Dr. Maria Theresia Rolland Bonn, den 29.6.1999

Kündigung

Eine Tageszeitung schreibt am 26./.27.6.99, also etwa einen Monat vor der geplanten Umstellung der Zeitungen auf die Neuregelung: “An der Rechtschreibreform führt kaum ein Weg vorbei. Sie ist beschlossen und wird Schritt für Schritt umgesetzt.” “Kaum” bedeutet: Es gäbe doch einen Weg. Sie “ist beschlossen” klingt fatalistisch und unabänderlich. Sie wird “Schritt für Schritt umgesetzt”, dürfte ein Irrtum sein; denn es existiert die eigene Rechtschreibliste der Agenturen und Zeitungsverlage, und es ist nicht anzunehmen, daß zunächst nur die ss-Regelung übernommen wird, später die neue Großschreibung, schließlich die Getrenntschreibung und so fort.

Wer hat denn den Neuschrieb “beschlossen”? Es waren die Kultusminister. Und dann gab es das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur für die Umsetzung an den Schulen, jeder andere dagegen ist frei, zu schreiben wie bisher. Auch die Nachrichtenagenturen waren frei, die Neuregelung nicht zu übernehmen. Auch die Zeitungsverleger waren frei, es nicht zu tun. Angeblich war der entscheidende Grund für die Umstellung der, daß man sich auf die zukünftigen Zeitungsleser einstellen wollte. Die Kinder in den Schulen lernen aber eine andere Neuregelung als die, die in den Zeitungen steht; denn viele Neuschreibungen sind so falsch, daß die Agenturen sie nicht übernehmen wollen - was sehr zu begrüßen ist. Warum aber dann überhaupt eine Teil-Übernahme?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) besagt lediglich (vgl. Dr. W. Roth in: Bayerische Verwaltungsblätter, Mai 99, S. 257), daß Gerichte “die Einführung der Rechtschreibreform nicht als grundgesetzwidrig behandeln dürfen”, jedoch ist kein Gericht verpflichtet, “Begründung und Ergebnis des BVerfG bei der Auslegung der jeweiligen Landesverfassungen und Schulgesetze zu übernehmen”. Weitere Klagen könnten folgen, denen stattgegeben wird. Da sogar die Reformer selbst Änderungen an der Neuregelung für “unumgänglich notwendig” halten (das Revisionspapier liegt vor), fragt sich jeder Normalbürger, warum die Zeitungsleser gezwungen werden sollen, den Neuschrieb zu lesen, obwohl mit hundertprozentiger Sicherheit ein Rückbau, wenn nicht gar ein totaler Stopp der Reform erfolgen wird; denn das derzeitige Chaos mit den vielen Hausorthographien kann nicht bleiben. Man kann nicht anders, als die Entscheidung “für” eine Umstellung so zu interpretieren, als daß Wirtschaftsinteressen mächtiger Konzerne dahinterstehen.

Wer von den 11 betroffenen Nachrichtenagenturen im Inland (9) und Ausland (2: Österreich und Schweiz), wer von den Chefredakteuren (die persönlich und aus Überzeugung gegen die Reform sind) hat endlich den Mut zu sagen: Diesen Schwachsinn machen wir nicht mit? Sonst könnten die Zeitungen den kürzeren ziehen! Deutschlandweit sind die Abonnementskündigungen wegen der geplanten Schreibumstellung voll im Gange.