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Schweiz
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Theodor Ickler
28.04.2001 08.31
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Schweiz: Bundeskanzlei I

Leitfaden zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung
2., erweiterte Auflage 2000

Schweizerische Bundeskanzlei in Zusammenarbeit mit der Staatsschreiber-Konferenz

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser

Eine einfachere Rechtschreibung! Das ist das Ziel der Orthografiereform, die wir Ihnen in diesem Leitfadenvorstellen wollen. An den Schulen des gesamten deutschen Sprachraums ist die Reform bereits mit Erfolg eingeführt worden und Schulungen in der Bundesverwaltung haben gezeigt, dass Beamtinnen und Beamte besser abschneiden, wenn ihre Texte nach den neuen Regeln beurteilt werden. Die Reform ist also keine Revolution, sondern fasst vieles, was die Sprachgemeinschaft ohnehin schon tut, in eine Regel. Zudem erleichtert sie den Lernenden die Aufgabe, indem sie etwas mehr Logik ins Spiel bringt und zahlreiche Ungereimtheiten und unnötige Ausnahmen beseitigt.

Die zweite Auflage unseres Leitfadens gibt Ihnen in Kapitel 1 eine kurze Einführung ins Thema. Das stark erweiterte Kapitel 2 enthält neu auch Hinweise zur Umsetzung der Reform in den Schulen, den Medien und der Wirtschaft. Kapitel 3 bietet einen Überblick über das neue Regelwerk. Die Darstellung der Getrennt- und Zusammenschreibung wurde differenziert und die Frage der Substantivierung von Wortgruppen in der neuen Ziffer 18a geklärt. Kapitel 3 orientiert sich inhaltlich aber nach wie vor an der Schrift, welche die Zürcher Linguisten Professor Dr. Horst Sitta und Dr. Peter Gallmann für die Schule verfasst haben. Beiden möchten wir an dieser Stelle für ihre langjährige Pionierarbeit zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung danken. Das Wörterverzeichnis in Kapitel 4 wurde stark erweitert; es enthält jetzt über 1000 Neuschreibungen und Einträge zu orthografischen Zweifelsfällen.

In der Schweiz ist die Reform beim Publikum gut angekommen; die öffentlichen Verwaltungen haben sie aufgegriffen und an prominenter Stelle zügig umgesetzt – der Bund beispielsweise in der neuen Bundesverfassung und der Kanton Aargau im neuen Steuergesetz. Aber auch die Meldungen der Schweizerischen Depeschenagentur und die allermeisten Zeitungen und Zeitschriften erscheinen seit dem 1. August 1999 in neuer Rechtschreibung.

Auf Bundesebene haben wir für jede grössere Verwaltungseinheit zwei bis vier Personen in so genannten Superuser-Kursen intensiver ausgebildet und im Umgang mit Konversionsprogrammen geschult. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesverwaltung finden so in ihrer Nähe stets eine Person, die sie bei der Umsetzung der Reform fachlich und technisch beraten kann. Ein solches Modell eignet sich gewiss auch für grössere Betriebe der Privatwirtschaft.

Und nun das Wichtigste: Eine Rechtschreibreform, und sei sie noch so zurückhaltend, führt zu Beginn ganz natürlicherweise zu Verunsicherungen. Bleiben Sie in solchen Situationen gelassen im Wissen darum, dass der Gedanke, den Sie schreibend vermitteln wollen, die Hauptsache ist und dass Sie keinen Fehler begehen, wenn Sie namentlich in der Anfangsphase versehentlich noch alte Schreibungen verwenden. Rechtschreibung soll der Kommunikation dienen, nicht die Schreibenden terrorisieren, denn das wäre ferveelt.

Wir wünschen Ihnen Spass am Umgang mit dem Neuen und hoffen, dass wir mit dieser Broschüre dazu beitragen.

Urs Albrecht Werner Hauck Margret Schiedt




PS:
Haben Sie Fragen, Probleme, Fehler gefunden? Mailen Sie uns, wir sind für jeden Hinweis dankbar



(Weiter unter http://www.admin.ch/ch/d/bk/sp/leitfre/index.htm)
__________________
Th. Ickler

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Reinhard Markner
27.04.2001 19.21
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Motto

»So etwas schluckt ein intelligenter Leser wohl nur, wenn er sich das Nachdenken strikt verbietet.« (Gallmann/Sitta)
Präziser kann man über die RR nicht urteilen !

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Theodor Ickler
27.04.2001 14.16
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Reform als Geschäft

Noch im Sommer 1996 holte der Reformer und angehende Bertelsmannautor Hermann Zabel zu einem Schlag gegen den Dudenverlag aus. Er machte dem neuen Rechtschreibduden zum Vorwurf, die neuen Regeln eigenmächtig ausgelegt zu haben, und warb für den Bertelsmann. Dies hat er in seinem „Wüterich“-Buch selbst dokumentiert. (In Wirklichkeit war der Duden um Klassen besser als das Bertelsmannwörterbuch von Götze, das von Fehlern nur so strotzte und sofort durch fortlaufend korrigierte Fassungen abgelöst werden mußte.) Der hessische Kultusminister Holzapfel ließ sich davon so beeindrucken, daß er ebenfalls – mit Zabels Argumenten, aber noch primitiver – das Wörterbuch seines Parteifreundes Götze öffentlich empfahl.
Damit war nicht nur für den Dudenverlag, sondern auch für die Reformer und Dudenautoren Sitta und Gallmann Feuer unterm Dach. In diese Lage reagierten sie, wie wir es an den hier wiedergegebenen Dokumenten sehen. (Sitta soll auch daran mitgewirkt haben, daß die Schweiz zur allgemeinen Überraschung den Duden für weiterhin verbindlich erklärte, obwohl doch sonst überall die Ablösung des Duden als Hauptziel der Reform erklärt wurde – so vom Österreicher Karl Blüml, der am Österreichischen Wörterbuch beteiligt ist. Wenn man sich das Schreiben an den „lieben Christian“ ansieht, scheint das glaubwürdig.)
Die Texte offenbaren zunächst die tiefe Verfeindung, die zwischen den Schweizern und dem Reformer Zabel bestand. Wenn man weiß, daß ihr Verhältnis zu Nerius keineswegs freundlicher war und ist (dafür gibt es gedruckte Belege), kann man sich ein Bild von jenem Arbeitsklima im Internationalen Arbeitskreis machen, das Dudenchef Drosdowski als „mafiaähnliche Verhältnisse“ bezeichnete.
Besonders aufschlußreich ist natürlich das enge Verhältnis der Duzfreunde Sitta und Schmid, letzterer ist Generalsekretär der EDK – eines schweizerischen Pendants zu unserer KMK.
Der Text atmet den Geist der Konspiration. Trickreich wird die in langen Jahren klug vorbereitete Durchsetzung der Reform zu Ende geführt.
Der Brief an den „lieben Christian“ war offensichtlich aufgrund eines Versehens der panikartig reagierenden Dudenredaktion an die Öffentlichkeit gelangt und der eigentlichen Stellungnahme nur ganz kurze Zeit vorangestellt.
Ich möchte dem Leser den Genuß der Texte nicht durch zu viele Kommentare vergällen, sondern erwähne nur noch, daß ich vor mehreren Jahren in einem von der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlichten Leserbrief die Praktiken des geschäftstüchtigsten Reformers in scharfer Form bloßgestellt habe. Eine Verteidigung wurde wohlweislich gar nicht versucht. Man schweigt und verdient (Zürich!).
– geändert durch Theodor Ickler am 28.04.2001, 16:27 –
__________________
Th. Ickler

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Theodor Ickler
27.04.2001 13.51
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Schweiz II

(Fortsetzung der Stellungnahme von Sitta/Gallmann)


Wir stimmen dem zu.

3. Ganz anders als Dieter E. Zimmer beurteilen wir die Präsentation der Rechtschreibregeln im Duden. Zimmer schreibt:

Der „Duden“ erleichtert es dem Benutzer nicht nur nicht, vom Wort zur Regel zu finden. Er macht es ihm extra schwer. Zwar druckt er wie der „Bertelsmann“ die neuen amtlichen Regeln, löst sie aber außerdem in ein eigenes Regelwerk mit eigener Zahlung auf. Die Ziffern im Wörterverzeichnis verweisen einen auf die „Duden-Regeln, und erst wenn man dort nachschlägt, findet man den betreffenden Paragraphen der amtlichen Regeln. Vom Wort zur Regel findet man im 'Duden' also nur über einen umständlichen und redundanten Umweg.

Wir haben unsere Position in dieser Frage schon oben deutlich gemacht: Wir waren im Internationalen Arbeitskreis nie der Meinung, wir formulierten Regeln für den Alltagsschreiber. Wir haben uns eigentlich immer an die Lexikographen adressiert und uns darauf verlassen, dass diese das Regelwerk adressatengerecht umformulieren. Genau dies tut der Duden in seinen Richtlinien zur Rechtschreibung, Zeichensetzung und Formenlehre in alphabetischer Reihenfolge. Wer hier hinreichende Auskunft auf seine Fragen erhält, muss gar nicht mehr im Amtlichen Regelwerk nachschlagen. Wozu sollte er? – Wie schon gesagt: Wir halten es für ein Unglück, dass nun in allen Rechtschreibwörterbüchern das Amtliche Regelwerk abgedruckt wird – wir vermuten: weniger, um auf die Regeln hinzuführen, als um sich den Anschein von Amtlichkeit zu geben.

4. Eine ganz absurde und naive Auffassung – wir vermuten, er macht hier einfach einen Scherz – vertritt Dieter E. Zimmer in folgenden Formulierungen:

Kurz, beide Verlage hatten es so eilig, daß nun der Fall eingetreten ist, der um keinen Preis eintreten sollte: Die große Errungenschaft von 1901, die deutsche Einheitsorthographie, ist dahin ... Und wenn die beiden Verlage an der Sache, an der sie langfristig zu verdienen hoffen, mehr Interesse hätten als am schnellen Geschäft, nähmen sie sofort beide Rechtschreibwörterbucher vom Markt und vertragten ihre Konkurrenz, bis sie mit einer Einheitsorthographie aufwarten können.

Absurd – und eines Autors vom Rang Dieter E. Zimmers unwürdig – ist die Aufforderung, die Rechtschreibbücher vom Markt zu nehmen und sich zu einigen. Sie gleicht der Laienaufforderung an die Wissenschaft: Nun einigt euch mal schön, vorher tun wir nichts! Oder dem nicht weniger unsinnigen Gedanken: Jetzt schliessen wir erst mal für die nächsten Jahre die Schule, bis wir uns auf die Möglichkeit ihrer Reform geeinigt haben. So geht es einfach nicht. Was geht, ist die schnelle Konstitution der Zwischenstaatlichen Kommission und deren ernsthafte Arbeit. Was dabei unterbleiben sollte, ist öffentliche Polemik.
Naiv ist die Hoffnung, es sei unter den gegebenen Umständen möglich, eine unité de doctrine in allen Wörterbüchern (und es werden weiss Gott bald mehr als zwei sein, die man vergleichen kann) zu erreichen. In dieser Hinsicht stehen
uns komplizierte Zeiten bevor. Sie ergeben sich einfach aus dem Fortschritt, den Dieter E. Zimmer ja feiert, dass das Monopol des Duden gebrochen ist.



4 Fazit

Wir gehen davon aus, dass uns eine eher unruhige Zeit bevorsteht – weniger bestimmt durch Initiativen aus der Schweiz, wo man die Neuregelung mit sympathischer Gelassenheit angenommen hat; aber es werden Unruhen aus Deutschland herüberschwappen, vor allem in nachrichtenarmen Zeiten. Unsympathisch am Ganzen ist, dass uns diese Unruhen Zeit und Arbeit kosten werden. Aber „Handlungsbedarf“ besteht unserer Meinung nach nicht. In der Debatte ist ungemein viel heisse Luft, es wird aufgebauscht, verallgemeinert und angeklagt. Aus unserer Sicht bleibt es voll und ganz gerechtfertigt, den Duden in der Schweiz als Referenzwerk zu gebrauchen.

Wir selbst streben im Übrigen zweierlei an und bitten die EDK an dieser Stelle um Unterstützung:

1. Gelassenheit in der Behandlung der angesprochenen Punkte

2. Drängen auf schnelle Einberufung der Zwischenstaatlichen Kommission.


Mit Dank für Eure Unterstützung und herzlichem Gruss


Horst Sitta
Peter Gallmann



An die Stelle dieser eingescannten Fassung wird in einer späteren Dokumentation eine Faksimile-Wiedergabe treten. Vgl. auch den begleitenden Brief von M. Wermke unter „Dudenpropaganda I“. (Anm. von Th. Ickler)
– geändert durch Theodor Ickler am 28.04.2001, 16:21 –
__________________
Th. Ickler

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Theodor Ickler
27.04.2001 13.43
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Prof. Dr. Horst Sitta
Dr. Peter Gallmann
Universität Zürich



Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren
Christian Schmid
Zähringerstrasse 25
Postfach 5975
3001 Bern





29.9.1996



Lieber Christian,


ich beziehe mich auf unser Telefongespräch vom 25.9. und auf die Sendung von Unterlagen, die ich am 26.9. an dich abgeschickt habe. Unterdessen hat in der ZEIT vom 26.9. der normalerweise klug und abgewogen argumentierende Dieter E. Zimmer einen längeren Artikel unter der Überschrift „Beschreibung eines Kampfes. Im Ringen Duden gegen Bertelsmann um die richtige deutsche Rechtschreibung verliert das Publikum“ veröffentlicht. Da dies in Folge schon der dritte Artikel in kurzer Zeit ist (nach knappen Meldungen im SPIEGEL vom 16.9. und in FOCUS VOM 23.9.) und da darüber hinaus die Diskussion munitioniert wird von einem „Gutachten“ von Herrn Kollegen Zabel, Professor an der Universität Dortmund und seinerzeit Mitglied des Internationalen Arbeitskreises, rechnen wir damit, dass die in Deutschland gepflegten Unruhen in die Schweiz hereinschwappen werden – wir hatten schliesslich schon in der Vergangenheit alle Hände voll zu tun, wenn Herr Heller am Deutschen Fernsehen wieder einmal mit problematischen Behauptungen zugeschlagen hat. Und wir rechnen auch damit, dass Menschen mit Fragen an euch gelangen werden.



In dieser Situation fanden wir es gut, einmal für uns and für euch zu prüfen und zusammenzustellen, was an Vorwurfen erhoben wird, was dahinter steckt, wie gerechtfertigt das alles ist und was wir unseren Klienten in Schule and Öffentlichkeit raten können. Zum Verteiler: Wir geben das Papier an euch und wir arbeiten selbst damit, wenn wir angefragt werden. Wir schicken es – ungebeten – in alter Kollegialitat auch an die Präsidenten der deutschen und der österreichischen Kommission. Das sind unsere ersten Adressen. Wir sind aber – und das als Lehrende an der Universitat Zürich, nicht als Beauftragte der EDK auch bereit, es an die (seriöse) Presse zu geben, an Lehrerverbände, an das Radio usw. Und auch ihr sollt damit machen können, was euch gut scheint.

Wir gehen im Folgenden (1) auf die Vorgeschichte ein, wie wir sie sehen, wir behandeln dann (2) die uns gewichtig erscheinenden Punkte in dem Papier von Herrn Kollegen Zabel und wir nehmen schliesslich (3) noch Stellung zu dem, was Dieter E. Zimmer schreibt, soweit es nicht schon durch das beantwortet ist, was wir unter den vorangehenden Punkten zusammengestellt haben. Dabei konzentrieren wir uns auf die Debatte um den Duden, lassen also Bertelsmann u.a. völlig ausserhalb der Betrachtung: die Plenarversammlung der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren hat schliesslich in ihrer Erklärung vom 30.5.1996 befunden: „Der Duden bleibt auch in seiner 21. Auflage massgebendes Referenzwerk für alle Rechtschreibfragen im Schulunterricht.“





Stellungnahme zu den Unruhen bezüglich der Umsetzung der neuen Rechtschreibregelung in Deutschland





1 Zur Vorgeschichte

Was ist eigentlich geschehen? Seit mehr als 100 Jahren steht der Duden in unserer Sprachgemeinschaft für die Einheitsschreibung. Er hat sie, noch bevor es eine amtliche Regelung gab, weitgehend etabliert und hat sich dabei – verdientermassen – weite Verbreitung, hohe Akzeptanz und grosses Ansehen erworben – so sehr, dass 1955 die deutsche Kultusministerkonferenz ihm die Kompetenz gegeben hat, in Sachen Rechtschreibung in Zweifelsfällen den Ausschlag zu geben.
Man kann dieses Alleinvertretungsrecht problematisch finden, viele Kollegen aus der Linguistik haben das getan und auch Dieter E. Zimmer tut das, wenn er von einem „seltsamen und unnormalen Zustand“ spricht, der nun ein Ende hat. Richtig ist aber auch: Dieser Zustand hat uns über die letzten 100 Jahre eine einheitliche Rechtschreibung garantiert – sogar in der Zeit des geteilten Deutschland, in der es zwei Duden gab, wobei aber auf beiden Seiten trickreich darauf geachtet wurde, dass die Einheitlichkeit im Grossen erhalten blieb. Anders gesagt: Das Auseinanderdriften der Schreibungen in unterschiedlichen Wörterbuchern war in den fünfziger Jahren für die KMK der Anlass, eine gewissermassen kanonische Entscheidungsinstanz, nämlich, den Duden, zu etablieren, und das hatte durchaus seine Vorteile für die Schreibgemeinschaft.
Dann kam der 1. Juli 1996. Mit ihm endete die alleinige Auslegungskompetenz des Duden für die Regeln – gemäss KMK-Beschluss von 1955 galt sie nur bis zum Zeitpunkt einer Neuregelung der Rechtschreibung. Und damit kam, was kommen musste. In dieser Welt, in der Worte wie Markt und Handel Hochwertworte sind, drängten und drängen natürlich mehrere ins „Geschäft“ – wir wären nicht verwundert, wenn es am Ende des Jahres ein Dutzend wären, die Rechtschreibwörterbucher anböten. Die Einheitsschreibung ist dadurch im Kern nicht gefährdet, aber Unterschiede in den rundständigeren Bereichen der Rechtschreibung sind sehr wohl möglich.

Der Grund dafür liegt in der Aufgabe: Der Internationale Arbeitskreis für Orthographie hat nach langer und detaillierter Arbeit ein Regelwerk vorgelegt, das 112 Paragraphen (und ein Wörterverzeichnis mit Beispielschreibungen) enthält. Dieses Regelwerk muss nun – nach seiner Genehmigung – von Lexikographen auf unseren Wortschatz angewendet werden. Die Anwendung besteht in der Interpretation des Textes des Regelwerks und deren Applikation auf unsere Sprache. Dass beides gar nicht einheitlich sein kann, liegt in der Natur der Sache.

Die Probleme, um die es hier geht, liegen an verschiedenen Orten: Einige liegen in den Regeln (a), andere in ihrer Interpretation (b), wieder andere in der Umsetzung der Regeln im Wörterbuch (c). Wir können hier nur andeuten:

Zu (a), den Regeln:

- Es gibt strenge Regeln, Muss-Regeln (zum Beispiel manche Bindestrichregeln), die ein Wörterbuch unbedingt berücksichtigen muss.
- Es gibt offene Regeln, Kann-Regeln (zum Beispiel im Bereich der Worttrennung), hier oft mehrere nebeneinander, bei denen sich die Frage stellen kann, ob alle bzw. – wenn nicht – welche im Regelteil des Wörterbuchs verzeichnet werden sollen.
- Es gibt freigegebene Bereiche (zum Beispiel bei der Getrennt- und Zusammenschreibung), wo eigentlich der Schreibende entscheiden können soll. Wie soll sich hier das Wörterbuch grundsätzlich verhalten?

Mindestens bei den Regeln der letzten beiden Typs sind Unterschiede zwischen verschiedenen Wörterbüchern vorprogrammiert.

Zu (b), der Interpretation der Regeln:

- Es gibt die richtige Auslegung einer Regel; „richtig“ heisst hier: in Übereinstimmung mit den Intentionen der Regelverfasser.
- Es gibt – was den Regelverfassern möglicherweise entgangen ist – oft mehrere „richtige“ Auslegungen einer Regel; „richtig“ heisst dann zum einen das vorangehend Genannte: in Übereinstimmung mit den Intentionen der Regelverfasser. Zum andern kann es sich aber auch um eine von den Verfassern nicht beabsichtigte, wohl aber vom Wortlaut der Regel gedeckte Interpretation handeln.
- Es gibt die falsche Auslegung einer Regel; „falsch“ heisst hier: nicht in Übereinstimmung mit den Intentionen der Regelverfasser und mit dem Wortlaut des Textes.
Mit falschen Auslegungen muss man natürlich vor allem dort rechnen, wo Menschen interpretieren, die die Arbeit am Regelwerk nicht mitgemacht haben.

Zu (c), der Umsetzung der Regeln im eigentlichen Wörterbuch:

Unterschiedliche Wörterbuchredaktionen können natürlich zu unterschiedlichen Umsetzungsformen kommen. So kann man sich etwa die Fraqe stellen, ob man für die Darstellung der Trennung am Zeilenende jedes Wort mehrfach aufführen muss, um die unterschiedlichen Trennmöqlichkeiten zu zeiqen, oder ob man das mit Mitteln, die in der Lexikographie auch sonst üblich sind (zum Beispiel eingeführten Verweismitteln), leisten kann.
Apropos: Noch gar nicht gesprochen worden ist über die Möglichkeit, dass bei der Arbeit am Regelwerk auch Regeln formuliert worden sein können, die fragwürdig sind, was sich womöglich erst bei der konkreten lexikographischen Arbeit herausstellt.


All diese Probleme waren natürlich weder dem Internationalen Arbeitskreis noch den Behörden unbekannt. Auf Vorschlag des Internationales Arbeitskreises ist daher auch durch die Wiener Erklärung vom 1. Juli 1996 die Gründung einer zwischenstaatlichen Kommission (mit sechs Vertretern aus Deutschland, drei aus Österreich und drei aus der Schweiz) beschlossen worden. Als ihre Aufgabe wurde (in Artikel III der Wiener Erklärung) bestimmt: „Die Kommission wirkt auf die Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung im deutschen Sprachraum hin. Sie begleitet die Einführung der Neuregelung und beobachtet die künftige Sprachentwicklung. Soweit erforderlich erarbeitet sie Vorschläge zur Anpassung des Regelwerks.“ – Die Einführung der Neuregelung läuft – leider – ohne die Kommission, stattdessen werden die Debatten in den Medien ausgefochten. Nichts ist bedauerlicher als das. Die Schweiz hat übrigens ihre Vertreter für die Kommission benannt, Deutschland und Österreich nicht, und wie es aussieht, wird sich die Entscheidungsfindung in Deutschland noch eine Weile hinziehen.



2 Zur Kritik H. Zabels am Duden

Die Debatten in den Medien werden natürlich nicht besser, wenn auch die Linguisten dort mitreden und womöglich Öl ins Feuer giessen. So treten wir auch eher ungern vor die Öffentlichkeit, um wenigstens ein paar ganz unhaltbare Behauptungen zurechtzurücken.
Mit Datum vom 19.9.1996 hat Hermann Zabel uns ein Schreiben zugeleitet, das, wenn wir es richtig verstehen, an die Kultusministerien der deutschen Bundesländer, auf jeden Fall aber an das Ministerium für Schule und Weiterbildung in Düsseldorf gegangen ist. Zum Schluss seines vier Seiten langen Schreibens (dessen Inhalt offenbar auch an anderen Stellen verbereitet worden ist; so bezieht sich auch der Focus in seiner Veröffentlichung auf H. Zabel) behauptet er, die Dudenredaktion sei eigenmächtig mit der neuen Regelung umgegangen und verlangt: „Unter Bezugnahme auf Ihren o.g. Erlass sollte überdeutlich geworden sein, dass der neue Duden in den Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen wegen der nachgewiesenen Abweichungen vom Amtlichen Regelwerk nicht verwendet werden darf.“

Wir müssen gestehen, dass wir oft mit einer Mischung von Amüsiertheit und Entsetzen auf die Haltung Normen gegenüber reagiert haben, die uns in Deutschland immer wieder begegnet und uns aus Schweizer Warte ausgesprochen hysterisch vorkommt. Nur zwei Punkte pauschal zu Beginn:
1. Auch wenn man alles, was an Vorwürfen gegen die Umsetzung der Reform in den neuen Wörterbuchern zu lesen war, zusammenrechnet, kommt man auf Prozentsätze, die das öffentliche Gegacker nicht wert sind, das da veranstaltet wird. Von geringen Ausnahmen abgesehen, die man getrost als Petitessen oder – dem Zeitgeist entsprechend – als Peanuts abtun kann, ist vorzügliche lexikographische Arbeit geleistet worden – nicht nur beim Duden, aber auch und vor allem beim Duden.
2. Wir waren uns im Internationalen Arbeitskreis immer einig darin, dass das Regelwerk ein Referenzwerk sein soll und dass es möglich sein muss, sich innerhalb des Rahmens, den dieses Werk setzt, zu bewegen, nicht aber notwendig, ihn ganz auszuschöpfen . Das heisst: Es darf in den Wörterbüchern keine Entscheidungen gegen das Regelwerk geben, aber das Regelwerk muss auch nicht in seiner ganzen Differenziertheit umgesetzt werden, schliesslich enthält es eine Reihe von Bestimmungen, die allenfalls für Vertreter des graphischen Gewerbes von Gewicht sind, nicht für Alltagsschreiber. Die Frage ist jetzt allenfalls: Ist der Duden für den Alltagsschreiber da oder für den Buchdrucker? Oder anders: Vielleicht wäre es ja wirklich gescheit (wie das bis 1915 der Fall gewesen war), einen Duden und einen Buchdruckerduden zu haben.
Vor diesem Hintergrund bedauern wir es übrigens sehr, dass es mehrere Wörterbücher (auch der Duden) für nötig gehalten haben, das Amtliche Regelwerk abzudrucken. Was wir brauchen, sind Reqeln, die die Menschen verstehen, die für sie gemacht sind, an denen sie sich orientieren können. Das Regelwerk ist ein juristischer Text, an dem man das nicht kann. Schliesslich laufen wir alle auch nicht täglich mit dem BGB unter dem Arm herum, wenn wir im Alltag korrekt leben wollen.

Was sind nun aber im Detail die Vorwürfe, die gegenüber dem Duden erhoben werden? Wir folgen dem Papier von H. Zabel. Dabei geben wir im ersten und im zweiten Fall – petit – den ganzen Text von H. Zabel wieder, um den Argumentationsduktus vorzuführen. In den folgenden Fällen beschränken wir uns auf eine kurze Wiedergabe seiner kritischen Behauptungen

1. Laut-Buchstaben-Zuordnungen (einschließlich Fremdwortschreibung)

Mit diesem Bereich hat sich aus gegebenem Anlaß die Amtschefkonferenz in den letzten Monaten des Jahres 1995 noch einmal intensiv beschäftigt. Es bestand Konsens in der Auffassung, dass bei orthographischen Varianten im Bereich der Fremdwortschreibung stets eine Hauptvariante und eine Nebenvariante angegeben werden muss.
An dieses Prinzip hat sich die Duden?Redaktion in einer Reihe von Fällen nicht gehalten.

Beispiele:
Eurythmie: Die Nebenvariante Eurythmie wird im neuen Duden nicht aufgeführt.
Cellophan: Der Hinweis auf die Nebenvariante Cellophan fehlt auf S. 187.
Graphologe: Ein Hinweis auf die Nebenvariante erfolgt nicht.
Die Nebenvariante Graphologe wird an anderer Stelle als „eindeutschende Schreibung für Graphologe“ genannt.
Bei
Bravour
Expose
Hämorrhoide
quadrophon
wird mit dem Hinweis „eindeutschend“ die integrierte Form eingeleitet. Dieser Hinweis ist nicht geeignet, den Benutzer des Wörterbuchs erkennen zu lassen, welche der beiden Formen die Hauptvariante bzw. die Nebenvariante ist. Der durch das neue Regelwerk nicht gedeckte Begriff „eindeutschend“ wird von der Duden-Redaktion auch an anderen Stellen verwendet.
Nur durch die Kennzeichnung von Haupt- und Nebenvarianten kann übrigens verhindert werden, dass es über kurz oder lang zu einem neuen Buchdrucker?Duden kommt. Die Setzer brauchen klare Anweisungen, aus diesem Grunde benötigen sie einen Hinweis auf die jeweilige Hauptvariante.
In den vorliegenden Fallen liegen eindeutige Abweichungen vom Amtlichen Regelwerk vor.

Uns liegt daran, hier festzuhalten:
1. Es geht bei diesem Punkt um annähernd 200 Wörter, eine verschwindend geringe Menge im ganzen Wörterbuch.
2. Vom Schweizer Stundpunkt aus betrachtet, kann man, wenn Haupt- und Nebenvarianten nicht ausgewiesen werden, nur sehr zufrieden sein, sollen doch in der Schweiz gemäss Beschluss der EDK Fremdwörter, die aus den beiden anderen Lundessprachen (also Französisch und Italienisch) stammen, nicht eindeutschend geschrieben werden. Darauf wird übrigens auch im Vorwort der amtlichen Regelung hingewiesen, und man wird davon ausgehen dürfen, dass die Dudenredaktion diese Situation vor Augen hatte, wo sie auf diese Markierung verzichtet hat.
3. Die Regelung im Amtlichen Regelwerk ist an dieser Stelle alles andere als konsequent; so wird etwa Bibliografie als Hauptvariante angegeben, aber Geographie. So etwas schluckt ein intelligenter Leser wohl nur, wenn er sich das Nachdenken strikt verbietet.

4. In den Fällen, die wir überprüft haben, verzeichnet der Duden entweder beide möglichen Schreibungen oder er verweist mit einem roten Regelverweis darauf, dass es eine Schreibvariante gibt. Es werden also jedenfalls keine Variantenschreibungen unterschlagen.
5. Wir sind grundsätzlich der Meinung, dass eine starre Fixierung auf die Bestimmung als Haupt- und Nebenvariante in den Wörterbüchern, wie sie im Jahre 1996 im Amtlichen Regelwerk getroffen worden ist, jede weitere Entwicklung der Schreibung verhindern würde, an der uns doch gelegen sein muss. Varianten auf Dauer will ja eigentlich niemand, sie sind in unseren Augen immer nur Zwischenstationen auf dem Weg zu einer neuen Schreibung. Von daher ist es geradezu notwendig, in den Wörterbuchern neue Varianten ohne detaillierte Charakterisierung anzubieten, den Schreibbrauch aber sehr genau zu beobachten und in Zukunft, d.h. bei Gelegenheit einer neuen Auflage, aus den Beobachtungen Konsequenzen zu ziehen.

6. Zu den Einzelfällen: Wir sehen davon ab, dass in unseren Augen Fälle wie Eurythmie und Cellophan nicht gerade im Zentrum des deutschen Wortschatzes platziert sind. Wenn aber dazu etwas zu sagen ist, dann dies:

- Eurythmie erscheint als Stichwort im Duden ebenso wie Eurhythmie, allerdings nicht als Variantenschreibung. Beide Stichwörter sind schon seit mehreren Auflagen im Duden verzeichnet. Dabei ist etymologisch gesehen Eurythmie eigentlich die Hauptvariante, Eurhythmie (mit rh) ein etablierter Rechtschreibfehler.
- Auf Seite 187 führt der Duden Cellophan mit der Charakterisierung eingetragenes Warenzeichen auf; auf Seite 842 wird Zellophan aufgeführt, und es wird von dort auf Cellophan verwiesen. Das Vorgehen ist absolut korrekt.
- Beim Stichwort Graphologe wird mit einem roten Verweis auf R 33 verwiesen, wo die Möglichkeit der Variantenschreibung mit f erläutert wird.
- Schreibungen von fremden Wörtern, die den deutschen Laut?Buchstaben-Entsprechungen gehorchen, eindeutschend zu nennen kann doch wohl in einem Volkswörterbuch (und das ist der Duden bekanntlich schon lange) nicht falsch sein. Der Begriff eindeutschend sei durch das neue Regelwerk nicht gedeckt, meint H. Zabel, dort heisse es integriert. Mit diesem Wort wird der Durchschnittsbenutzer jedoch kaum etwas anfangen können.

7. Zum Schluss: H. Zabel fürchtet die Möglichkeit, „dass es über kurz oder lang zu einem neuen Buchdrucker-Duden kommt“. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass wir eine solche Möglichkeit nicht befürchten, eher erhoffen; im Übrigen hat es in der grafischen Industrie immer spezielle Festlegungen gegeben. Wichtiger ist uns aber etwas anderes: Müssen wir H. Zabel so verstehen, dass alle Alltagsschreiber deswegen den Hinweis auf die jeweilige Hauptvariante zur Kenntnis nehmen müssen, weil eine kleine, spezialisierte Berufgsgruppe bestimmte Informationen dringend braucht? Das wäre ja wohl eine völlige Verkehrung der vernünftigen Proportionen.

7

Lesend, was wir nur zum Komplex Laut-Buchstaben-Beziehungen aufführen mussten, registrieren wir: Die aufgeführten Falle sind so peripher, dass man sich nicht genug wundern kann, wie aufgeregt sie behandelt worden sind.

2. Getrennt- und Zusammenschreibung

In diesem Bereich notiert die Duden?Redaktion an einer Reihe von Stellen, an denen nach dem Regelwerk Zusammenschreibung notwendig ist, Getrenntschreibungen auf (z.B. stramm ziehen, rein waschen, gleich gesinnt). Außerdem haben die Mitglieder der Duden-Redaktion auch in diesem Bereich eine Reihe beschlossener orthographischer Varianten einfach unter den Tisch fallen lassen, d.h. unterschlagen.

Wir beschränken im Folgenden unsere Auseinandersetzung mit H. Zabel auf den ersten Satz seines Textes. (Der zweite ist so pauschal, dass sich schlichtweg nicht auf ihn eingehen lässt.) Dabei gehen wir in zwei Schritten vor; wir weisen zum einen (1) auf die grundsätzlichen Probleme im Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung hin, und wir gehen zum zweiten (2) auf die drei Beispiele von H. Zabel ein.


1. Die langen Jahre der Arbeit am Regelwerk im Internationalen Arbeitskreis haben allen Beteiligten – H. Zabel wird das bestätigen konnen – deutlich gemacht, dass kaum ein Bereich so schwer zu regeln ist wie die Getrennt- und Zusammenschreibung. Hinter der Schwierigkeit steckt kein orthographisches, sondern ein grammatisches Problem. Orthographisch lässt sich hier sehr leicht festlegen (vgl. die Vorbemerkungen zur Getrenntund Zusammenschreibung im Amtlichen Regelwerk):

Die Getrennt- und Zusammenschreibung betrifft die Schreibung von Wörtern, die im Text unmittelbar benachbart und aufeinander bezogen sind. Handelt es sich um die Bestandteile von Wortgruppen, so schreibt man sie voneinander getrennt. Handelt es sich um die Bestandteile von Zusammensetzungen, so schreibt man sie zusammen. Manchmal können dieselben Bestandteile sowohl eine Wortgruppe als auch eine Zusammensetzung bilden. Die Verwendung als Wortgruppe oder als Zusammensetzung kann dabei von der Aussageabsicht des Schreibenden abhängen.

Dieser Satz (der noch nicht als Regel daherkommt!) beschreibt exakt das Problem: Man kann richtig schreiben, wenn man weiss, was eine Wortgruppe bzw. eine Zusammensetzung ist. Das festzustellen ist aber nicht leicht, und manchmal ist es ganz unmöglich: Erst die Aussageabsicht des Schreibenden legt das letztlich fest.

Vor diesem Hintergrund ist auch zuzugeben, dass der Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung nicht an allen Stellen optimal geregelt ist. Versteht man Regeln als klare Handlungsanweisungen – für Lexikographen ebenso wie für ganz normal Schreibende – so bietet etwa die folgende Regel (§ 34 (2.2) des Amtlichen Regelwerks) ein Beispiel für eine extrem wenig hilfreiche Formulierung:

Partikeln, Adjektive oder Substantive können mit Verben trennbare Zusammensetzungen bilden. Man schreibt sie nur im Infinitiv, im Partizip I und im Partizip II sowie im Nebensatz bei Endstellung des Verbs zusammen. Dies betrifft [...] Zusammensetzungen aus Adverb oder Adjektiv + Verb, bei denen [...] der erste Bestandteil in dieser Verbindung weder erweiterbar noch steigerbar ist, wobei die Negation nicht nicht als Erweiterung gilt [...].

Verräterisch ist hier schon das Wort können im ersten Satz. Im Übrigen versuche man einmal, diese Regel auf eine Reihe von Fügungen anzuwenden, bei denen man immerhin auf den Gedanken kommen könnte, sie sei einschlägig. Die folgenden Schreibungen entsprechen der neuen Regelung:

bekannt machen, aufrecht gehen, aufrechterhalten, (sich) bereithalten, (sich) bereit erklären, bloßstellen, fertig stellen, frei stellen, freisprechen, totschlagen, blau schlagen

Bei Regeln wie dieser werden wir wohl auch in Zukunft in den Wörterbuchern nachschlagen müssen. Das Problem im gegebenen Zusammenhang ist nur: Wo schlagen eigentlich die Wörterbuchmacher nach?



2. Wir kommen damit zu den inkriminierten Schreibungen stramm ziehen, rein waschen und gleich gesinnt. Die Dudenredaktion hat hier interpretiert, musste interpretieren. Wir versuchen die Interpretationen nachzuvollziehen:

- stramm ziehen fällt unter den oben herangezogenen Paragraphen 34. Die Dudenredaktion hat hier offenbar Steigerbarkeit angesetzt (etwas stramm ziehen / etwas strammer ziehen) und musste entsprechend Getrenntschreibung ansetzen.
- Entsprechendes gilt für rein waschen: Hier ist Erweiterbarkeit möglich: Sie hat sich von diesen Anklagen nie ganz rein waschen können.

Damit nur die Problematik ganz deutlich ist: Wir können uns Wörterbuchentscheidungen vorstellen, die auf Zusammenschreibung hinauslaufen. Das hängt damit zusammen, dass die Kriterien Erweiterbarkeit und Steigerbarkeit nicht klar trennen. Nur: Falsch ist die Option Getrenntschreibung gewiss nicht.

- Getrenntschreibung bei gleich gesinnt kann sich auf die Wortliste stützen, der zu entnehmen ist, dass Fügungen mit gleich, wo es in gleicher Weise bedeutet, getrennt zu schreiben sind.



Zwischenfazit: Wir mussen im Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung dort, wo Regeln interpretierend auf den Wortschatz angewendet werden, auch in Zukunft tuft unterschiedlichen Entscheidungen rechnen. Welche von diesen Entscheidungen letztlich als falsch und welche richtig einzustufen ist, das ist angesichts der Kompliziertheit in diesem Bereich nicht von vornherein auszumachen.


Wir werden bezüglich der weiteren Punkte im Folgenden eher etwas holzschnittartig argumentieren.


3. Schreibung mit Bindestrich

Bezogen auf den Bereich Schreibung mit Bindestrich erhebt H. Zabel den Vorwurf, der Duden führe in einer Reihe von Fällen die beschlossenen Bindestrichschreibungen im Wörterverzeichnis nicht auf. Er nennt hier die Beispiele Hair-Stylist, Job-Sharing, Ich-Laut und Sex-Appeal.
Unserer Auffassung nach stilisiert H. Zabel hier ein Darstellungsproblem zu einem Grundsatzproblem hoch. Hätte das Wörterbuch überall, wo Bindestrichschreibung möglich ist (und sie ist nach der Neuregelung an vielen Stellen möglich) auch die Bindestrichschreibung verzeichnet, hätte das eine starke Aufblähung mit sich gebracht. Der Duden beschränkt sich darauf, hinsichtlich der Möglichkeit der Bindestrichschreibung auf seinen Regelteil zu verweisen und wir finden dieses Verfahren ökonomisch, korrekt und nicht angreifbar. – Die amtliche Wortliste verfährt übrigens nicht anders.

4. Worttrennung am Zeilenende

Bezogen auf die Worttrennung am Zeilenende wirft H. Zabel der Dudenredaktion vor, sie unterschlage (im Wörterverzeichnis!) Trennmöglichkeiten, die durch die Neuregelung eingeführt worden sind. Wörtlich: „Sie führt hunderte Trennungen wie Ap-ril, ext-ra, Pat-rone, Rek-rut usw. ohne jeden Verweis auf andere, ebenso richtige Möglichkeiten auf, und während andere Neuerungen farbig gekennzeichnet sind, fehlt eine solche Markierung hier vollkommen, sofern nicht st oder ck betroffen sind.“

Wir möchten hier festhalten:

1. Der Duden enthält – sowohl in seinem Regelteil als auch im abgedruckten Amtlichen Regelwerk – selbstverständlich alle Trennregeln.
2. In allen inkriminierten Fällen (von April bis Rekrut) gibt es einen (roten) Verweis auf die allgemeinen Trennregeln.
3. Hinter dem Ganzen steckt – natürlich – wieder ein Darstellungsproblem (das von H. Zabel zu einem Grundsatzproblem aufgebauscht wird). Wir wollen es am Beispiel Rekrut demonstrieren. Hier ist neu möglich: Re-krut und Rek-rut.

Die Frage ist nun, wie man in einem Wörterbuch mit diesen unterschiedlichen Möglichkeiten umgeht. Eine Möglichkeit ist, überall dort, wo eine mögliche Trennfuge liegt, einen senkrechten Strich zu setzen; das ist aber verwirrend, weil ja die Entscheidung für Trennung an der einen Fuge die Trennung an der anderen ausschliesst. Eine andere Möglichkeit ist, für jede weitere Trennmöglichkeit das Wort noch einmal zu verzeichnen. Das ist unökonomisch. Wir haben uns beim Duden informiert, nach welchen Kriterien man dort vorgegangen ist. Die Auskunft ist:
Die Kriterien, nach denen die Dudenredaktion sich für bestimmte Trennungen im Stichwort entschieden hat, finden sich in der amtlichen Regelung: Die Trennung nach Sprechsilben verlangt, dass von mehreren Konsonanten in der Regel der letzte auf die neue Zeile kommt (ext-ra, Rek-rut). Die Trennung von Zusammensetzungen nach ihren Bestandteilen setzt voraus, dass man diese Bestandteile erkennen kann – dies ist nach Meinung der Dudenredaktion vor allem dann gegeben, wenn sich stammverwandte Falle gegenüberstellen lassen (ex-trahieren wegen abs-trahieren, kon-trahieren, sub-trahieren; Re-klame wegen re-klamieren, de-klamieren, pro-klamieren).

Wir finden dieses Vorgehen korrekt.

5. Übriges

Das Schreiben von H. Zabel enthält einen Verweis auf nicht näher spezifizierte Arbeiten von G. Augst, in denen dieser gezeigt habe, dass der Duden im Bereich Zeichensetzung eigene Wege gehe. Da wir die Arbeiten nicht kennen, können wir keine Stellung zu ihnen beziehen. Wörtlich fügt H. Zabel hinzu: „Er (= G. Augst) stellt u.a. fest, dass die Duden-Redaktion neue Regeln und Unterscheidungen einführt sowie Empfehlungen mit dem Schein der Amtlichkeit präsentiert.“

Wir meinen hier: Natürlich geht es nicht an, dass ein Wörterbuch eigene Reqeln mit dem Schein der Amtlichkeit präsentiert. Wir haben Derartiges im Duden auch nicht gefunden. Was der Duden hingegen tut, das ist eine Umsetzung des Amtlichen Regelwerks in eine präsentable Sprache, die der Benutzer verstehen kann. Dafür sollten wir dankbar sein. Das Regelwerk – wir sagten es schon – ist weder für den Laienleser geschrieben noch für ihn lesbar.


Wir kommen zu einer Würdigung der Vorwürfe von H. Zabel. Sie kann nicht anders lauten als so:

1. Die Vorwürfe, die H. Zabel erhebt, sind zum grossen Teil aus der Luft gegriffen, zum kleineren Teil aufgebauschte Petitessen.
2. Die Konsequenzen, die er fordert (den Duden in den Schulen nicht zur Verwendung zuzulassen) sind durch nichts begründet.


3 Zu dem ZEIT-Artikel von Dieter E. Zimmer

Vieles von dem, was zu dem Schreiben von H. Zabel gesagt worden ist, lässt sich auch auf den Artikel von Dieter E. Zimmer beziehen – offensichtlich hat ihm das Argumentarium H. Zabels zur Verfügung gestanden. Wir beschränken uns daher darauf, hier einiges kurz zu rekapitulieren und einiges Wenige geradezurücken:

1. Dieter E. Zimmer, der hier marktwirtschaftlich argumentiert, findet ein Nebeneinander mehrerer konkurrierender Rechtschreibwörterbucher grundsätzlich positiv. Wenn man dieser Meinung ist, darf man aber nicht zugleich fordern, dass die konkurrierenden Wörterbucher bis in die letzten Einzelheiten inhaltlich identisch sind. Konkurrenz schliesst Variation im Bereich der Kann?Regeln sowie in den randständigen Bereichen der Rechtschreibung mit ein. Wer die Konkurrenz unter den Rechtschreibbüchern bejaht, bejaht zugleich eine gewisse Relativierung des Gedankens der Einheitsschreibung.

2. Mag sein, dass der Duden in der Vergangenheit ein „nicht unheikles Verhältnis“ zu den offiziellen Regeln hatte. Das heisst: Er hat an Stellen, an denen keine oder nicht mehr aktuelle Regeln da waren, kreativ weitergedacht. Wir würden sagen: Gott sei Dank. Angesichts der Untätigkeit der Politik in den letzten 100 Jahren hätte ein mutiger und selbstbewusster Duden ruhig noch mehr tun können – wir hätten dann keine Rechtschreibreform gebraucht. Auch Dieter E. Zimmer stellt ja fest:

Dabei wird man der 'Duden'-Redaktion nicht vorwerfen konnen, ihr Privileg mißbraucht zu haben. Sie hat Dudens Namen geradezu zu einem Synonym für professionelle Lexikographie gemacht und auch die Pflichten der Sprachseelsorge, die die Herausgabe derartiger Werke mit sich brachte, gewissenhaft auf sich genommen.

(Fortsetzung folgt)



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Th. Ickler

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