Ein Wertkonservativer für die Reform
Ein Leserbrief aus der 'Berliner Zeitung' vom 10.8.02:
»Die Reform ist nicht konsequent genug
Mein Rat an Ihre Zeitung: Lassen Sie sich nicht auf eine einfältige Animosität gegen die neue Rechtschreibung ein. Deren Fehler ist, dass sie nicht konsequent genug war, was wir den Sturköpfen in Deutschland verdanken (und Frau Hanna-Renate Laurien mit ihrem wiederholten Witz, man müsse doch unterscheiden zwischen Ich habe in Moskau liebe Genossen und Ich habe in Moskau Liebe genossen). Konsequente Kleinschreibung wäre die richtige Reform gewesen. Aber davon werden wir erst im nächsten Jahrhundert reden.
Dr. Joachim Kramarz, Berlin«
Christian Melsa hat diesen Brief auf dem Nachrichtenbrett völlig zu Recht wie folgt kommentiert:
»Einfältige Animositäten
Dr. Kramarz liefert die Musterargumentation der Reformbefürworter: Man muß dafür sein, weil die Sturköpfe (die Konservativen, die Ewiggestrigen...) dagegen sind. Da man einfach nicht ernsthaft behaupten kann, die Reform sei gelungen, zieht man sich auf den Standpunkt zurück, sie sei noch nicht konsequent genug gewesen aber wenigstens doch überhaupt eine Reform. Hauptsache, man hat den Sturköpfen eins ausgewischt, ha! Anders kann die Haltung eigentlich nicht motiviert sein, denn Kramarz bringt ja extra noch einmal zum Ausdruck, was seiner Meinung nach die richtige Reform gewesen wäre: Konsequente Kleinschreibung. Unter Anwendung logischer Folgerungsmethoden muß man daraus schließen, daß die vorhandene Reform seiner Meinung nach also nicht die richtige Reform gewesen sein kann, denn dort wurde ja genau die gegenteilige Richtung eingeschlagen. Inhaltliche Gesichtspunkte sind für Leute wie ihn also irrelevant. Hauptsache Reform, Hauptsache anders, völlig egal, worum es überhaupt geht. Welch erstaunliche Oberflächlichkeit für jemanden mit Doktortitel, und welch einfältige Animosität gegen die freie Sprachentwicklung.«
Man möchte es nicht für möglich halten doch der Lebenslauf von Dr. Joachim Kramarz liest sich (ich zitiere aus den Internetseiten der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.V.) so:
»Geboren 1931 in Gleiwitz (Oberschlesien); römisch-katholisch, Oberstudiendirektor i.R., bis 1996 Direktor des Marie-Curie-Gymnasiums in Wilmersdorf, über 20 Jahre Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes Landesverband Berlin (später Berlin/ Brandenburg), heute Vorsitzender der TheaterGemeinde Berlin/ Brandenburg, Mitglied der CDU Berlin, engagiert für den deutsch-jüdischen Dialog durch 20 Reisen mit Schülern und Lehrern nach Israel, Verfasser der ersten Biographie über Claus Graf Stauffenberg, Inhaber des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse.«
Verblüffend, nicht wahr?
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Jörg Metes
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