Neuregelung auch für die Bundesbehörden?
Kommentare von Dr. Maria Theresia Rolland, Bonn 29.1.99
Bis Mitte November 1998 lagen dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages 44 zielgleiche Zuschriften gegen die Umsetzung der von den Kultusministern der Bundesländer beschlossenen Neuregelung der deutschen Rechtschreibung vor. Als zentrale Argumente gegen die Reform werden zusammenfassend genannt: fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung; undemokatisches Zustandekommen der Reform; fehlende Regelungskompetenz der Kultusminister in diesem Punkt; Einbeziehung des Parlaments wäre notwendig gewesen; Strukturmängel der Reform; keine Lernvereinfachung; Bewirkung allgemeiner Schreibunsicherheit; unpädadogische Vorgehensweise, daß Schüler eine Schreibweise lernen sollten, die in der Gesellschaft nicht gelte; Sorge vor einem Auseinanderdriften der Generationen; Verlust der kulturellen Identität; unvertretbar hohe Kosten.
In einer vom Petitionsausschuß eingeholten Stellungnahme des Rechtsausschusses hierzu heißt es unter anderem: Der Deutsche Bundestag ist der Überzeugung, daß sich die Sprache im Gebrauch durch die Bürgerinnen und Bürger, die täglich mit ihr und durch sie leben, ständig und behutsam, organisch und schließlich durch gemeinsame Übereinkunft weiterentwickelt. Mit einem Wort: Die Sprache gehört dem Volk. Im Verlauf der parlamentarischen Beratung kommt der Petitionsausschuß in Übereinstimmung mit dem Rechtsausschuß zu dem Ergebnis, daß die erforderliche Normierung die durch gesellschaftliche Übereinkunft im deutschen Sprachraum entstandene und dokumentierte Entwicklung der Sprache nur aufnehmen, nicht aber selbst hoheitlich ordnen und Änderungen aufzwingen darf. Darüber hinaus hält es der Petitionsausschuß für sinnvoll, ein unabhängiges Gremium mit der Beobachtung der Sprachentwicklung unter Einbeziehung und Überprüfung der vorliegenden Rechtschreibreform zu beauftragen.
In seiner 11. Sitzung am 3.12.1998 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuständigkeitshalber an das Innenministerium zu überweisen. Der Innenminister hat am 20.1.1999 das Kabinett davon unterrichtet, daß es bis auf Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern in allen Ländern Erlasse auch für die Umsetzung der Reform in die Amtssprache gebe, wobei die Neuregelung in allen Schulen außer in Schleswig-Holstein angewendet würde. Die Bundesregierung faßte den Beschluß, die Neuregelung ab 1.8.1999 auch in die Amtssprache der Bundesbehörden zu übernehmen. Der Bundestag wurde davon unterrichtet. Der Beschluß des Bundestages vom 26.3.1998 lautete jedoch ausdrücklich, die hergebrachte Amtssprache des Bundes beizubehalten.
Es bleibt zu fragen, ob die Bundesregierung ihren Beamten die Neuregelung aufzwingen darf - zumal das Bundesverfassungsgericht alle bis auf die Schulen von der Verpflichtung, die Neuregelung zu befolgen, ausgenommen hat. Es bestehen zumindest ernste verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, die man nicht in den Wind schlagen sollte. Darüber hinaus ist es für einen Bürger schlichtweg unverständlich, wieso etwas eingeführt werden soll, was noch überprüft werden muß. Die Reformkommission selbst hält Änderungen für unumgänglich notwendig - wie sie in ihrem Korrekturpapier vom Januar 1998 schreibt. Was jetzt auch die Beamten lernen sollen, ist also überholt.
Professor Horst Haider Munske, Erlangen, der aus Protest aus der Zwischenstaatlichen Kommission ausgetreten ist, betont: Es ist höchst fatal, ein Reformwerk in die Praxis umzusetzen, dessen Mängel jeder Einsichtige leicht erkennen kann. Die Bundesregierung könnte den über 600 Professoren der Sprach- und Literaturwissenschaften aus dem In- und Ausland als den eigentlichen Experten und ihren sachlichen Argumenten gegen die Reform Gehör schenken. Sie könnte der in ihren Ausschüssen ausdrücklich genannten Forderung lediglich nach Feststellung des Sprachgebrauchs zustimmen. Es gibt nur Gründe gegen diese verfehlte Reform - aber keine dafür.
Mit einer Nichtübernahme der neuen Falschschreibungen würde die Bundesregierung sich und ihren Beamten einen großen Dienst erweisen. Während nämlich in den meisten Bundesländern aufgrund der für die Neuregelung ergangenen Erlasse ein Schreibchaos herrscht - zumal bei inzwischen 11 verschiedenen Wörterbüchern mit Tausenden von Abweichungen - und keiner den widersprüchlichen Neuschrieb beherrschen kann, besteht bei den Bundesbehörden dann weiterhin eine korrekte und einheitliche Schreibweise. Wenn der Bund jetzt sachlich richtig und weitsichtig handelt, erübrigt sich im Stichjahr 2005 eine Rückumstellung für die Bundesbehörden; denn der Neuschrieb ist so falsch, daß er nicht bleiben kann. Kein Hausvater würde Richtiges für viel Geld auf Falsches umstellen - würden unsere Politiker das ernsthaft tun?