Vereinfachungen durch die Rechtschreibreform?
Lieber Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Antwort. Trotzdem kann ich Ihren Ausführungen nicht zustimmen. Zu den von Ihnen genannten Punkten möchte ich kurz Stellung beziehen. Die Kleinschreibung der sogenannten Pseudosubstantivierungen ist in der modernen deutschen Rechtschreibung ein fließender Prozeß. In einer lebenden Sprache kann man oft keine allgemeingültigen Regeln aufstellen; die Schreibung folgt jedoch im großen und ganzen dem natürlichen Sprachgefühl. Nun gut, dies kann man kritisieren und die durchgängige Großschreibung der Pseudosubstantivierungen fordern. Das wäre ein geschichtlicher Rückschritt, aber zweifelsohne eine Vereinfachung. Aber geht die Reform diesen Weg? Nein. Aus 'alles in allem', 'im allgemeinen', 'seit langem', 'bis ins kleinste', 'bis auf weiteres', 'des weiteren', 'bei weitem', 'im voraus' und 'von klein auf' wird 'alles in allem', 'im Allgemeinen', 'seit langem', 'bis in Kleinste', 'bis auf weiteres', 'des Weiteren', 'bei weitem', 'im Voraus' und 'von klein auf'. Sehen Sie da eine Vereinfachung? Die wenigen alten Ausnahmen waren hier viel einfacher zu lernen, zumal sie zusätzlich der gewachsenen deutschen Rechtschreibung, nicht einem Kunstprodukt entsprachen. Und bei der ß/ss-Schreibung. Die sogenannte Heysesche ss-Schreibung ist bereits im 19. Jahrhundert gescheitert. Aus 'fließen', 'es fließt', 'es floß', 'der Fluß', 'schießen', 'er schießt', 'er schoß' und 'der Schuß' wird 'fließen', 'es fließt', 'es floss', 'der Fluss', 'schießen', 'er schießt', 'er schoss' und 'der Schuss'. Auch hier also keine Vereinfachung zu erkennen. Zu 'Cleverneß/Cleverness' und 'Wellness': Bei 'Cleverneß' läßt Theodor Ickler aus gutem Grund beide Schreibweisen zu, da dieses Wort sich bereits in einem Eindeutschungsprozeß befindet. Das 'Wellness' ist dagegen noch ein echtes englisches Wort, dessen Eindeutschung sich, wie im übrigen auch bei 'Uniqueness', bisher verbietet. Zur Silbentrennung: Die alte st-Regel wurde in der Tat oft angegriffen, aber auch hier sehe ich keinerlei Handlungsbedarf. Man trennt eben zuerst nach Sinnbestandteilen, also 'Diens-tag', 'Hals-tuch' und 'voll-enden'. Erst nach Abschluß der Sinntrennung werden die restlichen Trennregeln auf die Wörter angewandt, wobei die st-Regel dem Schreiber eine Sicherheit gibt und zu schönen Trennungen führt: 'am günstig-sten', 'Kon-struktion', 'ab-strus', 'kon-statieren' usw. Die neue Schreibung läßt sogar 'vol-lenden' zu. Trägt das zu einem verbesserten Sprachgefühl bei? Bei ck ist die Sache wieder anders: Noch 1984 schlugen die Reformer 'Zuc-ker' vor. Das wäre sinnvoll gewesen: Andeutung eines kurzen Vokals wäre gegeben gewesen und keine Umwandlung in 'k-k' mehr nötig gewesen. Aber 'ck' ist nun mal die typographische Variante von 'kk', also ein Doppelbuchstabe. Wer 'Zu-cker' trennt, der muß auch 'Wa-sser', 'ne-nnen' und 'Be-tten' trennen, ebenso ist 'tz' die typographische Variante von 'zz'. Nun deutet 'Bä-cker' aber einen langen Vokal an. Das Lesen wird also durch die neue Regel behindert. Bei 'ch' ist die Sachlage anders: 'ch' ist ein einziger Laut und auch keine typographische Variante eines Doppelkonsonanten, insb. nicht von 'hh'. Eine Trennung wäre hier sinnwidrig. Zu 'in bezug auf' kann ich nur nochmals wiederholen, daß die Großschreibung regelkonform mit der alten Rechtschreibung ist. Es handelt sich hier um eine der Einzelfestlegungen des Duden, die von Theodor Ickler zu Recht kritisiert worden sind. Um ein bißchen zynisch zu sein: Hier hätte man nur die Duden-Redaktion austauschen müssen, nicht die Rechtschreibregeln. Zu 'numerieren': Leider berücksichtigt die Reform nicht, daß 'numerieren' des öfteren richtigerweise mit langem 'u' gesprochen wird. Auch 'Schlegel' sprechen die meisten Leute mit 'e'. Trotzdem heißt es jetzt 'Schlägel'. Auf die Aussprache wird im allgemeinen durch die Reform sowieso keine Rücksicht genommen, sonst müßte man in Süddeutschland 'Grüss Gott' zulassen, was aber nicht der Fall ist. Dafür läßt der neue Duden jetzt die 'Mass Bier' zu. Zwar regelwidrig, aber durchaus interessant. Leider nehmen Sie zu meinen anderen Aussagen, z. B. 'heute Abend' usw., keine Stellung. Wie reagieren Sie jetzt eigentlich, wenn ein Schüler 'heute Früh' schreibt? Sie müssen es ihm ankreiden, da diese Schreibweise sowohl nach der modernen als auch nach der sog. neuen Rechtschreibung falsch ist. Der Duden 2000 läßt diese Schreibweise jedoch zu. Sehen Sie hier kein Problem. Noch eine allerletzte Frage: Wie schreiben Sie eigentlich 'jmd. todfeind/spinnefeind sein'? Nach dem Duden 1996 müssen Sie schreiben: 'jmd. todfeind sein, jmd. Spinnefeind sein. Der Duden 2000 schreibt vor: 'jmd. Todfeind sein, jmd. spinnefeind sein'. Hier haben Sie sogar als Lehrer ein Problem. Auch eine Erleichterung beim Lernen sehe ich hier nicht, genausowenig wie ich sie bei 'leid tun, weh tun', jetzt 'Leid tun, wehtun', erkennen kann. Von der grammatischen Unrichtigkeit von 'Leid tun', 'Recht haben' und 'heute Abend' ganz zu schweigen. Leichter wird es sicher nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Dörner
Christian Dörner 91058 Erlangen
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