Brief an die KMK Teil 1
Am vergangenen Montag habe ich einen Brief an die KMK geschickt. Er beinhaltete den Text einer Email, die ich Tage zuvor verschickt hatte, ohne bis dato eine Antwort erhalten zu haben.
Hier der Brief:
Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister
der Länder in der Bundesrepublik Deutschland
Referat Kommunikation, Presse und Öffentlichkeit
z.Hd. Herrn Andreas Schmitz
Lennéstraße 6
53113 Bonn
Königswinter, den 4. Oktober 2004
Betreff: Meine Email vom 27. September 2004
Sehr geehrter Herr Schmitz,
am 27. September dieses Jahres habe ich an Sie eine Email geschickt, deren Text ich Ihnen – in an nur einigen wenigen Stellen verändertem Wortlaut – hiermit noch einmal brieflich zukommen lassen möchte. (Ich schickte die Email an die Adresse a.schmitz@kmk.org, die ich über die Internetseite der Kultusministerkonferenz, http://www.kmk.org, einsehen konnte.)
Leider habe ich bislang keine Antwort erhalten, weder von Ihnen noch von irgend jemand anderem seitens des Referates „Kommunikation, Presse und Öffentlichkeit“, so daß ich beinahe befürchte, daß Sie meinem Anliegen nicht mit dem nötigen Ernst begegnet sind.
Sollten Sie allerdings für mein Anliegen nicht der richtige Ansprechpartner sein, so bitte ich Sie, meine Email bzw. diesen Brief an die entsprechende Stelle weiterzuleiten.
Ich danke Ihnen dafür bereits im voraus!
Ich beabsichtige im übrigen, sofern ich innerhalb der laufenden Woche keinerlei Antwort von Ihnen persönlich bzw. vom Sekretariat der Kultusministerkonferenz erhalten sollte, mein Anliegen als offenen Brief an die Presse weiterzuleiten.
Des weiteren behalte ich es mir vor, diesen Brief und eine eventuelle Antwort Ihrerseits bzw. seitens des Sekretariates der Kultusministerkonferenz oder einer jedweden mit der Kultusministerkonferenz verbundenen Einrichtung im Rahmen einschlägiger Diskussionsforen im Internet der der sogenannten Rechtschreibreform kritisch gegenüberstehenden Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies nur zu Ihrer Information.
Im folgenden möchte ich nun den Text der Email, die ich an Sie schickte, folgen lassen – betrachten Sie ihn bitte als mein Anliegen auch dieses nunmehr an Sie persönlich gerichteten Briefes:
Verehrte Damen und Herren,
ich wende mich als Lehramtsstudent im Studienfach Deutsch an Sie, weil ich einige Fragen bezüglich der tatsächlichen, auf mich unaufhaltbar zukommenden Tätigkeit als Lehrer innerhalb Deutschlands habe. Ich hoffe, Sie können mir weiterhelfen, wenn auch nur durch einige Verweise (beispielsweise auf nützliche Literatur, andere öffentliche Stellen usw.).
Konkret stellt sich mir als angehendem Lehrer folgende Frage, auf die ich mir angesichts der momentanen bildungspolitischen Lage in Deutschland keine Antworte zu geben in der Lage bin:
Wie kann ich es im angestrebten beruflichen Umfeld schaffen, das von mir im Zuge meines Studiums erworbene Fachwissen – das ohne Zweifel auf wissenschaftlicher Basis beruht – in Einklang mit den von den Richtlinien geforderten sogenannten Lehrinhalten zu bringen?
Im speziellen: Ich habe während meines Studiums bisweilen sogar recht ausführliche und weitreichende Einblicke in die deutsche Sprache und Sprachkultur erhalten. Nun stehen die Inhalte der Richtlinien in z.T. krassem Widerspruch zu dem, was im Rahmen der Erforschung und wissenschaftlichen Behandlung der deutschen Sprache als Tatsache verbürgt ist. Ein äußerst gewichtiges Beispiel ist hier die sogenannte reformierte Rechtschreibung, die auf staatlichem Wege diktiert und unter Umgehung sämtlicher demokratischen Prinzipien als für die Schule verbindlich definiert worden ist. Um es auf den Punkt zu bringen: sie ist wissenschaftlich gesehen unhaltbar.
Lassen Sie mich diesbezüglich ein paar Beispiele anführen: Die sogenannte reformierte Rechtschreibung postuliert im ihr zugrundeliegenden „amtlichen Regelwerk“ (was es de facto als öffentlich zugängliches Regelwerk nicht gibt, da sämtliche großen Wörterbücher sowohl von ihm Abweichen als es auch unterschiedlich auslegen) unter anderem die Schreibweise „gräulich“ für das Wort „greulich“. Die Begründung liest sich angesichts der Folgen dieser scheinbar kleinen Veränderung wie ein schlechter Witz: „gräulich“ leite sich von „Grauen“ ab. Demnach greife also das sogenannte Stammprinzip, weshalb nun „gräulich“ anstatt „greulich“ zu schreiben sei. Und schon bekommt der Satz „Sie trug ein gräuliches Kleid“ gleich zwei Bedeutungen.
Sie werden sicherlich einsehen, daß die angeführte Begründung Augenwischerei ist, denn „greulich“ steht nicht mit „Grauen“ in direktem sprachgeschichtlichem Zusammenhang, sondern mit „Greuel“, was sich im übrigen belegen läßt:
Greuel m. (< 13. Jh.) Mhd. griu(we)l, griule, mndl. gruwel. Weiterbildung zu grauen; vielleicht Rückbildung aus dem Verb mhd. grūweln. Hierzu auch greulich.
Zitat aus: Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 23., erweiterte Auflage (Jubiläums-Sonderausgabe). Bearbeitet von Elmar Seebold. Berlin, New York 1999, S. 337.
Und wo ich gerade eben „im übrigen“ schrieb: Meines Wissens nach ist selbst in der neuesten Auflage des Dudens die „Schreibweise“ „im Übrigen“ gefordert – eine Substantivierung also eines Ausdruckes, der nicht substantivische, sondern adjektivische Bedeutung im Satz hat, wie ich es ganz simpel einmal ausdrücken möchte. (Nennen Sie es meinetwegen adverbiale Bestimmung – zwar kann auch eine solche aus einem substantivischen Ausdruck bestehen, aber diese hier ist ganz klar von adjektivischem Charakter.) Und die Folgen dürften doch klar sein – wie will ich einem Schüler bzw. einer Schülerin die Satzteile und Wortarten im Deutschen erörtern, wenn durch „reformierte“ Schreibweisen diese besonders hinsichtlich der Syntax komplett verschwimmen? Macht das nicht die Sache noch um einiges komplizierter?
Die Schreibung von doppeltem -s- anstelle -ß- nach kurzem Vokal ist ebenso nur eine Pseudoregel: Ich las vor einiger Zeit das von einem Schüler geschriebene Wort „Außland“. Und der „Regel“ nach ist es doch auch korrekt: nach Langvokal und Diphthong steht -ß-, nach Kurzvokal hingegen -ss-. Daß durch diese „Regel“ Wörter wie „Ereigniss“ und eben angeführtes „Außland“ eigentlich vollkommen in ihrer Schreibweise gerechtfertigt wären, ist wohl nicht bedacht worden, als man ebendiese „Regel“ im stillen Kämmerlein der „Zwischenstaatlichen Kommission“ erfand. Also muß der Schüler Ausnahmen lernen.
Des weiteren suggeriert diese „Regel“, daß im Deutschen generell der Doppelkonsonant stehe, wenn ein Kurzvokal vorangeht. Also warum nicht schreiben „Gibb mir dass Hollzstükk“? Versuchen Sie doch bitte einmal, das einem Kind beizubringen, dem ich mit viel Mühe und Not die „reformierten“ Regeln eingepaukt habe – es wird über kurz oder lang auf Ungereimtheiten stoßen.
Und das ist ja ein weiteres Problem: Ich soll also Kindern und Jugendlichen die deutsche Sprache anhand von Regeln beibringen. Eine jede Sprache allerdings ist etwas Gewachsenes, Regeln können hier nur deskriptiv, nicht aber präskriptiv formuliert werden. (Sehr deutlich wird das, sobald man sich einmal ein wenig intensiver mit den Problemen der Linguistiker auseinandersetzt, die sich ihrerseits mit unterschiedlichen Methoden und Theorien zur Sprachanalyse auseinandersetzen müssen.) Am besten lerne ich also Schreiben, indem ich lese, ohne daß ich mir zuvor sämtliche Regeln und Richtlinien eingepaukt habe, mit denen ich quasi die Bewegungen meiner eigenen Schreibhand immer abzugleichen gezwungen bin.
Ein weiteres Beispiel liefert die Getrennt- und Zusammenschreibung. Es ist wohl jedem spätestens bei genauerer Betrachtung klar, daß „so genannt“ nicht gleichzusetzen ist mit „sogenannt“. Solch eine Gleichsetzung wird allerdings durch die sogenannte reformierte Rechtschreibung zumindest suggeriert. Und gerade hier beweist die neueste Auflage des Dudens sehr deutlich, daß die sogenannte Reform keineswegs Klarheit schafft, sondern nur ein beispielloses Chaos, bei dem der Sinn und Zweck der doch nur sprachlich eindeutigen Unterscheidung zwischen Zusammen- und Getrenntschreibung vollkommen verdunkelt wird.
Was mich zu meiner abschließenden Frage führt: Wie soll ich als Lehrer guten Gewissens Schülern diese „Recht“schreibung beibringen bzw. sie darin bestärken?
Ich weiß es doch besser, ich habe das Ganze studiert, bin zwar bei weitem kein Spezialist, habe allerdings um Längen mehr Einblick in die deutsche Sprache als Nichtstudierte, besonders Schüler. Also warum soll ich lügen? Denn das ist es doch, was mit der Verbindlichkeit der sogenannten reformierten Rechtschreibung an Schulen gefordert wird: daß ich auf staatliche Weisung hin lügen soll.
Vielleicht können Sie mir einen Rat geben, wie ich mich diesbezüglich einem Gewissenskonflikt entziehen kann, denn solch einer droht unweigerlich auf mich zuzukommen.
Ich trage Verantwortung für die nächsten Generationen – diese Welt gehört nicht uns, die wir jetzt entscheiden und handeln können, sie gehört unseren Kindern. Ebenso ist der Schutz und die Pflege der Kultur und ihrer Güter eine Verantwortung, die wir übernehmen müssen, zum Wohl der nachfolgenden Generationen. Einem Lehrer obliegt in besonderem Maße diese Verantwortung – sie mir zu nehmen bzw. mir die Möglichkeit zu entziehen, sie zu übernehmen, halte ich für zutiefst entwürdigend und respektlos! Nicht nur mir, sondern auch den kommenden Generationen gegenüber.
Mit freundlichem Gruß
|