Kulturverfall ... Rechtschreibreform
Dilettanten: „Wollen anstelle des Könnens
Sie machen Politik, verkaufen faule Finanzprodukte und verschaukeln uns im TV. Weil wir es bewundern, es mit nichts zu etwas zu bringen. Sagt Autor Thomas Rietzschel…
„Je weniger wir Herr der Dinge sind, desto mehr haben wir gelernt, den Anschein zu erwecken“, schreibt der Kulturgeschichtler und Autor Thomas Rietzschel in „Die Stunde der Dilettanten“ – und jedem fallen wohl die verschiedensten Beispiele ein, …
Wir leben in einer Zeit, in der uns in den Medien, den Talkshows, den Nachrichten Experten für praktisch alles begegnen – und Sie schreiben ein Buch über die Stunde der Dilettanten. Wieso?
Das Expertentum, das uns vorgeführt wird, ist nicht immer ein Expertentum in der Sache. Wenn Sie in der Finanzkrise ein bisschen zurückdenken: Die Vorstände der gescheiterten Banken traten allesamt als große Finanzexperten auf.
Im Bankwesen kannten sie sich aber aus.
Nein, … Das, worauf sie sich verstanden haben, ist die große Kunst des Dilettanten: sich und der Welt etwas vorzumachen. Bildung wird durch die Einbildung, sie zu haben, ersetzt.
… Beispiel: Facebook. Marc Zuckerberg ist ein Experte von hohen Graden, er hat bald eine Milliarde Nutzer weltweit und damit eine enorme Macht. Was ihm fehlt, ist die kulturelle Kompetenz, mit dieser Macht umzugehen.
… Der Dilettant dagegen betreibt die Sache allein, um persönlichen Gewinn aus ihr zu ziehen. Er will sich in einer Rolle spiegeln. Das erleben wir in der Politik ganz ausgeprägt. Sie hatten in Österreich Jörg Haider, der Politiker gewesen ist, weil er sich als solcher gefiel. Wir haben in Deutschland unter anderem unseren Außenminister Guido Westerwelle, der in dem Moment, als er das Amt seiner Träume erreicht hatte, nichts mehr mit dem Amt anzufangen wusste…
… Man kann gar nicht unbegabt und unwissend genug sein, um es nicht zu etwas zu bringen.
Die Dilettanten in der Unterhaltungsbranche sind aber die harmlose Variante.
Die in der Politik sind gefährlicher, weil wir ausbaden müssen, was sie einfältig oder eitel anrichten. Und sie werden mehr, weil wir es ihnen so leicht machen. Dilettantismus ist immer die Erscheinung einer leistungsmüden Gesellschaft. …
Wieso ist Angela Merkel eine Dilettantin – die rettet doch gerade Europa?
Tut sie das? Nein, Angela Merkel verfolgt keine politischen Ziele. Seit sie Chefin der CDU ist, hat die Partei ihr Profil verloren, ist austauschbar. Alles, was sie tut, zielt auf den Machterhalt ab, darauf, Bundeskanzlerin zu bleiben. Da ist sie nicht gehemmt durch irgendwelche politischen Ziele. Deshalb kann sie heute für die Atomkraft sein und morgen dagegen, sie kann uns heute sagen, mit ihr wird es keinen Rettungsschirm geben, und morgen Milliarden dafür in den Sand setzen. Sie ist der dilettantische Tatmensch par excellence…
Aber ist es nicht schwierig, als Politiker an einer Weltanschauung festzuhalten, wenn die Konkurrenz des Populisten mit den einfachen Botschaften immer größer wird?
Ja. Das macht die Sache aber nicht besser. Wenn wir auf dieser Bahn weiter abwärtsdriften, verlieren wir die Grundlagen unserer Zivilisation. Im Ergebnis entsteht eine Gesellschaft skrupelloser Selbsthelfer.
Und wie kommt man da wieder raus?
Indem wir anfangen, uns wieder auf das zu besinnen, was unsere Gesellschaft konstituiert hat: auf tradierte Wertvorstellungen und auf die bildungsgetragene Vernunft vor allem. Ihr verdanken wir unseren Wohlstand…
Sie reden vom bildungspolitischen Kulturverfall und nennen die Rechtschreibreform als Beispiel.
Sie ist Beispiel dafür, wie Reformen von Dilettanten in Gang gesetzt werden, die von der Sache nichts verstehen. Die Rechtschreibreform hat sich nicht aus der Entwicklung der Sprache ergeben, sie ist ein soziales Projekt gewesen: Die Sprache wurde auf ein Maß reduziert, das der gerade verfügbaren Bildung noch halbwegs entspricht.
Aber die Kehrseite der Medaille, alles können zu sollen, ist doch in der Schule, dass man Schwächen nachbüffelt anstatt Talent und Stärken zu fördern und damit alles auf ein Durchschnittsniveau nivelliert wird?
Es wird nivelliert, und zwar zulasten der Schwachen. Wir fördern in der Breite, damit alle zumindest formal den gleichen Abschluss erreichen... Nein, Bildung muss in der Gesellschaft einen Wert darstellen, sie muss ihr etwas bedeuten. Mit der Bildung hat sich das Bürgertum einst sein eigenes Wertesystem geschaffen, ihr hat es im 19. Jahrhundert Paläste gebaut, Museen, Universitäten, Bibliotheken …
Haben Sie in diesem Kulturpessimismus eigentlich irgendwo auch einen optimistischen Ansatz oder Ausweg?
Kein Patentrezept. Ich glaube aber, dass wir wieder mehr „Moralisten“ brauchen, keine kleingeistigen Beckmesser, sondern die kritischen Geister, von denen Erich Kästner sagte, dass sie zwar auf dem „verlorenen Posten“ sitzen, aber dennoch nicht aufhören können, auf dem Recht der Vernunft zu beharren. Wir müssen uns die politischen Eliten so ja nicht gefallen lassen, wir sind nicht gezwungen, sie zu wählen. Und es gibt durchaus Hoffnungszeichen, wenn Sie etwa sehen, was an Bürgerbewegungen gerade jetzt entsteht. .... Die Bürger sind nicht dumm, sie werden nur allzu oft für dumm verkauft.
kurier.at 11.2.2012
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