auch in der Absicht, von den Lehrern … nicht verstanden zu werden
Süddeutsche Zeitung 25. Dezember 2014, 10:17
Inselstaat Papua-Neuginea
25. Dezember 2014, 10:17
Inselstaat Papua-Neuginea
Man spricht Unserdeutsch
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Papua-Neuguinea besitzt eine üppige Natur und eine Sprachenvielfalt. Mehr als 800 Sprachen sind in dieser Region dokumentiert. (Foto: Imago Stock&People)
In Papua-Neuguinea gibt es Menschen, die ein Deutsch sprechen, das sonst nirgendwo zu hören ist. Es nennt sich Kreolsprache.
Der Augsburger Uni-Professor Péter Maitz hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Kreoldeutsche in dem Inselstaat vor dem Vergessen zu bewahren.
Aber die Sprache ist vom Aussterben bedroht nur noch 100 Menschen sprechen das sogenannte Unserdeutsch.
Von Hans Kratzer, Augsburg
Das Interesse der Deutschen richtet sich auf viele Regionen dieser Erde, Papua-Neuguinea aber steht eher im Schatten der Aufmerksamkeit. Wir wissen wenig über diese Region, die immerhin zu den größten Inselstaaten der Welt zählt. Diese Gleichgültigkeit ist insofern erstaunlich, als ein Teil von Neuguinea vor einem guten Jahrhundert noch eine deutsche Kolonie war. Und tatsächlich sind dort interessante Relikte und Phänomene aus dieser Ära zu entdecken.
Zu den wenigen Deutschen, die in Papua-Neuguinea Erkundungen über die koloniale Vergangenheit anstellen, zählt der Germanist Péter Maitz von der Universität Augsburg, der erst vor Kurzem von einer Forschungsreise zurückgekehrt ist. Maitz hat in Papua-Neuguinea mit Einheimischen gesprochen, deren Muttersprache Deutsch ist. Das klingt kurios, aber ausgerechnet in diesem fernen Teil der Erde gibt es Menschen, die ein Deutsch sprechen, das sonst nirgendwo zu hören ist und Kreolsprache genannt wird.
Das Kreoldeutsche ist kurz davor auszusterben
Während das Englische und das Französische weltweit Hunderte Kreolsprachen hervorgebracht haben, musste das Deutsche diesbezüglich bisher passen. Bis eben eine Spur nach Papua-Neuguinea führte. Allerdings ist das dort entdeckte Kreoldeutsche kurz vor dem Aussterben. Es gibt nur noch hundert Sprecher, ungefähr. Umso größer war der Jubel an der Uni Augsburg, dass diese Sprache rechtzeitig entdeckt wurde, bevor sie endgültig erlischt.
Der australische Dozent Craig Volker war schon vor Jahrzehnten auf das Phänomen aufmerksam geworden. In einem Deutschkurs fiel ihm in den Siebzigerjahren eine dunkelhäutige Studentin auf, die ein etwas schräg klingendes Deutsch sprach. So sprächen die Menschen bei ihr zu Hause alle, erklärte sie ihm, ihre Sprache heiße Unserdeutsch. Craig Volker ahnte bereits, dass er es hier mit einer Kreolsprache zu tun hatte. 1982 machte er die wissenschaftliche Welt auf diese Sensation aufmerksam, indem er die Grundzüge der Sprachstruktur beschrieb.
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Péter Maitz (links) zusammen mit Joseph Schulze Hermann, einem der letzten Unserdeutsch-Sprecher in Papua-Neuguinea und Ost-Australien. (Foto: Péter Maitz)
Die germanistische Fachwelt aber nahm das nicht zur Kenntnis, sie wollte damals lieber Theorie als anstrengende Feldforschung in den Tropen treiben, sagt Péter Maitz, der Inhaber des Augsburger Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft. Gemeinsam mit Craig Volker, der heute an der Divine Word University in Madang, Papua-Neuguinea forscht und lehrt, und unterstützt von seinem Augsburger Kollegen Werner König, machte sich Maitz daran, die Sprache Unserdeutsch vor dem Vergessen zu retten.
Das Faszinierende ist, dass wir genau sagen können, wann und wo die Sprache entstanden ist, sagt Maitz. Als Ausgangspunkt lässt sich eine katholische Missionsstation in Vunapope lokalisieren (heute Provinz East New Britain, ehemals Neupommern im Bismarck-Archipel). Dort ist Unserdeutsch um die Zeit des Ersten Weltkriegs entstanden: Rabaul Creole German wird die Sprache in der Kreolistik genannt. Sie unterscheidet sich in der Grammatik und im Lautsystem zwar deutlich von der deutschen Standardsprache, ist aber trotzdem gut verständlich.
Das Fragepronomen steht zum Beispiel am Ende eines Satzes: Du geht wo? Maskulinum, Femininum und Neutrum sind nicht vorhanden, es gibt nur einen Artikel. Im Unserdeutschen sind Einflüsse vieler Kontaktsprachen nachzuweisen. Immerhin gibt es in Papua-Neuguinea bei gut sieben Millionen Einwohnern mehr als 800 Sprachen. Zwölf Prozent aller Sprachen weltweit können in Papua-Neuguinea lokalisiert werden.
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(Foto: SZ-Grafik)
Das Verständnis für andere Kulturen fehlte komplett
Mit den in der Missionsstation gefundenen Schulregistern und den biografischen Daten der Kinder lässt sich die damalige Entwicklung gut rekonstruieren. Zum einen wurden dort deutsche Kinder unterrichtet, aber auch Mischlingskinder von europäischen Vätern und einheimischen Müttern, die Unterrichtssprache war Deutsch. Gegen Ende der Kolonialzeit kamen auch chinesische, japanische und malaysische Kinder in die Mission, die ebenfalls Deutsch lernten. Die Kinder vereinfachten ihre Sprache, auch in der Absicht, von den Lehrern und Missionaren nicht verstanden zu werden. So bildeten sich neue Sprachnormen heraus, die wiederum ein Gemeinschaftsbewusstsein unter den Kindern entstehen ließen.
Leider scheint bei der Entstehung von Unserdeutsch auch das ganze Elend der damaligen Kolonisationspolitik durch. Die radikale Missionierung und der eurozentrische Zeitgeist verfolgten das Ziel, die einheimische Bevölkerung zu europäisieren und zu christianisieren. Das Verständnis für andere Kulturen fehlte komplett, sagt Maitz. So ist die Entstehung der Sprache auch mit vielen traurigen Schicksalen verknüpft, mit Kindern, die den Familien entrissen oder aufgekauft wurden und im Waisenhaus der katholischen Missionsstation Vunapope ein neues Leben beginnen mussten.
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Die Missionsstation, an der Unserdeutsch vor gut einem Jahrhundert als eine Art Abgrenzungssprache der jungen Insassen entstanden ist. (Foto: Péter Maitz)
Für die heutige Wissenschaft aber sind die damaligen Vorgänge hochspannend. Rabaul Creole German nimmt eine Sonderstellung unter den Kreolsprachen ein. Die Ausburger Wissenschaftler wollen die akut vom Aussterben bedrohte Sprache nun dokumentieren, ihre Struktur systematisch beschreiben und ihre Entstehung und Geschichte rekonstruieren.
Maitz kennt mittlerweile die Namen von ungefähr hundert älteren Sprechern, die heute zerstreut auf verschiedenen Inseln Papua-Neuguineas und in Ost-Australien leben. Im September hat er sich dorthin aufgemacht, um mit den Sprechern Kontakt aufzunehmen und erste Sprachaufnahmen zu machen. Angesichts der bitteren Erfahrungen in der Vergangenheit ist die Kontaktaufnahme nicht immer einfach. Viele haben ein hartes Schicksal hinter sich und sind misstrauisch, sagt Maitz. Gleichwohl hat er es geschafft, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Nun ist die Hilfsbereitschaft groß. Wenn die 60- und 70-Jährigen Unserdeutsch reden, sind zwar bereits Merkmale eines Sprachverlustes zu hören, aber es reicht noch, um es zu dokumentieren. Ich bin sehr zuversichtlich, sagt Maitz.
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