Kreuzverhör
Lieber Herr Lindenthal,
ich wollte eigentlich meinem Vergleich mit dem Englischen gar nicht mehr viel hinzufügen, aber Sie baten mich inständig um Auskunft. Daher versuche ich spontan zu antworten, was mir zu Ihren Fragen einfällt.
- Ist Unterricht und insbesondere Sprachunterricht totalitär?
Nein. (Das ist mir zu pauschal und zu kraß, und ich wüßte nicht, warum speziell am Sprachunterricht etwas Totalitäres sein soll. Ebenso könnte man fragen: Ist Kommunikation totalitär? Sind Interessen totalitär? Ist die Ehe totalitär? Das bringt nichts. Ich möchte hier jedenfalls nicht an solchen philosophischen Grundsatzdebatten teilnehmen, die mit der Praxis nicht mehr viel zu tun haben.)
– Sind nicht alle Wörterbücher (und nicht nur jedes „Wörterbuch vom Typ des Duden“) „Bürokratie“ und „Murks“?
Das ist mir auch zu pauschal gefragt. Als ich von Murks gesprochen habe, war das eine naheliegende Schlußfolgerung aufgrund von drei anschaulichen Beispielen bzw. Beobachtungen. Wörterbücher können, wie andere Produkte auch, sehr verschieden sein, auch was die Qualität betrifft. Nur weil eines in bestimmter Hinsicht Murks ist, müssen nicht alle in jeder Hinsicht Murks sein.
– Würde man das Wort „Fakultativschreibung“ richtig übersetzen mit „Beliebigkeitsschreibung“? Wenn nein, wie würden Sie beide Begriffe voneinander abgrenzen?
Mit Fakultativschreibung verstehen wir hier so sehe ich es entsprechende Angaben im Wörterbuch, nach denen in bestimmten Bereichen mehrere Varianten der Schreibung zur Auswahl stehen, einfach weil es sie in einer solchen Anzahl gibt, daß es unrealistisch und Willkür wäre, wenn das Wörterbuch nur jeweils eine Variante verzeichnen bzw. erlauben würde. Das ist etwas ganz anderes als die allgemeine Haltung Wie man schreibt, ist egal diese würde ich als Beliebigkeitsschreibung bezeichnen.
Wenn Sie unbedingt wollen, können Sie die Fakultativschreibung als Beliebigkeitsschreibung in bestimmten Bereichen bezeichnen. Das liegt aber nicht daran, daß der Wörterbuchmacher plötzlich keine Lust mehr gehabt hätte, ordentliche Auskünfte zu geben, sondern (vor allem) daran, daß es tatsächlich in der Rechtschreibung breite Bereiche der Varianz gibt, die ein ordentliches (realistisches, vernünftiges) Wörterbuch anerkennen sollte.
– Warum wollen Sie überhaupt auf-, be- oder gar vorschreiben, wie Wörter heißen und geschrieben werden sollen? Zusatzfrage: Warum will man Kinder bezüglich der Schreibweisen einengen?
Sehr allgemeine Fragen wieso soll ich hier so viel Grundsätzliches beantworten? Aber zu den Fragen: Es ist nützlich, wenn man darüber informiert werden kann, wie man schreibt. Mit Standards, mit einem sinnvollen, funktionierenden System und dem entsprechenden Unterricht sowie mit entsprechenden Nachschlagewerken geht es nun mal besser, als wenn jeder alles selber erfinden oder sich mühsam zusammensuchen müßte.
Dabei sollen weder Kinder noch Erwachsene eingeengt werden, sondern sie sollen kennenlernen, wie sich die anderen verständigen, damit sie möglichst schnell und problemlos mitmischen können.
Wenn Sie unbedingt möchten, können Sie dabei von Einengung reden, aber was ist das für eine komische Perspektive? Wenn ich an etwas teilnehmen will, muß ich mich darauf einlassen und kann nicht zugleich alle möglichen Alternativen verfolgen. Das ist ganz allgemein so, nicht nur beim Erwerb von sprachlichen Kenntnissen. Soll ich mich darüber beklagen, daß wir unsere Kinder einengen, weil wir ihnen unsere Muttersprache beibringen und nicht zugleich alle möglichen anderen existierenden oder noch zu erfindenen Sprachen? Mir kommt die Frage polemisch vor.
– Ist nicht Sprache im allgemeinen und Sprachunterricht im besonderen Einengung und Bürokratiemurks (denn wenn ich jemanden an- oder volltexte, zwinge ich ihn, das zu denken, was mein Gesagtes ausdrückt und von dem ich will, daß er es denken soll; wenn ich Kinder in einer bestimmten Sprache aus einem soziokulturellen Kontext sozialisiere, dann präge und bestimme ich deren Denkwelt – ist das denn zu rechtfertigen? Wenn Duden Bürokratie ist, steht dann nicht sämtlicher Sprachunterricht im bürokratisch-totalitären Zwielicht? (So gesehen kommt mir noch nachträglich meine ganze Schulzeit hoch!)
Siehe oben. Was soll das? Wenn ich Auto fahren will, muß ich zuerst die Bedienung von Kraftfahrzeugen erlernen und die Straßenverkehrsordnung einigermaßen einhalten. Jedes Lernen ist Prägen. Damit hat man aber normalerweise keine Probleme, sondern man empfindet es als Fortschritt und Bereicherung, wenn man sich in bestimmte Bereiche einarbeitet. Zum Beispiel, weil man dann Auto fahren kann. Dann hat man ja erst die Freiheit zu entscheiden, wohin man wann (mit dem Auto) fahren will. Es gibt immer Leute, die sich dann darüber aufregen, daß sie nicht überall beliebig schnell fahren können (= eingeengt werden), aber das ist schließlich kein Anlaß zu sagen: Fahrt wie ihr wollt!
– Wie können Sie es rechtfertigen, gerade ein bestimmtes Maß an Beliebigkeitsschreibung durchsetzen zu helfen, und nicht deutlich mehr oder deutlich weniger?
Dort, wo viel Varianz existiert, erkenne ich sie an. Dort, wo sich eine Norm herauskristallisiert hat, stelle ich sie fest. Wo genau verlaufen die Grenzen? Sie verlaufen nicht genau, sondern es gibt breite Bereiche des Übergangs, des Zweifels, der Differenzierung. An dieser Stelle muß sich der Wörterbuchmacher entscheiden, sonst wäre das Wörterbuch unerträglich kompliziert und unbenutzbar. Damit ist immer Willkür verbunden. Aber allein deshalb ist das Wörterbuch nicht gleich völlig unbrauchbar, sondern verschiedene Wörterbücher gehen mit diesem Problem verschieden um, und dann kann das Publikum diskutieren, wer es am besten gelöst hat, und der einzelne kann jenes Wörterbuch kaufen, das ihm am besten zusagt. Deswegen ist es auch besser, wenn es kein staatliches Monopol bzw. Privileg gibt.
– Sie erwähnen Aktien Portfolio; ist diese Schreibart denn nun im grünen Bereich? Oder haben Sie es gar nicht erwähnt, um solche angelsächselnde Schreibweise einer Begutachtung zu unterziehen?
Ist nicht im grünen Bereich, weil der Norm zuwider. Es geht hier nicht nur um Aktien Portfolio, sondern die Norm betrifft ganz allgemein Substantivkomposita. Die Zusammenschreibung (ggf. mit Bindestrich) ist eine der härtesten Normen der deutschen Rechtschreibung mit weit über 99 Prozent Verwirklichung bei ernstzunehmenden Schreibern. Wenn hier mehr Probleme auftauchen als früher, ist damit noch lange nicht die Norm in Frage gestellt.
Ohne Ihre Antworten bin ich in dieser Sache ziemlich ratlos.
Hoffentlich jetzt weniger.
Das mit dem Mittel Gebirge und der WasserKante war von Ihnen doch nur als Scherz gemeint? Aber mir ist in dieser Sache gar nicht so zum Scherzen zumute.
Natürlich ein Scherz.
Ich möchte mit einer Gegenfrage antworten, die auf meinen ursprünglichen Beitrag Bezug nimmt. Laut Google existiert der englische Begriff für Wasserski ungefähr gleich häufig zusammengeschrieben und getrennt geschrieben. Von der Sache her ist natürlich auch die Schreibung mit Bindestrich möglich, diese ist allerdings relativ selten. Mein Oxford-Rechtschreibwörterbuch wollte nur eine Schreibweise vorführen und hat sich für die mittlere Schreibweise entschieden, für die mit Bindestrich (obwohl sie wie gesagt die seltenste ist). Ich habe gesagt, daß ich eine Fakultativangabe water_ski für die beste Lösung halte. Wie würden Sie sich entscheiden?
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