Kreuzworträtselwissen II
Kreuzworträtselwissen II
Wer Kommunikation in den Mittelpunkt seines Sprachbegriffs stellt, dem geht es um das Verstehen und das Verstanden-Werden, nicht um Analyse. Ein Mensch mit dieser Einstellung, wäre er Musiker, ließe sich nicht von einem unmusikalischen Theoretiker vorschreiben, wie ein Stück zu kingen hat. Er hielte es für nebensächlich, wenn der Unmusikalische prahlend verkündete, daß sich der Abstand von einem Ton zum nächsten in der temperierten Stimmung mit dem Faktor ‘zwölfte Wurzel aus 2’ berechnet, und daß der Mathematiker Werckmeister dem Komponisten Bach zum Beweis, daß so etwas funktioniert, das Wohltemperierte Klavier zu komponieren nahelegte. Nein, ihm, dem Musiker, ginge es zuerst darum, das erste Präludium daraus möglichst schön zu spielen. Hatte er doch bei seinem Bemühen immer wieder feststellen müssen, daß ihm dabei nicht Hintergrundwissen weiterhilft, sondern Übung. Und er würde auf den, der es schön spielen kann, hören, und nicht auf den, der eloquent über die Hintergründe schwadroniert.
Das Wissen über die Etymologie von Einzelwörtern ist von ähnlicher Qualität. Es dient zuerst sich selbst und dann dem nächsten Kreuzworträtsel. (Ich kann den Aufschrei des Protestes aus dem Turm bereits hören.) Man kann mit der Kenntnis von der Herkunft der Wörter vorzüglich seine Bildung zur Schau stellen (ich empfehle zu dem Zweck Griechisch: älter, und viel wirkungsvoller als Latein), man kann unterhaltsam sein, die Gespräche auf hohem Niveau bereichern allein, weder beim Verstehen des Gemeinten, noch bei der Aussprache, noch bei dem Bemühen, orthographisch richtig zu schreiben, nützt sie einem, wenn man von der Silbentrennung der Fremdwörter als Spezialbereich einmal absieht. Der Sprachgebrauch ist nämlich unabhängig. Er schafft sich seine eigenen Bedeutungen, Aussprachen und Schreibweisen, er kümmert sich nicht um die ursprünglichen Wörter. Noch einmal seien die alten Beispiele hervorgezerrt: der Auditor hört nicht zu, während er die Zahlen der Buchhalter prüft. Ein Moderator mäßigt nichts und niemanden, sondern quasselt am Fernsehen ununterbrochen, oder er zensiert und diktiert ein Forum, je nachdem, wo er tätig ist. Omnibus war 'für alle' da. Es war nie ein Fahrzeug, hat es nicht einmal bis zum Substantiv gebracht ... und so weiter. Wenn also in Bayern ein Bauernbursche ‘fensterln geht’, dann weiß man nur dann, was er tut, wenn man eine Leiter an der Wand und eine junge Frau im zweiten Stock vor Augen hat. Selbst wer scharf schließt, ‘fensterln’ komme von ‘Fenster’ und darum auch von ‘Fenestra’ (ohne Gewähr: Hermann Paul, 1966) kann sich unter ‘fensterln’ nichts vorstellen, egal, wieviel Energie er in die Deutung des ursprünglichen lateinischen Wortes investiert. Da ist es wie bei der Farbe rot: Man muß sie einmal gesehen haben, um zu verstehen, wie ein Feuerlöscher aussieht. Keine Spektralanalyse hilft dem Farbenblinden.
Aber was heißt hier ursprünglich? Alle Wörter aller Sprachen, auch die griechischen und die lateinischen, standen nicht eines Tages als fertige Brocken zur Verfügung, die zwei- oder dreitausend Jahre später von den Linguisten nur noch entziffert zu werden brauchten. Soweit ich weiß, ist unbekannt, wie und wann die ersten Wörter entstanden und auf welche Weise sie sich bis zu dem Punkt entwickelten, den man heute z.B. ‘Altgriechisch’ nennt. Alle diese Wörter müssen, wie ihre Nachfahren heute, in ständiger Entwicklung gewesen sein, so darf man deduktiv annehmen. Was die Linguisten von heute für das historisch Gelbe vom Ei halten, ist eine Momentaufnahme in der Jahrtausende dauernden Entwicklungsstrecke der Wörter, mehr nicht. Der Werdegang des Wortes, bis es ‘Fenestra’ wurde, ist unbekannt. Ich weiß es nicht, aber ich behaupte einfach: es wurde einige zehntausend Jahre davor von Eindringlingen aus dem Kurdistan, die mit geschnitzten Einbäumen die Adria durchrudert hatten, nach Rom importiert, wurde zeitweise ‘Käwar’întschli’ ausgesprochen und hat damals sowohl ‘Hirschkäferkadaver’ als auch ‘Baumrindenastloch’ bedeutet. Weil unsere Lateiner das genausowenig wie ich bestätigen können, aber ihr Nicht-Wissen-Können verschweigen, weil ihnen sonst keiner mehr zuhört, erklärte man ‘Fenestra’ zur Stunde Null des Wortes, mit dem ein Loch in der Wand bezeichnet wird, und den, der das nachplappert, für gebildet.
Teil III folgt auch noch
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