Die Schulbuchverleger und die Rechtschreibreform
Geschichte einer Einmischung
(Neufassung 2.10.04)
Als sich vor elf Jahren eine Rechtschreibreform abzeichnete, äußerte der Verband der Schulbuchverlage (VdS) die Erwartung, der Staat werde für die Mehrkosten von einigen Milliarden Mark aufkommen. Die Kultusminister drückten die Neuregelung zwei Jahre vor ihrem offiziellen Inkrafttreten in die Schulen und gaben gleichzeitig bekannt, neue Bücher nur noch in der reformierten Schreibweise zulassen zu wollen. Wenige Wochen später, im Herbst 1996, verkündeten sie, ein Zurück könne es nicht mehr geben, weil die Schüler schon nach den neuen Regeln lernten. Von Mehrkosten wollten sie nichts wissen. Das hessische Kultusministerium teilte im September 1997 mit:
Alle Bestände der Bibliotheken blieben und bleiben erhalten. Geändert wurden die neu anzuschaffenden Schulbücher, besonders die deutschen Sprachbücher. Nicht mehr und nicht weniger ist Ziel; und das haben wir überprüft das ergibt Preissteigerungen von 3 bis 5 % zu Beginn des nächsten Schuljahres. (...) Das Land Hessen bzw. der einzelne zahlt für rechtschreibreformierte Schulbücher 3 bis 5 % mehr. Das entspricht den Preissteigerungen der letzten Jahre ohne Rechtschreibreform. (VI A 601/83 246)
Die Schulbuchverlage waren von Anfang an in die Terminplanung einbezogen:Der von der KMK beschlossene Zeitplan ist im Einvernehmen mit den Schulbuchverlagen erarbeitet worden, die ihrerseits auf eine positive Entscheidung gedrängt haben. (KMK-Präsident Rolf Wernstedt am 31.1.1996)
Nachdem die Reform nicht mehr abzuwenden war, setzten sich die Schulbuchverlage an die Spitze der Reformpropaganda wegen der Planungssicherheit, wie der langjährige Verbandsvorsitzende Fritz von Bernuth mitteilte. Der Inhalt der Reform und die Auswirkungen auf die deutsche Sprache interessieren die Verleger bis heute nicht, der VdS betonte vielmehr im September 2004, dass er sich nicht an einer Diskussion um Reforminhalte beteiligt was ihn freilich nicht hindert, die Vortrefflichkeit der Reform zu rühmen. Einen Zusammenhang zwischen der Fehlerhaftigkeit der Regeln und ihrem möglichen Scheitern vermag er nicht zu erkennen.
Im April 1996 verschenkte der Lehrmittelverlag AOL an alle 40.000 Schulen das Rowohlt-Buch Die neue deutsche Rechtschreibung. Als der Bundestag sich für die Rechtschreibreform zu interessieren begann, überreichte AOL allen Bundestagsabgeordneten das vom Reformer Hermann Zabel verfaßte Buch: Widerworte. 'Lieber Herr Grass, Ihre Aufregung ist unbegründet'. Antworten an Gegner und Kritiker der Rechtschreibreform. Der Grünen-Abgeordnete Helmut Lippelt stellte das Pamphlet am 1.10.1997 im Bonner Presseclub vor und machte sich auch im Bundestagsplenum zum Fürsprecher der Reform. Im gleichen Jahr riefen Vertreter der Schulbuchverlage sämtliche Bundestagsabgeordneten privat an und bearbeiteten sie gar nicht ungeschickt, wie einer der Betroffenen berichtete.
Schon damals erwies sich das hessische Kultusministerium als Hochburg der Reformer und Stütze der Schulbuchverleger. Ihr Verband diskutierte 1997 mit den Bonner Politikern unter dem Dach der Hessischen Landesvertretung. Im Bundesinnenministerium des Hessen Manfred Kanther stießen Reformer und Schulbuchverleger ohnehin auf umfassendes Wohlwollen, aus welchen Gründen auch immer. (Zahlreiche Beamte in den Kultusministerien sind als Schulbuchverfasser mit großen Verlagen privatgeschäftlich verbunden.)
In einer Kampagne Ja zur Rechtschreibreform Nein zu neuen Irritationen rühmte der VdS im Juni 1997 die linguistische und pädagogische Qualität der Neuregelung und rief zu Unterstützungsunterschriften auf, allerdings ohne viel Erfolg.
Im Herbst 1998 wehrte sich die Bevölkerung von Schleswig-Holstein gegen die staatlich verfügte Sprachveränderung. Um den Volksentscheid zu beeinflussen, kündigte v. Bernuth eine 400.000 DM teure Kampagne der Schulbuchverleger an, die sich die Unterstützung von 14 Eltern-, Lehrer- und Schülerorganisationen gesichert hatten. Das Ganze nannte sich Initiative für die Reform, für die Kinder. Aus den ergreifenden Anzeigen (Der beste Grund für die Rechtschreibreform ist sechs und heißt Jan, mit Foto vom sechsjährigen Jan) ging nicht hervor, wer sie finanzierte. Zwar stand darunter ordnungsgemäß: V. i. S. d. P. Initiative für die Reform, Andreas Baer. Zeppelinallee 33, 60325 Frankfurt. Aber der Betrachter erfuhr nicht, daß Baer der Geschäftsführer des VdS ist.
Einige Lehrerverbände machten sich in auffälliger Weise die Argumente und Interessen der Schulbuchverlage zu eigen; so verwies der Deutsche Philologenverband unter Heinz Durner darauf, dass eine Rücknahme der Reform zu milliardenschweren Schadensersatzforderungen von Seiten der Schulbuchverlage führen könne (dpa 7.8.2000), obwohl die Rechtsprechung längst klargestellt hatte, daß es zu solchen Befürchtungen keinen Anlaß gebe, da die orthographische Umstellung zum normalen unternehmerischen Risiko der Verlage gehöre.
Als die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur bewährten Rechtschreibung zurückkehrte, versuchte der VdS das Ereignis herunterzuspielen. Hinter den Kulissen entwickelte er eine außerordentliche Aktivität, über die der Vorsitzende im nächsten Jahresbericht des Vorsitzenden folgendes mitteilte:
Vorstand und Geschäftsführung hatten im Sommer des vergangenen Jahres ständig Aufklärungsarbeit gegenüber den Medien zu leisten und vor allem in dieser als sehr kritisch zu bewertenden Situation ständig auf die Länder einzuwirken, damit nicht Einzelne aus der einheitlichen Linie für die Reform aus populistischen Gründen ausscheren. Wir haben also nicht allein auf die Kultusminister, sondern auch auf alle Ministerpräsidenten der Länder massiv eingewirkt und diese in die Öffentlichkeit gezwungen mit klaren und unmißverständlichen Erklärungen zu einer Reformumsetzung. Parallel dazu haben wir unsere alte Verbändeallianz erneut mobilisiert, nämlich Lehrer- und Elternorganisationen, die sich auch prompt auf unsere Seite stellten, die durch die FAZ ausgelöste Diskussion als unnütz deklarierten, für eine Beibehaltung der Reform votierten und uns somit eine sehr wichtige politische wie mediale Schützenhilfe gaben.
Der neue öffentliche Streit hielt Gott sei Dank nicht allzu lange an. Die Politik lehnte mit ein paar dürren Pressestatements die Forderungen der Kritiker nach einer Rücknahme der Reform ab; was aber viel wichtiger war, war das Faktum, dass das Vorbild der FAZ keine Nachahmer fand und auch etliche andere große und überregionale Medien der FAZ nicht folgten, sondern sich im Gegenteil vom Vorstoß der Frankfurter distanzierten. Somit war diese Zeitung politisch weitgehend isoliert und nach sechs Wochen Aufregung war wieder Ruhe eingekehrt. Es war dann im Ergebnis so, wie es realiter gelaufen ist; ich möchte allerdings nicht wissen wie die Öffentlichkeit und unsere geneigten Kultusminister reagiert hätten, hätte sich die FAZ vorab mit Spiegel, Focus und der Süddeutschen und vielleicht noch den Agenturen auf eine gemeinsame Attacke verabredet.
Jetzt ist es so, dass der Alltag wieder eingekehrt ist. Unser Verband wurde Ende 2000 in den Beirat zur Zwischenstaatlichen Kommission berufen, Herr Banse vertritt dort unsere Interessen und wacht darüber, dass uns allen nichts Unangenehmes passiert. (Wolf Dieter Eggert: Jahresbericht 2001 in Wiesbaden)
Bei jeder Gelegenheit beschwor Geschäftsführer Baer die Endgültigkeit der Reform: Das ist bei uns kein Thema mehr, sagte Baer zum fünften Jahrestag des Inkrafttretens. (Tagesspiegel 28.7.2003)
Im vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission (Ende 2003) wurden erste unumgängliche Korrekturen vorgeschlagen, die der Beirat für deutsche Rechtschreibung und damit auch der VdS gebilligt hatte. Baer schrieb am 19.2.2004 einen besorgten Brief an die KMK-Präsidentin Doris Ahnen. Er wollte verhindern, daß auf Betreiben der Deutschen Akademie weitere kostenträchtige Änderungen am Regelwerk vorgenommen werden. Damit schien der Verband zunächst Erfolg zu haben. Die Kultusminister wurden jedoch durch eine unerwartet breite und heftige Diskussion über den wiederum gegen den Wunsch der Verfasser veröffenlichten vierten Bericht und über eine Beschlußvorlage aufgeschreckt, die eine weitgehende Ermächtigung der Kommission zu künftigen Sprachveränderungen vorsah. Der Bericht und die Beschlußvorlage konnten daher vorerst nicht angenommen werden.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung war in Wirklichkeit nicht der gefährliche Gegenspieler, den Baer in ihr vermutete. Eigentlich eher der Sprache und Literatur verpflichtet, zeigte sie in ihren wiederholten Kompromißangeboten eine merkwürdige Besorgnis, daß nicht noch einmal eine Kostenlawine auf die Schulbuchverlage niedergeht.
Am 25.5.2004 teilte die Stellvertreterin des KMK-Generalsekretärs telefonisch mit, daß es zwischen der Akademie und der Zwischenstaatlichen Kommission eine Annäherung gebe. Eine Rücknahme der Reform komme wegen der Folgen für die Schulbuchverlage nicht in Betracht. Die Neuregelung habe bei der Getrennt- und Zusammenschreibung größere Systemhaftigkeit erreicht. Der vierte Bericht wurde mit einigen Änderungen und Ergänzungen angenommen, die vor allem die Getrennt- und Zusammenschreibung betrafen. Das ganze Ausmaß der Eingriffe ließ sich allerdings erst nach Erscheinen des neuen Duden einigermaßen erkennen (vgl. F.A.Z. vom 28.8.2004).
Der bedeutende Schulbuchverleger Michael Klett, der damit eine frühere Meinungsäußerung (SPIEGEL 42/1996) widerrief, und der Lernmittelverlag Stolz (Düren) forderten öffentlich ein Ende der Reform; sie hielten die Kosten der Rückumstellung für kalkulierbar, brachen eine Lanze für die Sprachrichtigkeit und zogen sich damit den Unmut der Verbandsführung zu.
Im August 2004 kündigten große Zeitungsverlage (Axel Springer, Spiegel, Süddeutsche Zeitung) die Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung an. Im Widerspruch zu dieser erfreulichen Entwicklung, die sie ausdrücklich begrüßte, legte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Berlin ihren Kompromißvorschlag zum drittenmal vor mit der vagen, von Peter Eisenberg seit bald zehn Jahren wiederholten Begründung, die Situation [sei] vom Politischen und von der Sache her nunmehr so, daß es eine schlichte Rückkehr nicht mehr geben könne. Sie erklärte wiederum ihre Absicht, die auffälligste Neuerung (die ss-Schreibung) beizubehalten und so den Schulbuchverlagen Kosten zu ersparen. Mit dieser satzungsfremden Forderung verärgerte sie jedoch zahlreiche Mitglieder, die unter der Federführung des Lyrikers Wulf Kirsten gegen die Linie des Präsidiums protestierten. Inzwischen war auch bekannt geworden, daß Schriftsteller, die sich der Umstellung ihrer Texte widersetzten, nicht mehr in Schulbücher aufgenommen wurden.
Der jüngste Vorstoß einzelner Politiker und bedeutender Zeitungsverlage gegen die Sprachveränderung alarmierte die Schulbuchlobby und rief weitere Anstrengungen hervor. Politiker und Verbandsfunktionäre wurden aufs neue bearbeitet, phantastische Rücknahmekosten in die Diskussion geworfen. Am 16.7.2004 hatte Baer an alle Ministerpräsidenten einen alarmistischen Brief geschrieben, um sie gegen den Vorstoß von Ministerpräsident Christian Wulff (Niedersachsen) zu immunisieren. Darin heißt es u. a.:
Eine 'kostenneutrale' Umstellung auf die 'alte' Rechtschreibung, dass also Bücher in 'alter' und 'neuer' Rechtschreibung nebeneinander im Unterricht existieren können, ist heute genauso wenig möglich wie in den 90ger [sic] Jahren: So muss eine Umstellung der Lernmittel in den 'rechtschreibsensiblen' Fächern erfolgen, sonst würde wirklich ein 'Rechtschreibchaos' in den Schülern entstehen.
Ungefähr zur gleichen Zeit teilte jedoch der Vorsitzende des VdS, Gerd-Dietrich Schmidt, brieflich mit, daß bisher durch das Nebeneinander von alter und neuer Rechtschreibung kein Rechtschreibchaos an den Schulen entstanden und auch für die Zukunft nicht zu befürchten sei. So sahen es seit je auch die Kultusminister: Wegen der geringfügigen Unterschiede können Schulbücher in alter Rechtschreibung weiter verwendet werden. (Schnellbrief des Niedersächsischen Kultusministeriums an die Schulen vom 15.7.1998). Wider besseres Wissen hatte also der Verband in jenem Brief an die Ministerin Ahnen behauptet: Durch einen Beschluss der Rückkehr zur alten Rechtschreibung würden Lernmittel im Wert von ca. 1,4 Mrd. EUR pädagogisch wertlos bzw. stark entwertet. Tatsächlich hat der Verband auf Vorschläge, über einen günstigeren oder sogar kostenlosen Weg der Rückkehr nachzudenken, nie reagiert. Träfe seine Berechnung zu, wäre auch die Einführung der Reform bereits mit entsprechenden Kosten verbunden gewesen eine immerhin interessante Tatsache, weil es offizielle Berechnungen zu dieser Frage überhaupt nicht gibt. Mit 2,8 Mrd. DM allein für entwertete Lernmittel käme man leicht zu einem zweistelligen Betrag für die Gesamtkosten der Reform und damit in die Nähe der gewagtesten Schätzungen von damals.
Über den durchschlagenden Erfolg von Baers Bemühungen berichteten die VdS-Mitteilungen im September 2004 (nur zum internen Gebrauch):
Für eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung bzw. ein neues Überdenken der Reform sprachen sich seitens der Regierungsparteien auf Bundesebene nur zweitrangige Politiker aus, während die Bundesregierung per Machtwort von Bundeskanzler Schröder eine Rücknahme der Reform und auch jede weitere Diskussion darüber ablehnte. (...) Alles konzentriert sich jetzt auf die Zusammensetzung des von der KMK beschlossenen 'Rates für deutsche Rechtschreibung'. Der VdS hat sich bereits an die KMK gewandt und einen Sitz in diesem Gremium beantragt.
Dort will er sich, ungeachtet seines erklärten Desinteresses am Inhalt der Reform, um eine Versachlichung der Diskussion bemühen. Tatsächlich steht der Verband auf der Liste der Mitglieder, die für den Rat vorgeschlagen sind übrigens ausschließlich reformwillige oder kompromißbereite Institutionen. KMK-Präsidentin Ahnen ließ denn auch wissen, daß Kritik zwar möglich sei, jedoch nur auf der Grundlage der Neuregelung und unter Beibehaltung des endgültigen Terminplanes.
Weitere Erfolge erzielte der Verband bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, deren Sprecherin Marianne Demmer offenbar ohne Kenntnis der jüngst beschlossenen Änderungen die Kultusminister aufforderte, bei der Neuregelung zu bleiben. Sie übernahm Argumente und Zahlenmaterial fast wörtlich vom VdS, indem sie darauf verwies, dass in den Schulen Bücher im Wert von rund 1,4 Mrd. Euro liegen, die einem Rückkehrbeschluss zur alten Rechtschreibung zumindest stark entwertet, wenn nicht völlig wertlos würden. Auch der Philologenverband Baden-Württemberg fürchtet erhebliche Kosten bei den Schulbuchverlagen, falls die Reform zurückgenommen würde. Der VdS hat ferner schon die Landesschülervertretungen von Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen auf seine Seite ziehen können. In allen Fällen genügt es, die jeweiligen Spitzenfunktionäre zu bearbeiten, um die alte Verbändeallianz zusammenzuhalten und auszubauen.
Der Verband rühmt sich gegenüber den Mitgliedern seiner engen Kontakte mit den Kultusministerien und den Lehrer- und Elternverbänden. Er lobt die hessische Kultusministerin Karin Wolff, die als Meinungsführerin zum Thema Rechtschreibreform eine Aktion Ja zur Rechtschreibreform initiiert habe. Außerdem werden Antwortschreiben von Ministerpräsidenten zitiert, die dem VdS ihre Unterstützung zugesichert haben, besonders ausführlich Roland Koch (Hessen). Der Verband stellt mit bemerkenswerter Offenheit fest: Die große Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Reform zwar weiterhin ab, wenn es aber um die entscheidende Frage des 'Zurück' geht, neigen immer mehr Bürger im Interesse der Schüler dazu, die Diskussion jetzt zu beenden. Von der Qualität der Reform abgelenkt und die ganze Problematik auf die unterstellte Gewöhnung der Schüler und die aufgebauschte Kostenfrage eingeschränkt zu haben ist wohl der größte Erfolg der Schulbuchverleger.
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Th. Ickler
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