Eisenberg Vortrag v. 22. Januar 2007
Am 22. Januar 2007 hielt Peter Eisenberg, emeritierter Professor für Philologie und deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam, im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald einen Vortrag mit dem Titel:
Das Ende des Rechtschreibkrieges?
Deutsche Orthographie 2007
Dieser Vortrag wurde mitgeschnitten und vom NDR Kultur am 25. Februar gesendet. Als Mitglied der aufgelösten Rechtschreibkommission und des Rates für deutsche Rechtschreibung ist Eisenberg ein wichtiger (Zeit-)Zeuge zu den Vorgängen um die „Reform“. Daher habe ich mich entschlossen, den Vortrag nach Aufzeichnungen von Hörern und nach Überprüfung anhand einer CD des NDR-Mitschnittdienstes hier zu veröffentlichen.
Prof. Peter Eisenberg:
1996 hatten wir die sogenannten „Wiener Beschlüsse“, die dazu geführt haben, daß dann etwas später tatsächlich an den Schulen und in den Wörterbüchern die neue Rechtschreibung eingeführt worden ist. 1997 wurde die Kommission eingerichtet, die die Wiener Beschlüsse vorgesehen haben, die Kommission für deutsche Rechtschreibung, international besetzt. Sie hat ein Jahr heftig gearbeitet – ich war auch ihr Mitglied – und hat am Ende einen ersten Bericht abgegeben, in dem – jetzt werden Sie sich vielleicht wundern, aber es war so – der Rückbau der Neuregelung gefordert wurde. Es stand ungefähr das in dem Bericht, was 2006 am 1. August in Kraft getreten ist. Das war 1998. Wir haben es einer wirklich einmaligen Menge von politischen Intrigen zu verdanken, daß wir den Schritt zurück nicht schon 1998 tun konnten, sondern erst 2006 – das darf man nicht vergessen. 1998 – das Bundesverfassungsgericht hat in einem juristisch hoch anfechtbaren Urteil festgestellt, daß die Neuregler wesentlich weiter hätten gehen können, nämlich so weit, daß man sich zwischen Schleswig-Holstein und Bayern gerade noch verständigen konnte im Geschriebenen.
Dann kam im Jahr 2003 der Vorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auf der Leipziger Buchmesse. Da lag dann ein Büchlein auf dem Tisch, in dem man nachlesen konnte, und auch begründet, was an Rückbau unbedingt sein müsse. Die Kultusminister … den Kultusministern wurde es immer unheimlicher mit der Sache, weil man ja annimmt, daß die Deutschen in ihrer Obrigkeitshörigkeit nun irgendwann mal das tun würden, was von ihnen verlangt wurde in dieser Hinsicht, und niemand konnte sich erklären, daß die Leute einfach nicht das taten, was sie tun sollten.
Im Jahr 2004 setzte die Kultusministerkonferenz, die das Ganze ja politisch zu vertreten hatte in der Bundesrepublik Deutschland, Gespräche zwischen der Akademie und der Kommission durch, und die sollten sich darauf verständigen, wieweit die Neuregelung rückgebaut werden sollte. Diese Gespräche sind gescheitert. Ich erzähl’ Ihnen das jetzt nicht im einzelnen, das ist hochinteressant, da ging’s mit Türenknallen und Schreiereien und allem möglichen zu. Die Kommission hat sich derart destruktiv verhalten, daß die Kultusministerkonferenz sie nach Abschluß dieser Gespräche einfach rausgeworfen hat.
Danach erschien wieder ein Duden, der den Rückbau weiter forcierte, und wir hatten keine Kommission mehr, wir hatten kein Gremium mehr, das überhaupt dafür verantwortlich war, wie sich die deutsche Orthographie entwickeln sollte. Das war die Geburtsstunde des Rates für Rechtschreibung, und wir haben die Bereiche bearbeiten können, die wir bearbeiten durften. Das ist auch etwas, was man heute, wenn man die Lage halbwegs realistisch einschätzen möchte, immer im Gedächnis behalten soll:
Es hat im Jahr 2004 in einem öffentlichen Wutausbruch des niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff eine Aufzählung der sogenannten umstrittenen Bereiche der Neuregelung gegeben. Dazu gehört natürlich Getrennt- und Zusammenschreibung, dazu gehörte die Silbentrennung, dazu gehörte das Komma und dann hat er noch was von Fremdwörtern gesagt, aber dazu gehört nicht die Groß- und Kleinschreibung, und das bedeutete nun für einige, daß der Rat für Rechtschreibung sich mit der Groß- und Kleinschreibung nicht zu beschäftigen habe. Ja. Also, es war reiner Zufall, was Herrn Wulff in seiner Erregung bei dieser Gelegenheit gerade eingefallen war: Dies wurde zum Gegenstand der Ratsarbeit gemacht.
Ich könnte Ihnen jetzt von diesem Kaliber wirklich stundenlang interessante Dinge erzählen, ich lass’ es mal dabei bewenden. Sie mögen dem entnehmen – ich weiß ja auch nicht, wieviel Befürworter der Neuregelung von 96 hier im Saal sind, [Heiterkeit] man setzt sich da immer großen Gefahren aus, wenn man da zu deutlich wird, aber [Heiterkeit] Sie mögen ermessen, daß es sehr schwer war, zehn Jahre nach Inkraftsetzen der Neuregelung und zehn Jahre nach Mauern der Politik ’ne sachliche Arbeit hinzukriegen im Rat und daß es gelungen ist, ist eigentlich ein kleines Wunder, weil ja die Ratsarbeit von beiden Seiten sozusagen eingeklemmt wurde. Wir haben immer zwischen Skylla und Charybdis hin- und herregeln müssen.
Auf der einen Seite waren die Vertreter der reinen Lehre, die gesagt haben, wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben. Wir wollen, daß alles so wird, wie vor 96. Das war doch alles gut. Es stimmt ja auch [Heiterkeit] – in der Beziehung. Ich war ja auch dagegen, daß überhaupt neu geregelt wurde. Aber wenn zehn Jahre ins Land gegangen sind, dann – das lehrt uns doch, das – was wir über den historischen Materialismus irgendwann mal verstanden haben – lehrt uns, daß wir den Status quo ante nie wieder erreichen können. Na, das war dann klar. Die Kompromißler haben immer eine sehr schwere Position, weil sie von beiden Seiten – den Vertretern der reinen Lehre – zu tun haben. Die Neuregler waren überhaupt nicht zimperlich und die Vertreter der alten Orthographie auch nicht.
Insgesamt kommt es mir darauf an, ganz deutlich zu sagen, daß die ganze Bewegung von 1996 bis 2006 kein Hin und Her war. Es war eine Bewegung in immer derselben Richtung. Es war eine Bewegung, die langsam, Schritt für Schritt, die Neuregelung rückgebaut hat – also kein Chaos, immer Bewegung in die gleiche Richtung – und heute stehen wir dicht vor der alten Orthographie. Etwas müssen wir noch tun. Das ß kriegen wir nicht mehr, das ist klar. Das ist weg. Obwohl das auch nicht nötig war und auch möglicherweise ein Schade für die deutsche Sprache ist. Die Akademie jedenfalls hat gesagt, damit können wir eher leben, als mit dem, was wir jetzt tatsächlich rückbauen konnten.
Ich lese morgens zwei Zeitungen, die Berliner Zeitung und die Süddeutsche, und hab hier mal ein paar Tage lang – nur ein paar Tage lang – das rausgeschrieben, was getrennt geschrieben wird seit der Neuregelung und was nicht getrennt geschrieben werden darf. Das ist auch nicht durch die Neuregelung gedeckt, sondern das ist die Folge des allgemeinen Satzes „Schreibe im Zweifel getrennt“, also zum Beispiel sowas wie „Kokain belastet“. Da haben Sie zwei Wörter – was soll das sein? Ich sage immer, das hat keine grammatische Beschreibung. Und das verstehen die Leute nicht, was das bedeutet, das heißt, die Wörter stehen in keinem im Deutschen vorhandenen syntaktischen Zusammenhang. Das ist ein grammatisch falscher Ausdruck. Das hört man nicht – in dem Fall, ja – aber man sieht es. Oder dann haben Sie bei nächster Gelegenheit „weg gelobt“. Was soll das sein, „weg … gelobt“? „herum … telefoniert“; „Schlamm … bedeckt“, ne? Es wird immer schöner: „fest … gesetzt“; „daher … plauderte“ [Heiterkeit] „zurück zu … kehren“ [noch mehr Heiterkeit], „fertig … gestellt“; „fertig gestellt“ – das war eine der schlimmsten Diskussionen im Rechtschreibrat – in der alten Regelung, also von 96, stand ja drin, Adjektive auf „ig“ und „isch“ und so weiter, werden immer getrennt, oder Wörter auf „ig“ werden immer getrennt geschrieben – also so eine mechanische Regel, nicht. Wenn man jemand „fertig macht“, ja, oder wenn man etwas „übrigläßt“, durfte nicht zusammengeschrieben werden, und hier haben Sie dann die Folge davon: „fertig stellen“; „fertigstellen“ ist ein wunderbares Wort, oder? – gibt’s nicht mehr! „Blut befleckt“, ja? Und so weiter und so weiter.
Ich war jetzt länger weg, und ich hab den Eindruck, also, für zwei Monate war ich weg, ich hab den Eindruck, daß sich in der normalen Zeitung langsam etwas bewegt, daß sie langsam von der Übergeneralisierung bei den Getrenntschreibungen, langsam aber sicher runterkommen und wieder mehr zusammenschreiben, und das ist das, was der Rat erreichen wollte. Ich könnte Ihnen das jetzt durch die ganze Grammatik der Getrennt- und Zusammenschreibung erläutern. Ich persönlich bin davon überzeugt, daß wir hier, wenn wir es schaffen, diese Schreibung wieder abzuschaffen, tatsächlich objektiv dem Deutschen etwas Gutes tun, und dazu sind wir ja auch als Germanisten verpflichtet.
Ich möchte aber nochmal betonen: Wir können heute den Schreibgebrauch, was die Getrennt- und Zusammenschreibung betrifft, nicht mehr erheben. Wir können es vielleicht in fünf Jahren wieder. Wenn wir da wissen wollen, wie der Schreibgebrauch aussieht, dann gehen wir auf Texte vor 1996 zurück. Ja? Anders geht es nicht. Sie kriegen das reine Chaos, wenn Sie heute mit diesen Beispielen, die ich Ihnen vorhin gezeigt hab in großer Zahl – also auf bestimmten Gebieten können Sie sich im gegenwärtigen Deutschen nicht mehr auf den Schreibgebrauch verlassen sozusagen. Das war ja auch einer der Gründe dafür, daß wir gesagt haben, jetzt müssen wir aber was machen, sonst kommt das alles durcheinander. Vielleicht können wir’s in fünf Jahren wieder. Aber da ist richtig ein Zerstörungsprozeß in Gang gesetzt worden.
Ob Sie verpflichtet sind, die amtliche Orthographie zu verwenden, das kann ich so ohne weiteres nicht sagen, weil ich nicht weiß, wo Sie arbeiten [Heiterkeit]. Im Dienstverkehr zum Beispiel an der Universität sind wir verpflichtet, die neue Regelung der Orthographie zu praktizieren. Wir haben einen wunderbaren Erlaß gehabt im Lande Brandenburg dazu. Und nachdem der Erlaß da war, haben wir das – mein Lehrstuhl – das Kultusministerium umgeschult auf neue Orthographie und festgestellt, daß sie überhaupt nicht wußten, was sie da beschlossen hatten, gar nicht [Heiterkeit]. Das war sozusagen die Behörde, die am schwersten umzuschulen war von allen [Heiterkeit]. Und wir haben uns als Hochschullehrer selbstverständlich nicht daran gehalten. Aber wir hatten zum Beispiel in der Lehrerausbildung, doch, einen Solidaritätskonflikt, weil unsere Lehrer die neue Regelung natürlich beherrschen müssen. Da führt kein Weg dran vorbei, ja? Also, im Verkehr zwischen den Behörden hat der Staat die Regelungsgewalt.
Ich persönlich schreibe nach der alten Orthographie, das ist klar [Heiterkeit] . Aber das entpflichtet mich nicht von der Aufgabe, als Germanist dafür zu sorgen, daß die neue Orthographie nicht [?] intakt bleibt. Da wird man ja auch stammtischartig immer angegriffen „ja, du machst es ja selbst nicht“ und all dieser Quatsch. Oder Elfriede Jelinek, ja: „Wir machen keine zweitbesten Lösungen. Wir Schriftsteller sind Perfektionisten.“ Aber die Deutsche Akademie arbeitet nicht für die Mitglieder, die Schriftsteller sind, sondern sie arbeitet natürlich für die deutsche Sprachgemeinschaft. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Wir bestehen ja glücklicherweise oder leider nicht aus Elfriede Jelinek [Heiterkeit].
Die deutsche Teilung war ausschlaggebend dafür, daß die ganze Sache in Gang gekommen ist. Die Sache ist so gewesen:
Als Willy Brandt seine neue Ostpolitik gemacht hat und seine neue innerdeutsche Politik gemacht hat, da hieß die Parole der Sozialdemokratischen Partei: „Wandel durch Annäherung“. Und jetzt haben sie mal geguckt, wo können wir uns annähern, damit sich die DDR wandelt. Dann hat Egon Bahr eines schönen Tages zu Michael Kohl gesagt (Anfang der Siebziger) „wie wär’s denn, wenn wir ’ne Orthographiereform machen. Das kostet nicht viel [Heiterkeit], – ’s sieht jeder, daß wir was machen“. Und da hat die DDR gesagt „ja klar, da machen wir mit“ und dann haben sie die Rostock-Berliner Gruppe eingesetzt, die Nerius-Scharnhorst-Gruppe hier in der DDR, und dann haben die angefangen, die Sache aufzurollen.
Und es war so – ich sag Ihnen das jetzt mal, ohne Hörner und Zähne, als Wessi, der lange in Ossiland gelebt hat – in der DDR war es völlig undenkbar, immer undenkbar, daß eine Neuregelung der Orthographie hätte Platz greifen können. Es war völlig undenkbar. Es war eine rein politische Angelegenheit. Das in den Einzelheiten zu erzählen, ist auch wieder sehr interessant. Und dann haben wir gesagt, naja 1990, die Deutschen haben jetzt andere Sorgen, die werden das wohl vergessen. War aber nicht so. Die Deutschen hatten andere Sorgen, deswegen haben sie nicht hingeguckt, daß da noch was passierte, ja. Der Blick war auf alle möglichen Dinge, von der Einführung der D-Mark bis zu sonstwo fixiert, und sie haben gar nicht mitgekriegt, daß die Sache immer weiterging. Und 1996 war auf einmal da. Das war eine im einzelnen politisch vollkommen abgehobene Geschichte, und das kann man für Österreich und für die Schweiz auch sagen, wenn auch mit anderen Motivationen. So ist das gekommen. – Innerlich gab es überhaupt keinen Grund, die deutsche Orthographie zu reformieren – auch nicht übrigens die Großschreibung der Substantive abzuschaffen, das ist ne ganz gute Sache. [Heiterkeit, Beifall].
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