Ausrottungsphantasien
An Dormagener Straßen überlebt das scharfe s
[Bild]
Die Franz-Faßbender-Straße in Delhoven darf das "ß" in Faßbender auf jeden Fall behalten. Eigennamen müssen nicht geändert werden. FOTO: LINDA HAMMER
Dormagen. Schloßstraße und -platz, Haselnußweg,
Roßlenbroichstraße trotz Rechtschreibreform gibt es auf Schildern noch alte Schreibweisen. Von Stefan Schneider
Sie war eine der umstrittensten Neuerungen in der Geschichte der Bundesrepublik, und wahrscheinlich hat keine andere für soviel Verwirrung, Hickhack und Ärger gleichzeitig gesorgt wie die Rechtschreibreform. Während mittlerweile viele Menschen verunsichert sind und sich oft nur mithilfe des Dudens mühsam den Weg durch den Regel-Dschungel bahnen können, hat sich zumindest eine Änderung weitgehend in den Köpfen festgesetzt, weil diese Vereinbarung zu denen gehört, die man sich relativ leicht merken kann: Das scharfe s (ß) folgt nur noch auf lang gesprochene Vokale wie zum Beispiel das a in Maßnahme, das o in Soße oder das u in Fuß" oder Gruß". In Dormagen aber (und fairerweise muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass dies in vielen anderen Städten genauso ist) hat das "ß" punktuell bislang auch da überlebt, wo es streng genommen nicht mehr hingehört.
Gemeint sind die Schreibweisen auf einigen Straßenschildern. Denn in Zons gibt es nach wie vor den Schloßplatz und die Schloßstraße, in Gohr den Haselnußweg und in Stürzelberg die Roßlenbroichstraße. Dabei hatte die Kultusministerkonferenz schon vor vielen Jahren gefordert, dass auch Straßennamen auf Schildern mittelfristig nach den neuen Rechtschreibregeln geschrieben werden müssen; auch die Gesellschaft für Deutsche Rechtschreibung [?] ist der Auffassung, dass die 2006 in Kraft getretenen Neuregelungen zur Deutschen Rechtschreibreform auf Straßennamen zu übertragen ist. Die Kommission für deutsche Rechtschreibung [?] empfiehlt Städten ebenfalls, die Straßennamen anzupassen.
In Dormagen indes gilt offenbar der Grundsatz: Wo kein Kläger, da kein Richter [welch Untertanengeist!]. Ute Waldeck von der städtischen Pressestelle ist mit der Straßennamen-Frage immer konfrontiert, wenn sie an einer neuen Bürgerbroschüre für Dormagen arbeitet. Aber seitens der Stadtplanung ist bislang stets an den alten Schreibweisen festgehalten worden mit der Begründung, dass der Stadtrat die Namen einst so beschlossen hat, berichtet Waldeck. Die Beschlüsse waren allerdings vor der Rechtschreibreform gefasst worden. Heißt: Sie müssten geändert werden. Dazu bedürfte es aber eines offiziellen Änderungsbeschlusses durch die Politik, sagt Waldeck. Dieser könnte zum Beispiel auf Initiative der Stadtverwaltung gefasst werden.
Derzeit ist ein solcher Schritt aber nicht in Sicht.
Waldeck hat eine Vermutung, woran das liegen könnte. "Nach meiner Einschätzung wollen die Bürger eine solche Änderung gar nicht", sagt Waldeck. Vor allem ältere Menschen hätten keinen Zugang zu den Regeln der Rechtschreibreform: Sie schreiben auch dass weiterhin mit "ß", wo das früher so vorgesehen war weil sie es eben so gelernt haben. Viele seien auch der Ansicht, dreimal der_selbe Konsonant hintereinander (wie in Schlossstraße) sähe einfach komisch aus, sagt die Stadtsprecherin.
Auf jeden Fall überdauern wird in Zukunft das scharfe s in der Franz-Faßbender-Straße in Delhoven. Denn eine Änderung von Eigennamen sieht die Rechtschreibreform nicht vor. Franz Faßbender war von 1961 bis 1969 Gemeindebürgermeister.
Quelle: NGZ
rp-online.de 28.10.2014
„In der Neuregelung der Daß-Schreibweise haben die Minister ihre Kompetenz überschritten...“ Verfassungsrichter a.D. Prof. Mahrenholz (SZ 23.8.1997)
Die 1998 urteilenden Verfassungsrichter haben sich über diese Einsicht ihres früheren Kollegen hinweggesetzt. Obwohl die Politiker hätten erkennen können, welches Umweltgift für die deutsche Schreibkultur sie damit in die Welt setzen, waren sie dazu nicht willens oder fähig: Heide Simonis (SPD) erklärte auf der ersten Ministerpräsidentenkonferenz, man habe sich 'bis in die tiefsten Details' mit der (von den Reformierern bis 1994 erschwitzten) Reform beschäftigt und sei zu dem Ergebnis gekommen, 'daß wir dem so nicht zustimmen können'. (SZ 28.10.1995) Nach der nächsten Konferenz der 16 Ministerpräsidenten verkündete Simonis völlig unbegründet: „Die Neuerungen dienen jetzt wirklich der Erleichterung. (Die WELT, 16.12.1995)
Am 1. Juli 1996 setzte dann der Vertreter der 16 Kultusminister, Karl-Heinz Reck, seine Unterschrift unter die Wiener „Absichtserklärung“, die dem Volk als Staatsvertrag ausgegeben wurde. Es folgte die erste Inkraftsetzung am 1. August 1998. Am 27. September 1998 lehnten die Schleswig-Holsteiner die „Reform“ stellvertretend für ganz Deutschland in einem Volksentscheid ab. Da dämmerte es den Kultusministern allmählich, „daß die Reform ein Fehler war“ (KMK-Wanka 2005). Dem dreisten Politikerpack gelang es dennoch, unter Beihilfe der Medienmafia das ss-Schurkenstück auch nach den kosmetischen Korrekturen von 2006 beizubehalten.
|