, verdammt, beherrscht keiner mehr diese Konstruktion? Plötzlich weiß niemand mehr, dass der Relativsatz sich auf den Plural bezieht! Das heißt, die Menschen sind in ihrer sprachlichen Kompetenz verunsichert, sie geben auf, es richtig wissen zu wollen, da sie widersprüchliche Auskünfte von Oma und Lehrer bekommen haben (die Eltern sagen, frag Oma, die hat das noch richtig gelernt).
Dieses Beispiel zeigt, wieviel mehr Sprache aus dem Beispiel, aus dem Vorbild lebt oder stirbt als aus amtlichen Beschlüssen. Sprache ist zum Teil, ob uns das nun gefällt oder nicht, Übereinkunft und Brauch. Missbrauch bisweilen. Den Missbrauch des Relativsatzes und manche anderen Unsitten könnte man durch ethymologische (etümologische?) Ableitung oder durch Logik korrigieren.
Aber wer hört noch auf Logik?
Servus!
Eva Nerling
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