Interview Josef Kraus, Präsident Deutscher Lehrerverband
Kraus-Interview (10 Minuten, 1,7 MB)
Jürgen Liminski: [Es geht] um die Sprache der deutschen Kultur, genauer, um die Rechtschreibung. Die Bildungsbehörden der deutschsprachigen Länder wollen sich noch in diesem Monat in Wien über das weitere Vorgehen verständigen, zum aktuellen Stand des Streits um die Reform sprechen wir mit dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus.
Die Rechtschreibreform, das ist ein Thema wie es deutscher nicht sein könnte – immerhin ist die Sprache, wie Humboldt schon sagte, der Geist-Leib des Menschen, oder, wie Schopenhauer meinte, das geistige Antlitz des Menschen, und da können Wortungetüme mit drei Konsonanten hintereinander schon wie kleine Pockennarben auf der Stirn erscheinen. Es geht nicht nur darum, wie wir schreiben, sondern auch, wie wir reden, wie wir denken, mithin auch um eine Frage der Identität, des Wesens, und das mag den prophetischen Eifer erklären, mit dem Politik und Medien sich seit Freitag über Rücknahme oder auch nicht der Reform streiten.
Die Frontlinie der Debatte verläuft quer durch alle Lager, in der Politik sind einige Ministerpräsidenten dafür, andere aus der selben Partei dagegen, in den Medien allerdings ist eine deutliche Mehrheit für die Rücknahme der Reform in ihrer jetzigen Gestalt auszumachen.
Was aber sagen diejenigen, die diese Reform zu lehren und den jüngeren Generationen zu vermitteln haben? Wir sind nun verbunden mit Josef Kraus, dem Präsidenten des deutschen Lehrerverbandes, er ist selbst Direktor eines Gymnasiums, Deutschlehrer und Autor des Buches „Spaßpädagogik – Sackgassen deutscher Schulpolitik“ – Guten Morgen, Herr Kraus.
Josef Kraus: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Kraus, ist die Reform in einer Sackgasse, ist das das Ende der Spaßrechtschreibung?
Kraus: Ja nun, mit dem Spaß ist es so eine Sache, allein was die Schreibung schon betrifft, Spaß schreibt man nach der alten und nach der neuen Schreibung mit sz, also mit scharfem s, obwohl viele Schüler jetzt meinen, man würde es mit Doppel-s schreiben – nein, also spaßhaft ist das nicht, was wir erlebt haben seit 1996 bzw. 98, wir sind mehr und mehr in der Schule in ein orthographisches Abseits geraten, wir sind in eine Glaubwürdigkeitskrise in den Schulen geraten, wir sollen in den Schulen und mußten in den Schulen den Kindern eine Schreibung beibringen, von der die Kinder natürlich wußten – ab einem gewissen Alter: Die Eltern akzeptieren sie nicht, die Großeltern akzeptieren sie nicht, 80 Prozent der Buchbestände zu Hause und in den Schulbibliotheken sind anders geschrieben, fast alle maßgeblichen deutschen Autoren schreiben anders – also: Es ist ein Glaubwürdigkeitsproblem, und das hat alles andere als mit Spaß etwas zu tun.
Liminski: Wie kann, wie soll es denn nun weitergehen – die Sache muß doch auch irgendwie politisch entschieden werden?
Kraus: Ja nun, entweder politisch oder durch schlaue Kommissionen oder eben durch das Volk oder durch die Medienlandschaft. Die Rechtschreibreformkommission, die Zwischenstaatliche Kommission, die hat ja nun 17 Jahre gearbeitet, sie hat den Auftrag 1987 bekommen und in den 17 Jahren eigentlich nicht unbedingt etwas breit Akzeptiertes zustande gebracht, und die Kultusministerkonferenz auch nicht. Ich erwarte mir tatsächlich von der Initiative einiger Ministerpräsidenten – Wulff war der erste, Müller kam, Böhmer kam, Stoiber kam dazu – daß sie im Oktober das Thema auf die Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz setzen und dann hoffentlich eine rasche Entscheidung finden, wie immer sie auch aussehen mag. In den Schulen ist es so, daß wir eigentlich uns nichts mehr herbeisehnen als ein Ende der Debatte und wieder Klarheit, was die Normen in der Orthographie betrifft.
Liminski: Stoiber hat ja auch am Wochenende angekündigt, daß das auf die Agenda kommt, wie kann es denn nun praktisch weitergehen – in drei, vier Wochen kommen die Schüler aus den Ferien zurück und müssen doch irgendwelche Regeln anwenden bei Diktat, Aufsatz oder auch Referaten.
Kraus: Ja nun, aktuell ist die Rechtslage die, daß wir nach wie vor eine Übergangsfrist haben, die begann 1998 und sie endet nach dem jetzigen Status am 1. August 2005; Übergangsphase heißt, daß in dieser Zeit alte und neue Rechtschreibung gelten. Also, egal wie einer schreibt, Hauptsache, es ist nach der alten oder nach der neuen richtig, es wird nicht als Fehler angestrichen.
Ich meine, die Ministerpräsidenten müssen ihre Kultusminister sofort verpflichten, diese Übergangsfrist zu verlängern, um mindestens fünf Jahre, egal was dann rauskommt, und dann müssen wir sehen, wie es kommt – im Moment erkenne ich noch keine Einstimmigkeit, die notwendig wäre in der MPK, also in der Ministerpräsidentenkonferenz, und auch nicht in der KMK. Da profiliert sich natürlich jetzt jeder auch sehr unterschiedlich, aber ich bin mir sicher, daß mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sprache, auf die Bedeutung des Sprachunterrichts, die Politik sich doch dann bei der Verantwortung packen läßt.
Liminski: Haben Sie denn schon Reaktionen zur neuen Lage aus der Lehrerschaft und aus den Schulen vielleicht, auch trotz der Ferien?
Kraus: Ja, natürlich bekommt man Reaktionen, und die Reaktionen spiegeln im wesentlichen das wider, was ja auch das Meinungsbild, das äußert heterogene Meinungsbild in der Lehrerschaft, vor allem der Deutschlehrerschaft, oder aller 750.000 deutschen Lehrer in den letzten Jahren betraf. Wir hatten eine Gruppe – und haben nach wie vor eine Gruppe – die die Rechtschreibreform nicht haben wollte und die sicherlich sich jetzt sehr freut, wie sich das entwickelt, und die darauf hofft, daß das der Todesstoß für die Rechtschreibreform ist. Dann gibt es eine zweite Gruppe, die sagt: Egal was jetzt herauskommt, hoffentlich beschleunigt sich jetzt die endgültige Entscheidung, was kommt, denn diese Hängepartie, die uns immer mehr Beliebigkeit in der Schreibung gebracht hat, das ist ungut für die Pädagogik; und da gibt es natürlich diejenigen, die jetzt wütend sind oder ärgerlich sind oder traurig sind, weil es so kam, weil es offenbar der Markt entscheidet – also entsprechend sind die Reaktionen von Freude, von Jubel bis hin zu Verärgerung und Enttäuschung.
Liminski: Lassen sich denn da irgendwie Mehrheitsverhältnisse ausmachen?
Kraus: Ja nun, da ist jede Einschätzung subjektiv, es hat ja nie eine seriöse Studie gegeben, was die Akzeptanz betrifft bzw. schon gar nicht, was also die Veränderung in der Fehlerhäufigkeit betrifft – nach meinem subjektiven Empfinden, und ich habe sehr viel mit Lehrerkollegien und mit Lehrern auch außerhalb des eigenen Hauses zu tun, würde ich mal sagen, die beiden ersten Gruppen die sich freuen, daß nun etwas passiert ist, oder die zumindest darauf hoffen, daß jetzt die Entscheidung beschleunigt wird, sind wahrscheinlich die größeren; die Reformeuphoriker, glaube ich, sind eher das kleinere Drittel, wenn man es mal so mathematisch unsauber ausdrücken möchte.
Liminski: Wie steht es denn mit der Finanzfrage, Herr Kraus, die Reform hat Geld gekostet, die Rücknahme würde auch Geld kosten. Es ist doch immerhin ein Argument.
Kraus: Wenn es einer Kulturnation an die Sprache geht, dann darf das Geld nicht unbedingt oder erst an zweiter Stelle eine Rolle spielen. Im übrigen halte ich Schätzungen, die in die Welt gesetzt wurden, daß eine Rücknahme der Reform 250 Millionen Euro kosten würde, für maßlos übertrieben. Und selbst der größte Schulbuchverleger, den wir in Deutschland haben, der Klett Verlag, hält diese Zahlen für maßlos übertrieben. Man muß die Kirche im Dorf lassen und einfach einmal davon ausgehen, daß Schulbücher in den Kernfächern, ich nenne jetzt einmal an erster Stelle Deutschbücher, Lesebücher, Lesefibeln, Sprachbücher, ohnehin aufgrund des täglichen Gebrauchs oder fast täglichen Gebrauchs höchstens eine Lebensdauer von fünf, sechs Jahren haben; das heißt: Wenn wir eine erneute Übergangsfrist von fünf, sechs Jahren bekommen werden, und die brauchen wir natürlich auch, dann müssen diese Bücher sowieso im Zuge der Ersatzbeschaffung erneuert werden, und dann kostet es nur sehr begrenzt zusätzliches Geld.
Liminski: Sprache entzieht sich politischer Verordnung, sagen die Gegner der Reform, wie der saarländische Ministerpräsident Peter Müller oder auch sein niedersächsischer Kollege Christian Wulff, aber wer entscheidet denn letztlich? Es kann ja auch sein, daß die Politik sich nicht entscheiden kann und endlos weiterdiskutieren will, es wäre ja auch nicht das erste Mal.
Kraus: Ja nun, die Politik ist ja im Grunde genommen gewählt als Repräsentation des Volkes, aber die Sprache gehört natürlich weder der Politik noch irgendwelchen Sprachkommissionen oder Kultusministerkonferenzen, die Sprache gehört dem Volk. Und wenn man Sprache normieren will, und das muß man, wenn man keine Zwei- und Dreiklassengesellschaft haben will hinsichtlich Sprachanwendung, wenn man also Sprache normieren will, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man normiert sie a priori durch bürokratische Setzungen, das halte ich für undemokratisch, oder aber man normiert sie, indem man die Sprachentwicklung, die Evolution der Sprache nachzeichnet, wie es ja eigentlich bis 1996/98 der Fall war; also Sprache gehört dem Volk, und das Volk nimmt natürlich Einfluß auf die Medien, und wenn die Medien das dann entscheiden, dann hat es letztendlich auch das Volk entschieden.
Liminski: Der Markt, bzw. das Volk entscheidet, sagen Sie, ist diese Debatte nicht auch ein Symbol für die Entfremdung der Politik und ihrer Bürokratie vom Volk – oder auch für die Reformunfähigkeit der Politik sogar?
Kraus: Da ist natürlich sicherlich etwas dran, und wenn ich noch mal daran erinnern darf, daß man 17 Jahre lang gebraucht hat bis zum heutigen Tag, um dieses Durcheinander zu haben, dann hat die Politik dem Volk nicht mehr „auf’s Maul geschaut“ – und dann haben auch die Kommissionen, die schlauen, dem Volk nicht mehr „auf’s Maul geschaut“. Man sollte allerdings auch jetzt nicht den Fehler machen, den nun einige SPD-Ministerpräsidenten geäußert haben, die die Rücknahme der Reform als populistischen Streich abtun; – nein, „populisitisch“, das ist eine Vokabel, die aus dem Lateinischen kommt, heißt „Populus“, und „Populus“ heißt „das Volk“; dieses Volk ist im übrigen nicht reformunfähig; es kommt darauf an, ob man seitens der Politik und seitens der Fachkommissionen die richtigen Reformen inszeniert – und ob die Zwischenstaatliche Reformkommission die richtige Reform inszeniert hat, das wage ich sehr zu bezweifeln – also noch mal: Das Volk ist reformfähig, aber die Kommissionen, die die Reform vorschlagen, sind nicht immer in der Lage, vernünftige Reformen zu inszenieren.
Liminski: Noch mal ein Wort zum Markt oder zum Volk, es sind doch auch nur einzelne, die den Markt beherrschen, kann man da von Volk sprechen?
Kraus: Das Volk hat als – ja , „Konsument“ sozusagen, darüber entschieden, wer die Tonangebenden in der deutschen Medienlandschaft sind, und wenn man so sehr unterschiedliche und jahrelang sich zum Teil ja auch befehdende Verlage sich anschaut, wie hier Springer-Bereich und dort SPIEGEL, und wenn die plötzlich an einem Strang ziehen, dann muß man schon hellhörig werden – und im übrigen: Ich rechne mit einem Dominoeffekt; wir haben ja gesehen, daß sich der Süddeutsche Verlag jetzt anschließt, daß sich der Bauer Verlag anschließen will, daß große Literaturverlage sich mit dem Gedanken tragen, auch die renommiertesten, umzukippen. Ich rechne damit, daß hier noch einiges dazukommt; also: Das ist dann keine Monopolentscheidung, sondern das erfaßt schon die ganze Breite des Medienmarkts.
Liminski: Dominoeffekt, wieder zurück auf Los, die Debatte um die Rechtschreibreform: das war Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.
Besten Dank für das Gespräch, Herr Kraus.
Kraus: Danke auch.
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Klaus Eicheler
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