Handschrift mangelhaft: Warum Lehrer jetzt Alarm schlagen
Thüringer Allgemeine, 10. April 2019 / 05:34 Uhr
Etwa jeder zweite Thüringer Schüler bekommt nach 30 Minuten Probleme mit Konzentration und Schriftbild.
10. April 2019 / 05:34 Uhr
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Nicht jede Schrift kann man so gut lesen. Foto: Patrick Pleul
Erfurt. Wenigstens eine Unterrichtsstunde dauert das Schreiben eines Aufsatzes. Doch schon nach 30 Minuten wird es für etwa jeden zweiten Thüringer Schüler eng: Die Konzentration lässt nach, die Hand beginnt zu schmerzen, aus Buchstaben werden unleserliche Krakel. Im Bundesschnitt können gar nur zwei von fünf Schülern länger als eine halbe Stunde beschwerdefrei schreiben.
Das geht aus einer Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) hervor. Die Erhebung, an der sich deutschlandweit mehr als 2000 Lehrer beteiligt haben, darunter mehr als 400 aus Thüringen , sollte Aufschluss über die Entwicklung der Schreibfertigkeit von Schülern geben. Der Befund ist ernüchternd: 85 Prozent der an der Umfrage beteiligten Thüringer Lehrer beobachten eine Verschlechterung der Schüler-Handschrift in den vergangenen Jahren. Mit dem Wert liegen sie im Bundesdurchschnitt. 93 Prozent der Schüler haben eine unleserliche Handschrift, fast genauso viele schreiben zu langsam. Große Schwierigkeiten bereiten auch korrekte Abstände zwischen Buchstaben und Wörtern, selbst die richtige Haltung des Stiftes wird zur Herausforderung. Jungen haben häufiger solche Probleme als Mädchen.
Konsequenz aus Tablet, Smartphone und Co
Aus Sicht der Lehrer ist das eine Konsequenz aus Tablet, Smartphone und Co., mit denen die junge Generation heute aufwächst. Aber nicht nur. Schuld sind laut pädagogischer Prognose auch Konzentrationsprobleme der Schüler und zu wenig Übungszeit für das Schreiben im Lehrplan.
„Kinder werden mit sehr unterschiedlicher Feinmotorik und Konzentrationsfähigkeit eingeschult“, beschreibt Grundschulleiterin Steffi Müller aus dem Vorstand des Thüringer Lehrerverbands (TLV) eines der Probleme. Die Zahl der Kinder, die ergotherapeutisch betreut werden, habe zugenommen, bestätigt Fred Hamann , der in Gera eine Grundschule leitet. Eigentlich müsste man jedes einzelne Kind individuell fördern, aber dafür fehle den Lehrern die Zeit, so die Pädagogen. Mit Blick darauf müsse man auch den Lehrplan hinterfragen, findet TLV-Chef Rolf Busch , denn Handschrift sei mehr als eine Kulturtechnik. Die Forschung belege, dass beim Schreiben weitere wichtige Fähigkeiten wie Lesen und Rechtschreibung entwickelt werden. Deshalb gehöre sorgsames Erlernen der Handschrift auch angesichts des zunehmenden und notwendigen Einzugs von Tablet und Whiteboard in den Schulalltag zu den wichtigsten Bildungsgrundlagen, stellt Rolf Busch klar.
Ein Gegensatz muss das nicht sein. Immerhin finden 34 Prozent der befragten Thüringer Lehrer, dass sich Handschrift gut in digitale Medien integrieren lässt. Das ist mehr Zustimmung als in jedem anderen Bundesland. Die Bildungsexpertin der CDU-Landtagsfraktion, Marion Rosin , fordert als Konsequenz aus der Umfrage die Rückkehr zur Schreibschrift in den Lehrplan. Dort ist bis zum Ende der Schuleingangsphase das Erlernen der Druckschrift als Erstschrift festgelegt. Die Umfrage zeige, dass dies der falsche Weg ist, die Schreibschrift gehöre als Erstschrift in den Lehrplan.
Eine Stunde Training pro Woche genügt
Um die Handschrift zu verbessern, empfehlen Pädagogen mehr feinmotorische Aktivitäten in der Freizeit, wie Handarbeiten oder Malen.
Marianela Diaz Meyer vom Schreibmotorik-Institut Heroldsberg verweist darauf, dass bereits eine Stunde schreibmotorisches Training pro Woche ausreicht, damit Kinder spürbar schneller und sicherer schreiben lernen.
Beim Handschreiben sind ein Dutzend verschiedener Hirnareale aktiv. Dabei werde eine motorische Gedächtnisspur im Gehirn gelegt, die Lesen und Rechtschreibung nachhaltig unterstütze. Beim Tippen auf der Tastatur gebe es solche Effekte nicht.
Elena Rauch / 10.04.19
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Norbert Lindenthal
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