Lehrerinitiative gegen die Rechtschreibreform

Hessen

OStR Günter Loew, Nordring 1d, 63517 Rodenbach

Tel./Fax: 06184/52756

29.6.1999

Die Rechtschreibreform zerstört das Sprachgefühl

Für die Schüler bedeutet sie das Ende aller Gewißheiten.

Wer auch immer sich in der Sache der Rechtschreibreform an bayerische CSU-Politiker oder das „Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus“ wendet, bekommt von dort mehr oder minder stereotyp die folgende Antwort:

„Für ein Aussetzen der Neuregelung, die in den Schulen ohne Probleme angewendet wird, gibt es nach den vorliegenden Erfahrungen keine Gründe. Dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus liegt eine Reihe von Stellungnahmen vor, die belegen, dass die Neuregelung gegenüber der früheren großen Zahl von Einzelfallregelungen und Ausnahmen tatsächlich als Erleichterung empfunden wird. Auch Publikationen, die seit mehr als einem Jahr danach verfahren (z.B. die Wochenzeitung „Die Woche“), aber auch Tausende von Schul-, Kinder- und Jugendbüchern zeigen zweifelsfrei, dass die angeblich drohende Katastrophe für die deutsche Sprache (!) nicht eingetreten ist.“

Der Verfasser solcher vollmundigen Erklärungen ist ein Ministerialrat, dessen Name rein zufällig von fern an Deutschlands berühmteste Märchenerzähler erinnert. Seine Behauptung aber, daß die Neuregelung „gegenüber der früheren großen Zahl von Einzelfallregelungen und Ausnahmen tatsächlich als Erleichterung empfunden“ werde, ist und bleibt ein absichtsvoll erfundenes Märchen, das auch durch gebetsmühlenartige Wiederholungen nicht wahrer wird.1

Das ist leicht nachzuweisen. Wer auch nur einmal in das sogenannte „Amtliche Regelwerk“ hineinschaut, wird als erstes feststellen, daß es erheblich umfangreicher als die bisherigen Richtlinien zur Rechtschreibung, Zeichensetzung und Formenlehre im alten Duden ist, obwohl die Reformer die Zahl der Regeln angeblich von 212 auf 112 reduziert haben. Als Vergleichsmaßstab bietet sich die letzte Auflage des DUDEN vor der Reform an, also die 20. Auflage. Bei gleichem Format und, soweit mit bloßem Auge erkennbar, gleicher Schriftgröße (allerdings unterschiedlichem Satz: zweispaltig im Duden, einspaltig in der ebenfalls vom Dudenverlag herausgegebenen Taschenbuchversion 2 des sog. amtlichen Regelwerks) umfaßt die Darstellung der Regeln im Duden 47 Seiten, während es im amtlichen Regelwerk 83 Seiten sind. Wie kann das sein, daß die Reformer für 100 Regeln weniger 36 Seiten mehr benötigen?

Professor Dr. Werner H. Veith von der Universität Mainz ist der Sache nachgegangen und hat herausgefunden, daß die Reformer die Öffentlichkeit mit einer Mogelpackung hinters Licht geführt haben.

Um dem Vergleich mit dem Duden von vorneherein aus dem Wege zu gehen, haben sie ihre Darstellung der neuen Orthographie gar nicht in die Form von Regeln gebracht, sondern in 112 Paragraphen gegliedert, die durch eine Vielzahl von [mit E 1, E 2, E 3 usw. gekennzeichneten] Unterregeln ergänzt werden. Diese sind darüber hinaus auch noch mit zahllosen [durch (1), (2), (3) usw. markierten] Anwendungsbestimmungen versehen.

Trotz solcher Vernebelungsversuche ist das Ergebnis eindeutig: die neue Orthographie ist wesentlich komplizierter als die bisherige, und sie ist auch wesentlich schlechter beschrieben worden.

In dem Diskussionsband „Die Rechtschreibreform / Pro und Kontra“3 hat Professor Veith das Resultat seiner Untersuchungen wie folgt bilanziert:

„Dadurch ergeben sich zu den 112 Regeln nicht weniger als 1.106 Anwendungsbestimmungen. Will man den zum Erwerb und zur Anwendung der deutschen Orthographie erforderlichen Lernaufwand aber einigermaßen richtig einschätzen, dann sind auch die 105 Wortlisten einzubeziehen, die zusammen 1.180 Wörter enthalten, welche mangels Effektivität der Regeln im Gedächtnis behalten oder in einem Wörterbuch nachgeschlagen werden müssen.“4

Im einzelnen bemängelt er, daß die Formulierung vieler Regeln in sich widersprüchlich, unsystematisch und alogisch ist. Die Regeln sind zudem in einem benutzerfeindlichen Deutsch verfaßt, können wegen ihrer Spitzfindigkeit vom Schreibenden kaum nachvollzogen werden, und die Zahl der Ausnahmen ist immens: der Bereich B der Getrennt- und Zusammenschreibung umfaßt z.B. bei 7 Regeln 253 Anwendungsbestimmungen: „Darin sind 45 Unterregeln, 2 Spezifikationen, 15 Kannbestimmungen, 123 Bedingungen, 33 Listen und 28 Verweise enthalten“. Darüber hinaus ist die Anwendbarkeit der Regeln ­ entgegen der Reformabsicht ­ oft auch noch vom Bildungsgrad des Schreibenden abhängig.

In Bayern will man das bis heute nicht zur Kenntnis nehmen. Die Stellungnahmen der dort für die Reform Verantwortlichen erwecken vielmehr den Eindruck, daß man nur bayerische Wahrheiten gelten lassen will und anscheinend nicht viel auf den wissenschaftlichen Rest der Welt gibt.

Ein Beispiel: Obgleich mehr als 600 Professoren der Sprach- und Literaturwissenschaften aus dem In- und Ausland, darunter die Crème de la crème dieser Fachgebiete, sich mit einem Protestschreiben an die Öffentlichkeit gewandt haben, das in der Feststellung gipfelt:„Eine derart fehlerhafte Regelung, die von den bedeutendsten Autoren und der großen Mehrheit der Bevölkerung mit guten Gründen abgelehnt wird und die Einheit der Schriftsprache auf Jahrzehnte zerstören würde, darf keinesfalls für Schulen und Behörden verbindlich gemacht werden“, behauptet der neue Generalsekretär der CSU, Dr. Thomas Goppel, unter Berufung auf das Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung in München noch immer unverdrossen, die Auswertung einer umfangreichen Stichprobe von mehr als 500 Schüleraufsätzen aus allen Jahrgangsstufen des Gymnasiums habe „durchaus bemerkenswerte Ergebnisse“ gezeigt:

„So wurde bereits kurz nach Einführung der neuen Rechtschreibung die Neuregelung bereits recht sicher angewandt. Überholte Schreibungen spielten nur eine geringe Rolle. Änderungen im Bereich der in der Öffentlichkeit besonders heftig diskutierten Getrennt- und Zusammenschreibung betrafen nur 0,03 Prozent der rund 350 000 ausgewerteten Schreiben. Auch in den seit der Untersuchung vergangenen zwei Jahren gab es an den bayerischen Schulen nach Auskunft des Kultusministeriums keine nennenswerte Probleme mit der Rechtschreibreform.“ 5

Die Wirklichkeit sieht sehr anders aus. Ich verweise auf die unten folgende Blütenlese von ganz neuartigen Rechtschreibfehlern. Sie stützt sich zwar nur auf sechs oder sieben Klassenarbeiten, die von Schülern einer siebten, einer neunten, zwei elften und einer zwölften Klasse stammen, spiegelt nach meiner Überzeugung aber das durchschnittliche orthographische Leistungsvermögen der deutschen Schüler nach der Reform viel besser wider als die bayerische Monumentaluntersuchung. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie Herr Dr. Goppel die verblüffende Diskrepanz zwischen der in seinem Schreiben erhobenen Behauptung, daß die Änderungen im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung nur 0,03 Prozent der untersuchten 350 000 Schreiben betreffen, und den zahlreichen Beispielen für Fehlleistungen, die ich gerade auf diesem Sektor registriert habe, erklären wird.

Dabei will ich gerne zugeben, daß es sich „nur“ um Aufsätze von hessischen Gymnasiasten handelt, was möglicherweise aus bayerischer Sicht die Aussagekraft meiner Beispiele schwächt. Aber das „Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus“ sollte sich nicht vorschnell in Sicherheit wiegen, denn zweifellos sind auch bayerische Haupt- und Realschüler nach einer gründlichen Einführung in die neue Rechtschreibung zu ähnlich „kreativen“ Schreibweisen fähig.

Bei der Einschätzung der Ergebnisse darf man auch nicht übersehen, daß es sich bei den ausgewerteten Texten nicht um Diktate, sondern um Aufsätze handelt. Es ist nämlich schon seit langem bekannt, daß hessische Schüler beim Aufsatzschreiben souverän auf den Gebrauch von Rechtschreibwörterbüchern verzichten, selbst wenn sie in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Seit den Rahmenrichtlinien des Herrn von Friedeburg in den 70er Jahren sind sie nämlich längst orthographiedidaktisch aufgeklärt und „zu einer kritischen Einstellung gegenüber der Rechtschreibung“ befähigt worden. Sie haben also längst verinnerlicht, daß die Orthographie kein vernünftiger Maßstab für die Beurteilung des Bildungsgrades eines Menschen ist, und nehmen Fehler infolgedessen nicht weiter tragisch.

Meine Blütenlese ist nach ganz subjektiven, ziemlich willkürlichen Kriterien geordnet. Sie erhebt auch keinerlei dokumentarische oder wissenschaftliche Ansprüche. Ich habe ganz einfach notiert, was mir aufgefallen ist.

Beim genaueren Studium dieser Fehler bin ich jedoch zu der Überzeugung gekommen, daß die neue Orthographie einen rapiden Verfall der deutschen Rechtschreibung in Gang zu setzen scheint. Ich habe den Eindruck, daß vor allem die sinnwidrigen und gegen die natürliche (spontane) Betonung der Wörter gerichteten Getrenntschreibungen der neuen Orthographie das Sprachgefühl zerstören. Ganz ähnlich wirken sich aber auch die aus didaktischen Beweggründen entwickelten neuen Großschreibungen aus. Sie zerstören die bisher gültigen semantischen Prinzipien der Groß- und Kleinschreibung und stiften eine heillose Verwirrung.

1. Progressive, aber leider auch nach der angeblich so hilf- und segensreichen Reform falsche Getrenntschreibungen

[Verstöße gegen § 34 (1), wahrscheinlich in Verbindung mit einer falschen Deutung von E 1]:
­ bei bringen (beibringen; was ihm sein Biologielehrer bei gebracht hat);
­ dahin schwinden (dahinschwinden; ... sahen ihre Chancen dahin schwinden);
­ entgegen bringen (entgegenbringen; der ... seine Zuneigung entgegen bringt);
­ entgegen treten (entgegentreten; ... glaubt, dem Göttlichen entgegen treten zu können);
­ entlang stapfen (entlangstapfen; die ... mit einem Karren entlang stapfen);
­ gegenüber stellen (gegenüberstellen; er versuchte sie gegenüber zu stellen);
­ heraus helfen (heraushelfen; der ihm aus seiner Lage heraus hilft; man beachte die Bedeutungsverschiebung!);
­ herum schnüffeln (herumschnüffeln; er versuchte(,) dort herum zuschnüffeln!!);
­ hinauf steigen (hinaufsteigen);
­ hinaus wollen (hinauswollen; weil er darauf hinaus will);
­ hinunter laufen (hinunterlaufen);
­ hinweg helfen (hinweghelfen; er versucht ihm über die Trauer hinweg zu helfen)
­ mit bringen (mitbringen; daß er vielleicht einen Hasen mit bringt);
­ um kehren (umkehren; sie müssen um kehren);
­ unter gehen (untergehen; ... sahen ihr Volk unter gehen; das Volk wird unter gehen);
­ vorbei fliegen (vorbeifliegen; ein Flugzeug, das vorbei fliegt);
­ vorher berechnen (vorherberechnen; weil man das Schicksal nicht vorher berechnen kann);
­ weg gehen (weggehen; daß er nicht einfach weg gehen könne);
­ weiter gehen (weitergehen; wäre es immer so weiter gegangen; daß das Leben noch weiter geht);
­ weiter leben (weiterleben; die Erinnerung daran wird weiter leben; Kreon muß als Herrscher weiter leben);
­ weiter schlafen (weiterschlafen; er will weiter schlafen)
­ wieder gut machen (wiedergutmachen; korrekt nach der neuen Orthographie ist nach Bünting auch: wieder gutmachen; er versuchte alles wieder gut zu machen);
­ zu gehen (zugehen; wie es in der Gesellschaft zu geht);
­ zu treten (zutreten; als der Mann auf ihn zu tritt);
­ zurück gehen (zurückgehen);
­ zurück drehen (zurückdrehen; die Uhr zurück drehen)

2. Meisterleistungen der neuen Orthographie, die zwar als korrekt gelten, aber auch nicht sinnvoller sind

­ auseinander setzen (auseinandersetzen; im neuen Wörterverzeichnis ausdrücklich in Getrenntschreibung aufgeführt; um sich mit der Französischen Revolution auseinander zu setzen);
­ fertig werden (fertigwerden im Sinne von verkraften; das Verb zählt zu den von der Reform durch Getrenntschreibung vernichteten Wörtern; er muß damit - mit dem Leid ­ fertig werden);
­ gefangen nehmen (gefangennehmen; als sie von Kreon gefangen genommen wurde);
­ schief laufen (schieflaufen; das Wörterverzeichnis zur neuen Orthographie enthält ausdrücklich das ebenso sinnwidrige schief gehen für schiefgehen; wirklich korrekt ist nur schief sitzen; ... alles sei schief gelaufen);
­ verloren gehen (verlorengehen; wodurch die Spannung verloren geht); ­ wieder kommen (als Variante zu wiederkommen; er verspricht ihm aber(,) wieder zu kommen);
­ zufrieden stellen (zufriedenstellen; das konnte ihn nicht zufrieden stellen)

3. Besonders progressive Vorwegnahmen zukünftiger Schreibungen
­ all dem (alldem; er ahnt nichts von all dem);
­ beisammen sein (Beisammensein; in diesem beisammen sein);
­ darauf hin (daraufhin; in der Wörterliste nicht enthalten; darauf hin beschließt er);
­ dem zu Folge (demzufolge);
­ der selbe (derselbe; mit der selben Idee);
­ ehren Mann (Ehrenmann; er hält ihn für einen ehren Mann);
­ gezwungener Massen (gezwungenermaßen);
­ herum schnüffeln (herumschnüffeln; er versuchte dort herum zuschnüffeln; sic!)
­ heut zu Tage (heutzutage);
­ in wie weit (inwieweit);
­ so oft (sooft; so oft er ... vorbeikam; so oft sich ihre Wege kreuzten); ­ Tränen überströmt (tränenüberströmt; mit Tränen überströmtem Gesicht; nach § 36 (4) sogar korrekt);
­ von statten gehen (vonstatten gehen; wie dieser Umschwung von statten ging);
­ wahr haben (wahrhaben; Jürgen möchte es nicht wahr haben);
­ zu ende gehen (für das in der alten Schreibung noch nicht als korrekt anerkannte „zuende gehen“);
­ zu Hilfenahme (Zuhilfenahme; unter zu Hilfenahme);
­ zu recht kommen (zurechtkommen)
­ zu Recht legen (zurechtlegen; hat sich eine Taktik zu Recht gelegt)

4. Ganz banale Verstöße gegen die neue Schreibung des stimmlosen S-Lauts

­ ausser, ausserdem (außer, außerdem)
­ ausserordentlich (außerordentlich);
­ das heisst (das heißt);
­ erschiessen (erschießen; er will den Löwen erschiessen lassen);
­ sassen (saßen; sie sassen am Lagerfeuer);
­ schliessen (schließen);

5. Falsche Großschreibungen wegen verwirrender Regeln und falscher Analogiebildungen

­ Alles (alles; es sei Alles in Ordnung; haben viele Leute Alles verloren);
­ am Schnellsten (am schnellsten; das geht am Schnellsten);
­ Außen (außen; eines nach Außen Unwissenden);
­ das Andere (das andere; danach folgt eins aufs Andere);
­ das Selbe (dasselbe);
­ das Übrige (das übrige; sie stritten sich um das Übrige);
­ die Anderen (die anderen; während die Anderen meinen, dass ... ; wie die Anderen leiden);
­ die Beiden (die beiden; als sie den Karren der Beiden hören)
­ Nachts (nachts; daß die Ratten Nachts schlafen; er könne Nachts weggehen; daß dieser Nachts nicht zu wachen braucht; weil er Nachts keine Angst mehr zu haben braucht);
­ Tage lang (tagelang; er hat sich Tage lang nicht von der Stelle bewegt);

Daß diese Entwicklung vorhersehbar war, kann man problemlos nachweisen. Es hat viele Warner gegeben. Aber deutsche Kultusminister weigern sich offensichtlich, das zur Kenntnis zu nehmen, was nicht in ihre politischen Pläne oder in ihr Weltbild paßt. Und sie wollen auch nicht zugeben, daß sie unverzeihliche Fehler gemacht haben.

Stellvertretend für alle Kritiker möchte ich am Schluß wenigstens einen der allerwichtigsten mit seiner Bilanz zu den Kapiteln „Groß- und Kleinschreibung“ und „Getrennt- und Zusammenschreibung“ zu Wort kommen zu lassen: Professor Horst Haider Munske von der Universität Erlangen-Nürnberg 6.

Sein Fazit zur Getrennt- und Zusammenschreibung (GZS) lautet:

„In einer Gesamtbewertung ist festzustellen, daß die neue GZS quantitativ und qualitativ außerordentlich folgenreiche Eingriffe vorsieht, die weit über orthographische Fragen im engeren Sinne hinausgehen. Die Neuregelung greift mit dem Instrument orthographischer Normierung massiv in die Entwicklung und differenzierte Gestalt des deutschen Wortschatzes ein. Erst die neuen Rechtschreibwörterbücher haben dies für jedermann sichtbar gemacht. Damit ist die GZS zum Hauptsorgenkind der Rechtschreibreform geworden. Eine gründliche und sorgfältige Überarbeitung ist unerläßlich.“

Und zur Groß- und Kleinschreibung:

„Eine systematische Neubeschreibung der Groß- und Kleinschreibung war dringend notwendig, auch eine Korrektur mancher Widersprüche und Spitzfindigkeiten; die in diesem Zusammenhang vollzogene didaktische Umorientierung greift tief in die geltende Struktur ein, stört die bisherige Anpassungsfähigkeit an die Sprachentwicklung und schafft viele neue Rechtschreibfallen. Die wissenschaftliche und öffentliche Debatte um diesen Bereich der Rechtschreibreform hat eben erst begonnen.“

Der Streit um die Rechtschreibreform ist noch lange nicht zu Ende. Das werden auch die Nachrichtenagenturen und Zeitungsverleger noch erfahren, die sich jetzt ohne Not zu Erfüllungsgehilfen der Kultusminister machen und immer noch zu glauben scheinen, sie könnten die Reform mit ein paar unerläßlichen Korrekturen „umsetzen“. Eine im Ansatz verkorkste Reform ist aber nicht in den Griff zu bekommen.

Die den Schülern mit der Reform versprochenen, jedoch nicht zustande gekommenen Schreiberleichterungen könnten ihnen demnächst von einer ganz anderen Seite her zuteil werden: In Kürze wird nämlich eine knappe und sprachlich ansprechende „Anleitung zum richtigen Schreiben“ aus der Feder von Professor Theodor Ickler erscheinen.

Ob Kultusminister wohl über ihren Schatten springen können?

 

 
1 In einer von Schülern gemachten Sonderbeilage des Bonner General-Anzeigers vom 27.5.1999 mit dem Titel „Extra Klasse“ berichtet die Klasse 8c des Konrad-Adenauer-Gymnasiums: „Mit nicht allzu großer Begeisterung lernen Schüler das breite Maß an Regeln der neuen Rechtschreibung. Sie haben jedoch Spaß daran, ihre unsicheren Lehrer zu berichtigen, da nur sehr wenige Lehrer sich intensiv mit der Rechtschreibung beschäftigt haben. Im Kampf um die Reform sind die Gegner deutlich in der Mehrheit. Von 31 befragten Schülern, die sich mit der neuen Rechtschreibung schon befassen, fanden nur 7 sie sinnvoll.“
2 DT 28 / Die neue amtliche Rechtschreibung
3 herausgegeben von H.-W. Eroms und H.H. Munske, Erich Schmidt Verlag Berlin, 1997; S. 244
4 „Die Rechtschreibreform /Pro und Kontra“, Erich Schmidt Verlag, Berlin 1997, S.244
5 in einem an mich gerichteten Brief vom 22.2.1999
6 Er war lange Jahre Mitglied des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie und gehörte bis zu seinem Rücktritt aus Protest auch der Zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung an.