Zur Vervollständigung
des Bildes hier ein kleiner Disput, den die VRS-Presseerklärung auslöste :
3 Mar 2002 00:03:39 +0100
Hallo, Herr Markner,
daß der uneingeschränkte Vorrang einer deskriptiven (!) vor einer (zumindest moderat) präskriptiven Orthographie von der Mehrheit der VRS-Mitglieder gewünscht ist, geschweige denn je so als Vereinsmeinung beschlossen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis bzw. läßt sich für mein Teil kategorisch verneinen.
Die Meinung anderer Vereinsmitgieder hierzu würde mich interessieren.
Nur kurz: Letzte Konsequenz des sage ich jetzt einmal ein wenig polemsich ewigen Deskriptivismus in der neueren deutschen Ortographiegeschichte ist m. E., daß und ich finde, wir sind nicht mehr so weit weg davon... jeder individuell so schreibt, wie ihm die Feder gewachsen ist (was ja sogar das BVG für den nichtstaatlichen Schriftverkehr so postuliert hat). Dann gibt es im Zuge der momentan schon in vollem Gange befindlichen Auflösung der Kategorie Rechtschreibung überhaupt nämlich keine Recht-" (i. S. v. Richtig-) Schreibung mehr (denn was richtig ist, ist letzten Endes zumal in historischen Sprachen mit langer Geschichte, die ja bekanntlich nur bedingt logisch sind , von einigen linguistisch begründbaren Fällen
abgesehen, allein auf Konvention beruhend und m u ß insofern ein Stück weit p r ä s k r i p t i v sein!
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Rupp
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3. 3. 2002, 2:32
Sehr geehrter Herr Rupp,
was mit deskriptivem Ansatz in bezug auf die Orthographie gemeint ist, erschließt sich nicht auf Anhieb. Ich kann hier nur so viel sagen: regelloses Chaos ist nicht die Folge. Was die Mehrheit der VRS-Mitglieder glaubt und meint, weiß ich nicht. Ich stelle allerdings immer wieder ein großes Interesse der Mitgliedschaft an unfruchtbaren internen Auseinandersetzungen fest. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre es zweifellos hilfreicher, den einen oder anderen Leserbrief zu schreiben.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Markner
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3 Mar 2002 23:05:09 +0100
Sehr geehrter Herr Markner,
das Stichwort deskriptiv haben Sie ins Gespräch gebracht. Ich wüßte auch nicht, daß es hierüber eine Auseinandersetzung gibt.
Dennoch denke ich, daß es möglich sein muß, sich intern darüber klar zu werden, was man eigentlich will.
Klar wollen wir wohl alle, daß die verhaßte Dumm- und Beliebigkeitsschreibung möglichst schnell wieder das Zeitliche segnet.
Doch was soll danach kommen? Icklers Wörterbuch? Die Duden-Graphie der letzten guten Ausgabe?
Hierüber sollte man sich im klaren sein.
Meine Meinung:
Um eine stabile, realistische Grundlage für die Abschaffung der Dumm- und Beliebigkeitsschreibung zu haben, sollte zunächst die Dudengraphie der 20. Auflage wiedereingeführt werden. Auf dieser Grundlage sollte ein Gremium (über dessen Zusammensetzung und Legitimation man sich noch Gedanken machen müßte; warum aber z. B. nicht etwas Vergleichbares zur Académie française?) die ja auch in der 20. Auflage des Dudens existierenden umstrittenen Graphien diskutieren und beschließen.
Voraussetzung für die Mitgliedschaft in diesem Gremium sollte m. E. ein linguistisches Studium oder eine vergleichbare Qualifikation sein.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Rupp
***
[Ich antwortete mit dem Hinweis, daß das von Herrn Rupp vorgeschlagene Verfahren dem der KMK entspreche, das zur Rechtschreibreform geführt habe.]
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4 Mar 2002 22:08:42 +0100
Sehr geehrter Herr Markner,
Sie haben meine Zeilen leider nicht genau gelesen: Ich sprach von einem Experten- (!) Gremium... (und nicht von einem Haufen losgelassener verhinderter Sprachreformer).
Im übrigen: Die jedwedem deutschen Sprachgremium an Tradition und Einfluß um ein Vielfaches überlegene französische Académie française hat, nachdem sie Ende der 80er Jahre die damalige französische Rechtschreibreform zunächst aktiv mitgetragen hatte, den Mut gehabt,
ihren Fehler zu erkennen, ihn öffentlich einzugestehen und zu widerrufen.
Daß hierzu eine deutsche KMK offensichtlich nicht im Ansatz imstande ist, spricht Bände über die Hybris dieses Pseudogremiums...
(das man m. E. im Lauf der bundesrepublikanischen Geschichte einfach vergessen hat wieder abzuschaffen).
>
> Es gab und gibt die Möglichkeit, die von Ihnen
> aufgeworfenen Fragen bei http://www.rechtschreibreform.com zu
> diskutieren. Ich wiederhole aber, daß es zur Zeit
> sinnvoller wäre, DIE WELT bei ihrer Kampagne zu unterstützen.
Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen...
In diesem Sinne
mit freundlichen Grüßen
Stephan Rupp
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6. 3. 2002, 10:26
Sehr geehrter Herr Rupp,
ich habe Ihre Zeilen durchaus genau gelesen. Sie sprechen und sprachen von einem »Experten-(!) Gremium«, und als Qualifikation nannten Sie ein abgeschlossenes Linguistikstudium. Man kann Professor Augst und seiner Truppe vieles vorwerfen, aber daß sie kein Examen abgelegt hätten, geht dann doch etwas weit. Diese Leute sind selbstverständlich »Experten«. Daran ändert die Tatsache nichts, daß sie eine schiefe Auffassung jener Sachverhalte haben, mit denen sie sich professionell beschäftigen.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Markner
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6. 3. 2002 21:58:15 +0100
Sehr geehrter Herr Markner,
warum so polemisch?
Für mich ist trotz abgeschlossenen Studiums ( ;-) ) Prof. Augst kein ernstzunehmender Experte. Es gibt in jedem Stall schwarze und weiße Schafe.
Daß wir deswegen jetzt aber anfangen, ein mit Ärzten oder jeder beliebigen anderen Berufsgruppe besetztes Gremium über unsere geliebte Muttersprache entscheiden zu lassen, geht doch etwas zu weit.
Letzten Endes fehlt vielen sogenannten Experten eben eines:
Fingerspitzengefühl und historisches Bewußtsein, die auch eine große Verantwortung vor einer Sprachfamilie mit fast 100 Mio. Sprechern einschließt.
Mit beidem waren eigentlich hélas..! unsere Duden-Redakteure bis zum vergessenswürdigen Tag der Geburt dieser amtlichen Rechtschreibregeln in den meisten Fällen ausgestattet.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Rupp
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6 Mar 2002 11:39:43 +0100
>Von:
Merkwürdig, daß bei Post von Herrn Markner nie der Absender erscheint.
[Keine Absicht, R. M. / r_markner@yahoo.com]
Die Lösung liegt darin, UNABHÄNGIGE Fachleute zu finden keinesfalls sollten es nur Sprachwissenschaftler (Linguisten) sein.
- unabhängig vom Kapital (Stichwort Wörterbuchverlage)
- unabhängig von den kurzfristigen Interessen der Politik (Stichwort KMK)
Eben solche Fachleute wie Theodor Ickler.
Ich meine eine Unabhängigkeit nicht nur vom Staat (wie die Kultusminister fälschlicherweise in der VRS-Presseerklärung bezeichnet werden), sondern
auch vom großen Kapital und von Verbandsinteressen.
Thomas Paulwitz
Schriftleiter
thomas-paulwitz@deutsche-sprachwelt.de
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