Stern
Rechtschreibung
Geheimsache "ß"
© Roland Magunia/DDP
Coup im Sommerloch: Spiegel-Chef Aust (l.),FAZ-Herausgeber Schirrmacher, hier bei einer Preisverleihung.
Wie die Allianz von Springer (Bild) und Spiegel gegen die neue Rechtschreibung über Monate vorbereitet wurde und warum es am Ende dann doch hopplahopp gehen musste.*
*(Wörter auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln wurden fett hervorgehoben.)
Der Kampf gegen das Doppel-S lief seit 80 Stunden, und die Champagnerlaune war schon ein wenig verflogen, als sich die drei Herren, die das ganze Theater inszeniert hatten, am Montagabend vergangener Woche zur Lagebesprechung im Berliner Promi-Lokal Borchardt trafen. Mehr als drei Stunden lang steckten sie die Köpfe zusammen, blickten ernst, tranken viel Kaffee und noch mehr Wasser. Die Revoluzzer: Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG (Bild, Welt, Hörzu); Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ); Stefan Aust, Chefredakteur des Spiegel.
Ohne Frage, die ebenso mächtige wie ungewöhnliche Medienallianz hatte mit ihrem Beschluss, die von den Kultusministerien beschlossene Rechtschreibreform zu boykottieren, einen Coup gelandet. Springer und Spiegel Seit' an Seit' das gab es nicht oft bisher. Doch der Druck auf andere Blätter, den drei Compaeros zu folgen, blieb vorerst schwach. Der konservative Rheinische Merkur schloss sich an, die liberale Süddeutsche Zeitung grundsätzlich auch, zaudert aber, einen Zeitpunkt für die Umstellung zu nennen. Große Erfolge sehen anders aus.
Der Rechtschreibstreit spaltet die Medienbranche wie das Land. Das Gros der Blätter darunter neben Focus, Zeit und Frankfurter Rundschau auch der stern will bei der seit Jahren gewohnten Rechtschreibung bleiben. Ein Teil der Leser spricht sich gegen die Reform aus, ein anderer wirft den Verweigerern Arroganz gegenüber politischen Entscheidungen und Verantwortungslosigkeit gegenüber Schülern vor, die erneut umlernen müssten. Auch bei Springer und dem Spiegel herrscht keine Einigkeit. Viele Mitarbeiter meinen, die Rückkehr zur alten Rechtschreibung, die auch im internen Postverkehr der Verlage wieder gelten soll, sei schlicht Quatsch. Beim Spiegel stören sich viele daran, dass Chef Aust seine Entscheidung weitgehend allein, allenfalls in Abstimmung mit ein paar Ressortleitern getroffen habe.
Vor allem aber in der feinsinnigen Redaktion der Münchner Süddeutschen Zeitung (SZ) sorgt die Phalanx mit den groben Springer-Blättern Bild am Sonntag (Werbeslogan: Die neue BamS hat mehr Bums!) und Bild für Ärger. Da hat man nun Genossen, die man wirklich nicht wollte, sagt einer, der schon früh in die Überlegungen der SZ zur Abkehr von der Reform eingeweiht war. Zu allem Überfluss erhielt SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz von Bild auch noch den Orden Ein Herz für die deutsche Sprache.
Das Sommertheater war von langer Hand geplant. Im April traf sich das Trio Döpfner, Schirrmacher und Aust zum Abendessen. Springer-Chef Döpfner wetterte mal wieder gegen die neuen Schreibregeln, die sein Verlag seit 1999 anwendet, die ihm aber verhasst geblieben sind. Ob es wohl noch möglich wäre, das Ruder herumzureißen, bevor das neue Deutsch im August 2005 verbindlich werde? Bei Freund Schirrmacher von der FAZ, dessen wertkonservatives Blatt nach einem kurzen Intermezzo bereits vor vier Jahren zur alten Schreibweise zurückgekehrt war, stößt Döpfner auf festen Rückhalt. Aber erst, als auch Spiegel-Chef Aust an jenem Abend beispringt, steht die überparteiliche Front, wie Döpfner sie sich gewünscht hat. Niemand soll die Bewegung später einem Lager zuordnen können. Es gehe ihm allein um die Sache, nicht um Links oder Rechts und nicht um Machtspielchen, will Döpfner die Aktion verstanden wissen.
Der Verbund verabredet, der staatlich verordneten Legasthenie (Aust) erst mal eine Arbeitsgruppe entgegenzusetzen, um Für und Wider der Schreibregeln auszuloten. Ursprünglich, sagt Aust heute, hätten die Experten Kompromissvorschläge erarbeiten sollen, die man der Sprachwissenschaftlerkommission der Länder hätte präsentieren können.
So treffen sich denn die Experten unter großer Geheimhaltung am 28. Juni im Hamburger Spiegel-Hochhaus. Das Nachrichtenmagazin entsendet den Pensionär Heinz P. Lohfeldt, langjähriger Redakteur des Hauses. Die FAZ schickt ihren Literaturchef Hubert Spiegel. Von der SZ, die inzwischen in den Plan eingeweiht wurde, reist Kulturredakteur Hermann Unterstöger an. Den Springer-Verlag vertritt Claudia Ludwig.
Die 55-jährige ehemalige Deutschlehrerin ist dem Haus verbunden. Sie ist verheiratet mit Christian Delbrück der Ex-Vorstand leitet heute die Geschäfte bei der Springer-Lokalzeitung Hamburger Abendblatt. Und sie hat die richtige Einstellung als scharfe Gegnerin der neuen Sprachregeln (Ich kämpfe gegen diese Reform bis zu meinem Lebensende.). Zusammen mit anderen Frauen hat sie die Initiative Lebendige deutsche Sprache zur Rettung der klassischen Rechtschreibung gegründet.
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Geheimsache "ß"
© Bernd Settnik/DPA
Zettelte die Blockade an: Springer -Chef Döpfner
Während Ludwig im Hintergrund für das Verlagshaus an der Reform rüttelt, findet ihre Mütterinitiative in Springer-Blättern bereitwillig Gehör. Sie wollen schreiben wie früher, betitelt das Hamburger Abendblatt im Juni einen Bericht. Und Bild jubelt im August: Jetzt gehen die Mütter auf die Barrikaden! Springer-Sprecherin Edda Fels findet an all dem nichts Anstößiges: Wir haben Frau Ludwig als Expertin um Rat gebeten. Sie ist weder bei uns angestellt, noch wurde sie für ihren Rat bezahlt. Ludwig betont, ihr Mann habe ihr öffentliches Wirken eher behindert denn gefördert.
Nicht allzu überraschend kommt die geheime Kommission zu dem Schluss, an den neuen Regeln sei nichts, aber auch gar nichts zu retten. Der Weg der sanften Einflussnahme über die jahrelange Berichterstattung ist gescheitert, sagt Aust rückblickend. Allein der Vertreter der Süddeutschen zeigt sich weniger kategorisch. In München wird das Thema längst nicht so wichtig genommen. Chefredakteur Kilz kümmert sich kaum noch darum.
Anders Springer-Chef Döpfner. Der klopft die Haltung in anderen Medienhäusern ab keiner sonst will mit vorpreschen. Auch intern muss er einige Chefredakteure noch auf Linie bringen. Vor allem bei den Jugendmagazinen der Verlagstochter AS Young Mediahouse (Yam!) ist die Befürchtung groß, dass ihnen Leser weglaufen. Zwar spricht sich eine Bevölkerungsmehrheit in Umfragen gegen die Rechtschreibreform aus, das Gros der Jungen aber will die neu erlernte Schreibweise beibehalten. Doch Döpfner, das macht er in einer Telefonkonferenz mit den Chefs der Blätter klar, duldet keine Abweichung.Interview: Sie stiften nur Verwirrung
Maximilian Popp, 18, Chefredakteur der vom Spiegel ausgezeichneten Schülerzeitung Rückenwind, will weiter neu schreiben.
Herr Popp, der Spiegel hat Ihr Blatt Rückenwind zu Deutschlands bester Schülerzeitung gekürt. Folgen Sie nun den Hamburger Kollegen und kehren ebenfalls zurück zur alten Rechtschreibung?
Das wäre Schwachsinn. Einige Zeitungen und Zeitschriften möchten das Rad zurückdrehen und stiften nur Verwirrung. Die Süddeutsche Zeitung will künftig anders schreiben als die Frankfurter Rundschau, der Spiegel anders als Focus. Wie absurd!
Auch bekannte Schriftsteller verweigern sich der neuen Rechtschreibung.
Günter Grass und Martin Walser können gern weiter so schreiben, wie sie es seit 70 Jahren gewohnt sind. Aber viele Schüler lernen seit der ersten Klasse die neuen Regeln. Sollen die jetzt alle wieder von vorn anfangen?
Finden Sie die neue Rechtschreibung denn rundum gelungen?
Kreme und Krepp würde ich im Leben nicht schreiben. Aber Doppel-S nach kurzen Vokalen leuchtet ein, und die Kommaregeln sind einfacher als früher. Das Thema wird doch viel zu hoch gehängt. Spiegel, Bild & Co. haben einen Weg gefunden, wie sie ihr Sommerloch stopfen können, das ist alles. Jetzt proben sie die Revolution und haben ihren Spaß.
Interview: Alexander Kühn Die Schreibumstellung sollte ursprünglich symbolbeladen zum 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, erfolgen. Dass die Verkündung so früh kam, lag an der Politik. Plötzlich mäkelten die CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller (Saarland) und Christian Wulff (Niedersachsen) an der von ihnen selbst bestätigten Reform herum. Die Deutsch-Debatte nahm Fahrt auf zu viel für Döpfners und Austs Geschmack. Die Gefahr bestand, dass ihr lange geplanter Handstreich im Herbst wie schnöde Trittbrettfahrerei auf dem CDU-Ticket ausgesehen hätte.
So wird die Aktion vorgezogen. Neuer orthografischer D-Day: Freitag, 6. August. Hastig versucht Springer-Chef Döpfner in den Tagen davor, Süddeutsche-Chef Kilz einzunorden er erreicht ihn nicht. Muss es halt ohne Kilz gehen. Aust informiert einige Ressortleiter, ventiliert die Meinungslage bei den Gesellschaftern, fühlt sich gestützt. Am Freitag, dem 6. August, um 11.09 Uhr schickt Döpfner die Direktive per Mail an die Verlagsmitarbeiter. Minuten später gehen die Verlage an die Öffentlichkeit: Spiegel-Verlag und Axel Springer AG kehren zur klassischen Rechtschreibung zurück. Die Süddeutsche schließt sich halbherzig an, obwohl dort keiner ganz zurück zum Alten will.
Als flammender Befürworter der Verlagsaktion erweist sich hingegen Kai Diekmann, Chefredakteur von Bild und schon früh direkt in die Pläne seines Vorstands Döpfner eingebunden. Diekmann liebt Kampagnen. Mal ist er für Reformen, mal ist er gegen Hartz IV. Nun also die Rechtschreibreform. Bild tischt seinen zwölf Millionen Lesern beinahe täglich Neues über die Schlechtschreibreform auf. Allenfalls zwei Prozent des Wortschatzes sind von der Neuregelung betroffen doch Bild macht Dampf: Allein seit Anfang August wird in 24 Artikeln für den Erhalt der alten Orthografie getrommelt. Dass Diekmann im Eifer des Gefechts auch mal übers Ziel hinausschießt, geht im Meer von Kronzeugen wie Franz Beckenbauer, Veronica Ferres, Vicky Leandros und Heino fast unter: Uwe Knüpfer, Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, fand sich unter den Befürwortern der Springer-Aktion wieder. Tatsächlich bleibt die WAZ bei der aktuellen Sprachregelung.
Das Anti-Reformer-Trio muss nun durchaus um seinen Erfolg zittern. Nicht unwahrscheinlich, dass die Kultusminister die Reform erst recht durchziehen und sie ohne große Änderungen verbindlich werden lassen. Das weiß auch Spiegel-Chef Aust. Er spekuliert dennoch auf ein Einlenken der Politik. Es wäre doch schon ein Erfolg der Verlagsaktion, wenn beide Schreibweisen parallel bestehen blieben: Die Spaltung existiert sowieso.
Das trifft auf die Spiegel-Gruppe selbst zu. Zu dem Haus gehört auch das Manager-Magazin. Dort wird weiter die neue Rechtschreibung gepflegt. Chefredakteur Arno Balzer: Wir sehen kurzfristig keinen Handlungsbedarf.
Johannes Röhrig
Meldung vom 19. August 2004
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