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Sigmar Salzburg
11.02.2021 18.31
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Das Zürcher Westfernsehen läßt vieles besser erkennen

Die unter dem Kürzel bpb bekanntgewordene Bundeszentrale ist linksextrem und antideutsch unterwandert. Erst kürzlich fiel dies wieder einem Historiker auf. Jetzt konnte man in der „Neuen Zürcher Zeitung“ lesen:

Die Bundeszentrale für politische Bildung soll die Deutschen ausgewogen und unideologisch informieren – schön wär’s

Kaum eine Behörde hat einen so grossen politischen Einfluss auf die deutsche Bevölkerung. Einseitigkeit in der Wissensvermittlung steht ihr eigentlich nicht zu – und dennoch ist eine Schlagseite bisweilen unübersehbar...

Sucht man liberale und konservative Stimmen im Reich der Bundeszentrale, ist die Ausbeute zwar nicht in allen, aber doch in einigen Bereichen schlecht. Das liegt auch daran, dass unter dem grossen Schwerpunkt der Bundeszentrale – Rechtspopulismus und Rechtsextremismus – alles Mögliche subsumiert wird.
Auf deutsch also „alles mögliche“ (vielerlei), in undeformierter Rechtschreibung.
Ein Beispiel: Im Online-Dossier Rechtsextremismus ist vom «Genderwahn» als neuem Feindbild der extremen Rechten die Rede; eine Ausgabe von «Aus Politik und Zeitgeschichte», einer von der Bundeszentrale herausgegebenen Beilage der Wochenzeitung «Das Parlament», unterstellt konservativen Journalisten Antifeminismus, weil sie gegen gendergerechte Sprache argumentieren. Dass die grosse Mehrheit der Deutschen laut Umfragen nichts von Binnen-I und Gendersternchen hält, bleibt unerwähnt.

In der Schriftenreihe der Bundeszentrale finden sich viele solche Beispiele. Unter dem Titel «Volkes Stimme?» warnen zwei Autoren etwa vor der Sprache der Rechtspopulisten. Laut ihnen macht sich bereits des «Nazisprechs» verdächtig, wer sich des Wortes «Wertegemeinschaft» in einem bestimmten Kontext bedient...

nzz.ch 7.2.2021
Da fällt einem doch gleich die „WerteUnion“ der Merkel-Abtrünnigen ein, die der geheime Bertelsmann-Lobbyist und CDU-Dauer-EU-Abgeordnete Elmar Brok als „Krebsgeschwür“ der Union bezeichnet hatte.

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Sigmar Salzburg
01.03.2019 04.57
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Privatisierte Zensur, Gender, Correctness

Wer das Falsche postet, den werfen die grossen Tech-Firmen von ihren Plattformen. Doch was ist falsch?

Ob Twitter oder Facebook: Aufmüpfige Nutzer werden inzwischen kurzerhand rausgeschmissen. Dabei bleibt weitgehend im Dunkeln, nach welchen Kriterien Leute abgestraft werden. Die Intransparenz befördert die Polarisierung.

[Bild] Der CEO von Twitter, Jack Dorsey, stellt sich immer wieder seinen Kritikern, weicht den harten Fragen aber jeweils wortreich aus.

Das bizarrste Beispiel ist Meghan Murphy. Die junge Kanadierin kämpft als lesbische Feministin dagegen, dass sich Transfrauen in Bereichen breitmachen, die bisher Frauen vorbehalten blieben: Männer, die sich als Frauen fühlen, obwohl ihr Penis noch vom anderen Geschlecht zeugt, machen im Frauensport mit, dringen in Schlupfhäuser ein und ziehen gar über Lesben her, die wegen ihrer angeblichen Transphobie nicht mit ihnen schlafen wollen.

Eine solche Transfrau prangerte in den sozialen Netzwerken eine Verletzung ihrer Menschenrechte an, weil ihr Kosmetikerinnen, die nur Frauen behandelten, ein Waxing der männlichen Genitalien verweigert hatten. Meghan Murphy, mit ihrer Website «Feminist Current» schon von Transfrauen attackiert, schrieb in einem Tweet eine bis dahin kaum bestrittene Wahrheit: «Men aren’t women.» Und sie sagte von ihrer Widersacher*in, die immer noch mit ihrem männlichen Namen auftritt: «That’s him.»

Das reichte für Twitter. Denn seine Regeln erklären es neuerdings auch zur verbotenen Hassrede, eine Transperson mit anderen als den von ihr gewünschten Pronomen anzusprechen oder auch nur die Frage nach der Gender-Identität aufzuwerfen. Am 23. November 2018 sperrte Twitter Meghan Murphy aus – auf Lebenszeit und ohne Rekursmöglichkeit, weshalb die freie Autorin ihre Existenz bedroht sieht...

Mehr bei: nzz.ch 27.2.2019

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Sigmar Salzburg
20.11.2016 19.28
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Zwanzig Jahre Rechtschreibreform

Der Versuch, dem Korrektor zu willfahren

von Stefan Stirnemann 18.11.2016, 05:30 Uhr

Die zwanzigjährige Reform der Rechtschreibung erzählt eine lange Geschichte des Scheiterns. Einst heissersehnt, ist sie heute wieder heiss ersehnt. Was wollen die Reformer eigentlich?

Besser lehren, besser lernen, besser schreiben war das Ziel der Rechtschreibreform: Doch mit der Orthographie ändert sich auch die Sprache. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

An Johann Sebastian Bachs Hand zieht die Gemeinde Trogen in die Kulturgeschichte ein; seit zehn Jahren nämlich führt dort eine St. Galler Stiftung in weltweit einzigartiger Form alle Kantaten auf. Den Weg in die Korrekturprogramme aber hat das gastfreundliche Dorf noch nicht gefunden. Da die Konzerte jeweils am Freitagabend stattfinden, schrieb ich in einem Text von einem Trogener Abend.

Flugs blies mir der elektronische Besserwisser in die Zeile, liess die Buchstaben tanzen wie Herbstblätter, und als der rasche Wirbel zur Ruhe kam, stand da ein erogener Abend. Warum? Das Programm erkannte den Namen nicht, wertete das Unbekannte als falsch und griff mit unerbittlicher Hilfsbereitschaft zum nächstähnlichen Wort, das in seinem öden Speicher bereitlag.

Arge Geduldsproben

Die Korrekturprogramme haben heute die sogenannte Rechtschreibreform in den Knochen, und sie weisen nicht nur Appenzeller Namen zurück, sondern auch einfache Wörter und alltägliche Schreibweisen. Beharre ich bei dem, was ich zehnfingrig tippte, so trifft mich die Brandmarke einer roten Unterschlängelung: greulich gibt es nicht, nur gräulich; wohlbekannt ist veraltet, neu ist wohl bekannt; jedesmal wurde ausgemustert, man schreibe jedes Mal; heute morgen früh gilt als rückständig und falsch, fortschrittlich und einwandfrei ist heute Morgen Früh.

Versuche ich aber dem Korrektor zu willfahren, indem ich gestern Abend Spät schreibe, so werde ich zurückgepfiffen zu gestern Abend spät, und nehme ich hin, dass sie tut Recht daran richtig ist, bekomme ich für sie tut Gut daran auf die Finger. Das sind arge Geduldsproben! Die Urheber und Vertreter der Reform denken offenbar, dass eine ganze Sprachgemeinschaft nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Bedeutungen zu unterscheiden und mit Wortarten umzugehen.

Etwas zur Geschichte und zum Wesen der Reform: Vor zwanzig Jahren teilten die deutschsprachigen Staaten in der «Wiener Absichtserklärung» mit, dass sie sich für die Umsetzung der Neuregelung einsetzen wollten. Abgesehen von der Unverbindlichkeit dieser Übereinkunft sind die Staaten in Sprachfragen grundsätzlich nur gegenüber der Schule weisungsberechtigt; insofern ist die Neuregelung eine Schulorthographie, um die sich sonst niemand kümmern müsste.

Wer auf die Schule Rücksicht zu nehmen meint, indem er auch die unsinnigsten Regeln befolgt, nimmt tatsächlich auf die Reformer Rücksicht, welche die Schule zu ihrem Versuchslabor machten. Horst Haider Munske, der an der Ausarbeitung der Neuregelung beteiligt war, nennt aus kritischem Abstand den Grund für das Scheitern des Unternehmens: «Eine systematische Überprüfung, wie sich Reformvorschläge auf den gesamten Wortschatz auswirken, fand nirgends statt – nicht zuletzt wegen fehlender Mittel.

Die Unausgegorenheit und Fehlerhaftigkeit vieler neuer Regeln wurde erst 1996 in den neuen Wörterbüchern sichtbar.» Sichtbar wurde damals, dass diese Reform in die Grundsätze der Wort- und Satzbildung unserer Sprache eingreift. Nun verlangten die Reformer selbst eine Korrektur; die Behörden untersagten sie und setzten erst nach jahrelangem Hin und Her den «Rat für deutsche Rechtschreibung» ein, der vor zehn Jahren eine überarbeitete Fassung des Regelwerks vorlegte. Das Heilmittel: Neben die oft sinnwidrigen Schreibweisen der Reform traten als Variante die herkömmlichen Schreibweisen.

Einst heissersehnt . . .

Das ist keine Lösung, und zudem blieben grobe Verstösse gegen Sprachgebrauch und Grammatik stehen. Das vernichtendste Urteil zur Sache stammt von Johanna Wanka, der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, also der auftraggebenden Behörde: «Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.»

Die Falschheit sei hier an zwei Beispielen gezeigt: Friedrich Rückert dichtete: «Grau macht die Zeit, die greuliche; / Trau nicht auf die untreuliche! / Sie lacht dir einen Augenblick, / Und grinst dann, die abscheuliche.» Wer greulich durch gräulich ersetzt, nimmt dem Vers seinen klaren Sinn. Von Erich Kästner stammt dieses kleine Wortspiel: «Die Wirtschafterin kämpfte in der Küche wie ein Löwe. Doch sie brachte die heissersehnten und heiss ersehnten Bratkartoffeln trotzdem nicht zustande.» 1996 verordneten die Reformer die Getrenntschreibung heiss ersehnt und nahmen damit Kästner und unserer Sprache ein Mittel des Ausdrucks. Heute führt der Duden heissersehnt als Variante auf, empfiehlt aber die Getrenntschreibung; wir sind also gleich weit wie vor zwanzig Jahren.

Was wollten die Reformer eigentlich? Laut einem Dossier der EDK war das Ziel, «mehr Systematik in die Rechtschreibung zu bringen, um sie so besser lehr-, lern- und handhabbar zu machen». Man dachte also, die herkömmliche Regelung sei für die Schule zu schwierig. Der Germanist Uwe Grund hat vor kurzem eine Studie veröffentlicht, in welcher er nach Auswertung eines grossen Bestandes von Schülerarbeiten zum Schluss kommt, dass die schulischen Rechtschreibleistungen vor der Reform nicht unzureichend waren.

Die Vergangenheit wiederbeleben

Ein Hauptanliegen der Reformer war die Kleinschreibung der Substantive. Weil die politisch Verantwortlichen dieses Anliegen für undurchsetzbar hielten, machten die Reformer rechtsumkehrt und holten aus dem tiefen 19. Jahrhundert eine Reihe der damals verbreiteten Grossschreibungen. Der Orthograph Daniel Sanders führte 1873 folgende Schreibweisen auf: «Das weiss Alt und Jung. Von Klein auf. Binnen, in vor Kurzem. Mit Nichten. Im Allgemeinen. Gieb Jedem das Seine. Alle Beide haben Unrecht. Er weiss Etwas, Nichts. Er hat es Diesem und Jenem im Vertrauen mitgetheilt. Ich weiss Das und Manches.»

Ihm gegenüber stand Konrad Duden, der sich für die moderne Kleinschreibung von Adverbien (nachts, gestern nacht, im allgemeinen) und Pronomen (dieser, der letztere) einsetzte. Gegen ihre Überzeugung gingen die Reformer hinter Duden zurück, wagten aber doch nicht, alle Grossbuchstaben der Vergangenheit wiederzubeleben. Die Rechtschreibung, die heute die neue genannt wird, ist in Kernbereichen die uralte Rechtschreibung des 19. Jahrhunderts.

Die Reform hat ihre Vorgeschichte; immer wieder musste die Sprachgemeinschaft Versuche sektiererischer Veränderer abwehren. Am 25. Juni 1954 berichtete die «Weltwoche» unter dem Titel «Die neue ‹ortografi›» über ein Reformvorhaben, dessen Hauptanliegen die Kleinschreibung der Substantive war. Den Kern des Beitrags bildeten Stellungnahmen unter anderem von Thomas Mann und Hermann Hesse. Friedrich Dürrenmatt schrieb: «Ändert man die Orthographie, ändert man die Sprache. Gegen Sintfluten kann man nicht kämpfen, nur Archen bauen: Nicht mitmachen.» Damals hörte man auf die wahren Fachleute, die Könnerinnen und Könner der Sprache, und was geplant war, wurde nicht verwirklicht. Und in unseren Tagen?

Verantwortung der Medien

Der Dichter Reiner Kunze schildert in der «Aura der Wörter», seiner «Denkschrift zur Rechtschreibreform», wie er sich zunächst darum bemühte, die neuen Regeln zu lernen. Als er sah, was da angerichtet worden war, legte er öffentlich Widerspruch ein und musste erfahren, dass er zu «ein paar ewig Gestrigen» zähle; so wurde ihm von Amtes wegen die Urteilsfähigkeit abgesprochen.

Kunze, der die Bedrohung eines terroristischen Unrechtsstaates überstanden hat, schreibt: «Als wir noch in der DDR lebten, sagte mir der leitende Offizier eines Volkspolizeikreisamtes, was in diesem Staat wie einzuschätzen sei, bestimme einzig und allein die in ihm herrschende Arbeiter- und Bauernmacht, und meine rhetorische Entgegnung, ich hätte bisher geglaubt, Teil dieser Arbeiter- und Bauernmacht zu sein, konterte er mit den Worten: ‹Auch wer Sie sind, bestimmen nicht Sie, sondern wir.› Es gibt Sätze, die im Ohr wachliegen.»

Der römische Satiriker Juvenal fragte einst: «Wer wird auf die Aufpasser aufpassen?» Heute würde er fragen: «Wer korrigiert das Korrekturprogramm?» Bekannter ist sein Satz, dass es schwierig sei, keine Satire zu schreiben. Die zwanzigjährige Reform der Rechtschreibung wirkt in weiten Teilen wie eine Satire. Das Lachen wäre aber auch hier ein billiger Ersatz fürs Handeln. Verlage und Zeitungen tragen Verantwortung für unsere Sprache. Warum geben sie diese Verantwortung an Korrekturprogramme ab, die an der Sprachwirklichkeit vorbeiprogrammiert sind?

Stefan Stirnemann ist Philologe, Publizist und Mitglied der Arbeitsgruppe der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK).

nzz.ch 18.11.2016

Von Stefan Stirnemann siehe auch dies.

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Sigmar Salzburg
16.02.2014 06.57
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Christian Meiers «Zwischenbilanz»

Die Verantwortung des Historikers und die des Zeitgenossen

Der Mann galt als eine Gefahr. Einen Linken hiess man ihn, der Karl Marx und Max Weber zusammenmische. Nachdem er 1966 in Freiburg im Breisgau gefragt hatte, «was soll uns heute noch die Alte Geschichte», rief man ihm auf der Strasse hinterher, er sei der Totengräber seines Faches. Gut viereinhalb Jahrzehnte später, am 19. Juli 2012, hielt er an der Ludwig-Maximilians-Universität in München seine letzte Vorlesung. Seine Emeritierung lag fünfzehn Jahre zurück. Jüngere und ältere Semester hatten ihm über Jahre hinweg die Treue gehalten. Jetzt war der Hörsaal überfüllt. Die überregionale Presse berichtete. Der Tag war eine Zäsur für die «Res Publica Litterarum». – Die Rede ist von Christian Meier, einem der Grossen unter den deutschen Historikern, der am 16. Februar seinen 85. Geburtstag feiert...

Als Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands warb er für die Öffnung der historischen Wissenschaften gegenüber der aussereuropäischen Geschichte, als Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung stritt er gegen die Rechtschreibreform. Der grösser werdenden Not der politischen Orientierungslosigkeit setzte – und setzt – er das bürgerliche Engagement des politisch wachen Zeitgenossen entgegen...

Neue Zürcher Zeitung 16.2.2014

NB: Die bundesdeutschen Zeitungen schweigen, um nicht die Rechtschreibreform erwähnen zu müssen.

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Sigmar Salzburg
06.05.2013 10.32
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Literatur

Deutsche Akademie im Wandel
Nützlich sein statt wichtig tun
Geltungsprobleme beschäftigen die Deutsche Akademie seit ihrer Gründung…


Joachim Güntner

Der Neustart begann mit einer Fehlzündung. Ende Oktober letzten Jahres wandte sich die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit einer «Denkschrift» an die «obersten Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland». Darin präsentiert sie sich den Adressaten vollmundig als Versammlung der «besten Autoren der Sprachgemeinschaft», reklamiert für sich zahlreiche Verdienste und verlangt nach Anerkennung. Im langen Streit um die Rechtschreibreform habe die Akademie für einen fachlich fundierten Kompromiss gesorgt und so einen «Kulturbruch» heilen können, heisst es da. Mit ihren Preisverleihungen habe sie «Vorbilder für den allgemeinen Sprachgebrauch gefördert und erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Sprache genommen». Kulturpolitikern empfiehlt der Text, sie «sollten sich des Rates der Akademie in vielen Fragen der Bildung und Erziehung bedienen». Das alles trat hübsch hochtrabend auf, gipfelte dann aber in einer kläglichen Mahnung: «Es bedarf eines Bekenntnisses der Bundesrepublik Deutschland zu ihrer Akademie.» Gemeint war: Gebt uns mehr Geld.

Ungedeckte Ansprüche
Der Vorstoss, den die Denkschrift unternahm, war keineswegs abwegig, aber in der Sache nebulös und im Duktus verrutscht. Anhänger der alten Orthographie, die dem von der Akademie mitgestalteten Rechtschreibekompromiss nicht grün waren, erneuerten ihre Aversion gegen die Darmstädter Institution und brandmarkten die Broschüre als Hochstapelei…

Politisch engagiert wie nie zuvor
Zur Absicht, Themen zu wählen, die für ein breiteres Publikum interessant sein könnten, gehört der Zug hin zum Aktuellen. Ungern erinnern wir uns der Zeiten, als die Akademie ihre Abseitigkeit mit Tagungen pflegte, an denen sie sich wolkig mit «Landschaft» (sei's im Gedicht, sei es in anderen literarischen Gattungen) oder, etwas besser, mit «Geschichte» (und wie diese «zur Sprache gebracht» werde) befasste. Mit Müh und Not positionierte man sich damals im Rechtschreibestreit; wenig fehlte, und die Akademie hätte diese Debatte verschlafen. Klaus Reicherts Präsidentschaft brachte frischen Wind…[?]

Ein internationales Netzwerk entsteht, in das auch die Royal Society of Literature aus London eingebunden ist.

Dass die Académie française in dieser Runde fehlt, tut Detering mit pragmatischen Gründen ab: Man könne nicht alles machen. Es existieren aber vielleicht auch psychologische Hemmnisse. Denn immer dann, wenn der Deutschen Akademie ein Mangel an Autorität und Einfluss vorgehalten wird, dienen die Franzosen als Massstab. Die deutschen Akademiker indes lehnen das französische Modell autoritativer Normsetzungen ab und beharren darauf, nur durch gute Beispiele – wie eben durch die Kür ihrer Preisträger – normativ auf die Literatur zu wirken. Ähnlich sieht es bei Vorgaben für die Sprache aus. Gegenüber Anglizismen bleibt man unaufgeregt und setzt auf die Integrationskraft des Deutschen, spricht sich gegen Sprachlenkung und Sprachschutzgesetze aus. Orthographische Streit- und Rätselfragen beantwortet die linguistische Fraktion der Akademie gern mit historischer Relativierung – da tun sich dann meist mehrere Möglichkeiten einer korrekten Schreibung auf, und der nach strikten Direktiven verlangende Bürger bleibt frustriert zurück. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern…

Mehr siehe nzz.ch 6.5.2013

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Sigmar Salzburg
06.07.2011 06.07
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NZZ Folio 07/11

Schlaglicht -- Manbrif in Sachen Murks

Die 1996 beschlossene Reform der deutschen Rechtschreibung ist ein Unfug. Ausser ein paar Linguisten und Bürokraten wollte sie niemand – für alle, die schreiben, ist sie eine Belästigung.

Von Wolf Schneider

Wollen die Schaffhauser einen Reinfall rauschen hören? Würde ein Bordo noch Menschen finden, die ihn trinken? Nein: Unser Auge registriert nicht Buchstaben – es nimmt Wortbilder auf; und wer an denen herumdoktert, ärgert sämtliche Mitglieder seiner Sprachgemeinschaft, sobald sie lesen, und fast alle, wenn sie schreiben, nur Kinder in der ersten Klasse nicht.

Der Schildbürgerstreich von 1996

Zu solcher Belästigung der fast 100 Millionen Menschen deutscher Muttersprache fühlte sich vor 15 Jahren eine Handvoll Linguisten aufgerufen: Mit ihrer «Wiener Erklärung» vom 1. Juli 1996 stiessen sie eine Veränderung der Rechtschreibung an, um die niemand gebeten hatte – nicht Lehrer, nicht Journalisten, nicht Schriftsteller und schon gar nicht das Volk.

Trank Marlborough Bordo?

[…]

Wie konnte so viel Torheit siegen?

Die andere Frage: Wie haben sie es geschafft, ihre Bastelei dem klaren Mehrheitswillen aufzunötigen? Erstens dadurch, dass sie sich sogleich mit der Kultusbürokratie verbündeten; als das Misstrauen zu keimen begann, waren die Weichen schon gestellt. Und zweitens durch den kalkulierten Verzicht auf allzu rabiate Vorschläge: Die Urheber der «Stuttgarter Empfehlungen» von 1954 wurden sofort ausgelacht, als sie die totale Kleinschreibung propagierten und obendrein das Dehnungs-h und das Dehnungs-e abschaffen wollten: manbrif hätten wir schreiben sollen, birhan auch.
[...]
Wolf Schneider ist Schriftsteller; er lebt in Starnberg (D).

Voller Text: nzzfolio.ch 5.7.2011

Schneiders Bücher erscheinen reformiert. 2004 hatte er sich in einer Fernsehdiskussion entschuldigt: „Ich bin nicht in der Lage von Günter Grass. Ich habe mein Manuskript in der guten alten Rechtschreibung abgeliefert, und der Verlag wird schon irgendeinen Computer daransetzen, um den Text zu versaubeuteln.“ – Sollte sich wirklich kein Verlag finden, der seine Bücher in der von ihm bevorzugten Rechtschreibung abdruckt? Prof. Christian Meier schafft es doch auch!

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Sigmar Salzburg
17.05.2009 09.45
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Eine Stimme der Vernunft aus der Schweiz

17. Mai 2009, NZZ am Sonntag

Die Gämsen tun uns Leid
Am 1. August 2009 wird die Rechtschreibreform an Schweizer Schulen verbindlich. Das Regelwerk steckt voller Widersprüche, das Chaos ist perfekt. Eine radikale Umkehr tut not, schreibt Rudolf Wachter


«Ach, hör mir bloss auf mit der Rechtschreibung! Die Probleme der Sprachkompetenz liegen heute ganz woanders!» Solche Stimmen, gerade in Lehrerkreisen oft zu hören, haben nicht ganz unrecht. Doch die Rechtschreibreform von 1996, von der Sprachgemeinschaft nie akzeptiert, aber von der Politik zum Gesetz erhoben, hat ein jämmerliches Chaos angerichtet. Und das heute gültige amtliche Regelwerk 2006, das der seit 2004 tätige «Rat für deutsche Rechtschreibung» ausgearbeitet hat, hat die Situation nicht verbessert: Denn anstatt die begangenen Fehler einzugestehen und zurückzunehmen, hat man sich fast durchgängig darauf beschränkt, die bewährte, herkömmliche Schreibung als «Variante» neben der neuen wieder zu erlauben. Überdies sind in der Eile Inkonsequenzen und Fehler passiert. So hat man vergessen, jedesmal wieder zu erlauben (wie ein paarmal , das nie verboten gewesen war). Ein Lehrer müsste seinen Schülern jedesmal jedesmal als Fehler anstreichen, obwohl ihre (und seine) Eltern, Gross- und Urgrosseltern nur so geschrieben haben!

Immer wieder wird beschwichtigend betont, das durch Reform und Variantentrick entstandene Chaos betreffe ja nur wenige Wörter pro Seite Text. Das ist richtig, entscheidend ist aber, dass es die Anything-goes-Mentalität der Sprache gegenüber stark gefördert hat. Andere sagen: «Ist es nicht schön, wenn sich die Leute mit so einfachen Mitteln wie dem Unterschied Spaghetti / Spagetti, heute morgen / heute Morgen, ohne weiteres / ohne Weiteres, selbständig / selbstständig als eher konservativ oder eher fortschrittlich outen können?» Ja, wenn dem so wäre!

In Wirklichkeit ist die Freude am Neuen der Reform längst verflogen. Viele halten die «fortschrittlichen» Reformschreiber heute eher für xenophobe Fremdsprachenmuffel (Spadschetti) bzw. für Sprachbanausen, die nicht einmal zwischen einem Adverb (heute morgen) und einem echten Substantiv (der heutige Morgen) unterscheiden können. Die sogenannt «Konservativen» aber hält kaum einer für konservativ. Spaghetti, heute morgen, ohne weiteres, selbständig: Was soll denn daran so besonders sein? Das haben wir doch immer so geschrieben und lesen es jeden Tag! Konservativ sind diese herkömmlichen Schreibungen schon gar nicht! Leicht verstaubt sind im Gegenteil die, die ohne Weiteres schreiben, sie sind nämlich tief ins 19. Jahrhundert zurückgefallen; modern ist ohne weiteres mit seiner eleganten, weltläufigen Kleinschreibung. Und selbstständig ist eine altertümelnde Form, die, weil sie kaum aussprechbar ist, vor Jahrzehnten aufgegeben wurde; ihre Wiederbelebung durch die Reform war vollkommen unnötig.

Stolpersteine

Es ist inzwischen deutlich absehbar: Die herkömmliche Schreibung wird in den meisten Fällen die normale bleiben! Denn die Bibliotheken, die sich heute in digitalisierter Form auf unsere Bildschirme drängen, sind voll davon, und die einigermassen unabhängig denkenden Printmedien haben sich die Neuschreibungen höchstens zu einem ganz kleinen Teil zu eigen gemacht. Sogar im Internet sind notleidend und fleischfressend siebenmal häufiger zusammen- als getrennt geschrieben. Aber es herrscht eine enorme Verunsicherung. Ich vergleiche die heutige Rechtschreibung gern mit der schmutzigen Fensterscheibe eines Bergrestaurants, die den Blick auf das schöne Alpenpanorama trübt. Wir wollen doch beim Lesen nicht permanent über Schreibungen stolpern, die unsere Aufmerksamkeit vom Textinhalt ablenken! Orthographische Varianten, Inkonsequenzen oder gar «wilde» Kreationen, die einem seit der Reform sehr viel häufiger begegnen als vorher, tun aber genau das. Schreibungen wie leicht zu Hand haben oder beim Rad fahren , grösst mögliche , hell blau , Vorsichts halber , Bank Angestellter kommen im Internet, in Mails und im Chat tausendfach vor. Da dürfte sogar den überzeugtesten Reformern ein kalter Schauer über den Rücken laufen! Denn vor der Reform wäre niemand auf die Idee solcher Schreibungen gekommen.

Die Reform war in vielen Punkten unnötig oder sogar verfehlt, und ihr 2004 an die Hand genommener Rückbau durch Schaffung der Varianten war mutlos und für die Sache zusätzlich fatal. Sogar die wenigen ganz zurückgenommenen Dummheiten der Reform sind kaum mehr auszurotten, wie es tut mir Leid ( leid ist hier ein Adjektiv, deshalb kann sehr, ausserordentlich usw. davor stehen). Und den Vogel abgeschossen hat Johanna Wanka, die ehemalige Präsidentin der deutschen Kultusministerkonferenz, die im Januar 2006 in einem Interview mit dem «Spiegel» einräumte: «Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.» Wo um Himmels willen sollen wir in diesem mutlosen Nichtstun Staatsräson entdecken?

Die Reformer wollten den Schulkindern das Schreiben erleichtern. Sie haben das genaue Gegenteil erreicht, und zwar gleich bei der ganzen schreibenden und lesenden Bevölkerung: Heute weiss fast niemand mehr, was gestattet ist und was nicht. Es gibt zahllose Haus- und Privatorthographien. Die kommerziellen Wörterbücher wie Duden und Wahrig ziehen aus dem Regelwerk, was sie wollen, jedes wieder anders, keines in sich konsistent, aber beide grossmehrheitlich reformtreu. Paradoxerweise gilt dasselbe auch für die Schulen und ihre Lehrmittel. Zudem kursieren da viele überholte Lehrmittel mit Schreibungen, die gar nicht mehr gelten, zum Beispiel eben es tut mir Leid .

Damit erweist der Staat seiner jungen Generation einen Bärendienst. Es ist zwar begreiflich, dass man den Lehrkräften nicht zumuten will, alle paar Jahre wieder eine neue neue Rechtschreibung lernen und lehren zu müssen. Aber Nichtstun ist noch schädlicher: Aufwändig beispielsweise hat sich nicht einmal im Internet (42%) gegen aufwendig (58%) durchgesetzt, ebensowenig die Selbstständigen (28%) gegen die Selbständigen (72%), und eine Species rara ist auch die Gämse (31%), obwohl Gemse (69%) nach wie vor verboten ist. Man lässt die Schülerinnen und Schüler also bewusst ins Abseits laufen, indem man sie die selteneren Schreibungen lernen lässt und ihnen beibringt, die beliebteren seien falsch. Das zeigt, dass die Reforminitiatoren und -anhänger nach wie vor krampfhaft versuchen, ihr künstliches Geschöpf am Leben zu erhalten. Es ist jetzt höchste Zeit, dieses Experiment abzubrechen. Wir müssen so rasch wie möglich wieder zu einer sprachrichtigen und einheitlichen, kurz: zu einer unauffälligen Rechtschreibung für alle zurückfinden. Fensterputzer, an die Arbeit!

Vorschlag zur Güte

Vor allem müssen wir einen Weg hinaus aus der Variantenflut finden. Am 1. August 2009 endet an den Schweizer Schulen die Korrekturtoleranz. Alle Bereiche der Reform werden dann verbindlich. Darauf sind die Schulen in keiner Weise vorbereitet. Die einzige sinnvolle Massnahme ist ein gesamtschweizerisches Moratorium. Die herkömmlichen Schreibungen müssen unverzüglich wieder freigegeben, und ihrer von Wörterbüchern und Lehrmitteln willkürlich vorgenommenen Diskriminierung zugunsten der Reformschreibungen muss Einhalt geboten werden. Die Lehrerinnen und Lehrer werden unendlich erleichtert sein, für die strittigen Dinge eine Zeitlang keine Fehler mehr anstreichen zu müssen! Nach einiger Zeit können dann ganz unvoreingenommen die Mehrheitsverhältnisse festgestellt und mit Blick auf langfristige Tendenzen, Sprachrichtigkeit und Konsistenz Empfehlungen ausgegeben werden.

Einen praxistauglichen Vorschlag hat seit 2006 die Schweizer Orthographische Konferenz (www.sok.ch) ausgearbeitet, ausgehend von der umsichtigen Rechtschreibung der NZZ. Der wichtigste Grundsatz der SOK-Empfehlungen lautet: «Bei Varianten die herkömmliche». Das heisst, wenn unter den im Regelwerk 2006 gestatteten Varianten eine herkömmliche Schreibung ist, wird diese empfohlen.

Dazu gibt es Präzisierungen, Zusätze und Ausnahmen. Diesen Vorschlag haben im letzten Jahr die Chefredaktorenkonferenz und der Verband Schweizer Presse geprüft und sich zu eigen gemacht. Nach und nach schwenken nun die Zeitungen und Zeitschriften in der Schweiz auf die Empfehlungen der SOK ein, die auch von der Schweizerischen Depeschenagentur seit längerem befolgt werden und bereits auch weit über die Landesgrenzen hinaus Interesse erregt haben.

Die Vorteile einer einheitlichen und sprachrichtigen Rechtschreibung im Pressewesen liegen auf der Hand. Die SOK ist eine private Institution ausschliesslich ehrenamtlich tätiger Sprachfreunde. So haben ihre Mitglieder grösstmögliche Unabhängigkeit, sind aber gleichzeitig zu einer objektiven, von allen nachvollziehbaren Argumentationsweise gezwungen. Nur ein völlig transparentes Vorgehen kann zu einem Weg aus dem Schlamassel führen. Dass die SOK dadurch von Zeit zu Zeit auch einmal gegen eine Mauer anrennt, nimmt sie mit Humor auf, etwa wenn die Schulbuchverlage erklären, sie würden ja gerne, aber sie könnten nicht, da ihnen der Staat sonst ihre Bücher nicht mehr abkaufe. Oder wenn sie Lehrmittel analysiert, zum Beispiel den neuesten «Leitfaden zur deutschen Rechtschreibung» (2008) der Bundeskanzlei, und die Autoren freundlich auf die zahlreichen Irrtümer aufmerksam machen möchte. Aber die Mauern werden laufend weniger, und viel häufiger erntet die SOK freudigen Zuspruch und tritt durch weit offene Türen.


Chaos in der Rechtschreibung

Seit 2004 ist fast allen klar, dass die deutsche Rechtschreibreform von 1996 gescheitert ist. Anstatt sie zurückzunehmen, hat man sie 2006 mit der Freigabe unzähliger Varianten ins Kraut schiessen lassen. Die jetzige Situation ist zutiefst unbefriedigend. Nun, da das Flickwerk verbindlich wird, zeigt die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) einen realistischen Weg zu einer neuen einheitlichen und sprachrichtigen Rechtschreibung. Dieser kann nur über eine radikale Liberalisierung der strittigen Schreibungen führen, insbesondere in Schule und Verwaltung.


Rudolf Wachter

Engagierter Philologe

Rudolf Wachter ist Professor für historische Sprachwissenschaft an den Universitäten Basel und Lausanne.

http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/die_gaemsen_tun_uns_leid_1.2569797.html

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Sigmar Salzburg
20.05.2008 16.12
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Beim Alten

Die Deutsche Akademie hielt ihre Frühjahrstagung in Lemberg ab – und war entzückt

… Der Austausch mit den Germanisten der Universität Lemberg war rege, und als beglückend empfand man den Andrang der Studenten zu Veranstaltungen, wo etwa Peter Eisenberg über den Stand der deutschen Rechtschreibreform berichtete (Fazit: Vieles ist wieder beim Alten, und irgendwann wird der irritierte Schreiber wieder ohne den permanenten Griff zum Wörterbuch auskommen) und Heinrich Detering die Lage der germanistischen Literaturwissenschaft skizzierte, die er als von wechselnden Methoden und Moden sowohl gebeutelt wie befruchtet beschrieb. …


Neue Zürcher Zeitung 20.05.2008
NZZ

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Norbert Lindenthal
01.05.2008 06.37
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umstrittene Reform der portugiesischen Orthographie

29. April 2008, Neue Zürcher Zeitung

Bruderkampf um Buchstaben und Akzente
Eine umstrittene Reform der portugiesischen Orthographie

Ein Plan zur Harmonisierung der Orthographie im portugiesischen Sprachraum, die der kulturellen Einheit zugutekommen soll, erhitzt im Mutterland des früheren Imperiums einige Gemüter. Manche Kritiker des Vorhabens sprechen von einem linguistischen Attentat.
Thomas Fischer

Vor 200 Jahren liessen sich die Hauptfiguren des portugiesischen Imperiums erstmals in Brasilien blicken. Ende 2007 flüchteten Königin Maria, der Regent und spätere König João VI. sowie der gesamte Hof vor den auf Lissabon zumarschierenden Truppen Napoleons auf die andere Seite des Atlantiks. In Rio de Janeiro zählte kürzlich Portugals jetziger Staatspräsident, Cavaco Silva, zu den Ehrengästen eines Festaktes zum runden Jahrestag der Ankunft des Hofes in der einstigen Kolonie. Sie zählt heute fast 200 Millionen Einwohner, rund viermal so viele wie die übrigen sieben Länder mit portugiesischer Amtssprache. Mit dem Fussball, dem Samba, den Telenovelas und nicht zuletzt einer wachsenden Zahl von Auswanderern kommt die in Brasilien gesprochene Variante nach Europa. Wenn sich schon die Aussprache auseinanderentwickelt hat, so soll wenigstens die Rechtschreibung weitgehend vereinheitlicht werden. Aber auch das ist nicht so leicht.

Ein Gerangel von über 20 Jahren
In Brasilien begrüsste Cavaco Silva einen am Tag seines Abflugs getroffenen Beschluss des Kabinetts in Portugal, der den Weg zur Ratifizierung eines Abkommens über eine Rechtschreibreform ebnen soll. Das Kabinett billigte konkret einen Vorschlag zur Annahme des «zweiten modifizierenden Protokolls zum Abkommen über die Orthographie der portugiesischen Sprache», auf das sich 2004 die Mitglieder der Gemeinschaft portugiesischsprachiger Länder (Comunidade dos Países de Língua Portuguesa – CPLP, dazu gehören Portugal, Brasilien, fünf afrikanische Länder und Osttimor) geeinigt hatten. Das Kabinett veranschlagte eine Übergangsfrist von sechs Jahren für die Einführung der neuen Regeln, an denen sich in Portugal seit über 20 Jahren die Geister scheiden.
Das Abkommen über die Rechtschreibung, von Kritikern als Anschlag auf die portugiesische Sprache gebrandmarkt, war schon 1990 unterzeichnet worden und sollte 1994 nach der Ratifizierung durch alle Unterzeichner in Kraft treten, ratifiziert wurde es aber nur von Brasilien, Portugal und Cabo Verde (Kapverdische Inseln). Laut dem Protokoll von 2004 soll die Ratifizierung durch drei Länder reichen, damit es wirksam wird. Nach Brasilien und den Inselrepubliken Kap Verde und São Tomé und Principe will Portugal, wo nach Ansicht von Kulturminister Pinto Ribeiro bisher der politische Wille fehlte, diesen Schritt tun. Schon die Ankündigung provozierte aber neue Aufschreie gegen die geplanten Änderungen. Sie betreffen vor allem stumme Buchstaben, die in Portugal weitgehend entfallen, Akzente und Bindestriche. Portugal übernimmt die brasilianische Schreibweise für den Direktor, der sein «c» verliert und vom «director» zum «diretor» wird. Lissabons Trams, bisher «eléctricos», heissen künftig «eletricos». In Brasilien entfallen derweil etwa die Akzente in den Vokabeln für Flug (bisher «vôo») oder Idee (bisher «idéia»).

Befürchtungen von Verlegern
Laut einer Schätzung beträfen die Änderungen 1,6 Prozent der Wörter in Portugal, aber nur 0,5 Prozent in Brasilien. Vorteile erwarten Befürworter dieser Harmonisierung – die noch keine völlige Angleichung bewirkt – unter anderem für die Entwicklung des Büchermarktes, vor allem im Segment der Schulbücher, in der Informatik und durch den Wegfall der Notwendigkeit, international relevante Dokumente und Verträge in zwei Versionen zu verfassen. Kritiker wenden ein, dass sich die Romane von José Saramago, der sich in dieser Frage gegen unnötige Querelen aussprach, trotz unterschiedlichen Schreibweisen in Brasilien gut verkauften. Und schliesslich werfe im angelsächsischen Raum die Koexistenz der britischen und der US-Schreibweise keine grossen Probleme auf. Vertreter der Verlagsbranche in Portugal verweisen auf die Kosten der Umstellung auf die neue Orthographie und befürchten anscheinend, dass viele schon gedruckte Bücher bald nur noch Altpapierwert haben werden.

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Karl-Heinz Isleif
02.12.2007 15.55
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Eliten

Den Artikel habe ich nicht gelesen und lese ihn auch nicht. Denn er haut ja offenbar in die Elitenkerbe, die auch von deutschen Reformern als Begründung für ihr Treiben behackt wird. So unsympathisch mir jede Art von Elitegedanken auch ist, die Argumentation: einige können Klavier spielen und andere nicht, also reformieren wir das Klavier, ist Unfug. Alles Anspruchsvolle ist schwierig, daran kann keine 'Reform' was ändern. (Und nur Germanisten orientieren sich in ihrer 'Wissenschaft' seit 1996 an den Deppen.)

Im übrigen und von diesem einen Artikel abgesehen, verstehe ich das bisweilen durchklingende Lob für die Neue Zürcher Zeitung überhaupt nicht. In deren Texten findet sich zumindest am Internet regelmäßig ein derartiges Kauderwelsch (ob aufgrund der Reform oder nicht, ist mir egal), daß sich einem die Haare sträuben. Es gibt noch 'bessere' Beispiele, aber hier ohne langes Suchen eins zum Aufwärmen:

„Militärwaffen: Die Armee muss endlich ihre Verantwortung wahrnehmen!
Grüne Zürich (Thema: Sicherheit), 28. 11.2007 um 16:19

(...) der Täter brauchte für die berserke Tat nicht nur ein Opfer, er benötigte vor allem auch eine Waffe. Und die gab ihm das Militär praktischerweise nach Hause mit. Weils hat Tradition ist. Und irgendwie praktisch.

Die Armee wäscht die Hände – einmal mehr – in Unschuld. Für (...)"

Der Druckfehler interessiert mich nicht, aber die 'berserke Tat' und das 'einmal mehr' und das 'weils'. Wahrscheinlich gibt es irgendwo ein Wörterbuch, das derartigen Wort- oder Schreibgebrauch gutheißt. Ich mag diese Sprache trotzdem nicht. Ich verstehe zwar, was da steht, aber vorbildliches Deutsch klingt anders.

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Sigmar Salzburg
02.12.2007 12.22
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Das lange französische Gedicht
Über den Zusammenhang von Literatur und Nation – oder über dessen Fehlen in Frankreich

Von Cécile Wajsbrot
[…]
Da im Übrigen jeder Versuch einer Rechtschreibreform am Widerstand der Tempelhüter scheitert, leben wir, wie im Ancien Régime, in einer gespaltenen Gesellschaft und Sprache. Die Eliten haben Zugang zur Geschichte der Sprache und der Literatur wie auch zur Geschichte der Nation, die andern – die Mehrheit – bleiben draussen.


http://www.nzz.ch/nachrichten/startseite/das_lange_franzoesische_gedicht_1.585531.html

[Wie glücklich kann sich der deutsche Sprachraum schätzen, daß mit der Ableitung „belemmert“ von „Lamm“ nun die Spaltung von Sprache und Gesellschaft verhindert worden ist.]

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Norbert Lindenthal
24.08.2004 04.57
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NZZ Neue Zürcher Zeitung

24. August 2004, 02:09, Neue Zürcher Zeitung

Wiener Rat

Eine Sitzung zur Rechtschreibreform

So gross das Interesse an der gestrigen Wiener Sitzung zur Rechtschreibreform auch war – nach den Gesprächen übten sich die beteiligten Spitzenbeamten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein nicht ohne Grund in Zurückhaltung. Beim Treffen, das im österreichischen Bildungsministerium stattfand, ging es weder um inhaltliche noch um politische Fragen im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform, wie Hans Ambühl, Generalsekretär der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), betont. Von einer «Krisensitzung» könne keine Rede sein. In Wien habe man lediglich über die Zusammensetzung und die künftigen Aufgaben eines Gremiums beraten, das den Titel «Rat für deutsche Rechtschreibung» tragen könnte. Es wird die bisher bestehende «Zwischenstaatliche Kommission» ablösen und soll nach dem endgültigen Wirksamwerden der Reform ab August 2005 beratende Funktion haben.

An der gestrigen Sitzung haben neben EDK- Generalsekretär Ambühl u. a. auch noch Erich Thies als Vertreter der deutschen Kultusministerkonferenz und Heidrun Strohmeyer vom österreichischen Bildungsministerium teilgenommen. Karl Blüml war als Vorsitzender der Zwischenstaatlichen Kommission geladen. Die Gespräche werden jetzt in einen gemeinsamen Entwurf münden, der dann den jeweiligen Landesbehörden vorgelegt wird. Man sei bei der Wiener Sitzung deutlich weitergekommen, meinte Hans Ambühl. Konkretes soll erst nach der Absprache mit der Politik öffentlich werden.

Dass jetzt auch die Reformgegner ein Gremium namens «Rat für deutsche Rechtschreibung» ins Leben gerufen haben, mit dem das neue Regelwerk bekämpft werden soll, irritiert die Beamten aus den vier Ländern nicht. Man könne die eigene Kommission ja auch anders nennen. Inhaltlich ändere sich dadurch nichts. Der «Reform- Rat», der sich für die Rückkehr zur alten Rechtschreibung einsetzt, hat sich am Sonntag konstituiert. Vorsitzender ist der Münchner Autor Hans Krieger. Als Ehrenmitglieder fungieren Elfriede Jelinek, Wulf Kirsten, Günter Kunert und Reiner Kunze.

Paul Jandl

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Norbert Lindenthal
23.08.2004 12.30
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NZZ Neue Zürcher Zeitung

«Krisengipfel» zur Rechtschreibereform ohne Ergebnis
NZZ Online - vor 1 Stunde gefunden
Spitzenbeamte aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein haben sich in Wien zu Beratungen über die Zukunft der Rechtschreibreform getroffen. ...

23. August 2004, 14:20, NZZ Online

Beratungen zur Rechtschreibereform ohne Ergebnis

Treffen von Spitzenbeamten in Wien

Spitzenbeamte aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein haben sich in Wien zu Beratungen über die Zukunft der Rechtschreibreform getroffen. Das Gespräch ging wie erwartet ohne konkretes Ergebnis zu Ende.

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Dossier: Rechtschreibereform

(ap) Diskutiert wurde am Montag unter anderem der deutsche Vorschlag, einen Rat für Rechtschreibung einzurichten, der die so genannte Zwischenstaatliche Kommission ablösen soll, deren Mandat im kommenden Jahr endet. Die Ergebnisse des Treffens sollen in einen Entwurf einfliessen, der von deutscher Seite vorgelegt wird, wie eine Vertreterin des österreichischen Bildungsministeriums nach der Sitzung mitteilte.

Österreich steht weiter zu neuen Regeln

Besprochen worden seien die Zusammensetzung und die Aufgaben des künftigen Rats sowie der Geltungsbereich der Rechtschreibregeln in Schule und Verwaltung, sagte Heidrun Strohmeyer laut einer Meldung der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Über die Zukunft der Rechtschreibreform nach den jüngsten Entwicklungen habe man hingegen nicht gesprochen. Österreich stehe aber weiter zu den neuen Schreibregeln.

An der Sitzung nahmen neben Strohmeyer unter anderen der Generalsekretär der deutschen Kultusministerkonferenz, Erich Thies, der Generalsekretär der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, Hans Ambühl, und der Vorsitzende der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, Karl Blüml teil.

Der Widerstand formiert sich

Am Sonntag hatten Reformgegner aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in München einen unabhängigen «Rat für deutsche Rechtschreibung» ausgerufen. Das Gremium, das sich für die Wiederherstellung der Schreibweisen vor der Reform einsetzen will, sprach den Kultusministern das Recht ab, «eine weitere Rechtschreibkommission zu berufen, deren einzige Aufgabe es sein kann, das offenkundige Scheitern der Rechtschreibreform hinauszuzögern».

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Dominik Schumacher
23.08.2004 04.53
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NZZ Neue Zürcher Zeitung

23. August 2004, 02:11, Neue Zürcher Zeitung

Braucht es eine Einheitsorthographie von Göschenen bis Flensburg?

Adolf Muschg und Horst Sitta diskutieren Sinn und Unsinn der Rechtschreibreform

Ein Jahr bevor die neue Rechtschreibung in Schule und Verwaltung hätte verbindlich werden sollen, ist die Debatte um Sinn und Unsinn der Reform noch einmal aufs Heftigste entbrannt. Wir haben mit Horst Sitta einen Urheber der Neuregelung und mit Adolf Muschg einen ihrer prononciertesten Gegner zum Streitgespräch gebeten. Das Gespräch führten Martin Meyer und Roman Bucheli.

Herr Muschg, Sie profilieren sich in diesen Wochen als ausserordentlich energischer Kritiker der Rechtschreibreform. Warum erst jetzt und warum in dieser Intensität?

Adolf Muschg: Mitte der neunziger Jahre wurde die Reform von der Zwischenstaatlichen Kommission praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgeheckt und von den für Kultur zuständigen Behörden sogleich für verbindlich erklärt. Seit sie publik ist, wurde sie von Philologen – zu Deutsch: Liebhabern der Sprache – so gut wie einhellig abgelehnt, von Schriftstellern und Akademien bis zu namhaften Sprach- und Rechtswissenschaftern. Ihr Einspruch wurde nicht gehört, selbst die unvermeidlichsten Korrekturen der Reform wurden noch als ihre Errungenschaften ausgegeben. Die starre Front wankt erst, seit drei weitere grosse deutsche Presseunternehmen ausgeschert sind.

Horst Sitta: Die Frage nach der späten Kritik ist sehr berechtigt. Denn wir, die wir die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung im Auftrag der Erziehungsbehörden der deutschsprachigen Länder entwickelt haben, werden jetzt zu einer Debatte genötigt, die vor fünfzehn Jahren hätte geführt werden müssen und die wir damals auch angeboten haben. Ich weise den Vorwurf zurück, Herr Muschg, dass in stillen Hinterzimmern getagt worden sei. Es hat von Anfang an Öffentlichkeit und Transparenz gegeben.

Wie kommt es, dass Sie einen politischen Auftrag erhalten haben? War die Rechtschreibreform gar kein sprachimmanentes, sondern ein politisches Unternehmen seit ihren Anfängen?

Sitta: Sie ist ein Unternehmen, das die Schreibung betrifft, nicht die Sprache. Es liegt mir sehr daran, das auseinanderzuhalten. Es geht nicht um Sprache, es geht um Rechtschreibung, und der Auftrag kam von den Kultus- und Erziehungsbehörden, dies aus einer Tradition heraus, die diese Behörden seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts verfolgen, es geht dabei darum, für die Schule das Lehren und das Lernen einer einheitlichen Rechtschreibung zu sichern.

Muschg: Ihre Trennung finde ich akademisch – im negativen Wortsinn. Wenn der Zahnarzt erklärt, seine Operation tue gar nicht weh, und der Patient schreit vor Schmerz – wer hat Recht? Es ist der empfindlichste Teil der Sprachgemeinschaft, vorweg die literarischen Autorinnen und Autoren, der mit der Reform nicht leben kann und will. Aber auch dem schlichtesten Praktiker der Sprache leuchtet ein, dass es sinnlos ist, sich als Schüler mühsam eine Rechtschreibung anzueignen, die man als Zeitungsleser ignorieren muss. Es sind die Tatsachen, die das Urteil über die Reform sprechen. Wo sie nicht auf dem Weg der Verfügung durchsetzbar ist, wird sie nicht angenommen.

Zwei Welten

Wir haben jetzt das Faktum von zwei Welten: einerseits die Welt der Schulen, der Ämter und anderseits die Lebenswelt der Zeitungen, der Verlage, der Schriftsteller usw.

Sitta: Das ist so nicht wahr, es wird ja weit über die Welt der Schulen und der Ämter hinaus nach den neuen Regeln geschrieben. Aber es ist völlig klar, dass wir nur für die zwei Bereiche, für die der Staat über die Regelungsgewalt verfügt, verbindlich regeln können.

Ursprünglich wäre doch das Ziel gewesen, dass alle an der Sprache Beteiligten die Reform vernünftigerweise übernehmen sollten. Für wen sollte diese Reform gut sein? Das ist die Kernfrage.

Sitta: Für die Schule, die Lernenden und Lehrer, und – wie gesagt – für die öffentliche Verwaltung. Für sie haben wir die Regeln transparenter und handhabbarer gemacht. Das war das Ziel. Und wir haben allerdings die Hoffnung, dass die schreibende Öffentlichkeit sich dem dann auch anschliesst. Das hat sie weitgehend getan. Bisher haben nur die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» und vielleicht der «Ostpreussische Heimatbote» sich von der neuen Rechtschreibung abgewendet.

Die Reform sei von oben, von der Politik her dekretiert worden, behaupten die Gegner. Aber kann man eine Sprachreform dieser Tragweite überhaupt durchführen, ohne sie durch die politischen Gremien sanktionieren zu lassen?

Muschg: In der Tat bedürfen die Regeln unseres Sprachverhaltens takt- und liebevoller Nachführung und keiner dirigistischen Führung, nicht einmal des Segens von oben. Eine Ausnahme wäre die gemässigte Kleinschreibung gewesen, die ich persönlich mitgetragen hätte. Dass sie «politisch nicht durchsetzbar» gewesen ist, beunruhigt mich nicht weniger, als dass an ihrer Stelle ein untauglicher Ersatz durchgesetzt werden soll. Auch diesen hätte ich mir gefallen lassen, wenn er als Vorschlag präsentiert und in einem Grossversuch mit offenem Ausgang ausprobiert und ausgewertet worden wäre. Als Vor-Schrift ist er doppelt unerträglich: als solche, und als diese.

Sprach- oder Rechtschreibreform?

Greift die Reform in die Sprache ein?

Muschg: Ja, fundamental. Zwischen der Schreibung einer Sprache, ihrem mündlichen Ausdruck und ihrem tieferen Verständnis bestehen Zusammenhänge, die man nicht zerreissen kann. Eine einheitliche Rechtschreibung hat es in der grössten Zeit der deutschen Literatur nicht gegeben; das hat offenbar die Verständigung der Kulturteilnehmer nicht verhindert. Und was die Vereinfachung betrifft: Das Französische hätte sie, wenn sie nötig wäre, dringender nötig, und das Englische erst recht. Dass auch die absurdeste Inkonsequenz der Rechtschreibung dort kein Lernhindernis ist, beweisen gerade die jungen Leute – im Gegenteil, es ist eine Quelle erwünschter Vieldeutigkeit und eine Einladung zu Sprechlust und Sprachwitz.

Sitta: Ich gebe noch einmal zu Protokoll, dass ich leide, wenn Sie ständig von Sprachreform reden. Ich bin Linguist, und als solcher beobachte ich die Sprache, versuche, ihre Regeln zu erfassen, zu beschreiben. Ich bin derjenige, der vor Ihnen, Herr Muschg, auf die Barrikaden gehen würde, wenn jemand versuchen würde, dieser Sprache Regeln aufzuerlegen. Das ist anders bei der Schreibung. Es hat in der ganzen Geschichte der Schreibung Eingriffe gegeben, es hat freilich auch immer eine grössere Vielfalt der Schreibung gegeben, als wir sie jetzt haben. Eine Kultursprache braucht aber eine Einheitsorthographie; das gilt vor allem dann, wenn die regionale Basis zersplittert ist. Wir brauchen eine Einheitsorthographie, die von Göschenen bis Flensburg geschrieben werden kann, damit wir uns verständigen können. Die muss so organisiert sein, dass sie in der Schule gelehrt und gelernt und von Schreibungeübten einigermassen gehandhabt werden kann.

Aber die Schüler von heute werden die Schriftsteller von morgen sein, und ihnen wird nach diesen Eingriffen eine um viele Bedeutungsnuancen ärmere Sprache beigebracht.

Sitta: Ich bestehe darauf: Es geht nicht um einen Eingriff in die Sprache, sondern in die Schreibung von Sprache.

Wir haben nicht ganz verstanden, wie Sie einerseits die Sprache und anderseits deren Schreibung auseinanderhalten.

Sitta: Sprache war da, lange bevor es Schrift gab, und lange bevor ein Kind schreiben kann, kann es sprechen. Wenn dann geschrieben wird, braucht es Konventionen, damit Lesende und Schreibende einander verstehen. Wenn der Lesende Geschriebenes liest, dann bringt er es innerlich wieder zum Klingen. Er verflüssigt es gewissermassen und versucht das zu verstehen, was der andere gesagt hätte, wenn er sprechen würde.

Muschg: Das klingt jetzt, als wäre die Rechtschreibreform eine Einladung zu mehr Freiheit im Sprachgebrauch. Dabei war es die erklärte Absicht, Zweifelsfälle zu eliminieren, also die Spielräume einzuengen. Man kann aber nicht in der Schrift junge Menschen – aber auch mündige Bürger – stärker anbinden, damit die sich als Sprecher freier bewegen.

Herr Muschg, hätten die deutschen Akademien, besonders auch die Berliner Akademie der Künste, eine aktivere Rolle spielen sollen?

Muschg: Die Aufforderung dazu hat uns nicht früh genug erreicht – aus welchen Gründen immer; und als wir uns darauf einliessen, hiess es: zu spät.

Welches Echo hat die Reformkommission von den Akademien erhalten?

Sitta: Die Darmstädter Akademie hat sich immer gegen eine Reform der deutschen Rechtschreibung ausgesprochen. Als wir 1992 offiziell unseren Reformvorschlag eingereicht haben, hat die Kulturministerkonferenz Stellungnahmen von 43 Verbänden, darunter die Darmstädter Akademie, erbeten. Im Mai 1992 wurden 30 Verbände zu einer Anhörung nach Bonn eingeladen. Die Akademie hat nicht einmal reagiert. Was den Vorschlag der Akademie für Sprache und Dichtung aus dem Jahr 2003 angeht, so haben wir uns in der Zwischenstaatlichen Kommission sehr detailliert mit den vorgetragenen Überlegungen beschäftigt. Der Befund war: Das ist handwerklicher Pfusch, und die Vorschläge gehen in eine völlig andere Richtung als die Vorgabe der Auftraggeber. Die haben Vereinfachung der Rechtschreibregelung verlangt, der Darmstädter Vorschlag zielt in Richtung einer stärkeren Einzelfalldifferenzierung und grösserer Komplikation. Er war schlicht nicht brauchbar.

Müssten Sie, Herr Muschg, als Präsident der Akademie in Berlin nicht die Initiative übernehmen und mit Vertretern aller Akademien eine Arbeitsgruppe zusammenstellen, um einen qualifizierten Gegenvorschlag ausarbeiten zu lassen?

Muschg: Vorweg: Der Vorschlag der Darmstädter Akademie war nicht der unsere. Aber die Art, wie ihn die Kommission abgeschmettert hat, verriet doch einiges über ihr Selbstverständnis. Die Behörden und ihre Kommission wussten natürlich, dass keine Akademie zu einer dirigistischen Reglementierung der Sprache Hand geboten hätte. Und für das Verfassen von Wörterbüchern sind deutsche Akademien – anders als die französische oder die schwedische – weder eingerichtet noch ausgerüstet. Aber selbst wenn es die Berliner Akademie wäre: Erst muss die verunglückte Reform fallen, dann können wir in aller Öffentlichkeit, aber mit offenem Ausgang, auch mit den Behörden, gern darüber reden, welche Regelung die geschriebene Sprache verträgt und welche nicht. Der Octroi muss weg, dann ist der Weg frei für einen offenen Diskurs aller an der Sprache Beteiligten – und der Streit ist kein schlechter Anfang dazu.

Herr Sitta, wird die Reform fallen?

Sitta: Ich muss zunächst einmal sagen, was Sie, Herr Muschg, leichtfertig opfern, das sind Generationen von Schülern, die jetzt diese neue Rechtschreibung gelernt haben und mit ihr gut zurechtkommen. Sie ist durch alle Schulstufen hindurch eingeführt worden, und die Berichte, die wir von dort haben, sind positiv.

Wird die Reform fallen?

Sitta: Nein.

Muschg: Der Auftrag ist gescheitert.

Sitta: Das sehe ich anders. Die Rechtschreibung hat sich an den Stellen, für die sie gemacht worden ist, durchgesetzt. Sie ist in der Schule und in der Verwaltung akzeptiert, und ich verstehe nicht recht, warum Sie so schlecht damit umgehen können. Sie ist liberaler als die vorhergehende Regelung, und als Schriftsteller können Sie doch souverän mit vorgegebenen Regeln umgehen.

Wie weiter?

War also, Herr Muschg, die Reform unnötig?

Muschg: Inzwischen ist nicht nur abzusehen, dass die geplante Operation dem Patienten nicht bekommt – es ist auch abzusehen, dass sie ihn zum Behinderten macht, und es bleibt festzustellen, dass sie gar nicht indiziert war. Die Sprache braucht die Krücke der Reform nicht, um sich zu bewegen. Der wahre Sachverstand in Sachen Rechtschreibung sitzt in keiner Kommission; er verbirgt sich im lebendigen Sprachgebrauch, und dort lässt er sich auch finden. Die NZZ, die «Zeit» oder die «FAZ» beweisen seit Jahren, dass man die Rechtschreibung taktvoll und leserfreundlich normieren kann, ohne sie in eine Zwangsjacke künstlicher Regeln zu stecken.

Besteht die Chance, dass die Reform zerschlagen wird?

Muschg: Sie hat es bereits fertiggebracht, sich selbst ad absurdum zu führen. Sie war eben keine Marginalie, kein Bagatellfall, als den sie die Reformer inzwischen darstellen, und lässt sich nicht auf Schüler und Ämter eingrenzen. Sie berührt den Kern der Sprache. Wer heute in die Schule geht, ist morgen hoffentlich ein Leser; nicht nur Schriftsteller und Journalisten, auch Polizisten und Gemeindeschreiber sollen dann nicht ignorieren oder sich mühsam wieder abgewöhnen müssen, was sie mühsam gelernt haben. Jetzt schulmeistern wir einander noch, Herr Sitta, aber gerade die Energie, mit der wir es tun, könnte Teil eines gemeinsamen Lernprozesses sein, dessen Gewinner die Sprache ist und die gewachsene Empfindlichkeit für sie. Das wäre doch ein würdiger Nachruf auf die verunglückte Reform.

Sitta: Erstens: Ich gehe davon aus, dass die Neuregelung von den Auftraggebern gestützt werden wird und in Schule und Verwaltung, wo sie angenommen worden ist, wo sie sich bewährt hat, auch durchgeführt wird. Zweitens: Ich denke, wir müssen uns eine Zeit lang auf eine gewisse Pluralität der Schreibungen einlassen. Ich finde, wie Herr Muschg auch, diese Pluralität nicht so sehr schlimm, ich empfinde sie nicht als ein Chaos, weil sich darin die Gemachtheit der Schreibung, nicht die Gemachtheit von Sprache, so deutlich zeigt.

Ein Rat für deutsche Rechtschreibung soll nun das bisherige zwischenstaatliche Gremium ablösen und die Entwicklung der Rechtschreibung beobachten. Wie soll dieser Rat zusammengesetzt sein?

Sitta: Das ist die Frage, um die es bei einer Zusammenkunft von Vertretern deutschsprachiger Länder heute in Wien geht. Der Generalsekretär der deutschen Kultusministerkonferenz hat bei der letzten Sitzung der KMK im Juni den Auftrag erhalten, ein Konzept für diesen Rat vorzubereiten und mit den anderen Ländern zu besprechen. Wir in der Schweiz haben in dieser Frage bisher keine konzeptuelle Entwicklung betrieben, sondern warten auf die Vorschläge des deutschen Vertreters. Es sind bis jetzt Anm. d. Red.: 16. August keine gekommen.

Das ist nun allerdings kein Zeichen besonderer Umsicht. Eine andere Frage: Es ist – auch finanziell – ein ungeheurer Aufwand betrieben worden bei dieser Reform. Wenn Sie, Herr Sitta, zurückblicken auf diese lange Zeit Ihrer Arbeit: Würden Sie noch immer sagen, der Aufwand hat sich im Verhältnis zu dem, was man erreicht hat, gelohnt?

Sitta: Ich bestreite zunächst einmal, dass ein enormer finanzieller Aufwand entstanden ist. Die Übergangszeit hat es möglich gemacht, dass eben nicht sofort alles neu gedruckt werden musste. Aber das kann ich sagen: Wenn ich noch einmal auf die Welt komme, dann bewerbe ich mich darum, einem Volk, das noch schriftlos ist, eine Schrift zu machen; aber einer Kulturnation, die seit 1200 Jahren schreibt, die Rechtschreibung zu reformieren, das tue ich nicht noch einmal.

Rabiate Reformgegner

Die Reformgegner äussern sich zum Teil sehr rabiat. Es gibt kaum ein Thema, das heftigere Leserreaktionen auch bei uns auslöst. Wie erklären Sie sich, dass die Rechtschreibung einen Lebensnerv der Menschen zu treffen scheint?

Muschg: Die Sprache ist ein wunderbares Kulturprodukt, und ihre scheinbare Inkonsequenz ist kein Schwächezeichen. In jeder ihrer Merkwürdigkeiten steckt eine Geschichte, um die man sie nicht mechanisch verkürzen darf, etwa durch Trennungen wie Tee-nager oder Hämog-lobin. Mit der Verdrängung ihrer Vergangenheit zerreissen wir auch ihre Verbindung zu anderen Kultursprachen. Als Organismus steht die Sprache unserem Gehirn näher als dem Computer, sie ist nicht auf entweder/oder oder richtig/falsch programmiert, aber gerade ihre Mehrsinnigkeit setzt uns instand, auch mit dem Computer, wie mit der Wahrnehmung unseres Alltags, sinn- und phantasievoller umzugehen. In einem Labyrinth benötigt man Fingerspitzengefühl, keinen Marschbefehl.

Sitta: Ich bekenne, dass ich das Emotionalisierungspotenzial, das im Rechtschreibbereich besteht, unterschätzt habe. Ihre Erklärung, Herr Muschg, greift wohl zu wenig weit. Im Übrigen leide ich darunter, dass sich die Menschheit darüber aufregen kann, dass irgendwo nun Tee-nager getrennt werden darf, aber nicht auf die Barrikaden geht bei Unwörtern wie Freistellung einer Arbeitskraft – beispielsweise. Also dass Sprachkritik nicht stattfindet im Bereich sprachlicher Bedeutung, wo sie hingehört.

    Horst Sitta, 1936 in Teplitz-Schönau (Böhmen) geboren, war von 1976 bis 2001 Professor für deutsche Sprache an der Universität Zürich. Er präsidierte von 1986 bis 1996 die Arbeitsgruppe Rechtschreibreform der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und ist seit 1997 Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung.

    Adolf Muschg, 1934 in Zollikon geboren, war von 1970 bis 1999 Professor für deutsche Sprache und Literatur an der ETH Zürich. Seit 2003 ist er Präsident der Akademie der Künste in Berlin. Als Essayist und Schriftsteller hat er ein umfangreiches Œuvre geschaffen. In diesen Tagen erscheint von ihm bei Suhrkamp der Essay «Von einem, der auszog, leben zu lernen. Goethes Reisen in die Schweiz».
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Fritz Koch
21.08.2004 21.20
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Laut Horst Sitta bereiten die Weiter-Alt-Schreiber

die Normen von morgen vor.
Diese Normen von morgen sind aber wieder die Normen von gestern.
Warum gelten sie dann nicht einfach auch heute weiter, wenn sie morgen wieder gelten werden? Das Ganze scheint eine riesige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu sein.
Nach der Logik von Horst Sitta steht im Ickler-Rechtschreibwörterbuch schon die Rechtschreibung von morgen. Gute Werbung!

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