Leserbriefe
Die neue Unrechtschreibung
Ihre Berichterstattung und Kommentare zur Katastrophe der verordneten Unrechtschreibung sind dankenswert, im Inhalt und den darin aufgezeigten Konsequenzen für unsere Sprache aber zutiefst deprimierend. Mehr Argumente gegen diese Barbarei können gar nicht mehr aufgeführt werden. Es besteht wohl eine Front von Vertretern von Wirtschaftsinteressen und einem lächerlichen Zeitgeist, gegen die nichts mehr auszurichten zu sein scheint. In dieser Front scheinen alle politischen Parteien vereint. Ist es vorstellbar, daß in einem anderen Kulturkreis als dem deutschen so mit Sprache umgegangen wird? Den Schülern sei die deutsche Rechtschreibung zu kompliziert, heißt es, aber keiner scheut sich, sie möglichst früh mit dem Schwachsinn der englischen Orthographie zu konfrontieren. Es ist nicht bekannt, daß die Franzosen das H am Anfang eines Wortes wegzulassen gedenken, nur weil es nicht ausgesprochen wird. Da wohl alle Argumente vergeblich sind, wie wäre es, wenn wir zu einer Art Kulturkampf aufriefen, eine Einheitsfront von Verlagen, Verbänden und Einzelpersonen bildeten, die zum Boykott von falsch geschriebenem Deutsch aufrufen? Die F.A.Z. hat schon eine Vorreiterrolle, bauen Sie diese aus, machen Sie eine Kampagne daraus, daß die Stimmung vollends kippt. Starten Sie Unterschriftenaktionen, helfen Sie ein Netzwerk bilden. Es sollten sich genügend bereit finden, diesem Spuk ein Ende zu bereiten.
Dr. Wolfgang Alexander Simon, Konstanz
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.06.2004, Nr. 136 / Seite 12
Bezeichnendes Armutszeugnis
Heike Schmoll hat nur allzu recht, wenn sie zum jüngsten „Rechtschreibbeschluß“ der Kultusministerkonferenz (KMK) von einer Bankrotterklärung schreibt, die der vierte Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission in bezug auf die Getrennt- und Zusammenschreibung enthalte („Chance oder Spiel auf Zeit?“, F.A.Z. vom 7. Juni). Wissenschaftler und Sprachpfleger von Graden gaben sich in der Kommission regelmäßig ein Stelldichein, um den tumben Möchtegernschreibern von Schuluntertanen zu zeigen, wo‘s orthographisch langgehen solle. Und da lesen dieselben folgenden Satz: „Getrennt- und Zusammenschreibung kann auf Grund seiner Komplexität, Kompliziertheit und Offenheit nicht Gegenstand eines eng normierenden schulischen Rechtschreibunterrichts beziehungsweise schulischer Fehlerkorrektur sein.“ Amen. Basta. Nun, zum einen heißt dies per Umkehrschluß, daß alle möglichen sonstigen Bereiche sehr wohl „Gegenstand eines eng normierenden schulischen Rechtschreibunterrichts“ seien was bekanntlich nicht nur das Fähnlein der aufrechten „Reform“-Gegner in den Rängen von Wissenschaft, Lehrerschaft und Verlagen, sondern laut Umfragen rund vier Fünftel der Deutschsprechenden so sattsam verdrießt.
Zum anderen aber stellen sich die hohen Kommissare im Verein mit den KMK-Herrschaften, denen sie zuzuarbeiten hatten, ein gar bezeichnendes Armutszeugnis im Leistungsfach „Deutsch als Fremdsprache“ aus. Wieso? Ach, bloß eine Kleinigkeit: „Getrennt- und Zusammenschreibung“ ist, Fachmann hin, Laie her, ein weibliches (Doppel-)Nomen. Das entsprechende besitzanzeigende, bei richtigem Gebrauch durchaus Sprachbesitz anzeigende Fürwort kann daher nur „ihre“ lauten, im Gefolge der hier verwendeten Präposition „auf Grund“ (aufgrund), die den Wesfall regiert, also „ihrer“.
Hermann Josef Barth, Ismaning
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.06.2004, Nr. 136 / Seite 12
Zeitgeistig
Zu „Die Kultusminister beharren auf der Rechtschreibreform“ (F.A.Z. vom 5. Juni): Der vor einigen Wochen von 50 Rechtswissenschaftlern ausgesprochene Appell zur Beendigung der Rechtschreibreform ist eine Chance, welche die Kultusminister leider wieder einmal nicht genutzt haben. Im Gegenteil: Die neue Schreibung, bei der jetzt noch einmal über 3000 Änderungen hinzukommen werden, soll ab nächstem Jahr sogar verbindlich sein. Zu den Charakteristika der Reform gehört bekanntlich, daß sie mit dem geheimen Hintergedanken zu nivellieren in entscheidenden Bereichen ein täppischer „Retro-Trip“ in die Orthographiegeschichte ist: Die s-Schreibung stammt aus dem 19. Jahrhundert, die Zusammen- und Getrenntschreibung beziehungsweise Groß- und Kleinschreibung erinnern stark an die Zeit des Rokoko. In Analogie zu dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ leben die Kultusminister anscheinend immer noch in der Illusion, die reformierte Schreibung sei moderner als die bewährte, unreformierte. Pädagogen müssen sich demnach also darauf einstellen, ab nächstem Jahr eine zeitgeisthuberische, aber nichtsdestoweniger altmodische und leserfeindliche Orthographie zu unterrichten.
Nach dem, was Heike Schmoll nun schreibt, werden sich im Ausgleich dafür zum Beispiel Deutschlehrer in Deutschland nach dem Plan der Kultusminister bald „Master of Education“ nennen dürfen. Was für einen Reim wird zum Beispiel ein der deutschsprachigen Kultur gegenüber aufgeschlossener Engländer oder Amerikaner sich wohl auf diese Pläne der Kultusminister und auf unsere Bildungspolitiker insgesamt machen?
Man kann und sollte den Gedanken, das Staatsexamen für das Lehramt umzutaufen, zum Zwecke des Erkenntnisgewinns aber durchaus noch etwas weiter fortführen: Lehrerinnen wird man logischerweise nicht „Master“ nennen können. Die weibliche Form von Master ist aber „Mistress“. Interessant ist, daß diese Form semantisch Bereiche umfaßt, die unter anderem mit Begriffen wie „Geliebte“, „Mätresse“ oder „Metze“ angedeutet werden können. Wie allen Unvoreingenommenen klar ist, wird die Bildungspolitik stark von zeitgeisthuberischen Ideologien bestimmt. Insofern ist das Wort „Education“ hier fast identisch mit „spirit of the times“ (Zeitgeist), woraus sich wiederum ergibt, daß man vom neuen Lehrertyp selbstredend nicht nur vom weiblichen offenbar erwartet, daß er sich pädagogisch so verhält, daß man ihn füglich „Mistress of the Spirit of the Times“ nennen könnte.
Ottony Markert, Koblenz
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.06.2004, Nr. 136 / Seite 12
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