Wackelige Dominosteine
Wolfgang Wrase schrieb:
Berechtigte Theorie und falsche Realität
Gerade das Urteil des BVerfG ist geeignet, Herrn Lindenthal recht zu geben: Man darf nicht die Rechtspraxis mit Gerechtigkeit verwechseln und auch nicht mit der Idee der Grundrechte. Daß Rechte auch vor Gericht immer wieder mißachtet werden, ist nicht neu, allerdings beim BVerfG ungewöhnlich. Deshalb stimme ich Herrn Lindenthal im Prinzip zu: Eigentlich verletzt die Rechtschreibreform Grundrechte und gehört deswegen gerichtlich verboten. Andererseits hat unser höchstes Gericht anders entschieden was ich als Skandal empfinde, genauso wie die Mißachtung der Volksgesetzgebung in Schleswig-Holstein durch die Vertreter des Volkes. Auf der pragmatischen Ebene stimme ich Herrn Metes zu: Es hat jetzt keinen Sinn mehr, nach einem höchsten Gericht zu rufen. Sonst läuft man mangels Realismus sehr schnell Gefahr, als Spinner eingestuft zu werden. Wenn, dann bitte im Konjunktiv: Eigentlich hätte das Verfassungsgericht die Reform abschaffen müssen. Sonst könnte man auch fordern: Bitte nochmal ein Volksentscheid in Schleswig-Holstein! Ganz und gar berechtigt, aber leider nur Theorie. Der Zustand des Unrechts ist nun auch juristisch festgeklopft worden. Da kann man sich schon drüber empören, aber leider empfinden die meisten: Es gibt Wichtigeres, und man kann damit keinen Blumentopf gewinnen.
Lieber Herr Wrase,
es geht nicht etwa darum, daß die Verfassungsrichter ihr damaliges Urteil auffressen sollen; das tun sie natürlich nicht – der damalige Vorsitzende Richter, Herr Papier, ist inzwischen oberster Richter unserer Republik.
Es geht nicht darum, daß wir uns die Köpfe der Verfassungsrichter zerbrechen oder deren Schularbeiten machen sollen. Und ich glaube auch nicht, daß das BVerfG der beste und wichtigste Entscheider wäre.
Es geht um einen bisher nie dagewesenen Mißstand, daß nämlich auf dem Verwaltungswege bisher erlaubte deutsche Wörter (denen absolut nichts vorzuwerfen ist: tiefgreifend, sogenannte, allgemeinbildend, bereitstellen, offenlegen, ...) für viele Menschen verboten worden sind.
Wer von der langen Kette der Verwaltungsbeamten, Verwaltungsrichter und Verfassungsrichter diese Wörterverbote bestätigt und wer von ihnen den Kopf dafür benutzt, wofür er bezahlt wird, das ist zunächst deren Sache.
Sollte bei unseren Richtern das Gefühl entstehen, daß sie vorgeführt werden, so ist auch dieses Gefühl deren Sache und nicht unsere.
Meine Sache ist, daß ich mich nicht daran gewöhne, daß ein Husumer Mathelehrer seinen Schulkindern auf Klassenfahrt Haschisch mitbringt und mit ihnen kifft und daß die Aufsichsverantwortlichen das decken.
Und auch an die Wörterverbote gewöhne ich mich nicht.
Der Mißstand, wie unser wichtigstes Werkzeug, die Sprache, verwaltet wird, betrifft bei weitem nicht nur die Gerichte. Wenn diese Sache mit den Wörterverboten richtig durchdekliniert wird, dann müssen etliche wackelige Dominosteine in Verwaltung und Medien sich um eine neue Standfestigkeit bemühen.
Gruß,
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Detlef Lindenthal
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