Erziehung in der Zielgeraden
Deutschlandfunk, 27.3.2006, 14:17:
Klangdatei 2MB, 4:43 Minuten
>>Eltern haben häufig keine Vorstellung, daß ihre Kinder mit Händis weit mehr anstellen können als nur zu telefonieren. Schon vor Wochen erregte sich die Öffentlichkeit über Gewaltdarstellungen und Pornographie, die sich Schüler unkontrolliert auf ihre Händis laden, und nun wird aus dem Allgäu bekannt, daß die Polizei an den Schulen über 200 Händis sichergestellt hat. Bislang ahnungslose Eltern und Lehrer reagierten bestürzt und machtlos – das Händi in Kinderhand als eine Spielzone im rechtsfreien Raum mit unbekannter Dunkelziffer. Klaus Wittmann berichtet:
„Was sich derzeit auf so manchem Schulhof abspielt, das bereitet Eltern und Lehrern gleichermaßen Sorgen. Immer häufiger melden Polizeidienststellen, es seien Gewaltvideos auf Schülerhändis entdeckt und mehrere Mobiltelefone beschlagnahmt worden. Der bislang drastischste Fall ereignete sich an der Hauptschule Immenstadt im Allgäu. Rektor Wolfgang Noll hatte sich nach einem Gespräch mit einer Mutter an die Polizei gewandt. 208 Händis wurden vorübergehend beschlagnahmt, auf 17 davon wurden die Brutalvideos entdeckt. [Der Schulleiter:]
‚Eine Mutter hat mich angerufen und mir erzählt, daß Gewaltvideos auf den neuen Händis sind und daß ihr Sohn, also die Kinder, dies anschauen müssen in der Pause. Ich hab ihr versprochen, daß ich etwas unternehmen werde. Der Polizist, der das gesehen hat, war sehr schockiert und hat mir nur andeutungsweise gesagt, was da für Dinge drauf sind: Tötungsszenen, kleine Kinder werden weggekickt, und natürlich Pornographie und Sodomie. Ich wußte nicht, daß sowas auf den neuen Händis drauf sein kann, ich will einfach damit Schüler schützen, dies anschauen zu müssen, es gibt ja viele, die das nicht wollen, vielleicht haben’s manche nur drauf gehabt, weil sie’s übertragen bekommen haben.‘
Die zuständige Polizeidirektion in Kempten hat umgehend reagiert und nach zahlreichen Eltern- und Lehreranrufen eine ganze Liste von Tips zur Vorbeugung veröffentlicht. Diese Tips will die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien jetzt auf ihrer Netzseite veröffentlichen. Auch hier ist bekannt, daß das Problem immer größere Ausmaße annimmt. Wichtig ist, das sagt Chrstian Ossinsky von der Polizei in Kempten, daß Eltern sich mit den Händis ihrer Kinder beschäftigen, und er weiß auch noch etwas, das in den Schülerohren wenig erfreulich klingen dürfte:
‚Was wahrscheinlich besonders abschreckend sein dürfte, ist der Hinweis an die Schüler: Das Gerät bekommt man auch nach Abschluß eines Strafverfahrens nicht mehr zurück.‘
Für die Schüler selbst sind die Szenen mit abgetrennten Köpfen, mit denen Fußball gespielt wird, und Brutalpornos längst Alltag. Eine kleine Umfrage an einer Münchener Schule macht dies deutlich:
‚Da werden so Leute abgestochen oder so‘
‚Das hat fast jeder‘
‚Also, das ist auf fast jedem Händi, da haben die bestimmt welche Pornos drauf, und gewalttätige Videos.‘
Günter Bartel, der Rektor dieser Schule, gibt offen zu, daß man vom Ausmaß der Gewaltvideos auf Schülerhändis völlig überrascht wurde.
‚Das weiß praktisch jeder Schüler bei uns, wo solche Videos auf Händis zu sehen sind, wer welche hat.‘ [Dieser Rektor ist also nicht so überrascht.]
Kultusminister Siegfried Schneider dazu:
‚Wir sind ja bisher in der Situation, daß Händis nicht verboten sind in der Schule, lediglich im Unterricht müssen sie ausgeschaltet sein. Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob das ausreichend ist oder ob wir nicht auch uns der Frage stellen müssen, daß wir auch noch stärkere Maßnahmen hinsichtlich Verbot von Händis in der Schule ergreifen müssen.‘
Dagegen aber haben sowohl SPD, Grüne als auch F.D.P. und auch Lehrervertreter und Schülervertretungen Widerstand angekündigt, denn, so ihre Argumentation, das Problem werde nur vom Schulhof wegverlagert. Der Immenstädter Elternbeirat Rainer Schwab hat eine ganz andere Idee: Er und seine Frau berichten, wie sie auf die Gewaltvideos reagiert haben und was Eltern wirklich helfen könnte.
‚Ich bin natürlich auch aus allen Wolken gefallen, zunächst einmal, ich hätte das also nicht gedacht, daß das in Immenstedt passiert, aber man muß wohl jetzt mit solchen Dingen dann eben auch rechnen und damit umgehen, irgendwo, letzendlich.‘
[Frau Schwab:] ‚Also, unsere Tochter ist sofort nach Hause gekommen und hat uns das erzählt, was da abgelaufen ist.‘
[Herr Schwab:] ‚Also, ich merk das ja schon bei meiner Tochter – die ist jetzt zehn! –, in der Klasse haben schon sehr viele Händis, und irgendwann kommt’s dann so weit, daß man halt doch diesem Druck nachgibt, und wenn dann halt eben die Möglichkeit bestünde, zumindest ein Produkt zu kaufen, das halt wirklich sicher ist in dieser Hinsicht, dann wäre das glaube ich schon eine Hilfe für die Eltern.‘
Das Einbeziehen der Eltern kommt überall zur Sprache. Bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, bei der Polizei, im Sozialministerium. Die bayerische Sozialministerin Christa Stewens sagt dazu:
‚Also, ich halte die Entwicklung gerade für Jugendliche für ausgesprochen schwierig, und sie gefährdet unsere Jugendlichen, und vor diesem Hintergrund muß man den Eltern als erstes mal sagen: Paßt auf, und schaut euch mal an, was eure Kinder auf den Händis so draufgeladen haben. Also, man kann ja seinen Kindern Händis kaufen, bei denen man dann nicht die Filme herunterladen kann. Ich weiß zwar, daß das weniger Spaß macht, aber das wäre schon mal die erste Vorsichtsmaßnahme.‘
Die Schulen ihrerseits wollen in Elternabenden umfassend über das Problem informieren; ein Problem, das inzwischen bereits einige Staatsanwaltschaften beschäftigt.“<<
Zum Thema passend wie die Faust aufs Auge brachte der Deutschlandfunk wenige Minuten später, um 14:28, – nein, nicht irgendwie zur Abschreckung oder so, sondern zur ganz normalen dichterischen Erbauung der Hörerschaft – dieses bemerkenswerte „Gedicht“ (Ton, 423 kB):
Gottfried Benn
Schöne Jugend
Der Mund eines Mädchens,
das lange im Schilfe gelegen hatte,
sah soo angeknabbert aus –
Als man die Brust aufbrach,
war die Speiseröhre soo löcherig –
schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell,
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot,
die anderen lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und
hatten hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten.
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Detlef Lindenthal
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